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2007 Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Zur Diskussion gestellt Dirk Ehlers, Otto Wiesheu, Gerd Aberle, Hans-Peter Friedrich, Christian Kirchner, Christoph Schaaffkamp Die Privatisierung der Bahn: »Volksaktie« oder »normaler« Börsengang? Daten und Prognosen ifo Branchen-Dialog 2007 Horst Penzkofer Knapp 6 700 Arbeitsplätze bundesweit durch Essener Messen und Kongresse ifo Schnelldienst 60. Jg., 47.–48. KW, 29. November 2007 22

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Institut fürWirtschaftsforschungan der Universität München

Zur Diskussion gestelltDirk Ehlers, Otto Wiesheu, Gerd Aberle, Hans-Peter Friedrich, Christian Kirchner, Christoph SchaaffkampQ Die Privatisierung der Bahn: »Volksaktie« oder

»normaler« Börsengang?

Daten und Prognosen

Q ifo Branchen-Dialog 2007

Horst PenzkoferQ Knapp 6 700 Arbeitsplätze bundesweit durch

Essener Messen und Kongresse

ifo Schnelldienst60. Jg., 47.–48. KW, 29. November 2007

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ISSN 0018-974 X

Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Dr. Chang Woon Nam,Dr. Gernot Nerb, Dr. Wolfgang Ochel, Dr. Heidemarie C. Sherman, Dr. Martin Werding.Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design.Satz: ifo Institut für Wirtschaftsforschung.Druck: Fritz Kriechbaumer, Taufkirchen.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

ifo Schnelldienst

Die Privatisierung der Bahn: »Volksaktie« oder »normaler« Börsengang?

Die Deutsche Bahn AG, derzeit ein dem Bund gehörender Konzern, soll zumin-dest teilweise privatisiert werden. Darin sind sich die maßgeblichen politischenKräfte einig. Über die Art und Weise der Privatisierung besteht aber keine Einigkeit.Dirk Ehlers, Universität Münster, stellt die fünf Privatisierungsvarianten, die in derDiskussion sind, vor und unterzieht sie einer kritischen Betrachtung. Er hält fest,dass die vom Gesetzgeber bisher verfolgte Strategie, die DB AG unter Beibehal-tung eines integrierten Bahnkonzerns zu privatisieren, wegen der Rückwirkungenauf den Ausbau und den Erhalt der Schienenwege nach seiner Ansicht mit demGrundgesetz nicht vereinbar ist – es sei denn, es werden nur stimmrechtslose Vor-zugsaktien ausgegeben, und es kann sichergestellt werden, dass das Stimmrechtnicht wieder auflebt. Für Otto Wiesheu, Deutsche Bahn AG, wird die Bahnreform,»die 1994 mit einem entschlossenen Ja zu Wettbewerb und Privatisierung umge-setzt wurde und in deren Folge das Unternehmen DB AG den Sprung zu einemwettbewerbs- und zukunftsfähigen Konzern mit guten Perspektiven für die Be-schäftigten geschafft hat«, durch ein »unausgegorenes Privatisierungsmodell à la»Volksaktie« ad absurdum geführt. ... Das diffuse Bild, das sich ergibt, wenn mandas »Volksaktienmodell« näher durchdenkt, legt den Schluss nahe, dass es denBefürwortern wohl eher darum geht, die Kapitalprivatisierung der DB AG ganz zuverhindern.« Gerd Aberle, Universität Gießen, sieht in den Wirtschaftsergebnissender vergangenen Jahre und der erfolgreichen Positionierung der DB AG als inter-national tätiger Mobilitätsdienstleister die Voraussetzungen für einen erfolgreichenBörsengang. Für die Gewinnung von neuem Kapital durch einen Börsengangsind, seiner Meinung nach, vor allem institutionelle Anleger anzusprechen, die ei-ne sichere längerfristige Kapitalanlage mit marktfähiger Rendite anstreben. DasVolksaktienmodell ist für ihn weder unternehmenspolitisch noch gesamtwirt-schaftlich attraktiv. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU-Bundestagesfraktion, siehtdie Volksaktie als eine reine Scheinprivatisierung an: »Heraus kommen würde einschlechtes Privatisierungsmodell, das die ordnungspolitischen Probleme des Ei-gentumssicherungsmodells mit dem Mangel an Kontrolle durch die Kapitalmärkteverbunden hatte.« Auch für Christian Kirchner, Humboldt-Universität zu Berlin,wäre das Projekt »Bahnprivatisierung« mit der Ausgabe von Volksaktien geschei-tert. Es würde bei der Staatsbahn bleiben, mangels Haushaltsengpässen unterfi-nanziert und unfähig, sich an der Neustrukturierung der europäischen Eisenbahnzu beteiligen. Für Christian Schaaffkamp, Unternehmensberatung kcw, Berlin,kann durch eine klare Privatisierungssperre für die Eisenbahninfrastruktur die pri-märe Zielstellung der Volksaktie – Schutz der Eisenbahninfrastruktur vor dem Zu-griff von »Heuschrecken« – effektiver und mit einem deutlich besseren finanziellenErgebnis für die öffentliche Hand umgesetzt werden.

ifo Branchen-Dialog 2007

Am 18. Oktober 2007 veranstaltete das ifo Institut in Kooperation mit der Industrie-und Handelskammer für München und Oberbayern und mit Unterstützung desBayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technolo-gie zum siebten Mal den »ifo Branchen-Dialog«. Ziel dieser Arbeitstagung war dieAnalyse der Gesamtwirtschaft und der konjunkturellen Entwicklungen in der Indus-trie, in der Bauwirtschaft, im Groß- und Einzelhandel sowie in ausgewählten Dienst-leistungssektoren. Nach den Begrüßungsworten von Reinhard Dörfler, IHK für Mün-chen und Oberbayern, wurden in vier Branchenforen die konjunkturellen Tendenzenin den Wirtschaftsbereichen Industrie, Handel, Bauwirtschaft und Dienstleistungenim Detail analysiert und diskutiert. Die Foren wurden jeweils durch eine Einführungvon Experten des ifo Instituts eröffnet und die Themen danach durch Beiträge von

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externen Experten erweitert und vertieft. Am Nachmittag wurde der Branchen-Dia-log mit dem Vortrag von Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, fortgesetzt.Sinn ging in seinem Vortrag zum Thema »Die wirtschaftliche Lage in Deutschlandund Europa« auf das aktuelle Konjunkturgutachten der wirtschaftswissenschaftli-chen Forschungsinstitute ein, das am Tag der Veranstaltung in Berlin veröffentlichtwurde. Für die konjunkturelle Entwicklung Deutschlands in 2008 sei dieses neueGutachten gedämpft optimistisch. Es werde mit einer Fortsetzung des Auf-schwungs, allerdings in deutlich abgeschwächter Form, gerechnet. Nach Sinn be-stehen trotz der Risiken, die von der Sub-prime Hypothekenkrise in den USA unddem Höhenflug des Euro auf die deutsche Wirtschaft ausgehen, gute Chancen,dass die Wirtschaft in Deutschland in 2008 und 2009 einen »goldenen Herbst desKonjunkturaufschwungs« erleben wird. Ergänzend zum neuen Gemeinschaftsgut-achten konzentrierte sich Sinn auf die zwei Fragen »Woher kam der gegenwärtigeAufschwung?«, und »Wie steht es wirklich um die Reallohnentwicklung in Deutsch-land?« Zur Herkunft des jüngsten Konjunkturaufschwungs in Deutschland über-prüfte Sinn sechs Hypothesen. Zur Reallohnentwicklung in Deutschland bezog sichSinn auf eine jüngste Veröffentlichung des Arbeitsministeriums. Danach waren dierealen Nettolöhne der Arbeitnehmer in Deutschland im vergangenen Jahr so niedrigwie seit 1986 nicht mehr. Irreführend sind, nach Sinn, die Interpretationen der vomArbeitsministerium veröffentlichten Zahlen durch manche Medien. Hinter dem ge-ringen Anstieg der Nettorealeinkommen in den letzten 20 Jahren verberge sichnämlich vor allem ein Struktureffekt. Es seien in den letzten Jahren sehr viele Teil-zeitstellen und marginale Beschäftigungsverhältnisse, wie Minijobs und Ein-Euro-Jobs, entstanden, die es bei höheren Löhnen nicht gegeben hätte. Das habe zwarden Durchschnitt gesenkt, besage aber nicht, dass hier eine problematische Ent-wicklung eingetreten wäre. Im Anschluss an den Vortrag wurden die Ergebnisse dervier Foren kurz präsentiert.

Knapp 6 700 Arbeitsplätze basieren bundesweit auf Essener Messen und KongressenHorst Penzkofer

Die Messe-, Kongress- und Eventaktivitäten der Messe Essen GmbH stellen vorallem für die Stadt Essen, aber auch für das Bundesland Nordrhein-Westfalen, ei-nen nicht zu unterschätzenden Beschäftigungsfaktor dar. Für ein durchschnittli-ches Veranstaltungsjahr belaufen sich die Gesamtausgaben der in- und ausländi-schen Messebesucher, -aussteller sowie Kongress-/Eventteilnehmer auf rund409 Mill. €. Die insgesamt angestoßenen gesamtwirtschaftlichen (direkten und in-direkten) Produktionseffekte in Deutschland betragen rund 579 Mill. €. Für alle Ge-bietskörperschaften der Bundesrepublik ergeben sich für ein durchschnittlichesVeranstaltungsjahr Steuereinnahmen in Höhe von über 109 Mill. €. Auf Essen unddas restliche Nordrhein-Westfalen entfällt hiervon 40,6 Mill. €. Die inländischen ge-samtwirtschaftlichen Produktionseffekte ermöglichen die Beschäftigung von bun-desweit rund 6 700 Erwerbspersonen. Bezogen auf Essen sind es über 3 200 Er-werbspersonen, die von Messen, Kongressen und sonstigen Events der MesseEssen GmbH abhängig sind, für Nordrhein-Westfalen 2 124 Personen.

Leider ist uns im Beitrag »Studiengebühren in Deutschland und Europa2007/2008«, der im ifo Schnelldienst Nr. 18/2007 erschienen ist, ein Fehler un-terlaufen. In Tabelle 1 auf der Seite 28 wird für das Bundesland Hessen angege-ben, dass Studiendarlehen gewährt werden, für Bafög-Empfänger auf Antragzinsfrei, und dass die Rückzahlung frühestens zwei Jahre nach Studienende undeinkommensabhängig beginnt. Es fehlte der Hinweis auf die Verschuldungsober-grenze. Richtig ist, dass auch in Hessen eine Verschuldungsobergrenze fürBafög-Empfänger von 15 000 € eingeführt wurde. Wir bitten, diesen Fehler zuentschuldigen.

Richtigstellung

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Die Privatisierung der Deutschen Bahn AG

Die Deutsche Bahn (DB) AG ist derzeitein ausschließlich dem Bund gehörenderKonzern mit den Sparten Verkehrsnetzund Verkehrsbetrieb (einschließlich Lo-gistik). Die maßgeblichen politischenKräfte streben eine zumindest teilweisePrivatisierung der DB AG an. Über die Artund Weise der Privatisierung bestehtaber keine Einigkeit. Die Entscheidungist nicht nur politisch und ökonomisch zutreffen, sondern muss auch die rechtli-chen Vorgaben des Grundgesetzes be-achten. Erwogen wurden bisher fünf Pri-vatisierungsvarianten, die einer kurzenBetrachtung unterzogen werden sollen.Ein Fazit und ein Ausblick schließen dieUntersuchung ab.

Ausgabe von Aktien nach strikter Trennung von Verkehrs-netz und Verkehrsbetrieb

Nahe liegend ist zunächst eine strikteTrennung des Verkehrsnetzes (d.h. der In-frastruktur, die Schienenwege und Bahn-höfe umfasst) von den übrigen Geschäfts-feldern der DB AG und die Übertragungdes Verkehrsnetzes auf einen anderen Be-treiber als die DB AG. Hierfür spricht zu-nächst, dass das Grundgesetz zwischenden Eisenbahnen des Bundes als Ver-kehrsunternehmen und jenen Unterneh-men unterscheidet, die für den Erhalt undAusbau des Schienennetzes (einschließ-lich der Bahnhöfe) zuständig sind. Die Ver-kehrsunternehmen dürfen von Verfas-sungs wegen vollständig privatisiert wer-den. Dagegen enthält das Grundgesetzfür die Infrastrukturunternehmen des Bun-des eine Privatisierungsschranke. Zwarsind auch diese Unternehmen als Wirt-schaftsunternehmen in privatrechtlicherForm zu führen. Der Bund darf zudem An-teile an diesen Unternehmen veräußern.Die Mehrheit der Anteile muss nach Art.

87 e Abs. 3 S. 3 GG aber beim Bund ver-bleiben. Hinzu kommt, dass das Verkehrs-netz allen Wettbewerbern diskriminie-rungsfrei zur Verfügung zu stellen ist. Des-halb schreibt eine Richtlinie der Europäi-schen Gemeinschaft (Art. 4 Abs. 2, 14Abs. 2 RL 2001/14/EG) vor, dass der Be-treiber der Infrastruktur rechtlich, organi-satorisch oder in seinen Entscheidungennicht von den Eisenbahnunternehmen ab-hängig sein darf. Betreibt dagegen die DBAG auch die Infrastruktur, besteht nachihrer Privatisierung die Gefahr, dass die In-frastrukturentscheidungen überwiegendrenditeorientiert gefällt und die Investitio-nen in erster Linie in die von der DB AGselbst genutzten Netzteile gelenkt wer-den. Befürchtet wird eine vermehrte Still-legung unrentabler Bahnhöfe und Tras-sen (vor allem für den von den Ländernzu verantwortenden Personennahverkehr)und eine Erhöhung der Trassenentgelte(was sich für die DB AG anders als fürdie Wettbewerber nicht nachteilig auswir-ken würde, weil das Geld im Konzern ver-bliebe). Eine strikte Trennung von Ver-kehrsnetz und Verkehrsbetrieb (ein-schließlich Logistik) würde keine rechtli-chen Probleme aufwerfen, stößt indessennicht nur bei der DB AG und den Bahn-gewerkschaften, sondern auch beimDeutschen Bundestag auf Ablehnung.Nach dem sog. Eckpunkte-Beschluss desDeutschen Bundestages vom 24. No-vember 2006 soll der DB AG nämlich dieMöglichkeit erhalten bleiben, Schienen-verkehr und Infrastruktur in einer wirt-schaftlichen Einheit zu betreiben und zubilanzieren.

Ausgabe normaler Aktien des integrierten Bahnkonzerns

Die Bundesregierung hat am 4. Septem-ber 2007 den gesetzgebenden Körper-

»normaler« Börsengang?Die Privatisierung der Bahn: »Volksaktie« oder

Seit einiger Zeit wird über die (Teil-)Privatisierung der Deutschen Bahn AG diskutiert. Unter ande-

rem ist auch der Vorschlag, Vorzugsaktien ohne Stimmrecht auszugeben, um die Mitsprache von

Großinvestoren zu verhindern, auf dem Tisch. Wie sinnvoll ist dieses Modell?

Dirk Ehlers*

* Prof. Dr. Dirk Ehlers ist geschäftsführender Direk-tor des Instituts für öffentliches Wirtschaftsrechtder Universität Münster.

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schaften eine Gesetzesvorlage zugeleitet, die eine Priva-tisierung der DB AG bis zu 49,9% durch Ausgabe nor-maler Aktien bei fortbestehendem integrierten Bahnkon-zern von Eisenbahninfrastrukturunternehmen und -ver-kehrsunternehmen unter dem Dach der Holding DB AGermöglicht. Der Bund wird im Falle der Verabschiedungdes Gesetzes zwar juristischer Eigentümer der Eisenbahn-infrastrukturunternehmen (DB Netz AG, DB Station&Ser-vice AG, DB Energie GmbH). Die Ausübung seiner Ge-sellschafterrechte überträgt er aber zunächst für die Dau-er von 18 Jahren kraft Gesetzes der DB AG. Diese sollwirtschaftlicher Eigentümer der innerhalb des Bahnkon-zerns zu steuernden Eisenbahninfrastrukturunternehmenwerden. Damit kommt es nach einer Teilprivatisierung derDB AG mittelbar auch zu einer Teilprivatisierung der Ei-senbahninfrastrukturunternehmen. Der Gesetzesentwurfder Bundesregierung ist bei Rechtswissenschaftlern über-wiegend auf erhebliche verfassungsrechtliche Einwändegestoßen, die nach der hier vertretenen Auffassung durch-schlagend sind. Wenn der Bund nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG Mehrheitseigentümer der Einsenbahninfrastruk-turunternehmen bleiben muss, folgt daraus zugleich, dasser, um seinem Infrastrukturauftrag für das Eisenbahnwe-sen nachkommen zu können (Art. 87 e Abs. 4 GG), dieEinflussrechte eines Mehrheitseigentümers nicht aus derHand geben darf. Ein bloß juristisches Eigentum des Bun-des ist dagegen eine leere Hülle und vermittelt keine Ein-flussrechte. Ein solches Eigentum genügt nicht den ver-fassungsrechtlichen Anforderungen. Der Bund könntezwar nach einer Privatisierung versuchen, als Mehrheits-aktionär der DB AG über diese Einfluss auf die Eisen-bahninfrastrukturunternehmen zu nehmen. Da der die Ent-scheidung treffende Vorstand der DB AG unabhängigist, kommt im Wesentlichen aber nur eine Einflussnahmeüber den Aufsichtsrat der DB AG in Betracht. Der Auf-sichtsrat der DB AG unterliegt jedoch der Mitbestimmung.Wenn die privaten Aktionäre auch nur ein Mitglied desAufsichtsrates stellen, verliert der Bund seine Mehrheit imAufsichtsrat. Kommt es zu einer Ausgabe normaler Ak-tien, ist, wie auch die Bundesregierung einräumt, nachden Gepflogenheiten des Marktes damit zu rechnen, dassdie privaten Kapitalgeber entsprechend der Stärke ihresKapitals im Aufsichtsrat vertreten sein werden. Der Bundhat dann nicht die Möglichkeit, sich im Aufsichtsrat durch-zusetzen. Um den Einflussverlust des Bundes zu kom-pensieren, sieht der Gesetzesentwurf zwar bestimmte Zu-stimmungsvorbehalte des Bundes vor. Aber abgesehendavon, dass die Zustimmungsvorbehalte nur bestimmteFälle betreffen, ist eine auf Kompromissschließung mitdem Vorstand der DB AG im Streitfall angewiesene Zu-stimmung etwas anderes als eine Alleinentscheidung. So-mit ist nicht gesichert, dass der Bund in verfassungsrecht-lich erforderlichem Ausmaß Einfluss auf die Eisenbahnin-frastrukturunternehmen auszuüben vermag. Hinzu kom-men weitere verfassungsrechtliche Bedenken. Die Über-

tragung der Gesellschafterrechte des Bundes auf eine teil-privatisierte DB AG hat eine materielle Teilprivatisierungder Ausübung von Staatsgewalt zur Folge, für die eineverfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht ersichtlich ist.Zudem muss es dem Bund nach Art. 87 e Abs. 3 GG nichtnur auf dem Papier möglich sein, juristisches und wirt-schaftliches Eigentum wieder zusammenzuführen. DerGesetzesentwurf lässt dies zwar zu, verlangt aber, dassder Bund der DB AG dann vollen Wertausgleich gewäh-ren muss. Derzeit würde der Wertausgleich nach Anga-ben der Bundesregierung etwa 7,5 Mrd. € betragen. In18 Jahren sind ganz andere Beträge zu erwarten. Hinzukommt, dass ein Gebrauchmachen von dem Rückhol-recht des Bundes die Aktienkurse der DB AG »einbre-chen« lassen würde. Dies alles zeigt, dass die Wertaus-gleichspflicht des Bundes prohibitive Wirkungen hat undeine Wiederzusammenführung von juristischem und wirt-schaftlichem Eigentum an den Eisenbahninfrastruktur-unternehmen denkbar unwahrscheinlich macht. Wirt-schaftlich stellt sich die Frage, ob die erwarteten Privati-sierungserlöse von etwa 5 bis 8 Mrd. € (bei einem Wie-derbeschaffungswert allein der Schienenwege von weitüber 100 Mrd. €) in einem angemessenen Verhältnis zurWertausgleichspflicht stehen. Politisch wurde der Ge-setzesentwurf der Bundesregierung von Anfang an vonallen Fraktionen der Oppositionsparteien abgelehnt. Auchviele Mitglieder der Fraktionen der Großen Koalition ha-ben sich ablehnend geäußert. Ferner hat sich der SPD-Parteitag am 26. bis 28. Oktober 2007 gegen den Geset-zesentwurf ausgesprochen. Sollte es dennoch zur Verab-schiedung des Gesetzes kommen, ist damit zu rechnen,dass das Bundesverfassungsgericht angerufen wird.

Ausgabe von Namensaktien des integriertenBahnkonzerns

Von Seiten der Sozialdemokraten wurde ferner eine Aus-gabe von Volksaktien ins Gespräch gebracht. Der gesetz-lich nicht festgelegte Begriff der Volksaktie wird jedoch sinn-variierend verwendet. Unter Volksaktien versteht man ge-meinhin Aktien, die der Bevölkerung in breiter Streuung (un-ter Umständen auch durch Verbilligung des Emissionsprei-ses nach Sozialstaffelung) angeboten werden. Eine solcheStreuung lässt sich insbesondere durch die Ausgabe vonvinkulierten Namensaktien (im Gegensatz zu Inhaberaktien)dauerhaft gewährleisten. Darunter werden Aktien verstan-den, deren Übertragung auf einen anderen als den Be-nannten an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden ist(§ 68 II AktG). Auf diese Weise kann auf den Kreis der Ak-tionäre Einfluss genommen werden. An der juristischen Be-wertung würde diese Art der Privatisierung aber nichts än-dern. Der Einfluss des Bundes wäre genauso gemindert wiebei einer Ausgabe normaler Aktien. Hinzu kommen wirt-schaftliche Bedenken. So wäre bereits zweifelhaft, ob die

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Ausgabe von vinkulierten Namensaktien auf genügend Nach-frage stoßen würde (im Jahre 2006 soll der Nettoabsatz al-ler inländischen Aktien nur bei rund 9,1 Mrd. € gelegen ha-ben). In jedem Falle wäre der administrative Aufwand hoch.Außerdem hat man bisher die teilweise auch als »Heuschre-cken« bezeichneten Großinvestoren in der Regel nur dannfernzuhalten versucht, wenn die Zerschlagung eines Unter-nehmens befürchtet wurde. Diese Gefahr besteht aber nicht,da der Bund bei Zugrundelegung aller bisherigen Pläne je-denfalls zunächst die Mehrheit an der DB AG behalten soll.Die im Bundestag vertretenen Parteien scheinen denn aucheine Ausgabe vinkulierter Namensaktien der DB AG nichternsthaft in Erwägung zu ziehen.

Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktiendes integrierten Bahnkonzerns

Die Sozialdemokraten haben auf ihrem Parteitag vom 26. bis28. Oktober dieses Jahres beschlossen, zwar an dem inte-grierten Bahnkonzern und der Privatisierung der DB AG fest-zuhalten, gleichzeitig aber einen Einfluss Privater auf die Un-ternehmenspolitik der Bahn auszuschließen. Dies soll durcheine Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien erreicht wer-den. Das Aktienrecht lässt solche Aktien zu (§ 12 AktG), ver-langt aber, dass die Aktionäre für den Verlust des Stimm-rechts einen Vorzug bei der Verteilung des Gewinns erhal-ten müssen (§ 139 Abs. 1 AktG). Kommt es zur Ausgabesolcher Aktien, wird den Anforderungen des Grundgeset-zes genügt. Erwerben nämlich die Privaten trotz Privatisie-rung keine Einflussrechte, ist der Bund in der Lage, hinrei-chenden Einfluss auf die Infrastrukturunternehmen der Bahnauszuüben. Das heißt zwar noch nicht, dass der vorgeleg-te Gesetzesentwurf der Bundesregierung dann in jeder Hin-sicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen gerechtwird. Zum Beispiel bliebe auch dann ein Rückholrecht desBundes im Hinblick auf das wirtschaftliche Eigentum an denEisenbahninfrastrukturunternehmen de facto ausgeschlos-sen. Jedoch ginge es nicht mehr um die grundsätzliche Kon-zeption, sondern um die Regelung von Details. Ob es sichwirtschaftlich empfiehlt, stimmrechtslose Vorzugsaktien aus-zugeben, steht auf einem anderen Blatt. So lassen sichstimmrechtslose Vorzugsaktien nur mit erheblichen Wertab-schlägen veräußern. Dies wirft erst recht die Frage auf, obsich genügend Interessenten finden werden. Zudem müss-ten erhöhte Dividenden zunächst am Markt verdient wer-den, bevor sie verteilt werden können. Wird die erhöhte Di-vidende in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt,lebt das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre automatisch wie-der auf (§ 140 Abs. 2 AktG). Dann würden sich dieselbenrechtlichen Probleme wie bei den Privatisierungsvarian-ten 2 und 3 ergeben. CDU und CSU haben sich gegen dieAusgabe stimmrechtsloser Aktien ausgesprochen, so dasses unwahrscheinlich ist, dass es zu einer solchen Art der Pri-vatisierung der Bahn kommen wird.

Ausgabe von Aktien nur für den Verkehrsbereich(einschließlich der Logistiksparte)

Derzeit prüfen die Koalitionsfraktionen ein neues, vom Bun-desfinanzministerium zur Diskussion gestelltes Privatisie-rungsmodell der DB AG, nämlich eine Privatisierung nurder Verkehrsunternehmen (einschließlich der Logistikspar-te), nicht der Infrastrukturunternehmen. Soweit bekannt ge-worden ist, wird daran gedacht, unterhalb der bestehen-den DB AG Holding eine zweite Holding zu gründen, die imWesentlichen die Bereiche Fernverkehr, Nahverkehr, Gü-terverkehr und Logistik umfasst. Nur diese Holding soll zu49% privatisiert werden, wobei an den Verkauf normaler Ak-tien – auch an strategische Anleger – gedacht ist. DiesesModell geht von einer Trennung der Eisenbahninfrastruk-turunternehmen von den übrigen Unternehmen der Bahnaus. Von einer strikten Trennung unterscheidet es sich aberinsofern, als alle Unternehmen der Bahn weiterhin der »Ober-Holding« DB AG unterstellt werden. Zwischen der »Ober-Holding« und der »Transport- und Logistik-Holding«, derenTeilprivatisierung vorgesehen ist, soll kein Beherrschungs-und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen werden. DieÜberlegungen gehen dahin, dass beide Holdingvorständepersonenidentisch mit den Vorstandsmitgliedern der DB AGbesetzt werden. Wenn es politisch gewollt ist, ließe sich diesaber später ändern.

Da es dem Grundgesetz entscheidend darauf ankommt,dass der Bund Einfluss auf die Steuerung der Eisenbahn-infrastrukturunternehmen nehmen kann, und dies gesichertist, wenn Private weder unmittelbar noch mittelbar an die-sen Unternehmen beteiligt sind, wird das »Steinbrück-Mo-dell« den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht.Anhaltspunkte dafür, dass Aktien nur für die Verkehrsun-ternehmen der Bahn auf zu geringes Interesse stoßen wer-den, sind nicht ersichtlich. Ob die nicht strikte, sonderngemilderte Abkopplung von Eisenbahninfrastrukturunter-nehmen und den sonstigen Unternehmen der Bahn bei Fort-bestehen einer gemeinsamen »Ober-Holding« politischdurchsetzbar ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ab-schließend beurteilen. Besonders die Bahngewerkschaftenhaben immer großen Wert auf einen integrierten Bahnkon-zern gelegt. Dennoch sei die Prognose gewagt, dass die-se Art der Bahnprivatisierung von allen bisher diskutiertenPrivatisierungsvarianten die größte Aussicht auf Verwirkli-chung hat.

Fazit und Ausblick

Als Resümee lässt sich festhalten, dass die vom Gesetzge-ber bisher verfolgte Strategie, die DB AG unter Beibehaltungeines integrierten Bahnkonzerns zu privatisieren, wegen derRückwirkungen auf den Ausbau und den Erhalt der Schie-nenwege nach der hier vertretenen Ansicht mit dem Grund-

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gesetz nicht vereinbar ist – es sei denn, es werden nur stimm-rechtslose Vorzugsaktien ausgegeben, und es kann sicher-gestellt werden, dass das Stimmrecht nicht wieder auflebt.Falls eine strikte Trennung von Verkehrsnetz und Verkehrs-betrieb nicht gewollt wird, kommt jedoch eine Ausgabe vonAktien nur der Verkehrsunternehmen der Bahn an Privatein Betracht, wenn die Verkehrsunternehmen (einschließlichder Logistiksparte) unterhalb der Konzernholding zusam-mengefasst und getrennt vom Schienennetz und den Bahn-höfen geführt werden. Wird dieser Weg beschritten, bedürf-te der Börsengang der DB AG keines Gesetzes. Unberührtbleibt die Notwendigkeit, den von der Bundesregierungzwecks besserer Steuerung der Eisenbahninfrastrukturun-ternehmen in Bundesrat und Bundestag eingebrachten Ge-setzesentwurf über ein neues Bundesschienenwegegesetzin verschiedener Hinsicht zu überarbeiten, um sicherzu-stellen, dass der Bund seinem Gewährleistungsauftrag(Art. 87e Abs. 4 GG) jederzeit nachkommen kann. Bahnprivatisierung ist überfällig

War die Bahn 1994 mit einer konsequenten weil vollstän-digen Marktöffnung für den Wettbewerb noch Vorreiter beider Netzliberalisierung – die Märkte für Telekommunikation,Post und Energie wurden später und nur sukzessive geöff-net – so blieb der Prozess der Privatisierung in den Kinder-schuhen stecken. Seit der formellen Privatisierung 1994,bei der die vorherigen Staatsbahnen Deutsche Reichsbahnund Deutsche Bundesbahn in einer gemeinsamen Aktien-gesellschaft, der Deutsche Bahn AG, aufgegangen sind,herrscht hier, anders als in anderen Netzindustrien Stillstand.Eine materielle Privatisierung, durch die unternehmerischerHandlungsspielraum und Produktivitätsdruck durch priva-tes Kapital weiter erhöht werden soll, steht bei der DB AGnach wie vor aus. So konsequent die Politik beim Wettbe-werb auf mehr Markt setzt und Rechtsrahmen sowie staat-liche Instrumente zur Absicherung des intramodalen Wett-bewerbs seit der Marktöffnung stets weiterentwickelt, sokonsequent muss sie auch das Ziel der Privatisierung ver-folgen. Andernfalls würde der DB AG die entscheidendeVoraussetzung versagt, die ein Unternehmen zur Teilnah-me am Wettbewerb auf den Dienstleistungsmärkten be-nötigt. Die Bahn wird ihre wirtschaftlichen Möglichkeitenim Wettbewerb chancengleich erst dann nutzen können,wenn sie den Handlungsspielraum eines normalen Wirt-schaftsunternehmens erhält.

Wesentliches Ziel der Bahnreform von 1994 war ein in allenBereichen wirtschaftlich handelndes, auf Leistungs- und Pro-duktivitätssteigerung ausgerichtetes Unternehmen, dasdurch seinen Geschäftserfolg zugleich zu einer dauerhaf-ten Entlastung der öffentlichen Haushalte beiträgt. Im Grund-gesetz wurde festgeschrieben, dass die Eisenbah-nen desBundes als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicherForm zu führen sind. Eine unmittelbare politische Einfluss-

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Otto Wiesheu*

* Dr. Otto Wiesheu ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Bahn AG.

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nahme auf die Unternehmensführung sollte so verhindertwerden. Gleichzeitig wurde damit auch die Voraussetzungfür die Aufnahme privaten Kapitals geschaffen. Zudem wur-de grundgesetzlich festgelegt, in welcher Weise der Bundseiner Infrastrukturverantwortung nachzukommen hat. Bau,Ausbau und Ersatzinvestitionen von Schienenwegen der Ei-senbahnen des Bundes sind vom Bund zu finanzieren. Und:Bei einer Privatisierung der DB AG muss die Mehrheit derAnteile an den Infrastrukturgesellschaften beim Bund ver-bleiben.

Mit der konsequenten Trennung von staatlichen und un-ternehmerischen Aufgaben hat die Politik damals eine we-sentliche Weichenstellung vorgenommen. Öffentlichen Auf-gaben, wie der Finanzierung von Infrastrukturinvestitionenund der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mitNahverkehrsleistungen, kommen Bund und Länder seit-her auf Basis entsprechender Gesetze nach. Ob, in wel-chem Umfang und in welcher Qualität Schienennahver-kehr stattfindet, entscheiden unabhängig von der Beteili-gung privater Investoren an der DB AG allein die Bundes-länder als Besteller auf der Grundlage des Regionalisie-rungsgesetzes.

Privatisierung und Daseinsvorsorge schließensich nicht aus

Wie ist es zu erklären, dass die Rückführung der heute nochstaatlichen Anteile zugunsten privater Investoren bei derBahn zu scheitern droht? Die eingeleitete Teilprivatisierungder DB AG wurde anhand von Eckpunkten, auf die sich derBundestag Ende 2006 geeinigt hat, entwickelt. Sie entsprichtvoll und ganz den gesetzlichen Anforderungen zur Erfül-lung öffentlicher Aufgaben. Die Kritik an der Beteiligung pri-vater Investoren an der DB AG zeigt eine diffuse Vorstel-lung dessen, was 1994 mit der Bahnreform beschlossenwurde. Zum einen wird ein vermeintlicher Zielkonflikt zwi-schen öffentlicher Daseinsvorsorge und unternehmerischerGewinnorientierung gesehen. Die Gemeinwohlverantwor-tung für den Schienenpersonennahverkehr wurde auf dieLänder übertragen, für das Netz, den Güterverkehr undden Schienenpersonenfernverkehr wurde sie auf den Bundübertragen. Seit 1994 besteht die eindeutige Vorgabe desGrundgesetzes, die Eisenbahnen des Bundes als Wirt-schaftsunternehmen zu führen. Seit der Bahnreform sind öf-fentliche und unternehmerische Verantwortung klar getrennt.Es gibt keinen vermeintlichen, durch das Vorhaben der Teil-privatisierung der DB AG aufbrechenden Zielkonflikt zwi-schen politischen und unternehmerischen Zielen. Vielmehrsind die Rollen von Bund und DB AG eindeutig verteilt. Dervon Privatisierungskritikern erhobene Einwand, der Bundhabe bei einer Beteiligung privater Investoren an der DBAG nur noch unzureichenden Einfluss auf die Investitionenin die Infrastruktur, ist nicht haltbar. Bei Neu- und Ausbau-

vorhaben ist wie bisher der Bedarfsplan des Bundes maß-geblich, der genau vorgibt, welche Strecken gebaut undausgebaut werden. Finanzierungsbeiträge des Bundes fürdie Infrastruktur werden auch weiterhin stets zweckgebun-den sein. Der Bund zahlt nur dann, wenn tatsächlich eineInvestition getätigt wurde, d.h. Schienen erneuert, Brückengebaut oder Bahnsteige errichtet werden. Die Mittelverwen-dung muss von Wirtschaftsprüfern testiert werden und wirdvom Eisenbahnbundesamt kontrolliert. Im Bestandnetz wer-den die Investitionsschwerpunkte durch Qualitätsvorgabendes Bundes im Rahmen der zwischen Bund und DB AG ab-zuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungbestimmt. Auch hier ist jeder Euro, der vom Bund kommt,zweckgebunden zu verwenden.

Insgesamt zeichnet sich das von Bundestag und Bundes-regierung in den parlamentarischen Prozess eingebrachtePrivatisierungskonzept dadurch aus, dass die Aufgaben,Rechte und Pflichten von Bund und DB AG klar und ein-deutig voneinander abgegrenzt sind. Die Bahn muss die üb-lichen unternehmerischen Risiken tragen, hat aber auchdie Möglichkeit, unternehmerische Chancen zu nutzen. DerBund ist in der Lage, seinen Infrastrukturauftrag wahrzuneh-men, ohne selbst als Unternehmer agieren zu müssen. Dieerfolgreiche Entmischung staatlicher und unternehmerischerAufgaben der Bahnreform von 1994 wird durch die Teilpri-vatisierung konsequent weitergeführt.

»Volksaktienmodell« überzeugt nicht

Vor dem Hintergrund der oben genannten wenig überzeu-genden Einwände gegen die Teilprivatisierung der DB AGwurde in der Diskussion zuletzt ein so genanntes »Volksak-tienmodell« vorgeschlagen, das vorsieht, private Anteile ander Bahn in der Form von stimmrechtslosen Vorzugsaktienzu veräußern. So sollen der Bahn die notwendigen Finan-zierungsmittel für Investitionen beschafft und gleichzeitigsichergestellt werden, dass der Bund die »ungeteilte Herr-schaft« über das deutsche Schienennetz behält. Durch ei-ne garantierte Mindestdividende sollen private Anleger ei-nen Gewinnanspruch erhalten, der sie dafür entschädigensoll, dass sie keinen Anspruch auf Mitsprache bei der Ge-schäftspolitik der Bahn haben.

Bei näherer Betrachtung muss das »Volksaktienmodell« alsunausgegoren bezeichnet werden. Es wäre ein für das Un-ternehmen sehr teures Modell der Kapitalbeschaffung, denndurch die Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien istmit einem entsprechenden Abschlag auf den Ausgabekurszu rechnen. Anleger, die auf ein Mitspracherecht verzichtenmüssen, gleichzeitig aber am unternehmerischen Risiko be-teiligt werden, lassen sich dies durch einen niedrigeren Ein-stiegskurs vergüten. Nach Berechnungen des DeutschenInstituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die Volksaktie

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deutlich weniger Kapital bringen, als Bahnanteile, die alsStammaktien ausgegeben werden. Bei einer stimmrechts-losen Vorzugsaktie wäre nach Angaben des DIW lediglich50% des Emissionspreises von Stimmrechtsaktien am Ka-pitalmarkt zu erzielen. Der im Zusammenhang mit der Teil-privatisierung geäußerte Vorwurf einer »Verschleuderung vonVolksvermögen« würde so Realität.

Die Festlegung einer verhältnismäßig hohen Mindestren-dite von 5% nimmt dem Management die Möglichkeit, dieFinanzierungsentscheidung des Unternehmens flexibel zugestalten. Zum einen muss der Gewinn und damit die Di-vidende jedes Jahr am Markt verdient werden und sollteschon deshalb flexibel bleiben: in guten Jahren kann mehr,in weniger guten kann weniger ausgeschüttet werden. Au-ßerdem ist es unternehmerisch sinnvoll und im Interessedes Anlegers, wenn ein Unternehmen, das wie die Bahnauf den stark wachsenden Verkehrs- und Logistikmärktenaktiv ist, Gewinne zur Finanzierung des Wachstums flexi-bel einsetzen kann. Der Aktionär profitiert dann von einerSteigerung des Unternehmenswertes und erzielt seine Ren-dite vor allem durch Kursgewinne und weniger über Di-videnden.

Viele Fragen bzw. die grundsätzliche Sinnhaftigkeit im Zu-sammenhang mit dem »Volksaktienmodell« sind noch un-geklärt. So lebt beispielsweise das Stimmrecht nach Aktien-recht wieder auf, wenn ein Unternehmen die garantierte Di-vidende zwei Jahre lang nicht bezahlen kann. Die Befür-worter dieses Volksaktienmodells wollen dies ausschlie-ßen. Unklar ist auch, ob über das »Volksaktienmodell« aus-reichend privates Kapital akquiriert werden kann. Die meis-ten Privatanleger kaufen ihre Aktien über Fonds. Es ist abernicht geklärt, ob nach dem vorgeschlagenen »Volksaktien-modell« Fonds die Volksaktien überhaupt kaufen werden.Aktienfonds werden echte und keine unechten Aktien kau-fen wollen. Anleihefonds werden auch weiterhin echte An-leihen und keine Vorzugsaktien kaufen. Wenn man berück-sichtigt, dass bei Börsengängen in der Regel weniger als20% bei Privatanlegern platziert wird, ist eine ausschließli-che Platzierung von Bahnaktien bei Privatanlegern höchstunwahrscheinlich. Es ist nun einmal so, dass das Gros derNachfrage nach Aktien von institutionellen Anlegern kommt,hinter deren Nachfrage wiederum Fondsinvestoren und da-mit »Kleininvestoren« stehen. Zielgruppe einer Emission fürBahnaktien sollten deshalb neben stimmberechtigten Pri-vatanlegern auch Investoren mit dem Ziel einer konservati-ven, langfristig ausgerichteten Anlage sein. Für diese Inves-toren wäre die Bahn ein interessantes Investment.

Kapitalprivatisierung nicht weiter verzögern

Die Bahnreform, die 1994 mit einem entschlossenen Ja zuWettbewerb und Privatisierung umgesetzt wurde und in de-

ren Folge das Unternehmen DB AG den Sprung zu einemwettbewerbs- und zukunftsfähigen Konzern mit guten Pers-pektiven für die Beschäftigten geschafft hat, droht durch ein unausgegorenes Privatisierungsmodell à la »Volksaktie«ad absurdum geführt zu werden. Das diffuse Bild, das sichergibt, wenn man das »Volksaktienmodell« näher durch-denkt, legt den Schluss nahe, dass es den Befürworternwohl eher darum geht, die Kapitalprivatisierung der DB AGganz zu verhindern. Dabei stehen zwei unterschiedliche Mo-tivationen im Vordergrund. Zum einen besteht die Auffas-sung, dass man auf den Gang an die Börse verzichten kön-ne, die guten Geschäftszahlen der DB AG in den letztenJahren zeigten doch, dass man auf dem richtigen Weg sei.Dabei wird aber übersehen, dass die erfolgreiche Entwick-lung gerade durch die ehrgeizige Zielstellung »Erreichen derKapitalmarktfähigkeit« beeinflusst worden ist und die Ver-kehrsmärkte vor weiteren herausfordernden Entwicklungenstehen, für die sich die DB AG wappnen muss. Die Ein-schätzung, die DB AG solle sich auf die nationalen Verkehrs-märkte konzentrieren, dann brauche sie auch kein Kapitalfür die weitere Internationalisierung des Konzerns, verkennt,dass im Güterverkehr nationale Märkte der Vergangenheitangehören. Die Güterbahnen erbringen heute bereits mehrals die Hälfte der Transportleistung im grenzüberschreiten-den Verkehr. Und wenn die DB AG in den Auf- und Ausbauglobaler Transport- und Logistikmärkte investiert, dann tutsie dies, um den Kundenanforderungen an Transport- undLogistikdienstleistungen aus einer Hand zu entsprechen.Die Schiene kann ihre Stellung auf den Verkehrsmärkten nurbehaupten, wenn es gelingt, sie intelligent in die Transport-ketten einzubinden. Insofern geht es heute um ein »so-wohl als auch» und längst nicht mehr um ein »entwederoder«. Auch im Personenverkehr wird die Schiene sich ei-ne alleinige Konzentration auf den nationalen Markt immerweniger leisten können. Ausländische Wettbewerber habenhierzulande längst Fuß gefasst. Dieser Trend wird sich mitder weiteren – auch politisch gewollten und geförderten –Liberalisierung der europäischen Personenverkehrsmärkteab 2010 weiter verstärken. Um damit einhergehende Ver-luste an Marktanteilen im Heimatmarkt zu kompensierenund Arbeitsplätze entsprechend sichern zu können, musssich die DB AG neue Geschäftschancen im Ausland er-schließen. Ein »weiter so« bedeutet in sich dynamisch ent-wickelnden Märkten immer ein Zurückfallen – das kann nichtgewollt sein.

Eine andere Motivation, die Teilprivatisierung der DB AGauf Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfs zu verhin-dern, besteht darin, den integrierten Konzern aufzulösen,die Transportgesellschaften isoliert zu privatisieren und dieInfrastrukturgesellschaften staatlich zu führen. Den Befür-wortern des so genannten »Trennungsmodells« seien noch-mals die Beweggründe der Bahnreform von 1994 in Erin-nerung gerufen. In Bezug auf das Netz wurde damals argu-mentiert, es sei unerlässlich, den Bereich Fahrweg in einer

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Zur Diskussion gestellt

unternehmerischen Form zu führen, da nicht auszuschlie-ßen sei, dass mit einer staatlichen Aufgabe Fahrweg auchdie unternehmerischen Effekte der Transportbereiche nega-tiv berührt werden würden. Nur durch umfassende Eigen-verantwortung und höchstmögliches kaufmännisches Ei-geninteresse könne die Leistungsfähigkeit und Produktivi-tät des Gesamtsystems Schiene so gesteigert werden, dassdie Bahn im Wettbewerb bestehen und überproportional amVerkehrssystem teilhaben könne. Diese Argumentation be-sticht auch 13 Jahre später durch ihre Logik.

Mit der Bahnreform von 1994 wurde der Grundstein gelegtfür die positive Entwicklung der Schiene in den letzten Jah-ren. Die DB AG hat es geschafft, mit den Entwicklungenauf den Personen- und Güterverkehrsmärkten Schritt zu hal-ten und sich auf den Wachstumsmärkten gut aufzustellen.Um diesen Weg fortsetzen zu können, muss die Bahnreformvon 1994 konsequent fortgesetzt werden. Diskutiert wurdegenug, jetzt ist die Zeit zu handeln.

Volksaktienmodell nicht attraktiv

Die Deutsche Bahn AG: Ein »normales« Unternehmen?

Die Regierungskommission Bahn hatte in ihrem Gutach-ten zur Bahnreform, das 1994 fast vollständig umgesetztwurde, bewusst den in der deutschen Rechtslandschaftfast einmaligen Übergang von dem »nicht rechtsfähigenSondervermögen des Bundes« Deutsche Bundesbahn/Deutsche Reichsbahn zu einer Aktiengesellschaft vorge-schlagen. Ziel war eine möglichst große Staatsferne der imintensiven Wettbewerb stehenden Bahn, also der aktien-rechtlich begrenzte Einfluss des Eigentümers auf die Unter-nehmenspolitik. Die jahrzehntelangen negativen Erfahrun-gen mit dem Sondervermögen Bundesbahn und dem per-manenten Einfluss einer Vielzahl politischer Institutionen mitdem katastrophalen Zustand der Bahn in Deutschland (Per-sonalaufwand höher als der Umsatz, 34 Mrd. € langfristigeSchulden, qualitativ schlechtes Fahrzeugmaterial, sinken-der Bahnmarktanteil) sollten aber auch gegenwärtig nichtin Vergessenheit geraten.

So ist der 1994 geschaffene Bahnkonzern zwar aktien-rechtlich ein »normales« Unternehmen. Dennoch besteheneinige wichtige, für die vorgesehene materielle Privatisie-rung durch einen Börsengang bedeutsame Besonderhei-ten. Eines der wesentlichen Ergebnisse der Bahnreformvon 1994 war, dass die DB AG keine gemeinwirtschaftli-chen Aufgaben mehr hat; sie wurden dem Bund gemäßArt. 87 e bezüglich der Netzinvestitionen und den Län-dern für den Schienenpersonennahverkehr zugewiesen,die hierfür vom Bund als Regionalisierungsmittel die erfor-derlichen Finanzzuweisungen erhalten. Insofern ist die inder aktuellen Diskussion, z.B. vom Bundestagsabgeord-

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Gerd Aberle*

* Prof. Dr. Dr. h. c. Gerd Aberle, Universität Gießen, war Mitglied der Regie-rungskommission Bahn.

Zur Diskussion gestellt

neten Scheer getätigte Feststellung falsch, die DB AG seiein gemeinwirtschaftliches Unternehmen.

Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss das Schienennetz der DBAG im Mehrheitseigentum des Bundes insoweit verbleiben,als maximal 49,9% veräußert werden dürfen; Zustimmungder Länder vorausgesetzt. Hierdurch soll die Gemeinwohl-verpflichtung des Bundes für Ausbau und Erhalt des Net-zes gesichert werden (Art. 87 e Abs. 4 GG). Gleichzeitig istder Bund für die Finanzierung der Investitionen in das Netzverantwortlich (Netto- und Ersatzinvestitionen), während dieNetzunterhaltung von der DB Netz AG über Nutzungsent-gelte zu finanzieren ist. Hier liegt die zentrale Besonderheitdes Unternehmens DB AG: Das Netz als erfolgsentschei-dendes Produktionsinstrument ist der Disposition durch dieDB AG hinsichtlich der Investitionen teilweise entzogen, auchwenn das Netz derzeit im rechtlichen und wirtschaftlichenEigentum der DB AG steht und nur indirekt über die 100%Kapitalanteile an der DB AG beim Bund.

Materielle Privatisierungserfordernisse

Die materielle Privatisierung beinhaltet die Beteiligung pri-vaten Kapitals an der DB AG. Durch die Bahnreform von1994 und organisationsrechtliche Ergänzungen ist die DBAG als Managementholding mit den GeschäftsbereichenPersonenverkehr, Güterverkehr/Logistik und Infrastrukturstrukturiert; die marktaktiven und von der Holding beherrsch-ten Tochterunternehmen sind als Kapitalgesellschaften, teil-weise als Aktiengesellschaften, tätig.

Die durch das Grundgesetz gegebene Schranke ermöglichtnur eine Teilprivatisierung von bis zu 49,9% der DB AG alsGesamtheit, sofern das Netz integraler Bestandteil des Un-ternehmens ist.

Es ist unstreitig, dass das Netz der DB AG mit rund35 000 km Streckenlänge betriebswirtschaftlich aufgrundder hohen Fixkosten und regional sehr unterschiedlicherAuslastung nicht kostendeckend zu betreiben ist, das heißt,alle potentiellen Investoren gehen davon aus, dass die inArt. 87 e GG festgeschriebenen Investitionsverpflichtungendes Bundes auch weiterhin Geltung besitzen.

Die Wirtschaftsergebnisse der vergangenen Jahre und dieerfolgreiche Positionierung der DB AG als international täti-ger Mobilitätsdienstleister haben die Voraussetzungen füreinen erfolgreichen Börsengang geschaffen, der auch vor-aussetzt, dass der erforderliche freie Cashflow für Dividen-denzahlungen in Zukunft erwirtschaftbar erscheint.

Störfeuer im Privatisierungsprozess

Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzespaket zurTeilprivatisierung sieht vor, dass die DB AG das rechtliche

Eigentum am Netz an den Bund abgeben, aber das wirt-schaftliche Eigentum auf (möglicherweise) 15 + 3 Jahre zu-gewiesen erhält. Damit wird das Netz weiterhin bei der DBAG bilanziert; über Netzaus-/neubau entscheidet der Bund.Für die erforderlichen Ersatzinvestitionen werden der DB AGjährlich 2,5 Mrd. € zur Verfügung gestellt mit entsprechen-den Kontrollmöglichkeiten für eine zweckgemäße Mittel-verwendung. Dieser Betrag entspricht den bisherigen Mit-telzuweisungen, die allerdings durch bürokratieintensive Ein-zelentscheidungen mit erheblichem Aufwand im Zuwei-sungsverfahren behaftet sind. Damit wird den Vorgaben desGrundgesetzes entsprochen, da der Bund über 50% derAnteile des netzintegrierten Unternehmens DB AG behältund hierdurch seinen politischen Einfluss sichert. Dieser Ein-fluss bezieht sich nicht nur auf das Netz, sondern auch aufdie Geschäftsbereiche Personenverkehr und Güterverkehr/Logistik, obwohl die Vorgaben des Grundgesetzes sich nurauf das Netz beziehen.

In den letzten Wochen sind medienwirksam mehrere Kri-tikpunkte von Gegnern der Teilprivatisierung vorgetragenworden.

– Die Länder lehnen mehrheitlich den zustimmungspflichti-gen Gesetzesvorschlag ab. Sie gehen davon aus, dassprivate Kapitalanleger aufgrund ihres Renditestrebens dieBedienung der Fläche mit Schienenverkehrsleistungen beischwacher Auslastung ablehnen und die DB AG zu ent-sprechenden Streckenstilllegungen veranlassen würden.

– Die Befürworter einer Abtrennung des Netzes und Über-tragung sowohl des rechtlichen wie auch des wirtschaft-lichen Eigentums auf den Staat erhoffen sich durch diestrittige Diskussion um den Börsengang doch noch eineinstitutionelle Trennung von Eisenbahntransport und Netz,die durch die Koalitions- und Kabinettsentscheidungenzugunsten der Teilprivatisierung eines integrierten Un-ternehmens DB AG verworfen wurde.

Zu diesen Kritikpunkten ist festzustellen:

– Streckenstilllegungen bedürfen eines mehrstufigen recht-lichen Verfahrens; die Prüfungen und Bewertungen erfol-gen durch DB-externe Institutionen, z.B. durch das Ei-senbahnbundesamt (§ 11 Allgemeines Eisenbahnge-setz).Über die Nutzung von Strecken in Schwachlastre-gionen entscheiden die Länder, die jeweils die Nahver-kehrszüge bestellen. Dies erfolgt zunehmend über Aus-schreibungsverfahren, bei denen die DB AG über dieTochter DB Regio als Anbieter auftritt, jedoch nur nochbei 40–50 % der Verfahren erfolgreich ist, d.h. dritte Bah-nen übernehmen die Verkehrsleistungen.

– Es ist zutreffend, dass das natürliche Monopol Netz beiIntegration in den Konzern der DB AG ein beträchtlichesDiskriminierungspotential gegenüber dritten Bahnen be-sitzt. Durch einen problemadäquaten Regulierungsrah-men kann jedoch diese Diskriminierungsproblematik ent-scheidend reduziert, gleichzeitig aber die mit der Netzin-

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Zur Diskussion gestellt

tegration verbundene dynamische Effizienz (insb. Scopeeconomies) gesichert werden. Nur ein Netzmanagementdurch einen starken Netznutzer gewährleistet die aus denNutzungsanforderungen des Personen- und Güterver-kehrs abgeleitete Qualitätssicherung und die Kompati-bilität mit den fahrzeugtechnischen Entwicklungen. Einestaatliche Netzorganisation, die letztlich nur eine Netz-verwaltung betreiben kann, genügt nicht diesem spe-ziellen Effizienzerfordernis.

In Deutschland besteht bereits seit der Bahnreform 1994 ei-ne sehr weitgehende Öffnung des Netzes für dritte Bah-nen, ergänzt durch einen differenzierten Regulierungsrah-men, in dem die Bundesnetzagentur, das Bundeskartellamt,der Netznutzerbeirat bei der DB Netz AG, ein Infrastruktur-beirat der Länder, die Monopolkommission und die EU-Kom-mission auf die Erfüllung des diskriminierungsfreien Netz-zugangs achten. Als Folge nutzen in Deutschland neben derDB AG rund 300 Bahnen des Personenverkehrs und desGüterverkehrs mit steigenden Markterfolgen das Netz. IhrMarktanteil stieg bei den Personenkilometern im Nahverkehrvon 2002 bis 2006 von 3,9 auf 6,7%, im Güterverkehr beiden Tonnenkilometern von 4,8 auf 16,4%. Der Anteil dritterBahnen an den gesamten Zugkilometern erhöhte sich von8,6 auf 15,2%. In Deutschland ist die europa- und weltweithöchste Wettbewerbsintensität im Schienenverkehr (intra-modaler Wettbewerb) bei einer komplexen Nutzungsüber-lagerung durch Personen- und Güterverkehr sowie Nah- undHochgeschwindigkeitsverkehr anzutreffen. Dass Dritte ausnachvollziehbaren ökonomischen Überlegungen nicht in denäußerst kostenintensiven und durch Kundenbindungseffek-te (BahnCard) erschwert zugänglichen Schienenpersonen-fernverkehr eintreten, sei nur am Rande vermerkt. Ein wett-bewerbspolitisch relevantes Diskriminierungsproblem ist hiernicht gegeben.

Insofern ist die immer wieder geäußerte Kritik am integrier-ten Eisenbahnunternehmen DB AG, der intramodale Wett-bewerb funktioniere nicht, unzutreffend. Es sind auch keinebei vergleichbaren ausländischen Eisenbahnen und Netz-strukturen gegebenen Vorzüge eines Unbundling nachge-wiesen worden.

Emission von Volksaktien?

Bis 2000 war ein Börsengang der DB AG aufgrund der wirt-schaftlichen Ergebnisse nicht vorstellbar. Seitdem habensich jedoch aufgrund von kostensenkenden und leistungs-steigernden Veränderungen in den Geschäftsprozessabläu-fen, durch zahlreiche Akquisitionen von ausländischen Bahn-und Logistikunternehmen, durch eine konsequente Investi-tionsstrategie in rollendes Material und stationäre Anlagendie Wirtschaftskennzahlen außerordentlich verbessert. Sowurde 2006 ein EBIT von 2,5 Mrd. € bei einem Umsatz von30,1 Mrd. € und einem Jahresüberschuss von 1,68 Mrd. €

erreicht. 2001 betrug das EBIT noch – 0,7 Mrd. €. Der ROCE erreichte 2006 den Wert von 7,5% (2005: 5,0%), dieEigenkapitalquote ist auf 19,0% gestiegen. Die DB AG istauf dem Weg zu einem führenden internationalen Mobilitäts-und Logistikdienstleister.

Es war immer daran gedacht, für die Gewinnung von neu-em Kapital durch einen Börsengang vor allem institutionel-le Anleger anzusprechen, die eine sichere längerfristige Ka-pitalanlage mit marktfähiger Rendite anstreben und wenigereine starke Kurssteigerung erwarten.

Die von Teilen der SPD geforderte Ausgabe von stimmrechts-losen Vorzugsaktien zur Verhinderung unerwünschten Ein-flusses von institutionellen Anlegern auf die Bahnpolitik istals Instrument zur Verhinderung der Teilprivatisierung der DBAG anzusehen. Offensichtlich gibt es politisch aktive Kräf-te, welche die Bahnreform von 1994 wieder umkehren wol-len, ohne Rücksicht auf die katastrophalen Folgen für dasUnternehmen DB AG und für die gesamte deutsche Volks-wirtschaft.

Stimmrechtslose Vorzugsaktien als »Volksaktien« sind we-gen ihrer Stimmrechtslosigkeit eine Beteiligung zweiter Klas-se. Sie erbringen weit weniger Emissionserlös, als es bei derVeräußerung von Stimmrechtsaktien an internationale An-leger der Fall sein wird. Für die DB AG stellt diese »Volksak-tie« wegen ihrer ergebnisunabhängig garantierten (höhe-ren) Vorzugsdividende ein risikobehaftetes Eigenkapital dar,zumal diese Aktien im Unterschied zu einer Anleihe nichtdurch Rückzahlung eingelöst werden können.

Das Volksaktienmodell ist somit weder unternehmenspoli-tisch noch gesamtwirtschaftlich attraktiv. Es gefährdet dienotwendigen Kapitalzufuhr an die DB AG, die vom Bund alsEigentümer nicht geleistet werden kann und damit die Ab-sicherung einer weiteren erfolgreichen Entwicklung des größ-ten europäischen Mobilitäts- und Logistikdienstleisters. DieLiberalisierung der europäischen Schienengüterverkehrs-märkte erhöht permanent den Wettbewerbsdruck auf die DBAG, zunehmend auch durch ausländische Staatsbahnen undderen Tochterunternehmen. Ohne Nutzung von privatem Ka-pital wird die DB AG dem Wettbewerb nicht standhalten kön-nen. Durch die Marktöffnung für dritte Bahnen ist die Wett-bewerbslage gegenwärtig wesentlich intensiver als vor derBahnreform 1994, als nur der intermodale Wettbewerb durchden Straßengüter- und Binnenschiffsverkehr bzw. durch denPkw die Bahn erfolgreich in große Schwierigkeiten als staat-liches Sondervermögen brachte und keine intramodale Kon-kurrenz den viel stärkeren Druck ausübte.

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Zur Diskussion gestellt

Volksaktie – ein schlechtes Privatisierungsmodell

Ausgangslage – 13 Jahre nach der ersten Stufeder Bahnreform

Die Bahnreform 1994 war der entscheidende Schritt vonder Behördenbahn hin zu einer nach betriebswirtschaft-lichen Grundsätzen organisierten Deutschen Bahn AG(DB AG). Die Bahn wurde entschuldet, noch heute wer-den Jahr für Jahr aus dem Bundeshaushalt die Altschul-den abgetragen. Grundidee war, dass der Staat dauer-haft die Verantwortung für das Schienennetz wahrnimmt,auf dem Schienennetz jedoch durch Wettbewerb und pri-vate Initiative die Kundenzufriedenheit und Effizienz ver-bessert werden. Als besonders erfolgreich erwies sich diedamalige Entscheidung, die Schienen-Personennahver-kehre in die Verantwortung der Bundesländer und damitder Entscheidung vor Ort zu legen. Mit den so genann-ten »Regionalisierungmitteln«, die der Bund alljährlich inMilliardenhöhe zur Verfügung stellt, können die LänderVerkehrsleistungen bei der DB AG oder ihren Wettbewer-bern bestellen. Mehr und mehr werden die Verkehrsleis-tungen auf den Strecken ausgeschrieben, so dass derWettbewerb zwischen konkurrierender Bahnunterneh-men zunehmend für eine effiziente Bewirtschaftung derNahverkehre sorgt und den Ländern Finanzspielräumeeröffnet, mit denen sie auch die Infrastruktur verbessernkonnten. Neue Haltestellen und Modernisierung beste-hender Einrichtungen haben die Attraktivität des Schie-nen-Personennahverkehrs in den letzten Jahren nach-haltig gesteigert.

Der Personenfernverkehr wird nicht aus öffentlichen Mit-teln finanziert. Jedes in- und ausländische Bahnunterneh-

men kann bereits heute Fernverkehrsleistungen auf ei-gene Rechnung und eigenes Risiko auf dem deutschenSchienennetz anbieten. Die Erfolge sind dabei aber ehervon bescheidenem Ausmaß. Bisher haben nur wenigeWettbewerber den Eintritt in diesen Markt versucht. Einwesentlicher Impuls für mehr Wettbewerb könnte sichallerdings aus der europaweiten Marktöffnung für grenz-überschreitende Verkehre in 2010 ergeben.

Ganz anders im Güterverkehr. Hier hat ein stärker wer-dender Wettbewerb dazu beigetragen, dass in den letz-ten Jahren signifikante Zuwächse der Gütertransporteauf der Schiene zu verzeichnen sind. Anlass zu Kritik gibtjedoch immer wieder die Tatsache, dass die DB AG alsbei weitem größter Marktteilnehmer im Personen- wie imGüterverkehr gleichzeitig auch Eigentümer des Schie-nennetzes ist. Für eine DB AG, die gleichzeitig Netz undBetrieb hält, ist es unternehmerisch rational, Investitions-und Preispolitik der Eisenbahninfrastruktur an ihren Be-dürfnissen auszurichten und für ihre Unternehmensinte-ressen zu nutzen. Die Bundesnetzagentur, die ihre Arbeitzu Beginn dieses Jahres aufgenommen hat, geht zwarjeder behaupteten Diskriminierung der Wettbewerbernach, doch kann die Regulierung ein wettbewerbsneut-rales Geschäftsmodell der Eisenbahninfrastrukturunter-nehmen nicht ersetzen. Vielfach wird es als Fehlentschei-dung angesehen, dass 1994 die Infrastruktur nicht in ei-ne eigene Gesellschaft unabhängig von den Betriebs-gesellschaften der DB AG eingebracht wurde, sonderndie Trennung von Netz und Betrieb verschoben und bisheute noch nicht realisiert wurde. Zu groß war und ist dieVersuchung für die DB AG, sich das natürliche Monopol»Infrastruktur« auf Dauer einzuverleiben. Statt die von denReformern der neunziger Jahre vorgesehene Trennungvorzubereiten, hat der Konzern im Gegenteil das Netzmöglichst weit integriert. Gleichzeitig entwickelte sich dieDB AG zu einem internationalen Logistikunternehmen,das im In- wie im Ausland verkehrsträgerübergreifendVerkehrsbeteiligungen erwarb. Großeinkäufe, wie dieTransportunternehmen Schenker oder Bax Global in denUSA oder der beabsichtigte und letztlich gescheiterteKauf der Hamburger Hochbahn oder der Hamburger Ha-fen und Logistik AG waren schlagzeilenträchtige Unter-nehmensentscheidungen. Diese Entscheidungen nährenaber andererseits immer mehr Zweifel daran, ob es rich-tig sein könne, dass ein deutsches Staatsunternehmen,mit deutschen Steuergeldern ausgestattet, zum GlobalPlayer aufsteigt und mit seinen internationalen Beteili-gungen umfangreiche Risiken eingeht, die letztlich auchden Bundeshaushalt betreffen. Verluste aus dem Aus-landsgeschäft der DB AG würden ihre Investitionsfähig-keit im Inland beeinträchtigen, so dass der Bund gezwun-gen wäre, zur Aufrechterhaltung des grundgesetzlichengebotenen Schienenverkehrs Steuergelder in die Handzu nehmen.

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Hans-Peter Friedrich*

* Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB, ist stellvertretender Vorsitzender derCDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Zur Diskussion gestellt

Teilkapitalprivatisierung als zweite Stufe ist überfällig

Aus ordnungs- und wirtschaftspolitischer, aber auch aushaushaltspolitischer Sicht ist deswegen längst der Zeitpunktgekommen, den nächsten Schritt der Bahnreform umzuset-zen: die Teilkapitalprivatisierung der im Wettbewerb ste-henden Betriebsgesellschaften der DB AG. Durch die Ein-beziehung privater Kapitalgeber durch einen Börsengangoder die Beteiligung von Investoren werden gleich mehrereZiele erreicht:

Erstens: mehr Kundenfreundlichkeit, Innovation und Effizienzdes Verkehrsangebots durch mehr Wettbewerb und Ein-beziehung privaten Kapitals. Über vier Fünftel des Umsat-zes der DB AG sind privatisierungsfähig und sollten auchprivatisiert werden.

Zweitens: mehr Verkehr auf die Schiene. Dies hat die Ent-wicklung in allen Ländern gezeigt, in denen die Transport-unternehmen privatisiert wurden. Damit wird auch ein wich-tiger Beitrag zum Umweltschutz geleistet.

Drittens: fairerer Wettbewerb in den Logistikmärkten, dadie staatlich subventionierte Eisenbahninfrastruktur saubervon dem Transportbereich getrennt wird.

Viertens: eine Effizienzkontrolle der Kapitalmärkte über dieInvestitions- und Expansionsentscheidungen des Bahnvor-standes herzustellen. Die Wirtschaftlichkeit eines Invest-ments der DB AG in China, Indien oder sonst wo in derWelt zu beurteilen, kann nicht Aufgabe der deutschen Wirt-schafts- oder Verkehrspolitik sein. Vielmehr müssen priva-te, institutionelle Anleger oder strategische Anleger entschei-den, ob sie der DB AG Geld geben und was mit diesem Geldgeschehen soll.

Fünftens: frisches Geld für die DB AG zur Wahrung ihrer welt-weiten Chancen, sich im expandierenden Logistikmarkt zupositionieren und damit auch den europäischen Schienen-verkehr zu stärken.

Für die Verkehrs- und Wirtschaftspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war aber auch klar, dass sich eine sol-che Teilkapitalprivatisierung ausschließlich auf die Verkehr-betriebsgesellschaft des Konzens beziehen konnte. Niemalsaber sollten die DB Netz, die DB Station und Service oderdie Energieversorgung in die Hand privater Anleger gelan-gen. Umso weniger, als die Infrastruktur auf absehbare Zeitmassiv am finanziellen Tropf des Bundeshaushaltes hängt.Allein zur Sicherung des Infrastrukturbestandes in der heu-tigen Qualität ist ein Bundeszuschuss von wenigstens2,5 Mrd. € jährlich erforderlich. Hinzu kommen notwendigeNeu- und Ausbaumaßnahmen, die ebenfalls zur Sicherungdes Infrastrukturauftrages im Bundeshaushalt kommen müs-

sen. Ein notwendiger Zwischenschritt auf diesem Weg zurzweiten Reformstufe war deshalb aus unserer Sicht stets ei-ne Trennung von Infrastruktur und Betrieb. Dies war auchBeschlusslage von Partei und Fraktion seit den neunzigerJahren.

Hindernisse auf dem Weg zur zweiten Reformstufe

Ganz andere Vorstellungen entwickelten der Bahnvorstandsowie einige Akteure in der Verkehrspolitik. Sie wollten den»integrierten Konzern« an die Börse bringen. Die Folgen wä-ren ordnungs-, verkehrs- und wirtschaftspolitisch fatal: Dasnatürliche Monopol »Schienennetz/Infrastruktur« wäre un-auflösbar Bestandteil des global agierenden internationa-len teilprivatisierten Konzerns. Damit würde das Kernstückder deutschen Eisenbahn – das mit über 180 Mrd. € Steu-ergeldern finanzierte Netz – primär nach den Interessen pri-vater Kapitalgeber gesteuert. Da das Grundgesetz verlangt,dass der Bund zu mehr als 50% an der Infrastruktur betei-ligt bleibt, müsste der Bund Mehrheitsgesellschafter des Ge-samtkonzerns bleiben. Jede Kapitalerhöhung, die zur in-ternationalen Ausrichtung und Expansion des Konzerns er-forderlich wären, müsste der Bund mitmachen.

Gleichzeitig wäre eine Infrastrukturpolitik erschwert, die nichtan den betriebswirtschaftlichen Interessen des Konzerns,sondern an den volkswirtschaftlichen Interessen des Lo-gistikstandortes Deutschland orientiert ist. Der Staat zurWahrnehmung seines Infrastrukturauftrages von dem teil-privatisierten internationalen Konzern abhängig, in dessenEigentum die Infrastruktur stände. Auch die Position desMehrheitsgesellschafters hätte den Bund nicht befähigt, Ver-kehrspolitik über diese Kapitalbeteiligung umzusetzen; viel-mehr wäre er ausschließlich den Kapitalinteressen seinerMitgesellschafter verpflichtet. Umgekehrt hätte der Konzernden Staat aber in der Hand, wenn es um die staatliche Fi-nanzierung des Bestandsnetzes ginge. Der Konzern hättezur Aufrechterhaltung von Netzumfang und -qualität prak-tisch jeden Preis verlangen können. Kein Kapitalanlegerkönnte sich eine komfortablere Situation vorstellen, als ei-nen solchen Zugang zu den Steuertöpfen und eine faktischeRisikoübernahme des deutschen Staates.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat unterstützt von na-hezu allen Wirtschaftsverbänden diesen »integrierten Bör-sengang« zurückgewiesen. Anders die SPD, die orientiertan der Gewerkschaft Transnet nur einen integrierten Bör-sengang akzeptiert. Die Interessen der Gewerkschaft sindklar: Der integrierte Börsengang würde auf Dauer einen halb-staatlichen Konzern zementieren, der durch die Kontrolledes natürlichen Monopols der Eisenbahninfrastruktur denWettbewerb beherrschen könnte. Eine bessere Position kannsich eine Gewerkschaft kaum wünschen. Ob es wirklich im

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Zur Diskussion gestellt

Interesse der Beschäftigten des Eisenbahnsektors sinnvollist, solche monopolähnlichen Strukturen zu fördern, ist mehrals fraglich. Denn es geht auch um die Wettbewerbsfähig-keit der Schiene gegenüber der Straße. Nur dann, wenndie Bahnunternehmen im Wettbewerb ihre Effizienz ver-bessern, haben sie auch eine Chance, gegenüber den an-deren Verkehrsträgern zu bestehen.

Ende 2006 wurde ein Kompromiss zwischen SPD und CSUgeschlossen: Die Infrastruktur sollte in das Eigentum desBundes übergehen – wie von CDU/CSU ge-wünscht, gleich-zeitig sollte die DB AG für einen Zeitraum von 15 Jahren dieInfrastruktur bilanzieren dürfen – wie von der SPD gewünscht,um den von den Gewerkschaften geforderten »konzern-internen Arbeitsmarkt« aufrechtzuerhalten.

Das Eigentumssicherungsmodell

Zur Erfüllung des Spagats »Eigentum beim Bund« und »Bi-lanzierung bei der DB AG« war der Bundesverkehrsminis-ter zu einer abenteuerlichen Rechtskonstruktion gezwun-gen worden. Unter Verwendung des Begriffs der »Siche-rungsübereignung« wurde eine Konstruktion gewählt, dieals »Eigentumssicherungsmodell« Schlagzeilen und Kopf-schütteln verursachte. Aus Sicht der Union war die Kons-truktion unter Bedingungen akzeptabel. Denn der Gesetz-entwurf sah vor, dass in 10 bis 15 Jahren der Bundestagdie endgültige Trennung von Netz und Betrieb beschließenkonnte und dann durch einen lediglich juristischen Akt dieZusammenlegung des »wirtschaftlichen Eigentums« an derInfrastruktur mit dem »juristischem Eigentum« beim Bund,möglich sein würde. Das Eigentumssicherungsmodell wur-de von der Union also als ein Zwischenschritt auf dem Wegzu einer Trennung von Netz und Betrieb angesehen. Bedin-gung für die Union war allerdings, dass die Bewirtschaf-tung der Infrastruktur durch die DB AG den Wettbewerbnicht behindern dürfte. Eine wirksame Regulierung und ex-terne Preiskontrolle sollte sicherstellen, was ansonsten derMarkt leistet. Außerdem sollte die Schienenverkehrspolitikdes Bundes auch dann durchsetzbar gemacht werden, wennes im Einzelfall nicht dem betriebswirtschaftlichen Konzeptder DB AG entsprechen sollte.

Auch bei dieser Konstruktion blieb allerdings bei vielen dieSorge, ob das Schienennetz tatsächlich nach 10 bis 15 Jah-ren der DB AG wieder weggenommen werden könnte;schließlich wäre dann ein milliardenschwerer Wertausgleichfür die Entnahme des Eigenkapitals aus der Bilanz fälliggeworden.

Die Volksaktie

Die Privatisierungsgegner in der SPD haben auf dem Par-teitag im Oktober eine Privatisierung der DB AG nur mit

»Volksaktien« als Vorzugsaktie ohne Stimmrecht gefordert,um auf diese Weise den Einfluss von Privatinvestoren aufdas Unternehmen und insbesondere auf die Infrastrukturzu verhindern. Der Verkauf einer solchen »Volksaktie« wärejedoch ökonomisch wie politisch nicht zielführend. Erstenswürde die Effizienzkontrolle der Kapitalmärkte über die in-ternationalen Aktivitäten der DB AG auf nahezu null redu-ziert. Aktionäre ohne Stimmrecht können den Vorstand nichtwirksam kontrollieren und ihre Kapitalanlegerinteressendurchsetzen. Zweitens wäre die Privatisierung mit der Volks-aktie als Kapitalbeschaffung nicht geeignet. Denn zum Aus-gleich für die Machtlosigkeit der Aktionäre müsste eine Min-destrendite garantiert werden. Vor diesem Hintergrund wä-re die »Volksaktie« eine reine Scheinprivatisierung, mit derkeines der ursprünglichen Ziele erreicht würde. Heraus kom-men würde ein schlechtes Privatisierungsmodell, das dieordnungspolitischen Probleme des Eigentumssicherungs-modells mit dem Mangel an Kontrolle durch die Kapitalmärk-te verbunden hatte. Die Union hat sie deswegen von Anfangan abgelehnt.

Ausblick

Die Teilkapitalprivatisierung der Betriebsgesellschaften oh-ne Infrastruktur ist die politisch mögliche und in der Sachezielführende Weiterführung der Bahnreform. Die Beteiligungvon privatem Kapital an der Transport-Holding bedeutet kei-ne »Zerschlagung« des Konzerns. Solange nämlich über denteilprivatisierten Betriebsgesellschaften und den nicht-priva-tisierten Infrastrukturgesellschaften ein gemeinsames Dachder DB AG bestehen bleibt, können die operativen Vorteileaus dem Verbund von »Rad und Schiene« erhalten bleiben.Vielmehr lässt der Verbund im Konzern alle Möglichkeiten,auch dem Anliegen der Gewerkschaften und ihrer Forde-rung nach Aufrechterhaltung des konzerninternen Arbeits-marktes Rechnung zu tragen. Von einer »Zerschlagung«kann schon deshalb keine Rede sein, da alle Unternehmens-teile unter einem Konzerndach bleiben. Gerade im Interes-se der Beschäftigten der DB AG in allen Sparten des Un-ternehmens ist es jetzt wichtig, mit einer Teilkapitalprivatisie-rung die Wettbewerbsfähig-keit zu sichern. Die Teilkapital-privatisierung muss deswegen auf der politischen Tagesord-nung bleiben.

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Zur Diskussion gestellt

Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG: Neue Konzepte?

Von der visionären Bahnreform des Jahres 1994zum Scheitern der Privatisierung im Jahre 2007?

Seit Jahren wird über die (Teil-)Privatisierung der Deut-schen Bahn AG diskutiert. Bereits mit der Eisenbahnre-form aus dem Jahre 1993, umgesetzt 1994, wurden dieWeichen Richtung Privatisierung gestellt. Es wurde vor-gesehen, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsun-ternehmen zu führen sei. Zusätzlich wurden die Modali-täten geregelt, unter denen eine Privatisierung stattzufin-den hätte, die auch eine private Beteiligung am Netz be-inhaltet. Die alten Bruchlinien zwischen einem Integrati-ons- und einem Separationskonzept wurden – wie schonin der Diskussion in den neunziger Jahren – wieder sicht-bar. Während die eine Seite die Vorteile eines integriertenBahnkonzerns betonte, beharrte die andere auf der For-derung nach einer Trennung von Netz und Verkehr. End-lich hatten sich die Regierungsparteien Ende 2006 auf ei-ne Kompromisslinie geeinigt, nach dem der Bund am Netzjuristisches Eigentum eingeräumt bekommen sollte, wäh-rend das wirtschaftliche Eigentum bei der Bahn liegen soll-te. Aus Haushaltsperspektive hatte diese Privatisierungs-variante zumindest den Vorteil, dass die Bilanzierung desNetzes – und damit auch der Ansatz der auf dem Netz las-tenden Verbindlichkeiten – bei der Bahn zu erfolgen hät-te. Die Verbindlichkeiten würden also nicht in den Bundes-haushalt eingehen und damit dessen Maastricht-Kom-patibilität gefährden.

Totalgegner der Bahnprivatisierung witterten hinter einersolchen Lösung ein verfassungswidriges Konstrukt. Der

Gewährleistungsverantwortung des Bundes sei mit demjuristischen Eigentum am Netz nicht Genüge getan, wenndas wirtschaftliche Eigentum bei der Bahn liege, an derauch private Investoren beteiligt seien. Diese etwas ab-wegige Argumentation übersah geflissentlich, dass derBund mehrere Instrumente besitzt, um seiner Gewährleis-tungsverantwortung nachzukommen, darunter insbeson-dere eine Einflussnahme qua Anteilsrechten und eine Ein-flussnahme qua Finanzierungs- und Leistungsvereinbarun-gen (LuFV). Ferner stattet der Bund die Länder mit Regio-nalisierungsmitteln aus, die der Bestellung von Verkehrendienen und damit die Auslastung und wirtschaftliche Trag-fähigkeit der Infrastruktur beeinflussen. Die Einflussnahmeüber Anteilsrechte ist nach deutschem Gesellschaftsrechteine sehr begrenzte, da die Leitungsmacht beim Vorstanddes Unternehmens liegt und nicht bei der Hauptversamm-lung. Die Bahnreform von 1993 hatte mit Bedacht den Weggewählt, dass die Bahn als Wirtschaftsunternehmen inder Rechtsform der Aktiengesellschaft zu führen sei, beider der Eigentümer eben nicht in Maßnahmen der Ge-schäftsführung eingreifen kann. Anteilsrechte vermitteln al-so nur einen indirekten Einfluss, wohingegen der Bund inLeistungs- und Finanzierungsvereinbarungen (LuFV) ganzkonkrete Pflichten und Durchsetzungsmechanismen fest-schreiben kann.

Dem Konzept einer (Teil-)Privatisierung eines integriertenBahnkonzerns mit einer Beschränkung des Konzerns be-züglich des Eigentums am Netz (wirtschaftliches statt ju-ristisches Eigentum) wurden nach den fruchtlosen recht-lichen Angriffen gegen dieses Konzept weitere Steine inden Weg geworfen. Bestand eines der wesentlichen Zie-le der Privatisierungspläne darin, der Bahn den Zugangzum Kapitalmarkt zu eröffnen – einschließlich der Fähig-keit der Eigenkapitalaufnahme –, um sie in einer Phaseder Öffnung und Umstrukturierung der europäischenMärkte von den Fesseln der Finanzie-rung über den Bun-deshaushalt zu befreien, so ließ sich dieses Ziel womög-lich dann vereiteln, wenn man die Beteiligung von insti-tutionellen Anlegern und Großinvestoren vereiteln könn-te, um statt dessen eine unattraktive Privatisierungsvari-ante zu wählen, nämlich die Beteiligung von »Volksaktio-nären« ohne Stimmrecht. Mit dem Beschluss des Ham-burger Parteitages der SPD, der versucht, die Partei aufein Volksaktienkonzept festzulegen, hatte es den An-schein, als sei damit das Projekt »Bahnprivatisierung« ge-scheitert. Es würde bei der Staatsbahn bleiben, mangelsHaushaltsengpässen unterfinanziert und unfähig, sichan der Neustrukturierung der europäischen Eisenbahn-märkte zu beteiligen. Nach jahrelanger Diskussion, in dersich die streitenden Parteien zwar über das Privatisie-rungskonzept gestritten hatten, nicht aber über die Not-wendigkeit der Privatisierung als solcher, schien man dieUhr auf eine Zeit vor 1994 zurückgedreht zu haben. Denn

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Christian Kirchner*

* Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner ist Inhaber des Lehrstuhls für deutsches,europäisches und internationales Zivil- und Wirtschaftsrecht und Institu-tionenökonomik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Zur Diskussion gestellt

1994 waren – wie ausgeführt – die Weichen in RichtungPrivatisierung gestellt worden.

Notwendigkeit neuen Nachdenkens

In der geschilderten Situation, in der es den Anschein hat,als sei der Zug »Bahnreform« gegen eine Wand gefahren,ist neues Nachdenken erforderlich. Es gilt, Klarheit zu schaf-fen, was konsentiert ist, wo Streit herrscht, welche Optio-nen verbleiben.

Zuerst die Punkte, in denen Einigkeit besteht: (1) Die Kapi-talausstattung der DB AG muss verbessert werden. Diesallein aus Haushaltsmitteln des Bundes zu tun, stößt auf Pro-bleme. (2) Der Bund soll weiterhin maßgeblichen Einfluss aufdas Unternehmen ausüben können, das als Wirtschaftsun-ternehmen zu führen ist. (3) Es soll vorerst nur eine Teilpri-vatisierung durchgeführt werden. Die Einigkeit ist nicht sodeutlich, wenn es um das Konzept der integrierten Bahngeht. Hier wendet sich der Beschluss des SPD-Parteitagesgegen eine Zerschlagung. In den anderen beiden Regie-rungsparteien war man bereit, ein Modell mit zu tragen, indem das juristische Eigentum am Netz beim Bund liegt,das wirtschaftliche bei der Bahn, so dass im Ergebnis dieVorteile der Integration nicht zerstört werden.

Uneinigkeit besteht bei einer Teilprivatisierung des DB-Kon-zerns als ganzem bezüglich der künftigen Aktionärsstruk-tur und dem Mitspracherecht privater Aktionäre. Währendim Beschluss des SPD-Parteitages von der Ausgabestimmrechtsloser Vorzugsaktien (»Volksaktien«) die Redeist, wird eben dies von den anderen Regierungsparteienabgelehnt.

In diesem Spannungsverhältnis muss im ersten Schritt ab-gewogen werden, was die Folgen eines Verzichts auf eineTeilprivatisierung der Deutschen Bahn AG zum jetzigen Zeit-punkt bedeuten würde. Sodann sind die Eckpunkte einererfolgreichen Teilprivatisierung deutlich zu machen. Sodannist der durchaus offene Begriff der »Volksaktie« auszulo-ten. Schließlich ist zu prüfen, ob ein Ausweg in einer Teil-privatisierung einer Zwischenholding liegen könnte, in derdie Bereiche Personenverkehr sowie Transport und Logis-tik zusammengefasst sind, liegt. Dieses Konzept kommtaus dem Bundesfi-nanzministerium und läuft unter dem Na-men »Holding-Modell«.

Die Kosten des Verzichts auf eine (Teil-)Privatisierung

Die Tatsache, dass die Deutsche Bahn AG Kapital benö-tigt und dass eine Alimentierung aus dem Bundeshaus-halt angesichts des klaren Vorrangs der Haushaltskonso-

lidierung auf erhebliche Probleme stößt, führt zur zwingen-den Konsequenz einer (Teil-)Privatisierung. Entscheidendist der Zugang zum Kapitalmarkt für Eigenkapitel. Eine wei-tere Verschuldung bei gegebener Eigenkapitalausstattungerscheint weder betriebswirtschaftlich vertretbar noch po-litisch erstrebenswert. Der Zugang zum Kapitalmarkt zumjetzigen Zeitpunkt ist geboten, da mit der europaweitenÖffnung der Bahnmärkte eine Neustrukturierung insbe-sondere der Schienengütermärkte stattfindet. Hier kannnur mitspielen, wer das Kapital aufbringt, um Beteiligun-gen zu erwerben. Die neuen – europäischen – Strukturender Schienengütermärkte sind für den deutschen Marktdeshalb vorteilhaft, weil erst dann der Vorteil langer Trans-portwege, auf denen die Bahn dem Straßengüterverkehrüberlegen ist, ins Spiel gebracht werden können. Um inDeutschland mehr Verkehr und damit mehr Güter auf dieSchiene zu bringen, ist die Schaffung eines europäischenSchienengütermarktes erforderlich. Die Deutsche BahnAG steht hier im Wettbewerb mit einer Vielzahl von Un-ternehmen, die Zugang zum Kapitalmarkt haben. Ist ihrdieser verwehrt, findet ein Kampf mit Spießen ungleicherLänge statt. Die Öffnung und Neustrukturierung der eu-ropäischen Schienengütermärkte findet jetzt statt. Ein Ka-pitalmarktzugang erst in einigen Jahren käme zu spät. DasZeitfenster hätte sich möglicherweise schon wieder ge-schlossen. Ein Verzicht auf eine Privatisierung zum jetzi-gen Zeitpunkt bedeutet einen erheblichen Nachteil für dieSchiene im intermodalen Wettbewerb. Im Straßengüter-verkehr sind die Märkte schon lange geöffnet. Die hier tä-tigen Akteure verfügen alle über den erforderlichen Zu-gang zum Kapitalmarkt. Ein Verzicht auf die Privatisie-rung in dieser Situation ist für den Bund äußerst kost-spielig. Es geht nicht nur um den entgangenen Privatisie-rungserlös. Es geht um die Ausgaben, die in künftigen Pe-rioden auf den Bundeshaushalt zukommen, will man dieSchiene dauerhaft stärken und sich an der Europäisierungder Bahnmärkte beteiligen. Die Nachteile sind aber auchdie Stellung des schienengebundenen Transports im in-termodalen Wettbewerb hoch. Bliebe es bei – relativ klei-nen – nationalen Märkten, könnte die Schiene ihren kom-parativen Kostenvorteil gegenüber anderen Verkehrsträ-gern nicht voll ausspielen. Das könnte auch negative Aus-wirkungen auf die Umwelt haben.

Voraussetzungen einer erfolgreichen (Teil-)Privatisierung der Bahn

Eine erfolgreiche Teilprivatisierung bedeutet, dass die Bahnfür Kapitalgeber attraktiv ist, sie also Eigenkapital zu güns-tigen Konditionen aufnehmen kann. Aus Sicht potentiel-ler Anleger handelt es sich bei der Bahnaktie weder umeinen Spekulationswert noch um ein Papier mit kurzfristi-gen Gewinnchancen. Wer in diese Aktie investiert, orien-tiert sich an den langfristig günstigen Aussichten der Trans-

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Zur Diskussion gestellt

portmärkte mit wachsenden Anteilen des Schienentrans-ports. Die Komplexität der Marktentwicklung internatio-naler Transportmärkte verlangt die Arbeit von Finanzana-lysten. Die Bahnaktie ist grundsätzlich wenig geeignet alsAnlage von privaten Kleinanlegern, die Chancen und Ri-siken in diesen Märkten nur schwer einschätzen und be-werten können. Wollte man darauf setzen, dass vorzugs-weise diese Anleger zum Zuge kämen, ginge dies im Wett-bewerb zwischen verschiedenen Anlegern nur durch ei-ne Restriktion anderer Anleger. Man müsste die Konditio-nen für andere Anleger so unattraktiv machen, dass die-se ein Interesse an der Anlage verlören. Das bedeuteteaber, dass das primäre Ziel der Privatisierung, nämlich derZugang zum Kapitalmarkt zu günstigen Konditionen, ver-spielt würde. Man kann nicht beides zugleich wollen, denKapitalmarktzugang zu günstigen Konditionen und denAusschluss der Investoren, die diese Konditionen bietenkönnen.

Die Eckpunkte einer erfolgreichen (Teil-)Privatisierung sinddann die folgenden:

(1) Privatisierung mit Erhaltung des integrierten Bahnkon-zerns und damit von Synergieeffekten und Innovations-potentialen.

(2) Angebot zu attraktiven Konditionen für professionelle An-leger (institutionelle Anleger, Großinvestoren).

(3) Gewährleistung des maßgeblichen Einflusses des Bun-des (Gewährleistungsverantwortung).

Eckpunkt (2) schließt das Konzept der »Volksaktie« aus,wenn darunter ein risikoloses Papier zu Sonderkonditio-nen gemeint ist und wenn die Beteiligung institutionellerAnleger be- oder verhindert wird. Ist dies das Ziel desVolksaktienvorschlags, so ist er nur eine schönrednerischeUmschreibung für die Forderung nach einem Verzicht aufdie Bahnprivatisierung. Die gravierenden Folgen eines sol-chen Verzichts sind weder ökonomisch noch politisch zuakzeptieren.

Eckpunkt (3) macht keine Probleme, wenn der Gewährleis-tungsverantwortung parallel über eine Mehrheitsbeteiligungdes Bundes und über vertragliche Bindungen (Leistungs-und Finanzierungsvereinbarungen) Genüge getan wird.

Im Ergebnis wird man zum Schluss kommen, dass dasVolksaktienmodell kein Privatisierungsmodell ist, sondernein Privatisierungsverhinderungsmodell.

Das Holding-Modell

Beim Holding-Modell lägen die Anteile der Holdingge-sellschaft zu 100% beim Bund. Damit änderte sich inBezug auf das Netz nichts gegenüber dem gegenwärti-

gen Zustand. Das bedeutet, dass eine Privatisierung un-ter diesen Rahmenbedingungen nicht der Gesetzesformbedarf. Die Netz AG bliebe weiterhin Tochtergesellschaftim Bahnkonzern. Ihre relative Unabhängigkeit wäre – wieschon heute – nach den Vorgaben des europäischen Ge-meinschaftsrechts zu gestalten. Für die Privatisierung wä-re eine veränderte Konzernstruktur erforderlich. Die Be-reiche Personenverkehr sowie Transport und Logistik (je-weils als eigene Aktiengesellschaften) wären in einer Zwi-schenholding zusammenzufassen. Die Verkehrsgesell-schaften unterständen dann nicht direkt der Konzernspit-ze des Bahnkonzerns, sondern der Zwischenholding,die ihrerseits Tochtergesellschaft im Bahnkonzern wäre.Juristisch ist eine solche Konzernstruktur darstellbar. DieBeherrschungsmöglichkeiten über Kapitalmehrheiten wä-ren gegebenenfalls abzusichern über Beherrschungsver-träge. Das eigentliche Augenmerk gilt zum einen dem Kal-kül eines potentiellen Investors, der sich nun an der Zwi-schenholding beteiligt, zum anderen der Frage, ob dieneue Konzernstruktur mit Zwischenholding das alte Se-parationsmodell wieder aufleben lässt, ob also die Vortei-le des integrierten Bahnkonzerns preisgegeben werden.Die Probleme »Wahrung des Integrationskonzepts« und»Investorenkalkül« sind aufeinander bezogen. Aus Sichteines potentiellen Investors besteht ein vitales Interessean der Aufrechterhaltung der Integrationslösung. Würdennämlich Entscheidungen, die die Infrastruktur betreffen,und solche, die den Verkehr betreffen, voneinander ge-trennt, träten nicht nur erhebliche Friktionen auf. Es wür-de sehr schwierig werden, technologischen Fortschritt,der gleichermaßen auf der Netzebene und der Ebene desVerkehrs betrifft, Effizienzgewinne bei der Infrastruktur vor-anzutreiben. Aus Sicht von Investoren, die allein an Ver-kehrsgesellschaften beteiligt sind, würde sich ein erheb-liches Risiko abzeichnen: Netzbezogene Entscheidungen,die die Verkehrsgesellschaften belasteten. Von da her ha-ben Investoren, die sich an Verkehrsgesellschaften be-teiligen, ein Interesse an Entscheidungen in einem inte-grierten Konzern. Das bedeutete, dass Sicherheit für ei-nen überschaubaren Investitionszeitraum zu schaffen ist,dass der integrierte Bahnkonzern erhalten bleibt, dass dieneue Privatisierungsvariante nicht als Einstieg in die Se-parierung begriffen wird. Eine solche Sicherheit lässt sichdurch entsprechende vertragliche Konstruktionen schaf-fen. Dabei ist es nicht uninteressant, dass in diesem Fall,die von den Gewerkschaften vertretenen Arbeitnehmerdes integrierten Bahnkonzerns ein gleichgelagertes Inte-resse haben. Separation bedeutet für die betroffenen Ge-werkschaften die Gefahr einer Aufkündigung des Beschäf-tigungsbündnisses und möglicher Arbeitsplatzverluste.Während in einem integrierten Konzern ein konzerninter-ner Arbeitsmarkt existiert, in dem Wachstumsbereiche Ar-beitskräfte aus anderen Bereichen aufnehmen können,entfällt dieser Vorteil im Separationsszenario. Private In-vestoren, die sich an Verkehrsgesellschaften beteiligen,

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Zur Diskussion gestellt

haben von da aus ein Interesse, Vereinbarungen, die aufdie Sicherung des konzerninternen Arbeitsmarkt zielen,zu unterstützen.

Der Erfolg des Holding-Modells wird also davon abhän-gen, ob es gelingt, vertragliche, auch arbeitsvertragli-che, Konstruktionen zu finden, die eine Beteiligung pri-vater Investoren an der Verkehrszwischenholding attrak-tiv machen. Notwendig ist die Sicherung des integriertenKonzerns.

Deutsche Bahn AG Börsengang richtigmachen

Eine Erinnerung

Aufgeregte politische Debatten neigen dazu, Ziel und Aus-gangspunkt aus dem Blick zu verlieren. Gegenwärtig wirdder Börsengang der Deutschen Bahn AG (im Folgenden:DB AG) angestrebt. Dabei sind Ob und insbesondere Wienoch nicht entschieden. Kern der aktuellen Diskussion istimmer noch, ob Schienen und Stationen als Teil des Kon-zern privatisiert werden oder beim Staat verbleiben sollen,da die Privatisierung der DB AG mit Netz mit weitreichen-den Konsequenzen verbunden sein könnte:

– Private Dritte könnten Zugriff auf die Eisenbahninfrastruk-tur bekommen und ihren Renditeerwartungen unterwer-fen – ggf. im Widerspruch zu Zielen der Daseinsvorsorge.

– Bei Netz und Stationen würde der Erlös aus der Privati-sierung weit unter dem Zeitwert und dem Wiederbeschaf-fungswert liegen.

– Der weltweit agierende Logistikkonzern DB AG verblie-be aufgrund der Privatisierungssperre des Art. 87e GGdauerhaft mehrheitlich in Staatseigentum.

– Die Struktur der DB AG als integrierter Konzern mit Netzund Transport wäre praktisch unumkehrbar zementiert.

In diese Diskussion wurde der Vorschlag eingeführt, durchdie Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien (»Volks-aktien«) trotz Teilprivatisierung sicherzustellen, dass privateAktionäre keinen unerwünschten Einfluss auf die Entwick-lung der Infrastruktur nehmen können.

Nachfolgend wird betrachtet, welche Ziele mit der Teilpriva-tisierung der DB AG verfolgt werden. Untersucht wird, ob

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Christoph Schaaffkamp*

* Christoph Schaaffkamp ist geschäftsführender Gesellschafter der Unter-nehmensberatung kcw, Berlin, Hamburg (www.kcw-online.de).

Zur Diskussion gestellt

hierzu die Volksaktie ein geeignetes Instrument darstellt. An-schließend wird basierend auf dem Modells der Privatisie-rung einer operativen Sub-Holding der DB AG die Fragenach einer sinnvollen Struktur für den Börsengang der DBAG betrachtet.

Ziele und bisheriges Ergebnis der Bahnreform

Mit der Bahnreform 1993 sollten erreicht werden:

– Mehr Verkehr auf die Schiene. Das Ziel wurde bislang nurteilweise erreicht. Die Nachfrage im Fernverkehr und imGüterverkehr liegt trotz konjunktureller Erholung noch im-mer auf dem Niveau von 1993. Die Fahrgastzuwächseim Regionalverkehr wurden mit starken Angebotsauswei-tungen erkauft.

– Haushaltsentlastung. Inwieweit diese erreicht wurde, istumstritten. Der Bund stellt weiter kontinuierlich umfang-reiche Haushaltsmittel zur Verfügung.1 Gleichzeitig ist dieVerschuldung der DB AG seit 1994 (Entschuldung, Ab-wertung des Anlagevermögens) auf 22 Mrd. € angestie-gen. Das Netz wird vom Bund weiter mit ca. 2,5 Mrd. €p.a. zzgl. Finanzierung Neu-/Ausbau subventioniert.

– Wettbewerb. Dieser sollte insbesondere mit Hilfe der inder Bahnreform angelegten Trennung von Netz und Trans-port entstehen. Er sollte Effizienz und Innovation treiben,ist aber insbesondere im Personenverkehr noch immerdie Ausnahme. Die DB AG ist weiter in allen Eisenbahn-sparten marktbeherrschend. Sie verfügt über die Infra-struktur und hat ein faktisches Monopol beim Rollmate-rial im Personenverkehr.

Unbestreitbar weist die Bahnreform auch Erfolge auf. DieDB AG hat sich von einer Behörde weit in Richtung einesmarktorientierten Dienstleisters entwickelt und über geziel-te Zukäufe als globaler Logistikanbieter aufgestellt. Die Zu-käufe vergrößern die Schuldenlast.

Die Zukäufe und die globale Strategie erzeugen weiteren Ka-pitalbedarf der DB AG, die davon ausgeht, dass sie einenerheblichen Teil der Privatisierungserlöse für sich behaltenkönne. Diese sind nach ihren Vorstellungen für Investitio-nen im Logistikbereich und für die internationale Expansionbestimmt. Für die Weiterentwicklung der deutschen Eisen-bahninfrastruktur plant die DB AG keine Eigenmittel.

Welchen Mehrwert bietet die »Volksaktie«?

Vom BMVBS wird die Frage geprüft, ob die Ausgabe stimm-rechtsloser Vorzugsaktien (»Volksaktien«) geeignet ist, diePrivatisierung »voranzubringen«.

Primär dürfte es sich um einen klassischen politischen Kom-promissvorschlag handeln. Der zugrunde liegende Partei-tagsbeschluss der SPD beruhte auf dem Unbehagen, dassprivate Investoren Erhalt und Steuerbarkeit der Infrastruk-tur gefährden könnten.

Es erscheint jedoch fraglich, ob dieses und die Ziele derBahnreform durch die Ausgabe von »Volksaktien« erreichtwerden können, die international ohne Vorbild ist. Dabeiist zu berücksichtigen, dass die »Volksaktie« innerhalb ei-nes Börsengangs der DB AG mit Infrastruktur eingesetztwerden soll:

– Mehr Verkehr auf der Schiene wird dadurch erreicht, dassgeeignete Strukturen geschaffen werden. Entscheidendsind die Funktionsfähigkeit des Marktes, diskriminierungs-freier Marktzugang und wirksame Regulierung.2 »Volks-aktien« haben hierauf keine Auswirkungen.

– Die Haushaltsentlastung bei der Eisenbahn ist – gleich-bleibenden Umfang von Netz und Leistungen vorausge-setzt – davon abhängig, dass die Strukturen des Eisen-bahnmarktes auf möglichst große Teile der Wertschöp-fung Effizienz- und Innovationsdruck ausüben. Weitermuss die Effizienzsteigerung auch tatsächlich der öffent-lichen Hand zugute kommen, damit diese die Zuschüs-se für die Eisenbahn minimieren kann. Dieses setzt ins-besondere wirksamen Wettbewerb voraus. Die »Volks-aktie« ist hierauf ohne Einfluss.

– Mehr Effizienz und Effektivität bei der Infrastruktur durchden Treiber Kapitalmarkt wäre wünschenswert. Dies istkein Automatismus, gerade da das Netz auf direkte staat-liche Subventionen angewiesen ist. Mit oder ohne Volks-aktie ist die Zementierung eines dauerhaften Monopolskein geeigneter Anreiz. Widersinnig ist, dass ein natürli-ches Monopol teilprivatisiert werden soll, ohne dass Wett-bewerb entsteht.

– Auch gegen die befürchteten negativen Effekte der Pri-vatisierung erscheint die »Volksaktie« zu schwach. Siestärkt zwar die Stellung des Bundes. Die Effekte werdenjedoch nicht durch private Aktionäre verursacht, sonderndadurch, dass ein integrierter Konzern mit Infrastruktur-monopol privatisiert wird. Auch mit »Volksaktionären«kann dieser Monopolrenten durchsetzen, verfügt überDiskriminierungspotentiale, nutzt Innovationspotentialeunzureichend und muss daran interessiert sein, spezi-fisch teure Netzbestandteile abzustoßen.

– Weltweit gibt es für die Privatisierung der Infrastrukturoder für die eines integrierten Staatskonzerns kein po-sitives Vorbild.3 Im Gegenteil: Die Privatisierung der bri-

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1 Vgl. aktuelle Angaben in BT-Ds. 17/6676, Fragen 33 ff.

2 Die hinsichtlich der Nachfrageentwicklung erfolgreichsten nationalen Ei-senbahnen in Europa sind diejenigen mit einer klaren Trennung von Netzund Transport: Großbritannien und Schweden.

3 Erfolgreich privatisierte Infrastrukturen finden sich bislang für Rumpfnetze(Japan) oder langsame Güterverkehrsnetze (USA); diese Strukturen sindmit der DB AG nicht vergleichbar.

Zur Diskussion gestellt

tischen Eisenbahninfrastruktur endetemit der Pleite von Railtrack plc. In Neu-seeland, Estland und Tasmanien schei-terte die Privatisierung integrierterStaatsbahnen. Immer musste der Staatmit Steuergeldern intervenieren.

Dem Bundesfinanzminister droht bei der Pri-vatisierung mit Infrastruktur und »Volksaktie«ein Misserfolg.

– Wegen des reduzierten Einflusses auf dieUnternehmensführung bei »Volksaktien«werden sich die Privatisierungserlöse(5 bis 8,7 Mrd. € für 49% der Aktien lt.PRIMON-Gutachten) voraussichtlich ver-ringern. Die Beiträge für den Bundeshaus-halt oder für das weitere Wachstum derDB AG schrumpfen entsprechend.

– Insgesamt ist die Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit desKonzepts der stimmrechtslosen Aktie zweifelhaft. Da beiEntfall der Dividende das Stimmrecht zwingend auflebt,müssten erhebliche Gewinnreserven aufgebaut werden.Diese würden die mögliche Kapitalzuführung aufheben.

– Das Ziel, die Unternehmensführung durch den Rendite-druck privater Investoren zu verbessern4, wird durch die»Volksaktie« nicht erreicht – die stimmrechtslosen Ak-tien sollen den Einfluss ausschließen.

Grundsätzliche Skepsis verdient die Teilprivatisierung des in-tegrierten Konzerns auch, weil Art. 87e GG dauerhaft diestaatliche Aktienmehrheit beim globalen Logistiker DB AGerzwingt. Damit muss der Mehrheitsaktionär Bund aus Haus-haltsmitteln voraussichtlich weiteres Eigen- und Risikoka-pital zur Verfügung stellen. Auch bleibt er am Risiko »welt-weiter Logistikmarkt« mehrheitlich beteiligt. Ob der Bundhierfür über die richtigen Kontrollmechanismen und -mög-lichkeiten verfügt, sei dahin gestellt.

Die »Volksaktie« kann die ordnungspolitisch falsche Struk-tur des Börsengangs »mit Netz« nicht heilen. Die Weichenwürden nahezu irreversibel falsch gestellt.

Sinnvolle Möglichkeiten eines Börsengangs

Der Verfasser sieht bei einer Trennung von Netz und Trans-port eindeutige Vorteile für Bund und Länder.5 In diese Rich-

tung weist nun der im Koalitionsausschuss vom 12. Novem-ber 2007 beschlossene Prüfauftrag, statt der Konzernhol-ding DB AG eine Unter-Holding mit nur den operativen Spar-ten zu privatisieren.

Dieser Grundstruktur wird insbesondere von Gewerk-schaftsseite entgegengehalten, dass es sich dabei um ei-ne »Zerschlagung« der DB AG handele. Die Beschäfti-gungsverhältnisse seien gefährdet. Schließlich zerstöre siedie erfolgreiche Entwicklung des »Nationalen Champions«DB AG zum globalen Logistikkonzern. Dies überzeugt je-doch nicht:

– Die Synergien zwischen dem internationalen Logistikge-schäft und der Eisenbahn in Deutschland sind vernach-lässigbar.

– Ohne näher zu betrachten, inwieweit die Förderung ei-nes nationalen Champions nicht schon per se fragwür-dig ist, wäre industriepolitisch zu hinterfragen, ob die DBAG die gegenwärtige Struktur behalten soll, während ih-re globalen Wettbewerber ohne schützendes Netzmo-nopol aufgestellt sind und wohl gerade deshalb gelernthaben, erfolgreich im Markt zu agieren. Dagegen gibt esin keinem Industriestaat ein Unternehmen mit einer ähn-lichen Struktur wie die DB AG.

– Kontinuität für die Arbeitnehmer kann im integrierten Kon-zern auch nicht dauerhaft gesichert werden. Die Anreizefür jeden Investor, die DB AG wenigstens teilweise zu ent-flechten, dürften sehr hoch sein.

Die Privatisierung der Unter-Holding mit den operativenSparten lässt sich unter wenigen Vorbedingungen so ge-stalten, dass die Ziele der Bahnreform tatsächlich vorankommen und – solange nur eine Minderheit der Aktien ver-äußert wird – sogar der konzerninterne Arbeitsmarkt erhal-ten bleibt:

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Tab. 1 Überblick über Bewertung der Teilprivatisierung mit »Volksaktien«

Ziel der Bahnreform Bewertung des Modells

»Volksaktie«

Mehr Verkehr auf die Schiene Keine wesentliche Verbesserung

gegenüber dem Status quo

Haushaltsentlastung des Bundes Reduzierter Veräußerungserlös,

Notwendigkeit von Gewinn-reserven

Wettbewerb im Eisenbahnsektor Risiken Diskriminierung, Markt-machtmissbrauch; geringer Wett-

bewerbsdruck

Stärkung der Kapitalbasis der

DB AG

Unzureichend

Sicherung des Einflusses des

Bundes im Bereich der Eisenbahn-infrastruktur

DB AG muss Interessen der Aktio-

näre verfolgen – Daseinsvorsorge nicht Unternehmensziel

Quelle: Zusammenstellung von kcw.

4 BMVBS: »Der Bund setzt auf private Partner, um die Bahn noch wettbe-werbsfähiger zu machen.« http://www.bmvbs.de/Verkehr-,1405.1006629/Kapitalprivatisierung-der-Deut.htm.

5 Zum Hintergrund der Position des Verfassers vgl. Gutachten für BDI undDIHK: Privatisierung der integrierten Deutschen Bahn AG – Auswirkungenund Alternativen (2006); Stellungnahme des Verfassers in der Anhörung desVerkehrsausschusses des Deutschen Bundestages am 10. Mai 2006.

Zur Diskussion gestellt

– Die DB AG Holding wird zur Finanzholding umgestaltet.Alle Aktien verbleiben beim Bund.

– Die Belange der Arbeitnehmer werden bei der Umstruk-turierung der DB AG durch geeignete betriebliche oderindividuelle Vereinbarungen gesichert.6

– Den Infrastrukturgesellschaften des Konzerns wird diegesamte betriebsnotwendige Infrastruktur zugeordnet.Sie werden vollständig entherrscht (rechtlich ist dies oh-nehin geboten).7 Die Finanzholding hält alle Aktien. Da-mit wird der Interessenkonflikt zwischen Daseinsvorsor-ge und Konzerninteressen beseitigt. Die Infrastrukturge-sellschaften können Geschäfts- und Entgeltpolitik auf dieverkehrspolitischen Ziele des Bundes ausrichten, insbe-sondere auf die Maximierung der Netznutzung.

– An der operativen Holding oder deren Tochtergesellschaf-ten ist eine Beteiligung privater Investoren möglich.8 EinBörsengang kann geeignet sein, einen maximalen Erlösfür den Bundeshaushalt zu erzielen. Dieser Erlös wirdmindestens in vergleichbarer Höhe wie der prognosti-zierte Erlös aus der Privatisierung des integrierten Kon-zerns einschließlich des Infrastrukturvermögens liegen.Dieses zeigt bereits eine grobe Abschätzung deutlich(vgl. Tab. 2).

– Die Fahrzeuge im Personenverkehr werden in eine Fahr-zeugleasinggesellschaft ausgegliedert, die von der ope-rativen Holding unabhängig und wie die Infrastrukturge-

sellschaften entherrscht wird. So wird sichergestellt, dassWettbewerb um die in wenigen Jahren auslaufenden »gro-ßen Verkehrsverträge« (rund 80% des Marktes im Re-gionalverkehr) tatsächlich entstehen kann. Dies eröffnetenorme Potentiale für Innovationen und Effizienzverbes-serung. Gegenwärtig stehen im Markt nahezu keine Ge-brauchtfahrzeuge zur Verfügung, während die DB AGüber einen aus staatlichen Mitteln und in direkt beauftrag-ten Verkehrsverträgen beschafften Fahrzeugpark verfügt.Bei Ausschreibung der Leistungen müssten die Aufga-benträger für diskriminierungsfreien Wettbewerb die Be-schaffung von Neufahrzeugen auch dort vorgeben, woder Fahrzeugpark der DB AG gerade mit staatlichen Sub-ventionen erneuert wurde. Absehbar ist, dass die Fahr-zeugindustrie nicht über die erforderlichen Kapazitätenverfügt. Alternative wäre die Zulassung von Gebraucht-fahrzeugen im Vergabeverfahren – es drohen unzurei-chender Wettbewerb und überhöhte Renditen der DBAG. Durch die Fahrzeugleasinggesellschaft werden dieRisiken durch praktizierten Wettbewerb massiv reduziert.Verliert die DB AG Verkehrsleistungsaufträge, bleibt diesohne versunkene Kosten, der Gewinner least die Fahr-zeuge. Der Einfluss der Separierung der Fahrzeuge aufden Unternehmenswert der Personenverkehrsspartenhält sich in engen Grenzen, da diese aufgrund des CashStreams bewertet werden, die Leasingesellschaft(en) da-

gegen aufgrund der Assets.

Fazit

Die primäre Zielstellung der »Volksaktie« –Schutz der Eisenbahninfrastruktur vor demZugriff von »Heuschrecken« – kann durch ei-ne klare Privatisierungssperre für die Eisen-bahninfrastruktur effektiver und mit einemdeutlich besseren finanziellen Ergebnis fürdie öffentliche Hand umgesetzt werden.

Der Kapitalbedarf der DB AG wächst durchdie Entwicklung zu einem globalen Logistik-konzern. Diese stellt keine Staatsaufgabe dar,die Privatisierungsdiskussion ist folgerich-tig. Daraus folgt nicht, dass die Eisenbahnin-frastruktur Bestandteil eines solchen Börsen-gangs sein sollte. Eine Privatisierung ohne

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Tab. 2

Abschätzung des Unternehmenswertes einer operativen Holding unterhalb der DB AG Holding

a)

Sparte der DB AG EBIT 2006

b)

(in Mill. )

Abschätzung des Unterneh-

menswertes der Sparte (in Mrd. )c)

Regio (SPNV ohne

S-Bahnen Berlin, Hamburg)

690 4,3–12,4d)e)

Stadtverkehr (inkl. S-Bahnen Berlin, Hamburg)

154 1,0–2,7f)

Fernverkehr 124 0,8–1,7e)

Schenker + Stinnes 383 2,2–3,8

Railion 226 1,6–2,3

Summe 10,0–23,0g)

a) Unberücksichtigt: sonstige Aktivitäten, deren Ergebnis und Konsolidie-

rung; weitere Zukäufe; teilweiser Entfall der Holdingkosten (zurzeit ca.1 Mrd. p.a.); Erlöse aus einer möglichen getrennten Veräußerung der

Fahrzeugleasinggesellschaften; Phantasie. – b) Quelle: DB AG, Ge-

schäftsbericht 2006. – c) Eigene Abschätzung auf Grundlage branchenüb-

licher Verhältnisse Unternehmenswert/EBIT. – d) Unberücksichtigt: Phan-

tasie bei im Markt bei Privatisierung von mehreren Regionalbereichen imPersonenverkehr. Annahme: Rendite über Marktniveau aus nicht-wettbe-werblich an die DB AG vergebenen Verkehrsverträgen bleibt trotz der

rechtlicher Anfechtungen wg. Verstoß gegen Preisrecht und Beihilferecht(Verkehrsverbund Rhein-Ruhr; Länder Berlin, Brandenburg) bestehen. Dieweitere nicht-wettbewerbliche Beauftragung der DB AG wurde schon im

Morgan-Stanley-Gutachten als conditio sine qua non eines Börsengangsbewertet. –

e) Inkl. Abschlag wg. Zuordnung Fahrzeuge zu Leasinggesell-

schaft. – f) Annahmen und Abschlag wie im Geschäftsfeld Regio. –

g) Die

Privatisierungsschranke aus Art. 87e GG entfällt; Wert eines Anteils von49% bei ca. 5,1 bis 11,2 Mrd. .

6 Die »Besitzstände« der Arbeitnehmer für den Fall ei-ner Unternehmensaufspaltung können, wie bei ver-gleichbaren Transaktionen üblich, durch entsprechen-de Vereinbarung abgesichert werden.

7 Kontrolle durch Besetzung der Aufsichtgremien mitBund und Ländern bzw. den Wettbewerbern.

8 Insbesondere läge eine Trennung vom Logistikbereichnahe (Verkauf/Börsengang). Dieser bildet heute eininternational wettbewerbsfähiges Unternehmen, dasallerdings weiteres Kapital benötigt. Die Synergien mitden Eisenbahnsparten der DB AG sind gering.

Zur Diskussion gestellt

Netz bringt höhere Veräußerungserlöse als mit Netz. Intelli-gent gestaltet, generiert diese Chancen für mehr Wettbe-werb, ohne die industriepolitischen Ziele hinsichtlich derDB AG zu gefährden.

Voraussetzung ist, dass neben der Infrastruktur auch eineFahrzeugleasinggesellschaft unabhängig vom operativen Teilder DB AG aufgestellt und nur letzterer privatisiert wird. So-mit kann auch die vollständige Privatisierung dieser opera-tiven Holding erwogen werden. Damit behält der Bund dieOption, sich von der Rolle eines Mehrheitsaktionärs einesglobalen Logistikkonzerns zu verabschieden.

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Zusammenfassung der Vorträge

Die wirtschaftliche Lage inDeutschland und Europa

Der diesjährige ifo Branchen-Dialog fandvor dem Hintergrund eines starken Kon-junkturaufschwungs statt, der jedoch inseine Spätphase eingetreten zu seinscheint. Dieses Konjunkturbild zeichne-te auch Reinhard Dörfler, Hauptge-schäftsführer der Industrie und Handels-kammer für München und Oberbayern,in seinem Eingangsstatement. Wie üb-lich für konjunkturelle Spätphasen, neh-me auch derzeit der Mangel an Fachkräf-ten noch deutlich zu, da die Firmen er-fahrungsgemäß in der Anfangs- und Rei-fephase eines Konjunkturaufschwungszunächst versuchen, mittels Überstun-den und Einsatz von Zeitarbeit Personal-engpässe zu überwinden, bevor sie zu-sätzliche Arbeitskräfte einstellen. Dörflerwies darauf hin, dass verstärkte Ausbil-dungsanstrengungen in den Unterneh-men und generell mehr Bildungsaufwen-dungen notwendig seien, um mittelfris-tig die Chancen für ein dynamischesWachstum zu verbessern.

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifoInstituts, ging in seinem Vortrag zumThema »Die wirtschaftliche Lage inDeutschland und Europa« auf das ak-tuelle Konjunkturgutachten der wirt-schaftswissenschaftlichen Forschungs-institute ein, das am Tag der Veranstal-tung in Berlin veröffentlicht wurde. Für

die konjunkturelle Entwicklung Deutsch-lands in 2008 sei dieses neue Gutach-ten gedämpft optimistisch. Es werde miteiner Fortsetzung des Aufschwungs, al-lerdings in deutlich abgeschwächterForm, gerechnet (2,2% reales Wirt-schaftswachstum in 2008 gegenüber2,6% in 2007 und 2,9% in 2006). NachSinn bestehen trotz der Risiken, die vonder Sub-prime Hypothekenkrise in denUSA und dem Höhenflug des Euro aufdie deutsche Wirtschaft ausgehen, gu-te Chancen, dass die Wirtschaft inDeutschland in 2008 und 2009 einen»goldenen Herbst des Konjunkturauf-schwungs« erleben wird.

Ergänzend zum neuen Gemeinschafts-gutachten konzentrierte sich Sinn auf diezwei Fragen »Woher kam der gegenwär-

ifo Branchen-Dialog 2007

Am 18. Oktober 2007 veranstaltete das ifo Institut in Kooperation mit der Industrie- und Handels-

kammer für München und Oberbayern und mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeri-

ums für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie den siebten »ifo Branchen-Dialog«.

Ziel dieser Arbeitstagung war die Analyse der Gesamtwirtschaft und der konjunkturellen Entwick-

lungen in der Industrie, in der Bauwirtschaft, im Groß- und Einzelhandel sowie in ausgewählten

Dienstleistungsbranchen. Der Konjunkturaufschwung in Deutschland wird sich nach überwiegen-

der Meinung der über 200 Teilnehmer am Branchen-Dialog, die vor allem Unternehmen, Verbände

und die Wirtschaftspolitik vertraten, im nächsten Jahr fortsetzen, allerdings in deutlich gedämpf-

ter Form. Nach Sektoren und Branchen ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede. Die Er-

gebnisse wurden in einem ausführlichen Tagungsband dokumentiert. Eine Zusammenfassung der

Tagung bringt der vorliegende Bericht. Der nächste ifo Branchen-Dialog wird am 22. Oktober

2008 in München stattfinden.

Dr. Reinhard Dörfler, Hauptgeschäftsführer der Industrie und Handelskammer fürMünchen und Oberbayern

Daten und Prognosen

tige Aufschwung?«, und »Wie steht es wirklich um die Re-allohnentwicklung in Deutschland?«

Was die Herkunft des jüngsten Konjunkturaufschwungs inDeutschland anbelangt, überprüfte Sinn insgesamt sechsHypothesen:

Hypothese 1: Der Aufschwung gehört Frau Merkel. DieseHypothese sei offenkundig falsch, denn die Regierung ha-be ja das Budgetdefizit des Staates völlig abgebaut undauch keine Angebotspolitik betrieben. Während das Defi-zit im Jahr des Amtsantritts bei 3,4% des Bruttoinlands-produkts lag, erwarte man in diesem Jahr sogar einenkleinen Überschuss von 0,1%. Die Regierung habe denAufschwung also gebremst. Das sei aber genau das Rich-tige gewesen, antizyklische Politik wie im Lehrbuch. DieLasten für zukünftige Generationen werden nicht vergrö-ßert, und für den nächsten Abschwung habe man »seinPulver trocken behalten«.

Hypothese 2: Die Gewerkschaften haben sich zurückgehal-ten, was neue Arbeitsplätze geschaffen hat. In der Tat sei-en die nominalen Lohnstückkosten in den letzten Jahrendeutlich hinter der Entwicklung anderer Länder zurückge-blieben. Während die deutschen Lohnstückkosten von 1999bis 2006 nur um 0,6% stiegen, nahmen die Lohnstückkos-ten der anderen Euroländer im Durchschnitt um 15,9% zu,was für Deutschland eine relative Lohnkostensenkung von13,2% bedeutete. Das habe die Wettbewerbsfähigkeit derimmer noch sehr teuren deutschen Arbeitnehmer wieder et-was verbessert. Allerdings gebühre das Lob hierfür weni-ger den Gewerkschaften als der allgemeinen Preiszurück-haltung in Deutschland und der Agenda 2010. Dies begrün-de auch die beiden nächsten Hypothesen.

Hypothese 3: Deutschland hat langsamer inflationiert als dieanderen Euroländer und ist damit insgesamt wettbewerbs-

fähiger geworden. Ökonomen nennen dies reale Abwertung.Tatsächlich habe Deutschland gemessen am Preisindex fürdas Bruttoinlandsprodukt von 1999 bis 2006 im Euroraumum 11,4% (handelsgewichtet um 10,9%) abgewertet. Diessei der Hauptgrund für das Zurückbleiben der deutschenLohnstückkosten. Von dem Vorteil bei der Verminderung derLohnstückkosten gegenüber den anderen Euroländern(13,2%) würden deshalb also nur etwa 2 Prozentpunktedurch eine reale Lohnzurückhaltung erklärt werden.

Hypothese 4: Die Agenda 2010 wirkt. Schröder habe einerMillion Menschen im Westen und einer Million Menschenim Osten die Arbeitslosenhilfe gestrichen und sie mit demArbeitslosengeld II faktisch zu Sozialhilfeempfängern ge-macht. Außerdem habe er die Bezugsdauer des Arbeitslo-sengeldes I für ältere Arbeitnehmer von 32 auf 18 Monategesenkt. Das alles habe die impliziten Lohnansprüche, diedurch den Lohnersatz definiert waren, gesenkt und ein we-nig Bewegung in die Lohnfront gebracht, was auch ein Bei-trag zum Jobwunder der letzten zwei Jahre war. Man kön-ne die Effekte zwar noch nicht quantifizieren, ein Indiz fürdie Richtigkeit der Hypothese sei aber, dass die Beschäfti-gung der über 50-jährigen Arbeitnehmer im Verlauf des Jah-res 2006 um 4,9% zugenommen habe, während im Durch-schnitt über alle Altersklassen nur ein Plus von 1,6% zu ver-zeichnen sei.

Hypothese 5: Die Konjunktur wird vom Ersatzzyklus der In-vestitionen getragen. Diese These sei, wie ein Blick auf dieTrendzerlegung der Nachfragekomponenten des Sozialpro-dukts zeige, unabweisbar. Investitionen seien die Cycle Ma-kers. Sie schwanken viel stärker als andere Komponentender gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und erzeugen da-durch das Auf und Ab, das man Konjunktur nennt. Der deut-sche Investitionszyklus war bislang etwa zehn Jahre lang,scheine sich nun aber etwas verkürzt zu haben. Die Kon-junktur werde jedenfalls maßgeblich davon erklärt. Dass

die Investitionen die Konjunktur machen, gel-te freilich nicht nur für Deutschland, sondernfür die ganze Welt.

Hypothese 6: Die deutsche Konjunktur folgtder Weltkonjunktur, weil wir viel exportieren.Auch diese Hypothese stimme ohne Zwei-fel, denn die Weltkonjunktur brumme wieschon lang nicht mehr. In diesem Jahr wer-de die Weltwirtschaft zum vierten Mal hinter-einander mit einer Rate von etwa 5% wach-sen. Das habe es seit 1950 nicht mehr ge-geben. Bestenfalls verzeichnete man Wachs-tumsraten von 5% oder mehr immer nur fürmaximal drei Jahre.

Zwischen der Hypothese 6 und der Hypo-these 5 gebe es keinen Widerspruch, denndie Weltkonjunktur werde ebenfalls durch den

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Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts

Daten und Prognosen

Investitionszyklus erklärt. Nach Aussage des ifo Präsiden-ten ergänzen sich die Hypothesen sogar gerade im deut-schen Fall in besonderer Weise, weil sich Deutschland beimExport auf Investitionsgüter spezialisiert hat. Das Land pro-fitierte deshalb vom Aufschwung der Weltwirtschaft relativmehr als die anderen Euroländer und konnte von derSchlusslichtposition beim Wachstum auf eine durchschnitt-liche Position aufsteigen. Es könnte aber später aus demgleichen Grunde vom Abschwung stärker betroffen sein.Dass man Jahrzehnte lang alle Kräfte auf den Aufbau desExports gesetzt und dabei die Binnensektoren vernachläs-sigt habe, führe zu einer besonders hohen Konjunkturab-hängigkeit des Landes. Im Boom werde Deutschland zwarstärker als die anderen Euroländer hochgehoben, dafür sa-cke es in der Flaute umso stärker nach unten. Deshalb seies wichtig, die Kräfte, die gemäß Hypothese 4 von der Agen-da 2010 ausgehen, weiter zu stärken. Sie werden langfris-tig zum Aufbau dienstleistungsintensiver Binnensektoren bei-tragen und so die Konjunkturabhängigkeit der deutschenWirtschaft verringern.

Was die Reallohnentwicklung in Deutschland betrifft, be-zog sich Sinn auf eine jüngste Veröffentlichung des Arbeits-ministeriums, die zu einer umfangreichen Reaktion in denMedien führte. Danach waren die realen, also preisberei-nigten Nettolöhne der Arbeitnehmer in Deutschland im ver-gangenen Jahr so niedrig wie seit 1986 nicht mehr. Tatsäch-lich sind die Löhne in den letzten Jahren unter Druck ge-kommen, und die bereinigte Lohnquote, also der Anteil derArbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen unter Berück-sichtigung der Verschiebung in der Struktur der Erwerbstä-tigkeit in der Zeit seit 1980 hat sich verringert. Schon in denachtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war sie spürbarrückläufig gewesen, und die letzte mehrjährige Phase mit ei-nem spürbaren kontinuierlichen Anstieg (1970 bis 1974) liegtschon mehr als drei Jahrzehnte zurück. Irreführend seienaber die Interpretationen der vom Arbeitsministerium veröf-fentlichten Zahlen durch manche Medien. Hinter dem ge-ringen Anstieg der Nettorealeinkommen in den letzten20 Jahren verberge sich nämlich vor allem ein Strukturef-fekt. Es seien in den letzten Jahren sehr viele Teilzeitstellenund marginale Beschäftigungsverhältnisse, wie Minijobs undEin-Euro-Jobs, entstanden, die es bei höheren Löhnen nichtgegeben hätte. Das habe zwar den Durchschnitt gesenkt,besage aber nicht, dass hier eine problematische Entwick-lung eingetreten wäre. Denn schon der monatliche Netto-reallohn eines westdeutschen Facharbeiters sei viel stärkergestiegen. Beim Alleinstehenden verzeichne die Statistik einPlus von 25%, beim Verheirateten unter Hinzurechnung desgesetzlichen Kindergeldes eines von 53%. Das heißt, Nor-malarbeitsverhältnisse hätten in den letzten Jahrzehnten sehrwohl eine deutliche Steigerung der realen Stundenverdiens-te gebracht: immerhin seit 1970 je nach Familienstand einPlus von etwa der Hälfte bis zu drei Vierteln dessen, wasman damals verdient habe.1

Branchenforen

Wie üblich beim ifo Branchen-Dialog fanden in je zwei Pa-rallelveranstaltungen die Foren »Industrie« und »Handel« so-wie »Dienstleistungen« und »Bauwirtschaft« statt. Im Folgen-den werden einige zentrale Ergebnisse der Foren dargestellt.Ein ausführlicher Tagungsband kann beim ifo Institut zumPreis von 200 € + MwSt. bezogen werden.2

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1 Vgl. Hans-Werner Sinn, Eine Anmerkung zur Reallohnentwicklung inDeutschland, ifo Schnelldienst, Jg. 60, Nr. 19, 2007, S. 23–26.

2 Bitte richten Sie Ihre Bestellung per E-Mail an [email protected]

Daten und Prognosen

Branchenforum 1: Konjunkturelle Entwicklungen im verarbeitenden Gewerbe

Hans-Günther Vieweg und Reinhard Hild

Die robuste Binnennachfrage federt die euro-päische Industrie gegenüber den zunehmendenweltwirtschaftlichen Belastungen ab

Im Forum 1 wurden in drei Vorträgen die Perspektiven derIndustrie beleuchtet. Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Ver-bandes der Chemischen Industrie, Frankfurt, analysierte diechemische Industrie und ihre Spezialisierung am StandortDeutschland. Mit Verweis auf die Innovationskraft der Bran-che begründete er seine positive Einschätzung der länger-fristigen Entwicklungspotentiale. Auch kurzfristig sind dieAussichten – trotz der Spannungen auf den Rohstoffmärk-ten und der leichten Abschwächung der Weltwirtschaft – fürein weiteres Wachstum gut. Hans-Joachim Frank, Leiter desBranchen-/Immobilien-Teams der Deutsche Bank Research,Frankfurt, untersuchte die Aussichten für die deutsche In-dustrie. Er ging von der Einschätzung, dass die Sub-prime-Krise in den USA realwirtschaftlich nur begrenzte Auswir-kungen auf Deutschland haben werde, aus. Für die Inves-titionsgüterindustrie prognostizierte er eine leichte Abschwä-chung im kommenden Jahr, während die bisher wenig dy-namische Konsumgüterindustrie aufgrund einer verstärktenNachfrage der privaten Haushalte mit einer Beschleunigungrechnen könne. Hans-Günther Vieweg, ifo Institut, bettetedie Tendenzen für die deutsche Industrie in einen weltwirt-schaftlichen Rahmen ein. Insbesondere zeigte er, dass diein Europa, verglichen mit den USA und Japan, robustereBinnennachfrage dazu beiträgt, dass die Expansion der In-dustrieproduktion 2008 weniger gedämpft wird als in denbeiden anderen Volkswirtschaften. Für 2009 entwickelte erein Szenario, das zu einer Stagnation derIndustrieproduktion in Deutschland führenkann. Die Annahmen für eine solche Entwick-lung sind die ausgeprägte konjunkturelle Zy-klik der Investitionsgüterindustrie, die fürDeutschland von herausragender Bedeutungist, sowie der gegenwärtige Auftragsschub,der sich in dem zunehmend schwierigerenweltwirtschaftlichen Umfeld abflachen wird,und der Wettbewerbsnachteil durch denstarken Euro, der in einem Umfeld schwä-cher wachsender Märkte stärkere Wirkungentfalten wird. Unter diesen Bedingungenwird die Investitionsgüterindustrie das für2008 prognostizierte neue Rekordniveaunicht halten können. Dieses Thema wurdekontrovers diskutiert und eine so starke Ab-kühlung von den meisten Diskutanten mit ei-nem Fragezeichen versehen.

Die konjunkturelle Entwicklung der Weltwirtschaft hatte aus-gehend vom Tiefpunkt im Jahr 2001 laufend an Dynamikgewonnen. Seit 2004 nimmt das globale Bruttoinlandspro-dukt mit Raten zwischen 4 und 5% zu. Die Dauer und Dy-namik der Expansion ist im historischen Vergleich bemer-kenswert. Noch stärker – mit etwa 5,5% p.a. – wuchs imZeitraum bis 2006 die weltweite Industrieproduktion, vorallem getrieben von der Entwicklung in den Schwellenlän-dern. Für die reifen Industrienationen lag das Wachstumbei rund 3%.

Die Industrie in der Triade hatte zu Beginn des Jahrzehntsnach dem Zusammenbruch der »New-Economy-Blase« ei-ne Rezession durchlebt. Im folgenden Aufschwung wurdedie Produktion in den USA und in Japan besonders starkausgeweitet, was zu einem wesentlichen Teil durch eine imTrend expansivere Inlandsnachfrage als in der EuropäischenGemeinschaft zu erklären ist. In Europa erfolgte der An-stieg der Industrieproduktion zeitverzögert. Zwar profitiertendie europäischen Unternehmen auch von der guten Welt-konjunktur, jedoch blieb die Binnennachfrage bis Mitte desJahrzehnts schwach. Erst 2005 zog sie allmählich an undgewann an Dynamik. 2006 verringerten sich die Unterschie-de im Wachstumstempo in der Triade. Die Industrieproduk-tion der USA, Japans und der EU-15 nahm um 4,0%, 4,3%und 3,9% zu (vgl. Abb. 1).

Der Export mildert die Auswirkungen der Immobilienkrise für die US-Industrie

Die Dämpfung der wirtschaftlichen Aktivität hatte sich in denVereinigten Staaten schon vor Beginn der Immobilienkriseangedeutet.3 Unter anderem hatte das Wachstum der In-

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USA Japan Euroland

Quelle: OECD; Goldman Sachs; ifo Institut.

Industrieproduktion in der Triade

Veränderungsraten in %

Abb. 1

3 Vgl. D. Holland, E. Khoman und A. Orazgani; »Unemployment and Em-ployment in North America«, NIER No. 202, October 2007, 17.

Daten und Prognosen

dustrieproduktion seit dem zweiten Halbjahr 2006 an Dy-namik verloren, und die Investitionstätigkeit des Unterneh-menssektors sank (vgl. Abb. 2). Der Einbruch beim Woh-nungsbau hat die Produktion von Baumaschinen schon imersten Halbjahr 2007 um mehr als ein Viertel einbrechen las-sen, ebenso war auch die Herstellung von Möbeln und Ähn-lichem schon seit geraumer Zeit rückläufig. Die Produktionvon Lastkraftwagen (Heavy duty trucks) ist in diesem Zeit-raum um fast ein Drittel geschrumpft. Insgesamt hat die In-dustrieproduktion in den ersten sechs Monaten des Jahresdennoch um gut 2% zugenommen, was auf Bereiche wiedie Herstellung ziviler Flugzeuge und Navigationsgeräte so-wie Landmaschinen und die Veredelung landwirtschaftlicherErzeugnisse zurückzuführen ist. Die Ordertätigkeit hat imMittel der ersten acht Monate schon stagniert, zuletzt warder Auftragseingang sogar rückläufig. Für das Gesamtjahr2007 kann die Industrieproduktion der USA aufgrund ho-her Auftragsbestände dennoch ein Plus von preisbereinigt2% erreichen.

Im kommenden Jahr dämpft die Immobilienkrise die Binnen-nachfrage, sowohl Investitionen und der private Verbrauchentwickeln sich schwach. Die Bestellungen aus dem Aus-land – getragen von der vor allem gegenüber der Konkur-renz aus dem Euroraum verbesserten Wechselkursrelation– können die kontraktiven inländischen Effekte mehr als kom-pensieren. Schon im laufenden Jahr haben die Ausfuhrenbis August 2007 mit zweistelliger Rate gegenüber dem Vor-jahr zugenommen (nominal: 12,9%). Es profitierten nahezualle Sektoren der Industrie, Vorprodukte, Investitionsgüter,Kraftfahrzeuge, Konsumartikel und besonders kräftig legendie Nahrungsmittelexporte zu. Hinzu kommt, dass die Wirt-schaft Lateinamerikas weiterhin wächst. Für Brasilien kannsogar mit einer zunehmenden Dynamik gerechnet werden.Unter diesen günstigen Bedingungen für die Auslandsnach-frage kann die Industrieproduktion der USA 2008 mit 2,7%expandieren (vgl. Tab. 1).

Eine schwache Binnennachfragedämpft die Industrieproduktion Japans

Die japanische Industrie profitiert insbeson-dere von der Nähe zu den asiatischenWachstumsmärkten gegenüber den Konkur-renten aus den USA und vor allem ausEuropa. Sie war deshalb auch in der Lage,die Phase von Stagnation und deflationärenTendenzen in den neunziger Jahren unbe-schadet zu überstehen. Im laufenden Jahr-zehnt weist die Industrieproduktion einen vo-latilen Verlauf bei im Durchschnitt dennochhohen Wachstumsraten auf. Die Entwicklungkorrespondiert mit dem unsteten Verlauf desBruttoinlandsprodukts. Die Stagnation derIndustrieproduktion im Verlauf von 2005 wur-

de allerdings nicht nur durch die Binnennachfrage, sondernauch durch zeitweise schwache Exporte induziert.

Seit 2006 expandieren die Ausfuhren mit zweistelliger Ra-te, ohne Anzeichen einer Ermüdung bis ins dritte Quartal2007. Allerdings hat sich die Binnennachfrage abgekühlt.Insbesondere das seit 2005 gute Investitionsklima trübtsich seit Mitte 2006 deutlich ein. Diese Entwicklung hat sich2007 in den Auftragseingängen für die Investitionsgüter-industrie niedergeschlagen. Die Inlandsorders für Maschi-nen sind bis Juli um 5,7% gefallen, während die Auslands-bestellungen weiter kräftig mit 6,7% expandierten. Trotzdieser Schwäche kann die Industrieproduktion – da siemit einem Überhang in dieses Jahr startete – 2007 um 2,7%zulegen.

Die in die Zukunft weisenden Konjunkturindikatoren der In-dustrie zeigen bis zuletzt eine vom Inland ausgehende ab-schwächende Dynamik an. Branchen, die stark exportori-entiert sind, leiden hierunter weniger. Sie profitieren sowohlvon der Expansion der Schwellenländer als auch vom schwa-chen Yen-Kurs. Kennzeichnend ist in diesem Kontext diepositive Einschätzung der Zukunftsaussichten des Schiff-baus, der sich in der Konkurrenz zu den Anbietern aus Chi-na und Südkorea unter den gegebenen Randbedingungengut behaupten kann (vgl. Abb. 3). In Anbetracht der Stärkejapanischer Unternehmen auf den Weltmärkten kann, trotz

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Private fixed investmentIndustrial equipmentTransportation equipmentEinkaufsmanagerindex

Quelle: Bureau of Economic Analysis; Berechnngen des ifo Instituts.

Konjunkturindikatoren für die US-Industrie

Veränderungen gegenüber Vorjahr in % Einkaufsmanagerindex (umbasiert)

Abb. 2

Tab. 1

Die Industrieproduktion in der Triade

Veränderung gegenüber Vorjahr in %

Land/Region 2005 2006 2007 2008 2009

Deutschland 3,2 6,0 6,0 4,0 0,0

EU-15 1,1 3,9 4,0 3,0 1,0

USA 3,3 4,0 2,0 2,7 –

Japan 1,6 4,3 2,7 3,2 –

Quelle: Cambridge Econometrics; ifo Institut.

Daten und Prognosen

einer schwachen Binnennachfrage die Industrieproduktion2008 beschleunigt, mit 3,2%, zulegen.

Die Binnennachfrage in der EU-15 hat bis zuletztan Dynamik gewonnen

Die europäische Industrie hatte über viele Jahre der laufen-den Dekade trotz einer starken Nachfrage von außerhalbdes Binnenmarktes einen ausgeprägten Investitionsatten-tismus gepflegt. Erst mit dem Anspringen der Binnenkon-junktur sind die Unternehmen auch wieder bereit, stärkerzu investieren (vgl. Abb. 4). Diese Tendenz hat bis zuletzt an-gehalten und steht im Kontrast zu der Situation in den USAund in Japan. Selbst die in den letzten Jahren eingetretene,sich gegenwärtig beschleunigende Verschlechterung derPreiswettbewerbsfähigkeit hat bisher noch keine gravie-

renden Wirkungen auf die Investitionsbereit-schaft gezeitigt.

Die Auftragstätigkeit weist bis in das dritteQuartal keine Ermüdungserscheinungen auf.Die Bestellungen aus der Europäischen Ge-meinschaft für die Industrie haben im Juli undAugust 2007 mit einem Plus von gut 8% be-schleunigt zugenommen, gegenüber etwa7% im Durchschnitt der ersten acht Mona-te. Die Aufträge aus Nicht-EU-Ländern hat-ten in diesem Zeitraum um etwa ein Fünftelzugelegt, allerdings zuletzt etwas an Dyna-mik verloren. Dennoch liegen die Orders inden beiden letzten Berichtsmonaten, Juli undAugust, um mehr als ein Zehntel über demWert des Vorjahres. Die laufende Geschäfts-tätigkeit und die im historischen Vergleich ho-hen Auftragsbestände sichern eine Expan-sion der Produktion im bisherigen Tempo, je-

doch wird ein stärkeres Wachstum angesichts der hohenKapazitätsauslastung von über 83%4 im laufenden Quartalund Engpässen bei der Personalbeschaffung kaum zu er-reichen sein. Die Industrieproduktion kann 2007 in der EU-15 um gut 4% zulegen.

Eine Reihe von Belastungen trübt die Aussichten für dasJahr 2008. Dies ist neben der Krise auf den Finanzmärkten,deren Auswirkungen gegenwärtig noch nicht abzuschät-zen sind, die Dämpfung der wirtschaftlichen Aktivität in denUSA sowie in Japan und die Spannungen auf den Devisen-märkten. Die Preiswettbewerbsfähigkeit der europäischenIndustrie hat sich wegen des starken Euro seit 2000 grund-legend verschlechtert, gegenüber dem US-Dollar um 32,6%,gegenüber dem japanischen Yen sogar um 37,4% (vgl.Tab. 2). Gegenüber der japanischen Konkurrenz hat die Preis-wettbewerbsfähigkeit sogar noch stärker abgenommen, als

es die Wechselkurse signalisieren. Die Ursa-che liegt in der traditionell sehr niedrigen In-flationsrate, die fast immer geringer als in derEurozone ist. Die Unterschiede in den Pro-duzentenpreisindizes signalisieren für Japaneinen zusätzlichen Vorteil. Demnach hat diepreisliche Konkurrenzfähigkeit der europäi-schen Hersteller im Betrachtungszeitraumum insgesamt 44% abgenommen.5

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2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Maschinen für die Industrie

Schiffbau

Fahrzeugbau

Industrie gesamt

Quelle: Tankan; ifo Institut.

Konjunkturindikatoren für die japanische Industrie

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Straßenfahrzeugbau

Europäische Gemeinschaft

Quelle: Umfrage der DG ECFIN; Berechnung des ifo Instituts.

Veränderungen gegenüber Vorjahr in %

Investitionstätigkeit in der europäischen Industrie

Abb. 4

4 Auffällig ist die ungleiche Auslastung: Für Deutschlandund Frankreich werden deutlich über dem langfristi-gen Mittel liegende Werte ausgewiesen, für Italien undSpanien liegen sie nahe dem Mittelwert.

5 Die Veränderung der Preiswettbewerbsfähigkeit ge-genüber den USA ist für 2007 mit einem Jahresmit-telkurs von 1,37 US-Dollar gleich 1,00 € gerechnetworden. Hier hat sich in den letzten Wochen eine dra-matische Verschlechterung aufgrund des raschenWertverlusts des US-Dollar ergeben.

Daten und Prognosen

Die Geschäftsklimaindikatoren für die Industrie zeigen amaktuellen Rand eine leichte Eintrübung (vgl. Abb. 5). So-wohl für die gesamten Industrie als auch die Metallverar-beitung, die aufgrund des hohen Anteils an Investitions-gütern eine stärker ausgeprägte konjunkturelle Zyklik be-sitzt, weist der Vertrauensindikator auf eine Dämpfung hin.Das Muster ist typisch für eine Situation, in der die Kon-junktur den Höhepunkt der Dynamik überschritten hat.Während die Industrie insgesamt etwas eher und auf nied-rigerem Niveau eine Verlangsamung des Wachstums mel-det, reagieren die Unternehmen der Metallverarbeitungetwas verzögert und bei höheren Werten. Dieses Bild amaktuellen Rand ist vergleichbar mit den Jahren 1989, 19951998 und 2000.

Eine temporäre Dämpfung der weltwirtschaftlichen Dyna-mik deutet sich für das Jahr 2008 an. Aufgrund der robus-ten Inlandsnachfrage ist Europa bis zu einem gewissen Gra-de gegenüber dem schwächeren Wachstumstempo in an-deren Regionen immunisiert. Die Industrie mit ihrer starkenaußenwirtschaftlichen Verflechtung kann sich jedoch nichtgänzlich abkoppeln. In dem veränderten Umfeld eines nach-lassenden Weltwirtschaftswachstums wirkt die Stärke des

Euro zunehmend als Hemmnis. Auf enger werdenden Märk-ten nimmt der Preisdruck zu, und der starke Euro wird zueinem gewichtigeren Handicap. Die Industrieproduktion imEU-15-Raum wird 2008 trotz robuster Binnennachfrage vor-aussichtlich nur noch um etwa 3% zulegen.

Die deutsche Industrie profitiert gegenwärtig vonihrer starken Ausrichtung auf die Herstellung vonKapitalgütern und der weltweiten Präsenz ihrerUnternehmen

In Deutschland befindet sich das verarbeitende Gewer-be seit 2004 in einem dynamischen Aufschwung. So istdas industrielle Produktionsvolumen – gemessen am (rea-len) Produktionsindex der amtlichen Statistik – 2006 um6% gewachsen, nachdem es bereits 2004 um 4,5% und2005 um 3,2% zugelegt hatte. Dieser Wachstumsprozesssetzte sich 2007 mit zunächst unverminderter Intensitätfort, und in der ersten Hälfte dieses Jahres lag die realeProduktion des verarbeitenden Gewerbes um 7% überdem Stand der entsprechenden Vorjahresperiode.

Das gegenwärtige Wachstum der industriel-len Produktion steht auf einer soliden Ba-sis, denn die Nachfrage nach industriellenErzeugnissen hat in den letzten drei Jahrenstärker zugenommen als deren Fertigungs-volumen. Nach einem Plus von 6,8% in 2004und 4,9% in 2005 war der reale Auftragsein-gang des verarbeitenden Gewerbes im Jah-resdurchschnitt 2006 um 9% größer als imJahr zuvor, und bis zur Jahresmitte 2007 lager um 10,2% über dem Vergleichswert desVorjahres. Durch diese überaus lebhafte Or-dertätigkeit nahm der Auftragsbestand trotzder Steigerung der Produktion weiter zu, unddie Kapazitätsauslastung der deutschen In-dustrie stieg – saisonbereinigt – von Juni2005 bis Juni 2007 von knapp 82,7 auf86,8%.

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Tab. 2

Veränderung der Preisposition der europäischen Industrie gegenüber wichtigen Konkurrenten

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Währung Wert der Fremdwährung gegenüber EUR (2000 = 100)

US-Dollar 100,0 103,1 97,7 81,6 74,3 74,2 73,6 67,4

Yen 100,0 91,5 84,3 75,9 74,0 72,7 68,1 62,6

Region Produzentenpreise der Industrie (2000 = 100)

Euroland 100,0 102,1 102,0 103,4 105,8 110,2 115,8 118,6

USA 100,0 100,8 100,1 102,7 107,0 113,0 117,5 121,0

Japan 100,0 98,9 97,4 96,4 97,5 100,1 103,8 106,2

Konkurrent Verbesserung (+) / Verschlechterung (–) der Preisposition (Basis: 2000)

USA 1,9 – 4,1 – 18,9 – 24,9 – 23,9 – 25,4 – 31,3

Japan – 11,3 – 19,5 – 29,2 – 31,8 – 34,0 – 39,0 – 44,0

Quelle: Europäische Zentralbank; Bureau of Labor Statistics; Bank of Japan; Berechnungen des ifo Instituts.

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1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Metallindustrie

Gesamte Industrie

Quelle: DGEcFin; Berechnungen des ifo Instituts.

a) Deutschland, Frankreich, Großbritanien, Italien und Spanien

Vertrauensindikator der gesamten europäischen Industriea)

Abb. 5

Daten und Prognosen

Ursache der markant aufwärtsgerichteten Entwicklung imVerlauf der Jahre von 2004 bis 2007 war vor allem das kräf-tige Anziehen der Auslandsnachfrage: Im Jahresdurchschnitt2004 lag der Index des realen Auftragseingangs aus demAusland um knapp 9%, im Mittel des Jahres 2005 um 8,4%über dem Stand des Vorjahres. 2006 machte der Anstiegsogar 11% aus, und im Durchschnitt des ersten Halbjahrs2007 war das Niveau der neuen Auslandsorder um gut 12%höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Hinzu kam allerdings, dass im Verlauf des Jahres 2005 auchdie inländische Nachfrage nach Erzeugnissen des verar-beitenden Gewerbes merklich anzog. Nach nur 1,6% imJahresdurchschnitt 2005 belief sich 2006 das reale Plusbeim inländischen Auftragseingang auf 7%, und im erstenHalbjahr 2007 führte die Fortsetzung des Anstiegs zu einemBestellvolumen, das um 8,2% über dem Stand des gleichenVorjahreszeitraums lag. Der nunmehr schon seit drei Jah-ren zu beobachtende konjunkturelle Aufschwung des ver-arbeitenden Gewerbes ist also nicht nur exportgetrieben,sondern wird zunehmend von einer wachsenden Inlands-nachfrage gestützt, wenngleich deren Dynamik nicht so aus-geprägt ist wie die des Auslandsgeschäfts. Aber immerhinliegt das Niveau des inländischen Auftragseingangs inzwi-schen real bereits wieder um mehr als ein Zehntel über demStand des letzten Boomjahres 2000.

Seit etwa einem Jahr wirkt sich diese konjunkturelle Bele-bung auch positiv auf die Beschäftigungsentwicklung aus.Während die Zahl der Arbeitnehmer im verarbeitenden Ge-werbe 2005 noch um 1,4% schrumpfte und auch 2006weiter leicht zurückging (– 0,5%), kam es im ersten Halb-jahr 2007 zu einem Anstieg um 1,3%. Die geleisteten Ar-beitsstunden nahmen sogar um 1,5% zu. Der konjunktu-relle Aufschwung steht damit inzwischen auf einem soli-den Fundamt.

Der vom ifo Institut ermittelte Geschäftsklimaindex hat sichdementsprechend für das verarbeitende Gewerbe seit Mit-te 2005 sehr positiv entwickelt, bewegt sich seit dem Früh-jahr 2006 bereits über dem Niveau der letzten Boomphaseim Jahr 2000. Dies gilt vor allem für die bis zuletzt extremgute Bewertung der aktuellen Geschäftslage. In den Ge-schäftserwartungen für die bevorstehenden sechs Monateist die Euphorie zwar nicht ganz so deutlich ausgeprägt,doch liegt auch dieser Indikator signifikant im positiven Be-reich. Dieser Aufwärtstrend im Geschäftsklima verlief unge-bremst bis zum Frühjahr 2007. In den Sommermonaten die-ses Jahres kam es allerdings zu einer leichten Korrektur,die mit einer fast zeitgleichen Abschwächung des Auftrags-eingangs korrespondierte. Auf die Jahreswachstumsrate derindustriellen Produktion im Jahr 2007 werden diese erstenBremssignale wegen des noch sehr hohen Auftragsbestandskeine nennenswerten Auswirkungen haben. Die Hochrech-nung der vom ifo Institut durchgeführten Branchenschät-

zungen weist auf einen Zuwachs der industriellen Produk-tion 2007 von real 6%6 hin.

Für die Abschätzung der Entwicklung im kommenden Jahrwird gemäß der Annahmen im Herbstgutachten der Wirt-schaftsforschungsinstitute davon ausgegangen, dass diebelastenden Wirkungen der Finanzmarktturbulenzen undvor allem die davon ausgehenden Stimmungen in Grenzengehalten werden können. Weiterhin wird für 2008 mit ei-nem mittleren Rohölpreis von 80 US-Dollar je Barrel der Sor-te Brent sowie mit einem durchschnittlichen Wechselkursvon 1,40 US-Dollar je Euro gerechnet. Für das Welthandels-volumen wird ein reales Wachstum von 5,8% erwartet, nach8,3% im Jahr 2006 und 5,3% in 2007. Der Konsum der pri-vaten Haushalte in Deutschland wird 2008 mit einem rea-len Plus von voraussichtlich 1,9% erstmals seit dem Jahr2001 wieder spürbar zulegen. Dagegen wird sich dasWachstum der Ausrüstungsinvestitionen mit einer Rate von5% (nach schätzungsweise 10% in 2007) merklich abschwä-chen, nicht zuletzt auch wegen der Vorzieheffekte in dasJahr 2007 infolge der Verschlechterung der Abschreibungs-modalitäten Anfang 2008. Wachstumsmotor wird mit einemrealen Zuwachs von 6,5% aber auch 2008 das Exportge-schäft bleiben, wenngleich die Zunahme wegen des hohenEurokurses und des etwas flacheren Wachstums in Europasowie der nur moderaten Entwicklung in den USA auchhier die Rate geringer ausfallen wird als das in diesem Jahrder Fall ist (2007: 7,8%). Insgesamt dürfte sich das realeBruttoinlandsprodukt in Deutschland 2008 um 2,2% aus-weiten.

Da von einem stärker wachsenden Auslandsgeschäft vor al-lem die Industrie profitiert, kann davon ausgegangen wer-den, dass das verarbeitende Gewerbe auch 2008 gegen-über der Gesamtwirtschaft wieder überproportional zulegenwird. Vor allem die Segmente der Investitionsgüterindustrie(Maschinenbau, Elektroindustrie, Fahrzeugbau, Metaller-zeugnisse) werden von der weltweit lebhaften Investitions-tätigkeit profitieren. Insgesamt wird das reale Produktions-volumen des verarbeitenden Gewerbes im Jahre 2008 vor-aussichtlich um 4% wachsen (nach 6% in 2007).

Überdurchschnittlich zugenommen hat im letzten Jahr miteinem Plus von 6,5% das Produktionsvolumen des In-vestitionsgüterbereichs. Hier bildete das gleichzeitige An-ziehen der Auslandsnachfrage (+ 10,3%) und der Inlands-bestellungen (+ 6,9%) den Hintergrund für die Fortset-zung der kräftigen konjunkturellen Erholung seit dem zwei-ten Halbjahr 2003. Die deutsche Industrie profitiert dabeivon ihrer Spezialisierung auf die traditionellen Investitions-güterbereiche, die im laufenden weltwirtschaftlichen Boom

ifo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

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6 Die Schätzung des ifo Instituts ist konservativ, DB-Research erwartet ei-nen stärkeren Anstieg von 7%, wie Herr Hans-Joachim Frank in seinemBeitrag ausführte.

Daten und Prognosen

besonders stark nachgefragt werden, was insbesondereauf die Industrialisierung der großen Schwellenländer zu-rückzuführen ist.

Im laufenden Jahr setzte sich das kräftige Wachstum derInvestitionsgüterindustrie fort, wobei im ersten Halbjahr2007 die Auslandsorder um gut 14% und die inländischenAuftragseingänge um fast 11% real ausgeweitet wurden.Im Jahresdurchschnitt dürfte sich das Produktionsplus2007 auf etwa 8,5% belaufen. Neben dem Maschinenbauund den Segmenten der Elektroindustrie tragen in diesemJahr auch die Gruppe der Metallerzeugnisse und die Au-tomobilindustrie zur expansiven Entwicklung des Investiti-onsgüterbereichs bei. Für 2008 muss mit einer schwä-cher werdenden Ordertätigkeit gerechnet werden. Aller-dings wird wegen des hohen Auftragsbestands und derlangen Durchlaufzeiten bei der Herstellung von Maschi-nen und Ausrüstungen im Jahresdurchschnitt 2008 dieInvestitionsgüterproduktion noch ein Plus von 5% errei-chen können.

Demgegenüber bleibt die Konsumgüterproduktion dieSchwachstelle des deutschen Industrieportfolios, obwohlsich dieses Segment in letzter Zeit etwas von seinemSchrumpfungsprozess in den Jahren von 2001 bis 2003erholt hat. Auch hier nahmen die Auslandsaufträge abHerbst 2003 kräftig zu, 2006 stiegen sie um 6,6%, im ers-ten Halbjahr 2007 sogar um gut 10%. Der Auftragsein-gang aus dem Inland stagnierte jedoch zunächst weiterauf sehr niedrigem Niveau. lm Laufe des Jahres 2005 kames aber auch hier zu einer Belebung, und 2006 weitetesich die Inlandsnachfrage nach Konsumgütern um real3,5% aus, im ersten Halbjahr 2007 stieg sie verstärkt um4,3%. Das in diesem Segment relativ hohe Gewicht desInlands am Gesamtgeschäft ist vor allem verantwortlichfür eine insgesamt moderate Expansiondes Produktionsvolumens von voraussicht-lich nur 2% im Durchschnitt von 2007, nach2,8% im vergangenen Jahr. Trotz der er-warteten Belebung der privaten Konsum-ausgaben wird der Zuwachs des realenProduktionsvolumens der Konsumgüterin-dustrie 2008 kaum stärker ausfallen als imVorjahr.

Sogar dynamischer als die Investitionsgü-terindustrie expandierte 2006 der Bereichder Vorleistungsgüterproduktion, was vorallem auf lagerzyklische Bewegungen undeinen hohen Bedarf an Vorleistungsgüternin den stürmisch wachsenden Volkswirt-schaften einiger großer Schwellenländerbegründet sein dürfte. Bei einem realen Plusder Auslandsbestellungen von gut 13% undder Inlandsnachfrage von über 8% legte die

Produktion im Jahresdurchschnitt 2006 um 7,6% zu. Imersten Halbjahr 2007 waren die Wachstumsraten der rea-len Nachfrage mit 9% (Ausland) und 7% (Inland) etwasniedriger und dürften zu einem Produktionswachstum von6% im Gesamtjahr 2007 führen, was dem Durchschnittder Industrie entspricht. Im kommenden Jahr wird der Be-reich der Vorleistungsgüter etwas weniger stark wachsenund 2008 voraussichtlich mit einem realen Produktions-plus von rund 3,5% etwas unter dem gesamtindustriellenDurchschnittswert von 4% liegen.

Eine Prognose für das Jahr 2009 ist mit großen Unsicher-heiten behaftet, da es keine Konjunkturindikatoren gibt,die so weit tragen. Dennoch wurde eine Aussage vom ifoInstitut anlässlich des Branchen-Dialogs gewagt, um einebessere Vorstellung über den erwarteten Verlauf des Kon-junkturzyklus vermitteln zu können. Wesentlich für eine Ab-schätzung der Tendenz der Industrieproduktion im Jahr2009 ist die Entwicklung der Weltkonjunktur im kommen-den Jahr.

2008 wird von einer sich abschwächenden Binnennach-frage in den USA und in Japan gekennzeichnet sein, diesich u.a. in einer nachlassenden Investitionsbereitschaftausdrückt. In Europa entwickelt sich die Binnennachfragetrotz dämpfender externer Effekte wie der hohen Preisefür Rohstoffe und den starken Euro weiterhin robust. Diegroßen Schwellenländer werden von den Folgen der Sub-prime-Krise in den USA nur in beschränktem Umfang be-einträchtigt. Eine nennenswerte Ausnahme wird Mexikosein. Ihr dynamischer Industrialisierungsprozess ist wesent-lich für ein weiterhin kräftiges Wachstum der Weltwirtschaft.Allerdings werden die Zuwächse aufgrund der konjunktu-rellen Schwäche in den USA und Japan geringer als bis-her ausfallen.

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Quelle: VDW-Datenbank; andere nationale Werkeugmaschinenverbände; EZB; Berechnungen des ifo Instituts.

a) Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien, Schweiz, Tschechische Republik, USA, Rep. Korea, Japan, Taiwan

Veränderung gegenüber Vorjahr:4,4% 28,0% 8,8% 12,7% 18,5% (1.Hj.)Deutschland

Welta)

2000 = 100Auftragseingänge des WerkzeugmaschinenbausAbb. 6

Daten und Prognosen

Die starke Investitionstätigkeit im Gefolge der Globalisierunghatte in der jüngeren Vergangenheit den Herstellern von Ka-pitalgütern einen Boom mit extrem hoher Kapazitätsaus-lastung beschert. Ein positiver Nebeneffekt war, dass sienicht mehr auf jede Angebotsaufforderung reagierten, wasden Preiswettbewerb etwas milderte. Für die Unternehmenaus der Eurozone bot dieser Umstand in Anbetracht desstarken Euro eine gewisse Entlastung. Es ist zu erwarten,dass das etwas schwächere weltwirtschaftliche Wachstumim kommenden Jahr zu einem stärkeren Konkurrenzdruckführen wird. Die Anbieter aus Japan und USA werden ver-suchen, Wachstumspotentiale zu Lasten der europäischenWettbewerber unter Nutzung der für sie günstigen Wech-selkurse auszuschöpfen.

Hinzu kommt, dass die weltweite Investitionstätigkeit dervergangenen Jahre deutlich stärker ausgeweitet wurde,als das globale Bruttoinlandsprodukt anstieg. Als Indikatorfür die Dynamik auf den Märkten wird hier der weltweite Auf-tragseingang des Werkzeugmaschinenbaus zitiert (vgl.Abb. 6). Dies ist ein typisches Muster für einen Konjunktur-aufschwung, das im Falle einer Wachstumsdämpfung odergar eines Abschwungs sich umkehrt. Bisher geben die Kon-

junkturindikatoren zwar keinen Hinweis auf ein Überschrei-ten des Höhepunkts und ein Abgleiten der Weltkonjunkturin eine Rezession. Es gibt jedoch Anzeichen, dass in eini-gen Märkten die Erstellung neuer Kapazitäten soweit vor-angekommen ist, dass sie für ein weiteres kräftiges Wachs-tum ausreichend sind. Auffällig ist die Stahlproduktion Chi-nas, die in der Vergangenheit nicht in der Lage war, dieNachfrage in Anbetracht des hohen Wachstums zu befrie-digen. Stahl wurde in großem Umfang importiert. Inzwischenist China zu einem Nettoexporteur geworden, der mit ho-hen Zuwachsraten Stahl international anbietet. Die Aus-fuhr entspricht gegenwärtig etwa der Produktion der deut-schen Stahlkocher.

Unter diesen Bedingungen kann ein Rückgang der Pro-duktion von Investitionsgütern in Deutschland 2009kaum vermieden werden. Eine solche Entwicklung ist al-lerdings angesichts des für 2008 prognostizierten An-stiegs der Produktion auf ein neuerliches Rekordniveaumehr eine technische Reaktion als ein wirklicher Rück-schlag. Die gesamte Industrieproduktion in Deutschlandwird – aufgrund des hohen Gewichts der Herstellung vonMaschinen und Ausrüstungen – unter den hier beschrie-

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Tab. 3

Wachstumsraten der Produktionsindizes des verarbeitenden Gewerbes Daten: Index 2000 = 100 (kalendermonatlich); Veränderungsraten gegenüber Vorjahr in %

WZ 93 Branche D 95/00 D 00/03 2004 2005 2006 2007a) 2008

a) 2009

a)

D Verarbeitendes Gewerbe 3,1 – 0,4 4,5 3,2 6,0 6,0 4,0 0,0

Vorleistungsgüter 2,9 – 0,5 5,1 2,6 7,6 6,0 3,5 1,0

Investitionsgüter 4,6 0,2 5,1 4,5 6,5 8,5 5,0 – 1,0

Konsumgüter 0,9 – 1,5 1,7 1,8 2,8 2,0 2,0 1,0

Gebrauchsgüter 0,6 – 2,9 1,8 – 0,2 6,5

Verbrauchsgüter 1,1 – 0,7 1,6 2,7 1,2

15 Ernährungsgewerbe 1,6 0,1 2,3 4,3 1,7 2,5 2,0 1,5

16 Tabakverarbeitung 3,6 – 4,5 – 7,7 – 10,7 – 5,9 2,0 1,5 0,0

17 Textilgewerbe – 2,4 – 3,0 – 0,9 – 4,2 – 0,7 1,5 0,5 0,0

18 Bekleidungsgewerbe – 8,2 – 7,4 – 4,0 – 7,9 – 14,2 – 7,0 – 3,0 – 2,0

19 Ledergewerbe – 3,6 – 2,9 – 3,4 – 9,4 – 4,9 10,0 5,0 0,0

20 Holzgewerbe 0,4 – 3,5 3,9 0,2 6,6 – 1,0 1,0 0,0

21 Papiergewerbe 0,7 – 0,5 3,2 2,7 3,3 7,5 3,5 0,0

22 Verlags- und Druckereigewerbe 3,6 – 2,3 2,9 0,4 0,2 – 1,0 1,0 0,0

23 Mineralölverarbeitung 1,3 – 1,4 10,5 3,3 0,1 – 0,8 1,0 0,0

24 Chemische Industrie 3,1 0,5 3,4 4,8 3,7 4,5 3,0 1,5

25 Gummi- und Kunststoffwaren 2,9 0,1 3,8 0,3 4,2 6,0 4,0 2,0

26 Glas, Keramik, Steine und Erden – 0,7 – 3,7 1,4 – 3,7 5,4 8,0 4,0 1,0

27 Metallerzeugung, -bearbeitung 1,9 0,5 4,9 0,5 6,5 6,0 3,5 1,0

28 Metallerzeugnisse 2,6 0,1 4,1 0,8 6,3 7,0 4,0 2,0

29 Maschinenbau 2,7 – 0,3 4,9 4,4 7,7 12,0 5,0 – 5,0

30 Informationstechnik, Büromaschinen 15,7 – 5,6 11,2 33,6 19,9 25,0 10,0 0,0

31 Elektrotechnik 4,1 – 0,1 6,0 2,7 7,2 10,0 4,0 – 2,0

32 Kommunikationstechnik, Elektronik 11,1 – 3,0 19,3 18,6 31,7 5,0 4,0 0,0

33 Mess-, Regel-, Medizintechnik 5,5 0,2 5,4 2,0 9,5 3,5 4,0 1,0

34 Automobilindustrie 8,0 1,6 5,6 3,7 2,4 6,5 5,5 2,0

35 Sonstiger Fahrzeugbau 0,0 4,3 – 0,9 3,2 10,0 – 2,0 5,0 3,0

36 Sonstige Gebrauchsgüter – 1,2 – 4,9 0,3 – 0,1 4,0 2,2 4,0 1,0

37 Recycling 14,9 2,8 20,7 10,0 17,3 15,0 6,0 2,0 a) Prognose vom Oktober 2007.

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

Daten und Prognosen

benen Annahmen 2009 über eine Stagnation kaum hin-auskommen.

Diese Prognose wurde im Forum 1 »Industrie« kontroversdiskutiert. Insbesondere wurden die Annahmen für eine ent-sprechend starke Reaktion der Investitionsgüterindustrie hin-terfragt. Die Entwicklung in den kommenden Monaten wirdeinen Hinweis darauf geben, wie stark die Wachstumsab-kühlung werden kann. Auf Grundlage der Veränderung derKonjunkturindikatoren bis März 2008 wird die vorliegendePrognose aktualisiert und während der Frühjahrskonferenzzur Konjunktur in Europa präsentiert.7

Branchenforum 2: Konjunkturelle Entwicklung im Handel

Manuel Birnbrich, Josef Lachner und Uwe Christian Täger

Im Branchenforum Handel wurden ausgewählte konjunk-turelle und strukturelle Entwicklungen im Groß- und Einzel-handel vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichenRahmenbedingungen in Deutschland und der Weltwirt-schaft dargestellt und auf wesentliche Einflussfaktoren hinanalysiert.

Renaissance des Großhandels im Distributionssystem

In einem ersten Beitrag ging Uwe Chr. Täger vom ifo Ins-titut auf einige strukturelle Entwicklungen im Großhan-del ein, die mehr und mehr auf das deutsche und euro-päische Distributionssystem Einfluss nehmen und primäraus den grundlegenden Veränderungen im Welthandel mitRohstoffen, Investitions- und Konsumgütern resultieren.Dabei wurden die engen Zusammenhänge zwischen denAußenhandelsströmen Deutschlands und der Umsatzent-wicklung der Außen- und Großhandelsunternehmen auf-gezeigt, die aufgrund ihrer Stellung im Distributionssys-tem zunehmend grenzüberschreitende Funktionen über-nehmen. Insbesondere der Großhandel mit Konsumgü-tern, auf den rund 48% des Umsatzvolumens des gesam-ten deutschen Großhandels entfallen, hat in den letztenJahren vermehrt Importfunktionen für die nachfolgendenSektoren, z.B. den mittelständischen Einzelhandel, über-nommen. Der überwiegende Teil preisgünstiger Non-Food-Artikel aus Niedriglohnländern wird von den auf bestimm-te Produktgruppen spezialisierten Import- und Fachgroß-handelsunternehmen distribuiert, da viele der inländischenAbnehmer über unzureichende Ressourcen für derartigeBeschaffungsaktivitäten auf den entsprechenden Welt-märkten verfügen.

Das hohe Wachstum des Welthandels mit preisgünstigenGütern des privaten Konsums hat zu einer vermehrten Ein-schaltung von Unternehmen des Groß- und Außenhandelsin die Distribution dieser Gütergruppen in nahezu allen eu-ropäischen Ländern geführt. Diese Renaissance ist nicht al-lein im Bereich preisgünstiger Konsumgüter zu beobach-ten, sondern auch im Bereich der Investitionsgüter und derindustriellen Vorprodukte und Halbfertigwaren, die vermehrtdurch die Einschaltung von adäquaten Systemen des Groß-handels auf den entsprechenden Weltmärkten gehandeltwerden. Dabei spielen die modernen Systeme der Informa-tion und Kommunikation sowie der kostengünstigen Logis-tik eine stimulierende Rolle.

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7 CESifo International Spring Conference, Berlin, 13. und 14. März 2008.Informationen: Hans-Günther Vieweg, Tel.: 089-9224-1362 E-Mail: [email protected].

Daten und Prognosen

Konjunkturelle Entwicklung: Wirtschaftsboom treibt die Großhandelsumsätze

Die seit Mitte 2003 anhaltende Aufwärtsent-wicklung der Großhandelsumsätze setztesich bis Ende des Jahres 2006 fort. Im ers-ten Tertial 2007 tendierten die nominalenUmsätze nach unten, seither nahmen siewieder zu (vgl. Abb. 7). Im Durchschnitt derMonate Januar bis September 2007 warendie Umsätze um 2,6% höher als im entspre-chenden Vorjahreszeitraum. Dieses Plus istteilweise auf gestiegene Verkaufspreise in ei-nigen Rohstoffbereichen zurückzuführen.Real ergab sich für den gesamten Großhan-del ein Zuwachs um 1,3%.

Besonders stark wurden die Vorjahresum-sätze im Produktionsverbindungshandelübertroffen; hier wurde ein Plus in einer Grö-ßenordnung von rund 4% verzeichnet. Einbeträchtlicher Teil davon war allerdings – wieschon erwähnt – auf erhöhte Verkaufsprei-se zurückzuführen. Real erhöhten sich dieUmsätze um rund 2%. Weniger dynamischverlief die Umsatzentwicklung im Konsum-gütergroßhandel; hier nahmen die Umsätzenominal um rund 2% und real um 1% zu (vgl.Abb. 8 und Abb. 9).

Im Konsumgütergroßhandel konnte vor al-lem der Großhandel mit Gebrauchs- undVerbrauchsgütern zulegen. Die Nominalum-sätze waren in den ersten acht Monaten desJahres 2007 gegenüber dem gleichen Vor-jahreszeitraum um 3,1% höher; real ergabsich ein Anstieg um 4,4%. Die erhöhte Nach-frage resultierte vor allem aus den Importenniedrigpreisiger Non-Food-Artikel für den Ein-zelhandel und der verstärkten Einschaltungvon inländischen Vertriebsgesellschaftendurch ausländische Konsumgüterhersteller,die das Ziel haben, den Absatz der eigenenProdukte im deutschen Distributionssystemeffizienter zu gestalten und kontrollieren zukönnen. Im Großhandel mit Nahrungs- undGenussmitteln wurden die Vorjahresumsät-ze nominal um 1,7% übertroffen, real jedochum knapp 1% verfehlt.

Im Produktionsverbindungshandel waren dienominalen Umsätze in den Monaten Januarbis August 2007 vor allem im Großhandel mit Maschinen,Ausrüstungen und Zubehör höher als zur gleichen Zeit desVorjahres. Sie stiegen um 10,3%; preisbereinigt waren die

Umsätze sogar um rund 16% höher. Für die Preissenkun-gen dürften in erster Linie importierte Produkte aus Nied-riglohnländern ausschlaggebend sein. Auch der Großhan-

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Nominale Umsätze im Großhandel insgesamta)

Index 2003 = 100 in %

saisonbereinigt geglättet Veränderung gegen Vorjahr

a)ohne HandelsvermittlungQuelle: Statistisches Bundesamt.

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Quelle: Statistisches Bundesamt.

Entwicklung der nominalen Umsätze im Konsumgütergroßhandel

Index 2003 = 100

Veränderung gegen Vorjahr saisonbereinigte u.

geglättete Umsatzentwicklung

in %

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Quelle: Statistisches Bundesamt.

Entwicklung der nominalen Umsätze im Produktionsverbindungshandel

Index 2003 = 100

Veränderung gegen Vorjahr saisonbereinigte u.

geglättete Umsatzentwicklung

in %

Abb. 7

Abb. 8

Abb. 9

Daten und Prognosen

del mit landwirtschaftlichen Grundstoffen und lebendenTieren konnte seine Umsätze steigern. Dieser Bereich kamauf ein nominales Umsatzplus von rund 4,0%. Dieses ist al-lerdings ausschließlich auf ein stark erhöhtes Preisniveau zu-rückzuführen, real ergab sich ein Minus von 11%. Der Groß-handel mit sonstigen Rohstoffen und Halbwaren, zu de-nen beispielsweise der Eisen- und Stahlhandel gehört, ver-zeichnete einen Anstieg der nominalen Umsätze um 3,2%,was real einen Rückgang um 0,4% bedeutet.

Die im Rahmen des ifo Konjunkturtests befragten Groß-handelsunternehmen bewerteten im Oktober 2007 ihre Ge-schäftslage zwar bei weitem nicht mehr so positiv wie En-de des Vorjahres, doch waren die Firmen mit guter Lagenach wie vor in der Überzahl (vgl. Abb. 10). Der weiterenEntwicklung sahen sie zuletzt leicht skeptisch entgegen undschätzten ihre Warenbestände vermehrt als zu hoch ein. Dasdürfte wohl dafür ausschlaggebend gewesen sein, dassdie Unternehmen ihre Bestellpläne nach unten korrigierthaben. Für das gesamte Jahr 2007 ist von nominalen Um-sätzen auszugehen, die etwa 3% höher sein werden als imVorjahr. Unter Berücksichtigung der Preissteigerungen aufder gesamten Großhandelsstufe ergibt dies ein reales Plusvon 1%.

Aussichten 2008: Umsatzwachstum schwächtsich etwas ab, …

Für das kommende Jahr 2008 ist einerseits mit einem wei-teren Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Ausrüstungs-investitionen zu rechnen, das sich gegenüber diesem Jahraber etwas abschwächen wird. Andererseits wird der pri-vate Konsum an Intensität gewinnen. Unter Berücksichti-gung eines etwas schwächeren Wachstums der industriel-len Binnennachfrage wird der Produktionsverbindungshan-del im Jahr 2008 nur mit nominal 3% expandieren (real:

0,5%). Vornehmlich infolge der anhaltendhohen Importe von Non-Food-Artikeln ausden kostengünstigen Produzentenländernaus Südostasien wird der Konsumgüterhan-del ein Wachstum von nominal 1,5% aufwei-sen. Insgesamt dürfte der Umsatzanstieg imgesamten Großhandel 2008 mit nominal2,5% (real: 0,5%) etwas geringer ausfallenals 2007.

… die strukturellen Rahmen-bedingungen für den Großhandelbleiben aber günstig

Die Umsatzentwicklung im Produktionsver-bindungshandel sowie im Konsumgütergroß-handel dürfte vom anhaltenden Aufwärts-trend der Importe und Exporte begünstigt

werden. Sowohl der Großhandel mit Maschinen und Aus-rüstungen als auch der Großhandel mit Gebrauchs- und Ver-brauchsgütern sehen sich durch den Vertrieb ausländischerProdukte in der Lage, ihr Warenangebot zu erweitern undabzurunden. Oftmals gelingt es den Firmen auch, mit im-portierten Produkten preisgünstigere Angebote abzugeben.

Für den Großhandel insgesamt werden die Rahmenbedin-gungen trotz einzelner Risiken eher positiv sein. Es ist da-von auszugehen, dass die Großhandelsunternehmen Ak-zeptanz durch ein vermehrtes Angebot von Servicefunktio-nen gewinnen werden. Die einzelnen Unternehmen sehensich gezwungen, nicht nur in verschiedenen Aufgabenbe-reichen wie der Warendisposition, der Steuerung des Nach-schubs, der Lagertechnik oder den Prognoseverfahren Ver-besserungen herbeizuführen, sondern den Prozess der Wa-rendistribution insgesamt zu betrachten und ihn möglichsteffizient zu gestalten. Dabei ergeben sich weitere Chancenfür die Großhändler, denn die Wertschöpfungskette gewinntmit zunehmender Arbeitsteilung an Komplexität. Das gilt ins-besondere in den Sparten, in denen die Fertigung einzelnerKomponenten inzwischen an verschiedenen Standorten er-folgt und damit auch die Distributionsketten länger und in-ternationaler geworden sind.

Einzelhandel bleibt hinter allgemeiner Wirtschaftsentwicklung zurück

Während die deutsche Wirtschaft insgesamt sich noch im-mer in einem starken Boom befindet, fallen die Wachstums-raten des privaten Konsums und der Einzelhandelsumsät-ze deutlich hinter das allgemeine Wirtschaftswachstum zu-rück. Der private Konsum stieg 2006 um preisbereinigt 1%.Dies ist nach der mehrere Jahre anhaltenden Stagnationzwar ein beachtliches, im Vergleich zum Wachstum des

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Quelle: ifo Konjunkturtest.

Salden in Prozent, saisonbereinigt und geglättet

Beurteilung der Geschäftslage

Geschäftserwartungen

Geschäftsklima

Geschäftsentwicklung im Großhandel

Abb. 10

Daten und Prognosen

BIP (2,9%), der Bruttoanlageinvestitionenoder der Im- und Exporte dennoch ein be-scheidenes Ergebnis.

Die Einzelhandelsumsätze stiegen 2006 dasdritte Jahr in Folge, mit nominal 1% und real0,4% allerdings nicht nur langsamer als derprivate Konsum, sondern auch weniger starkals in den beiden Jahren zuvor, und das, ob-wohl 2006 positive Effekte wie die Fußball-weltmeisterschaft und Vorzieheffekte wegender Mehrwertsteuererhöhung die Umsätzestimuliert haben.

Mehrwertsteuererhöhung: 2006 Stimulation, 2007 Dämpfungder Umsatzentwicklung

2007 schlug die Kaufzurückhaltung der Konsumenten we-gen des angehobenen Mehrwertsteuersatzes wie erwartetnegativ auf den Einzelhandel durch. Zwischen Januar undSeptember lagen die Einzelhandelsumsätze um 0,9% (real:1,6%) unter dem Vorjahresergebnis (vgl. Abb. 11).

Die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung auf dieGeschäftsentwicklung im Einzelhandel spiegeln sich auchin den Ergebnisse des ifo Konjunkturtests wider. Seit demletzten konjunkturellen Tiefpunkt im Jahr 2004 beurteiltendie befragten Einzelhandelsfirmen ihre Geschäftslage suk-zessive positiver (vgl. Abb. 12). Gegen Jahresende 2006war der Saldo aus positiven und negativen Stimmen erst-mals überhaupt seit dem Wiedervereinigungsboom 1991wieder positiv, da viele Konsumenten den Kauf langlebi-ger – und damit teurer – Gebrauchsgüter noch vor derMehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 verwirkli-chen wollten. In ihren Geschäftserwartungen wurden dieEinzelhändler in der zweiten Jahreshälfte2006 dagegen immer pessimistischer. DieGeschäftsabschwächung trat 2007 wie er-wartet ein. Bis Mitte 2007 waren die Händ-ler, wie die Geschäftserwartungen zeigen,noch der Meinung, die Nachfrageschwächevom Jahresbeginn ausgleichen zu können,in der Jahresmitte änderten sich dann aberangesichts der tatsächlichen Entwicklungdie Einschätzungen, und es überwogenwieder die Firmen, die mit einer Verschlech-terung rechneten.

Umsatzgewinner und -verlierer 2007

Besonders kräftig waren die Umsatzrück-gänge 2007 in den Einzelhandelsbranchen,

die Ende 2006 noch von vorgezogenen Käufen profitiert ha-ben, z.B. dem Kfz- oder dem Möbeleinzelhandel (vgl. auchAbb. 13). Auch der »Einzelhandel mit Waren verschiedenerArt, Hauptrichtung Nicht-Nahrungsmittel«, zu dem vor allemdie Kauf- und Warenhäuser gehören, und der Versandhan-del hatten deutliche Umsatzeinbußen zu verzeichnen.

Andere Einzelhandelsbranchen dagegen konnten Umsatz-gewinne verbuchen, z.B. der bürowirtschaftliche Einzel-handel, der von der nach wie vor positiven Investitionsnei-gung der Unternehmen profitieren konnte, sowie der Textil-und Bekleidungseinzelhandel, der im April 2007 einen derumsatzstärksten Monate seit der Wiedervereinigung ver-buchen konnte. Ein noch höheres Wachstum erreichte derstark filialisierte Einzelhandelssektor Parfümeriewaren undKörperpflegemittel. Dies zeigt, dass die Konsumenten sichin diesem Jahr zwar mit dem Kauf langlebiger Konsumgü-ter zurückhielten, ihre Ausgaben aber offenbar umso mehrauf klassische Verbrauchsgüter konzentrierten.

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

36

-0.5

2.0 1.9

-0.5

2.11.4

0.4

-1.6

1.0

-0.9

96

98

100

102

104

106

2003 2004 2005 2006 2007 (Jan.–Sept.)

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

Umsatzentwicklung im Einzelhandel insgesamta)

a) Ohne Kraftfahrzeuge und Tankstellen.

Veränderungen gegen Vorjahrin %

nominal

real

Index 2003 = 100, Daten kalender-, saisonbereinigt und geglättet

-50

-40

-30

-20

-10

0

10

2003 2004 2005 2006 2007

-50

-40

-30

-20

-10

0

10

Salden in Prozent, saisonbereinigt und geglättet

Beurteilung der Geschäftslage

Geschäftserwartungen

Geschäftsklima

Geschäftsentwicklung im Einzelhandel

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Abb. 11

Abb. 12

Daten und Prognosen

Prognose: 2007 Minus, 2008 Plus

Das 2007 aufgelaufene Umsatzminus im Einzelhandel vonknapp 1% wird sich in diesem Jahr nicht mehr aufholenlassen, da der Ende 2006 durch vorgezogene Käufe imZuge der Mehrwertsteuererhöhung bedingte Sondereffektin diesem Jahr wegfällt. Trotz der zunehmenden Beschäf-tigung und stärker steigender Nettolöhne wird der priva-te Konsum 2007 – nach dem Wachstum von 1% in 2006 –leicht zurückgehen. Auch die zuletzt wieder negativerenErgebnisse des ifo Konjunkturtests, vor allem die zuneh-mend pessimistischen Geschäftserwartungen in weitenTeilen des Einzelhandels, deuten darauf hin, dass die Un-ternehmen für dieses Jahr nicht mehr mit einer Wenderechnen.

Das ifo Institut erwartet daher für 2007 einen Rückgang derEinzelhandelsumsätze um nominal 1%, wegen der mehr-

wertsteuerbedingt stärkeren Zunahme derEinzelhandelsverkaufspreise real sogar umgut 2%.

Für 2008 sind die Aussichten besser: Zwarwird sich das Wirtschaftswachstum gegen-über diesem Jahr etwas abschwächen. Derprivate Konsum erfährt aber positive Impul-se vor allem durch ein verstärktes Wachstumder verfügbaren Einkommen und eine sichfortsetzende Belebung am Arbeitsmarkt. An-gesichts der höheren Arbeitsplatzsicherheitwird die Sparquote leicht sinken. Von diesergünstigen Entwicklung wird auch der Ein-zelhandel profitieren. Die Umsätze dürftennominal um mehr als 1%, real um etwa 0,5%zunehmen.

Handel im Wandel: Strukturelle Veränderungenund Herausforderungen im Einzelhandel

Nach der Darstellung der konjunkturellen Entwicklung imHandel ging Heinz Pfeiffer, Leiter der Unternehmensentwick-lung der Metro AG, in seinem Beitrag auf die allgemeinenHerausforderungen und Perspektiven für den Handel inDeutschland ein. Er bezeichnete die Zeit seit der Jahrtau-sendwende als »Jahrzehnt des Discounts«, in dem die Dis-count-Formate ihren Marktanteil im Lebensmitteleinzelhan-del auf über 40% ausbauen konnten. Es deute sich zwar einEnde des Wachstumspfades dieser Vertriebsform an, siewerde jedoch auch zukünftig stark bleiben, da die Preisori-entierung der Konsumenten zuletzt etwas zurückgegangen,aber immer noch ein dominierender Faktor für das Kaufver-halten sei.

Weitere aus Sicht des Einzelhandels be-denkliche Tendenzen seien die in den letz-ten zehn Jahren gesunkene Nachfrage nachKonsumgütern in Deutschland bei gleich-zeitig deutlich gestiegener Verkaufsfläche,was die Flächenproduktivität stark vermin-dert hat, sowie das Zurückbleiben der Ein-zelhandelsumsätze hinter der Entwicklungdes privaten Konsums (vgl. Abb. 14). So ha-be sich der Umsatz pro Quadratmeter Ver-kaufsfläche zwischen 1995 und 2006 von3 900 auf 3 100 € verringert. Nur noch 27%aller Konsumausgaben entfallen auf denKauf von Konsumgütern im Einzelhandel.1991 lag der entsprechende Anteil noch beigut 40%.

Gesellschaftliche Trends wie die Alterungder Bevölkerung, die zunehmende Polari-sierung der verschiedenen Einkommens-

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-80

-60

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0

20

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2005 2006 2007

-80

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20

40

60

Kraftwagen Bekleidung

Möbel, Einrichtungsgegenstände Elektr. Haushaltsgeräte u. Unt.elektronik

Büromöbel u. Organisationsmittel Lebensmittel

Salden in Prozent, saisonbereinigt und geglättet

in ausgewählten Einzelhandelszweigen

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Einfluss der Mehrwertsteuererhöhung auf die Beurteilung der Geschäftslage

Abb. 13

90

100

110

120

130

140

1993 1995 1997 1999 2001 2003 200590

100

110

120

130

140

Entwicklung der Konsumausgaben und der Einzelhandelsumsätze

Index 1993=100

Quelle: Statistisches Bundesamt, Berechnungen des ifo Instituts.

Zum Jahreswechsel 2003 Zeitreihenbruch wegen Neuzugangsstichprobe

Konsumausgaben der privaten Haushalte

Umsätze des Einzelhandels

Abb. 14

Daten und Prognosen

gruppen oder das gestiegene Gesundheitsbewusstsein ber-gen aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für denEinzelhandel. Während bestimmte EinzelhandelsformateMarktanteile verlieren werden, profitieren wiederum anderevom gesellschaftlichen Wandel und veränderten Konsum-und Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher. Wachstums-segmente seien zum Beispiel der Online-Handel oder Bio-Lebensmittel. Große Handelsfirmen wie die Metro passenihre Geschäftsmodelle nicht nur im Inland an, sondern ex-pandieren mit erfolgreichen Vertriebskonzepten auch immerstärker in Auslandsmärkten. Lag der Auslandsanteil des Um-satzes der Metro-Gruppe im Jahr 2000 noch bei rund ei-nem Viertel, erreichte er 2006 bereits knapp 56% des Grup-penumsatzes.

Perspektiven für den gehobenen Lebensmittel-einzelhandel

Im abschließenden Vortrag stellte Florian Randlkofer, Mit-glied der Geschäftsleitung der Alois Dallmayr KG, die »In-nenansichten eines Delikatessenhauses« vor. Anhand derFirmengeschichte zeigte er, wie entscheidend es für einHandelsunternehmen ist, zur richtigen Zeit auf vielverspre-chende Wachstumsfelder zu setzen, beispielsweise in dendreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts auf das Kaffeege-schäft oder ab den sechziger Jahren auf den Kaffeeauto-matenservice für Unternehmen. Welche Geschäftspoten-tiale sich für den gehobenen Lebensmitteleinzelhandel aneinem stark vom Tourismus profitierenden Standort wieMünchen bieten, wenn man die aktuell stark ausgepräg-ten Bedürfnisse bestimmter Konsumentengruppen nach»Erlebniseinkauf«, Service, Authentizität und qualifizier-tem Personal zu befriedigen vermag, zeigen Untersuchun-gen des Hauses Dallmayr, die zu dem Ergebnis kommen,dass das Delikatessenhaus in der Münchner Innenstadtvon mehr Personen besucht wird als Schloss Neuschwan-stein. Die Unternehmensphilosophie wird auch an der Ein-stellung des Hauses zu den Besuchern des Ladengeschäftsdeutlich, die nicht als »Kunden«, sondern als »Gäste« an-gesehen werden.

Insgesamt sei der Verkauf von qualitativ hochwertigen Nah-rungs- und Genussmitteln wehr wenig von konjunkturellenEinflussfaktoren abhängig, sondern vor allem von den Öf-fentlichkeits- und Werbeaktivitäten sowie den Marken- undPräsentationstechniken des Hauses Dallmayr. Dabei spieleder Stamm der kontinuierlich geschulten und motiviertenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion und imVerkauf eine entscheidende Rolle.

Branchenforum 3: Konjunkturelle Entwicklung im Bausektor

Erich Gluch

Im einleitenden Referat ließ Erich Gluch, ifo Institut, zu-nächst die Stimmung in der Bauwirtschaft im Frühjahrdes Jahres nochmals Revue passieren. Das ifo Ge-schäftsklima im Bauhauptgewerbe war damals so gutwie letztmals vor 15 Jahren. Aber auch nach einer Um-frage des Deutschen Industrie- und Handelskammerta-ges meldeten im Februar 87% der befragten Bauindus-trieunternehmen eine gute bzw. befriedigende Geschäfts-lage. Ähnlich zufrieden mit ihrer Geschäftslage äußertensich auch die Teilnehmer an der Frühjahrsumfrage desBundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsun-ternehmen. Bezüglich der Geschäftsaussichten warenlediglich rund 15% eher pessimistisch gestimmt. »So po-sitiv war die Stimmung schon lange nicht mehr«, stellteder Verband fest.

Im weiteren Verlauf des Jahres verschlechterten sich jedochdie Lageurteile zusehends. Ab dem Sommer trübten sichauch die Erwartungen ein. Dies gilt vor allem für den Woh-nungsbau – und nur mit Abstrichen für den öffentlichen Bau.Der gewerbliche Bau ist sogar noch – zumindest nach denKlimaindikatoren – nach wie vor »voll in Fahrt«.

Was ist bzw. war verantwortlich …

Die Situation im Wohnungsbau hat sich im Verlauf des Jah-res sichtlich verschlechtert. Der wesentliche Grund hierfürdürfte zuallererst die nahezu totale »Verabschiedung« desStaates aus der Förderung des Wohnungsbaus ab dem1. Januar 2006 gewesen sein. Konkret erfolgten folgendeMaßnahmen:

• Streichung der Eigenheimzulage,• Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen im

Mietwohnungsbau – anstatt einer degressiven AfA ist nurnoch eine lineare Abschreibung möglich – sowie

• Verlängerung der sog. Spekulationsfrist von zwei auf nun-mehr zehn Jahre.

Da es jedoch möglich war, sich die alten, günstigeren Kon-ditionen »auf Vorrat« zu sichern, wurden im vorigen Jahr zahl-reiche Wohnungen und Eigenheime fertig gestellt, mit de-ren Bau noch vor diesem Termin begonnen wurde. Um dieEigenheimzulage zu »retten«, reichte es nämlich aus, einenBauantrag zu stellen oder einen notariellen Kaufvertrag ab-zuschließen. Im Mietwohnungsbau dürften die Vorzieheffek-te durch die Verschlechterung der Abschreibungsbedingun-gen jedoch deutlich geringer gewesen sein.

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38

Daten und Prognosen

Die ins Jahr 2006 vorgezogenen Baumaßnahmen »fehlten«in diesem Jahr, weshalb die Baunachfrage von dieser Sei-te her kräftig gedämpft wird. Auch 2008 dürfte noch keineBesserung eintreten, denn es gibt kaum neue Aufträge inder »Pipeline«.

... für die rasante Verschlechterung im Wohnungsbau?

Nach den Ergebnissen der ifo Architektenumfrage lagendie neu akquirierten Aufträge zur Planung von Ein- und Zwei-familienhäusern im ersten Halbjahr 2007 knapp unter demvergleichbaren Vorjahreswert. Im Geschoßwohnungsbauwar im gleichen Zeitraum sogar ein Rückgang um 10% zuverzeichnen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass dasNiveau der Auftragsvolumina in diesem Teilsegment bereitsseit fast zehn Jahren auf einem ausgesprochen niedrigenNiveau »dahindümpelt«.

Vor allem die Genehmigungsdaten lassen für die nächstenMonate keine positiven Überraschungen bei der Wohnungs-baunachfrage erwarten. In den ersten sechs Monaten die-ses Jahres wurden nämlich nur 46 532 Wohnungen in Ein-und Zweifamilienhäusern genehmigt. Das sind 42% weni-ger als im selben Zeitraum des Vorjahres. Bei den Wohnge-bäuden mit drei und mehr Wohnungen lag die Zahl der Ge-nehmigungen immerhin noch 16% unter dem Vorjahreswert(29 855 gegenüber 35 660 Wohneinheiten).

Die Wohnungsnachfrage könnte jedoch in den nächstenJahren durch einige positive Faktoren stimuliert werden.So gehen die Konjunkturprognostiker beispielsweise da-von aus, dass die Verbesserung der gesamtwirtschaftli-chen Entwicklung zumindest noch bis 2008 anhält. Dieswird auch zu einer leichten Erhöhung der durchschnittli-chen Realeinkommen sowie einer Verringerung der Ar-beitslosigkeit führen. Ein nicht unerheblicher Teil der lan-ge Zeit vorherrschenden Unsicherheiten in der Bevölke-rung wird sich dadurch auflösen. In Wachstumsregionenund in höheren Einkommenskategorien wird demzufolgeauch genügend Kaufkraft für zusätzliche Wohnungsnach-frage entstehen.

Darüber hinaus werden die Hypothekenzinsen – nach denPrognosen der Experten – lediglich moderat ansteigen.Auch die Baupreise dürften nur in Regionen mit stärkeranziehender Wohnungsnachfrage kräftiger zulegen. Undschließlich wird, trotz rückläufiger Bevölkerungsentwick-lung, die Anzahl der Haushalte noch weiter zunehmen. Derdrastische Rückgang der wichtigsten Nachfragergruppe– der 25- bis 35-Jährigen – ist nämlich so gut wie abge-schlossen.

Die Wohnungsfertigstellungen erreichten bereits im Jahr2005 mit der Errichtung von rund 242 000 Wohnungen eintiefes Niveau (vgl. Tab. 4). Dieses wird aber 2007 und 2008noch sichtlich unterschritten. Es dürften nur noch zu 225 000bzw. 192 000 Wohnungen fertiggestellt werden.

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

39

Tab. 4 Wohnungsfertigstellungen in der Bundesrepublik Deutschland nach Teilgebieten und Gebäudearten 1997 bis 20081 000 Wohnungen

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007a)

2008a)

Westdeutschland

In neu errichteten Wohngeb. 337,9 321,5 321,1 296,8 235,5 211,7 199,7 212,1 183,1 190,7 173 149

davon in:

Ein- und Zweifamiliengeb. 155,5 166,6 184,5 182,2 149,7 140,4 136,1 147,1 126,1 125,2 107 87

Mehrfamiliengebäudenb)

182,5 154,9 136,7 114,6 85,8 71,3 63,6 64,9 57,0 65,5 66 62

sonstige Fertigstellungenc) 54,7 47,2 43,8 37,0 29,4 27,3 25,6 25,1 23,7 24,0 22 19

Wohnungen insgesamt 392,6 368,7 364,9 333,8 264,9 239,0 225,3 237,1 206,8 214,7 195 168

Ostdeutschland

In neu errichteten Wohngeb. 163,2 110,7 85,4 71,8 50,4 42,0 36,4 35,7 30,7 29,1 26 21

davon in:

Ein- und Zweifamiliengeb. 55,6 54,0 52,9 47,5 35,7 32,4 29,1 30,1 25,4 24,3 20 15

Mehrfamiliengebäudenb)

107,6 56,8 32,6 24,3 14,8 9,6 7,3 5,6 5,3 4,8 6 6

sonstige Fertigstellungenc) 22,4 21,3 22,3 17,5 10,8 8,6 6,5 5,2 4,9 4,6 4 3

Wohnungen insgesamt 185,6 132,0 107,7 89,3 61,3 50,6 42,9 40,9 35,5 33,7 30 24

Deutschland insgesamt

In neu errichteten Wohngeb. 501,1 432,2 406,6 368,5 285,9 253,7 236,1 247,8 213,8 219,8 199 170

davon in:

Ein- und Zweifamiliengeb. 211,1 220,6 237,3 229,7 185,4 172,9 165,2 177,2 151,5 149,5 127 102

Mehrfamiliengebäudenb)

290,1 211,6 169,2 138,8 100,6 80,8 70,9 70,6 62,3 70,3 72 68

sonstige Fertigstellungenc) 77,1 68,5 66,1 54,5 40,3 35,9 32,1 30,2 28,6 28,7 26 22

Wohnungen insgesamt 578,2 500,7 472,6 423,1 326,2 289,6 268,2 278,0 242,3 248,4 225 192 a)

Prognose des ifo Instituts. – b)

Einschließlich Wohnungen in Wohnheimen. – c) In bestehenden Gebäuden (saldiert) sowie in (neu er-

richteten) Nichtwohngebäuden; bis 2004 nach der bislang üblichen Abgrenzung »Neue Länder inkl. Ostberlin« bzw. »Früheres

Bundesgebiet inkl. Westberlin«.

Quelle: Statistisches Bundesamt; Vorausschätzungen des ifo Instituts.

Daten und Prognosen

Gute Wohnungsversorgung dämpft Neubautätigkeit

Ein nicht zu unterschätzender, dämpfender Faktor für dieNeubautätigkeit stellt die bereits gute Wohnungsversorgungdar. Diese Tatsache forciert aber andererseits eine anhaltendhohe Nachfrage im Bereich der Altbauerneuerung.

Nach Berechnungen des DIW gingen 2006 bereits 61%der Wohnungsbauinvestitionen in die Altbauerneuerung, al-so den Wohnungsbestand. Das heißt, nur noch 39% ent-fielen auf den Bau neuer Wohngebäude. Aufgrund der an-haltenden Verteuerung der Energie im Verlauf der letztenJahre stehen vor allem Maßnahmen zur Verringerung desEnergieverbrauchs hoch im Kurs.

Die im Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immo-bilienunternehmen e.V. (GdW) organisierten rund 3 000 Woh-nungsunternehmen und -genossenschaften weisen einenWohnungsbestand von rund 6,2 Millionen Wohnungen auf.Sie erreichen damit einen Marktanteil an allen bewohntenWohnungen von fast 50% in Ostdeutschland bzw. von knapp25% in Westdeutschland. Die von diesem Verband regel-mäßig erhobenen Daten zur Investitionstätigkeit ihrer Mit-glieder geben somit zumindest einen groben Anhaltspunktzur möglichen Entwicklung im Bestandsbereich, da amtli-che Statistiken bislang nicht vorliegen.

Nach den Umfrageergebnissen des GdW stiegen die Bau-investitionen ihrer Mitgliedsunternehmen im Jahr 2006 um

6,8%. Zu Beginn dieses Jahres planten sie für 2007 mit ei-ner Aufstockung ihrer Investitionsbudgets um rund 10%.Dieser Wert dürfte allerdings nach dem bisherigen Verlaufzu urteilen, nicht ganz eingehalten werden. Dabei werdendie Bestandsmaßnahmen – nach einer deutlich überdurch-schnittlichen Entwicklung im vorigen Jahr (+ 8,4%) – aller-dings weniger kräftig zulegen (+ 6,5%) als die Neubaumaß-nahmen (+ 23,2%). Mit einem Volumen von fast 7 Mrd. €werden die Bestandsmaßnahmen dennoch fast dreimal sohoch ausfallen wie die Neutätigkeit. Über die Hälfte der Bau-investitionen (rund 5 Mrd. €) sollen dabei in bereits beste-hende Wohngebäude in Westdeutschland wandern.

Ab 2006 können sowohl Vermieter als auch Mieter, die ihreWohnung verschönern oder renovieren, den Fiskus an ih-ren Handwerksrechnungen beteiligen. Nach dem Gesetz zur»Anerkennung haushaltsnaher Dienstleistungen« dürfennämlich 20% der insgesamt für die Modernisierung von Woh-nungen entstandenen Kosten steuerlich geltend gemachtwerden (Höchstgrenze 3 000 € pro Jahr; nur Dienstleistun-gen und keine Materialkosten).

Energiepass stimuliert Maßnahmen zur energetischen Sanierung

Im April 2007 erfolgte die Verabschiedung der neuen Ener-gieeinsparverordnung (EnEV) durch die Bundesregierung;am 1. Oktober ist sie in Kraft getreten. Danach müssen Haus-eigentümer stufenweise ab 1. Juli 2008 ihren Käufern oder

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

40

Tab. 5 Bauinvestitionen in Deutschland nach Bauarten 1997 bis 2008 Verkettete Volumenangaben in Mrd. (preisbereinigt)

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007a)

2008a)

Wohnungsbau 141,50 141,99 144,50 140,92 132,37 124,64 123,45 119,78 115,22 120,13 117,7 117,5

Nichtwohnbau 104,82 102,16 103,31 100,93 98,36 92,64 90,29 85,91 84,09 87,68 91,7 95,1

davon:

gewerblicher Bau 71,74 70,13 71,08 70,15 68,74 64,17 62,20 59,37 58,67 61,66 64,8 67,3

– gew. Hochbau 55,03 54,06 54,16 53,49 52,36 48,26 46,02 43,63 42,75 44,87 47,3 49,1

– gew. Tiefbau 16,70 16,07 16,92 16,66 16,38 15,91 16,19 15,75 15,93 16,81 17,6 18,2

öffentlicher Bau 33,06 32,02 32,22 30,78 29,62 28,47 28,09 26,54 25,43 26,02 26,9 27,8

– öff. Hochbau 12,65 12,19 11,44 10,69 10,32 9,97 9,58 8,89 8,64 8,85 9,1 9,3

– öff. Tiefbau 20,40 19,82 20,78 20,09 19,30 18,50 18,51 17,66 16,80 17,17 17,8 18,5

Insgesamt 246,30 244,15 247,80 241,85 230,72 217,28 213,72 205,69 199,31 207,82 209,5 212,6

– reale Veränderung gegenüber Vorjahr in % –

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007a)

2008a)

Wohnungsbau 0,4 0,3 1,8 – 2,5 – 6,1 – 5,8 – 1,0 – 3,0 – 3,8 4,3 – 2,0 – 0,2

Nichtwohnbau – 3,9 – 2,5 1,1 – 2,3 – 2,6 – 5,8 – 2,5 – 4,9 – 2,1 4,3 4,6 3,7

davon:

gewerblicher Bau – 4,0 – 2,2 1,4 – 1,3 – 2,0 – 6,7 – 3,1 – 4,5 – 1,2 5,1 5,2 3,9

– gew. Hochbau – 4,5 – 1,8 0,2 – 1,2 – 2,1 – 7,8 – 4,6 – 5,2 – 2,0 5,0 5,3 4,0

– gew. Tiefbau – 2,5 – 3,8 5,3 – 1,6 – 1,7 – 2,9 1,8 – 2,7 1,1 5,5 4,6 3,5

öffentlicher Bau – 3,5 – 3,1 0,6 – 4,5 – 3,8 – 3,9 – 1,4 – 5,5 – 4,2 2,3 3,4 3,3

– öff. Hochbau – 8,1 – 3,6 – 6,1 – 6,6 – 3,5 – 3,4 – 4,0 – 7,2 – 2,8 2,4 2,5 3,0

– öff. Tiefbau – 0,4 – 2,8 4,8 – 3,3 – 3,9 – 4,1 0,1 – 4,6 – 4,9 2,3 3,8 3,5

Insgesamt – 1,5 – 0,9 1,5 – 2,4 – 4,6 – 5,8 – 1,6 – 3,8 – 3,1 4,3 0,8 1,5 a)

Prognose des ifo Instituts. – Hinweis: Bauinvestitionen, bereinigt um die Immobilientransaktionen zwischen Staats- und Unterneh-menssektor.

Quelle: Statistisches Bundesamt; Vorausschätzungen des ifo Instituts.

Daten und Prognosen

Mietern einen Energiepass vorlegen. Für neue Gebäude warein Energieausweis bereits ab 2002 vorgeschrieben.

Der Energiepass bewertet die Energieverluste über die Ge-bäudehülle. Maßnahmen zur energetischen Verbesserungder bestehenden Wohngebäude werden daher zunehmenbzw. auf dem derzeit hohen Niveau verharren. Expertengehen davon aus, dass die neue Verordnung noch längstnicht das Ende der Energiesparwelle sein dürfte.

Die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 dürftehingegen manchen Hauseigentümer veranlasst haben, Re-novierungsvorhaben noch ins Jahr 2006 vorzuziehen. Diederzeit vorliegenden Indikatoren signalisieren, dass es so-wohl 2007 als auch 2008 kaum Wachstum bei den Be-standsmaßnahmen im Wohnungsbau geben dürfte.

Der Wohnungsbau wird daher in diesem Jahr, nach einemkräftigen Plus im Vorjahr (+ 4,3%), einen Rückgang der In-vestitionen von rund 2% aufweisen; im nächsten Jahr dürf-te das Niveau knapp gehalten werden. Die derzeit vorliegen-den Indikatoren signalisieren, dass es sowohl 2007 als auch2008 kaum Wachstum bei den Bestandsmaßnahmen imWohnungsbau geben dürfte. Der Rückgang der Investitio-nen in diesem Jahr kommt somit ausschließlich vom schwa-chen Wohnungsneubau.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich nach wie vor in einerexzellenten Verfassung. Den Unternehmen ist es in denzurückliegenden Jahren gelungen, durch den Abbau vonÜberkapazitäten und Kosteneinsparungen, vor allem im Per-sonalbereich, ihre Gewinnmargen wieder zu erhöhen. Ins-besondere in den exportorientierten Unternehmen erreichendie Gewinne vielfach neue Rekordmarken. Von der spürba-ren Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungprofitiert nunmehr auch die Bauwirtschaft.

Gewerbliche Planungsaufträge weiter auf hohemNiveau

Die Auftragseingänge der Architekten von gewerblichen Auf-traggebern hatten bereits im Herbst 2002 ihren tiefsten Punkterreicht. Kletterte das Volumen der neuen Aufträge in die-sem Teilsegment zunächst bis zum Frühjahr 2006 eher be-hutsam, so erfolgte ab dem Sommer 2006 eine sichtliche Be-schleunigung. Bei den Auftragseingängen im Bauhauptge-werbe waren sowohl im Hochbau als auch im Tiefbau im Ver-lauf des zweiten Quartals 2005 wieder Wachstumsraten zuverzeichnen, die sich im bisherigen Verlauf des Jahres 2007im zweistelligen Bereich halten konnten (Veränderung gegen-über dem Vorjahresmonat).

Überaus positiv wirkt sich weiterhin aus, dass die Kreditzin-sen nach wie vor auf einem relativ niedrigen Niveau liegen.Aber auch von Seiten der Regierung gab und gibt es er-

freuliche Hilfestellung. Dies betrifft zunächst die bereits vomfrüheren Bundeskanzler Gerhard Schröder initiierte »Agen-da 2010«, mit der einschneidende Reformen in der Sozial-gesetzgebung einhergingen. Derzeit ist die jetzige Regie-rung dabei, eine Unternehmensteuerreform zum 1. Januar2008 auf den Weg zu bringen. Ziel ist es dabei, die steuer-liche Belastung der Unternehmen spürbar zu verringern.

Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Un-ternehmen wird sich somit weiter verbessern. Abstrichemüssten jedoch gemacht werden, wenn der Dollarverfall derletzten Wochen anhalten dürfte – oder sich sogar noch ver-stärkt.

Dies zeigt sich besonders deutlich bei den Industriegebäu-den. Noch vor einigen Jahren wurden in großem Stil ganzeProduktionsbereiche »outgesourced«, da insbesondere inden osteuropäischen Ländern zu deutlich niedrigeren Kos-ten produziert werden konnte. Diese Phase dürfte zum größ-ten Teil abgeschlossen sein: einige Firmen verlagern sogarschon wieder ihre Produktion zurück nach Deutschland. Ineinigen Branchen produzieren darüber hinaus die Unterneh-men bereits an ihren Kapazitätsgrenzen. Lieferengpässe neh-men zu. Erweiterungsinvestitionen werden somit häufigererforderlich als noch vor einigen Jahren.

Trotz immer noch respektabler Leerstandsraten hat sich derBau von Bürogebäuden in 2006 bereits belebt. Dass sichdie deutsche Dienstleistungslandschaft prächtig entwickelt,zeigen, neben den ifo-Umfragen im Dienstleistungssektor,auch die Konjunkturumfragen vieler Verbände. Die Neubau-tätigkeit wird jedoch durch die kaum steigende Zahl von Bü-roarbeitsplätzen gebremst. Darüber hinaus überprüfen undoptimieren die großen Dienstleister immer häufiger überauskritisch ihre Flächenbedarfe. Die durchschnittliche Fläche,die einem Bürobeschäftigten in Deutschland zur Verfügungsteht, ist nämlich weiterhin spürbar größer als in den übri-gen Industrieländern.

Deutschland ist nach der Öffnung Osteuropas noch stärkerals früher zu einer bedeutenden Verkehrsdrehscheibe mitzahlreichen Distributionszentren geworden. Dies hat zur Fol-ge, dass zahlreiche Lagergebäude sowie Logistikzentren er-richtet bzw. ausgebaut werden müssen. Hinzu kommt derTrend von Industrie und Handel, Vertriebs- und Lagerfunk-tionen sowie einzelne Produktionsbereiche auszulagern. Da-neben haben die rasch wandelnden Ansprüche die Nut-zungsdauer der Lagergebäude spürbar verkürzt. Auch die-ser Trend wirkt nachfragestimulierend.

Wirtschaftsbau vor einem dritten guten Jahr

Der Wirtschaftsbau entwickelte sich bereits 2006 sehr po-sitiv; d.h. die Bauinvestitionen erhöhten sich um 5,1%. Auch

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

41

Daten und Prognosen

in diesem Jahr dürfte es zu einem Anstieg in dieser Grö-ßenordnung kommen. Mit einem weiteren Plus von rund 4%wird sich die gewerbliche Baunachfrage in 2008 nur ganzsanft abschwächen.

Auch die öffentlichen Bauinvestitionen wiesen 2006 einenZuwachs auf – nach sechs Jahren rückläufiger Entwicklungund einer Verringerung des Investitionsvolumens um insge-samt 21%. Er fiel mit + 2,3% jedoch bescheidener aus alsin den beiden anderen Bausparten. In diesem und im nächs-ten Jahr dürfte sich die Baunachfrage sogar weiter beleben,so dass sich die öffentlichen Bauinvestitionen um jeweilsknapp 31/2% erhöhen werden. In beiden Jahren wird sichder Tiefbau besser entwickeln als der Hochbau.

Der wesentliche Grund für die gestiegene Investitionsbereit-schaft der öffentlichen Hände liegt in der verbesserten Haus-haltssituation zahlreicher Gemeinden. So stieg das Aufkom-men aus der Haupteinnahmequelle der Kommunen, der Ge-werbesteuer, zwischen 1992 und 2003 lediglich von rund23 Mrd. € auf 24 Mrd. €. Erst seit dem Jahr 2004 war einesichtliche Verbesserung zu registrieren, so dass im Jahr 2006bereits Einnahmen in Höhe von 38,4 Mrd. € verbucht wer-den konnten.

Nach einem kräftigen Anstieg der gesamten Steuereinnah-men der Gemeinden in 2006 um 12,6% wird der Zuwachs– nach den Berechnungen des Arbeitskreises »Steuerschät-zungen« vom 6./7. November 2007 – in diesem Jahr 7,1%betragen, im nächsten Jahr allerdings nur noch 2,1%. Un-ter der Annahme, dass die gesamtwirtschaftlichen Wachs-tumsperspektiven auch mittelfristig nicht ungünstig sind,dürfte bei den Kommunen der positive Trend bei den Steu-ereinnahmen anhalten.

Die Kommunen, die mit Abstand größten öffentlichen Inves-toren in Gebäude und Bauwerke, haben in den letzten Jah-

ren zahlreiche dringend nötige Baumaßnahmen aufgescho-ben, um den noch dringend notwendigeren Konsolidierungs-bedürfnissen nachzukommen. Ein Teil dieser Arbeiten dürf-te nunmehr in Angriff genommen werden.

»Zarte« Erholung im öffentlichen Bau

Auch beim Bund eröffnen sich bessere »Gestaltungsspiel-räume«, als vielfach noch vor wenigen Jahren für möglichgehalten wurde. Als neue, stabile Einnahmequelle erweistsich dabei die Lkw-Maut. Deren Einnahmen werden zu-mindest teilweise zur Finanzierung von Straßenbauinves-titionen verwendet. Daneben wird das Investitionspro-gramm für Ganztagsschulen fortgesetzt sowie weiterhinMittel für Investitionen in Kindertagesstätten oder Krippennach dem Tagesbetreuungsgesetz bereitgestellt. Schließ-lich werden im Rahmen der Förderinitiative »Wohnen, Um-welt, Wachstum« seit Jahresbeginn auch den KommunenMittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für die ener-getische Sanierung öffentlicher Gebäude angeboten.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dasssich das hohe Wachstumstempo vom Vorjahr nicht in die-ses Jahr übertragen hat, was ausschließlich an einer sehrschwachen Nachfrage im Wohnungsbau liegt. So werdendie gesamten Bauinvestitionen 2007 nur noch um knapp1% zulegen, im nächsten Jahr dürfte der Anstieg rund 11/2%erreichen. Selbst nach diesen drei Wachstumsjahren in Fol-ge wird 2008 noch nicht einmal wieder das Niveau des Jah-res 2003 erreicht. Mitte der neunziger Jahre wurde pro Jahrsogar gut ein Fünftel mehr investiert.

Die Vorträge der drei externen Referenten behandeltendas derzeit aktuelle Thema »Klimawandel und Energiever-brauch: Auswirkungen auf die Bauwirtschaft«. Hierzu gabzunächst Eric Heymann, Branchenanalyst der Deutschen

Bank Research, einen guten Überblick überdie derzeitige Situation sowie mögliche Ent-wicklungen der Bauwirtschaft im »Klima-Fokus«.8

Die Zeiten dauerhaft niedriger Energieprei-se sind vorbei. Anders als bei den ersten bei-den Ölpreisschocks liegt dies aber nunmehrnicht in erster Linie an einer Verknappungdes Angebots, sondern ist ganz wesentlichnachfrageinduziert. Die Volkswirtschaften ex-pandieren weltweit. Und der Energiehungerder wirtschaftlich besonders kräftig expan-dierenden Schwellenländer China und Indienführte und führt zu einer beträchtlichen zu-

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Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinden 1992–2006

Quelle: BMF.

Veränderung zum Vorjahr

Gewerbesteuereinnahmen

% - Veränderung Mrd. Euro

Abb. 15

8 Vgl. E. Heymann, Klimawandel und Branchen: Man-che mögen´s heiß!, Deutsche Bank Research: Aktu-elle Themen 388; Frankfurt am Mai, 2007.

Daten und Prognosen

sätzlichen Energienachfrage. Die Energieversorgung wirdweiterhin anfällig für Angebotsschocks bleiben, da der gro-ße Teil der fossilen Energiereserven in politisch brisanten Re-gionen liegt. Die Erschließung und Ausbeutung neuer Öl-und Gasfelder wird kontinuierlich teurer, da die leicht zugäng-lichen bzw. sehr ergiebigen Quellen längst erschöpft sind.Ein Übergang zu erneuerbaren Energien wird aber geradefür die aufstrebenden Volkswirtschaften nur langsam erfol-gen können.

Klimawandel nicht mehr aufzuhalten

Die Erwärmung der Erdatmosphäre wird also anhalten. KeinKlimamodell kann aufzeigen, wie schnell und in welchemAusmaß sich das Klima auf der Erde in den nächsten Jahr-zehnten ändern wird. Dennoch weist die überwiegendeMehrheit der Naturwissenschaftler darauf hin, dass der Pro-zess des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten –selbst bei einem sofortigen Stopp der Emissionen – nichtmehr gestoppt, sondern allenfalls noch verlangsamt wer-den kann.

Trotz dieser Unsicherheiten gelten aber einige Trends alswahrscheinlich:

• Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur,• Veränderung der Niederschlagsmuster,• Zunahme extremer lokaler Wetterereignisse.

Die erwarteten negativen Folgen sind beispielsweise Schä-den an Gebäuden und Infrastruktur durch Sturm und Über-schwemmungen bei lang anhaltenden Regenphasen. In derlängeren Frist dürften auch Schäden durch den merklichenAnstieg des Meeresspiegels hinzukommen.

Der Klimaschutz nimmt daher mittlerweile weltweit einendeutlich höheren Stellenwert ein als noch vor wenigen Jah-ren, wobei die Europäische Union von Anfang an eine Vor-reiterrolle gespielt hat. So wurden auf dem EU-Klimagipfelin Brüssel im März 2007 folgende ehrgeizigen Ziele formu-liert, die bis 2020 erreicht werden sollen:

• Verringerung der Treibhausgase (– 20%),• Steigerung der Energieeffizienz (+ 20%),• Förderung der erneuerbaren Energien (Zunahme des An-

teils am Primärenergieverbrauch auf 20%).

Demnach ist zu erwarten, dass die Bundesregierung wei-terhin den Verbrauch kohlenstoffintensiver Energieträger (fürdie Strom- und Wärmeerzeugung sowie für die Mobilität)tendenziell eher versteuern dürfte. Andererseits dürften For-schungsarbeiten zur Steigerung der Energieeffizienz geför-dert werden sowie verschiedene Möglichkeiten zur Substi-tution von fossilen Brennstoffen.

Hoher Energieverbrauch für Beheizung und Belüftung der Gebäude

Deutschland besitzt einen umfangreichen Gebäudebe-stand, nicht nur für Wohnzwecke, sondern auch in allendrei Wirtschaftszweigen: Land- und Forstwirtschaft, Indus-trie und Dienstleistungen. Auf die Beheizung und Belüftungdieser Gebäude entfällt der größte Teil des Primärenergie-verbrauchs. In kaum einem anderen Bereich lohnt es sichdaher mehr, Investitionen in den Klimaschutz vorzuneh-men, als bei der energetischen Sanierung von Gebäudenim Bestand.

Die Bereitschaft der Bevölkerung, ihre Wohngebäude ener-getisch zu verbessern, ist bereits recht hoch. Dies liegt si-cherlich auch daran, dass sich die Energiekosten in denletzten Jahren rasch erhöhten und sich dadurch die getä-tigten Investitionen bereits nach wenigern Jahren rentier-ten. Hinzu kam aber auch, dass der Staat über die KfW um-fangreiche Mittel zur Reduzierung der Finanzierungskos-ten bereitstellte.

Durch die Einführung des Energiepasses wird die Transpa-renz über die Heizkosten sichtlich ansteigen. Die Motiva-tion zahlreicher Wohnungsbesitzer dürfte sich dadurch zu-künftig erhöhen, den spezifischen Energieverbrauch in ihrenWohnungsbeständen durch eine energetische Sanierung zuverringern, um die Attraktivität der Wohnungen für poten-tielle Mieter zu verbessern.

Alle Branchen, die einen Beitrag zur Steigerung der Ener-gieeffizienz von Gebäuden leisten können, dürften demzu-folge zu den Gewinnern des Klimawandels gehören. Hier-zu zählen beispielsweise:

• Architektur- und Ingenieurbüros mit der Fokussierung aufEnergieberatung oder Energie Contracting,

• verschiedene Unternehmen des Bauhandwerks bzw. desBaunebengewerbes wie Dachdecker, Heizungs- und Lüf-tungsbauer oder Betriebe mit Know-how in der Gebäu-dedämmung.

• Hersteller von Dämmstoffen, Glas, Solarmodulen, Hei-zungs- und Lüftungsanlagen oder kompletten Niedrig-energie- oder Passivhäusern.

Besonders groß dürfte zukünftig die Nachfrage bei den Un-ternehmen ausfallen, die Angebote aus einer Hand bietenkönnen. Denn immer mehr Haushalte sind bereit, für die-sen »Mehrwert« auch mehr zu zahlen.

Bauwirtschaft größter »Profiteur« des Klimawandels

Durch die Klimaveränderungen wird die Bauwirtschaft häu-figer als bisher die durch Stürme oder Überschwemmun-

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Daten und Prognosen

gen verursachten Schäden beseitigen müs-sen. So bescherte z.B. der Orkan Kyrill dem Dachdeckerhandwerk in vielen RegionenDeutschlands eine Sonderkonjunktur. Nochumfangreicher waren die Schäden derOderflut 1997 oder beim Elbehochwasserim Jahre 2002, die der Bauwirtschaft um-fangreiche, zusätzliche Aufträge bescherte.Auch dürften in den nächsten Jahren dieAusbau- und Ausbesserungsarbeiten beimKüstenschutz intensiviert werden, um dervermutlich steigenden Gefahr von Sturm-fluten – etwa an der Nordseeküste – vor-zubeugen.

Dürften die Winter zukünftig milder ausfallen, könnte die Bau-wirtschaft auch hiervon profitieren. Gibt es ähnlich milde Win-ter wie 2006/2007 häufiger, würden sich nämlich die Bau-bedingungen – vor allem im Tiefbau – verbessern. Es gäbeweniger witterungsbedingte Arbeitsausfälle und damit aucheine größere Planungssicherheit bei den Betrieben. Zu be-rücksichtigen wäre aber auch, dass es durch weniger Frost-tage auch zu weniger Straßenschäden – und damit auchzu weniger Ausbesserungsarbeiten, die erforderlich sind –,kommen würde.

Die Bauwirtschaft wird also schon seit Jahren von denAuswirkungen des Klimawandels tangiert. Eine besondersgroße Bedeutung hat dabei die energetische Gebäudesa-nierung. Um in diesem Bereich die Investi-tionstätigkeit der Eigentümer zu stimulie-ren, vergibt die KfW-Bankengruppe bereitsseit etlichen Jahren zinsgünstige, langfris-tige Kredite. Anja Bukowski, Abteilungsdi-rektion der KfW, wies in ihrem Referat zu-nächst darauf hin, dass die Bankengrup-pe kein Filialnetz hat. Die gewährten Kre-dite werden vielmehr »durchgeleitet«. Dasheißt, der Kreditnehmer – ganz gleich obPrivathaushalt oder Unternehmen – bean-tragt seinen Kredit bei einer Sparkasse, ei-ner Geschäfts- oder Genossenschaftsbanketc. Nach der Bearbeitung und Genehmi-gung wird anschließend der Kredit von derKfW über die eingeschaltete Bank an denKreditnehmer »durchgeleitet«.

Seit 1990 wurden mit Mitteln der KfW6,7 Mill. Wohneinheiten neu gebaut, moder-nisiert oder energetisch saniert; wobei derSchwerpunkt auf den Bestandsmaßnahmenlag. Im Rahmen der Förderinitiative »Woh-nen, Umwelt, Wachstum« stellt der Bund derKfW im Zeitraum 2006 bis 2009 im Durch-schnitt ca. 1 Mrd. € pro Jahr für die Zins-

verbilligung von Krediten und Zuschüssen zur Verfügung,die durch eigene Mittel der KfW noch ergänzt werden. Ei-ne Verlängerung dieser Initiative bis 2011 ist bereits in derDiskussion.

Allein im Jahr 2006 wurden zur Steigerung der Energie-effizienz Kredite im Umfang von fast 7 Mrd. € vorgese-hen. Durch die nahezu 130 000 Darlehen wurde ein Inves-titionsvolumen von knapp 12 Mrd. € angestoßen. DerSchwerpunkt lag dabei beim Programmpaket »ÖkologischBauen«, auf das bereits knapp 60% der Investitionssum-me entfiel, auf das CO2-Gebäudemodernisierungs-programm 30%. Die restlichen 1,32 Mrd. € flossen in dasÖKO-PLUS Programm.

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

44

Tab. 6

KfW-Programme »Energieeffizientes Bauen und Sanieren« 2006

Darlehen Kreditzusage-

volumen Geförderte

Investitionen Anzahl Mill. Mill. CO2-Gebäude-sanierungsprogramm 43 415 3 472 3 524 Ökologisch Bauen 32 556 2 209 6 999 Wohnraum Moderni-sieren-ÖKO PLUS 51 607 1 317 1 322 Insgesamt 127 578 6 998 11 845

Quelle: Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Abb. 16Aktuelle Programmübersicht der Förderinitiative »Wohnen, Umwelt, Wachstum«

»Energieeffizientes Bauen und Sanieren«

Wohnen CO2-Gebäudesanierungsprogramm

KfW-Wohneigentumsprogramm

Ökologisch Bauen

Wohnraum Modernisieren-STANDARD Wohnraum Modernisieren ÖKO-PLUS

Infrastruktur

Kommunal Investieren

seit 1. Januar 2007

Sozial Investieren Sozial Investieren Energetische Sanierung

Kommunalkredit Kommunalkredit Energetische Sanierung

Daten und Prognosen

Ausweitung der KfW-Programme ab 2007 auchauf Kommunen

Die wohnwirtschaftlichen Programme der KfW werden seitAnfang 2007 um Fördermittel zur energetischen Sanierungkommunaler Gebäude erweitert, so dass das bereits hoheFördervolumen für »energieeffizientes Bauen und Sanie-ren« sogar noch gesteigert werden kann. Nach den Anga-ben der KfW konnten bereits 2006 durch die angestoße-nen Investitionen mehrere 100 000 Arbeitsplätze gesichertbzw. geschaffen werden. Die daraus resultierenden CO2-Einsparungen werden derzeit noch evaluiert und in Kürzeveröffentlicht.

Im abschließenden Referat zeigte Bernd Kramer von derInterpane Glas Industrie AG schließlich auf, in welchem Um-fang eine einzelne Branche der Bauzulieferindustrie – dieGlashersteller – durch den Klimawandel und die Notwen-digkeit der Energieeinsparung in Gebäuden ihre Umsätzebereits erhöhen konnten bzw. weiteres Umsatzwachstumerwarten.

Nach den Daten des Verbandes der Fenster- und Fassa-denhersteller e.V. (VFF) erhöhte sich der Fensterabsatz fürNeubauten von 2005 auf 2006 um rund 200 000 auf 5,3 Mill.Fenstereinheiten. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der ver-kauften Fenstereinheiten im Renovierungsbereich jedoch umrund 900 000 auf 7,4 Mill. Einheiten. Nach den Verbrauchs-prognosen dürfte es im Bestandssektor auch in diesem Jahrnoch ein leichtes Wachstum (+ 1,8%) geben, während derAbsatz bei Neubauten stagnieren dürfte. Das Wachstum vonrund 31/2%, das für 2008 erwartet wird, dürfte vom ge-werblichen Bau sowie – erneut – vor allem von Renovie-rungsarbeiten herrühren.

Der wesentliche Grund für das Marktwachstum dürfte so-mit in der zunehmenden energetischen Sanierung derWohnungsbestände, aber auch gewerblicher und öffent-licher Gebäude liegen. Welches zukünftige Potential hiernoch schlummert, zeigt eine Analyse des Bauvolumensvom Jahr 2006. Danach beliefen sich von den insgesamt129,5 Mrd. € Wohnungsbauvolumen rund 801/2 Mrd. €(62%) auf Bestandsmaßnahmen.9 Im Nichtwohnungsbaudürften von 106 Mrd. € nur etwa die Hälfte auf Neubau-ten entfallen sein. Daraus folgt, dass 2006 bereits1331/2 Mrd. € (56,7%) vom gesamten Bauvolumen in Hö-he von 2351/2 € in bestehende Gebäude und Bauwerkeinvestiert wurde.

Der VFF beziffert den gesamten Fensterbestand in Deutsch-land 2006 auf rund 560 Mill. Fenstereinheiten, wovon knapp40% (220 Mill.) bereits mit Wärmedämmglas ausgestattet

sind. Um alle Fenstereinheiten auf das heutige energeti-sche Anforderungsniveau zu bringen, müssten demnachweitere 340 Mill. Fenster in Deutschland modernisiert oderausgetauscht werden. Bei 1,69 m2 Fensterfläche je Fens-tereinheit ergeben sich 575 Mill. m2 Glasfläche, mit der einEinsparpotential von jährlich rund 11 Mrd. Liter Heizöl er-reicht werden könnte und eine Reduktion der CO2-Emis-sionen von rund 32 Mill. Tonnen.

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

45

9 Vgl. B. Bartholmai und M. Gornig; Strukturdaten für Produktion und Be-schäftigung im Baugewerbe – Berechnungen für das Jahr 2006, BMVBS,2007.

Daten und Prognosen

Branchenforum 4: Entwicklung im Dienstleistungssektor

Gernot Nerb

Unter der bewährten Leitung von RobertObermeier von der IHK für München undOberbayern fand auch das diesjährige Dienst-leisterforum statt. In den Eingangsreferatenvon Harald Blau und Gernot Nerb vom ifo Ins-titut wurden die konjunkturellen sowie die mit-tel- bis langfristigen Perspektiven des Dienst-leistungssektors diskutiert. Ein Schwerpunktdes Forums lag diesmal auf den Wachstums-chancen von öffentlichen und persönlichenDienstleistungen. Dieses Thema wurde vonErich Bagus, Feri Rating Research GmbH,Bad Homburg, behandelt. Den Abschluss bil-dete Manfred Bayerlein, TÜV Süd IndustryService GmbH, der demonstrierte, wie auchDienstleistungsunternehmen auf dem inter-nationalen Markt erfolgreich sein können. ImFolgenden sollen nicht in chronologischer Ab-folge, sondern gegliedert nach Themenblö-cken einige wichtige Ergebnisse dieses Fo-rums vorgestellt werden.

Zur Struktur des Dienstleistungs-sektors

Insgesamt entfallen in Deutschland rund70% der Wertschöpfung und 72% der Er-werbstätigen auf den Dienstleistungssek-tor (vgl. Tab. 7, 8 und 9). Dienstleistungensind jedoch ein sehr heterogener Wirt-schaftssektor. Die Präsentationen und Dis-kussionen im Forum konzentrierten sichauf die beiden Teilbereiche »Unterneh-mensnahe Dienstleister« sowie »Öffentli-che und private Dienste«. Auf beide Teilbe-reiche entfallen in Deutschland 47% derBruttowertschöpfung und 43% der Er-werbstätigen. Dabei liegt der Anteil an dergesamtdeutschen Wertschöpfung bei denUnternehmensdiensten mit 25% nur ge-ringfügig höher als bei den staatlichen undpersonenbezogenen Diensten (gut 22%).Demgegenüber fällt der Anteil an der Zahlder Erwerbstätigen in Deutschland bei denöffentlichen und persönlichen Servicean-bietern mit 29% mehr als doppelt so hochaus wie bei den Unternehmensdienstleis-tern (14%).

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

46

Tab. 7

Branchenstruktur – Bruttowertschöpfung nach Wirtschafts- bereichen 2006

Anteil in % Alle Wirtschaftsbereiche

a) 100,0

Warenproduzierendes Gewerbe (i.w.S.) 100,0 30,3

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 2,8 0,9 Warenproduzierendes Gewerbe (i.e.S.) 83,9 25,5 Baugewerbe 13,2 4,0

Dienstleistungsbereiche 100,0 69,7

Handel, Gastgewerbe, Verkehr und Nachrichten 25,8 18,0 Finanz- und Unternehmensdienstleister 42,5 29,6

Kredit- und Versicherungsgewerbe 6,7 4,7 Unternehmensnahe Dienstleisterb) 35,8 24,9

Öffentliche und persönliche Dienste 31,7 22,1 a) Nach dem Inlandskonzept, in jeweiligen Preisen. – b) Inkl. funktionalabgegrenzter Wohnungsvermietung.

Quelle: E. Bagus, Feri Rating & Research GmbH.

Tab. 9

Branchenstruktur – Dienstleistungssektor 2006 Branchenanteil in %

WZ-Nr. Umsatz,Wert

Beschäf- tigte

Unternehmensnahe Dienstleistera) K 100,0 100,0

Immobilienwesen 70 2,4 8,5

Mobilenvermietung, -Leasing 71 7,3 1,9

Datenverarbeitung 72 15,4 10,3

Forschung und Entwicklung 73 1,9 2,7

Beratung, Planung, Auftragsdienst 74 51,0 76,6

Rechts-, Wirtschaftsberatung 74.1 21,3 19,4

Architektur- und Ingenieurbüros 74.2 7,9 8,7

Technische Untersuchung 74.3 1,2 1,3

Werbung 74.4 4,3 4,9

Personalvermittlung und -über-

lassung 74.5 3,1 11,0

Sicherheitsdienste, Detekteien 74.6 0,9 3,3

Gebäudereinigung 74.7 3,0 18,2

Auftragsdienste 74.8 9,3 9,8 a) Umsatz insgesamt = 431 Mrd. , Beschäftigte insgesamt = 5,39 Mil-

lionen.

Quelle: E. Bagus, Feri Rating & Research GmbH.

Tab. 8

Branchenstruktur – Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen 2006

Anteil in % Alle Wirtschaftsbereiche

a) 100,0

Warenproduzierendes Gewerbe (i.w.S.) 100,0 28,1

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 7,8 2,2 Warenproduzierendes Gewerbe (i.e.S.) 72,2 20,3 Baugewerbe 20,0 5,6

Dienstleistungsbereiche 100,0 71,9

Handel, Gastgewerbe, Verkehr und Nachrichten 35,5 25,5 Finanz- und Unternehmensdienstleister 24,0 17,2

Kredit- und Versicherungsgewerbe 4,4 3,2 Unternehmensnahe Dienstleisterb) 19,5 14,0

Öffentliche und persönliche Dienste 40,6 29,1 a) Nach dem Inlandskonzept. – b) Inkl. funktional abgegrenzter Woh-nungsvermietung.

Quelle: E. Bagus, Feri Rating & Research GmbH.

Daten und Prognosen

Die Unternehmensnahen Dienstleistungen, zu denen unteranderem EDV-Service-Unternehmen, Forschung und Ent-wicklung sowie Werbeagenturen zählen, wiesen im Durch-schnitt der letzten 25 Jahre ein nahezu doppelt so starkesWachstum auf wie die Gesamtwirtschaft (gut 4% im Ver-gleich zu 2% in der Gesamtwirtschaft). Diese Schlussfolge-rung gilt in der Tendenz sowohl für Deutschland wie für dieEU-15 insgesamt.

Noch imposanter ist die Bedeutung der Unternehmens-dienstleistungen für die Beschäftigtenentwicklung: Währendbei den Unternehmensdienstleistungen die Beschäftigten-zahl ähnlich stark wie der Umsatz wuchs (rund 4% pro Jahrim Zeitraum 1980 bis 2005), nahm in der übrigen Wirtschaftdie Beschäftigtenzahl im Durchschnitt nur gut um ein hal-bes Prozent zu und sank im verarbeitenden Gewerbe so-gar um rund 1% p.a.

Auch diese Tendenzen gelten mit einigen Nuancierungensowohl für Deutschland wie für die EU-15 insgesamt.

Anders als die Unternehmensdienstleistun-gen entwickelten sich die haushaltsbezoge-nen öffentlichen und privaten Dienstleistun-gen in den vergangenen 25 Jahren deutlichschwächer als die Gesamtwirtschaft. Sowohlhinsichtlich der realen Umsatz- wie auch derBeschäftigtenentwicklung lag in Deutschlandund in der EU-15 das entsprechende Wachs-tum durchschnittlich nur bei einem halbenProzent pro Jahr.

Es gibt eine Reihe von Gründen, mit denensich das überdurchschnittliche Wachstumder Unternehmensdienstleistungen erklärenlässt. Um nur einige zu nennen: zunehmen-de Spezialisierung innerhalb der Dienstleis-tungen, technologische Änderungen, ver-stärkter Zwang zum Outsourcing, um kos-

tenmäßig mithalten zu können, neue Konsumenten- undProduzentenbedürfnisse etc. Auf der anderen Seite litten dieprivaten und öffentlichen Dienstleistungen – ähnlich wie derprivate Konsum insgesamt – unter der ungünstigen Beschäf-tigungs- und Einkommensentwicklung.

Konjunkturausblick für den Dienstleistungs-sektor in 2008 und 2009

Neben den aufgezeigten längerfristigen Trends ist bei kür-zerfristigen Prognosen auch die Konjunktur zu berücksich-tigen. Gerade die Unternehmensdienstleistungen unter-liegen ähnlich starken Konjunkturschwankungen wie dasverarbeitende Gewerbe (vgl. Abb. 20); bei den haushalts-bezogenen öffentlichen und privaten Dienstleistungenspielt die Konjunktur demgegenüber eine deutlich gerin-gere Rolle.

Entsprechend der im Forum vorherrschenden konjunk-turellen Vorstellung von einer Fortsetzungdes Konjunkturaufschwungs in abge-schwächter Form 2008 und 2009, verbun-den mit einer Verlagerung der Auftriebs-kräfte tendenziell weg von den Unterneh-mensinvestitionen und dem Export und hinzum privaten Konsum wurde zwar weiter-hin ein überdurchschnittliches Wachstumder Unternehmensdienstleistungen, aberauch ein relatives Aufholen der haushalts-bezogenen öffentlichen und privatenDienstleistungen erwartet. Konkret wird miteinem Wachstum der realen Umsätze derUnternehmensdienstleister im Jahre 2007von 3,7% nach 4,4% 2006 und einem wei-teren leichten Rückgang der Wachstums-raten auf 3,2% 2008 und 3,1% 2009 ge-rechnet.

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

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2.0

3.3

2.0

3.7

3.1

1.7

0.4

2.7

2.2

-0.4

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bruttowertschöpfung: Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %

Quelle: Statistisches Bundesamt.

preisbereinigt, Kettenindex 2000 = 100, Deutschland

0.7

2.0

1.8

2.0

0.4

1.9

-0.1

0.40.2

0.4

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bruttowertschöpfung: Öffentliche und private Dienstleister

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %

Quelle: Statistisches Bundesamt.

preisbereinigt, Kettenindex 2000 = 100, Deutschland

Abb. 17

Abb. 18

Daten und Prognosen

Auf der anderen Seite dürfte das Wachstum der privatenund öffentlichen Dienstleistungen von 0,3% im Jahr 2006auf 1,1% in diesem Jahr und 1,3% jeweils 2008 und 2009zunehmen.

Innerhalb der Gruppe der Unternehmensdienstleister wirddas Wachstum weiterhin am stärksten in der Personalver-mittlung und -überlassung (d.h. hauptsächlich Zeitarbeits-unternehmen) bleiben. Im Dreijahreszeitraum 2007 bis 2009dürfte hier real der Umsatz um 18%, pro Jahr also um knapp6% steigen. Im Dreijahreszeitraum 2006 gegenüber 2003betrug die Zuwachsrate sogar 68%. Eine hohe Zuwachs-rate liegt voraussichtlich auch bei der Mobilienvermietungund beim Mobilienleasing vor.

Was die öffentlichen und privaten Dienstleistungen anbelangt,wird die stärkste Zuwachsrate im Zeitraum 2007 bis 2009im Bereich Gesundheit liegen. Hier dürfte das reale Umsatz-niveau 2009 um rund 5% höher liegen als 2006, während im

vorausgehenden Drejahreszeitraum 2003 bis2006 ein Rückgang um 3% vorlag. Auch beider Entsorgung wird sich im Zeitraum 2007bis 2009 ein leichter Zuwachs ergeben, undzwar real um insgesamt ca. 2%, während imDreijahreszeitraum davor ein Rückgang inähnlicher Größenordnung vorliegt.

Diese auf dem Forum des ifo Branchen-Dia-logs vertretenen Prognosen stützen sichstark auf Ergebnisse der ifo-Kooperations-partner Cambridge Econometrics und FeriRating Research GmbH in Bad Homburg.

Wachstumschancen für öffentlicheund private Dienstleistungen

Die von Erich Bagus, Feri, auf dem Symposium vorgetra-genen Ausführungen zu diesem Thema lassen sich in Kurz-form folgendermaßen zusammenfassen: Während unter-nehmensnahe Dienstleister stark von der Investitionstätig-keit der Unternehmen und den Exporterfolgen des verarbei-tenden Gewerbes profitieren, wird die Geschäftstätigkeit deröffentlichen und persönlichen Dienste demgegenüber vor-wiegend durch die Bevölkerungsentwicklung und die Ein-kommenslage bzw. Konsumneigung der privaten und öf-fentlichen Haushalte bestimmt.

Ungeachtet der zuletzt höheren Tarifabschlüsse in Deutsch-land bleibt die Bruttolohnentwicklung durch die forcierte In-ternationalisierung der Produktion seit der Grenzöffnung zumOsten eher begrenzt. Abzüglich tendenziell steigender So-zialabgaben und Preissteigerungen bei Energie und sonsti-gem Grundbedarf legt folglich der real verbleibende Netto-lohn für den durchschnittlichen Arbeitnehmer allenfalls ver-halten zu. Da obendrein die aktuelle Beschäftigungszunah-

me vermehrt auf neue Leiharbeitsverhältnis-se und Teilzeit- sowie Minijobs zurückgeht,ist – ungeachtet gegenläufiger Konjunktur-einflüsse – kaum ein nachhaltiger realer Zu-wachs der frei verfügbaren Kaufkraft zu er-warten. Der langjährig verhaltene privateKonsum stellt somit auch zukünftig für einenGroßteil der konsumabhängigen Serviceleis-tungen eine schwer überwindbare Nach-fragehürde dar, zumal die Bevölkerungschrumpft.

Durch die nachhaltig sinkende Kinderzahlsind besonders die Leistungsanbieter imErziehungs- und Unterrichtswesen benach-teiligt. Auf der anderen Seite stellt die zu-nehmende Alterung der Bevölkerung einnahezu zwangsläufiges und zeitweilig auchrelativ dynamisches Basiswachstum von

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

48

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

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40Geschäftsklima

Geschäftserwartungen

Geschäftslage

Salden, nicht saisonbereinigt

Quelle: ifo Konjunkturtest Deutschland.

Sept.

ifo Konjunkturtest – Dienstleistungen

Abb. 19

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007-30

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40

Verarbeitendes Gewerbe

Dienstleistungen

Gewerbliche Wirtschaft (Industrie, Bau, Handel)

Salden, saisonbereinigt (Dienstleistungen nicht saisonbereinigt)

Quelle: ifo Konjunkturtest Deutschland.

ifo Konjunkturtest

Sept.

– Geschäftsklima im Vergleich Abb. 20

Daten und Prognosen

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

49

a) Software-Entwicklung, Consulting, System-/Network Operation, Processing, Environmental Services, Wartung u. a.

Quelle: ifo Konjunkturtest Deutschland.

Abb. 21ifo Konjunkturtest – DienstleistungenGeschäftsklima

Transport

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Landverkehr

Salden, nicht saisonbereinigt

Spedition

Sept.

Datenverarbeitunga)

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Gewerbliche Wirtschaft(saisonbereinigt; zum Vergleich)

Salden, nicht saisonbereinigt

Datenverarbeitungbis Oktober 2004 vierteljährliche Erhebung

Sept.

Unternehmens-/Steuer-/Rechtsberatung

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50

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Dienstleistungen (zum Vergleich)

Salden, nicht saisonbereinigt

Sept.

Touristik

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0

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Dienstleistungen (zum Vergleich)

Salden, nicht saisonbereinigt

Reisebüros und

Reiseveranstalter

Sept.

Datenverarbeitunga)

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Salden, nicht saisonbereinigt

bis Oktober 2004 vierteljährliche Erhebung

Zahl der Beschäftigten (Erwartungen)

Sept.

Architekten und Ingenieure

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2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Dienstleistungen (zum Vergleich)

Salden, nicht saisonbereinigt

Sept.

Daten und Prognosen

Wellness- bzw. Gesundheits- und Sozial-diensten sicher. Da ein großer Teil der ent-sprechenden Serviceangebote als indivi-duelle Sachleistung über Konsumausga-ben des Staates bzw. der Sozialversiche-rung finanziert wird, leidet der Ausbau die-ser personalintensiven und potentiell sehrbeschäftigungsfördernden Dienste jedochsowohl unter direkten Steuerungseingriffendurch die öffentliche Hand als auch untergesetzlich verordneten Kostendämpfungs-maßnahmen. Faktisch laufen letztere dar-auf hinaus, bisher öffentlich bereitgestellteLeistungen zunehmend selbst zu verant-worten und privat zu finanzieren. Obwohldieser Prozess zum Teil die ohnehin stei-gende Wertschätzung der individuellen Ge-sundheit durch die alternde Bevölkerungwiderspiegelt, absorbiert er zugleich bishereher frei verfügbare Einkommensbestand-teile für bestimmte Verwendungszwecke.Folglich bleibt für die übrigen, mehr einkom-mensabhängigen persönlichen Servicean-gebote weniger Kaufkraft übrig.

Im Bereich der persönlichen Dienste steheninsofern gewichtige Branchen mit den übri-gen Sparten im direkten Wettbewerb. Bei un-ternehmensnahen Diensten wirken die exo-genen Nachfragedeterminanten demgegen-über gleichförmiger, während sich Konkur-renzbeziehungen zwischen Branchen eherauf Einzelfälle beschränken.

In diesem Zusammenhang darf für den Be-reich der öffentlichen und persönlichenDienste auch der weitverbreitete spartenin-terne Wettbewerb zwischen staatlichen undprivaten Anbietern nicht unerwähnt bleiben. Im allgemei-nen Trend werden zwar öffentlich-rechtliche Serviceange-bote aufgrund der zumeist höheren Effizienz privat erbrach-ter Dienstleistungen allmählich zurückgedrängt. Dies be-deutet aber oftmals auch eine zumindest vorübergehen-de Dämpfung der branchenspezifischen Personalintensi-tät und der damit verbundenen Beschäftigungspotentiale.

Beispiel für ein exportstarkes Dienstleistungs-unternehmen

Während die deutsche Industrie Exportweltmeister ist, sinddie Dienstleister Deutschlands wesentlich weniger export-stark. Es gibt aber einige Ausnahmen. Eine davon ist derTÜV Süd, der sich zum weltweit viertgrößten technischenDienstleistungsunternehmen mit einem Auslandsanteil von

rund einem Viertel entwickelt hat. Der Gesamtumsatz be-lief sich im Jahre 2006 – dem vierten Rekordjahr in Folge –auf knapp 1,2 Mrd. €; beschäftigt werden rund 12 000 Mit-arbeiter und die Umsatzrendite lag bei rund 11%. Der Ge-schäftserfolg beruht nach Manfred Bayerlein, dem Spre-cher der Geschäftsführung des TÜV Süd, vor allem aufden vier Säulen:

– Kundenorientierung,– Internationalisierung,– Qualifikation und Motivation unserer Mitarbeiter und– beständige Innovation.

Kundenorientierung: Vor dem Hintergrund der Globalisie-rung und der weltweiten Konkurrenz kommt der Kommuni-kation mit den Kunden und die Ausrichtung an den Kunden-bedürfnissen eine entscheidende Rolle für den Erfolg zu.

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

50

Tab. 10 Umsatz, Wert Veränderung gegenüber Vorjahr in %

WZ-Nr. 2007 2008 2009

Unternehmensnahe Dienstleister K 5,7 5,0 5,0

Immobilienwesen 70 3,8 2,9 2,9 Mobilienvermietung, -Leasing 71 9,9 7,1 6,6 Datenverarbeitung 72 6,6 6,3 6,3 Forschung und Entwicklung 73 5,8 6,0 5,6

Beratung, Planung, Auftragsdienst 74 5,7 5,3 5,3 Rechts-, Wirtschaftsberatung 74.1 6,0 5,8 5,9 Architektur- und Ingenieurbüros 74.2 3,8 3,3 3,0 Technische Untersuchung 74.3 6,5 5,1 4,6

Werbung 74.4 4,6 4,7 4,7 Personalvermittlung und -über- lassung 74.5 11,2 5,9 5,4 Sicherheitsdienste, Detekteien 74.6 4,1 3,9 3,6 Gebäudereinigung 74.7 3,7 3,5 3,4 Auftragsdienste 74,8 6,2 6,7 6,8

Öffentliche und persönliche Dienste L–O 1,9 2,4 2,4

Öffentliche Verwaltung, Sozialver- sicherung L 1,2 1,8 1,7 Erziehung und Unterricht M 1,4 2,1 1,9

Kindergärten, Grundschulen 80.1 1,4 1,4 1,2

Weiterführende Schulen 80.2 2,1 2,2 2,2 Hochschulen 80.3 2,0 2,3 2,3 Erwachsenenbildung 80.4 – 1,8 2,1 1,9

Gesundheit und Soziales N 2,3 2,9 2,9

Gesundheitswesen 85.1 2,0 2,7 2,6 Krankenhäuser 85.11 1,7 2,8 2,7 Arztpraxen 85.12 2,5 2,8 2,7 Zahnarztpraxen 85.13 1,9 2,4 2,4 Sonstige Heilberufe, Rettungs-dienste u.a. 85.14 2,3 2,7 2,8

Veterinärwesen 85.2 1,5 2,6 2,3 Sozialwesen 85.3 3,5 3,6 4,0

Entsorgung, Interessenvertr., Kultur u.a. O 2,2 2,7 2,7

Entsorgung 90 1,5 2,3 2,7 Interessenvertretungen 91 1,9 2,8 2,2 Kultur, Sport und Unterhaltung 92 2,5 2,9 2,9

Persönliche Hygiene u.a. 93 2,3 2,5 2,4

Quelle: E. Bagus, Feri Rating & Research GmbH.

Daten und Prognosen

Im Mittelpunkt stehen maßgeschneiderte Lösungen. Wich-tigste Schnittstelle zum Kunden ist der Sachverständige, dervon Key-Account-Managern und Branchenmanagern un-terstützt wird.

Internationalisierung: In globalisierten Märkten ist das welt-weite Netzwerk in Verbindung mit einer starken lokalen Prä-senz entscheidend für den Erfolg. Die Kunden werden über-all hin auf der Welt begleitet. Der TÜV Süd vertraut dabeiwo möglich auf einheimische Sachverständige, ob es sichum die Prüfung von Aufzügen in Dubai, die Prüfung vonChemieanlagen in den USA, Produktprüfungen in Chinaoder – das aktuellste Großprojekt vom TÜV Süd – die Kfz-Prüfung in der Türkei handelt. Das umfassende Aus- undWeiterbildungsprogramm sichert die hohe Qualität derDienstleistungen.

Hochqualifizierte Mitarbeiter: Kennzeichnend für den TÜVSüd ist der hohe Anteil an Ingenieuren mit hohem Ausbil-dungsstand. Zusätzlich zu ihrer Anfangsqualifikation durch-laufen die Sachverständigen eine systematische interneAus- und Weiterbildung (Qualitätssicherung durch Qualifi-kation). Mit ihrem technischen Know-how, ihrer Kenntnisder internationalen und nationalen Regelwerke und ihrerVertrautheit mit dem Stand der Technik unterstützen dieSachverständigen ihre Kunden und leisten einen wichtigenBeitrag zu ihrem geschäftlichen Erfolg. Die persönliche Kom-

petenz und Integrität der Sachverständigenprägt die Unternehmenskultur und dasImage vom TÜV Süd als kompetenten undzuverlässigen Partner bei wichtigen Aufga-gen und Entscheidungen.

Innovationen: Durch beständige Innovati-on wird das Dienstleistungsangebot vomTÜV Süd kontinuierlich verbessert und anveränderte Marktbedingungen und Kunden-bedürfnisse angepasst. Dabei verbindet sichdas technische Know-how mit dem um-fangreichen Wissen um technische und or-ganisatorische Prozesse. Das betrifft bei-spielsweise die ganzheitliche Anlagentech-nik (gAte), das risikoorientierte Instandhal-tungsmanagement (TÜV-RoiM), das virtuel-le Prüfbuch netDocX oder – im Zeichen derKlimaschutzdiskussion – die KomplexeEnergieberatung für Unternehmen. Durchsolche Dienstleistungen leistet der TÜV Südeinen wichtigen Beitrag zur Prozessoptimie-rung auf Kundenseite und schafft damit ei-nen zählbaren Mehrwert.

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

51

Tab. 11 Beschäftigtenzahl Veränderung gegenüber Vorjahr in %

WZ-Nr. 2007 2008 2009

Unternehmensnahe Dienstleister K 3,6 3,1 3,0 Immobilienwesen 70 1,0 0,5 0,4 Mobilenvermietung, -Leasing 71 2,6 2,1 2,0 Datenverarbeitung 72 5,5 4,9 4,8 Forschung und Entwicklung 73 2,2 1,7 1,6

Beratung, Planung, Auftragsdienst 74 3,7 3,2 3,1 Rechts-, Wirtschaftsberatung 74.1 3,5 3,7 3,6 Architektur- und Ingenieurbüros 74.2 2,2 2,0 1,7 Technische Untersuchung 74.3 2,8 2,2 1,9

Werbung 74.4 2,5 2,8 2,7 Personalvermittlung und -über- lassung 74.5 9,1 4,7 4,2 Sicherheitsdienste, Detekteien 74.6 2,0 2,2 2,0 Gebäudereinigung 74.7 2,2 2,2 2,2 Auftragsdienste 74,8 3,5 4,1 4,1

Öffentliche und persönliche Dienste L–O 0,9 1,0 1,0

Öffentliche Verwaltung, Sozialver- sicherung L – 0,7 – 0,4 – 0,4 Erziehung und Unterricht M 0,8 0,7 0,6 Gesundheit und Soziales N 1,5 1,8 1,8 Entsorgung, Interessenvertr., Kultur u.a. O 1,6 1,5 1,4

Entsorgung 90 – 1,1 – 0,2 – 0,2 Interessenvertretungen 91 1,3 1,5 1,6 Kultur, Sport und Unterhaltung 92 2,1 1,8 1,7 Persönliche Hygiene u.a. 93 1,8 1,7 1,3

Quelle: E. Bagus, Feri Rating & Research GmbH.

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

52

In einem durchschnittlichen Messejahr betragen die Gesamt-ausgaben der Messebesucherund -aussteller rund 345 Mill. €

Für Analysen im Messewesen ist die zeit-liche Abgrenzung von großer Bedeu-tung, da eine Reihe von Veranstaltungennicht jährlich, sondern in einem mehr-jährigen Turnus durchgeführt wird. Dem-entsprechend gibt es, gemessen an denAussteller- und Besucherzahlen und da-mit auch im Hinblick auf die wirtschaft-lichen Auswirkungen, »starke« und»schwache« Jahre. Für die Messe Es-sen GmbH wurden daher die veranstal-tungsinduzierten wirtschaftlichen Effek-te für ein repräsentatives (durchschnitt-liches) Messejahr quantifiziert, d.h. allein Essen stattfindenden Messen gingenentsprechend ihrer Periodizität in die Be-rechnungen ein.

Für die Ermittlung der wirtschaftlichenWirkungen der Essener Messen undKongresse wurden zahlreiche Erhebun-gen durchgeführt.4 Auf Basis des Befra-gungsumfangs konnten ohne Einschrän-kungen repräsentative Hochrechnungenerfolgen. Hierbei wurden mittels einesSchätzverfahrens die Gesamtausgabender Messen und Kongresse berechnet,bei denen keine Befragungen erfolgten.Das verwendete Modell stellt dabei an-hand zahlreicher Messe- und Kongress-merkmale kausale Zusammenhängezwischen den in die Befragungen einge-gangenen Veranstaltungen und dennicht befragten Messen und Kongres-sen her.

Essener Messen und Kongressen

Horst Penzkofer

Knapp 6 700 Arbeitsplätze basieren bundesweit auf

Zur Quantifizierung der aus den Ausgaben der Messebesucher, -aussteller und Kongressteilneh-

mer resultierenden sozioökonomischen Effekte hat das ifo Institut in den vergangenen Jahren die

datentechnischen und methodischen Grundlagen erarbeitet.1 Aufbauend auf den Ergebnissen führ-

te das ifo Institut für Deutschland insgesamt und darüber hinaus für einige Messegesellschaften

Studien zu den wirtschaftlichen Wirkungen von Messe- und Kongressveranstaltungen durch.2

Im Auftrag der Messe Essen GmbH erstellte das ifo Institut eine Studie über die wirtschaftli-

che Bedeutung der Messen und Kongresse in Essen auf die Stadt Essen, Nordrhein-Westfalen

und die Bundesrepublik Deutschland. Ziel dieser Untersuchung war die Ermittlung der direkt

und indirekt ausgelösten Umsatz- und Beschäftigungseffekte sowie des induzierten Steuerauf-

kommens.3

Essen59%

Ausland10%

Restliches Bundesgebiet 9%

Regionale Verteilung der Besucherausgaben von Essener Messen

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

durchschnittliches Messejahr

Insgesamt: 136 Mill. €

Ausgaben je Besucher: 90 €

RestlichesNordrhein-Westfalen

22%

Abb. 1

1 Vgl. hierzu beispielsweise Spannagel (1999) so-wie Täger und Penzkofer (2005).

2 Vgl. hierzu beispielsweise Penzkofer (2002 und2007).

3 Eine solche Quantifizierung der wirtschaftlichen Wir-kungen stellt darauf ab, dass die durch die Mes-se- und Kongressausgaben »ausgelasteten« Pro-duktions- und Beschäftigungskapazitäten nichtdurch andere Nachfrageaktivitäten tangiert bzw.genutzt werden, d.h. der etwaige Ausfall der Mes-se- und Kongressausgaben als Nachfragevolumenwird nicht durch Ausgaben anderer Unternehmenund Personen kompensiert. Nahezu alle Studienzur Berechnung der so genannten »Umwegeren-tabilität« größerer Infrastrukturprojekte haben die-se Annahme zur Grundlage. Die Studie stellt so-mit eine reine Impact-Analyse dar.

4 Im Messebereich konnten Befragungsergebnisseaus folgenden Veranstaltungen verwendet werden:Aussteller- und Besucherbefragungen anlässlichder Messen IPM, Reise/Camping und E-world ener-gy & water; Ausstellerbefragung anlässlich der Es-sen Motor Show; Informationen aus Teilbefragun-gen anlässlich der Messen Deubau, SHK, Metpack,Reifen, IFLO, Security, Schweißen&Schneiden; de-taillierte Strukturdaten der wichtigen Gastveranstal-tungen in Essen. Im Kongressbereich wurden Ver-anstaltungen mit regionaler, nationaler und interna-tionaler Ausrichtung in die Untersuchung einbezo-gen. Darüber hinaus fanden bei einigen weiterenEvents (z.B. Konzerte, Hauptversammlung) Umfra-gen statt.

Daten und Prognosen

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

53

Insgesamt werden von den Essener Messe-besuchern im Durchschnitt jährlich über136 Mill. € ausgegeben, die Ausgaben jeMessebesucher liegen im Schnitt bei 90 €.Die gesamten Ausgaben in Höhe von136 Mill. € werden nicht nur in Essen getä-tigt. Die Stadt Essen profitiert zwar mit einemBetrag von über 80 Mill. € am stärksten, aberauch auf das restliche Nordrhein-Westfalenentfällt mit über 29 Mill. € ein beträchtlichesAusgabevolumen (vgl. Abb. 1).

Von den Gesamtausgaben der Besucherhat die Kostenposition »An- und Abreise«mit einem Anteil von über 27% das stärks-te Gewicht. Die Ausgaben für Übernach-tungen schlagen mit knapp 14% und in derGastronomie mit gut 12% zu Buche. In star-kem Umfang partizipiert auch der Einzel-handel von den Besucherausgaben (knapp14% der Gesamtausgaben). Während auf den vor- bzw.nachgelagerten Aufenthalt (u.a. Urlaub) knapp 11% ent-fallen, trägt der Messeeintritt (inkl. Kauf von Katalogen)zu den gesamten Ausgaben aller Besucher dagegen nurrund 7% bei.

Für die Ermittlung der messeinduzierten Gesamtausgabender Aussteller wurden alle betrieblichen Ausgaben als rele-vant angesehen, die aus der Sicht des Unternehmens mitder Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbei-tung der einzelnen Messebeteiligung auf dem Essener Aus-stellungsgelände in einem direkten Zusammenhang stehen.Unter Zugrundelegung dieses Kriteriums wurden auch dieunternehmensinternen Personalkosten in die Ermittlung derGesamtausgaben der Aussteller einbezogen. Desgleichenwurden die Ausgaben für die An- und Abreise des Auf- undAbbaupersonals sowie des Standpersonals der Unterneh-men berücksichtigt, da diese Ausgaben in einem unmittel-baren Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchfüh-rung der Essener Messeaktivitäten stehen. Für die Analyseder wirtschaftlichen Wirkungen der beiden zuletzt erwähn-ten Ausgabenarten ist zu berücksichtigen, dass diese Aus-gaben nur zu einem geringen Teil in Essen wirtschaftlich wirk-sam werden, d.h. diese Ausgaben werden teilweise am Fir-mensitz des ausstellenden Unternehmens getätigt.

Die Berechnungen der Gesamtausgaben der Aussteller ha-ben einen Betrag in Höhe von jahresdurchschnittlich rund209 Mill. € ergeben. Bezogen auf die Essener Messever-anstaltungen resultiert ein Ausgabenbetrag pro Ausstellervon rund 18 200 €. Während die Besucherausgaben zu 59%in Essen anfallen, zeigt sich bei den Ausstellerausgaben ei-ne andere Ausgabenverteilung (vgl. Abb. 2): »Nur« rund einDrittel der Ausstellerausgaben wird in Essen wirksam. DieDifferenzierung der Ergebnisse nach Besuchern und Aus-

stellern zeigt somit, dass die Ausgaben der Besucher einendeutlich stärkeren regionalen Bezug aufweisen. Ein wesent-licher Grund hierfür liegt darin, dass vor allem die ausländi-schen, aber auch die inländischen Aussteller viele Vorarbei-ten und Elemente für den Messestand im Ausland oder au-ßerhalb von Essen produzieren lassen.

Gemessen an dem Gesamtwert aller Ausstellerausgabenvon rund 209 Mill. € entfallen die größten Anteile auf die Aus-gaben ...

– für den Standbau rund 23%,– für die Standmiete (inkl. Nebenkosten) rund 21%,– für das unternehmensinterne Personal rund 16%.

Mit Ausnahme der Reisekosten (Fern- und Nahbereich: knapp13%) und der Inanspruchnahme von unternehmensnahenDienstleistungen (knapp 10%) weisen die übrigen Ausgaben-arten (z.B. Übernachtung, Verpflegung/private Einkäufe, Wer-bung/Repräsentation) für eine Essener Messebeteiligung An-teile in einer Größenordnung von rund 5 bis 6% auf.

Knapp 5 550 Personen im Jahresdurchschnittdurch Essener Messen beschäftigt

Die von den Besuchern und Ausstellern ausgelöste Produk-tion bedingt eine Reihe von indirekten wirtschaftlichen Wir-kungen. Die unmittelbaren Produktionseffekte führen durchdie Nachfrage nach Vorleistungen zu vorleistungsbedingterProduktion, die sich in allen Produktionsstufen fortsetzt.5

Essen33%

Ausland15%

Restliches Bundesgebiet

25%

Regionale Verteilung der Ausstellerausgaben von Essener Messen

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

durchschnittliches Messejahr

Insgesamt: 209 Mill. €

Ausgaben je Aussteller: 18 234 €

Restliches Nordrhein-Westfalen 27%

Abb. 2

5 Die Quantifizierung der indirekten Wirkungen erfolgte mit Hilfe der Input-Output-Rechnung, die die Liefer- und Leistungsverflechtungen zwischenden verschiedenen Wirtschaftssektoren abbildet. Hierbei wurde die Input-Output-Tabelle des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2003 hinsicht-lich von Preis- und Produktivitätsentwicklungen für den Untersuchungs-zeitpunkt aktualisiert. Zur Analyse der regionalen indirekten Effekte wur-den gebietsspezifische Input-Output-Tabellen approximiert.

Daten und Prognosen

i fo Schne l ld ienst 22/2007 – 60. Jahrgang

54

Neben diesen Produktionseffekten kommen noch Einkom-menseffekte hinzu, da die Produktion zu Einkommen bei denprivaten Haushalten führt und damit eine zusätzliche Nach-frage hervorruft. Diese vermehrte Endnachfrage löst wieder-um multiplikative Produktionseffekte aus. Werden diese ge-samten (direkten und indirekten) Produktionseffekte in dieBetrachtung einbezogen, so errechnet sich, dass insgesamtpro Jahr in Deutschland 5 527 Erwerbstätige6 von den Aus-gaben abhängig sind, die anlässlich der Essener Messengetätigt werden (vgl. Abb. 3). Bezogen auf Essen resultie-ren 2 571 von Essener Messeveranstaltungen abhängigeArbeitsplätze.

Das Steueraufkommen der messeinduzierten Besucher- und Ausstellerausgaben beläuft sich für ein durchschnittliches Messejahr auf 91 Mill. €

Weitere mit den Messeaktivitäten in Essen verbundeneWirkungen stellen Steuereinnahmen der verschiedenenGebietskörperschaften (Stadt Essen, Bundesland Nord-rhein-Westfalen, Bundesrepublik Deutschland) dar, die in-folge von Produktionsprozessen, daraus resultierendenEinkommen und Gewinnen sowie durch den privaten Ver-brauch anfallen. Die bedeutendsten Positionen sind dieMehrwertsteuer, Lohnsteuer, Einkommensteuer sowie Kör-perschaftsteuer.

Die anfallenden Steuerbeträge in Höhe von 91 Mill. € er-hält entsprechend den für die jeweiligen Steuerarten zugrun-de liegenden Vorschriften zu knapp 3% die Stadt Essen. Aufdas Bundesland Nordrhein-Westfalen entfallen knapp 35%und auf die Bundesrepublik Deutschland über 51%. Ein

Anteil von gut 11% fließt den übrigen Bun-desländern zu.

Kongress- und veranstaltungs-induzierte Ausgaben führten 2006zu einer Beschäftigung von bundesweit rund 1 150 Personen

Neben Messeveranstaltungen leisten auchKongresse, Tagungen und Events, die zu-sätzlich Kaufkraft in eine Region bringen,einen bedeutenden Beitrag zu den wirt-schaftlichen Effekten. Wesentliches Ziel die-ser Untersuchung war es, ausgehend vonden gesamten Ausgaben der Veranstal-tungsteilnehmer, die direkten und indirek-

ten Umsatz- und Beschäftigungswirkungen sowie das ver-anstaltungsinduzierte Steueraufkommen für das Jahr 2006zu ermitteln.

Im Jahr 2006 beliefen sich die Gesamtausgaben der in- undausländischen Kongress- und Veranstaltungsteilnehmer aufrund 60 Mill. €.7 Die Ausgaben je Veranstaltungsteilneh-mer lagen im Schnitt bei rund 61 €, bezogen auf die Kon-gressteilnehmer resultierte ein durchschnittlicher Ausga-benbetrag in Höhe von 268 €.

Von den Gesamtausgaben aller Kongressveranstaltungen,die zu 65% in Essen getätigt werden, hatten die Ausgabenfür Übernachtungen und in der Gastronomie (zusammenüber 30%) das stärkste Gewicht. Die Kosten der An- undAbreise schlugen mit knapp 30% zu Buche. Der Einzelhan-del profitierte zu rund knapp einem Zehntel von den Aus-gaben der Kongressteilnehmer.

Die Ermittlung der indirekten Effekte erfolgte – wie bei denMesseveranstaltungen – mittels der Input-Output-Rechnung.Die direkt und indirekt mit den Ausgaben der Kongressteil-nehmer und Veranstaltungsbesucher verbundenen Beschäf-tigungswirkungen ergaben 1 147 Erwerbstätige, deren Ar-beitsplätze im Jahr 2006 in einem Bezug zu den Kongres-sen und sonstigen Events der Messe Essen GmbH stan-den. Über 57% bzw. 656 der insgesamt kongress- und ver-anstaltungsinduzierten Beschäftigten sind hierbei Essen zu-zuordnen.

Die veranstalteten Kongresse und Events induzierten überdie ausgelösten direkten und indirekten Wirkungen auf Pro-duktion und Einkommen Steuereinnahmen in Höhe vonüber 18 Mill. € für die verschiedenen Gebietskörperschaf-ten. Von den Steuereinnahmen entfielen über 3% auf die

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

Essen RestlichesNordrhein-Westfalen

RestlicheBundesländer

Insgesamt

1 858

5 527

1 098

Jahresdurchschnittliche Beschäftigungswirkungen der Essener Messen

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

Personen

Erwerbstätige

2 571

Abb. 3

6 Die mit der Nachfrage verbundene Beschäftigung wurde mittels branchen-spezifischer Arbeitskoeffizienten errechnet. Die ausgewiesenen Erwerbs-tätigen basieren somit auf der (dem) geleisteten Arbeitszeit (Ertrag) einerwirtschaftszweigbezogenen repräsentativen Arbeitsperson.

7 Die Gesamtausgaben setzen sich wie folgt zusammen: Kongresse 42 Mill. €und sonstige Veranstaltungen 18 Mill. €.

Daten und Prognosen

60. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 22/2007

55

Stadt Essen und rund ein Drittel auf das Bun-desland Nordrhein-Westfalen.

Messe-, Kongress- und sonstigeEventveranstaltungen der MesseEssen GmbH induzieren jahres-durchschnittlich eine Beschäftigungvon knapp 6 700 Personen

Die Messe-, Kongress- und Eventaktivitä-ten der Messe Essen GmbH stellen, wienachfolgende Ergebniszusammenfassungfür ein durchschnittliches Veranstaltungsjahrzeigt, vor allem für die Stadt Essen, aber auchfür das Bundesland Nordrhein-Westfalen, ei-nen nicht zu unterschätzenden Beschäfti-gungsfaktor dar:

– Für ein durchschnittliches Veranstaltungsjahr belaufensich die Gesamtausgaben der in- und ausländischenMessebesucher, -aussteller sowie Kongress-/Eventteil-nehmer auf rund 405 Mill. €. Dahinter verbirgt sich eindurch die Veranstaltungen ausgelöstes direktes inländi-sches Produktionsvolumen in Höhe von 288 Mill. €. Dasdirekte Produktionsvolumen führt durch die Nachfragenach Erzeugnissen zu vorleistungsbedingter Produktion,deren Wirkungen sich über alle Produktionsstufen mul-tiplikativ fortsetzen. Darüber hinaus werden infolge derVerwendung der zusätzlichen Einkommen für konsumti-ve Zwecke weitere Produktionswirkungen ausgelöst. Dieinsgesamt angestoßenen gesamtwirtschaftlichen (direk-ten und indirekten) Produktionseffekte in Deutschlandbetragen rund 579 Mill. €.

– Für alle Gebietskörperschaften der Bundesrepublik erge-ben sich für ein durchschnittliches VeranstaltungsjahrSteuereinnahmen in Höhe von über 109 Mill. €. Auf Es-sen und das restliche Nordrhein-Westfalen entfallen hier-von 40,6 Mill. €.

– Die inländischen gesamtwirtschaftlichen Produktionsef-fekte ermöglichen die Beschäftigung von bundesweit rund6 700 Erwerbspersonen (exakt: 6 674; vgl. Abb. 4). Be-zogen auf Essen sind es über 3 200 Erwerbspersonen(exakt: 3 227), die von Messen, Kongressen und sons-tigen Events der Messe Essen GmbH abhängig sind, fürNordrhein-Westfalen 2 124 Personen. Aufgrund der Lie-ferverflechtungen partizipieren auch Unternehmen in denübrigen Bundesländern an den wirtschaftlichen Wirkun-gen. Die Zahl der Erwerbstätigen beträgt 1 323.

Die regionale Bedeutung der durchgeführten Veranstal-tungen unterstreicht der erzielte Kaufkraftzufluss (Umweg-rendite). Der durch die Veranstaltungen induzierte Umsatzliegt im Jahresdurchschnitt bundesweit bei 652 Mill. €. AufEssen entfallen hiervon rund 273 Mill. €. Ein Euro Umsatz

der Messe Essen GmbH generiert damit im Jahresdurch-schnitt 5,2 € Umsatz in der Stadt Essen. Bundesweit in-duziert ein Euro Messe- bzw. Veranstaltungsumsatz der Mes-se Essen GmbH in einem durchschnittlichen Messe-/Veran-staltungsjahr 12,4 € Umsatz.

Literatur

Täger, U.Chr. und H. Penzkofer (2005), »Production and employment ef-fects of trade fairs and exhibitions«, in: M. Kirchgeorg et al. (Hrsg.), TradeShow Management, Gabler, Wiesbaden, 127–139.Spannagel, R., U.Chr. Täger, G. Weitzel et al. (1999), Die gesamtwirtschaft-liche Bedeutung von Messen und Ausstellungen in Deutschland, ifo Studienzu Handels- und Dienstleistungsfragen, Bd. 57, ifo Institut, München.Penzkofer, H. (2007), »Bundesweit knapp 6 500 Personen durch Hambur-ger Messen und Kongresse beschäftigt«, ifo Schnelldienst 60(9), 35–39.Penzkofer, H. (2002), »Wirtschaftliche Wirkungen der Frankfurter Messen«,ifo Schnelldienst 55(1), 15–22.

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

Essen RestlichesNordrhein-Westfalen

RestlicheBundesländer

Insgesamt

2 124

6 674

1 323

Jahresdurchschnittliche Beschäftigungswirkungen der Essener Messe- , Kongress- und Eventaktivitäten

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

Personen

Erwerbstätige

3 227

Abb. 4

im Internet: http://www.ifo.de

ifo Institut für Wirtschaftsforschung