ILLUSTRIERTE KRIEGS-CHRONIK 1914

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NUMMER 1. PREIS 40 h = 35 Pf. LEIPZIG, 1914. HEINRICH STERNFELD.

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NUMMER 1. PREIS 40 h = 35 Pf.

LEIPZIG, 1914.HEINRICH STERNFELD.

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Diese Publikation erscheint in 8 bis 14 tägigenZwischenräumen. Man abonniert in jeder Buch-handlung oder durch den Kolporteur. Wo solchefehlen, beim Verlage direkt. Bestellungen ausDeutschland richte man in diesem Falle nachLeipzig, Salomonstraße Nr. 16, aus Österreich-Ungarn nach Wien, l., Franzensring Nr. 22.

DIE VERLAGSHANDLUNG.

ILLUSTRIERTE

KRIEGS-CHRONIK1 9 1 4

Eine illustrierte Dar-stellung nach authen-tischen Quellen vomBeginne bis zum Ende

des Krieges.

Nummer 1

Leipzig 1914.

Heinrich Sternfeld.

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Alle Rechte vorbehalten. — Copyright by Henry Sternfeld.

Geleitwort.

Zu diesem Werk, das wir beginnen, führt uns die Fülleder Ereignisse, deren Nachrichten täglich auf uns einstürmen,die Feder.

In chronologischer Reihenfolge, so wie wir sie erhalten,reproduzieren wir die Stimmen der Blätter aus aller HerrenLänder.

So wird diese Chronik ein getreues Spiegelbild der großenZeit, die wir miter eben. Sie reflektiert nicht nur die Befürch-tungen und Hoffnungen, unter deren Eindrücken wir tagtäglichstehen, als eine lebendige Erinnerung für alle Zeitgenossen, siewird auch als ein historisches Denkmal bestehen bleiben, fürdie, die in späteren Zeiten den großen Weltkrieg in seinenUrsachen und Wirkungen ergründen wollen.

Aber diese werden daraus auch erkennen, wie wir, Deutsch-land und Oesterreich, die Hüter der Kultur Europas bis zum letztenAugenblick geblieben, und daß wir mit heiligem Ernst undPflichtbewußtsein an die Lösung der furchtbaren Rufgabe derblutigen Neuordnung aller Dinge herangeschritten sind.

Jetzt, da wir an diese Arbeit gehen, ist das Ende desKrieges in den Schleier des Zukünftigen gehüllt.

Fiber wir alle, in Deutschland und Oesterreich, die wiram Anfang der Kriegsnot stehen, sind voller Hoffnung, aberauch voll ernstester Entschlossenheit.

Die Herausgeber.

Druck der Gewerblichen Druck- und Verlagsanstait Ges. m. b. H.

Wien, VI. Mariahilfergürtel Nr. 14.l*

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Kaiser Franz Joseph 1. Kaiser Wilhelm II.

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Vorgeschichte.

Der zweite Balkankrieg zwischen Serbien und Griechenland einer-seits und Bulgarien andererseits, die sich über die den Türken abgejagteBeute nicht einigen konnten, war zu Ende. Rumänien legte sein Schwertnoch zu Gunsten der Sieger in die Wagschale und zwang dem im erstenBalkankriege verbluteten, im zweiten besiegten Bulgarien seinen Willen auf.

Der Friede von Bukarest krönte die Vormachtstellung Rumäniensauf dem Balkan. Der serbische Feind hatte alles erreicht, was er wollte,mit Ausnahme des Zuganges zur Adria. Oesterreich verlangte eineRevision dieses Friedens, den es nicht als endgültig ansehen wollte.Der deutsche Kaiser erhob jedoch seine Stimme zu Gunsten des Buka-rester Friedens und Oesterreich durfte und wollte es gewiß nicht deshalbzu einer Verstimmung mit dem deutschen Bundesgenossen kommen lassen.

Graf Berchtold verzichtete deshalb auf weitere Schritte, hatte erdoch die Gründung des Fürstentums Albanien erreicht, das leider balddas Schmerzenskind Europas werden sollte.

So dankbar als Objekt das Volk der Albaner für den volkskundlichenForscher sein mag, so undankbar war es für die Rechnung des Poli-tikers und Staatsmannes. Wie konnte man versuchen, einem Volk, das inseinen Vorstellungen von Recht und Sitte auf der Stufe primitiver Völkersteht, die Formen eines modernen europäischen Staatswesens aufzuzwingen?Es war offenbar der österreichisch-ungarischen Diplomatie lieber, demSerbenreiche einen feindlichen Nachbar in seiner Flanke erstehen zulassen, als es zum Herren dieses Landes zu machen. Die Albaner werdengewiß nicht so bald die Grausamkeiten und Schändlichkeiten vergessen,die serbisches Militär an der wehrlosen Bevölkerung im Balkankriegeverübte. Verbrannte Dörfer, zerstückelte Leichname, moderndes Gebein,waren die Spuren, die das Serbenheer dort zurückließ.

Dieser Haß, in einem Lande, in dem von jeher die Blutrachealtehrwürdiges Gesetz ist, versprach eine lange Dauer, geht doch dieVerpflichtung, Blutschuld mit Blut zu sühnen, in jeder albanischen Familieund in jedem Stamme auf Kind und Kindeskinder über.

Es war unschwer vorauszusehen, daß in dieses künstlich ge-schaffene Staatswesen so bald normale Verhältnisse nicht einziehenwürden. Im Frühjahr des Jahres 1914 brachen Aufstände der mohammeda-nischen Bevölkerung gegen den schwächlichen Fürsten Wilhelm aus,gegen diesen Fürsten ohne Geld und Heer. Das albanische Problem wurdeeine schwere Sorge aller europäischen Kabinette, um so mehr, als esnicht klar schien, welche Macht an der Schürung dieses Feuers am meisteninteressiert war. Eines war sicher: Auf Wilhelm von Albanien schlugman, Oesterreich, seinen Protektor, meinte man. Bald hieß es, hinter denAufständischen stehe Serbien, bald die Jungtürken, bald Italien. Ja essah fast so aus, als ob letzteres mit Waffengewalt intervenieren wollte.Kurz die Weltlage war alles eher, wie friedlich. Eine Zusammenkunft desZaren mit dem König von Rumänien ließ den Schluß zu, daß sich auf demBalkan neue Gruppierungen und neue Ereignisse vorbereiteten. Presse-stimmen und öffentliche Kundgebungen, die sich daran in Rumänienknüpften, ließen leider erkennen, daß Rumänien in das Schlepptau einerantiösterreichischen Politik genommen werden sollte. Aus dem altenFreunde der Donaumonarchie war, wenn auch kein ausgesprochenerFeind, so doch mindestens ein nicht zuverlässiger Nachbar geworden.Eine für August in Rußland angeordnete Probemobilmachung im größtenStile, l 1/2 Millionen Mann, erweckte ebenfalls schwere Befürchtungenfür die Ruhe Europas. Man war darauf gefaßt, daß Rußland nach voll-endeter Kriegsbereitschaft mit politischen Forderungen auftreten werde,die man in Europa wohl nicht gleichgültig hinnehmen konnte. DunkleWolken umdüsterten den europäischen Himmel.

Ein greller Blitz sollte in einem Augenblicke die Lage jäherleuchten. Am 28. Juni wurde der Erzherzog Franz Ferdinand, der in,Bosnien den Manövern beiwohnte, mit seiner Gemahlin Sophie, Herzoginvon Hohenberg, in den Straßen Sarajevos von dem Studenten Prinzipdurch zwei Revolverschüsse ermordet, nachdem ein Bombenattentat, daseine halbe Stunde früher von einem gewissen Cabrinovic gegen ihnverübt wurde, mißglückt war. Beide Attentäter wurden verhaftet. S i ew a r e n ö s t e r r e i c h i s c h e S t a a t s a n g e h ö r i g e s e r b i s c h e rN a t i o n a l i t ä t . Man war keinen Augenblick im Zweifel darüber, werdiesen zwei unreifen Desperados die meuchlerischen Waffen in die Handgedrückt hatte: der Todfeind der Donaumonarchie „das K ö n i g r e i c hSerb ien" ! Ein Wutschrei über diese verbrecherische Tat gellte durch Stadt

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und Land Oesterreich-Ungarns. Das offizielle Serbien, statt sich von derSchuld, mit der es der ganzen zivilisierten Welt einen Faustschlag ver-setzt hatte, zu reinigen, ließ als Antwort durch seine Presse Oesterreichnoch verhöhnen und machte keinerlei Miene, die erhobenen Beschul-

digungen zu entkräften oder die im Lande befindlichen Mitschuldigen zurVerantwortung zu ziehen. Die Langmut Oesterreichs war zu Ende; dieseTat schlug dem Faß den Boden aus.

Bange Tage der Ungewißheit sollten nun für die ganze Weltverstreichen.

Die kaiserliche und königliche Regierung ließ verkünden, daß sieerst auf Grund der Ergebnisse der gerichtlichen Untersuchung, die ein

ganzes Komplott in Bosnien und der Herzegowina aufdecken sollte, vor-gehen wolle; dann aber, falls sich eine Mitschuld offizieller serbischer Kreiseergeben würde, müßten die Beziehungen zu Serbien, wie sich Minister-präsident Tisza im ungarischen Äbgeordnetenhause ausdrückte, „geklärt"werden. Allzulange hatte man eine solche Sprache im Habsburgerreichenicht mehr vernommen. Was die Worte Tiszas bedeuteten, war nichtmißzuverstehen: Sühne für die Mordtat an dem verbrecherischen Lande,

Exz. FML. von Giesl, k. k. Gesandter in Belgrad.

das die Mörder gedungen. Demütigung und Entwaffnung durch die Mittelder Diplomatie oder durch die Gewalt der Waffen.

Mit angehaltenem Atem wartete die Welt auf den Schritt desGrafen Berchtold, des Ministers des Aeußern.

Am 24. Juli überreichte der Gesandte Oesterreich-Ungarns inBelgrad FML. Baron Giesl der königlich serbischen Regierung fol-gende Note:

„Am 31 März 1909 hat der königlich serbische Gesandte amWiener Hofe im Auftrage seiner Regierung der kaiserlichen und könig-lichen Regierung folgende Erklärung abgegeben:

Erzherzog Franz Ferdinand und Gemahlin Herzogin Sophievon Hohenberg.

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„Serbien anerkennt, daß es durch die in Bosnien geschaffeneTatsache in seinen Rechten nicht berührt wurde und daß es sichgemäß den Entschließungen anpassen wird, welche die Mächtein Bezug auf den Artikel 25 des Berliner Vertrages treffen werden.Indem Serbien den Ratschlägen der Großmächte Folge leistet, ver-pflichtet es sich, die Haltung des Protestes und des Widerstandes,die es hinsichtlich der Annexion seit dem vergangenen Oktobereingenommen hat aufzugeben, und es verpflichtet sich ferner, dieRichtung seiner gegenwärtigen Politik gegenüber Oesterreich-Ungarnzu ändern und künftighin mit diesem letzteren auf dem Fuße freund-nachbarlicher Beziehungen zu leben."

Die Geschichte der letzten Jahre nun und insbesondere die schmerz-lichen Ereignisse des 28. Juni haben das Vorhandensein einer subver-siven Bewegung in Serbien erwiesen, deren Ziel es ist, von der öster-reichisch-ungarischen Monarchie gewisse Teile ihres Gebietes loszu-trennen. Diese Bewegung, die unter den Augen der serbischen Regie-rung entstand, hat in der Folge jenseits des Gebietes des Königreichesdurch Akte des Terrorismus, durch eine Reihe von Attentaten und durchMorde Ausdruck gefunden.

Weil entfernt, die in der Erklärung vom 31. März 1909 enthaltenenformellen Verpflichtungen zu erfüllen, hat die königlich serbische Re-gierung nichts getan, um diese Bewegung zu unterdrücken. Sie duldetedas verbrecherische Treiben der verschiedenen, gegen die Monarchiegerichteten Vereine und Vereinigungen, die zügellose Sprache der Presse,die Verherrlichung der Urheber von Attentaten, die Teilnahme von Offi-zieren und Beamten an subversiven Umtrieben, sie duldete eine unge-sunde Propaganda im öffentlichen Unterricht und duldete schließlichalle Manifestationen, welche die serbische Bevölkerung zum Hasse gegendie Monarchie und zur Verachtung ihrer Einrichtungen verleiten konnten.

Diese Duldung, der sich die königlich serbische Regierung schuldigmachte, hat noch in jenem Moment angedauert, in dem die Ereignissedes 28. Juni der ganzen Welt die grauenhaften Folgen solcher Duldungzeigten.

Es erhellt aus den Aussagen und Geständnissen der verbrecherischenUrheber des Attentats vom 28. Juni, daß der Mord von Sarajevo in Bel-grad ausgeheckt wurde, daß die Mörder die Waffen und Bomben, mitdenen sie ausgestattet waren, von serbischen Offizieren und Beamtenerhielten, die der „Narodna Odbrana" angehörten, und daß schließlichdie Beförderung der Verbrecher und deren Waffen nach Bosnien vonleitenden serbischen Grenzorganen veranstaltet und durchgeführt wurde.

Die angeführten Ergebnisse der Untersuchung gestatten es derk. u. k. Regierung nicht, noch länger die Haltung zuwartender Langmutzu beobachten, die sie durch Jahre jenen Treibereien gegenüber ein-genommen hatte, die ihren Mittelpunkt in Belgrad haben und von daauf die Gebiete der Monarchie übertragen werden. Diese Ergebnisse legender k. u. k. Regierung vielmehr die Pflicht auf, Umtrieben ein Ende zubereiten, die eine ständige Bedrohung für die Ruhe der Monarchie bilden.

Um diesen Zweck zu erreichen, sieht sich die k. u. k. Regierunggezwungen, von der serbischen Regierung eine offizielle Versicherungzu verlangen, daß sie die gegen Oesterreich-Ungarn gerichtete Propa-ganda verurteilt, das heißt, die Gesamtheit der Bestrebungen, deren End-ziel es ist, von der Monarchie Gebiete loszulösen, die ihr angehören,und daß sie sic'h verpflichtet, diese verbrecherische und terroristischePropaganda mit allen Mitteln zu unterdrücken.

Um diesen Verpflichtungen einen feierlichen Charakter zu geben,wird die königlich serbische Regierung auf der ersten Seite ihres offi-ziellen Organs vom 26./13. Juli nachfolgende Erklärung veröffentlichen:

„Die königlich serbische Regierung verurteilt die gegen Oester-reich-Ungarn gerichtete Propaganda, daß heißt die Gesamtheit jenerBestrebungen, deren letztes Ziel es ist, von der österreichisch-unga-rischen Monarchie Gebiete loszutrennen, die ihr angehören, und siebedauert aufrichtigst die grauenhaften Folgen dieser verbrecherischenHandlungen.

Die königlich serbische Regierung bedauert, daß serbischeOffiziere und Beamte an der vorgenannten Propaganda teilgenommenund damit die freundnachbarlichen Beziehungen gefährdet haben, diezu pflegen sich die königliche Regierung durch ihre Erklärung vom31. März 1909 feierlichst verpflichtet hatte.

Die königliche Regierung, die jeden Gedanken oder jedenVersuch einer Einmischung in die Geschicke der Bewohner wasimmer für eines Teiles Oesterreich-Ungarns mißbilligt und zurückweisterachtet es für ihre Pflicht, die Offiziere, Beamten und die gesamteBevölkerung des Königreiches ganz ausdrücklich aufmerksam zumachen, daß sie künftighin mit äußerster Strenge ge^en jene Per-sonen vorgehen wird, die sich derartiger Handlungen schuldigmachen sollten, Handlungen, denen vorzubeugen und die zu unter-drücken sie alle Anstrengungen machen wird."Diese Erklärung wird gleichzeitig zur Kenntnis der königlichen

Armee durch einen Tagesbefehl Sr. Majestät des Königs gebracht undin dem offiziellen Organe der Armee veröffentlicht werden.

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Die königlich serbische Regierung verpflichtet sich überdies:1. Jede Publikation zu unterdrücken, die zum Haß und zur Ver-

achtung der Monarchie aufreizt und deren allgemeine Tendenz gegendie territoriale Integrität der letzteren gerichtet ist.

2. Sofort mit der Auflösung des Vereines „Narodna Odbrana"vorzugehen, dessen gesamte Propagandamittel zu konfiszieren und inderselben Weise gegen die anderen Vereine und Vereinigungen in Serbieneinzuschreiten, die sich mit der Propaganda gegen Oesterreich-Ungarnbeschäftigen; die königliche Regierung wird die nötigen Maßregelntreffen, damit die aufgelösten Vereine nicht etwa ihre Tätigkeit unteranderem Namen oder in anderer Form fortsetzen.

3. Ohne Verzug aus dem öffentlichen Unterrichte in Serbien,sowohl was den Lehrkörper als auch die Lehrmittel betrifft, alles zubeseitigen, was dazu dient oder dienen könnte, die Propaganda gegenOesterreich-Ungarn zu nähren.

4. Aus dem Militärdienste und der Verwaltung im allgemeinen alleOffiziere und Beamten zu entfernen, die der Propaganda gegen Oester-reich-Ungarn schuldig sind, und deren Namen unter Mitteilung desgegen sie vorliegenden Materials der königlichen Regierung bekannt-zugeben sich die k. u. k. Regierung vorbehält.

5. Einzuwilligen, daß in Serbien Organe der k. u. k. Regierung beider Unterdrückung der gegen die territoriale Integrität der Monarchiegerichteten subversiven Bewegung mitwirken.

Eine gerichtliche Untersuchung gegen jene Teilnehmer des Komplottsvom 28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischem Territorium befinden;

von der k. u. k. Regierung hiezu delegierte Organe werden anden bezüglichen Erhebungen teilnehmen.

7. Mit aller Beschleunigung die Verhaftung des Majors Voja Tan-kosic und eines gewissen Milan Ciganovic, serbischen Staatsbeamten,vorzunehmen, welche durch die Ergebnisse der Untersuchung kompro-mittiert sind.

8. Durch wirksame Maßnahmen die Teilnahme der serbischen Be-hörden an dem Einschmuggeln von Waffen und Explosivkörpern überdie Grenze zu verhindern;

jene Organe des Grenzdienstes von Schabatz und Loznica, die denUrhebern des Verbrechens von Sarajevo bei dem Uebertritte über dieGrenze behilflich waren, aus dem Dienste zu entlassen und strenge zubestrafen.

9. Der k. u. k. Regierung Aufklärungen zu geben über die nicht zurechtfertigenden Aeußerungen hoher serbischer Funktionäre in Serbien

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und im Auslande, die, ihrer offiziellen Stellung ungeachtet, nicht ge-zögert haben, sich nach dem Attentate vom 28. Juni in Interviews infeindlicher Weise gegen Oesterreich-Ungarn auszusprechen.

10. Die k. u. k. Regierung ohne Verzug von der Durchführungder in den vorigen Punkten zusammengefaßten Maßnahmen zu ver-ständigen.

Die k. u. k. Regierung erwartet die Antwort der königlichen Regierungspätestens bis Samstag den 25. d. um 6 Uhr nachmittags.

Ein Memoire über die Ergebnisse der Untersuchung von Sarajevo,soweit sie sich auf die in Punkt 7 und 8 genannten Funktionäre beziehen,ist dieser Note beigeschlossen."

Das der Note beiliegende Memoire, teilte in folgenden Sätzen derserbischen Regierung die Resultate der gerichtlichen Untersuchung inSarajevo mit:

,,Die bei dem Gerichte in Sarajevo gegen Gavrilo Princip undGenossen wegen des am 28. Juni 1. J. begangenen Meuchelmordes, be-ziehungsweise wegen Mitschuld hieran anhängige Strafuntersuchung hatbisher zu folgenden Feststellungen geführt:

1. Der Plan, den Erzherzog Franz Ferdinand während seines Aufent-haltes in Sarajevo zu ermorden, wurde in Belgrad von Gavrilo Princip,Nedeljko Cabrinovic, einem gewissen Milan Ciganovic und Trifko Grabezunter Beihilfe des Majors Voja Tankosic gefaßt.

2. Die sechs Bomben und vier Browningpistolen samt Munition,deren sich die Verbrecher als Werkzeuge bedienten, wurden dem Princip,Cabrinovic und Grabez in Belgrad von einem gewissen Milan Ciganovicund dem Major Voja Tankosic verschafft und übergeben.

3. Die Bomben sind Handgranaten, die dem Waffendepot der ser-bischen Armee in Kragujevac entstammen.

4. Um das Gelingen des Attentats zu sichern, unterwies Ciganovicden Princip, Cabrinovic und Grabez in der Handhabung der Granatenund gab in einem Walde neben dem Schießfelde von Topschider demPrincip und Grabez Unterricht im Schießen mit Browningpistolen.

5. Um den Princip, Cabrinovic und Grabez den Uebergang überdie bosnisch-herzegowinische Grenze und die Einschmuggelung ihrerWaffen zu ermöglichen, wurde ein ganzes geheimes Transportsystemdurch Ciganovic organisiert. Der Eintritt der Verbrecher samt ihrenWaffen nach Bosnien und der Herzegowina wurde von den Grenzhaupt-leuten von Schabatz (Rade Popovic) und Loznica, sowie von dem Zoll-organ Rudivoj Grbic von Loznica mit Beihilfe mehrerer anderer Personendurchgeführt."

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Diese Note, die Tiszaschen Geist atmete, war wohl dazu angetan,die endliche Klarheit der Beziehungen zwischen dem Habsburgerreicheund Serbien zu schaffen. Ihr kurzer Sinn hieß: „ K ü n f t i g e K o n t r o l l eS e r b i e n s d u r c h O e s t e r r e i c h - U n g a r n o d e r Krieg."

Aus allen Blättern der Dreibundmächte erklang die Stimme desEinverständnisses mit dieser zielbewußten Sprache. Zwei Tage warSerbien Frist gewährt. Zwei Tage, lastete nun auf Wien und der ganzen

Graf Stefan Tisza.

Welt die äußerste Spannung. Zwei Tage war Frist für die Entscheidung:Krieg oder Frieden. Unsere Generation kannte den Krieg nur mehr vomHörensagen. Etwas ganz Neues, Unerhörtes sollten wir vielleicht jetztalle erleben. In dieser bangen Ungewissen Stimmung brach der 25. J u l i,ein Samstag an. Die bedrohliche Situation wurde durch folgende offi-zielle Verlautbarung gekennzeichnet:

„Der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad Freiherrv. Giesl hat den Auftrag, falls die königlich serbische Regierungbis Samstag abends sechs Uhr die vorbehaltlose Annahme derin der Note vom 23. d. angeführten Forderungen nicht notifizierthaben sollte, mit dem Personal der Gesandtschaft Serbien zuverlassen."

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Gleichzeitig erhob Rußland seine Stimme, um Oesterreich nochvon dem angedrohten Schritte gegen Serbien zurückzuhalten.

Die Petersburger Telegraphenagentur meldete:„Die kaiserliche Regierung, lebhaft besorgt durch die über-

raschenden Ereignisse und durch die Ueberreichung des öster-reichischen Ultimatums an Serbien, verfolgt mit Aufmerksamkeitdie Entwicklung des österreichisch-serbischen Konfliktes, in demRußland nicht indifferent bleiben kann."

(K. k. Telegraphen-Korrespondenz-Bureau.)

Zwei inhaltsschwere amtliche Kundgebungen ! Sie deuteten auf dentiefen Ernst der Läge. Rußland versuchte, Oesterreich einzuschüchtern.

Unter quälender Ungewißheit verging dieser denkwürdige Samstag-morgen in Wien. Viele Leute gingen zu den ausgehängten Kurstabellender Banken. Die Kurstabellen zeigten bis Mittag ein stetiges rapides Fallenaller Wertpapiere.

Man vernahm, daß der russische Geschäftsträger beim Ministeriumdes Aeußern um einen Aufschub der 48 stündigen Frist ersuchte, abereinen Refus erhalten habe.

So verging die Mittagsstunde. Allerlei Gerüchte wurden erfundenund geglaubt.

Am Schottenring in Wien befindet sich die Börse. Hunderte auf-geregter Menschen umstanden sie gegen 2 Uhr nachmittags. Die Erregungsteigerte sich von Minute zu Minute. Da plötzlich werden an der Tafeleines Bankhauses bedeutend höhere Kurse notiert. Was ist geschehen,tönt es von allen Seiten? Der Zar ist ermordet, hieß es anfangs. —Andere, besser Unterrichtete erzählten, der serbische Korrespondent derFrankfurter Zeitung habe aus Belgrad nach Frankfurt telegraphiert, dieserbische Regierung nehme die Note Oesterreichs bedingungslos an. —Diese Nachricht wurde bestätigt. Das Abendblatt der „Neuen FreienPresse", das um 3 Uhr etwa erscheint, brachte ebenfalls diese Nachricht.Der Friede schien gesichert. Gegen 6 Uhr abends erschien das ersteExtrablatt des Deutschen Volksblattes, welches den Artikel des ser-bischen halboffiziösen Blattes Samouprava enthielt, daß Serbien dieharten Bedingungen Oesterreichs annehme. Wahrlich man sah enttäuschteGesichter. Wußte man doch, daß die Zusicherungen dieses Balkanvolkesder Not gehorchend abgegeben worden seien, und sicher nicht gehaltenwerden würden.

Plötzlich gegen halb 8 Uhr wurde das Stadtbild ein anderes.Einer rief es dem ändern zu: „Gies l i s t a b g e r e i s t - - Krieg!"

Oesterreich-Ungarns Gesandter Baron Giesl war um 6 Uhr 30 Mi-nuten abends abgereist, nachdem die von Pasic um 5 Uhr 30 Minuten

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übergebene Antwortnote nicht zufriedenstellte. Serbien hatte bereits um3 Uhr Mobilisierungsbefehl erlassen.

Was mag alles in der kurzen Zeit in Belgrad vorgegangen sein?Entweder hatte die serbische Regierung den Korrespondenten der

auswärtigen Blätter die Unwahrheit gesagt oder, war sie am Morgen nochzur Unterwerfung bereit?

Eine Antwort erfährt man aus folgenden Zeilen:

Wie es am schwarzen Samstag in Belgrad zuging.Der nachstehende Brief unseres Balkanmitarbeiters ist am Sonntag

den 26. v. M. von Belgrad abgesendet, aber wohl infolge der Mobi-lisierung verspätet in unseren Besitz gelangt. Sein Inhalt beleuchtet,die Zustände innerhalb der serbischen bürgerlichen und militärischen Ge-walten und ist geeignet, im Zusammenhange mit der erst jetzt bekanntenTatsache daß die Skupschtina in Nisch zunächst nicht verhandlungs-fähig war, das unhaltbar gewordene Verhältnis zwischen Hof und Re-gierung und Hof und Offizierspartei zu erklären. Der Brief lautet:

In Serbien herrscht Herr Pasic nur dem Namen nach. In Wirklichkeithaben das Heft die Generale Jankovic, Putnik und ihre Offiziere in denHänden. Das haben die gestrigen Ereignisse bei. der Ueberweisung derserbischen Antwortnote auf das österreichische Ultimatum zur Klarheiterwiesen.

Von einem der Regierung nahestehenden Herrn, der auch Mitgliedder Skupschtina ist und der eine vermittelnde Rolle zwischen HerrnPasic und dem General Jankovic gespielt hat, sind mir folgende Erklä-rungen gemacht worden, die umso glaubhafter erschienen, als Aehnlichesmir auch von einem fremdländischen Diplomaten gesagt worden ist:Herr Pasic und der Kronprinz Alexander waren bis gestern nachmittagsum 3 Uhr für die bedingungslose Annahme der österreichischen Bedin-gungen, da sie sich absolut keine sichere Hilfe durch Rußland versprachen.Es war auch schon die Annahme der Bedingungen formuliert. Allerdingswaren in ihr einige Klauseln enthalten, die der serbischen Regierung eineRückzugsdeckung vor der öffentlichen Meinung verschaffen sollten. Inder vierten Nachmittagsstunde war man dabei, die Annahme nochmalszu redigieren. Herr Pasic hatte sich inzwischen des Einverständnissesder Mehrheit der Parteiführer versichert gehabt, das umso bereitwilligergegeben wurde, als es galt, einen großen Schlag gegen die allmächtigeOffizierspartei zu führen, die sich allgemach bei der Mehrheit des Parla-mentes durch ihr herausforderndes Auftreten verhaßt gemacht hatte.

Da erhielt Jankovic durch irgend einen Verräter Kenntnis von denSchritten der Regierung. Er stürmte mit einigen ihm Ergebenen in den

Konak, wo die Mitglieder des Ministeriums, einige Parteiführer und derKronprinz noch versammelt waren. Nun soll es zu einer dramatisch be-wegten Szene gekommen sein, in deren Verlauf Jankovic durch seineDrohungen den Thronfolger derart einschüchterte, daß dieser erklärthaben soll, lieber abzudanken, als länger unter dem Terrorismus dereigentlichen Gewalthaber von Serbien zu stehen. Auch Pasic soll mit derDemission gedroht haben. Jankovic lief aus dem Königspalaste und kam einehalbe Stunde später mit einer Anzahl Offiziere und Nationalisten wieder,nachdem er vorher den Konak hatte umstellen lassen. Was sich dann im

Kronprinz Alexander von Serbien und der serbische GeneralstabschefWoiwode Putnik.

Laufe der nächsten fünf Minuten zugetragen haben mag, ist nach dem,was ich zu hören bekomme, zu sensationell, als daß ich es wiederzugebenwage. Um ein Haar, und das Blutbad, das Offiziere an dem König Alex-ander und der armen Draga Maschin an jener Stelle angerichtet hatten,wäre an diesem Samstag wiederholt worden, wenn nicht im letztenAugenblicke die ominöse, mysteriöse Depesche aus Petersburg, derenEchtheit bezweifelt wird, neben dem bereitgehaltenen Revolver in dieWagschale geworfen worden wäre, zugunsten der Zurückziehung derfertig redigierten Annahme der österreichischen Bedingungen.

Der Fluch der bösen Tat, die fortzeugend . . . Es ist so ziemlichdie gleiche trübe Gesellschaft, die dem König Peter die Ersteigung desblutbesudelten Thrones ermöglicht hatte. Sie hat ihn auch jetzt in derGewalt und denkt noch lange nicht daran, ihr Schreckensregiment abzu-geben. So mancher Minister, so mancher Abgeordneter, so mancher

Illustr. Kriegs-Chronik, 1914.

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Freund der Karageorgevic wünscht im stillen, die Oesterreicher kämenund würden die eigentlichen Feinde Serbiens, die auch die Verantwortungfür die Ereignisse von Sarajevo tragen, die Verschwörer gegen "Thronund Leben, ausräuchern helfen. Allgemein hört man das Bedauern aus-sprechen, daß der alte General Putnik infolge seines Leidens gerade in derschicksalsschweren Stunde von Belgrad ferngehalten worden war. Mitseinem (Putniks) Einverständnisse ist Jankovic auf keinen Fall Siegerüber Pasic und den Kronprinzen geblieben. Daß das Volk und die Volks-vertreter unter diesen Umständen nicht für den Krieg sind, bedarf kaum.einer ausdrücklichen Versicherung. (Deutsches Volksblatt.)

Jedenfalls wirkte der entscheidende Schritt jetzt wie ein Gewitter,erlösend von der Unruhe, die jahrelang Europa bedrückte. Nun wardes Ernst, blutiger Ernst!

„Der Krieg ist die Politik mit veränderten Mitteln," ist ein viel zitiertesWort des berühmten Militärschriftstellers General von Clausewitz. Eswar, weiß Gott, der letzte Ausweg für Oesterreich-Ungarn, dieses Mittelzur Anwendung zu bringen.

In Oesterreich-Ungarn und im verbündeten Deutschland wurde dieNachricht mit frenetischem Jubel begrüßt. Dem serbischen Friedensstörerdrohte endlich das Strafgericht.

In allen Städten, vornehmlich in Wien und Budapest, aber auchim Deutschen Reiche wurde unter dem Gesang patriotischer Weisengegen Serbien demonstriert.

Die feierlichen Klänge der Volkshymne wechselten ab mit dem alt-ehrwürdigen Reiterlied „Prinz Eugenius, der edle Ritter" und dermarkigen „Wacht am Rhein". Oesterreich hatte sich wieder auf sich selbstbesonnen.

Der 26. Ju l i .

In knapper Form erfuhr man aus den Morgenblättern, daß diediplomatischen Beziehungen zu Serbien abgebrochen und daß der Kaiserbefohlen, einen Teil der Armee zu mobilisieren.

Der serbische Generalstabschef Woiwode Putnik, der Samstag frühaus dem steirischen Kurort Gleichenberg nach Belgrad abgereist war,wurde noch am 25. Juli in Budapest im Schnellzug verhaftet und alskriegsgefangen in Militärgewahrsam genommen. Jedoch, wie man sagt,auf Intervention des Kaisers Franz Josef, der in ritterlicher Weise diegegnerische Armee vor Ausbruch des Krieges nicht ihres Führers be-rauben wollte, freigelassen und ihm zur Rückreise nach Belgrad einExtrazug zur Verfügung gestellt.

Die offizielle Kriegserklärung erfolgte vorläufig nicht, noch wollteman Serbien einige Tage Frist zum Nachgeben gewähren.

Doch nun wollen wir die Dokumente der Zeit reden lassen:

Mobilmachung in Böhmen.Prag bietet heute als ein wichtiges Zentrum der Mobilisierungsaktion

bereits seit den Morgenstunden ein aufgeregtes und lebhaftes Bild. In

Conrad von Hötzendorf, k. k. General der Infanterie,Chef des Generalstabes der österr.-ung. Armee.

den Straßen herrscht ein bewegtes Treiben, das durch die Gruppen undTypen der Einberufenen sein Gepräge erhält. Kaum hatte am Samstagabend das Publikum die Meldung vom Kriegszustande zur Kenntnis ge-nommen, die nach der friedlichen Nachricht des Nachmittags doppeltüberraschend kam, da tauchten auch bereits die Gerüchte auf, daß dieböhmischen Korps mobilisiert werden.

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Um Mitternacht wurde dieses Gerücht durch die amtliche Mit-teilung an die Redaktionen der Blätter bestätigt. Am Morgen klebtenbereite an allen Straßenecken die großen, gelben Kundmachungen,die in beiden Landessprachen die teilweise Mobilisierung und Einberufungdes Landsturmes mitteilten. Zugleich wurden durch eine Sonderausgabeder amtlichen „Prager Zeitung" die Ausnahmebestimmungen über denVerkehr mit Serbien und das Verbot serbischer Zeitungen bekanntgemacht.Gleichzeitig wurde auch die Kundmachung betreffs Präventivzensur denBlättern durch amtliche Organe zugestellt. Jede Zeitungsausgabe mußdrei Stunden vor ihrem Erscheinen der Staatsanwaltschaft zur Begutach-tung vorgelegt werden. Nichtsdestoweniger veranstalteten die deutschen

Eine serbische Militärpatrouille in den Straßenvon Nisch. (Int. Bl.)

und tschechischen Blätter fast ununterbrochen Extraausgaben, die größten-teils Meldungen über den Stand der Lokalisierungsaktion enthielten.

Mit dem morgigen Dienstag treten bereits alle Einschränkungen desBahnverkehrs für den Mobilisierungsfall in Kraft. Österreichischen Staats-angehörigen ist die Reise ins Ausland nur mit amtlich ausgestelltemPassagierschein erlaubt. Seit gestern ist jeder Telephonverkehr mit demAusland verboten, Telegramme werden nur unter strenger Zensur undsehr verspätet befördert (Berliner Tagblatt.)

Bundestreue am Rhein.Tausendfältig sind die Kundgebungen, die von dem treuen Zu-

sammenhalten Zeugnis ablegen. In den Gasthäusern der Stadt herrscht

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Leben und Begeisterung. Man huldigt Kaiser Wilhelm, man huldigtebenso glühend dem greisen Kaiser Franz Josef. Ins Cafe Piccadilly ziehtein Trupp von etwa siebzig zur Fahne einberufenen Oesterreichernunter Führung von zwei Offizieren in Zivil ein, den Hut mit frischemGrün bekränzt. Ein tausendstimmiger Jubelruf aus Brudermund dringtihnen entgegen, und das Orchester unter Kapellmeister Neumann intoniertdie österreichische Nationalhymne, dann die deutsche und die italienische:eine begeisternde musikalische Verherrlichung des Dreibundes. Gruppiert

Volkskundgebungen in Berlin.

an Tischen auf dem Etagenumgang des Cafes, lauschen alle den feurigenWorten eines Oesterreichers, der die Bündnistreue in erhebender Weisefeiert. Von allen Seiten drängt man sich, den Vaterlandsverteidigerneine freundliche Bewirtung zu bieten, für die die Spender herzlichsteDankesworte empfangen. Unter den von der Kapelle intonierten Klängendes „Muß i denn zum Städle hinaus" zog die Schar nach kurzem Ver-weilen unter ebenso stürmischen wie rührenden Ovationen ab. (Köln. Ztg.)

Ein treuer Diener seines Herrn.Es war an dem denkwürdigen Samstag, da Oesterreich-Ungarn

auf Serbiens Antwort wartete, als ein seltsames Schauspiel die Vorbei-gehenden bei der Reiterkaserne in Salzburg anhielt. Ein reisigumwundener

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Leiterwagen, hochzeitlich mit farbigen, flatternden Biändern geschmückt,von zwei prachtvollen Pinzgauer Pferden gezogen, fuhr langsamen'Schrit-tes über den großen Platz. Ein alter Bauer führte die Zügel. Hinter ihmsaßen der Reihe nach sechs Männer. Reifen Alters die einen, Jünglingedie anderen. Vor der Kaserne stieg der Alte bedächtig ab und schrittauf eine Schildwache zu: „Ich hab' gehört, daß der Kaiser Krieg macht,und bring' ihm meine Buben. Sechs Stück hab' ich. Von 42 Jahr biszu 17. Alle soll er benalten, unser Kaiser!" Und an seine Söhne sich!wendend: „Raffen könnfs besser wie die ändern, und schießen auch.Geht's und macht's mir ka Schand'!" — Hierauf begann er die Pferdeauszuschirren. „Die laß' ich auch glei' da", meinte er, „sind gute Rösser.Die kann der Kaiser so gut brauchen wie die Buben." — Als dem Altennun bedeutet wurde, daß ja noch keine Mobilisierung angeordnet sei,schüttelte er den Kopf: „So wird's halt morgen werden; ich nehm's nichtmehr heim." Und ging sich Pferde leihen, um mit dem hochzeitlich pran-genden Leiterwagen nach Hause zu fahren. Diese Szene, welche nichtder Phantasie eines Tegernseer- oder Exl-Ensemble entsprungen ist,sondern von einem Augenzeugen uns mitgeteilt wird, verdient wohlverzeichnet zu werden. Das ist auch ein Baustein zur künftigen Chronikdieses „großen Krieges". (W. Alig. Ztg.)

27. Jul i .

„Bei Temeschkubin an der Donau hat ein größeres Geplänkelzwischen unseren Truppen und den serbischen stattgefunden. Die Serbenbefanden sich auf Donaudampfern. Von unseren Truppen wurde zurück-geschossen." (Neues Wiener Tagblatt.)

Unbestimmte Meldungen berichteten von einer Mobilisierung Ruß-lands, das, wie schon früher erwähnt, seit dem Abbruch der diplo-matischen Beziehungen mit Serbien eine drohende Haltung einnahm.

Die serbische Mobilisierung war nun im vollen Gange. Einberufenwurden alle Wehrfähigen vom 18. bis 60. Lebensjahr.

Serbien traf der Konflikt nicht unvorbereitet, denn bereits im Juniwar das stehende Heer von 52.000 auf 120.000 Mann gebracht worden.Diese Anzahl stellte schon die Hälfte einer kriegsmäßigen Operations-armee dar.

Zur Sicherung der Mobilisierung und des Aufmarsches sind an derDonau-Save-Drina-Front und an der Grenze des ehemaligen SandschaksNovi-Bazar Formationen des dritten Aufgebotes und des Landsturmesvorgeschoben, die im Verein mit der im Frühjahr 1914 geschaffenenGrenzjägertruppe die ihnen übertragenen Dienste versehen.

(Neue Freie Presse, 27. Juli 1914.)

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Über die serbische Armeeschreibt R o d a R o d a .

Serbien hat in den beiden letzten Kriegen das Anrecht auf Be-achtung erworben.

Ich hatte mehrmals in den letzten Jahren Gelegenheit, Teile derserbischen Armee zu sehen: in friedlicher Zeit, als Gast von Offizieren inder Hauptstadt und im Innern — Kavallerie und Artillerie; während derAnnexionskrise war ich wochenlang Zeuge der fieberhaften militärischenVorbereitungen.

Das Offizierskorps „gliedert sich in zwei recht scharf getrennteGruppen: die ehemaligen Schüler der Militärakademie und die aus demUnteroffizierskorps Hervorgegangenen. Die letzten sind in ihrer Karrierebeschränkt, die höchste für sie erlangbare Charge ist die des Oberleut-nants. Akademiker können nach Absolvierung der Kriegsschule zu denhöchsten Würden aufsteigen. Manche Offiziere haben die Militärschulevon Saint-Cyr besucht; sie stehen im Rang den einheimischen Kriegs-schülern gleich. Die ehemaligen Zöglinge der russischen Junkerschulenhingegen rangieren in der Gruppe der emporgekommenen Unteroffiziereund werden wenig geschätzt; man sagt ihnen allerhand Unzulänglich-keiten nach Die Belgrader Akademie ist eine Schöpfung Milans.

Allen Offizieren gemeinsam ist fanatische Vaterlandsliebe und eineAnteilnahme an politischen Tagesereignissen, "die gefährlich für die Dis-ziplin werden kann. Das Offizierskorps steht in innigster Fühlung mitder Bürgerschaft, besonders der Beamtenaristokratie; eine andere gibtes in Serbien bekanntlich nicht. Freiwillige, aber auch gemeine Mann-schaft aus besseren Familien sieht man in den Cafes mit Offizierensitzen, pokulieren, fraternisieren. Der Mannschaft steht der Offizier imKrieg und Frieden sehr nahe. Im Krieg geht er ihr - - das haben alleBeobachter der letzten Feldzüge bestätigt - - voran. Der Einfluß desOffiziers auf die Mannschaft ist stark. In der Geschichte des Balkan-krieges ist denn auch nur einmal von einer übrigens unbedeutenden Panikdie Rede — im Rücken der an die Adriaküste vorgehenden Brigaden,bei einer plötzlichen Aktion der Albanesen.

Die Mannschaft ist natürlich nicht gleichwertig. Die Leute von denalten südlichen Grenzen gelten als die kriegerischesten. Was aus den neuerworbenen Gebieten kommt, ist unterernährt, unzivilisiert.

Ein Irrtum mancher Handbücher redet von papiernen Kaders derserbischen Armee. Das ist nicht wahr, die Mobilisierung vom Herbst 1912hat es erwiesen: ich selbst sah die Bataillone des zweiten, selbst desdritten Aufgebots voll und übervoll ins Feld rücken. Allerdings mußten

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30 Prozent der Stände nach und nach an die Spitäler abgegeben werden120.000 Mann. Die Verluste der beiden Balkankriege werden mit

5O.OOO bis 60.000 Mann angegeben. Sie können unmöglich schon (durchRekrutierung aus Mazedonien) ersetzt sein.

Der serbische Soldat ist aufgeweckt von Natur; im ganzen genüg-sam, willig. Serbien ist ein Ägrarstaat, sein Menschenreservoir derBauernstand mit allen Vorzügen und Fehlern des unverdorbenen, ein-fachen Landvolkes. Die militärische Dienstzeit ist kurz, viel kürzer alsunsere, die Ausbildung nützt die Fähigkeiten bei weitem nicht aus.

Nicola Pasic, serbischer Ministerpräsident.

In den beiden Balkanfeldzügen hat die serbische Infanterie er-staunlich wenig Pulver verschossen. Ihre ebenso erstaunlich hohen Ver-luste an Toten und Verwundeten lassen darauf schließen, daß der geringeMunitionsverbrauch seinen Grund in der mangelhaften Feuervorbereitungder Stürme hatte. Der Prozentsatz der Bajonettwunden bei Türkenund Bulgaren war hoch. Einem kaltblütig feuernden, das Gewehr aus-dauernd handhabenden Gegner wird die serbische Dragomirow-(Stoß-)Taktik nicht widerstehen.

Stimmung in Serbien.Der König Peter und der Ministerpräsident Pasic sind heute früh

hier eingetroffen. Um halb 11 Uhr wurde mit Trommelschlag durch amt-liche Organe die Mobilisierung allgemein angeordnet. Selbst Knaben und

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Greise sind gehalten, sich als letztes Aufgebot zu melden. Die letztenTruppen sind aus Belgrad abgezogen. Das gesamte Militär ist in Raljabeziehungsweise Kragujewatz und Nisch zusammengezogen, in Belgradbefindet sich nicht ein Soldat. Die Banken sind geschlossen. In Belgradwaren seit Tagen nicht zehn Centimes zu erhalten. Alles Geld wurde insInnere des Landes gebracht. Das Geschäft stockt vollkommen. Die Dis-positionen für die Armee trifft der Kronprinz. Er dürfte heute in dasTruppenlager reisen. Die Stimmung der Serben ist sehr gedrückt, obwohlsie haßerfüllt und Lieder singend abzogen. Eine geringe Anzahl Deutscherund einige Oesterreicher sind noch hier zurückgeblieben; sie sollen wo-möglich durch die Intervention des deutschen Gesandten morgen Belgradzu Schiff verlassen. Belgrad ist fast vollkommen verlassen. Gegen dieFremden sind keinerlei Ausschreitungen oder ernste Kundgebungen vor-gekommen. Die serbischen Militärbehörden haben alles private Fuhr-werk requiriert. Der König und Pasic waren heute mittag noch in Bel-grad. Morgen wird in Nisch die außerordentliche Skupschtina zur Ent-gegennahme der Erklärung des Kronprinzen eröffnet. (Berliner Tagblatt.)

Das letzte Friedensboot.

S e m l i n , 28. J u l i .

Heute nachmittag 4 Uhr wurde plötzlich auf der Donau ein ser-bisches Motorboot gesichtet, das neben der serbischen Flagge die deutscheReichsflagge trug. Auf dem Boot befand sich der deutsche Konsul inBelgrad, Graf Spee, in Begleitung eines Agenten der OesterreichischenDampfschiffahrtsgesellschaft. Der Graf begab sich über den Dampfer „He-lene" in Begleitung des Semliner Polizeichefs zur Polizeipräfektur. GrafSpee erklärt, seine Fahrt stehe mit den Angelegenheiten der seinemSchutz anbefohlenen Oesterreicher und Ungarn in Zusammenhang. „Ichkann Sie versichern," erklärte der Graf, ,,daß die in Belgrad noch an-wesenden verhältnismäßig zahlreichen Reichsdeutschen wie Angehörigender österreichisch-ungarischen Monarchie vollkommen in der Hauptstadtsicher sind." Die gestrige Skupschtina in Nisch, in der die Stimmungsehr gedrückt war, hat Beschlüsse nicht fassen können, da sie beschluß-unfähig war. Eine neue Sitzung soll morgen stattfinden. Heute liegenaus Nisch keine Nachrichten vor. Nach Erklärungen der Begleiter desGrafen Spee ist die Stimmung in Belgrad sehr gedrückt, doch herrschtvollkommene Ruhe. Nach einstündigem Verweilen kehrte Graf Speewieder auf das Motorboot zurück. Bald darauf ist das Boot, das letzteFahrzeug zwischen Oesterreich und Serbien, über der glitzernden Donaudem Auge entschwunden. (Berliner Tagblatt.)

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Der 29. Juli.

Kriegsmanifest Kaiser Franz Josefs I.

A n m e i n e V ö l k e r !Es war mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die Mir durch Gottes

Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und MeineVölker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren.

Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen.Die Umtriebe eines haßerfüllten Gegners zwingen Mich, zur Wah-

rung der Ehre Meiner Monarchie, zum Schütze ihres Ansehens und ihrerMachtstellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes nach langen Jahrendes Friedens zum Sehweite zu greifen.

Mit rasch vergessendem Undank hat das Königreich Serbien, dasvon den ersten Anfängen seiner staatlichen Selbständigkeit bis in dieneueste Zeit von Meinen Vorfahren und Mir gestützt und gefördertworden war, schon vor Jahren den Weg offener Feindseligkeiten gegenOesterreich-Ungarn betreten.

Als ich nach drei Jahrzehnten segensvoller Friedensarbeit in Bos-nien und der Herzegowina Meine Herrscherrechte auf diese Länder er-streckte, hat diese Meine Verfügung im Königreiche Serbien, dessenRechte in Keiner Weise verletzt wurden, Ausbrüche zügelloser Leidenschaftund erbittertsten Hasses hervorgerufen. Meine Regierung hat damals vondem schönen Vorrechte des Stärkeren Gebrauch gemacht und in äußersterNachsicht und Milde von Serbien nur die Herabsetzung seines Heeresauf den Friedensstand und das Versprechen verlangt, in Hinkunft dieBahn des Friedens und der Freundschaft zu gehen.

Von demselben Geiste der Mäßigung geleitet, hat sich Meine Re-gierung, als Serbien vor zwei Jahren im Kampfe mit dem türkischenReiche begriffen war, auf die Wahrung der wichtigsten Lebensbedin-gungen der Monarchie beschränkt. Dieser Haltung hatte Serbien in ersterLinie die Erreichung des Kriegszweckes zu verdanken.

Die Hoffnung, daß das serbische Königreich die Langmut und Frie-densliebe Meiner Regierung würdigen und sein Wort einlösen werde,hat sich nicht erfüllt.

Immer höher lodert der Haß gegen Mich und Mein Haus empor,immer unverhüllter tritt das Streben zutage, untrennbare Gebiete Oester-reich-Ungarns gewaltsam loszureißen.

Ein verbrecherisches Treiben greift über die Grenze, um im Südostender Monarchie die Grundlagen staatlicher Ordnung zu untergraben, das

„Le Gouvernement Royal de Serbie n'ayant pas répondu d'une manièresatisfaisante à la Note qui lui avait été remise par le Ministre d'Autriche-Hongrieà Belgrade à la date du 23 juillet 1914, le Gouvernement I. et R. se trouvedans la nécessité de pourvoir lui-même à la sauvegarde de ses droits et intérêtset de recourir à cet effet à la force des armes. L'Autriche-Hongrie se considèredonc de ce moment en état de guerre avec la Serbie.

Le Ministre des Affaires Etrangères d'Autriche-Hongrie Comte Berchtold."

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Volk, dem Ich in landesväterlicher Liebe Meine volle Fürsorge zuwende,in seiner Treue zum Herrscherhaus und zum Vaterlande wankend zumachen; die heranwachsende Jugend irrezuleiten und zu frevelhaftenTaten des Wähnwitzes und des Hochverrats aufzureizen. Eine Reihevon Mordanschlägen, eine planmäßig vorbereitete und durchgeführteVerschwörung, deren furchtbares Gelingen Mich und Meine treuen Völkerins Herz getroffen hat, bildet die weithin sichtbare blutige Spur jenergeheimen Machenschaften, die von Serbien aus ins Werk gesetzt und.geleitet wurden.

Diesem unerträglichen Treiben muß Einhalt geboten, den unauf-hörlichen Herausforderungen Serbiens ein Ende bereitet werden, solldie Ehre und Würde Meiner Monarchie unverletzt erhalten und ihrestaatliche, wirtschaftliche und militärische Entwicklung vor "beständigenErschütterungen bewahrt bleiben.

Vergebens hat Meine Regierung noch einen letzten Versuch unter-nommen, dieses Ziel mit friedlichen Mitteln zu erreichen, Serbien durcheine ernste Mahnung zur Umkehr zu bewegen.

Serbien hat die maßvollen und gerechten Forderungen Meiner Re-gierung zurückgewiesen und es abgelehnt, jenen Pflichten nachzukommen,deren Erfüllung im Leben der Völker und Staten die natürliche und not-wendige Grundlage des Friedens bildet.

So muß Ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt die unerläß-lichen Bürgschaften zu schaffen, die Meinen Staaten die Ruhe im Innernund den dauernden Frieden nach außen sichern sollen.

In dieser ernsten Stunde bin Ich Mir der ganzen Tragweite MeinesEntschlusses und Meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen vollbewußt.

Ich habe alles geprüft und erwogen.Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weistIch vertraue auf Meine Völker, die sich in allen Stürmen stets

in Einigkeit und Treue um Meinen Thron geschart haben und für dieEhre, Größe und Macht des Vaterlandes zu schwersten Opfern immerbereit waren.

Ich vertraue auf Oesterreich-Ungarns tapfere und von hingebungs-voller Begeisterung erfüllte Wehrmacht.

Und Ich vertraue auf den Allmächtigen, daß er Meinen Waffen denSieg verleihen werde.

Franz Joseph m. p.

S t ü r g k h m. p.

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Die Serben haben heute um l Uhr 30 Minuten früh die Brückezwischen Semlin und Belgrad gesprengt.

Unsere Infanterie und Artillerie hat darauf im Verein mit den Donau-monitoren die serbischen Positionen jenseits der Brücke beschossen.

Die Serben haben sich nach kurzem Kampfe zurückgezogen. UnsereVerluste sind ganz unbedeutend.

Gestern gelang es einer kleinen Abteilung Pioniere im Vereine mitMannschaften der Finanzwache, zwei serbische Dampfer, die mit Munitionund Minen beladen waren, wegzunehmen.

Brücke zwischen Semlin und Belgrad.

Die Pioniere und die Mannschaften überwältigten nach Kurzem aberheftigem Kampfe die an Zahl überlegenen serbischen Schiffsbesatzungen,setzten sich in den Besitz der Schiffe samt deren gefährlichen Ladung undließen sie von zweien unserer Donaudampfer wegschleppen.

(Amtl. Meld. d. K. B.)

Der erste Abmarsch.Wien , 29. J u l i , n a c h t s .

Die Neununddreißiger sind populär. Dem Mittelstand aus der Maria-hilfer Straße, der jeden Tag an der großen alten Stiftskaserne vorübergeht,ist dieses ungarische Regiment vertrauter als manches deutsche. Sie sindjung, hübsch -- und vor allem schneidige Musikanten, und haben somitalles, wovon die Wienerin träumt.

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Feldmarschmäßig stehen, sitzen, liegen sie in Gruppen, bei denGewehrpyramiden, neben den Pferden. Das sind kleine bosnische Braune,nicht größer wie Maultiere, aber stark wie Brabanter und flink wie Berber.Manche tragen die Maschinengewehre, manche unter regensicherem PlaneMunition. Sie stehen geduldig da und denken, es geht nur ins Manöver,und über acht Tage haben sie wieder Ruhe.

Drüben in einem offenen Schuppen stehen fahrtbereit die Feld-küchenwagen, und der Offizier demonstriert uns Töpfe, Kessel und Tiegelso exakt, als wäre er nie etwas anderes gewesen als Koch. Aber durchdie Luke des Schuppens blicke ich in ein Kasernenfenster hinüber, undaus dem Dunkel meines Schuppens sehe ich drüben nichts als einen hell-blonden Kinderkopf, der in der Sonne glänzt. Ueber den Kopf streichteine gebräunte Hand, immer wieder, und daß der Herr der Hand, derVater, Soldat ist, kann ich mit Augen nur aus dem Aermelende schließen,das auftaucht. Ich kann die handelnden Personen dieser Szene nichtsehen, dazu ist die Luke zu Mein - - nur die gebräunte Hand des Sol-daten, wie sie drei Stunden vor dem Abmarsch das hellblonde Köpfchenstreicht und wieder streicht.

Um zehn Uhr kam niemand mehr in den Hof. 20.000 Menschenumsäumen die Straße. Das große Tor der Stiftskaserne steht angelweit,und aus dem Tore quillt der graue Zug im Laternenlicht. Die Fahne,die Musik — wieder und nochmals Radetzky, Prinz Eugen und die Hymne.20.000 Menschen jubeln, als wäre es der Zug der Heimgekehrten.Sie aber marschieren in die Nacht hinein, männlich, getrost.

Alle tragen sie ein frisches Eichenblatt an der grauen Mütze.Manche warten. Die meisten marschieren, als wären sie allein. 20.000Menschen geben tausend Menschen preis. Sie schicken sie fort, wie ihreBoten. Sie beten zu Hause, sie weinen. Aber sie setzen nicht sich als Preis.

Aber indessen ziehen die tausend Mann durch die Straßen, miteiner einzigen Fahne, einer einzigen Musik, schmucklos, grau, belastetmit Tornister, Mantel und Waffe, geradeswegs mitten in die Nacht hinein.

(Berliner Tagblatt.)

Die Beschießung der Belgrader Kaserne.Serben beschießen Dampfer der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft.

Gegen 1/2 2 Uhr nachts hörte man ganz deutlich lebhaftes Gewehr-und Maschinengewehrfeuer. Wieder wußte man nicht, um was es sichhandle. Gegen zwei Uhr nachts hörte man deutlich das Getöse einerExplosion. Man vermutete sofort: Jetzt ist die Eisenbahnbrücke zwischenSemlin und Belgrad gesprengt worden. Diese Vermutung erwies sich alsrichtig.

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Gegen 1/2 3 Uhr früh kam ein Bootsmann der Donau-Dampfschiff-fahrisgesellschaft in die Stadt. In freudigster Erregung riet er fortwährendin deutscher Sprache: „Das ist der schönste Tag meines Lebens, ichhabe die Feuertaufe empfangen - - ich habe die Feuertaufe em-pfangen." Er wird sofort umringt und erzählt: „Die Dampfer „Josef",„Sevezek?" und „hin" erhielten den Befehl, in die Save und dann save-aufwärts bis zu einem bestimmten Orte (der hier nicht genannt sei) zufalhren. Als wir in die Save eingefahren waren, wurde von Topcider ausein heftiges Gewehr- und Maschinengewehrfeuer auf uns eröffnet; eswaren mindestens 3000 Schüsse. Was mit dem „Josef" geschehen ist,weiß ich nicht; er ist nicht zurückgekommen. Die beiden anderen Schiffe

Die Festung Belgrad.

machten kehrt. Das Wenden dauerte zehn Minuten. Während dieser Zeitwurden wir ununterbrochen beschossen. Inzwischen waren drei Pa-trouillenboote erschienen und feuerten auf das serbische Ufer. Die Kugelnder Serben sausten über unseren Köpfen, neben unseren Ohren vorbei.Auf meinem Schiffe wurde niemand verwundet."

Die Sprengung der Brücke.Derselbe Bootsmann erzählt: „Während wir beschossen wurden,

hörte man plötzlich eine Explosion, man sah eine etwa 15 Meter hoheFeuersäule und hörte gleich darauf ein Krachen."

Ich Watte später Gelegenheit, mit dem Fernglas die Brücke genauzu sehen. Die vier Steinpfeiler sind intakt, eingestürzt ist nur dasBrückenfeld zwischen dem letzten Steinpfeiler im Strome auf serbischer

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Seite und dem serbischen Ufer. Vom größten Teil dieses Feldes scheinendie gitterartigen Seitenversteifungen ebenfalls intakt zu sein. Das ganze

Feld liegt jetzt in einem Winkel von etwa 45 Grad, so daß die Wasser-seite des Feldes noch am steinernen Brückenpfeiler aufliegt, währenddie Landseite im Flußbette ruht.

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