Im Westen nichts Neues? - Doping Magazin:: Doping in der BRD · strie: von Walter ... von Prof....

68
Ausgabe 2/2017 4. Jahrgang ZKZ 19433 ISSN 2366-9659 Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände Doping – das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände Ausgabe 02/2017 · 4. Jahrgang Im Westen nichts Neues? Zur Dopinggeschichte der BRD Foto: frolicsomepl / Pixabay.de 2017, pixs:sell / Folotia.com 2017

Transcript of Im Westen nichts Neues? - Doping Magazin:: Doping in der BRD · strie: von Walter ... von Prof....

Ausgabe 2/20174. Jahrgang

ZKZ 19433 ISSN 2366-9659

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Dopin

g –

das A

nti

-Dopin

g M

agazin f

ür

Wett

kam

pfs

port

ler,

Vere

ine u

nd V

erb

ände

Ausgabe 0

2/2

01

7

· 4

. Jahrg

ang

Im Westen nichts Neues? Zur Dopinggeschichte der BRD

Foto

: fro

licso

mep

l / P

ixab

ay.d

e 20

17, p

ixs:

sell

/ Fol

otia

.com

201

7

50

I n h a l t

DOPING I AUSGABE 2/2017

EDITORIAL 51

SCHWERPUNKT-

HEFT „DOPING IN DER BRD“ ab 52

Zeit für Aufklärung: Kommentar von

Ralf Meutgens ab 52

Züchten wir Monstren: von Brigitte Berendonk ab 54

Das Dilemma des Deutschen Sports: von Klaus-Peter Hennig ab 60

Es hat sich nichts verändert: Ein Interview mit Alwin Wagner ab 64

Eine wahre Geschichte: von Claudia Lepping ab 69

Anabolika-Missbrauch im Westen: Eine unmögliche Tatsache: von Simon Krivec ab 72

Anabolika-Verbot – von Anfang an

missachtet: von Hansjörg Kofink ab 78

„Doping in Deutschland von 1950 bis

heute“: von Prof. Giselher Spitzer ab 88

Doping und die Rolle der Pharmaindu-

strie: von Walter Aeschimann ab 94

Anabolika im Sport: von Prof. Werner

Franke ab 102

Doping als Mehr-Ebenen-Phänomen:

von Prof. Karl-Heinrich Bette ab 106

Hinsehen statt Wegsehen: von Prof.

Gerhard Treutlein ab 108

IMPRESSUM 113

Eine

wahre

Geschichte 69

Anabolika-Missbrauch

im Westen: Eine unmögliche

Tatsache 72

Das Dilemma

des

Deutschen Sports 60

Doping in

Deutschland

von 1950 bis heute 88

Hinsehen

statt

Wegsehen 108

DOPING Sommer

2017

Foto

: Dop

ing

/ Jen

s H

ertl

ing

2015

Ausgabe 2/20174. Jahrgang

ZKZ 19433 ISSN 2366-9659

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Dopin

g –

das A

nti

-Dopin

g M

agazin für

Wett

kam

pfs

port

ler,

Vere

ine u

nd V

erb

ände v A

usgabe /2017 · 4

. Jahrg

ang

Im Westen nichts Neues? Zur Dopinggeschichte der BRD

Foto

: fro

licso

mep

l / P

ixab

ay.d

e 20

17

Foto

: Ste

phan

ie H

ofsc

hlae

ger

/ Pix

elio

.de

2017

Foto

: Joa

chim

Ber

ga /

Pixe

lio.d

e 20

17K

arik

atur

: A. K

rieg

er

Foto

: Lep

ping

201

7

Foto

: Har

ry H

autu

mm

/ Pi

xelio

.de

2017

51

E d i t o r i a l

DOPING I AUSGABE 2/2017

Der renommierte Autor Erich Maria Remarque stammt aus Osnabrück, was auch Sitz der Inger Verlagsgesellschaft ist. Doch es gibt sicher noch

mehr Schnittmengen zwischen diesem Anti-Kriegsro-man, den Remarque selbst als unpolitisch bezeichnet haben soll und der Arbeit im (Anti-) Dopingbereich.Mit Publikationen dieser Art macht man sich nicht be-dingungslos beliebt. Ein anderer Punkt betrifft die syste-mischen Zwänge. Remarque beschreibt eindringlich die Kameradschaft unter den Soldaten, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen zur Folge hatte. Ähn-liches kann im System Leistungssport beobachtet wer-den. Und das, was nach außen dringt, bildet in aller Regel nicht die wirklichen inneren Zustände ab. Der Titel des Buches soll entstanden sein, weil die Kriegsgeschehnisse an der (West)-Front vorübergehend einmal so ruhig ge-wesen waren, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, „im Westen sei nichts Neues zu vermelden“. Und irgendwie trifft das auch auf die Dopingproblematik zu, wenn systeminterne Akteure wie Athleten, Ärzte, Trainer und Funktionäre sich offiziell äußern. Ganz an-ders, wenn sie sich anonym äußern, wie in der Arbeit von Simon Krivec, oder aus einem Holz geschnitzt sind wie etwa Brigitte Berendonk, Claudia Lepping, Hansjörg Ko-fink, Klaus-Peter Hennig und Alwin Wagner, dann ist der Aufschrei groß. Diese Diskrepanz zwischen Sonntagsre-den zur Dopingbekämpfung und dem realen Geschehen an der Dopingfront sind Grund genug, diese Ausgabe als Schwerpunktheft zur Dopingthematik in der alten Bun-desrepublik zu konzipieren. Das Ergebnis halten Sie in der Hand. Wir sind sehr gespannt, ob ein erneuter Auf-schrei zu verzeichnen ist.Ganz neu oder unbekannt waren die Ergebnisse der Dissertation von Simon Krivec nicht, aber in dieser ge-ballten Form waren sie doch überraschend. Das spiegelte sich dann auch in der Medienpräsenz entsprechend wi-der. Dass Sportschau, Tagesschau, Tagesthemen, Sport Inside in der ARD, danach die Agenturen und nahezu alle relevanten Tageszeitungen berichteten und zudem eine kurze Sequenz im ZDF Morgenmagazin lief, war doch eher eine Ausnahme für ein solches Thema. Die Reakti-onen der aktuellen Sport- und Politik-Offiziellen darauf

waren genau so verlogen wie vorhersehbar. Jetzt nach dem Offenlegen von Mechanismen und Struk-turen zu lechzen, die Do-ping damals ermöglichten, kommt nicht nur 30 Jahre zu spät, sie sind in wesent-lichen Teilen schon längst bekannt. Und ganz be-stimmt wurde das gesamte Ausmaß des Dopings im Westen bisher noch nicht abgebildet. In der Leichtathletik betrifft es auch die Frauen und im untersuchten Zeitraum auch andere Sportarten. Und in ähnlich konzentrierter Form. Die Beiträge in diesem Heft wollen Anstöße zu einer produk-tiven Diskussion der bundesrepublikanischen Doping-vergangenheit liefern. Denn nur wer die Vergangenheit und Gegenwart kennt, kann eine bessere Zukunft planen und gestalten.Viel Spaß beim Lesenwünschen Ihnen

Prof. Dr. Gerhard TreutleinRalf MeutgensJens Hertling

Im Westen nichts Neues!?

Die Redaktion möchte sich bei Prof. Treutlein auf das Herzlichste für sein Engagement bei der Erstellung dieser Ausgabe bedanken.

Ralf MeutgensGerhard Treutlein

Foto

: Dop

ing

Jens Hertling

Foto

: Meu

tgen

s 20

16

Foto

: Tre

utle

in 2

017

52 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Zeit für Aufklärung – auch im SportEin Kommentar von Ralf Meutgens

Jetzt wissen wir es also: In der wissenschaftlichen Arbeit die Jahre 1960 bis 1988 betreffend

von Simon Krivec hat die Hälfte der befragten männlichen Leichtathle-ten zugegeben, Anabolika zu ihrer aktiven Zeit missbraucht zu haben. Die Resonanz auf diese Dissertation, auch in den Medien, war beachtlich. Doch war uns dieser Sachverhalt nicht eigentlich schon bekannt? Hatten nicht kritische Zeitgenos-sen wie Brigitte Berendonk (ver-gl. S.54) , Hansjörg Kofink (vergl. S.78) oder Claudia Lepping (vergl. S.69) in den 1960er, -70er und 80er Jahren genau darauf hingewiesen? Oder besser gesagt, versucht, dar-auf hinzuweisen? Denn mehr als ein Versuch war es nicht, die Resonan-zen und Reaktionen der betroffenen Sportverbände (Deutscher Leichtathletik-Verband, Deutscher Sport-Bund und Nationales Olympisches Komitee) waren so wenig vorhanden wie die der meisten Medien. Doping und Radsport im europäischen Ausland wa-ren offenbar ihrer Zeit voraus. Am 30. Januar 1976 etwa heißt es in der F.A.Z. unter der Überschrift Bel-gische Radprofis wegen Drogen verurteilt: Ein Dut-zend belgischer Berufsradfahrer, Betreuer und Ärzte sind von einem Gericht in Gent wegen Drogenmiss-brauchs zu bedingten Gefängnisstrafen zwischen zwei Wochen und sechs Monaten verurteilt worden. Am 25. November 1976 titelt die F.A.Z.: Doping mit Rezept: Skandal in Frankreich, Der Dopingskan-dal um die französische Radsporthoffnung Rachel Dard (25) … weitet sich aus. … Unter anderem leg-te er ein Rezept vor, auf dem ihm der Mannschafts-arzt Cortison und Anabolika verschrieben hatte…. Am 20. Mai 1977 heißt es: Bestätigt hat das obers-te Sportgericht des belgischen Radsport-Verbandes die gegen die belgischen Stars Eddy Merckx, Fred-dy Maertens, Michale Pollentiers, Willy Teirlinck,

Karl Rottiers und Walter Plancka-ert verhängten Strafen wegen Do-pingmissbrauchs. … Zum Thema Nachweisverfahren heißt es am 25. März 1977: … Der eindeu-tige Nachweis von Bluttransfu-sionen als Dopingmethode bei Spitzensportlern könnte bis zu den Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid (Winter) und Moskau (Sommer) möglich werden. … Heute liest man diese Zeilen ver-mutlich mit ungläubigerem Stau-nen als zum Zeitpunkt ihrer ersten Veröffentlichung. Die Zeit scheint im Sport in manchen Bereichen stehengeblieben zu sein. Schade, dass sich das nie auf den Leistungs-gedanken übertragen hat.Auch für die Folgejahrzehnte gab

es in Deutschland immer wieder Whistleblower, die nahezu vergeblich versucht hatten, auf Missstände hinzuweisen.1997 war es Jörg Paffrath. Der Kölner hatte seine Karriere nach einer positiven Dopingprobe - und viel wichtiger: der Geburt seiner Tochter - als Radprofi beendet und im Nachrichtenmagazin `Der Spiegel´ dezidiert geschildert, wie er vier Jahre lang regel-mäßig seine Leistung mit nahezu 30 verschiedenen Medikamenten manipuliert hatte. Nach dem Mot-to: Was ich mache, mache ich richtig. Auch, wenn es falsch ist. Zwar sprach Paffrath nur über sich, es wurde aber jedem klar, dass dies im Profiradsport dieser Zeit eher der Normalfall als die Ausnahme war. Dementsprechend fiel die Reaktion des zuständigen Fachverbandes aus: Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hatte nichts Wichtigeres zu tun, als Paffrath durch sein Bundessportgericht mit Beschluss vom 6. Februar 1998 lebenslang zu sperren. Die Kosten wurden ihm vollständig angelastet. So hieß es in der Begründung unter anderem, dass es strafverschär-fend zu berücksichtigen sei, dass Paffrath nicht nur

Foto

: Meu

tgen

s 20

16

Ralf Meutgens ist freier Journalist und Buchautor. Er ist Mitglied im wis-senschaftlichen Beirat der Zeitschrift „Doping“.

53DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

dem Ansehen des BDR schweren Schaden zugefügt habe. Er habe auch beim radsportlichen Nachwuchs den Eindruck hinterlassen, dass nur mit Hilfe leis-tungssteigernder Medikamente ein Wettkampferfolg erzielt werden könne. Dass dies kein Eindruck, son-dern Realität war, haben die nachfolgenden Jahre eindrucksvoll bewiesen.Philip Schulz aus Kaiserslautern war der dritte deut-sche Kronzeuge im (Rad)Sport nach Jörg Jaksche und Patrik Sinkewitz. Nach einer positiven Doping-probe im Jahre 2008 machte er von der entspre-chenden Regel der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) Gebrauch, woraufhin seine Sperre von zwei Jahren um die Hälfte verkürzt wurde. Im Gegensatz zu seinen Vorrednern Jaksche und Sinkewitz sprach Schulz über den semi-professionellen Amateurrad-sport seiner Zeit. Begeistert von seinem detailreichen Insiderwissen waren insbesondere die Kriminalbe-amten aus dem zuständigen Drogendezernat. Seine Aussagen führten zu zahlreichen Ermittlungen und der ersten Verurteilung eines Radsportlers nach dem damaligen Arzneimittelgesetz (AMG). Die Begeiste-rung im BDR hielt sich in Grenzen. Bis heute hat sich wenig geändert im Amateurradsport. Wenigen bis keinen Kontrollen stehen vermutlich viele Do-pingbetrüger gegenüber.Zuvor hatte in dem Jahr schon Robert Lechner reinen Tisch gemacht. Er war nie in die Nähe von Doping gerückt worden, keine seiner zahlreichen Proben war positiv. Die Dopingbeichte des Bruck-mühlers, der 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul im 1000-Meter Bahnradfahren die Bronzeme-daille errungen hatte, kam völlig überraschend. Auch für Freunde und Wegbegleiter. Lechner hatte mitt-lerweile zwei Söhne, die im Leistungssport erfolg-reich waren und setzte sich sehr kritisch mit deren Trainern und dem Umfeld auseinander. Er selbst war ebenfalls als Trainer und Leistungsdiagnostiker tätig. „Wenn ich glaubwürdig Position beziehen und eine vertrauenswürdige Basis schaffen will, dann muss ich die Vergangenheit klären“, so lautete sein Credo. Lechner gehörte zu seiner Zeit dem Nationalkader an und belastete mit seiner Geschichte auch seinen be-treuenden (Olympia)Arzt, der im Nachgang aufgrund von Lechners Aussagen einen Strafbefehl wegen der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung kassierte. Bis zu Lechners Angaben hatte er sich offenbar nur daran erinnern können, zwei anderen Radsportlern Anabolika verabreicht zu haben. Der BDR sah anscheinend keinen Handlungsbedarf, auch

der damals für Lechner zuständige Bundestrainer meldete sich nicht. Der Deutsche Olympische Sport-bund (DOSB) hörte Lechner zwar an, ließ aber nur verlautbaren, dass alles verjährt sei und man deshalb auch nichts unternehmen könne.Drei Geschichten, drei unterschiedliche Spielfelder des Radsports und doch eint alle eine Marschrich-tung. In den Reihen des organisierten Sports scheint die Bereitschaft, sich seriös und adäquat mit derart sachkundigen, aber auch kritischen Geistern ausein-anderzusetzen, schlichtweg nicht vorhanden zu sein.Zu diesen Geistern zählt auch der Düsseldorfer Di-plom-Ingenieur (Chemie) und Diplom-Trainer (Rad-sport) Dieter Quarz. Spätestens seit Ende der 1990er-Jahre war bekannt, dass Quarz ein intimer Kenner des Radsports in all seinen Facetten ist. Nicht zuletzt durch seine Diplomarbeit über Anabolika, die vom Institut für Biochemie der Deutschen Sporthoch-schule betreut wurde. Auch dort, an einem der beiden deutschen Doping-Kontrolllabore wusste man um Quarz´ enormen Wissensschatz. Seine Verbindungen in die Szene führten maßgeblich dazu, dass etliche Schwarzmarktpräparate den Weg ins Kölner Labor fanden, damit man dort wusste, wonach man suchen musste. Aber man muss nicht denken, dass Quarz irgendeine Stelle im organisierten Sport angeboten worden wäre. Trotz der fast nicht mehr zu toppenden Doppelqualifikation. Kurzzeitig war er ehrenamtlich Mitglied der Kommission Doping-Kontroll-System der NADA. Bevor er dort richtig Einblick erhielt, wurde Quarz aus dieser Position entfernt. Ähnlich erging es der Rechtsanwältin Anne Jakob. Sie hatte sich am 18. Oktober 2014 in einem Vortrag auf dem Anti-Doping-Tag der Deutschen Triathlon-Union (DTU) kritisch gegenüber der NADA geäußert. Ihre langjährige Mitgliedschaft in der Kommission Recht wurde in einem Schreiben vom 7. November 2014 durch die NADA widerrufen. Im Vordergrund stan-den angebliche Interessenskonflikte im Hinblick auf ihre hauptberufliche Tätigkeit. Und auch Gerhard Treutlein weiß bis heute nicht, warum seine Mit-gliedschaft in der Kommission Prävention der NADA nach nur kurzer Dauer nicht verlängert wurde.Vielen Akteuren im Bereich des organisierten Sports sei, auch angesichts der Tatsache, dass immer wieder wichtige Positionen durch dopingbelastete Personen besetzt wurden und werden, neben Robert Lechners Credo der Leitsatz des philosophischen Aufklärers Immanuel Kant wärmstens an Herz gelegt: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“.

54 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Züchten wir Monstren?

Seit Mexiko und Athen kann man es auch beim besten Willen nicht mehr vornehm vertu-schen: Die Hormonpille (oder -spritze) gehört

anscheinend ebenso zum modernen Hochleistungs-sport wie Trainingsplan und Trikot, wie Spikes und Spesenscheck. Nach meiner Schätzung treffen sich

bei großen Wettkämpfen bald mehr Pillenschlucker als Nichtschlucker. Olympia nach dem Motto: Dia-naboliker aller Länder, vereinigt euch! Nahezu alle Zehnkämpfer der Weltklasse nehmen die Pille, 90 Prozent der Werfer, Stoßer und Gewichtheber, etwa die Hälfte der Springer und Sprinter, und auch bei

Die hormonale Muskelmast

Karikatur: Andreas Krieger 2017

Der Artikel ist ein Nachdruck. Er wurde in „Die Zeit“ am 5. Dezember 1969 veröffentlicht. Ausgangspunkt zum nachfolgenden Artikel waren die Beobachtungen von Brigitte Berendonk, die sie bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko beim Wettkampf und im Umkleideraum machte. Sie war 1959 DDR-Jugend-

meisterin im Kugelstoßen und Diskuswerfen. 1968 sah sie ihre damaligen Konkurrentinnen wieder und war angesichts der sichtbaren körperlichen Veränderungen erschrocken. Wir wissen heute, dass drei Monate vor den OS 1968 das Anabolikadoping der DDR-Werferin begann, was dann u.a. zum Olympiasieg Margitta Gummels im Kugelstoßen führte. (Redaktion)

55DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

den Ruderern, Schwimmern und Mannschaftsspie-lern wird sie immer beliebter. Manche „Pillenkönige“ wie der durch seine Sportverletzungen berühmte US-Zehnkämpfer Russ Hodge, sein glücklicherer Team-kamerad Bill Toomey oder der schwedische Diskus-Cassius Ricky Bruch sollen schon zum Frühstück horrende Portionen der muskelbildenden Androgene schlucken, so dass ihr Apotheker eigentlich Nach-schubschwierigkeiten haben müsste. Und wenn mir heute beispielsweise ein Wurfathlet be-teuert, keine Anabolica zu nehmen, dann glaube ich ihm vorerst ganz einfach nicht; zuviel ist in dieser Frage bis-her schon gelogen worden, von Offiziellen wie von Athle-ten. So sind auch die – schon an ihrem Beamtendeutsch als einstudiert erkennbaren – Dementis der urplötzlich so stark gewordenen DDR-Asse oder ihrer Vormund-Funktionäre schlichtweg unglaubwürdig. In privatem Gespräch – so etwa einem britischen Athleten gegenüber – haben einige von ihnen den Gebrauch von Anabolica (angeblich auch injiziert) unumwunden zugegeben. Im Frauensport scheint man ebenfalls mehr und mehr nach der Eliminierung der „natürlichen“ nun die künst-lichen = hormon-induzierten Intersexe heranzubilden: Jedenfalls geben Muskelmassenzunahmen von mehr als fünf Kilo in wenigen Wochen (bei erwachsenen Frauen) ebenso deutliche Hinweise wie eine galoppierende Akne oder bestürzt erörterte Zyklusstörungen. Es ist offensichtlich: Die Leistungssteigerungen des letzten Jahrzehnts zum Beispiel in den technischen Dis-ziplinen der Leichtathletik gehen nur zum geringeren Teil auf Verbesserungen des Bewegungsablaufes (die heutigen 20-Meter-Kugelstoßer sind technisch keines-wegs besser als der Parry O’Brien der fünfziger Jahre), der Trainings- und Lebensbedingungen zurück. Schon seit vielen Jahren stärken sich etwa US-Athleten, die berühmten schwarzen „Naturtalente“ ‚nicht; ausge-nommen, regelmäßig mit dem CIBA-Präparat Dianabol, einem Mittel, das auch heute noch weithin – jedenfalls von westlichen Athleten – bevorzugt wird. Der Erfolg dieser exzessiven, hormonalen Muskelmast ist augenscheinlich und auch in dieser Zeitung mehrmals glossiert worden. Ein heutiger Kraftathletik-Wettbewerb versetzt ja durch die Typologie der Athleten das Publi-kum regelmäßig in einen Gefühlszwiespalt aus Horror und Amüsement. Eine kleine anabolische Zeitbombe liegt nun darüber hinaus noch in dem vor kurzem in dem renommierten US-Journal Science erschienenen Bericht von Johnson und O’Shea (Oregon State Univer-sity) versteckt. Diese stellten überraschenderweise nach Dianabol-Gabe nicht nur Muskelkraftzuwachs, sondern

auch eine erhöhte Sauerstoffaufnahme fest. Sollten sich solche Befunde erhärten lassen, dann dürften sich dem-nächst wohl auch unsere Dauerleister in die Schar der Anabolicaschlucker einreihen. Während aber in den Ländern des Ostblocks (und vielfach auch im Westen) die Anabolicaverabreichung anschei-nend ärztlich wirkungsvoll kontrolliert ist, wird sie in der Bundesrepublik in geradezu grotesk dilettantischer Weise gehandhabt. Man überlässt sie nämlich – „nichts hören, nichts sehen“ – mit besten Wünschen und ein wenig schlechtem Beigeschmack ganz einfach den Trai-nern, Hilfstrainern, Klubmedizinmännern, Masseuren und – meistens – den Athleten selbst: Es schlucke ein jeder nach seiner Façon! Dass Androgene eine Reihe von – teilweise irreversiblen – Fehlentwicklungen verursachen können, steht wohl zu-mindest ebenso fest wie ihre muskelbildende Wirkung: beispielsweise Disproportionierung von Sexualorganen und -verhalten, Akne (mit all ihren psychischen Folgen), Ödeme, Schädigungen des Skelettsystems, des Stoff-wechsels von Leber, Prostata und Nebennierenrinde, Libidostörungen (von den Athleten selbst natürlich am meisten gefürchtet und diskutiert). Darüber hinaus wirken Androgene zwangsläufig auch die Psychopharmaka: Aggressivität, Stimmungsschwankun-gen, übertriebenes Selbstgefühl („feeling of well-being“). Ganz generell scheint hierbei der – bei Leistungssport-lern häufig ohnehin schon verlangsamte – Reifeprozess noch weiter gebremst zu werden. Die Pubertät nimmt schier kein Ende! Viele der seltsamen pubertären Show-Ausbrüche etwa von John Carlos, Ricky Bruch oder vie-len Gewichthebern könnten durchaus auch eine Folge des erhöhten Androgenspiegels sein. Biochemiker und Biologen, mit denen ich die Problematik solcher Ein-griffe in das Hormongleichgewicht diskutierte, zählten darüber hinaus mit Leichtigkeit noch eine ganze Reihe zu erwartender Nebenwirkungen auf; Nebenwirkungen, die sich bei Durcharbeiten der einschlägigen Literatur auch prompt als so gut wie gar nicht untersucht heraus-stellten. (Eine bezeichnende Parallele übrigens zu jener „anderen“, der Antibabypille!) Wohl die größte Gefahr des Anabolica-Gebrauchs, vor allem des unkontrollierten, scheint mir aber in dem zu-nehmenden Mißverhältnis von Muskel und Skelett zu liegen. Sehnen- und Gelenkverletzungen, in der Öffent-lichkeit gern mit Schaudern als unumgänglicher Tribut an den heutigen Leistungssport schlechthin angesehen, sind häufig nichts weiter (das muss einfach einmal klar-gestellt werden) als die persönliche Schuld des Athleten oder seiner Promoter. Diese von der Nation bejammerten

56 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Verletzungen von Starathleten („Und wir alle, liebe Zu-hörer, zittern in diesen Minuten um den Ellenbogen!“) sind nicht sport-, sondern dianabolbedingt; sind das Ri-siko derjenigen, denen ihr natürliches Talent nicht ge-nügt, die sich und ihre Umwelt unfair betrügen wollen. Diese erhöhte Verletzungsgefahr durch Anabolica haben übrigens verschiedene Athleten, wie sie mir erzählten, durchaus an sich selbst registriert. Wer, um eine Wett-kampfsaison überhaupt nur überstehen zu können, bis zu hundert Cortison-, „Scheroson“- oder sonst was für Spritzen benötigt, ist ein bemitleidenswerter Krüppel und keineswegs ein Vorbild für die Jugend. Mit dem heute üblichen „Bild“-breiten Erörtern von Sportverlet-zungen holt man bestimmt nicht die Jugendlichen auf den Sportplatz oder gar nach München. Auf der anderen Seite ist natürlich der durch Pille und Steak gesteigerte Muskelzuwachs für den Athleten ein-fach zu verführerisch. Ich kenne mehrere bundesdeut-sche Athleten, die bei einer Formkrise einfach sagen: „Was soll’s? Mach’ ich eben mal wieder ’ne Kur!“; dann ein paar Wochen bei hoher Trainingsbelastung und ei-weißreicher Kost täglich bis zu 25 mg der kleinen wei-ßen (oder roten) „Puppen“ schlucken und anschließend die Öffentlichkeit mit einer „tollen Steigerung“ überra-schen, so etwa im Kugelstoß bis zu 2 m, im Diskuswurf bis zu 7 m und im Speerwurf bis zu 10 m. Natürlich sprechen nicht alle Athleten gleich optimal auf die an-

drogenen Steroidpräparate an, zumindest nicht auf die zur Zeit im Westen kommerziell erhältlichen; einige sogar – zu ihrem Jammer – fast überhaupt nicht! So wie sich die Dinge entwickeln, wird etwa in einigen Jahren nicht mehr der talentierteste, technisch und kämpferisch beste Athlet der „Größte“ sein, sondern der, dessen Muskelmetabolismus am besten auf die erhältlichen Androgene anspricht. Sportführung und Sportpresse haben sich, von einigen gelegentlichen Vorstößen abgesehen, bisher im wesent-lichen nur darum bemüht, dass der Sport nicht „sein Gesicht verliert“. Man war peinlich darauf bedacht, das derart weitverbreitete Doping mit Steroiden (und die chemische Kategorie ist ja, die Sache mal zu Ende ge-dacht, der einzige Unterschied zum verbotenen Doping etwa mit Alkaloiden) zu vertuschen und zu verdrängen. Genau wie man zuvor lange, sehr lange die Existenz von Intersexen im Frauensport verdrängt hat oder wie man auch heute noch sorgsam die zum Teil bereits zur Regel gewordenen Verstöße gegen das geltende Amateursta-tut verdrängt und vertuscht. Solche handgreiflichen Missstände zu registrieren steht wohl zu sehr der naiven „Mens-sana-Ideologie“ entgegen, beschmutzt das eigene olympische Nest, stört den edlen Brundage-Coubertin-schen Kaloskagathos-Traum. Denn das scheint allen Be-teiligten doch halbbewusst zu sein: Hat das Publikum erst einmal den Sport und den Sportler als manipulier-

Foto

: Ber

endo

nk

Beide Bilder zeigen die Kugelstoßerin Claudia Losch. Das linke Bild entstand vor 1982. Bei den Olympischen Spielen 1984 wurde sie mit über 20,48m Olympiasiegerin.

Foto

: Ber

endo

nk

57DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

bar durchschaut, dann geht die Faszination natürlich schnell flöten. Nicht zuletzt daher dieses offensichtliche internationale Stillhalteabkommen. Es besteht nun aber meiner Ansicht nach eine klare Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit, die Pflicht nämlich, sie über Ursachen und Hintergründe des heutigen Leistungssports ungeschminkt aufzuklären. Zu bewundern gibt es nämlich in den Stadien von heute zunehmend mehr nur noch die Triumphe der pharma-zeutischen Industrie, nicht die Triumphe des Sports. Die Eltern eines zum Mehrkampf begabten Sohnes beispielsweise müssen wissen, dass dieser im heutigen Trainings- und Wettkampfleben früher oder später zum Schlucken von Hormonpräparaten verführt wird. (Um Rezeptpflichtigkeit scheren sich die Trainer und Einflü-sterer sowieso nicht; dass die ganze Dianabolschluckerei gesetzwidrig ist, stört anscheinend niemanden, auch ei-nige der Herren Sportärzte nicht!) In solchen Fragen mit der angeblich „freien Entschei-dung“ des Sportlers zu argumentieren, ist schlichter Nonsens. Denn die Verführung durch das von außen gesetzte Leistungsziel, die Magie des prophezeiten Er-folges ist einfach zu groß, als dass junge Menschen dem widerstehen könnten, zumal wenn sie erst gar nicht über das Risiko aufgeklärt werden. Wer heute die Welt des Leistungssports betritt, muss wissen, dass hier die Gesundheit des einzelnen Athleten nichts, der Erfolg des Verbandes alles bedeutet. Wer „draufgeht“ – sei es durch Pech, sei es durch Doping, ist im Nu abgeschrieben, von hämischen Kommentaren der Funktionärskameraderie begleitet („Keinen Bis mehr, der Junge! Verletzungs-anfällig, immer schon gesagt! Verweichlicht! Aber wir früher: zäh wie Kruppstahl!“ – Man vergleiche hierzu etwa auch die entsprechenden Aussprüche von Dr. Danz anlässlich des USA-Länderkampfes). Nach der weithin akzeptierten Definition von Doping als der bewussten Aufnahme von nicht zur normalen Nahrung gehörenden Substanzen zum Zwecke der Leistungssteigerung ist der Gebrauch von Anabolica Doping. Da beißt keine Maus einen Faden ab! Und al-les Drumherumgerede ist scheinheilige Schönfärbe-rei: Welche Möglichkeiten einer wirksamen Kontrolle von Anabolica-Doping gäbe es denn eigentlich? Nach vielen Diskussionen mit Fachleuten scheint mir nur ein – wegen der bekannten Nachweisschwierigkeiten von Hormon-Doping zugegeben etwas komplizierter – Weg beschreitbar: 1. Die Sportverbände verpflichten sich zur ständi-

gen Hinnahme einer internationalen Hormon-Doping-Kontrolle.

2. Ein internationales Gremium aus mindestens drei Fachärzten verschiedener politischer Blockzugehö-rigkeit bestimmt stichprobenartig durch ein Zufalls-system in unperiodischer Folge unter den 20 oder 30 Weltbesten einer jeden Disziplin die Namen von Sportlern (Sportlerinnen), die sich dann (an ihrem Heimatort) binnen zwei Tagen einer Urin- und Blut-untersuchung durch eben diese internationale Kom-mission stellen müssen.

3. Überschreitet der Gesamtgehalt an Androgenen (be-ziehungsweise Androgenderivaten und Abbaupro-dukten) des Blutplasmas oder des Urins einen oberen Normalwert, oder werden qualitativ körperfremde an-drogene Steroide im Chromatogramm angetroffen, so liegt Doping vor, und der betreffende Athlet oder (und) Verband erhält eine Sperre. (Als einzige Ausnahme würde die medizinisch begründete Anwendung von Anabolica in Krankheitsfällen gelten.)

Aber man darf nicht übersehen, dass für eine solche un-bestechliche und faire Kontrolle nicht viel Hoffnung be-steht. Die Widerstände, vor allem von Ostblockländern, wären zu groß, als dass man hier optimistisch sein dürfte. Ganz besonders bedenklich aber scheint mir an all dem Hormon-Doping-Wahn dieses zu sein: Hier wird zum erstenmal in der Geschichte des Sports der Mensch auf einen nur vom Unterhaltungs- und Prestigebedürfnis

Brigitte Berendonk, ehe-malige Diskuswerferin und Kugelstoßerin, die das staat-lich verordnete Doping im DDR-Leistungssport 1991 aufdeckte. Erste Athletenspre-cherin des DLV 1969. 1958 DDR-Vierkampf-Meisterin, Flucht ihrer Familie in die Bun-

desrepublik. 1959 Fünfkampf-Jugend-Meisterin der Bun-desrepublik. Studium für Anglistik und Sport an der Uni-versität Freiburg. Teilnehmerin und Finalistin bei den Olympischen Spielen 1968 und 1972. In einem Artikel für die „Die Zeit“ machte sie im Dezember 1969 auf allgemeines Doping im Leistungssport aufmerksam. Eh-rungen: 2001 Heidi-Krieger-Medaille des DOH. 2004 Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bun-desrepublik Deutschland. Deutsche Meisterin im Diskus-wurf (1971) und Kugelstoßen (1973), sechsmal Vizemei-sterin (1967–1970, 1972, 1973).

ZUR PERSON

Foto

: Ber

endo

nk

58 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

der Gesellschaft bestimmten Scheinwert (Rekord oder Medaille) hin biologisch – und zwar teilweise irreversibel – manipuliert. Für den Jugendlichen etwa, dessen Ent-wicklung durch Zuführung von Androgenen aberrant verläuft, gibt es kein Zurück. Der Sportler begibt sich durch die derart weitgehende Unterordnung unter das hysterische Medaillengeschrei des Volkes einen .weiteren entscheidenden Schritt (der erste war die Bezahlung der sportlichen Leistung) auf das Gladiatorentum zu. Der Anspruch der TV-Nation auf die biologische Steuerung der sportlich talentierten Menschen („Die Leute sind eben sauer, wenn kein Westdeutscher auf dem Treppchen steht“) geht zu weit, geht logischerweise noch wesentlich weiter als im Falle des kurzfristigen Dopings etwa mit Aufputschmitteln. Principiis obsta? Doch so naiv kann man wohl spätestens seit der inter-nationalen Drogenmesse Mexiko 68 nicht mehr sein! Der Zug scheint abgefahren, und zwar genau in die falsche Richtung. Wer würde sich denn auch noch wieder für nichthormonale 18-m-Kugelstöße oder Gewichtheberleistungen im olympischen Dreikampf unter 500 Kilo interessieren! Die nächsten Stationen zeichnen sich bereits klar ab, beziehungsweise sind in einigen Ländern schon Realität. So die in „Sport-gymnasien“ di(an)abolisch konsequent aufgebauten Olympioniken – oder die nach Kaninchenzüchter-regeln, gewissermaßen als Sportlebensborn, durch Paarung von Hochleistern produzierten Höchstlei-ster (Beispiele solcher Versuche sind Kennern be-kannt) – oder der Einsatz spezieller Wachstumshormone bei jugendli-chen Talenten (hierüber wird schon recht konkret gemunkelt). Und ich nehme Wetten darauf an, dass be-reits von den nächsten Olympischen Show-Wettkämpfen an in bestimm-ten Disziplinen immer mehr hor-monal gesteuerte Zuchtprodukte einmarschieren. Zum Diskus- oder Kugelfinale werden sie in die Arena stampfen wie Rückkreuzungen vorzeitlicher Fabelwesen: 2,30 m hohe und über 3 Zentner schwere Horrorkolosse aus dem Labor des Baron Frankenstein. Und das Publi-kum wird sie und ihre Darbietungen noch mehr belachen und bestaunen als schon heute üblich, so wie den Zuchtbullen Kasimir oder den gro-ßen Orang-Utan im Baseler Zoo:

Schaubudenmonstren, „zweckvoll“ konstruiert. Kürzlich fiel mir Aldous Huxley wieder in die Hände: „...und ihre Föten, gestopft voll mit Blutersatz und Hor-monen, wuchsen und wuchsen und wuchsen oder ... schlafften ab zu kümmerlichem Epsilon-Dasein.“ Brave New World? Im Sport hat sie jedenfalls bereits begonnen.

Brigitte Berendonk

Dazu Anmerkungen 2017

Schon vor den Olympischen Spielen von Mexiko City (1968) war deutlich, dass da etwas bei den Leichtathleten im Gange war. Unter Werfern und Mehrkämpfern raunte es: Die nehmen da etwas, man kann es nicht nachwei-sen. Das mit dem Nachweis stellte mein Trainer (Natur-wissenschaftler) schnell klar; mein Vater (Arzt) warnte sofort vor Manipulationen mit androgenen Hormonen. Was ist das für ein Sport, habe ich mich gefragt.

Fast ein halbes Jahrhundert später muss man – viele wohl mit Trauer oder Wut – feststellen: Es ist bewiesen – sogar gerichtlich – dass der „olympische“ Frauen-Spitzensport der DDR genau am 28. Juli 1968 voll auf virilisierendes Doping mit androgenen Steroiden gesetzt worden war: Nr. 1/68 war die Kugelstoßerin Margitta Gummel (Leip-zig) mit einer Dosis von 10 Milligramm Oral-Turinabol täglich, was zu einem sofortigen und riesigen Anstieg ihrer Bestleistung und zur Goldmedaille führte. Die

Abbildung 1: Dokumente einer internen Auswertung von 1973

Que

lle: B

eren

donk

201

7

59DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

betreffende Original-Graphik aus den Geheimdokumen-ten einer wissenschaftlichen Auswertung von 1972 ist hier zu sehen (Abb. 1): Sie geriet 1992 in meine Hände. Seitdem sind fast alle Frauen-Rekorde – nicht nur in besonders kraftabhängigen Disziplinen – von solchen medikamentös virilisierten Mädchen und Frauen aufge-stellt worden: Als Beweismittel füge ich hier eine Tabelle der deutschen Sprint- und Mittelstrecken-Rekorde an (Abb. 2): Alles Produkte krimineller Taten (vgl. Bundes-gerichtshof vom 09.02.2000). Entsprechendes gilt auch für die nicht-kommunistischen Länder und Zeiten: Als Beispiel für den Deutschen Leichtathletikverband (DLV) ist hier der Vergleich der jugendlichen Meister-Kugel-stoßerin Claudia Losch vor (Abb. 3a) und nach (Abb. 3b) Doping beigefügt (Bestleistung: 22,19 m). Ein frü-her ärztlicher Befund der viriliserenden Doping-Schä-digung (schmerzhafte Klitoris-Hypertrophie) liegt z.B.

seit kurzem durch Aussagen bei der „Evaluierungskom-mission Freiburger Sportmedizin“ (auch öffentlich vor-getragen). Verantwortlich für den DLV: Kugelstoß- und Diskuswurf-Nationaltrainer Christian Gehrmann sowie der DLV-Vorstand, der von diesen Virilisierungen wusste. Gibt es jemand, der das alles etwa seiner sportbegabten Tochter antun möchte? Ich bin als Sportlehrerin dann zu dem Schluss gekommen: Zu diesem Sport (interna-tionale Erfolge, d.h. Doping) darf man keine Mädchen schicken! Man macht sich sonst eben der Mitwirkung an einer Körperverletzung schuldig. Das war schon 1969 zu befürchten.

Quelle:

http://www.volksstimme.de/leute/geburtstage/promi-geburtstag-

vom-2.-mai-2017-brigitte-berendonk/1493376512000

Deutsche RekordeFrauen: Sprint, Mittelstrecken, Weitsprung

Name AAS mg/Jahr

100 m 10,81 (+1,7) Marlies Göhr (SCM Jena) 1405

200 m 21,71 (+0,7) Marita Koch (SCE Rostock) 1460

21,71 (+1,2) Heike Drechsler (SCM Jena) 935

400 m 47,60 Marita Koch (SCE Rostock) 1460

100 m Hürden 12,42 (+1,8) Bettine Jahn (SC Karl-Marx-Stadt) 1560

400 m Hürden 53,24 Sabine Busch (SCT Erfurt) 1230

4x100 m 41,37 DVfL-Auswahlmannschaft(Gladisch, Rieger, Auerswald, Göhr) 805, ?, 1375, 1405

4x100 m Vereine 42,20SC Motor Jena(Schmidt-Geipel, Wöckel, Auerswald, Göhr)

1291, 1670, 1375, 1405

4x400 m 3:15,92 DVfL-Auswahlmannschaft(Walther, Busch, Rübsam, Koch) 1290, 1230, 1230, 1460

Weitsprung 7,48 (+1,2) Heike Drechsler (SCM Jena) 935

800 m 1:55,26 Sigrun Wodars; Grau (SC Neubran-denburg) 210

1000 m 2:30,67 Christine Wachtel (SC Neubranden-burg) 150

Abbildung 2: Beispiele des Dopings mit anabolen-androgenen Steroiden: AAS

60 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Das Dilemma des Deutschen Sports

Wie in den 60-er Jahren ein junger Leicht-athlet dazu kam, Anabolika einzunehmen.

Seit meinem 10. Lebensjahr war ich Mitglied in einem kleinen Turn und Sportverein in meiner Heimatstadt Münster und spielte dort erfolgreich Handball. Durch Zufall kam ich im Schul-Sportunterricht mit einem kleinen Diskus in Berührung und mein Sportlehrer hatte gesehen, dass ich ein sehr gutes Bewegungsge-fühl für das Gerät hatte. 1,96m groß, 96 kg schwer und einmal Training pro Woche ca. 1 Stunde reichte, dass ich mit 18 Jahren Deutscher Jugendmeister im Dis-kuswurf wurde. Der DLV-Bundestrainer für Kugel und Diskus lud mich danach zu Wochenend-Lehrgängen nach Dortmund, Mainz und Freiburg ein. Dabei hatte ich engen Kontakt zu den Männern und Frauen im Westdeutschen Wurfbereich. 1968 mit 21 Jahren ge-

hörte ich bereits zu den vier besten Diskuswerfern in Westdeutschland, obwohl ich nur ein Gewicht von 105 kg hatte. Durch wiederkehrende Bronchitis-Erkran-kungen mit anschließender Mandeloperation im Mai 1968 verlor ich sechs Kilogramm Gewicht und war da-mit für internationale Spitzenleistungen zu schmäch-tig geworden. Es waren nur noch vier Monate bis zur Olympiade in Mexico. Da musste ich etwas tun, wenn ich die Teilnahme noch schaffen wollte.

Die Aufholjagd hatte begonnen.

Durch meine Sportkontakte national und internatio-nal wusste ich bereits ungefähr, was die Konkurrenz an unterstützenden Mitteln nahm. Da damals die Mittel nicht als Doping deklariert waren, im Gegenteil von un-serem DLV-Verbandspräsidenten sogar als wirkungslos

Ein Bericht von Klaus-Peter Hennig

Foto: Stephanie Hofschlaeger/pixelio.de 2017

61DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

bezeichnet wurden, gab es keine Instanz, die uns von der Einnahme abhielt. Als ich dann als zweitbester Dis-kuswerfer die Qualifikation für Mexico geschafft hatte, konnte ich meine damals noch spärlichen Kenntnisse über Anabolika mit den weltbesten Athleten vertiefen. Im Olympischen Dorf traf ich mein Diskus-Idol Jay Sil-vester, damals Weltrekordler mit 68,40m. Als er mich sah, 1,96 m groß und 105 kg leicht, hat er mich erst für einen Zehn-Kämpfer gehalten, der gut Diskuswer-fen konnte. Er sagte zu mir „Klaus-Peter, you are very skinny“. Anabolika-Doping war damals schon eine flä-chendeckende Erscheinung. Es wurde aber damals auch schon über mögliche Nebenwirkungen gesprochen bei der Anwendung bei Männern wie auch bei Frauen. Das machte mir große Sorgen, denn ich war 21 Jahre jung und wollte meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. So habe ich damals und auch später nur die klinische Dosis in Höhe von 15 mg pro Tag genommen, weil das die empfohlene Dosis für kranke Patienten war. Die Folge war, dass Im Hinblick auf die Olympiade in München alle Athleten mehr trainierten, viele ihr Studium unter-brachen oder streckten, was ich nicht getan habe, und viele offensichtlich unterstützende Mittel eingenommen haben. Im eigenen Land wollten wir es der DDR zeigen.

Ost gegen West?

Durch die Doktorarbeit von Simon Krivec ist das Thema Doping von einer anderen Seite beleuchtet worden, die so bisher nicht öffentlich geworden ist. Eine Handvoll Leichtathleten haben aufgedeckt, dass sie in der Zeit vor und nach 1970 Anabolika genommen haben. Dabei kam heraus, dass auf der einen Seite Athleten ganz in-dividuell vorgegangen sind und auf der anderen Seite im Deutschen Leichtathletik Verband zunächst das Thema verschleiert und geleugnet worden ist. Gleich-zeitig wurde relativ frühzeitig eine Verbandsstruktur geschaffen, die die Einnahme von Doping-Mitteln aktiv gefördert hat, indem sich Athleten vom Leichtathletik Verband haben helfen lassen. Beschleunigt wurde der Aufbau dieser Strukturen durch die Tatsache, dass seit Mexico 1968 zwei getrennte deutsche Olympia- Mann-schaften an den Start gegangen sind und nun in feind-schaftlicher Konkurrenz zueinander waren, verstärkt durch die Tatsache, dass die DDR-Sportler von der Stasi überwacht wurden. Der kalte Krieg hatte ab 1968 den Hochleistungssport in Westdeutschland erreicht.In Mexico war die Medaillen-Verteilung noch relativ günstig für Westdeutschland. Es war in Mexico bereits absehbar, dass die DDR sportpolitisch aufrüsten würde,

schon im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 in München. In der Zeit war der Staatsauftrag klar for-muliert worden, mit allen Mitteln den Westdeutschen Sport zu überflügeln. Aber auch in Westdeutschland blieben die Politiker und Fachverbände nicht untätig und haben mitgeholfen, ein Doping-Zentrum z.B. in Freiburg aufzubauen. Unter der Maxime: wenn unter ärztlicher Aufsicht Anabolika genommen werden, sind die möglichen Nebenwirkungen beherrschbar. Das hat die hohe Politik so akzeptiert. Dieses Angebot haben viele Sportler aus den unterschiedlichen Sport-Diszi-plinen genutzt, streiten es jedoch auch nach 40 Jahren ab. Die Gründe kann man sich denken. Wie oft habe ich gehört, Klaus-Peter ganz schön mutig, aber ich habe nichts genommen. Kann es sein, dass nur die Athleten mit Platzierungen zwischen 6 und 12 etwas genommen haben und Athleten mit Platzierungen von 1 bis 5 sau-ber waren? Wohl kaum.Also, Anabolika-Doping war in den 50er Jahren in den USA und seit 1968 weltweit in Anwendung gekommen. In Westdeutschland wurde es 1971 im DLV verboten, aber in München 1972 noch nicht kontrolliert. Wa-rum sich selbst um Medaillen-Chancen bringen. Erst ab 1974 wurden Anabolika international verboten und in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich intensiv kontrolliert. Dazu wurden die Internationalen Olympianormen in Westdeutschland angehoben und verschärft, was einige Athleten in große Gewissens-konflikte stürzte. Wie weit soll ich mit der Einnahme gehen, um die hohen Normen zu erreichen, und wie sehen eventuelle Nebenwirkungen aus. Auch wenn die Einnahme von Anabolika bis 1971 nicht verboten war, war ich als junger Athlet in einem schlimmen Di-lemma. Deshalb habe ich mich bei der Dosierung an die Empfehlungen der Herstellerfirma gehalten in der Hoffnung keine Nebenwirkungen zu erleiden. Auf der anderen Seite wurden unsere Leistungen wöchentlich in der Presse mit den Leistungen der DDR-Sportler verglichen. Man wollte selber mithalten zum eigenen Vorteil und zum Vorteil des Verbandes. Aus diesem Kon-flikt heraus habe ich eine weitere Trainings-Methode in Form von Elektro-Muskelstimulation in mein Training aufgenommen, was mir im Endeffekt nur geschadet hat in Hinblick auf die Leistung in München 1972.

Anabolika und mehr, auch mehr Geld

So richtig pervers wurde der Wettstreit der Sportsy-steme in Ost und West in den 1980-er und 1990-er Jah-ren. Da wurde in der DDR das Überbrückungsdoping

62 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

mit Testosteron entwickelt als Substitution von Anabo-lika bis kurz vor dem Wettkampf eingesetzt, weil dann beide Substanzen nicht mehr nachweisbar waren.Ich habe davon erst nach 1990 erfahren, als die Kreischa-Unterlagen bekannt wurden, mich aber früher immer gewundert, dass DDR-Sportler eigentlich nie bei Doping-Kontrollen erwischt worden sind, weil die DDR einen sog. Doping-TÜV bei jedem Athleten durchgeführt hatte.Ein weiterer Aspekt war der Fairness im Sport nicht zuträglich. Ab der Olympiade in Moskau 1980 wur-den Werbeinnahmen für Amateur-Sportler erlaubt. Das hat den Medikamenten-Missbrauch richtiggehend befeuert. Ich möchte an dieser Stelle nicht die vielen Doping-Opfer aufzählen. Aber im Laufe der Jahrzehnte sind es offensichtlich viele im dreistelligen Bereich. Zu meiner aktiven Zeit waren wir lupenreine Amateure, die überwiegend studiert hatten, und nach Studien-abschluss einen Beruf aus-geübt haben. Aber bereits in 70-er Jahren waren die Ostblock-Athleten Profis im Sinne von Staatsama-teuren. Gegen diese Leute sind wir angetreten. Heute kann man ab einem be-stimmten Leistungsniveau von Sport-Einnahmen leben. Es steht viel mehr auf dem Spiel. Der Druck auf den Athleten und die Sponsoren ist viel höher als früher, und auf den Funktionär, der aufpassen muss, dass seine Athleten gut abschneiden und die Fördergelder weiter flie-ßen. In gewisser Weise hatten wir damals schon das sog. Duale System. Nur mit dem Unterschied, dass wir uns um unser Studium und Berufseinstieg selbst geküm-mert haben. Wir konnten Studium und Leistungssport noch gut miteinander vereinbaren und hätten im Ver-letzungsfall problemlos aufhören können, ohne unsere Lebensplanung zu gefährden.

Wie sieht es heute aus?

Wie man sieht: alles hat eine Historie und eine konti-nuierliche Entwicklung durchlaufen bis zu der heute

unappetitlichen Situation. Das Problem, welches mich als Hochleistungssportler immer sehr bedrückt hat ist, die `Chuzpe´ und Dreistigkeit, mit der in all den Jahren unsere Politiker und Funktionäre Doping aktiv und auch inaktiv gefördert haben und in Sonntagsreden gegen Doping zu Felde gezogen sind und immer noch ziehen. Die Bevölkerung spürt diese Heuchelei und nimmt den Verantwortlichen in den Innenministerien und den Sportverbänden ihre sogenannte Anti-Doping-Gesinnung nicht ab. Einen Fall habe ich erlebt, wo ein Werfer positiv getestet worden ist und natürlich ein oder zwei Jahre gesperrt worden ist. Im Vorfeld wussten die Verantwortlichen genau Bescheid, was Dr. Klümper mit den Athleten machte. Der erwischte Athlet wurde von den Funktionären als schwarzes Schaf und Einzel-

schicksal hingestellt, aber unter vier Augen bedauert, dass er wohl Pech gehabt hatte. Wenn sie so etwas erlebt haben, dann vergeht ihnen der Spaß am Lei-stungssport.Jetzt sind im Auftrag der Politik die Anforderungen an die Leistungssportler so hoch geschraubt worden, dass nur noch Medaillen-anwärter mit zur Olym-piade genommen werden sollen. Wie soll man das ohne unterstützende Mit-tel erreichen? Das wider-spricht dem Olympischen Gedanken. Können wir uns eine größere Olym-piamannschaft in Deutsch-land nicht leisten? In Me-xico 1968 war man dem

Olympischen Gedanken noch in der Weise verpflichtet, dass pro Disziplin 3 Athleten in die Olympiamannschaft aufgenommen wurden, wenn sie die internationale Olympianorm zweimal erreicht hatten.

Wasch´ mich, aber mach´ mich nicht nass…

Das Dilemma des Deutschen Sports beginnt bereits in der Zielsetzung des Bundesinnenministeriums. Der Bundesinnenminister hat zwei Ziele formuliert, die sich nach allem was wir und die Verantwortlichen wissen, komplett widersprechen. Ein klassischer Zielkonflikt.

Klaus-Peter Hennig als Mitglied bei Hannover 96.

Foto

: Hen

nig

1967

63DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Erstens, der dopingfreie Sport und Zweitens, der erfolgreiche Sport mit möglichst vielen Medaillen und daran ausgerichteten Förderprogrammen.

Wie das funktionieren soll, in einem Sport-System, in dem bei so vielen Funktionären und Trainern das finan-zielle Auskommen von den Erfolgen der Athleten abhän-gig ist, hat uns Athleten noch keiner erklären können.Die kürzlichen Reaktionen von den Chefs des DOSB und DLV auf die Arbeit von Simon Krivec sprechen Bände und die Protagonisten entlarven sich selbst in ihrer Machtlosigkeit. „Man glaubt, dass weiter gedopt wird, aber solange man nichts nachweist, sind die Athleten sauber und alles ist gut. Dann zählt man weiter die erreichten Medaillen und verfrachtet sogar die Athleten, die nachweislich gedopt haben, in die Hall of Fame des Sports. Eine Aufarbeitung, insbe-sondere der Zeit nach der Wende, ist nicht gewollt. Und wen interessiert das heute noch?Zitat DLV-Präsident „Wenn (aber) dieses Problem nicht gelöst wird, wird der Sport irgendwann in sich zusammenbrechen“In meinen Augen stinkt der Fisch vom Kopf her. Dieses Missbrauchsproblem ist systemimmanent und nur mit dem Willen der Politik und der Spon-soren besser in den Griff zu bekommen. Sponsoren wie Nestle und Adidas ziehen sich bereits aus der Förderung zurück und ich bin sicher, dass weitere Unternehmen folgen werdenIn der Wirtschaft werden solche Probleme effizienter gelöst, in der Weise, dass die Chefs (hier Verbands-präsidenten, Trainer) für die Wirksamkeit eines Kon-trollsystems selbst verantwortlich sind und nicht die Athleten als letztes Glied in der Hierarchiekette. Die WADA/NADA sind in diesem Zusammenhang not-wendig, aber nur als Erfüllungsgehilfen anzusehen, müssten jedoch mit mehr finanziellen Mitteln aus-gestattet werden. Es geht mir nicht um Einzelschicksale, sondern darum, die Perversität der internationalen Sportpo-litik aufzuzeigen. Und darum, zu betonen, dass nicht die Athleten die Monster und sog. betrügende Helden sind, sondern eher die Herren und Damen in den Mini-sterien und Landesverbänden betrachtet werden müs-sen, die diese überhöhten Leistungsnormen aufstellen und damit große Schuld auf sich geladen haben. Der einzelne Athlet ist das letzte Glied in der Doping-Kette und wird verteufelt. Das sind die Falschen, denn die Treppe wird von oben nach unten gekehrt.Im Grunde sind die Fakten über das Doping in West-

deutschland längst bekannt durch eine Reihe von Un-tersuchungen und Veröffentlichungen. So z.B. Die Untersuchung Doping in Westdeutschland von 1950 bis heute. Die Top-Athleten werden sich erfahrungs-gemäß nicht outen, denn sie würden zu viele Vor-teile und Vergünstigungen einbüßen und haben sich mit ihrem Wissen eingeigelt. Aber dass nachweislich gedopte Athleten aus der DDR in die Hall of Fame aufgenommen werden, könnte man als Indiz dafür ansehen, dass die Sportpolitik alle Athleten über ei-nen Kamm schert, die etwas genommen haben und die, die nichts genommen haben, und sogar die, die bei der Stasi mitgearbeitet habenDas Problem ist nicht einfach zu lösen. Aber so lange wie wir (fast) alle hauptsächlich auf die Medaillen-spiegel schauen und nicht wissen wollen, wie zum Beispiel Radprofis ihre unmenschlich hohen Lei-stungen erbringen, wird sich nichts ändern.Für mich war der Sport in der Zeit von 1957 bis 1976, als ich mit dem Universitätsstudium fertig war, das Schönste auf der Welt. Meine Wurfkollegen sind mit mir da einer Meinung. Wir haben Dinge erlebt, die ein Normalbürger in der Form nie erleben könnte. Da-nach kamen eine internationale berufliche Karriere und die Familie mit Kindern und Enkeln. Und so ist es richtig, die Schwerpunkte konnte ich allein setzen und meinem Lebensplan selbst gestalten. Wie hat Avery Brundage 1972 in München nach dem Attentat der Palästinenser gesagt:The games must go on. Viel Spaß dabei, meine lieben Kollegen und festangestellten Funktionäre.

Klaus-Peter Hennig ist ein ehemaliger deutscher Leichtathlet und fünfmaliger Deutscher Meister im Diskus-werfen (1965 Deutscher Ju-gendmeister, 1966 Vizeeuro-pameister Europäische Juniorenmeisterschaften, 1968 Deutscher Juniorenmei-

ster, 1971 Militärweltmeister). Hennig startete zunächst für Preußen Münster und wechselte dann zu TSV Bayer 04 Leverkusen. Als Leverkusener war er 1971, 1973 und 1975 Deutscher Meister im Diskuswurf. Seine Best-weite von 64,80 m erreichte er 1972. Heute arbeitet er als Unternehmensberater.

ZUR PERSON

Foto

: Hen

nig

64 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Es hat sich nichts verändertDiskuswerfer Alwin Wagner wies bereits wäh-rend seiner aktiven Zeit auf Doping der deut-schen Leichtathleten hin.

Foto

: Alw

in W

agne

r

Doping: Herr Wagner, wussten Sie früher von Doping?Wagner: Als Jugendlicher und Junior hatte ich noch nie etwas von Doping gehört. Nachdem ich 1973 in den DLV-Kader berufen wurde und mit den anderen vier besten deutschen Diskuswerfern an Trainings-maßnahmen in Mainz und Leverkusen teilnahm, wurde über Anabolika-Doping offen gesprochen. Der damalige Bundestrainer Erhard Schulze riet mir im-mer davon ab, denn er war der Auffassung, ich könnte auch ohne Doping die Leistungen der deutschen Spit-zenwerfer erreichen.

Doping: Haben Sie auch Dopingmittel eingenommen?Wagner: Als nach den Olympischen Spielen 1976 wieder ein Trainerwechsel im deutschen Diskuswurflager erfolgte, sprach mich der neue Bundestrainer Karlheinz Steinmetz, selbst ein ehe-maliger 60m-Diskuswerfer, direkt auf die Einnahme von Dopingmittel an. Ich hatte die internationalen Normen für die Europameisterschaften 1974 in Rom und auch die IAAF-Norm für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal erreicht und wurde dennoch nicht mit zu diesen internationalen Meisterschaften vom

Alwin Wagner, ehemaliger Diskuswerfer, wies bereits während seiner aktiven Zeit auf Doping der deutschen Leichtathleten hin.

65DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Deutschen Leichtathletik-Verband nominiert. Auf Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass zu internatio-nalen Meisterschaften und Olympischen Spielen nur Athleten vom DLV mitgenommen werden, die eine Medaillen- oder zumindest eine sichere Endkampf-chance besitzen. Diese Haltung der DLV-Verantwort-lichen und auch der führenden Männer im NOK fand ich nicht nur damals zynisch.

Doping: Was haben Sie persönlich erlebt?Wagner: Der neue Bundestrainer führte mit mir nach den Spielen in Montreal bei einem Winterlehrgang in Mainz ein langes Gespräch und machte mir deutlich, dass mein Leistungspotenzial im Diskuswerfen trotz meiner 26 Jahre noch längst nicht ausgeschöpft war. Aber um dieses zu erreichen, müsste ich mit Anabo-lika nachhelfen. Das würde eine Leistungssteigerung bis zu 10 Prozent bringen. Bei meiner Bestweite von 61,88 Meter waren somit Leistungen über 67 Meter zu erwarten. Steinmetz machte mir auch deutlich, dass ich durch diese guten Leistungen auch viel Geld ver-dienen könnte. Sollte ich zu den TOP-TEN in der Welt gehören, würde ich Einladungen zu internationalen Wettkämpfen erhalten, bei denen man gutes Geld bekommen könnte. Außerdem würde die Sporthilfe ihre Förderung erhöhen und auch die Ausrüsterfirma würde mit mir einen gut dotierten Vertrag abschlie-ßen. Der neue Bundestrainer versprach mir auch, dass ich mit den großartigen Weiten auch für die internationalen Meisterschaften, bei denen ich trotz Normerfüllung nie starten durfte, nominiert würde. Natürlich lag die Entscheidungsfreiheit, ob ich Ste-roide einnehme oder nicht, bei mir. Auch die Werfer der deutschen Spitzenklasse, die damals in Mainz trainierten oder die ich bei Wettkämpfe nach ihrem Anabolikakonsum befragte, sagten fast unisono, dass ihre Spitzenleistungen nur auf die Einnahme von Dopingmitteln zurückzuführen seien. Ich verspürte auch einen gewissen Druck, denn nach dem Gespräch mit Steinmetz - „nimm diese Tabletten, sonst hast du auch in der Zukunft keine Chance, bei den interna-tionalen Meisterschaften eingesetzt zu werden – hatte ich begriffen, dass der DLV mich ohne Anabolika-Doping nie zu einer internationalen Meisterschaft nominieren würde.

Doping: Sie haben bereits 1981 noch als aktiver Ath-let das Thema Doping in der westdeutschen Leicht-athletik angesprochen. Wie kam es dazu, und wie waren die Reaktionen?

Wagner: Als die Normen für die internationalen Meisterschaften vom Deutschen Leichtathletik-Ver-band immer höher gesetzt wurden - 1976 musste man z.B. mit dem Diskus bei einem bestimmten Norm-wettkampf über 64 Meter werfen, um für Montreal nominiert zu werden– kamen Anfang der 80er Jahre viele Werfer zu mir und baten mich als Sprecher der bundesdeutschen Werferszene, diesbezüglich beim DLV vorstellig zu werden.Deshalb brachte ich dieses Anliegen bei einer Weih-nachtsfeier der A-Kader-Athleten im Beisein aller DLV-Funktionäre in Frankfurt vor. Der damalige DLV-Präsident Prof. Dr. August Kirsch unterbrach meine Anfrage schon nach wenigen Worten und sagte: „Ich möchte hiervon nichts hören!“Daraufhin schrieb ich einen Brief an Willi Daume, NOK-Vorsitzender und an Josef Neckermann, Vorsitzender der Deutschen Sporthilfe und schilderte ihnen in diesem Schreiben die Doping-Problematik in der deutschen Leichtathletik. Aber beide Briefe blieben unbeantwortet.Mir kam es so vor, als ob ich in Sachen Doping bei allen – Funktionäre, Trainer und auch Athleten – auf Granit biss.Ich gab aber nicht auf und schickte eine Kopie dieses Briefes an die Sportredaktion der Bild-Zeitung nach Hamburg, um die Öffentlichkeit auf Doping in der deutschen Leichtathletik aufmerksam zu machen. Und einige Zeit später, nachdem der Chefredakteur Werner Köster mit mir telefoniert hatte, brachte die Bild-Zeitung einen Artikel mit der Überschrift „Dis-kuswerfer Wagner klagt an - Wir müssen immer mehr Pillen schlucken, um die Norm für die internationa-len Meisterschaften zu erfüllen....“Nach diesem Bericht gab es auch keine Reaktionen – weder von politischer Seite noch von unserem Verband.

Doping: Danach fielen Sie in Ungnade. Wie äußerte sich das sonst?Wagner: Wurde ich früher vom DLV nach der abge-laufenen Saison zu Trainingsmaßnahmen nach Asien geschickt, so fielen diese Einladungen weg. Auch bei anderen großen Reisen nach Südamerika bzw. Afrika wurde ich nicht mehr berücksichtigt. Für die Olympi-schen Spiele in Seoul hatte ich bei jedem Wettkampf die Norm erfüllt und bei den deutschen Meisterschaf-ten 1988 hinter Olympiasieger Rolf Danneberg und dem einstigen DDR-Athleten Wolfgang Schmidt den dritten Platz belegt. Aber der DLV schlug mich dem NOK als Olympiateilnehmer gar nicht vor. Man no-minierte den Viert- und Fünftplazierten, die in dem Jahr keinen Wettkampf gegen mich gewonnen hat-

66 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

ten. Ein Schreiben an das NOK wurde damit beant-wortet, dass man sich in die Angelegenheiten des Fachverbandes nicht einmischen würde. Für eine dreiwöchige Wett-kampfreise nach Mada-gaskar hatte ich bereits die Einladung und den Reisetermin zugeschickt bekommen. Dann be-merkte jemand auf der DLV-Geschäftsstelle in Darmstadt den Fehler und die Reise wurde wie-der storniert.

Doping: Und Sie glau-ben, alle waren damals verseucht?Wagner: Ende der 1970er Jahre bekam ich bei mei-nen Besuchen bei Prof. Klümper in Freiburg mit, dass in der dortigen Mooswald-Klinik geschluckt, gespritzt und vertuscht wurde. Ich war erstaunt, wie offen die deutschen Spitzensportler im Warteraum über den Klümper-Cocktail und andere Dopingmit-tel sprachen. Man wusste aus sicherer Quelle, dass nicht nur die Athleten aus der damaligen DDR oder den anderen Ostblockländern ein Anabolika-Doping durchführten, man war überzeugt, dass auch in USA in Italien, Schweden etc. gedopt wurde. So war un-seren verantwortlichen Politikern und den Funktio-nären jedes Mittel recht. Wichtig war nur, dass wir international, aber vor allem mit der DDR mithalten oder sogar bessere Leistungen bringen konnten. Des-halb wurde auch bei uns gedopt, soviel die Athleten-leber aushielt. Im Stillen war es sogar erwünscht. Klümper und andere Freiburger Ärzte rezeptierten, Trainer gaben die Pillen an die Athleten weiter und die Funktionäre, die offiziell nichts davon wissen durften, vertuschten alles.

Doping: Ihnen wurde später auch mit einer Einst-weiligen Verfügung gedroht....Wagner: Nach meinen öffentlichen Aussagen zum Doping in der deutschen Leichtathletik, die ich auf dem Höhepunkt meiner sportlichen Karriere machte, erhielt ich einen Brief vom DLV-Rechtswart, in dem er mir ein Verbandsverfahren wegen „verbandsschädi-

genden Verhaltens“ androhte.Als ich ihm mitteilte, dass ich im Besitz vieler Unter-lagen sei, die das Doping in der deutschen Leichtathle-tik betreffen und ihm einige Kopien mitschickte, hörte ich nichts mehr vom DLV-Rechtswart.Ich hatte gedacht, dass sich das neue DLV-Präsidium an mich wenden würde und um Aufklärung bat. Aber es geschah nichts. Ich war als Informant, heute sagt man Whistleblower, nicht gern gesehen - für sie war ich ein Nestbeschmutzer. Aus die-sem Grund überreichte ich meine Unterlagen der Staats-anwaltschaft in Darmstadt und

brachte mit meinen Aussagen den DLV in Bedrängnis.Karlheinz Steinmetz, Oberstudienrat aus Dieburg, der nach der Wiedervereinigung als Bundestrainer auch den Olympiasieger und fünffachen Weltmeister Lars Riedel sowie Weltrekordhalter Jürgen Schult trainierte, beantragte beim Landgericht in Kassel mehrere einstweilige Verfügungen gegen mich. Er legte auch eidesstattliche Versicherungen vor und betonte immer wieder, dass ich lügen würde. Ich durfte nicht mehr behaupten, dass Steinmetz ein „Doping-Praktiker“ sei und dass er bei einem Län-derkampf gegen die UdSSR im Sommer 1978 das Er-gebnis einer Doping-Kontrolle gefälscht habe. Auch meine Aussagen, die im Buch von Brigitte Berendonk „Doping-Dokumente – von der Forschung zum Be-trug“ veröffentlicht wurden, mussten auf Antrag von Karlheinz Steinmetzt geschwärzt werden.Einige Zeit später, als vor der 3. Zivilkammer in Hei-delberg eine weitere Verhandlung gegen Steinmetz stattfand und das Gericht die anwesenden Zeugen un-ter Eid vernommen hätte, musste der „Saubermann“ zugeben, dass er gelogen hatte und verzichtete auf eine Hauptverhandlung. Seine Einstweilige Verfü-gung wurde verworfen, und der Richter entschied in seinem Urteil, dass Karlheinz Steinmetz weiterhin als Doping-Experten bezeichnet werden darf und dass er eine Doping-Kontrolle gefälscht hatte. Auch wurde die Schwärzung meiner Aussagen im oben genannten Buch von Brigitte Berendonk wieder aufgehoben.

Foto: Wagner

Europa-Cup-Finale 1979: 2. Platz im Diskuswerfen.

67DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Aus dem anfänglichen Ankläger Steinmetz wurde nach mehreren verlorenen Zivilprozessen in Doping-Angelegenheiten schließlich der Angeklagte in einem Strafprozess vor dem Heidelberger Landgericht. Der ehemalige Bundestrainer wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.200 DM, aufgeteilt in 60 Tagessätzen a´ 1.120 DM wegen „falscher fahrlässiger Versicherung an Eides Statt“ verurteilt und musste auch alle wei-teren Kosten tragen.Der Doping-Experte Steinmetz erhielt im Jahr 2005 vom NOK im Zuge der „Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas“ den Auftrag nach China zu reisen und dort die chi-nesischen Diskuswerfer zu trainieren. Da er bei den Chinesen gut ankam, wurde er Nationaltrainer für die Frauen und führt 2011 Li Yanfeng zur ersten chine-sischen Weltmeisterin im Diskuswerfen. Ein Schelm, wer böses dabei denkt...

Doping: Jeder wusste also Bescheid? Weil alle Be-scheid wussten und es lieber totschwiegen?Wagner: Prof. Eberhard Munzer, von 1985 bis 1988 DLV-Präsident, kritisierte offen seinen Amtsnachfolger Meyer und listete u.a. bekannt gewordene Äußerun-gen von Athleten auf, die besagten, dass auf allen Ebe-nen des DLV die Dopingpraxis bekannt und gefördert wurde. „Munzert, der aus dem Amt gejagt worden war, weil er Trainingskontrollen bei den Leichtathleten durchdrückte, hat bei seinen früheren Funktionärs-kollegen („Die halten zusammen wie Pech und Schwe-fel“) einen drastischen Werteverfall festgestellt: „Die Moral ist weg“. (Singler/Treutlein, S. 148, der Spiegel, 27.08.1990: „Ohne das Zeug geht es nicht“).

Doping: Man wusste von Kontrollen?Wagner: Wir Leichtathleten wussten von den Kon-trollen, weil man keinen Dopingfall wollte. So wurden wir schriftlich unterrichtet, bei welchen Wettkämpfen Kontrollen durchgeführt wurden und somit gewarnt, damit wir unsere Pillen rechtzeitig absetzen konnten.Bei einem Länderkampf in Frankreich musste ich als Diskuswerfer im Kugelstoßen und auch im Hammer-werfen starten, weil dort Dopingkontrollen waren und immer der Athlet auf dem letzten Platz kontrolliert wurde. Da sich sowohl der deutsch Kugelstoßer als auch der Hammerwerfer beim „Warmmachen“ ver-letzte, musste ich einspringen, weil man wusste, dass ich sauber war.Beim Dreiländerkampf 1983 in Turin gegen Italien und Polen wurden entgegen vorherigen Absprachen

ebenfalls Doping-Kontrollen durchgeführt. In den Wurfdisziplinen sollten jeweils der Sieger und der letzte Platz kontrolliert werden. Im Diskus-, Ham-mer- und Speerwerfen waren die deutschen Athleten so gut, dass sie auf Platz werfen konnten, aber im Kugelstoßen hatten wir gegen die starken Italiener und Polen keine Chance. Die beiden deutschen Ath-leten hätten den fünften und sechsten Platz belegt, so dass ein Deutscher kontrolliert worden wäre. Deshalb setzte man im Kugelstoßen den sauberen Dietmar Mögenburg ein, der ein Jahr später Olympiasieger im Hochsprung wurde. Natürlich belegte Mögen-burg mit einer Kugelstoßeweite knapp über 13 Meter den letzten Platz und wurde zu seiner Überraschung auf Anabolika-Doping kontrolliert. Als ich nach dem Wettkampf den anwesenden deutschen Journalisten davon erzählte, griff niemand von ihnen diese Ge-schichte auf. Da merkte ich, dass auch die Presse mit im gleichen Boot sitzt und in dieselbe Richtung rudert.

Doping: Im April 2017 wurde eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, die das Doping in der Leicht-athletik analysiert. Es gab deswegen in den Medien großes Aufsehen. Wie denken Sie darüber?Wagner: Alles was bis zur Wiedervereinigung über Doping in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich berichtet wird, finde ich gut. Obwohl es bei uns kein staatlich verordnetes Dopingsystem gab, zeigen diese Veröffentlichungen, dass unsere Sportmedizin, aber auch Trainer und Funktionäre eine große Unterstüt-zung in Sachen Doping leisteten. Zum anderen zeigt es aber auch, dass ich schon 1981 die Wahrheit sagte, als ich öffentlich anprangerte, dass wir deutschen Werfer immer mehr Anabolika nehmen müssten, um gegen die Konkurrenz aus dem Ausland mitzuhalten. Im Dezember 1991 bezeichneten die Olympiasieger Rolf Danneberg und Jürgen Schult, Diskusweltmeister Lars Riedel, Ex-Weltrekordhalter Wolfgang Schmidt und der ehemalige deutsche Diskuswurfmeister Alois Hannecker in einem offenen Brief, der im offiziellen Organ des Deutschen Leichtathletik-Verbandes veröf-fentlicht wurde, Karlheinz Steinmetz als „Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athle-ten“, womit sie mich meinten. Alle Vorwürfe gegen Steinmetz seien Unwahr.

Doping: Was bringt es, nach so vielen Jahren jetzt noch die westdeutschen Dopingpraktiken offenzulegen?Wagner: Es hat sich in all den Jahren nichts ge-ändert. Ich habe bereits in meiner aktiven Zeit die

68 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

westdeutschen Dopingpraktiken offengelegt, aber ich fand damals kein Gehör. Immer wieder appellierte ich an meine Kollegen im Wurfbereich, von denen ich wusste, dass sie gedopt haben, endlich die Wahrheit zu sagen, damit die bundesdeutsche Dopingvergan-genheit endlich aufgearbeitet werden kann. Aber fast niemand will sich outen. Sicher, es ist nicht leicht zuzugeben, dass man gelogen, betrogen, manipuliert und so viel Jahre geschwiegen hat. Es ist Schweigen angesagt und damit auch ein Aussitzen des Problems. Aber es ist noch nicht zu spät.

Doping: Der Freiburger Sport-mediziner Armin Klümper steht im Zentrum der deut-schen Dopinghi-storie. Wie denken Sie darüber?Wagner: Profes-sor Klümper war für mich einer der renommiertesten Sportmediziner. Er war mir als sehr guter Diagnostiker bekannt und hat mir auch geholfen. Er war für mich

eine Institution und für die meisten der deutschen Spitzensportler wurde seine Klinik in Freiburg zu einem Wallfahrtsort. Später lernte ich ihn als „Trai-ner im weißen Kittel“ kennen, denn er bestimmte die Menge meiner Anabolika-Tabletten. Gemeinsam mit ihm und dem Trainer wurde die Vorbereitungs- und Wettkampfphase geplant. Bei ihm herrschte eine Freizügigkeit bei der Medikamentenvergabe. Ich weiß aber, dass Professor Klümper sich mit den sportlichen Erfolgen und Leistungen seiner Patienten identifizierte. Leider – und deshalb bin ich nicht gut auf ihn zu sprechen, klärte er mich nie auf, welche Wirkungen seine Spritzen hatten, die er mir verab-reichte und welche Nebenwirkungen und Risiken die Tabletten hatten, die er mir verschrieb. Was sein sog. „Klümper-Cocktail“ alles beinhaltete, weiß ich bis heute noch nicht.

Doping: Der DLV verweist immer auf seine Bemü-hungen im Anti-Doping-Kampf.

Wagner: In meiner aktiven Zeit waren alle DLV-Funktionäre in die Doping-Problematik der deut-schen Leichtathleten involviert. Offiziell wussten sie davon nichts. Aber ich hatte stets das Gefühl, dass unseren Sportfunktionären und Politikern fast jedes Mittel recht war, dass wir international, aber vor allem mit den Athleten aus der DDR mithalten konnten.Noch heute macht der DLV mit „Bauernopfern“ kur-zen Prozess und geht sofort an die Öffentlichkeit. Ich denke nur an das Beispiel von Hella Böker, die von ih-rem Arzt Beta-Blocker wegen ihres hohen Blutdrucks verschrieben bekam. Sie sah deshalb keine Veran-lassung anzunehmen, dass in einem solch lebens-notwendigen Medikament Stoffe enthalten sind, die unter die Dopingverordnung fallen würden. Niemand wies die 70-jährige Seniorin darauf hin. Hella Böker wurde zunächst nicht nur für zwei Jahre gesperrt, der damalige HLV-Präsident Schad bezichtigte sie öffent-lich sogar als Betrügerin. Solche Bauernopfer sind dem DLV hochwillkommen, um seine Entschlossen-heit zu demonstrieren, die es aber in Wirklichkeit nie gab, gibt oder auch geben wird.In unserer Zeit preist der Sport gerne seinen Anti-Do-ping-Kampf, aber dieser angebliche Kampf ist meist nur ein Anti-Doping-Management.

Doping: Über das DDR-Staatsdoping ist mittlerweile viel bekannt. Über den Westen und dessen Dopingop-fer weniger. Was sind die Ursachen?Wagner: Viele von den Leichtathleten aus der Bun-desrepublik, die wie die Stars aus der damaligen DDR zum Betrügen und Manipulieren erzogen und zum Vorbild für die Schüler und Jugendlichen auserwählt wurden, schweigen heute noch immer oder Lügen ganz bewusst, weil sie sich schämen. Das ist schade.

Doping: Geständnisse westdeutscher Olympiasieger gab es bisher kaum – wird es in Zukunft mehr geben?Wagner: Ich glaube nicht, dass es welche geben wird, denn es gehört eine Portion Mut dazu, sich zu outen.

Doping: Leiden Sie auch unter Spätfolgen des Dopings?Wagner: Ich nehme an, dass meine beiden Krebser-krankungen – Darmkrebs im Jahr 2004 und Blasen-karzinom im Jahr 2010 – Spätfolgen des Dopings sind. Aber bisher konnte bzw. wollte dies kein Arzt bestätigen.

Die Fragen stellte Jens Hertling

Foto

: Wag

ner

Verabschiedung aus der deutschen Polizeiauswahl 1998

69DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Eine wahre GeschichteClaudia Lepping berichtet aus Ihrem Leben.

Foto: Lepping

Die beiden Männer wirken keineswegs verloren in diesem kleinen unbeleuchteten Geräte-schuppen. Eher angriffslustig. Der Mann neben

meinem Trainer ist Arzt. Ein netter Kerl eigentlich, Sportmediziner. Klar kokettiert er damit, dass er den Profisport kenne: Profifußballer vor allem und deren Belastungscocktail aus Trainingspensum und Wett-kampfstress. Er ist erstmals aus seiner Praxis angereist, gute 100 km, und steht nun mit meinem Trainer hier, im fahlen Licht dieses Geräteschuppens eines Sport-platzes in Lage-Detmold, durch dessen dünne Wände das Wettkampfgetöse dringt. Ein ganz normales Sport-fest, kein Turnier, keine Meisterschaft.

Und doch soll es plötzlich um alles gehen. Für meinen Trainer. Für mich. Wenn ich die 100 m in einer ordentli-chen Zeit renne, erhält er einen auskömmlichen Trainer-vertrag. Dann gehört er ein bisschen zu denen, die sich zur deutschen Sprinttrainer-Elite zählen.

Allein mein Rücken macht nicht mit. Wenige Wochen zuvor, im Vorbereitungstrainingslager der olympisches Saison Seoul, ist irgendetwas passiert, als ich 100 kg Gewicht auf der freien Hantel in die Kniebeuge bringen soll – in mehreren Serien jeweils 3 x 100 kg, 5 x 90 kg, 8 x 80 kg. Ich wiege knapp 60 kg bei 179 cm Größe. Es knallt etwas in meiner Lendenwirbelsäule. Ein Bein wird

Dies ist eine Geschichte, die sich genauso zugetragen hat. Aufgeschrieben vor allem für junge Sportler, die auf Trainer, Ärzte und Funktionäre treffen, die vorgeben, es gut mit ihren Talenten zu meinen – sie aber zu Doping manipulieren statt zu motivieren, einen eigenen, sauberen Weg zu gehen. Der Doping-Dreisatz steht unausgesprochen über vielen Trainingsplänen: 1. Es machen doch eh alle, ist also Notwehr. 2. Wir machen das alle nicht zum ersten Mal. Und 3.: Es ist ja immer ein Arzt dabei.

Deutsche Juniorenmeisterschaften in Trier 1986: Zieleinlauf 200 m Finale.

70 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

kühl. Ein aus Asien stam-mender Akkupressurmei-ster im Dienste des DLV soll helfen und legt sich mächtig ins Zeug – presst also seinen Ellenbogen in mein Kreuz. Die Tränen laufen, ohne dass ich es merke. Seither komm ich kaum in den aufrechten Gang – geschweige denn ex-plosiv aus dem Startblock. Doch die letzte Chance soll ausgerechnet dieses Rennen in Lage-Detmold sein.

Die beiden Männer hier wollen mir dabei behilflich sein. Auf ihre Weise: Der Doc zieht eine Spritze auf. Ich lass die beiden stehen. Renne irgendwie 100 m. Das Trai-ningsverhältnis ist beendet.

Ich weiß nicht, ob mich dieser Doc dopen wollte oder nur „fit“-spritzen. Aber unzählige Male hatten mein Trainer und ich zuvor über solche Methoden gespro-chen. Über Manipulation und über Doping. Und dar-über, dass ich das nicht mitmache. Ich hatte den Ein-druck, er habe verstanden. Er hat zwar immer etwas gelächelt über meine Mischung aus Teenagertrotz und Stolz, aber ich lief ja schließlich schneller als manch eine gedopte Konkurrentin.

In der Szene kursieren immer wieder Namen von Verei-nen, Trainern und Athleten, die „etwas nehmen“. Ich will es allen zeigen. Dass es ohne geht. Stattdessen mit viel Talent, Disziplin und ungewöhnlichen, aber umso mo-tivierenden Methoden: Ich trainiere auf einer 110 Meter langen Geraden für den 200 (Kurven-)Sprint. Ich renne am zweiten Weihnachtstag um eine Freizeitanlage, deren vereist-verschneiter Spazierweg einladend ansteigt – ideal für Bergaufläufe: 4 mal 300 m, 4 mal 200 m, 4 mal 300 m, 4 mal 200, mit je einer Minute Intervall- und 5 Minuten Serienpause. Ich ziehe beim Sprint einen Autoreifen am Seil hinter mir her, ohne dass er beim Abbremsen (die Bahn ist ja nur 110 m lang) in die Fersen knallt. Und im völlig verregneten Osterferien-Trainingslager auf einer Nordseeinsel ramme ich den Startblock an einen Steg im Watt und übe Sprints – unser kleiner Verein kann sich Trainingslager im sonnigen Süden nicht leisten.

Solche Trainingsumstände setzen Kräfte frei, motivie-ren dazu, es der Konkurrenz aus den High-Tech-Trai-ningsstätten mal richtig zu zeigen – und sie bringen

einen herrlich oft zum Lachen. Leistungssportler sind verrückt, müssen etwas verrückt sein, sonst machen sie so etwas nicht. Ich wäre auch auf einem Treppenge-länder balanciert, wenn das „schneller“ gemacht hätte. Mehrfach bejahe ich mir dümmlich die fiktive Frage, ob ich für einen Olympiasieg in Kauf nehmen würde, im Rollstuhl zu landen. Klar, Mensch: Leistungssport macht niemand zur Gesunderhaltung. Es ist die Faszination, über Monate auf einen Tag hinzutrainieren und mit dem Startschuss in bester körperlicher Verfassung und gro-ßer psychischer Leichtigkeit lossprinten zu können.

Aber Doping? Im Leben nicht!Vielleicht warten Trainer oft einfach nur ab, wann ein Sportler an seine Grenzen stößt, das Training zu hart wird und die Erholungszeiten nicht mehr ausreichen – oder er beobachtet, dass seine Konkurrenten das Pensum mit Doping viel leichter schaffen. Auch meine Trainer haben darauf gebaut. Denn das System lässt den Übergang ins Doping zu. Im organisierten Sport gilt das 11. Gebot: Lass dich nicht erwischen.Auf dem Trainingsplatz zur Europameisterschaft 1986 spricht mich der Cheftrainer der Sprinterinnen-Zelle des SC Eintracht Hamm an, Heinz-Jochen Spilker: „Wenn du zu uns kommst zeigen wir dir, warum die DDR-Mädels so schnell sind.“ Ich denke an originelle Trainingsmethoden und spreche ihm beim Vereinswechsel ein Jahr später aus-drücklich auf Doping an – ich will das nicht mitmachen.

Spilker hat große Pläne: Seine kleine schnelle Truppe soll es der Sprintwelt zeigen. Mit allen Mitteln. Anabo-lika gibt es auch in Freiburg, vom Doping-Guru Armin Klümper. Spilker hat beste Kontakte – unter anderem zum Trainer des „Stromba“-Doping-Bombers Ben Johnson (Canada) und zu Wolfgang Meyer, dem Coach des 400-m-Superstars der DDR, Marita Koch. Eine Drehscheibe des Ost-West-Dopings – die Mauer steht noch fest. Spilker wähnt sich bestens informiert, or-ganisiert ein Mittel, welches in Deutsch-land nicht zugelassen ist. Die Hammer Ver-einstrainer dopen die eigenen Lebensgefähr-tinnen mit stark ver-

Deutsche Jugendmeister-schaften 1986

Foto

: Lep

ping

Foto

: Lep

ping

71DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

männlichenden Anabolika – das macht verheerend-vertrauten Eindruck bei den anderen Läuferinnen: Die Trainer würden schon wissen, was sie tun.

Wissen sie aber nicht: Eine Sprinterin erkrankt schwer an der Leber – „wohl falsch dosiert“, heißt es besorgt. Eine zweite leidet an einer Herzbeutelentzündung – „glaubst du, die läuft nur mit Wasser?“ Die dritte beobachtet an sich merkwürdige Veränderungen im Genitalbereich – sie wird hilflos belächelt.Ich notiere die Namen der Medikamente, die ohne-hin niemand versteckt, und zeige sie der Hausärztin meiner Eltern: hammerhartes Doping.Im April 1987 stirbt die Siebenkämpferin Birgit Dressel, nachdem mehrere „Ärzte“ sie auf Verlangen mit mehr als 100 Medikamenten versorgt hatten, ohne vonein-ander zu wissen. Ich frage einen von ihnen – Klümper: „Was haben Sie mit Birgit gemacht?“ Seine Antwort in vollendeter Hybris: „Wenn sie nur das genommen hätte, was ich ihr gegeben habe, würde sie noch leben.“Als nach dem Mauerfall die System-Doper der DDR medial an den Pranger gestellt wurden, schreib ich an den DLV: Ob sie dort wissen, in welchem Maße in der westdeutschen Leichtathletik gedopt werde? Die einsilbige Antwort: „Meines Erachtens liegt hier ein Missverständnis vor.“Ich erzähle die Geschichte des Dopingclubs Hamm 1990 dem Spiegel und sage im Prozess gegen das Hammer Do-pingmodell aus, der mit einer Geldstrafe für den Cheftrai-ner endete. Nicht, um frühere Sportfreundinnen anzu-schwärzen. Sondern weil Sportler damals wie heute nicht wissen, worauf sie sich einlassen. In Vorbereitung auf die Sommerspiele in London 2012 sind in Europa mehr als 20 junge Spitzenathleten gestorben; mit jeweils mindestens 32 Medikamenten im Blut, wie Obduktionen ergaben. Das waren nicht alles Dopingfälle, aber wo bitte ist die Grenze zwischen zu viel Medikamenten mit dem Ziel der gebün-delten Leistungssteigerung und einem Dopingvergehen? Macht es für die Angehörigen einen Unterschied, ob auf dem Totenschein ihres Kindes, Enkels, des Bruders, der Schwester, des Lebenspartners „Dopingtod“ steht oder „toxische Wirkung mit Todesfolge“? Ist es für Athleten, die ihre Karriere beenden, später an Krebs erkranken oder organische und neurologische Schäden davon tragen ein Unterschied, ob sie nur einfach zu viele oder ob sie verbo-tene Substanzen genommen haben? Immer mehr Athleten greifen zu immer mehr Mitteln, die Leistung fördern oder Regeneration beschleuni-gen sollen. Leistungssportler wie ambitionierte Hob-bysportler probieren aus, was so genannte Ärzte und

Forscher ihnen zur Verfügung stellen oder was im In-ternet und in Fitnessclubs zu dealen ist. Auf denselben Websites, auf denen Eltern freihändig so genannte Rita-lin-Präparate bestellen, um rezeptfrei „nur mal auszu-probieren“, ob es dem Kind in der Schule hilft, werden anabole Steroide feilgeboten. Ob die Kunden immer das bekommen, wofür sie zahlen, steht auf einem anderen Blatt als auf dem Beipackzettel. Hauptsache, sie haben das Gefühl, alles zu geben. Alles zu nehmen. Kein Sportler will sich dopen. Niemand will das ernst-haft, wenn er die verstörenden Folgen an sich beob-achtet. Hat ein Athlet „Glück“, sagt ihm ein Arzt, wie er das Zeug einnehmen soll. Wenn er noch weniger Glück hat, sagt es ihm der Trainer: Im Zweifel etwas mehr davon, wenn die Leistung nachlässt - schließlich machen’s alle so, und auch das nicht erst seit heute.Aber kein Sportler auch nimmt einem Sportfunktio-när ab, dass Doping wirksam bekämpft werden soll. Liebe Sportler, liebe Eltern, Freunde, Trainer, Ver-bandsfunktionäre, Sportpolitiker, Sponsoren – und sehr verehrtes Sportpublikum: Wollt ihr das alles wirklich?Wann endlich formulieren Sportler selbstbewusst, unter welchen Bedingungen sie Leistungssport trei-ben wollen? Wann geben sie ihrem Trainer die Medi-kamentenschachtel zurück und fordern ein, dass der sich ernsthaft mit ihnen beschäftigt, wie sie maximale Leistung erbringen können? Wir haben den Schatz in-dividueller und origineller Trainingsmethoden noch längst nicht gehoben. Das mag Zeit und Phantasie und auch Geld kosten – aber besser darin investiert, als dass allein der Sportler zahlt: mit seiner Gesundheit. Mehr Informationen: www.cycling4fans.de/fileadmin/user_upload/vermischtes/0_doping/1994-1995/Spilker_Urteil_Hamm_kl.pdf

Claudia Lepping, Jg. 1968, Sprinterin, Deutsche Vizemeisterin 200 m, 5-fache Deutsche Juniorenmeisterin, 2-fache 200 m Juniorenre-kordlerin, EM-11 Stuttgart 1968. 5. bei Junioren-WM Athen, Gründerin Antidoping-Plattform dopingalarm.de

ZUR PERSON

Foto

: Lep

ping

201

7

72 DOPING I AUSGABE 2/2017

Anabolika-Missbrauch im Westen: Eine un-mögliche Tatsache!Anabolika in der BRD: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!

Foto

: Har

ry H

autu

mm

/ Pi

xelio

.de

2017

Dopingjahr 2016: Vermutetes Russisches Staatsdo-ping dominiert die internationalen Medien. In den Wochen vor den Olympischen Spielen in Rio de

Janeiro wird in der Öffentlichkeit lebhaft über den Aus-schluss russischer Athleten diskutiert, auch kenianische Läufer sind in den Fokus der Dopingfahnder geraten.Weitgehend unbemerkt geblieben sind jedoch die Fälle des italienischen Gehers Alex Schwarzer, der brasilia-nischen Sprinterin Claudia Lemos oder der polnischen Gewichtheber-Brüder Tomasz und Adrian Zielinski. Die größte mediale Aufmerksamkeit erhält im Frühjahr noch der positive Dopingtest der Hammerwurf- Olympiasiege-rin von London 2012, Tatjana Lyssenko. Und das auch nur, weil die deutsche Hammerwerferin Betty Heidler nach der

Aberkennung der Goldmedaille für Lyssenko einen Rang nach oben rutscht: Statt der Bronzemedaille hat Heidler nun nachträglich Silber in London gewonnen.Doch so unterschiedlich diese Fälle zu betrachten sind, so gibt es doch eine Gemeinsamkeit: Alle genannten Athleten sind der Einnahme von anabolen-androgenen Steroiden (AAS) überführt worden. Im Fall der deutschen Hammer-werferin Betty Heidler kommt diese Entwicklung Jahre zu spät: Der größte Erfolg ihrer Sportlerkarriere ist den Medien nur noch eine Randnotiz wert. Der Moment der Aufmerksamkeit und Anerkennung von Fans und Medien für eine außergewöhnliche Leistung – vorbei!Dopingjahr 2017: Die bundesdeutsche Doping-Vergan-genheit rückt wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

73DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Nach langen Querelen zwischen der Universität Freiburg und dem Autoren Andreas Singler werden zwei Gutach-ten zum Treiben“ der Freiburger Mediziner Joseph Keul und Armin Klümper veröffentlicht. Fast gleichzeitig führt meine Dissertation, im Zeitraum 2012 bis 2016 am Insti-tut für Pharmazie der Universität Hamburg angefertigt, zu einem Aufschrei in der deutschen Sportlandschaft. 31 bundesdeutsche Leichtathleten haben zugegeben, in ih-rer Karriere Anabolika eingenommen zu haben. Schon in der Vergangenheit vielfach diskutiert, vielfach toleriert und vielfach nicht beachtet. Eigentlich ein ‚Alter Hut‘, den ich nun erstmals aus einem pharmazeutisch-historischen Blickwinkel betrachtet habe. Das aufgezogene Medienge-witter lässt mich daher auch im Rückblick immer noch ehrfürchtig staunen und verwundert zurück. Habe ich mich geirrt? Ist jetzt der Moment gekommen, in welchem eine ernsthafte Aufarbeitung der Verfehlungen vergange-ner Tage möglich ist?Wer hat sich nicht alles zu Wort gemeldet: Der DOSB und der DLV, der Dopingopfer-Hilfe-Verein und mehr oder minder renommierte Experten aus Sport und Politik ha-ben öffentlich ihre Statements abgegeben, zum Teil ohne den genauen Inhalt der Arbeit zu kennen. Verblüffend. Mir drängt sich der Verdacht auf, alle reden lieber übereinan-der als miteinander. Nicht anders kann ich mir erklären, dass seit der Veröffentlichung zwar das „Who is who“ der deutschen Medienlandschaft bei mir Sturm klingelt, sich bis auf die NADA jedoch keine der genannten Personen und Einrichtungen direkt an mich gewandt hat.Da scheinen mir die positiven Clenbuterol-Fälle jamai-kanischer Sprinter bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking doch die interessantere Meldung zu sein. In-teressant vor allem: Clenbuterol, ein Beta-2-Agonist zur oralen oder inhalativen Therapie von Asthma und der aku-ten Bronchitis, besitzt auch eine zweite, eine anabole Wir-kung. Dieser Effekt ist jedoch keine exklusive Erkenntnis jamaikanischer Sprinter. Schon 1992 ist die deutsche Sprinterin Katrin Krabbe, immerhin Weltmeisterin über 100 m, positiv auf Clenbuterol getestet geworden. So schließt sich der Kreis.Diese vielen Beispiele zeigen eindrücklich: Auch fast 30 Jahre nach dem viel beachteten Dopingskandal um den kanadischen Sprinter Ben Johnson bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul ist der Einsatz von anabol wirken-den Arzneimitteln immer noch ein weit verbreitetes Pro-blem im Sport und nicht zuletzt in der Leichtathletik.Doch das Phänomen des Anabolika-Dopings ist wesent-lich älter. Wer sich mit den Ursprüngen beschäftigt, wird unweigerlich auch mit dem in der ehemaligen DDR durchgeführten Staatsplanthema 14.25 konfrontiert,

dem seit 1974 staatlich organisierten und erzwungenen Dopingsystem in Ostdeutschland. Schnell kommt dabei die Frage auf: Wie sah die Realität in der bundesdeut-schen Sportlandschaft bezüglich leistungssteigender Arzneimittel und im Besonderen der Anabolika aus? Und warum überrascht es die breite Öffentlichkeit auch heute noch, wenn ehemalige Athleten sich zu Wort melden und über Dopingpraktiken in Deutschland berichten? Wurde im Westen die Existenz von Doping einfach verdrängt oder wollte nicht wahrgehabt werden? Schließlich gab es auch in der bundesdeutschen Sportgeschichte über Jahrzehnte hinweg immer wieder Verdachtsmomente und Hinweise auf eine ausgeprägte Kultur des Einsatzes von AAS und anderen leistungssteigernden Medikamenten.Schon 1969 findet sich in einem Artikel der Leichtathletin Brigitte Berendonk in DIE ZEIT erstmals ein Hinweis dar-auf, dass die Einnahme von Anabolika nicht bloß von we-nigen Einzelnen praktiziert, sondern flächendeckend in der Leichtathletik angewendet wird1. Diese These wurde spätestens durch die wissenschaftshistorischen For-schungen von Andreas Singler und Gerhard Treutlein um die Jahrtausendwende gesichert, die neben der Sichtung von zahlreichen Dokumenten auch Interviews mit 45 an-onymisierten Zeitzeugen geführt haben2. 2008 schrieben der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp) das For-schungsprojekt „Doping in Deutschland“, welches die deutsche Dopingvergangenheit historisch-soziologisch aufarbeiten sollte. Die Ergebnisse der Forschergruppen aus Berlin und Münster wurden 2013 auch auf öffentli-chen Druck hin in Auszügen veröffentlicht3 4 5 6.In den bisherigen Untersuchungen blieben jedoch me-dizinisch-pharmazeutische Gesichtspunkte des Dopings weitgehend unberücksichtigt. Am Beispiel der Anabolika und der olympischen Kernsportart Leichtathletik habe ich

1 Berendonk, B. (1969): Züchten wir Monstren? Die hormonale Muskel-mast. In: DIE ZEIT, 05.12.1969.

2 Singler, A.; Treutlein, G. (2012): Doping im Spitzensport. Sportwissen-schaftliche Analysen zur nationalen und internationalen Leistungsent-wicklung (Teil 1). 6. Aufl. Aachen: Meyer & Meyer.

3 Krüger, M.; Becker, C.; Nielsen, S.; Reinold, M.; Niemeyer, N. (2013): Bericht über das Münsteraner Teilprojekt zur Dopinggeschichte in Deutschland. Inhaltlicher Bericht der WWU Münster „Sport und Staat“; Berichte zum Projekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legiti-mation“. Hg. v. Bundesinstitut für Sportwissenschaft.

4 Krüger, M.; Becker, C.; Nielsen, S.; Reinold, M. (2014): Doping und Anti-Doping in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 2007. Genese – Strukturen – Politik. Hildesheim: Arete Verlag.

5 Strang, H. (2013): Inhaltlicher Schlussbericht gemäß Schnittstellen-konzept zum Vorhaben „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitima-tion“. Unter Mitarbeit von E. Eggers, H. J. Schnell, G. Spitzer und Y. Wisniewska. Humbold-Universität zu Berlin; Institut für Sportwissen-schaft. Berlin.

6 Spitzer, G. (Hg.) (2013b): Siegen um jeden Preis. Doping in Deutsch-land: Geschichte, Recht, Ethik 1972–1990. Göttingen: Die Werkstatt.

74 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

nun unter Einbeziehung zahlreicher ehemaliger Athleten und weiterer Zeitzeugen dieses Forschungsdesiderat für den Zeitraum 1960 bis 1988 in meiner Doktorarbeit am Institut für Pharmazie und dem Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften der Universität Hamburg wis-senschaftlich bearbeitet. Meine Arbeit stellt - neben an-deren - vor allem auch den Athleten in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtungen, wenn es um das Wissen, die Anwendung und die Folgen der Anwendung dieser Arzneimittel geht, deren Ergebnisse im Folgenden in Auszügen dargestellt werden7.Für meine Arbeit wurden ehemalige männliche Athleten (N=112), die in dem betrachteten Zeitraum an Wettkämp-fen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) teilge-nommen haben, kontaktiert und auf die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden angesprochen (genaue Auswahlkriterien siehe Infobox). 54 % (61) der Athleten ha-ben auf die Anfrage reagiert und ihre gemachten Angaben sind in die Studie eingegangen. Jedoch hat nicht jeder Ath-let auf alle Fragestellungen geantwortet. Die genaue Anzahl ist daher zur jeweiligen Fragestellung einzeln ausgewiesen.

Verbreitung des Anabolika-Einsatzes in der Leichtathletik

Zum Ausmaß der Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden in der deutschen Leichtathletik gab es bisher verschiedene und sich widersprechende Angaben, fu-ßend auf den Äußerungen einzelner Personen, die je-doch alle nicht belegt sind. Der Mainzer Apotheker und Dopingkontrolleur Horst Klehr, Gründungsmitglied der Anti-Doping-Kommission des DLV, ging Ende der 1970er Jahre davon aus, dass 40 % der Leichtathletik-National-mannschaft Anabolika einsetzen würden. Einzelne Ath-leten setzten diese Zahlen noch weitaus höher an: Die Diskuswerferin Brigitte Berendonk schrieb schon 1969: „Nahezu alle Zehnkämpfer der Weltklasse nehmen die Pille, 90 Prozent der Werfer, Stoßer und Gewichtheber, etwa die Hälfte der Springer und Sprinter“1. Ähnlich äu-ßerte sich der Leverkusener Sprinter Manfred Ommer, der 1977 im Sportausschuss des Deutschen Bundestags den Prozentsatz der mit Anabolika dopenden Athleten auf 90 % schätzte, wobei er nur die Disziplinen einschloss, bei denen Anabolika-Doping einen Effekt habe8. Und der

7 Krivec, S. (2017): Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik. Dissertation, Universität Hamburg. Logos Verlag Berlin.

8 Deutscher Bundestag (1977): Stenographisches Protokoll über die Anhörung von Sachverständigen in der 6. Sitzung des Sportausschus-ses am Mittwoch, dem 28. September 1977. 8. Wahlperiode. Deutscher Bundestag. Bonn, Bundeshaus.

Direktor des Bundesausschusses Leistungssport (BA-L), Helmut Meyer, glaubte 1976, dass jeder Olympiateilneh-mer in der Leichtathletik etwas nehmen würde2.Im Vorfeld meiner Befragung der Athleten wurde daher die Hypothese aufgestellt, dass mehr als 50 % der Athle-ten in der Leistungsspitze Anabolika zur Leistungsstei-gerung eingesetzt haben. Diese These konnte bestätigt werden: Insgesamt haben 31 Befragte die Frage nach der Einnahme von Anabolika bejaht. Unter Berücksichtigung einer größeren Anzahl von nach gleichen Kriterien be-fragten Athleten (N = 61) konnte somit erstmals nachge-wiesen werden, dass 51 % der männlichen Leichtathleten in der Bundesrepublik in den Jahren 1960 bis 1988 ana-bole Steroide eingenommen haben. Inwieweit das vorlie-gende Ergebnis repräsentativ ist, lässt sich jedoch nicht feststellen, da die Gründe für eine fehlende Rückmeldung auf meine Teilnahmeanfrage bzw. die Nichtbeantwor-tung dieser Frage durch zahlreiche Athleten nicht weiter untersucht werden konnten.Während in bisherigen Befragungen und Untersu-chungen durch Sportwissenschaftlicher, Historiker und Journalisten fast durchweg nur die Frage thema-tisiert worden ist, ob der Athlet Anabolika eingenom-men hat, werden diese Erkenntnisse mit der vorlie-genden Arbeit durch die Beantwortung von Fragen zu den eingesetzten Substanzen und der Einnahmedauer selbiger ergänzt. Die dabei gemachten Angaben der Athleten zur Dauer ihrer Anabolika-Einnahme rei-chen dabei vom einmaligen ‚Ausprobieren‘ bis hin zu einem von den Athleten genannten maximalen Ein-nahmezeitraum von 12 Jahren. Im Mittel haben die Athleten die AAS über einen Zeitraum von 4,8 Jahren eingesetzt. Die hohe Standardabweichung von 3,2 be-legt darüber hinaus jedoch die großen individuellen Unterschiede der Athleten untereinander.

AUSWAHLKRITERIEN FÜR EHEMALIGE ATHLETEN DES DLV IM ZEITRAUM 1960 BIS 1988- Männliche Athleten aus den Disziplinblöcken:

Wurf, Sprint, Sprung und Mehrkampf- Athleten mit auffälligen Leistungssprüngen in ih-

ren Ergebnissen- Athleten, die bei den Deutschen Meisterschaften

Medaillenränge erreicht haben.- Athleten, die für den DLV bei internationalen Wett-

kämpfen (Olympische Spiele, Welt- und Europa-meisterschaften, Länderkämpfe) gestartet sind

75DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Dianabol ist der „Blockbuster“ unter den Anabolika

Mehr als 75 % der Athleten (24 von N=31) haben bei der Befragung angegeben, dass sie Dianabol®, ein Präparat des Schweizer Pharmaunternehmens CIBA mit dem ana-bolen Wirkstoff Metandienon eingenommen haben. Die Tagesdosis schwankte dabei je nach Athlet zwischen 5 und 50 mg, bei einer Anwendungsdauer von 14 bis 168 Tagen pro Jahr. Die pro Jahr eingenommene Dosis schwankte dabei zwischen 105 mg (21 Tabletten) und 4.970 mg (994 Tabletten) Dianabol® (vergleiche Tabelle 1).Zehn Athleten (32 %) gaben an, dass sie Stanozol, welches in Deutschland unter dem Handelsnamen Stromba® ver-trieben und dessen positiver Nachweis 1988 Ben Johnson zum Verhängnis wurde, oral eingenommen haben. Dage-gen haben nur acht Athleten (26 %) auf das intramuskulär

zu injizierende Steroid Deca- Durabolin® (Nandrolondecanoat) zurückgegriffen. Wei-terhin genannt wurden die in Deutschland verfügbaren Präparate Primobolan® Depot (Metenolonenantat), Fortabol® (Meteno-lon), Megagrisevit® (Clostebol) sowie das männliche Hormon Testosteron (siehe Ab-bildung 1).Erstaunlich ist dabei die Erkenntnis, dass nicht nur zahlreiche verschiedene Steroide zum Einsatz kamen, sondern mehr als die Hälfte der Athleten in den Befragungen auch angaben, dass sie mehr als ein Präpa-

rat in ihrer Karriere eingesetzt haben. Im Einzelfall wurde auch die Einnahme von mehr als vier unterschiedlichen Steroiden bestätigt.

Ärzte und Apotheker „helfen“

Die mit fast zwei Dritteln (18 von N=28) am häufigsten genannte Quelle für den Bezug ihrer Anabolika waren ver-schiedene Mediziner aus dem Umfeld der Athleten. Diese Angaben lassen klar erkennen, dass der behandelnde Arzt für den Athleten als Vertrauensperson die erste Anlauf-stelle und Hauptbezugsquelle für die benötigen Medi-kamente war. Dabei wurde sowohl die Verordnung der entsprechenden Präparate auf Rezept, welches der Athlet in der Apotheke seine Wahl einlösen konnte, als auch die direkte Aushändigung bzw. Verabreichung durch den Arzt an den Sportler bestätigt.

Fallbeispiel Jahre Mittelwert [mg]

Minimum [mg]

Maximum [mg]

Minimum [Tabletten]

Maximum [Tabletten]

1 6 3500 2590 4970 518 994

2 6 285,8 105 525 21 105

3 9 806,1 210 1575 42 315

4 2 910 600 1220 120 244

5 7 1450 770 1610 322 322

6 3 2060 1365 3450 273 690

7 2 345 315 375 63 75

9 9 1050 1050 1050 210 210

10 4 1015 140 1400 280 280

11 8 1811,2 630 2205 126 441

Tabelle 1: Auswertung der eingenommenen Wirkstoffmenge [mg] bzw. Anzahl an eingenommen Tabletten pro Jahr bezogen auf Di-anabol® für ausgewählte Fallbeispiele7.

Que

lle: K

rive

c / G

rafik

: Dop

ing

2017

Abbildung 1: Häufigkeit der Nennung anabol wirkender Arzneimittel durch die befragten Athleten 7.

Quelle: Krivec / Grafik: Krivec 2017

76 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Ebenfalls mehrfach wurden Trainer und Sportler, aber auch Apotheker als Bezugsquellen genannt (siehe Abbil-dung 2). In letzterem Fall wurden die Medikamente dabei ohne das Vorlegen einer ärztlichen Verschreibung durch den Apotheker bzw. die Apothekerin überlassen. Dies be-stätigt die 1990 in der Zeitschrift DER SPIEGEL getätigte Aussage des Trainers Jochen Spilker, der gestand: „Die Beschaffung der benötigten Mengen war kein Problem. Stromba gab es bei einem Apotheker in einem Hammer Vorort. Dort lieferten die Mädchen die umfangreichen Re-zepte ab, die ihnen der Freiburger Sportarzt Professor Ar-min Klümper ausgestellt hatte. Die Mengen an Vitaminen und Medikamenten waren so groß, daß die Athletinnen leicht auf ein paar Schachteln verzichteten. Im Gegenwert schob der Apotheker das benötigte, aber nicht verschrie-bene Stromba über den Tisch.“9

Ähnliches wusste einer der Athleten im Zeitzeugenzeu-gengespräch mit mir zu berichten: „Und auch sonst mus-ste man nur einmal zu den Gewichthebern gehen. Es gab da auch einen Apothekersohn, der das besorgt hat. Oft konnte man auch einfach seine Kommilitonen fragen. Es gab Studenten, die sind nach Frankreich gefahren, haben Dianabol in der dortigen Apotheke rezeptfrei be-kommen und es dann in Deutschland weiterverkauft. Es war ja nicht verboten, also wurden alle Dinge offen kom-muniziert. Einige Sportler haben das auch aus Ungarn mitgebracht. Das gab es dort zu 1/30 des in Deutschland üblichen Preises. Ich habe zumindest nie die deutschen Preise bezahlt. Es gab auch Athleten, die damit offen Han-del getrieben haben.“ 7

15 Athleten gaben zudem an, während ihrer Karriere nur eine einzige Bezugsquelle gehabt zu haben. In die-sen Fällen waren das ausschließlich Athleten, die ihre Arzneimittel durch eine ärztliche Verordnung bzw. di-

9 DER SPIEGEL (1990): „Schicksalsstunde des Sports“. In: DER SPIE-GEL 1990, 10.12.1990 (50), S. 266– 268.

rekt über den Arzt bezogen haben. Es ist davon auszugehen, dass diese Athleten aufgrund des Verordnungsverhaltens der Mediziner nicht ge-zwungen waren, alternative Beschaffungswege zu beschreiten.Diese bereitwillige Hilfestellung im Sinne der pharmakologischen Leistungssteigerung der Athleten durch verschiedene Heilberufler ist kritisch zu bewerten. Dazu gehören jedoch nicht nur die Verfehlungen bekannter Mediziner wie Klümper oder Keul. Vielmehr bestätigte sich in den Zeitzeugenbefragungen, dass weitaus mehr Personenkreise dem System zweckdienlich wa-ren als bislang angenommen wird und diese sich

teilweise jahrelang wissentlich über geltendes Standes- und Berufsrecht sowie wissenschaftliche Erkenntnisse zu Nebenwirkungen und Folgeschäden hinweg setzten. Ebenso ist zu hinterfragen, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Mediziner ihre „Therapie“ vorgenommen haben. So berichtete der Kugelstoßer Gerd Steines über einen Besuch Armin Klümper und seine Frage nach dem Medikament Dianabol®: „Schließlich hat der ‚Doc‘ versi-chert, dass 50 mg pro Tage eine völlig unbedenkliche Do-sierung sei, erst ab 100 mg täglich müsse man aufpassen.“Woher Klümper diese Zahl hat, ist fraglich. Es scheint am wahrscheinlichsten, dass er seine Erkenntnisse bei der ärztlichen Betreuung zahlreicher Spitzenathleten ver-schiedener Sportverbände gewonnen hat. Anders als an-dere Sportmediziner wie Joseph Keul 10 11 12 13 oder Man-fred Steinbach14 sind von ihm keine wissenschaftlichen Untersuchungen und entsprechende Publikationen zur Anabolika-Anwendung bekannt. Die Beteiligung und federführende Durchführung solcher Untersuchungen, wie es sie durch die genannten Personen auch in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, ist unabhän-gig vom damals herrschenden Zeitgeist sehr kontrovers zu diskutieren. Die Tatsache, dass Mediziner den potenti-ellen Nutzen der Anwendung pharmakologischer Stoffe auf die körperliche Leistungsfähigkeit untersuchen, ist ein wissenschaftliches Dilemma, da Studien zur Wirk-

10 Keul, J. (1973): Anabole Steroide. Leistungsfähigkeit und Stoffwech-sel. In: O. Grupe (Hg.): Sport in unserer Welt. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.

11 Keul, J. (1989): Regeneration im Hochleistungssport. In: BISp (Hg.): Bericht 1987–1988: Schondorf: Karl Hofmann.

12 Keul, J.; Deus, B.; Kindermann, W. (1976): Anabole Hormone: Schä-digung, Leistungsfähigkeit und Stoffwechsel. In: Medizinische Klinik 71 (12), S. 497–503.

13 Keul, J.; Kindermann, W. (1976): Leistungsfähigkeit und Schädi-gungsmöglichkeit bei Einnahme von Anabolika. In: Leistungssport (6), S. 108–112.

14 Steinbach, M. (1968): Über den Einfluß anaboler Wirkstoffe auf Körpergewicht, Muskelkraft und Muskeltraining. In: Sportarzt und Sportmedizin XIX (11), S. 485–490.

Abbildung 2: Häufigkeit der Nennung der Bezugsquelle der anabolen-andro-genen Steroide durch die befragten Athleten 7.

Quelle: Krivec / Grafik: Krivec 2017

77DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

samkeit bestimmter Substanzen – auch bei Vorliegen einer klinischen Relevanz – den Athleten immer die Möglichkeit eröffnen, Hinweise zu erhalten oder ihr ei-genes Handeln aufgrund wissenschaftlicher Daten zu rechtfertigen. Die hier gemachte und wissenschaftlich fragwürdige Aussage Klümpers, dass die Einnahme von täglich 100 mg des Arzneimittels Dianabol® zu keiner Schädigung führe, zeigt beispielhaft das vielfach vorhan-dene geringe Problembewusstsein der damals führenden deutschen Sportmediziner.

Aus Fehlern lernen

Ziel wissenschaftlichen Strebens sollte es immer sein, eine Diskussion auf ein höheres Niveau zu führen. Der Einsatz von anabolen-androgenen Steroiden zur Leistungssteige-rung ist aufgrund ihres vielfach belegten Gefahrenpoten-tials am gesunden Sportler grundsätzlich abzulehnen. Die hier aufgezeigten Ergebnisse der Dokumentation vergangener Verfehlungen im deutschen Sport soll dabei neben dem erweiterten Erkenntnisgewinn der kritischen, aber auch reflektierten Betrachtung und Bewertung heu-tiger und zukünftiger Dopingfälle und –systeme dienen. Die Entwicklung von Anti- Doping-Richtlinien und deren Umsetzung ist ein Prozess, der mit der Verabschiedung des Anti-Doping- Gesetzes (AntiDopG) Ende 2015 durch den Deutschen Bundestag mitnichten beendet ist. Viel-mehr sollte weiter darauf hingewirkt werden, die aktuel-len Rahmenbedingungen und Strukturen konsequent zu überprüfen und – wenn nötig - Abhilfe zu schaffen.Doping wird als gesellschaftliches Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen bleiben. Jedoch sollte der Prävention entscheidender Charakter beigemessen wer-den. Vor diesem Hintergrund sollten auch die Erfolge der im vergangenen Jahr verabschiedeten Leistungssportre-form des DOSB in der Zukunft regelmäßig überprüft und auch ihr Zustandekommen kritisch hinterfragt werden. Eine Konzentration auf die perspektivisch erfolgreichsten Verbände und Athleten birgt das hohe Risiko, dass sich Sportler und Athleten „unsauberer“ Methoden bedienen bzw. bedienen müssen, um in den Genuss einer weiteren Sportförderung zu kommen. Unabhängig der gemachten Forderung nach doping- und manipulationsfreien Lei-stungen lässt sich diese Gefahr nicht so einfach bannen. Vielmehr sollte man aus der Vergangenheit lernen: Die in den 1970er und 1980er Jahren geforderten hohen Lei-stungsnormen und die damit einhergehende Fokussie-rung auf Athleten mit internationaler Endkampfchance, waren mitursächlich für die sich verstärkende Doping-mentalität unter den Athleten und haben der phar-

makologischen Manipulation damit Vorschub geleistet. Eine finanzielle Unterstützung der deutschen Spitzen-sportler vorrangig von der potentiellen Medaillenchance bei internationalen Meisterschaften abhängig zu machen, ist weder eine Reform noch ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Da hilft es auch wenig, dass weitere weiche Faktoren wie duale Ausbildung oder individuelle Nach-wuchskonzepte berücksichtigt werden sollen. Denn das anvisierte Ziel, eine internationale Medaille für den deut-schen Sport, wird alle weiteren Kriterien in den Hinter-grund rücken lassen, nicht zuletzt vor dem Aspekt der Nichtvergleichbarkeit.

Anstatt einzelner Spitzensportförderung auf der Basis ei-ner computergestützten Potentialanalyse von Medaillen-chancen, sollte daher vor allem die Leistung eines jeden Athleten, der in Deutschland Spitzenleistung erbringt, unabhängig von internationalen Maßstäben, bei denen man zudem nie gewiss sein kann, wie sie zustande kom-men, wertgeschätzt und gefördert werden. Dazu bedarf es aber dem Umdenken in unserer Gesellschaft und aller im Sport verantwortlichen Personen, um nicht erneut einen Prozess in Gang zu setzen, an dessen Ende der saubere Sport der große Verlierer ist.

Dieser Artikel enthält Auszüge sowie Datensätze der PublikationSimon Krivec (2017): Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der Bundesre-publik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik. Logos Verlag Berlin, ISBN 978-3-8325-4439-3, Preis: 69,00 Euro.

Dr. rer. nat. Simon Krivec, geb. 1987, studierte Pharmazie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und promovierte von 2012 bis 2016 am Institut für Pharmazie der Universität Hamburg. 2013 erhielt er die Approbation als Apothe-

ker und ist seitdem Inhaber der Mühlen-Apotheke und der Brunnen-Apotheke in Krefeld. Krivec ist zudem seit 2005 Mitglied des Vorstandes beim Volleyball-Bundesli-gisten Moerser SC.

ZUR PERSON

Foto

: Kriv

ec 2

017

78 DOPING I AUSGABE 2/2017

Anabolika-Verbot – von Anfang an missachtetMit ärztlicher Hilfe durch die Sportmedizin

Foto: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / Pixabay.com 2017

Die erste Veröffentlichung des Anabolikaverbots durch die IAAF (Mai 1970) in der ‚Lehre der Leichtathletik‘ in der Zeitschrift ‚Leichtathletik‘

des Deutschen Leichtathletikverbandes wies schon durch das Fragezeichen in der Überschrift: Sind anabole Steroide

Dopingmittel? auf Probleme hin, die zu erwarten waren.1

-mediziner Mellerowicz und ehemalige Sprinter

1 Sind anabole Steroide Dopingmittel? LdLA 1970, S. 1568

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

79DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

eine Aufzählung von Nebenwirkungen von Ana-bolika in der LdLA veröffentlicht, die mit der ir-ritierenden Feststellung endete:

„Diese kurze Zusammenstellung der Nebenwir-kungen hat keineswegs das Ziel, diese zu dramati-sieren oder eine Panikstimmung bei den Athleten zu erzeugen. Glücklicherweise sind die Neben-wirkungen bei den gebräuchlichen Präparaten im

sind jedoch möglich, und diese Möglichkeit sollte dem Sportler, der bei der Einnahme der Anabolika zunächst nur die erhoffte Leistungssteigerung im Sinn hat, immer vor Augen stehen“.2

verurteilt Anabolica! ‘ ein Artikel, der schon zuvor in Frankreich und in der Schweiz erschienen war.

-sieger im Kugelstoßen 1952 mit 17,41 m, 1956

Kugelstoßen) seinen imposanten Anabolika-

erreichten Leistungen vor. Die Abkehr von der ‚Droge‘ begründete er mit Folgeschäden. Seine

3

Was wusste man über Anabolika

Damit wird bestätigt, dass die ‚Anabolen Steroide‘ längst im Spit-zensport angekommen waren und dass

fünfziger Jahren weltweit auch auf Anabolika-Konsum beruhten.Die amerikanische Zeitschrift Sports International

-

gave anabolic steroids to members of the football

1969 kam SI zu dem Schluss, dass es höchste Zeit sei, Regeln aufzustellen. „If the pleasures of competition

-4

46/1970, S. 1784

cnn.com/vault/article/magazine/MAG1082583/index.htm

5 informiert auch darüber in seiner ein-zigartigen Auflistung der Geschichte des Dopings.Auch deutsche Medien beschäftigten sich mit Ana-

die Anabolika-Diskussion am Laufen. 1968 wurden dort der DLV-Vorsitzende Dr. Danz, der Rudertrainer Karl Adam und Prof. Dr. Steinbach zu ihrer Meinung über Anabolika befragt. Danz und Adam sahen Ana-bolika (Dianabol) nicht als Dopingmittel, Steinbach, der 1966 einen spektakulären Anabolika-Versuch mit Jugendlichen in Mainz gemacht hatte, erkannte eindeutig auf Dopingmittel: „Rein vom ärztlichen Standpunkt aus sind Einwände angebracht, ein so differenziertes Medikament kerngesunden Menschen zu verordnen. Aber selbst wer die Gabe der Anabolica für harmlos hält und den Dopingbegriff nur eng an je-nen genannten Listen orientiert, sollte es sich als ver-antwortungsbewußter Arzt genauestens überlegen, hier Schleusen zu öffnen. Die Anabolica könnten nur der Anfang einer „chemischen Athleten-Produktion“ sein, und dem muß entgegengewirkt werden, auch wenn es zunächst noch unüberbrückbare Nachweis-schwierigkeiten gibt. Der Sportwart des Deutschen

nicht der gewinnen soll, der den besten Pharmazeu-6

--

7 Dort sieht sie die Zukunft des Spitzensports in größ-

ter Gefahr, nach dem, was sie bei den -

lebt hatte.

Anabolika und die Ärzte

Anabolika sind Substanzen, die als Arzneimittel in den Verantwortungs-bereich von Ärzten gehören. Im Zweiten

wundete Soldaten damit aufgepäppelt. Der gesunde Mensch

zeit.de/1968/33/chemische-athleten-produktion/komplettansicht

de/1969/49/zuechten-wir-monstren/komplettansichtv

ündete er mit Folgeschäden. Seine

3

man ka

stätigt, dass die oide‘ längst im Spit-mmen waren und dass

weltweit auch auf Anabolika-en.he Zeitschrift Sports International

-

teroids to members of the football

dem Schluss, dass es höchste Zeit sei, len. „If the pleasures of competition

-4

wenn es zunächst noch unüberbrückbare Nachweis-schwierigkeiten gibt. Der Sportwart des Deutschen

nicht der gewinnen soll, der den besten Pharmazeu-6

--

7 Dort sieht sie die Zukunft des Spitzensports in größ-

ter Gefahr, nach dem, was sie bei den -

lebt hatte.

Anabolika und die Ärzte

Anabolika sind Substanzen, die als Arzneimittel in den Verantwortungs-bereich von Ärzten gehören. Im Zweiten

wundete Soldaten damit aufgepäppelt. Der gesunde Mensch

Foto: Heiko Stuckmann / Pixabay.com 2017

80 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

braucht keine Anabolika, auch nicht im Sport, me-dikamentöse Leistungsverbesserung gilt als Doping.

-kontrolle nachgewiesen werden können, aber beacht-lichen Kraftzuwachs bringen, wurden sie im Sport früh verwendet. Sie wurden von Ärzten verschrieben,

kontrollieren zu können.

und auch das Verbot von 1970 durch IAAF und DLV geht davon aus. „Man brauche viel zu viele Ärzte, um das wettkämpfende Personal bei Einnahme gesund-heitlich schützen zu können“, belegt das.

-

anscheinend ärztlich wirkungsvoll kontrolliert ist, -

Das IAAF-Verbot (1970) weist diese Argumente zu-rück: „Die Freigabe der Anabolika würde eine Vielzahl

-regen und fördern. Folge wäre eine Fehlentwicklung im Sport, die sinnwidrig, ethisch verwerflich und für die Sporttreibenden, insbesondere Jugendliche und Frauen, gesundheitsgefährlich wäre.“

-fung des Anabolika-Dopings waren notwendig, das

nicht mehr nachzuweisen. Darauf setzten auch die Ratschläge von Ärzten an Athleten.

-

--

nabol“ einnehmen und damit ihre Muskeln schwellen lassen, werden vorerst jede Kontrolle passieren.“8 Aus alledem geht hervor: Anabolika waren lange vor dem Verbot im Gebrauch. Ärzte glaubten, einen nicht gesundheitsschädigenden Konsum überwachen zu können; sie waren sich aber durchaus nicht sicher

in der Zukunft (Steinbach).1970 sah die IAAF Anlass, Anabolika in Sportwett-kämpfen dezidiert zu verbieten.

-

Frauen Ende der 1960er Jahre, als Margitta Gummel -

einen Meter verbesserte. In der Folge explodierten -

ten Reihe, sondern auch ihre Körper, was bis heute im Netz zu verfolgen ist.

Mein Anteil als Trainer an dieser Geschichte

des damals besten deutschen Diskuswerfers Manfred Grieser (DDR) hatte seit 1960 eine Anstellung am

--

später die Diskuswerfer des DLV übernommen. Die Kugelstoßerin Sigrun Grabert, meine spätere Frau, hatte in Kurt Scheibner ihren ersten kompetenten

von der Pike auf.

-

-

-

8 Streit um eine Pille Die Zeit 2. August 1968 http://www.zeit.de/1968/31/streit-um-eine-pille

Foto

: Dop

ing

201/

Jens

Her

tlin

g

81DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

-

Lehrwart des DLV) zu diskutieren, blieb ohne Erfolg,

Deutscher Gewichtheber zu erörtern, wurde 1970 in

DLV-Frauenwartin, die DLV-Süd-Gruppe Kugelstoß Frauen zu übernehmen; sie wusste, dass wir uns am

--

Konfirmationsspruch: Diese Disziplin ist völlig do-pingverseucht. Meine Antwort: Das sind die anderen auch, nur will das bis jetzt noch niemand wissen. Das

-

(März 72) boten mir ein unerwartetes Spektakel:Innerhalb eines Jahres sah ich 3m Leistungsstei-

-

noch hinter der DLV-Vertreterin Sigrun Grabert.

Natürlich gab ich diese Erkenntnisse an den DLV wei-ter und bat um Auskunft für die München-Nominie-

-pianorm nicht nominiert. Erfahren haben wir das aus

dass die Nicht-Nominierung vom DLV ausgegangen

hatten, gab es keinerlei Reaktion in den Medien.

Spitzensportlerinnen verlieren, wenn sie mit Kraft-pillen siegen.“9 -

mit den Eisenhanteln geholt hat. Ich bin fast absolut sicher, dass dabei Anabolika eine entscheidende Rolle gespielt haben“.

Doping in allen Medien: 1977 in der BRD

in allen Medien. Sie entzündete sich an öffentlich ge-wordenen medizinischen Manipulationen an bundes-

-

in der SZ eine knochenharte Debatte. Sie nannte

und klagte den Freiburger Sportmediziner-Kongress 1976 wegen seiner Forderung nach Freigabe der Anabolika heftig an. Dass es beim Sportmediziner-Kongress um das Aushebeln einer Verbotsregel des Sports ging, regte niemand auf.

An diesen Artikel knüpften zwei Sendungen des ‚Ak-

noch in der Mediathek des ZDF angesehen werden10

Zur zweiten Sendung ‚Diskussion über pharma-kologische Leistungsbeeinflussung im Sport‘

10 Aktuelles Sportstudio 5.3.77 http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1958280/Die-Anabolika-Diskussion-%25281%2529-von-1977#/beitrag/video/1958280/Die-Anabolika-Diskussion-%281%29-von-1977

Foto

: Oxm

ox o

xmox

82 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

eindeutig, wie es um das Anabolika-Problem der

Verbandsnormen und Sportmedizin stand. Das Ana-bolikaverbot spielte keine Rolle mehr.

-

Kontrolleur) in der Presse, der „die Aufnahme von -

Seiner Meinung nach habe bisher kein Mediziner den Nachweis erbracht, daß dieses Kraftmittel schädlich sei. Professor Josef Keul, der die bundesdeutschen

Dosierung kann überhaupt nichts passieren.“ Die

(Kölner Stadtanzeiger, 18.8.1976)

Es war nun an den Verantwortlichen aus Sport, Po-litik und Medizin zu reagieren. Der Deutsche Sport-

-

-suchungsbericht wurde nie veröffentlicht.

--

ung der Athleten bekannte, aber eine medikamentös-pharmakologische Leistungssteigerung ablehnte.

pädagogischen Gründen wurde auch auf die interna-tionalen Regeln des Sports verwiesen.

Kommentare zu dieser Erklärung damals:

-zung vor beiden Männern, ist von rührend an-mutendem Niveau. Ihr Verhalten gleicht dem In-genieur, der einen Mondflug vorbereitet und sich dabei der Materialien von Peterchens Mondfahrt

„Das Vorhaben des Deutschen Sportbundes

und technischen Manipulation durch eine Anti-

Anfang des Jahres lautstark und entschieden für „Kontrollen auch auf unterster Ebene“ plädiert, so sprach, sich jüngst, knapp vier Monate nach

--

-

Zeit, 11.11.1977:

Vor allem der Leiter der Abteilung Sportmedizin

Dreier-Kommission berufen hatte. Das war nachvollzieh-bar, denn auf ihrem Kongress 1976 in Freiburg hatten die Sportmediziner einstimmig die kontrollierte Freigabe der anabolen Steroide gefordert

-stoffe (Medikamente) nicht vorenthalten werden, die zur Leistungsoptimierung dienen können, vorausgesetzt, dass die endgültigen Dopingbe-stimmungen des Deutschen Sportbundes eingehalten wer-den und den Sportlern durch diese Maßnahme nicht gescha-

Foto

: Dop

ing/

Jens

Her

tlin

g 20

11

83DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

es überhaupt keine Kontrolle. Es ist deshalb doch besser, mitzugehen, zu steuern und sinnvoll zu hel-

Substanzen möglicherweise, die nicht einmal unbe-

-schluss im Mai 1977 nach der Grundsatzerklärung

Sports wird nirgends so eindrucksvoll dokumentiert

-tastrophe“ Diskussion um den Mißbrauch der Anabo-

-

Die Politik musste sich in diesen Konflikt einschal-

Forschung im Spitzensport.

Die Protokolle der Sachverständigenanhörung im

1977 vormittags und nachmittags lieferten die Ar-gumente jener Zeit zur Situation des Spitzensports.

-mert (SPD), Schirmer (SPD), Mischnik (FDP), aus

Sports, der Sportmedizin und mit Athleten, Prof.

-stav Kilian (Radfahren), Manfred Kinder (Leichtath-

-

Diese Anhörung sollte Pflichtlektüre sein für Reprä-

-mann und Prokop und die Sportpolitikerin Freitag.

Was haben Sport, Politik und Medizin aus 1977 gelernt?

-„Der Athlet lernt

-che Mißstände aufdeckten, hat sich nicht ausgezahlt.

-gehung der offiziellen Verbandsmoral.“

der DLV an die Athleten appelliert, Dopingprobleme nur noch intern zu diskutieren.

-gen Medikamenten ausgelösten toxisch-allergischen

ermittelte und fand keine Schuldigen.11

Ein Jahr später löste sich die erste Goldmedaille,

Reagenzglas einer Dopingprobe auf. Das Erschrecken 12

Kanadas Regierung legte 1990 auf 638 Seiten einen 13

-bindungen nach Deutschland finden.

Die 1980er Jahre – die Hochzeit des Anabolika-Dopings

Leichtathletik bis heute.Am beeindruckendsten ist die Liste der weltbesten

-

11 Rutschbahn in den legalen Drogensumpf Der Spiegel 07.09.19871213

84 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

sterin 2015 kommt mit ihrer Siegerweite von 20,37 nicht mehr unter die 50 weltbesten Kugelstoßerin-

einen gewissen Effekt mit sich gebracht. Zwei Drittel der weltbesten 50 Kugelstoßerinnen haben ihre Leistungen zwischen 1977 und 1989 er-

-

(22,32m) veranschaulicht, was unter Leistungsex-

war sie jeweils hinter einer DLV-Athletin platziert.

Was wissen Spitzenfunktionäre heute vom Doping damals?

-nisse müssen an dem damals 20 Jahre alten Spitzen-

sein, obwohl es um Probleme ging, die den dreimal -

damals gesprochen?14

1977 gab es auch spektakuläre Leistungen von DLV-Athletinnen, die durch die Presse gingen, so der Fünf-

14

den-Verband-artikel9877207.php

15 Es sind nicht die atemberaubenden Leistungen, es ist

hier durch den Lehrwart des DLV Dr. Manfred Stein-bach, der ja Anabolika als Doping ablehnte.

-wegung ausgewiesen, wußte (Steinbach) natürlich

nun Steinbach: „Nicht nachdenken, sondern jubeln“, kommentierte er mit geschürzten Lippen. Aber er meinte auch: „Es ist erstaunlich, welche Eleganz in

übrigen Fünfkämpferinnen kommen einem vor wie

zu tun hatte. Denn die anderen sind nur ‚halbe Por-tionen‘.“

Ich kann verstehen, dass sich ihre Vorgängerin als

1976 in Montreal war, bis heute weigert, den Namen

gestorben am Karfreitag 2017) in einer Erklärung an Eides statt an, dass der in Mainz tätige Sportmediziner Dr. Manfred Steinbach ihm Anabolika auf Rezept verschrieben habe und beide, Arzt und Athlet, sich danach „über die vorge-täuschten Indikationen auf den Rezepten „kaputtge-

-kation ‚Gewichtsverlust nach Grippe‘.“16

veröffentlicht haben.17

-len zeigen, was in 30 Jahren passiert, besser nicht passiert ist.18

bis heute dazu bekannt hat.

15 Pillen-Eva läßt die Rekorde purzeln, Stgt N, 20. Juni 19771617

18

1969 EM (10) 15,22 m

1971 EM (12) 15,73 m

1972 EHM (8) 17,40 m

1972 OS (7) 18,81 m

1973 EHM (1) 19,08 m

1974 EHM (1) 20,75 m

1977 EHM (1)21,46 m

(Hallenrekord bis heute mit 22,50 m)

1987 WM (8) 20,29 m(mit 38 Jahren!)

85DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Dass DLV-Spitzenfunktionäre sehr wohl über die Si-tuation seit 1976 informiert waren, machte Prokops

-kenntnis klar. Das nicht vorhandene Protokoll der

„…1976 war ich geschockt von dem, was in man-chen Sportarten üblich war. Gravierend war es im Gewichtheben, im Schwimmen, in der Leicht-athletik und im Radsport. Für die Leichtathletik fanden wir immer mehr Zeugen, die von Doping bis in Leistungsklassen berichteten, in denen man nicht einmal an deutschen Meisterschaften teilnahm. ...

-ziner uns sagten, man müsse dopen, wenn man

dazu bekannte, dass Leistungssteigerung zu den Aufgaben des Arztes im Sport gehöre. ...

-

uns für Idealisten, die nicht verstanden hatten,

lösen seien. Er hatte sein Personal nach seiner

konnte in den sechziger und siebziger Jahren erkennen, dass wir ein Doping-Problem haben. Es gab genügend Indizien und Selbstbezichtigun-gen wie die der Leichtathleten Ralf Reichenbach,

Aber die Grundhaltung derer, die dagegen waren, war naiv. Ich war auch naiv. Ich habe gefordert, man solle keine ständige Kommission schaffen,

Sehr schnell musste ich erkennen, dass Doping

des Leistungssports geworden ist.19

19

Es wurde schon damals indirekt deutlich, dass vom organisierten Sport nach außen das Spiel des

und nach innen hat man eine andere Moral ent-

seine Sportart, der Radsport, längst darauf geei-nigt, dass er eine Medikamenten-Sportart war. Er

-blem. Man muss sich vorstellen: Rudi Altig wurde

20

Präsident seit 1993 die Übernahme von belasteten

dass dieser Mann zusammen mit seinem damaligen

wegen Minderjährigen-Dopings hinwegsetzte?21 Da fällt es ja kaum mehr ins Gewicht, dass drei DLV-Ärzte 1995 und 1998 bei den Europameisterschaften

20

21Springstein. weltonline 13. Februar 1999

Hansjörg Kofink (1966) mit den Damen der Leichtathletikabtei-lung des SV 03 Tübingen.

Foto

: Kofi

nk

86 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

damals nicht auf der Dopingliste, war aber seit dem -

Zählt man zu den acht Jahren DLV-Präsidentschaft von Digel, die sechzehn von Prokop und die vier von

dann sind die drei Jahrzehnte abgedeckt, über die bis heute von deutschen Spitzenfunktionären der Mantel des Schweigens gelegt wird.

Die deutsche Vereinigung – der GAU für die Dopingbekämpfung

Am Ende des ‚kalten Krieges auf deutschen Aschen-bahnen‘22 bestand die Möglichkeit, den deutsch-deutschen Dopingkeller aufzuräumen und damit der

Die vereinten Funktionäre, Sportärzte und die -

sident Samaranch erklärte Doping zur Sache der Deutschen -

und in einem Deutschland konnten nur noch halb

22

so viele Athlet(inn)en nominiert werden wie in zwei: Das veranlasste eine auf Medaillen geile Sportpolitik, die im Arti-kel 39 des Vereinigungs-vertrags sich ihren Platz durch den Einkauf der Dopinginstituts FKS in Leipzig, Dopinglabors in Kreischa sowie der Materialentwicklungs-stelle FES gesichert hatte23 alle angekündig-ten Sanktionen fallen zu lassen. Alles wurde un-

das Vertrauen mit dem Doppel-Dopingfall Springstein und Sprinterinnen und der Einführung eines neuen

Sportwelt von Deutschland gelernt hatte. Deutsche Sportrepräsentanten verstärkten in dieser Zeit die internationalen Gremien des Sports, und sie blieben sich auch dort treu.

Folgen einer verfehlten Antidoping-Strategie

Der jahrzehntelange Streit in der deutschen Sport-medizin um die Lufthoheit in Sachen Anabolika hat nicht nur dem organisierten Sport geschadet.

-schluckt als im organisierten Sport. Alessandro Do-nati, einer der weltweit renommiertesten Dopingfor-scher, hat das 2007 eindrucksvoll demonstriert.24

-chen. Der ‚Schwarze Medaillenspiegel‘ hat Konjunktur.25

23 Artikel 39 Einigungsvertrag Absatz 2, FKS, Kreischa, FES24

25August 2016 Aktualisiert am 1 September 2016

Hansjörg Kofink als Organisator und Sprecher im Rahmen „Jugend trainiert für Olympia” im Bereich Leichtathletik in Baden-Württemberg.

Foto

: Kofi

nk

87DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Der derzeitige deutsche Sportminister de Maizière bleibt davon unbeeindruckt, selbst die deutsche Sporthistorie schreckt ihn nicht. Er fordert weiterhin ‚Gold für Geld‘.26

Erneuerung des Spitzensports erreichen zu können.

Es wäre für beide Seiten von Vorteil, wenn der Sport für seine Autonomie kämpfen und die Politik diese auch im Falle von Niederlagen nicht in Frage stellen

-geln eindeutig Vorrang haben sollten.

Sport nicht leisten?

In einer Zusammenfassung des Forschungsprojekts ‚Doping in Deutschland von 1950 bis heute‘, von der deutschen Sportpolitik ebenso missachtet wie von den deutschen Sportinstitutionen, heißt es am Schluss:

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass

untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende

-zungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spit-

erheblichen staatlichen Engagements möglich war,

26

nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingpro-blem zunehmend scheinheilige Züge an. Einer sport-pädagogisch und philosophisch überhöhten Gesin-nungsrhetorik stehen die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure

--

fesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den

27

Die Missachtung der sportlichen Verbotsregel der ‚Anabolen Steroide‘ durch die autonomen Sportor-

Die Medizin hat durch ihr aktives Verwischen der Grenze zwischen Arzneimittel und medikamentöser Leistungsmanipulation ihrer Ethik schwer geschadet.

Staatliche Verherrlichung sportlicher Spitzenlei-stung gibt diesem doppelten Versagen den Anschein der Legalität. Der Missbrauch wird politisch geadelt.

Das ist Spitzensport im einundzwanzigsten Jahrhundert.

27

Hansjörg Kofink ist Sportpädagoge, bis ins Jahr 2000 lehrte er als Gymna-sialprofessor in Reutlingen, seither lebt er im Ruhestand. Kofink arbeitete von 1970 bis 1972 als DLV-Bundestrainer, war 1979 - 1989 Vizepräsi-dent des Deutschen Sport-

lehrerverbandes von und 1989 - 1999 Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes. In diesen Positionen wandte er sich immer engagiert gegen jede Form des Dopings und nahm nie ein Blatt vor den Mund. Auch nach seiner Pensionierung stritt und streitet er weiter für seine Überzeugung. Im August 2009 erhielt er gemeinsam mit Johanna Sperling, Henner Misersky und Horst Klehr die Heidi-Krieger-Medaille für engagiertes und mutiges Auftreten gegen Doping.

ZUR PERSON

Foto

: Kofi

nk

Das Foto zeigt den Autor im Rahmen „Jugend trainiert für Olym-pia” im Bereich Leichtathletik in Baden-Württemberg.

Foto

: Kofi

nk

88 DOPING I AUSGABE 2/2017

„Doping in Deutschland von 1950 bis heute“: Ausgewählte Projekt-Ergebnisse

1. Einleitung: Projektvergabe Der Projekt-Titel lautete: „’Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation’ gefördert mit For-schungsmitteln des Bundesinstituts für Sportwissenschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags. FKZ: 2509BI1904“. Der Auftrag erging an die Humboldt-Universität zu Berlins sowie die Westfälische Wilhelms-Universität Münster. „Die Geschichte“ des Doping in der Bundesrepublik Deutschland konnte angesichts der Auf-tragslage sowie der vorzeitigen Beendigung der Finanzie-rung durch den Auftraggeber für den Berliner Teil nicht vollumfänglich geschrieben werden: Vier ganze Stellen waren für die Humboldt-Universität beantragt worden; durch die Vergabe des Projektes an drei Teilprojekte blie-ben Berlin nur drei halbe Stellen. Die Förderphase endete zudem unerwartet nach zwei Dritteln der Laufzeit. Trotzdem wurden durch die gewählte Strategie sowohl systemische Aspekte und personelle Netzwerke erhellt als auch neue Aussagen über das Dunkelfeld erarbeitet. Sie macht weitere Forschung jedoch keinesfalls überflüssig, sondern ist erst der Einstieg in diese Selbstvergewisserung des deutschen Sports. Zwei projektbezogene Sammel-bände sowie Internetveröffentlichungen liegen vor. Nach-weise zum folgenden Text sind dort zu finden (Spitzer 2013 und Spitzer, Eggers, Schnell & Wisniewska 2013).

2. Überblick über die Ergebnisse

2.1 Erste Phase: Von der Gründung des Deut-schen Sportbundes 1950 bis zur ersten großen Debatte um Doping 1976 Die Sportlerin und spätere Studienrätin Brigitte Beren-donk und ihr Ehemann, der Molekularbiologe Werner Franke, haben das Verdienst, in der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche Debatte um Anabolika in Gang gesetzt zu haben. Dies geschah von außerhalb der eigent-lich dafür bestehenden politischen und wissenschaftlichen Institutionen wie Sport, Sportwissenschaft und Staat. Die „große“ Debatte begann aber erst mit der Diskussion um die bundesdeutsche Teilnahme an den Olympischen Som-merspielen 1976 in Montreal um „Kolbe-Spritze“ und „Luft in den Darm“-Praktiken.1 Im Berliner Projekt wurden al-lerdings zunächst die rekonstruierbaren Dopingpraktiken jener Jahre untersucht, die sich anderes darstellen, als davor in der Literatur vermutet.

Wenn es um Dopingpraktiken im Westen ging, wurde bis dahin häufig die folgende These bemüht: Der Erfolg des DDR-Sports habe den westdeutschen Sport und seine Mediziner und Funktionäre dazu veranlasst, Anabolika anzuwenden. Dieses Argumentationsmuster wurde vom Berliner Projekt allerdings bereits für die „prä-anabole Phase“2 in der Bundesrepublik Deutschland widerlegt: Die verwendeten Substanzen waren in den 1950er Jah-ren „klassische“ Aufputschmittel wie das Metamphetamin (Handelsname „Pervitin“). Sie waren damit zugleich ver-schreibungspflichtig und sie unterlagen zum Teil dem Opiumgesetz, später dem Betäubungsmittelgesetz. Do-pingpraktiken mit und ohne Anabolika waren nach den detailliert vorgetragenen Berliner Rekonstruktionen aus

1 Berendonk, B., Züchten wir Monstren?, Die ZEIT vom 5. Dezember 1969. Reflexe zu dieser Periode in der Auswertung von Zeitzeugenge-sprächen (Spitzer 2011). Nachweise zur folgenden Darstellung siehe in: Spitzer 2013 und Spitzer, Eggers, Schnell & Wisniewska 2013.

2 Diese Wortprägung des Verf. war ursprünglich für das DDR-Staats-doping bestimmt gewesen (Spitzer 1998, Erstauflage). Sie sollte zeigen, dass vor der Einführung der Anabolika bereits ein komplexes Dopingsystem mit Aufputschmitteln bestand.

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Foto: Joachim Berga / Pixelio.de 2017

89DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

ethischer, juristischer und historischer Sicht das Ergebnis gezielter, anwendungsorientierter Forschung im organi-sierten Spitzensport in der Bundesrepublik. Diese wurde unter Führung eines sehr kleinen Teils der Sportmedizin betrieben, wie die Analyse der Phase der Jahre von der Gründung des DSB an nahelegt. Bezogen auf diese „angewandte Forschung“ wie auf die Missbrauchspraxis konnte exemplarisch gezeigt werden, dass in der prä-anabolen Phase geradezu von einer „Per-vitinisierung“ des Sports gesprochen werden kann: breit-flächige Anwendung dieser Aufputschmittel im bundes-deutschen Sport. In dieser ersten Phase wurde besonders an zwei süd- und westdeutschen Standorten geforscht. Spätestens Anfang der 1960er Jahre trat dann das Anabo-lika-Doping hinzu, bei dem glaubwürdige Zeitzeugen über Dopingpraktiken an Jugendlichen und erste Fälle von do-pingbedingtem „Drop-out“ berichteten. Anders als wegen fehlender Sport-Regelwerke häufig ver-mutet wird, konnte die transdisziplinäre Analyse aufzei-gen: Aus ethischer ebenso wie aus rechtlicher Sicht stand das Dopinghandeln dieser präanabolen und frühen anabo-len Phase mit Gesetzen, Standesvorschriften und zeitge-nössischen ethischen Normen in Konflikt (und hätte bei vorhandenem Willen letztlich mit vorhandenen Mitteln dieser Zeit bekämpft werden können). Dieser von der Ju-ristin Yasmin Wisniewska detailliert belegte Befund hat sicherlich Neuigkeitswert, über den Sport hinaus. In ei-nem anderen Projekt mit der Möglichkeit zeitnaher Veröf-fentlichung wurde parallel erarbeitet, dass es seit 1933 für den deutschsprachigen Raum aus gesundheitlichen und sportethischen Gründen ein „doppeltes Dopingverbot“ aus ethischen und gesundheitlichen Gründen gab, übrigens auch für Hormone (vgl. Spitzer 2010b). Bezogen auf Gegner und Aktive ergaben sich durch die Zeitzeugen-Interviews neue Erkenntnisse: Spitzenleister wussten häufig vom Handeln der jeweils anderen: Wie spä-ter in zweiten Phase teilte sich die nationale Spitze einer Sportart in Anhänger und Gegner von Dopingpraktiken. Man kann deshalb von einem heimlichen Wettkampf der Befürworter und Gegner sprechen. Die innerleistungs-sportliche Opposition gegen Sportbetrug konnte sich zu keinem Zeitpunkt durchsetzen, wie im Projekt gezeigt werden konnte. Die Gegner gingen nämlich nicht an die Öffentlichkeit, weil sie nicht an Unterstützung durch Sportorganisationen und Medien glaubten. Außerdem nahmen sie an, dort nicht gehört zu werden, da Doping praktizierende Trainer, Ärzte und Athleten trotz der Sitten-widrigkeit des Dopings hohe Sympathie in den Medien ge-nossen. Außerdem wurde in der Öffentlichkeit Doping in der Bundesrepublik jener Jahre meist als Einzelfall, nicht

als systemisches Geschehen verstanden. So nahmen die Dopingverweigerer die Wettbewerbsnach-teile hin und wurden benachteiligt. Wichtig ist auch die Er-kenntnis zu jener Frühphase: Dieser strukturelle Nachteil auf Seiten der Doping-Verweigerer steigerte den Anpas-sungsdruck auf junge Athleten, auch „zu schlucken“. Ver-weigerer kamen so in die Situation des dopingbedingten „Drop-out“ oder sie wurden von durch Doping leistungs-stärkeren Konkurrenten verdrängt.Wie ging es auf der Seite der missbrauchten Substanzen weiter? Es kam sehr schnell zu einem Umschwung von den Aufputschmitteln zu verbreitetem Missbrauch der Anabo-lika. Die Frühphase der Hormonverwendung fand einen Wendepunkt mit dem Vortrag des Tschechen Fric 1968 bei einer Sitzung des DLV-Leistungsrats. In Anwesenheit des damaligen Verbandspräsidenten, Dr. med. Danz, wurden die von Fric präsentierten Berliner Erfahrungen bei der Verwendung von Anabolika in mehreren Sportarten kri-tisch, aber lediglich intern, diskutiert. Das hierzu erstellte Protokoll des Leistungsrates begann mit „1. Anabolika fin-den im Sport als Unterstützungstherapie Anwendung.“ und endete: „4. Anabolika sind als Dopingmittel zu bezeichnen.“ Dieses Schlüssel-Dokument belegt neben den bemerkens-werten Widerständen in der Kommission, besonders beim gastgebenden Berliner Sportmediziner: Die Anwendung der Anabolika war bereits in den 1960er-Jahren keineswegs auf die Wurfdisziplinen der Leichtathletik beschränkt, sondern betraf auch die Ausdauerdisziplinen der Leichtathletik und laut Fric andere olympische Sportarten wie Fußball, Ru-dern und Radsport. Die HU-Forschungsgruppe hat die dort präsentierten Daten über Dosierung wie Gesundheitsfolgen deshalb als erste Anabolika-Anwendungskonzeption der frü-hen bundesdeutschen Dopinggeschichte verstanden.Der frühere Mitarbeiter Erik Eggers hat nach Ende der Projektfinanzierung eine neue Quelle gehoben, mit der eine entscheidende Ausweitung unserer Kenntnisse zum Doping der ersten Phase möglich geworden ist (Eggers 2012): Das Hormondoping der 1950er Jahre wird aus glaubwürdigen Primär-Quellen heraus nachvollzogen, was unsere Theoriebildung bestätigt hat: Die Anabolika-Verwendung fand im bundesdeutschen Sport viel früher statt, als es die Fachliteratur bisher dargestellt hat.

2.2 Zweite Phase: Dopingforschung und syste-misches Doping 1972 bis 1989/90Im Lichte der Ergebnisse zu den Jahren 1950 bis 1972 ist die „anabole Phase“ nicht etwa der Beginn des Dopings in der Bundesrepublik Deutschland, sondern lediglich die zweite Phase sportmedizinisch angeleiteten Dopings, jetzt unter Mitwirkung von Teilen des neu gegründeten Bun-

90 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

desinstituts für Sportwissenschaft (BISp). Prof. Dr. med. Joseph Keul aus Freiburg war in Dopingzusammenhängen der einflussreichste Sportmediziner. Nur für Frauen und Kinder sei der Einsatz von Anabolika abzulehnen - wegen „fehlenden Wissens“.3 Zum Freiburger Erfolgsmodell ge-hörte auch die Verbindung mit aufwendiger medizinischer Dienstleistung für Kaderathleten, die von weit her anrei-sten. Keul war vernetzt. Zu NOK-Präsident Willi Daume bestand lange ein Vertrauensverhältnis. Keul ließ ihm sogar Interna zur Anabolika-Praxis zukommen. Das Feh-len eines Gegensteuerns Daumes wertete die Berliner For-schungsgruppe seinerzeit als billigende Mitwissenschaft. Der DSB und der Bundesausschuss Leistungssport BA-L waren weitere Aktions-Orte Keuls, in denen laut Quellen damals „offensichtlich Konsens über den Einsatz anaboler Steroide im Spitzensport“ bestand. Aber auch an der Deut-schen Sporthochschule Köln wurde beispielsweise mit

anabolen Steroiden experimentiert. Institutsleiter Prof. Dr. med. Wildor Hollmann sprach sich indes öffentlich aus ethischen und ärztlichen Gründen gegen den Gebrauch aus. Hollmanns Mitarbeiter Alois Mader wiederum zählte zu den größten Befürwortern der anabolen Steroide; in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Leistungssport“ (1977) hatte er auch gegen den Einsatz der Anabolika bei Frauen keine Einwände. In den zeitgenössischen Quellen der zweiten Untersu-chungsepoche finden sich hauptsächlich drei Argumente für Dopingpraktiken:

(1) Typisch ist der durchgehende Versuch, Anabolika der Therapie zuzuordnen und gleichsam eine „Indikation Leistungssport“ zu entwickeln,

(2) Kennzeichnend ist ferner der Versuch, als betreuen-der Arzt bei einem dopenden Athleten (Frauen und

3 Keul, J., Deus, B. & W. Kindermann: Anabole Hormone: Schädigung, Leistungsfähigkeit und Stoffwechsel, Medizinische Klinik 71(1976), 497-503. (Siehe ausführlich Spitzer et al. 2013).

Jugendliche werden in den Quellen stets ausgeklam-mert!) die Dosierung niedrig zu handeln, die bei Ab-wesenheit des Arztes und Selbstmedikation angeblich sonst „zu hoch“ würde.

(3) Zentral sind schließlich die unterschiedlichen Vor-schläge für ein Modell der „Substitution“ im Aus-dauersport, mit dem beispielsweise Testosteron-„Suppressionen“ „behandelt“ werden sollten.

Von diesen drei Argumenten hatte das der „Substitution“ bis heute die größte Beharrungskraft. Das neue „BISp“ stand als nachgeordnete Bundesbehörde unter Dienstaufsicht des Bundesministers des Inneren (BMI). Es hatte bei solchen Zweck-Forschungen ausweis-lich der Quellen mitgewirkt: Kann deshalb von „staatlich subventionierten Anabolika-Forschungen“ gesprochen werden? Ein Beleg für ein „ja“ ist die Genehmigung eines Antrags des Leverkusener Klinik-Arztes Prof. Nöcker, in dem 1973 ausdrücklich die „Nutzanwendung für die Pra-xis“ als Ziel der Anabolikaforschung benannt worden war.4 Im August 1974 übermittelten derselbe Nöcker und sein Doktorand Reinhard an den Auftraggeber BISp jedoch kli-nisch ermittelte Gefahren der Anabolikaverwendung. Ne-ben Organschäden und Krebsgefahren seien belegt:

pathologischen Bereich,

Diese (und andere warnende) Studien hätten angesichts des Auftrags vom BISp kommuniziert werden müssen. Die Debatte wäre dann möglicherweise von Anfang an anders verlaufen. Dennoch votierte das BISp 1977 während der vertraulichen Gespräche unter dem Direktoriumsvorsit-zenden, dem Pädagogen Prof. Dr. Ommo Grupe, für eine weitere Nutzung der anabolen Steroide, wie schriftlich festgehalten wurde:„So geht der Vertreter des Bundesinstituts (Name des Of-fiziellen) davon aus, dass die Schwierigkeit gegenwärtig vor allem in der Macht der Zwänge zu sehen ist; analog zur Arbeitsmedizin sei es auch in der Sportmedizin ver-tretbar, eine medikamentöse Behandlung unter dem Ge-sichtspunkt der Substitution vorzunehmen.“5

4 Siehe Akte „0408/01 Forschungsauftrag Medikament“, Akte im BISp. (Siehe ausführlich Spitzer et al. 2013).

5 Gemeinsame Kommission von DSB und NOK, Zusammenfassung der Gesprächsnotizen anlässlich des Informationsgesprächs am 14./15.1.1977 in Frankfurt, Haus des Sports, 3, DOSB-Archiv (ehemals NOK-Bestand), Nr. 1317 / B6.5 / 4B11 „Dopingkommission 1977“. (Ausführlich: Spitzer et al. 2013).

Foto: Andrea Damm / pixelio.de

91DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Man hielt also an den Anabolika fest, um die es bei der Sitzung ging, und an den anwendungsorientierten For-schern. Erik Eggers pointiert dies in der Weise, dass das BISp-Ziel in dieser Phase darin bestand, die Anwendung der Anabolika im Leistungssport wissenschaftlich begrün-den zu lassen. Am Ende der zweiten Phase zählt nach den Recherchen des Berliner Projektes auch die Testosteronforschung dazu, denn (für uns in irritierender Weise) wurde die Leitung des BISp zu gezielter Forschung an leistungs-fördernden „Kandidatenmedikamenten“ ermutigt. Die Testosteronforschung im westdeutschen Sport wurde im Berliner Projekt erstmals durch Akten, Dissertationen und Zeitzeugengespräche rekonstruiert und durch detaillierte Publikation der wissenschaftlichen Diskussion eingeführt. Ein Rückblick zeigt die besondere Rolle des männlichen Hormons, denn: Testosteron-Spritzen wurden als Ersatz für Anabolika im Sinne eines „Überbrückungsdopings“6 verwendet, obwohl sie bereits 1977 durch den Leichtath-letik-Weltverband IAAF verboten waren.

-chenden Testosteronpräparaten wäre nach dieser Les-art allerdings kein Überbrückungsdoping mehr, son-dern eine nicht nachweisbare Alternative für die leicht und lange nachweisbaren Anabolika. Diese These wurde bis heute nicht widerlegt.

Die intensive Diskussion der zugänglichen Quellen legte nahe: Die multizentrische Testosteron-Studie muss als anwendungsorientierte Dopingforschung interpretiert werden. Die sog. „multizentrische Studie“ (es waren vier Standorte beteiligt) stand unter der Leitung des Freibur-gers Keul. Unter Beteiligung und mit Zustimmung des DSB, des NOK und des BMI beauftragte das BISp 1986 und 1987 Sportmediziner, zu klären, ob Testosteron ein „Substitutions- und Regenerationsmittel“ sei.7 In den Pu-blikationen wurde zwar stets der Eindruck vermittelt, dass Testosteron im Ausdauersport keinen Nutzen besitze. Der Doktorand Fuchs hatte allerdings für die 1. Teilstudie eine signifikante Erhöhung hämatologischer Parameter be-legt (Fuchs 1988). Der Freiburger Sportmediziner Georg Huber wendete Testosteron 1987 und 1988 bei Ausdauer-sportlern an.Die tatsächliche Testosteronapplikation war im Wider-

6 Franke, W. 1995 sowie Spitzer 1998/2012 S, 48-50, einschließlich der Nutzung von Nivalin als Testosteron-Anreger.

7 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordne-ten Winfried Penner, Wilhelm Schmidt et al. vom 11. Dezember 1991, Drucksache 12/1781 des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, S. 1, zit. nach Spitzer et al. 2013.

spruch zur offiziellen Legitimation als Prüfung einer the-rapeutischen Maßnahme des „Defizitausgleichs“ in zuletzt unphysiologisch hohen Dosierungen nicht mit Gesund-heitsschutz vereinbar. Aus ethischer Sicht ist die Studie entgegen der offiziellen Sprachregelung wie ausführlich in den Berichten der Forschungsgruppe dargelegt als „Do-pingforschung“ zu bezeichnen, als „systemisches Doping“. Indem sie die leistungssteigernde Wirkung von Testoste-ron in ihre Studien integrierten, setzten sich die beauftrag-ten Forschungsgruppen aus Freiburg, Saarbrücken und Paderborn über eine zentrale Bedingung der Bewilligung hinweg. Sie widersprach forschungsethischen Grundsät-zen wie auch den damaligen gewonnenen medizinischen Forschungsergebnissen.Es wird leicht vergessen, dass die große Mehrzahl der organisierten deutschen Sportmediziner sowie die in Deutschland tätigen Sportärzte nicht nur in der ersten Phase die beschriebenen Versuche zur Freigabe sowie zur Verzögerung von Verboten abgelehnt hat. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der vom Deutschen Sportärztebund seit 1952 durchgängig formulierten Haltung, dass Doping nicht mit den ärztlichen Aufgaben vereinbar sei. Die kriti-sche Würdigung erbrachte jedoch auch für diese Periode: Seitens der Ärzteschaft hätten aus berufsrechtlicher Sicht Möglichkeiten bestanden, Doping einzudämmen. Diese rechtlichen Instrumente wurden jedoch nicht erschöp-fend genutzt. In ähnlicher Weise konnte der irritierende Befund erarbei-tet werden, dass die damalige Rechtslage auch in straf- und zivilrechtlicher Sicht mit ihren vielfältigen rechtlichen Möglichkeiten keinesfalls ausgenutzt worden ist. Lange Zeit hatte es sinngemäß geheißen: Anabolika-Kontrollen seien nur in Wettkämpfen, nicht aber im Training recht-lich möglich. Diese unzutreffende Beurteilung verzögerte effektive Kontrollen für Dekaden. Es konnte im Projekt hingegen gezeigt werden: Diese Ansicht war spätestens 1983 mit dem vom Deutschen Sportbund in Auftrag gege-benen Rechtsgutachten „über die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung des Doping-Missbrauchs“ nicht mehr zu halten. Der sportpolitische Wille zur Nutzung dieses Gutachtens fehlte im Dachverband allerdings. Obwohl von Manfred Donike konsequent eingefordert, wurden in der Folge unter Mitwirkung des BISp die 1977 festgelegten Dopingkontrollen von den Verbänden nur unzureichend umgesetzt und Trainingskontrollen bis 1989/90 systema-tisch verschleppt. Anders gesagt: Dieser weitest gehende Verzicht auf Repression von Seiten des organisierten Sports gehörte zum systemischen Doping, wie es sich in der Bundesrepublik jener Jahrzehnte darstellte.Im Gegensatz zum systematischen DDR-Doping waren

92 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

in diesen fein austarierten systemischen Dopingmodell nie alle Sportler gedopt. Welche bundesrepublikanischen Sportler dopten sich oder wurden gedopt? Wie in der ersten Phase von 1950 bis 1968 mit den Aufputschmitteln wusste man von-einander, wie beispielhaft erarbeitet wer-den konnte. Wieder entstand der heimli-che Wettkampf in der nationalen Spitze, ob die Verweigerer von Sportbetrug oder die Anwender der Leitdroge dieser zwei-ten Phase, der Anabolika, bessere Ergeb-nisse erbrachten. Im Gegensatz zur Früh-zeit stieg jedoch der Anpassungsdruck gegen Verweigerer so sehr, dass er laut Interviews mit Trainern und Aktiven jener Phase zugleich als Selektionszwang zu deuten ist: Sportlicher Aufstieg oder die Positionswahrung in der na-tionalen Spitze sollte die Einbindung von Dopingpraktiken erzwingen.Die Prävalenz konnte ebenso wie die Schadensbilanz bei den Aktiven und den Ehemaligen nicht mehr untersucht werden, weil die systematische Erhebung im dritten, nicht mehr finanzierten Projektjahr hätte erfolgen sollen. Hier können nur Einzelbefunde der Jahre 2010-2011 genannt werden: Über die besonders von Anabolika profitierenden Werfer gibt es Aussagen, die an 90 % Abuser heranrei-chen. Bemerkenswert ist jedoch: In der Untersuchungs-periode waren nirgendwo alle Kader „flächendeckend“ von Doping-Praktiken betroffen, im Gegensatz zur DDR mit ihrem systematischen Zwangsdoping. Allerdings ver-deutlichen die Interviews mit Aktiven und Trainern: Das Verbot der Anabolika-Anwendung bei Frauen und Min-derjährigen wurde in staatlich finanzierten Forschungen des BISp zwar stark betont - vor Ort wurde es trotz des bei den Akteuren grundsätzlich vorhandenen Unrechtsbe-wusstseins unterlaufen. In der Zusammenfassung des gedruckten Berichts der Ber-liner Forschungsgruppe wurde das folgendermaßen poin-tiert dargestellt und als „systemisches“ Modell interpretiert:„Die Dopingforschung verlief äußerst vertraulich, wenn auch erstaunlicherweise in normalen Schreiben und Ver-merken. Der Kreis der Mitwisser war groß: im Sport die Spitzen im DSB und NOK, der BA-L, das BISp und über die Anwesenheit der BMI-Vertreter auch das Ministerium als Fachaufsicht des BISp. Das BISp koordinierte, im Ein-zelfall nachweisbar mit Kenntnis der Kontrollinstanz BMI, Forschungen mit Anabolika, Testosteron und anderen für Dopingzwecke geeigneten Substanzen. Dies wird ange-sichts der damaligen Faktenlage zu Gefahren als systemi-sches Doping gewertet, auch unter Berücksichtigung der

Tatsache, dass Doppelrollen in Forschung und Mitwirkung im Hochleistungssport belegt wurden.“ (Spitzer et al. 2013, 444).Nach unserer Einschätzung schwieg der Staat bis 1991 zu den steuermittelfinan-zierten Studien, auch das eigentlich für Forschungsauswertung und Informati-onsverbreitung zuständige BISp: Es wa-ren die Medien, welche die Dopingdebat-ten von 1976/77 bis 1991 bewirkten. Der Staat beendete trotz grundsätzlicher Mit-kenntnis weder Dopingpraktiken noch die von uns als nutzungs- bzw. anwen-

dungsorientierte Dopingforschung verstandene sportme-dizinische Zweckforschung der 1970-er und 1980-er Jahre. Medikamentöse Leistungsbeeinflussung durch Doping ließ sich bis zum Ende der zweiten Phase 1989/90 auch aus einem weiteren Grund nicht aus dem Spitzensport verbannen. Doping war auch durch die Rechtfertigungsfi-gur „internationale Chancengleichheit“ von BA-L wie auch BISp möglich. Diese missdeutete allerdings - wie der Ethi-ker Holger Jens Schnell in der Projektgruppe herausarbei-tete - den herkömmlichen Begriff der Chancengleichheit und legitimierte einen inhumanen Leistungsdruck auf die Spitzensportler. Auf diese Weise verkehrte das Bekenntnis zum Spitzensport auf internationalem Leistungsniveau das Ausgangsanliegen: Die Grundsatzerklärung von 1977 bot anerkennenswerte Argumente gegen pharmakologi-sche Leistungsbeeinflussung, die mit der Freigabe ärzt-lich indizierter „Substitution“ jedoch wieder unterlaufen wurden; damit war eine Sprachregelung geschaffen für die Fortsetzung von Dopingpraktiken im Leistungssport.Es bleibt das Resümee: Auch in dieser zweiten Phase gab es keine ‚Selbstreinigungskräfte‘ innerhalb des gesellschaftli-chen Subsystems „Hochleistungssport“. Im Gegenteil: Ex-emplarisch wurde gezeigt, dass Kritiker im organisierten Sport ihre Positionen verloren.

3. Ausblick zur nicht erforschten dritten Phase ab 1990Besonders die Zeitzeugengespräche zeigten, wie komplex das Handeln im Kontext des Dopings war. Warum wirk-ten Ärzte mit, die in besonderer Weise der Gesundheit verpflichtet sind? Die historische Arbeit führt zu neuen Fragen, die nicht mehr beantwortet werden konnten.Ein Zeitzeuge (es wurde vereinbarungsgemäß anony-misiert) schilderte den riskantem Medikamentenmiss-brauch eines Projektnehmers und begründete, warum die ihm unterstellten Ärzte nicht gegen Dopingpraktiken eingeschritten seien:

Foto

: Dop

ing

/ Jen

s H

ertl

ing

2015

93DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

„Wir wussten alle, dass NN Captagon nahm und auch dazu stand. Wenn er durcharbeiten wollte, oder wenn er abends wo eingeladen war, oder er länger wachblei-ben müsste, dann…“Frage: „Und wenn er einschlafen wollte, hat er was an-deres genommen…“„Ja. Ganz genau. Wir haben das aber damals nicht… Natürlich sehe ich das heute anders. Wir haben also, wir hätten ihn nie kritisiert. Das stand uns auch nicht zu. NN war natürlich auch ein Arbeitstier, das muss man auch sagen. Das ist ja auch ein Vorbild.“Frage: „Andererseits wussten Sie, dass der Einsatz ver-boten ist im Sport.“Zeitzeuge: „Ja, aber es gab nicht irgendeine Melde-pflicht. (…) So gesehen. Ich weiß auch nicht, ich rede jetzt von mir, was ich hätte machen sollen... Wenn man das an die Glocke gehängt hätte, das hätte einen Rie-senkrach gegeben…“Frage: „Dann wären Sie weg gewesen…“Zeitzeuge: „Ja, klar. Und man hätte auch dann nicht zu der Zeit unbedingt Recht bekommen. Sie hätten dann damit nicht in irgendeiner Weise, höchstens für ihr Gewissen, da einen Vorteil gehabt…“8

In beeindruckender Weise wird dargestellt, dass das Feh-len von Normen zur Verhinderung von Doping Widerstand verhindert hat. Der drohende Verlust des Arbeitsplatzes bei einer Handlung gegen Doping trat hinzu. Trotz der Beden-ken wirkte dieser Mediziner aus der jüngeren Generation trotz innerer Vorbehalte mit. Diese und andere Mecha-nismen, die trotz der unerwartet verkürzten Laufzeit des Berliner Projektes erarbeitet werden konnten, können für die zukünftige Anti-Doping-Politik von Bedeutung sein. Gleiches gilt für kritische Forschungsdesigns, die sich mit wachem Blick und ohne Vorurteile einem der wichtigsten Probleme des organisierten Sports zuwenden.

Literatur:Inhaltlicher Schlussbericht gemäß Schnittstellenkonzept zum Vorhaben „Do-ping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ Forschungsprojekt 2009-2012, initiiert durch den DOSB, beauftragt und gefördert durch das BISp. Phase I: 1949/50 bis 1972), Phase II: 1972 bis 1989/90. Phase III: 1989/90 bis 2008. Bericht: Prof. Dr. Giselher Spitzer. Projekt-Mitarbeiter: E. Eggers, H. J. Schnell, G. Spit-zer (ehrenamtlich), Y. Wisniewska. http://www.bisp.de/cln_339/nn_15924/SharedDocs/Downloads/Aktuelles/Inhaltlicher__Bericht__HU,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Inhaltlicher_Bericht_HU.pdf, letzter Zugriff 20. August 2013.Eggers, Erik (2012). „Der Sportarzt Martin Brustmann, das Rudern und das Testoviron – über die Anfänge des Hormondopings im deutschen Lei-stungssport vor den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki“. In J. Court et al. (Hrsg.): Jahrbuch 2011 der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der

8 Zeitzeugengespräch (Interviewer: Eggers).

Sportwissenschaft e.V. „Studien zur Geschichte des Sports“, Bd. 14., Lit : Münster 2012, S. 171-210.Franke, W. (1995). Funktion und Instrumentalisierung des Sports in der DDR: Pharmakologi¬sche Manipulationen (Doping) und die Rolle der Wissenschaft, in Enquete-Kommission (ed.) Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland: Bd. III, 2, Baden-Baden: Nomos, p. 987-1089. Fuchs, V., Hämatologische und metabolische Veränderungen bei starken körperlichen Belastungen unter dem Einfluss von Testosteron, Dissertation Freiburg i. Br. 1988.Spitzer, G. (Hrsg.): Doping in Deutschland: Geschichte, Recht, Ethik. 1950-1972 (Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf; Band 7; Hrsg. Giselher Spitzer und Elk Franke). Sportverlag Strauss, Köln, 1. Aufl. 2013.Spitzer, G. Eggers, E., Schnell, H. J., Wisniewska, Y. (Hrsg.): Siegen um jeden Preis. Doping in Deutschland: Geschichte, Recht, Ethik 1972-1990. Verlag die Werkstatt, Göttingen, 1. Aufl. 2013.Spitzer, G. (2012). Doping in der DDR. Ein historischer Überblick zu einer kon-spirativen Praxis. Köln: Sport & Buch Strauß. 4., erw. Aufl. (Erstauflage 1998).Spitzer, G. / Franke, E. (2012). Sport, Doping und Enhancement – Ergebnisse und Denkanstöße.. (Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf – Band 6.) Köln: Sportverlag Strauß.Spitzer, G. (2011). Eine doppelte Übersetzungsleistung: Das Thema Doping im Prozess der deutschen Einigung. In: Leder, Dietrich / Wagner, Hans-Ulrich (Hrsg.): Sport und Medien. Eine deutsch-deutsche Geschichte. Jahrbuch Me-dien und Geschichte, 2011. 2011 Herbert von Halem Verlag : Köln, 191-203.Spitzer, G. & Franke, E. (Hrsg.) (2010a). Sport, Doping und Enhancement – Transdisziplinäre Perspektiven (Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf, 1). Köln: Sport und Buch Strauß.Spitzer, G. (2010b). Historisch-genetische Analyse. Zweifach begründetes Dopingverbot im Sport – Zweideutigkeit im Enhancement. In Spitzer, G. & Franke, E. (Hrsg.). Sport, Doping und Enhancement – Transdisziplinäre Per-spektiven (Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf, 1). Köln: Sport und Buch Strauß, 43-75.Zusammenfassende Darstellung zum Projekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ gefördert mit Forschungsmitteln des Bundesinstituts für Sportwissenschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags. FKZ: 2509BI1904. Humboldt-Universität zu Berlin. Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 17.04.2013. 2013.http://www.bisp.de/cln_319/nn_15924/SharedDocs/Downloads/Aktuelles/Zusammenfassender__Bericht__WWU__HU,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Zusammenfassender_Be-richt_WWU_HU.pdf, letzter Zugriff 20. August 2013.

Prof. Dr. Giselher Spitzer (58) ist Sporthistoriker und als Pädagoge an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Spitzer ist unter anderem Koordinator des interdisziplinären Verbundpro-jekts „Translating Doping - Doping übersetzen“ des Bundesministeri-

ums für Bildung und Forschung. Von 2003 bis 2005 war er ständiger Gast der Kommission Prävention der NADA Deutschland. 2003 erhielt er die „Heidi-Krieger-Plakette“ für hervorragende Verdienste bei der Unterstützung von dopinggeschädigten Sportlern und der Verhinderung von Doping im Sport. Er ist als Gutachter für Zeitschriften sowie Wissenschaftseinrichtungen und -Stiftungen tätig.Weitere Informationen: Website: http://www2.hu-berlin.de/[email protected]; [email protected]

Zur Person

Foto

: Spi

tzer

94 DOPING I AUSGABE 2/2017

Doping und die Rolle der PharmaindustrieAm Beispiel von Dianabol kann das System nachgezeichnet werden, wie die chemische Industrie und Sportmedizin Dopingmittel im Sport lancieren und deren Einsatz begründen.

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Foto: I-vista / Pixelio.de 2017

Dianabol war das erste medizinsche Pop-Produkt im Lifestyle-Markt.

95DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Im Jahr 1959 brachte die Ciba AG Basel ein ana-boles Steroid unter dem Handelsnamen Dianabol auf den Markt. Die Arznei erhielt den Wirkstoff

Metandienon. Anabole Steroide sind synthetische Ab-kömmlinge des wichtigsten männlichen Sexualhor-mons Testosteron, das in den Hoden gebildet wird. Der Wirkstoff Metandienon regt die Eiweisssynthese und damit das Muskelwachstum an und wurde als stärkendes Heilmittel für die Pädiatrie und Geriatrie entwickelt. Bis 1959 galt bei den anabol wirkenden Ciba-Produkten das Steroid Perandren als Renner. Perandren kam jedoch nur in Ampullenform in den Handel. Dianabol war das erste hochwirksame ana-bole Steroid, das in Tablettenform eingenommen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte das männliche Sexual-hormon Testosteron schon eine bewegte Geschichte hinter sich. 1935 war die Struktur von Testosteron entschlüsselt worden. Weltweit an der Spitze be-fand sich auch ein Forscherteam der Eidgenössi-schen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) um Professor Leopold Ružicka. Der kroatisch-schweize-rische Chemiker und spätere Nobelpreisträger arbei-tete eng mit Ciba in Basel zusammen. Er stellte der Pharmafirma sämtliche Forschungsergebnisse über die Hormone exklusiv zur Verfügung und besass auch eine Gewinnbeteiligung beim Verkauf der Pro-dukte. Im Gegenzug finanzierte Ciba das Institut von Ružicka in Zürich. Die Aussicht, Testosteron künst-lich und in Massen zu produzieren, beflügelte da-mals die Forschung und die Industrie gleichermas-sen. Der Traum ewiger Jugend schien greifbar nah. Obwohl Nebenwirkungen nicht verborgen blieben, waren für viele Forscher «the results in appropriate cases too good to permit undue pessimism as to the value of this treatment», wie der US-Historiker John Hoberman schreibt.

Vollends fehl am Platz schien der «übertriebene Pessimismus» in kriegerischen Zeiten. Testosteron stand im Fokus nationalsozialistischer Rassenzüch-tung. Die Militärmedizin auf beiden Seiten des At-lantiks setzte Steroide zur Beschleunigung der Re-generation ein. Selbst als «Frostschutzmittel» wurde es an die Soldaten abgegeben. Die in den Berliner Schering-Werken produzierte Steroidmenge stieg zwischen 1939 und 1943 um das Dreifache an. Glei-ches galt für den Ableger von Ciba in Summit, einer Stadt im US-Bundesstaat New Jersey. Das Werk war 1936 gegründet worden und versorgte die US-Sol-

daten. Der Bakteriologe und US-Autor Paul de Kruif popularisierte schon 1945 die Idee, dass dank männ-lichen Hormonen das «Altern nicht naturnotwendig» sei. De Kruif war damals laut Verlagswerbung «der meistgelesene und einflussreichste Verfasser allge-meinmedizinischer Forschung».

Der Weg von der Kriegsmedizin über die Lifestyle-Droge in den Spitzensport war kurz. Bis Mitte der 1950er-Jahre galt das «Climacterium virile» als wich-tigste Indikation des Ciba-Testosteronpräparats Pe-randren. Das Sexualhormon führte Ciba seit 1936 im Sortiment. Weil der verfallende Körper nicht mehr dem Köperbewusstsein der Nachkriegsjahre ent-sprach, verschwanden die männlichen Wechseljahre aus dem Werbematerial der Pharmaindustrie. Der durch intensives Training gestaltete Körper wurde zu einem wichtigen Teil des (männlichen) Sub-jekts und bedeutsam für dessen soziale Identität. Im Wettrüsten der politischen Blöcke geriet der Athletenkörper zum Anschauungsmaterial na-tionaler Leistungsfähigkeit. Die Athleten selbst wurden von der aufkommenden TV-Industrie als Helden der Nation gefeiert. Dies wiederum führte zu Rückkoppelungen auf den Freizeitmarkt, was un-geahnte ökonomische Möglichkeiten eröffnete. Dia-nabol war das erste medizinische Pop-Produkt im Lifestyle-Markt.Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie anabole Ste-roide den Weg in den Sport fanden und mit welchen Strategien deren Einsatz begründet oder verschlei-ert wurde. 1 Der Prozess kann als «Machtstrategie» im Sinn der Diskursanalyse von Michel Foucault gesehen werden. Er kann aber auch als Geschichte der Verschleierung von Risiken, als Geschichte des grob fahrlässigen Umgangs der Wissenschaft und der Sportmedizin mit anerkannten Nebenwirkungen be-schrieben werden, wie der Soziologe Ulrich Beck mit seinem Konzept der «Risikogesellschaft» aufgezeigt hat. Anhand von Quellen aus dem Novartis-Archiv zeige ich, wie die chemische Industrie ein spezia-lisiertes Arzneiprodukt lancierte und im Lifestyle-Markt etablierte.2 Es handelte sich nicht um einen

1 Dieser Text geht auf ein Forschungsvorhaben zur Dopinggeschichte der Schweiz zurück. In veränderter Form ist er zuvor erschienen in: Walter Aeschimann. Dopingdiskussionen am Beispiel Dianabol (1959 - 1970). In: Traverse. 2016/1. Zeitschrift für Geschichte. Masse, Märkte und Macht in der Geschichte des Sports. S 72-84. Zürich 2016.

2 Der Autor konnte im Basler Novartis-Archiv zwei Tage ausgewähl-te Quellen einsehen und handschriftliche Notizen machen. Wie vollständig die zur Verfügung gestellten Quellen waren, ist schwer zu beurteilen.

96 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

typisch schweizerischen Diskurs. Die erwähnten Ak-teure waren bestens mit ihren ausländischen Fach-kollegen vernetzt. Deshalb kann die Geschichte von Dianabol exemplarisch für den globalen Umgang mit anabolen Steroiden und Doping in der Nachkriegs-zeit betrachtet werden.

Ein Sowjetkollege plaudert

Um die Erfindung des Wirkstoffs Metandienon ran-ken sich Gerüchte. Weit verbreitet ist eine feel good story aus dem Kalten Krieg. Der US-Arzt John Zieg-ler habe 1955 den Wirkstoff erstmals synthetisiert und die Rechte 1956 an Ciba verkauft. Die mir zur Verfügung gestellten Akten enthalten keine entspre-chenden Belege. Es scheint mir ziemlich unwahr-scheinlich, dass Ziegler der Erfinder ist. Als offizielle Entdecker teilen sich Chemiker aus den Laboratorien der Ciba Pharmaceutics Schweiz AG die Rechte. Sie gehörten zu jenem Team, das 1955 die Synthese von Metandienon im Wissenschaftsjournal Helvetica Chi-mica Acta skizzierte und als Erfinder des Patents in den USA aufgelistet ist. Die Wissenschaftler waren keine Leichtgewichte. Albert Wettstein etwa arbei-tete seit 1931 eng mit der ETHZ und dem Team um

Ruži ka zusammen. Auch wenn Ziegler als Erfinder kaum infrage kommt, spielte er eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Dianabol im olympischen Sport. Seit den frü-hen 1950er-Jahren arbeitete er im Nebenberuf für die pharmazeutische Abteilung des Ciba-Ablegers in Summit. Weil Ziegler im bekannten York Barbell Club in Silver Spring trainierte, kam er in Kontakt mit der US-Elite der Gewichtheber und der Bodybuil-der. Im Oktober 1954 begleitete er das US-Team als Mannschaftsarzt an die Gewichtheber-Weltmeister-schaften nach Wien. Dort erfuhr er gemäss dem US-Historiker John D. Fair, dass die Athleten aus der So-wjetunion Testosteron benutzen würden, «not only using straight testosterone but abusing the drugs heavily».3

Ziegler dürfte nicht besonders überrascht gewesen sein, weil US-Bodybuilder an der Westküste wohl be-reits in den späten 1940er-Jahren begonnen hatten, sich mit Testosteron zu präparieren. Ciba Summit belieferte Ziegler laut Fair schon vor 1954 mit Te-stosteron-Produkten aus den Ciba-Laboratorien für experimentelle Zwecke. Es ist nicht belegt, welche Mixturen er den Sportlern verabreicht hatte. Die Arz-neien waren über Jahre wohl nicht besonders effektiv und verlässlich. Mitte 1959 tauchte Ziegler erstmals mit den Dianabol-Pillen im York Barbell Club auf. Die Spitzenathleten waren skeptisch und lehnten die Einnahme vorerst ab. So begann Ziegler mit den Nachwuchsathleten Bill March und Tony Garcy eine Dianabol-Kur von 10 Milligramm pro Tag über mehrere Wochen. Dies war im Vergleich zu späteren Kuren eine geringe Menge. «The lifting gains were obvious: that they came from steroids was not. That tiny pink pills could make you strong was still incom-prehensible [...],» zitiert Fair einen Zeitgenossen.

Der Glaube an die «winzigen, rosaroten Pillen» nahm in der Folge rasant zu. Ziegler war die Kontrolle über deren Indikationen längst entglitten. Einmal soll er laut Fair ausgerastet sein: «‘What is it with these simple-minded shits?’ he queried. ‘I’m the doctor!’ Ziegler later noted that the York men ‘went crazy about steroids’. They gured if one pill was good, three or four would be better, and they were eating them like candy». Zieglers Engagement war nicht pri-

3 John D. Fair, «Isometrics or Steroids? Exploring New Frontiers of Strength in the Early 1960s», Journal of Sport History 20/1 (1993), 1–24.

Der Glaube an die rosaroten Pillen nahm in der Folge rasant zu.

Foto

: Klic

ker

/ Pix

elio

.de

2017

97DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

mär durch einen ökonomischen Nutzen motiviert. Er war vielmehr von der Aussicht fasziniert, olym-pische Athleten zu modellieren, er war «obsessed with the notion of creating a superman», schreibt Fair. Weil die Kenntnisse über die Anwendung von anabolen Produkten im Spitzensport noch in den Kinderschuhen steckten, funktionierten die ersten Etappen der Einführung nach dem Prinzip von trial and error. Der ehemalige Spitzenathlet Jim George, der Ziegler aus der Zeit im York Barbell Club kannte, bestätigte in einem Telefoninterview gegenüber Fair diese Einschätzung: «Ziegler was a God-damn nut. He certainly was no researcher and worked in totally uncontrolled settings.» Es gibt keinen Grund, an Fairs Ausführungen zu zwei-feln, gemäss denen Ziegler von Ciba Summit ab 1954 mit Testosteron für experimentelle Zwecke beliefert worden war. Auch wenn keine direkten Hinweise auf Zieglers Aktivitäten zu finden sind, belegen die Ciba-Akten, dass «den anabolisch wirkenden Steroiden im-mer mehr Interesse» zukomme und dass besonders «bei den nicht sexualspezifischen Indikationen sich noch vermehrte Anwendungsmöglichkeiten, vor al-lem in den U. S. A.», ergeben würden. Das mag eine Umschreibung dessen sein, was Ziegler praktizierte und wovon man in Basel mit grosser Wahrschein-lichkeit wusste. Damit wechseln wir die Perspektive. Als Ziegler Dianabol erstmals an den Muskelmassen von US-Athleten testete, forschte ein Team des phar-mazeutischen Departements der Ciba AG in Basel damit an «männlichen, erwachsenen kastrierten Rat-ten». Es kam zum Schluss, dass Dianabol als «starkes anaboles Steroid» das Muskelwachstum fördere, nur «leichte Nebeneffekte» zeige und im oralen Einsatz im Vergleich zu anderen Verbundstoffen zudem «weit effektiver» sei. Als die Resultate in der Schweizeri-schen Medizinischen Wochenschrift erschienen, war das Produkt schon auf dem Markt. Es wurde sogleich zum Verkaufserfolg. Ein Jahr nachdem Ziegler die Pillen bei US-Bodybildern eingeführt hatte, stieg der Absatz um 53 Prozent an. Hormone machten 14 Pro-zent des Gesamtumsatzes der Ciba aus. Die Hauptver-triebsländer von Dianabol wiesen die folgenden An-teile am Jahresumsatz aus: «1. USA 19,1%; 2. Frank-reich 10,4%; 3. West-Deutschland 9,1%; 4. Brasilien 8,7%; [...].» Ein halbes Jahr später lag Dianabol auf dem 5. Platz der Produktepalette im Konzernumsatz. «In Brasilien ist sein Umsatz sogar so hoch, dass be-reits zweimal der Vorrat erschöpft war», stellte die Ciba-Verkaufsabteilung fest und versuchte das Phä-

nomen soziokulturell einzuordnen: «Die Brasilianer möchten gerne dick sein, weil der Dicke in Brasilien als reicher Mann angesehen wird.»Die (Verkaufs-)Entwicklung hatte bei Ciba «alle Er-wartungen übertroffen». Man war überrascht, weil der praktizierende Arzt, «der die Nachfrage nach unseren Produkten schafft», gegenüber der Behand-lung mit Hormonen «eher skeptisch eingestellt» war. Deshalb hatte die Werbeabteilung die Definition von Dianabol zunächst «sehr sorgfältig» ausgewählt. Sie konzentrierte sich darauf, Dianabol für den Einsatz bei einem «reduzierten Allgemeinzustand» zu emp-fehlen. Die Anwendbarkeit wurde jedoch bald mit dem Motto «Man blüht wieder auf mit Dianabol / Dianabol mehr als ein Tonikum» auf den Lifestyle-Markt ausgedehnt. Die praktizierenden Ärzte waren nicht die einzigen, welche die Spezialität popula-risieren sollten. Beliebt waren auch Vertreter von internationalen Organisationen, etwa Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welt-ernährungsorganisation (FAO). Ihnen wurden «Mu-ster ins Reisegepäck» mitgegeben um «en passant Werbung für unsere Produkte bei den Regierungen zu ermöglichen».

Werbung, trotz Nebenwirkungen

Schon kurz nach der Lancierung des Produkts dis-kutierte die Pharma-Informationsabteilung starke Nebenwirkungen: etwa Störungen der Leberfunktio-nen bei Mann und Frau, Rückbildung der Hoden bei Männern oder «androgyne Effekte (Tieferwerden der Stimme), Zyklusstörungen und Akne bei der Frau». Dabei handle es sich um «Erscheinungen, die sich auch nach Absetzen des Präparats nicht zurückbil-den» würden. Ciba wollte die Zyklusstörungen nicht durch eine Absetzung vor der Menstruation beheben, «da man damit den Hormoncharakter des Präparates zu stark unterschreiben würde». Man beschloss aus «psychologischen Gründen» das Problem «durch die Wahl der richtigen Dosierung» zu lösen. Die zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen hinderten Ciba nicht daran, das Produkt weiterhin im grossen Stil zu be-werben. Die Firma erreichte gar, dass die Behörden in der Schweiz «bis zu einer Dosierung von 3 mg pro Tag» den freien Verkauf in Apotheken bewilligten, «als erstes Tonikum auf anaboler Basis». Um selbst Kinderärzte von Dianabol zu überzeugen, diskutierte Ciba auch die Produktion in Tropfenform. Aus den Novartis-Dokumenten geht vorerst kein

98 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

direkter Zusammenhang zwischen Dianabol und dem Hochleistungssport hervor. Dass Ciba früh den Kontakt mit dem Spitzensport forcierte, lässt sich jedoch belegen. Das Unternehmen hatte anlässlich der Olympischen Winterspiele 1928 in St. Moritz den Schweizer Sportmediziner Wilhelm Knoll gratis mit Coramin beliefert.4 Coramin ist der Handelsname des Wirkstoffs Nicethamid aus der Gruppe der Ana-leptika. Es wirkt stimulierend auf Kreislauf, Nerven-system und Atmung und wurde 1924 in den Ciba-Laboratorien synthetisiert. An Coramin entzündeten sich unter den Experten in den 1930er-Jahren frühe Dopingdiskussionen.5 1957 verfasste die Ciba-Werbe-abteilung «ein sportärztlich-therapeutisches Vade-mekum für den Praktiker [...], wobei CIBA-Präparate angemessen berücksichtigt» werden sollten. Für eine Testreihe belieferte Ciba 1967 die Forschungsabtei-lung der Eidgenössischen Turn- und Sportschule in Magglingen gratis mit Dianabol. Dafür dankte das Institut in der Einleitung zum Testbericht «Ciba Basel für die freundliche Zurverfügungstellung der Dianabol- und Placebotabletten».

Erst im Juli 1968 nahm sich der Verkaufs- und Wer-beausschuss in Basel offiziell dem Thema «Dianabol bei Sportlern» an. Die «internationale Fachpresse» habe berichtet, «dass die Anwendung von Anabolika bei angemessener Ernährung und adäquatem Trai-ning bei Gesunden die Entwicklung der Muskulatur und damit die sportliche Leistungsfähigkeit zu stei-gern» vermöge. Zehn Jahre nach ersten Studien mit Anabolika im Sport, acht Jahre nach ersten Experi-menten von Ciba Summit in der US-Gewichthebers-zene mit Dianabol und ein Jahr nach einer Testreihe am Sportinstitut in Magglingen mutet es seltsam an, dass man erst aus der Fachpresse vom Phänomen der Leistungssteigerung erfahren haben will. Ciba rea-gierte viel eher, weil sich Doping im Spitzensport nicht mehr leugnen liess und zunehmend öffentli-che Aufmerksamkeit erlangte. Wirkungsmächtig am 13. Juli 1967, als der englische Radprofessional Tom Simpson an der Tour de France im Aufstieg zum Mont Ventoux vom Rennrad kippte und dies Millionen Zu-

4 Wilhelm Knoll war ein Schweizer Pionier der Sportmedizin und erster Präsident der Internationalen Sportärztevereinigung. Von 1929-1945 war er ausserordentlicher Professor des Instituts für Leibesübungen in Hamburg. Ab 1933 war er aktives Mitglied der NSDAP. Er half nach seiner Flucht aus Deutschland in der Nachkriegszeit die Eidgenössi-sche Sporthochschule in Magglingen aufzubauen.

5 Walter Aeschimann. Erste Dopingdiskussionen in der Schweiz an den Beispielen Coramin, Cardiazol und Pervitin (1925 - 1945). In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte. Vol. 67. 2017. Nr. 1. S. 59 - 78. Basel 2017.

schauer live am TV mitverfolgten. Die Obduktion er-gab, dass Simpson an einem Cocktail verschiedener Aufputschmittel starb. Die Hoheit über den Diskursverlauf schien der che-mischen Industrie und den involvierten Sportakteu-ren zu entgleiten. Die «Materialität» eines Doping-diskurses in der Öffentlichkeit wurde nun «bedroh-lich, [...] sein unberechenbar Ereignishaftes» war kaum zu bändigen, wie der französische Soziologe Michel Foucault die Struktur von Diskursverläufen beschrieb. Die Ciba-Werbeabteilung verfasste «für interne Zwecke sowie zur Orientierung des Aussen-dienstes ein Exposé», das Richtlinien für «allfällige Anfragen der Laienpresse» enthielt und eine einheit-liche Beantwortung definierte. Bei der Frage, ob die «Behandlung» mit Dianabol unter den Begriff «Do-ping» falle, stellte man sich auf den Standpunkt, dass die «Verantwortung über eine derartige Konditionie-rung von Sportlern [...] letzten Endes dem zuständi-gen Sportarzt überlassen bleiben» soll.Überwacht wurde die Strategie von Peter Imhof. Er war sowohl Ciba-Wissenschaftler als auch Mitglied der medizinischen Kommission des Schweizeri-schen Landesverbands für Sport (SLS). So war es nicht erstaunlich, dass er anlässlich eines Vortrags am Fortbildungskurs der Schweizerischen Gesell-schaft für Sportmedizin in Magglingen die Sprachre-gelung von Ciba vertrat: «Bis die zuständigen Sport-behörden zu diesem neuen und zunehmend bedeu-tungsvollen Problem auf internationaler Ebene klar Stellung bezogen haben, muss der Entscheid, ob einem Athleten ein anaboles Steroid verabreicht werden soll oder nicht, letzten Endes dem zustän-digen Sportarzt vorbehalten bleiben, der auch die Verantwortung für die korrekte Durchführung der Behandlung zu tragen hat.»Nur einen Monat nachdem die Werbe- und Verkaufs-abteilung der Ciba ihr Vorgehen skizziert hatte, er-schien im Sport, damals eine europaweit angesehene Schweizer Sportzeitschrift, ein Artikel mit dem Titel «Die Wunderdroge?». Verfasser war der Schweizer Sportmediziner Gottfried Schönholzer.6 «Dianabol», schrieb er im Sport, «erfüllt die üblichen Voraus-setzungen, um als Doping bezeichnet werden zu können, seinem Wesen nach nur sehr lückenhaft.» Später differenzierte er diese Ansicht in der Zeit-

6 Gottfried Schönholzer war als internationale Kapazität bestens vernetzt mit den ausländischen Fachkollegen und der chemischen Industrie. So war er etwa erster Leiter des Forschungsinstituts in Magglingen, Leiter der Medizinischen Abteilung der Olympischen Spiele 1972 in München und somit oberster Dopingkontrolleur und Mitglied der Medizinischen Kommission der FIFA.

99DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

schrift Hippokrates: «Wir sprechen hier von der be-wusst versuchten Leistungssteigerung kurz vor und während des Wettkampfes und nicht von den Vor-bereitungsmassnahmen auf längere Sicht», weil es «ins Unkontrollierbare führen würde, wenn sie als Doping erklärt und damit strafbar würden.» Joseph Keul, deutscher Sportmediziner von internationalem Ruf und befreundet mit Schönholzer, vertrat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zwei Jahre später die gleiche Auffassung: Durch den Einsatz von ana-bolen Steroiden sei «keine kurzfristige und rasch vorübergehende Leistungssteigerung zu erzielen, während ja Dopingmittel in der Absicht genommen werden, die Leistung kurzfristig für den Wettkampf zu verbessern».Die Ansicht von führenden Sportmedizinern galt als Lehrmeinung. Sie monopolisierten die Diskussion, äusserten sich in den Medien, betreuten die Spitze-nathleten und sassen in den Gremien der interna-tionalen Sportverbände, die über Dopingdefinitionen und Antidopingkonzepte berieten. Dabei schützte sie der Expertenstatus einer neuen Fachwissenschaft vor der kritischen Bewertung eines Laienpublikums. In einer Definition des Europarats aus dem Jahr 1963 wurde Doping vorerst seinem Wesen nach bestimmt. Doping sei «die Verabreichung oder der Gebrauch

körperfremder Substanzen in jeder Form und phy-siologischer Substanzen in abnormaler Form oder auf abnormalem Weg an gesunde Personen mit dem einzigen Ziel der künstlichen und unfairen Steige-rung der Leistung für den Wettkampf». Eine Wesens-bestimmung ist rechtlich nicht haltbar. 1967 publizierte das Internationale Olympische Komitee (IOC) erstmals eine Liste mit verbotenen Produkten. Auf ihr standen Amphetamine und Mor-phine, die nur unmittelbar vor oder während des Wettkampfs wirksam waren. Anabole Steroide fehl-ten. Dies hatte gute Gründe. Die chemische Industrie und ihre Vertreter in Sportmedizin, Sport und Politik hatten ein vitales Interesse daran, die Sprachrege-lung, dass nur kurzfristig eingenommene Medika-mente Doping seien, möglichst lange aufrechtzuer-halten. Denn anabole Steroide eröffneten völlig neue Möglichkeiten. Die Leistung konnte nun Wochen zu-vor gesteigert und auf dem entsprechenden Niveau gehalten werden.

Verschleierungsstrategien

Dopingdefinitionen flexibel zu gestalten war eine Stra-tegie, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Eine andere war es, die Wirksamkeit einer Arznei kleinzureden.

1967 publizierte das IOC erstmals eine Liste mit verbotenen Produkten. Anabole Steroide fehlten.

Foto

: And

rea

Dam

m /

Pixe

lio.d

e 20

17

100 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Der deutsche Wissenschaftler Theodor Hettinger untersuchte 1958 womöglich als Erster «Die Wirkung des Testoste-rons auf Muskulatur und Kreislauf». Er stellte eine Zunahme der Fahrzeit im Amplituden-Pulsfrequenz-Test von «annähernd 50% des Ausgangswertes» fest. Spätestens 1964 muss Schön-holzer die Hettinger-Studie bekannt gewesen sein. Er war damals mit Het-tinger Fachreferent am internationa-len Unesco-Dopingseminar in Belgien. Schönholzer sprach zur Psychologie des Dopens, Hettinger über seine Stu-die.Auch die Ergebnisse aus den Labors in Magglingen erlaubten keinen Zweifel an der Wirksamkeit von Dianabol. An der Studie hatten 16 Kandidaten aus Turnlehrerkursen in Basel und Zürich teilgenom-men. Sie erhielten 1967 täglich 10 Milligramm Dia-nabol, weitere 16 ein Placebo. Zudem erhielten drei intensiv trainierende Sportler während 20 Tagen täg-lich zwei Mal 15 Milligramm Dianabol. «Gesamthaft betrachtet bestehen zwischen den Untersuchungen vor und nach der Medikamentenabgabe signifikante Unterschiede. [...] Alle drei Athleten erzielten in den Wettkämpfen der Sommersaison 1967 sehr we-sentliche Leistungsverbesserungen mit erheblich gesteigerter persönlicher Bestleistung», lautete der Befund. Trotzdem schrieb Schönholzer im bereits erwähnten Sport-Artikel von 1968 über die gleiche Studie: «Eine durch uns durchgeführte Versuchs-reihe [...] führte im Durchschnitt zu keinen sicher positiven Ergebnissen.» Zu diesem Zeitpunkt geriet die ökonomische Erfolgs-geschichte von Dianabol ins Stocken. Weit dramati-scher war jedoch, dass Dianabol unterdessen als Syn-onym für anabole Steroide wahrgenommen wurde. Die Dopingdiskussionen um anabole Präparate dreh-ten sich zum Leidwesen von Schönholzer und der che-mischen Industrie nur noch um Dianabol, obwohl es zahlreiche ähnlich unterstützende Mittel gebe, «von denen kaum gesprochen wird». Brigitte Berendonk setzte in ihrem Aufschrei in der Wochenzeitung Die Zeit Dianabol gar mit Doping gleich. «Dianaboliker aller Länder vereinigt euch!», schrieb die ehemalige DDR- und BRD-Leistungssportlerin 1969 und sprach alle HochleistungssportlerInnen an.1982 nahm Ciba-Geigy AG das anabole Steroid Diana-

bol vom Markt. Die Firma begründete die Massnahme gegenüber dem deutschen Molekularbiologen Wer-ner Franke mit einem «nicht ausreichenden thera-peutischen Nutzen». In einem Telefongespräch mit dem Autor dieses Textes vertrat Hans Howald, Sport-wissenschaftler und damals Leiter des Forschungsin-stituts in Magglingen, eine andere Ansicht. Er habe der Basler Chemiefirma empfohlen, die Produktion von Dianabol aus «Imagegründen» einzustellen. Howald war Nachfolger von Schönholzer am For-schungsinstitut in Magglingen und beriet auch in-ternationale Sportkommissionen- und Gremien. Ende der 1980er-Jahre wurde er von seinem Amt als Institutsleiter enthoben. Er hatte sich geweigert, die Dopingpraktiken bei den Schweizer Sportverbänden weiter mitzutragen. Zum ersten Eklat kam es schon 1975. Howald hatte eine Analysemethode zum Nach-weis von Anabolika entwickelt. Die Mediziner der Schweizer Sportverbände reagierten hoch erfreut. Nicht etwa, weil Anabolika entlarvt werden konnte, wie Howald beabsichtigt hatte. Sondern weil die Spitzenathleten nun einem «screening» unterzogen werden konnten, bevor sie in den Wettkampf gingen.Die Zustände an der Sporthochschule Magglingen oberhalb von Biel waren im Grunde untragbar. In einen Raum wurde wissenschaftliche Forschung be-trieben. Nebenan dopten Ärzte die Spitzensportler und ein Zimmer weiter befand sich das erste Doping-Analyselabor der Schweiz. Die offiziellen Sportbehör-den sahen das umgekehrt. Für sie war das eine ein-malig günstige Konstellation, um Spitzenathleten

1982 wurde das anabole Steroid Dianabol vom Markt genommen.

Foto

: Jet

ti K

uhle

man

n / P

ixel

io.d

e 20

17

101DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

herzurichten. Werner Günthör wurde zum Muster-fall. Der Schweizer Kugelstösser, Weltmeister und Olympia-Medaillengewinner lebte und trainierte in Magglingen. Er wurde ab 1984 über Jahre und regel-mässig mehrwöchigen «Behandlungen» mit Anabo-lika unterzogen. Dies hatte der Spiegel im März 1990 publik gemacht. Das Magazin berief sich auf eine wis-senschaftliche Studie von Norbert Wolf von 1989, die geheim bleiben sollte. In dieser Studie wurden auch Dopingpraktiken der deutschen Konkurrenten Kal-man Konya und Claus-Dieter Föhrenbach erwähnt.

Wenige Tage nachdem der Spiegeltext erschienen war, traf sich Günthörs Coach Jean-Pierre Egger in einem Baseler Hotel mit Rechtsanwälten und dem Autor der Studie, um eine einvernehmliche Sprachregelung zu treffen und die undichte Stelle auszuloten. Olym-piaarzt Bernhard Segesser rechtfertigte sich später öffentlich mit einer «medizinisch-therapeutischen Indikation», die Schweizer Sonderlösung. Kurz da-nach verlangte Magglingens Direktor Heinz Keller per Brief vom unterdessen suspendierten Institutslei-ter Howald die Herausgabe «Deiner Informationen». Bei Howald vermutete er die undichte Stelle. Howald antwortete seinem ehemaligen Vorgesetzten: «Prin-zipiell habe ich mich an Deine Anordnung gehalten, wonach die uns damals von Herrn Egger vermit-telten Informationen über regelmäßige Anabolika-,Behandlungen‘ im Falle Günthör geheimzuhalten seien.» In Weil am Rhein kam es zu einem weiteren Treffen. Aus Deutschland waren die Sportler Konya und Föhrenbach, der ehemalige Bundestrainer Wer-ner Heger und Klaus Zorn als juristischer Berater

angereist. Auf Schweizer Seite war neben Günthör und Egger auch der Leitathletik-Verbandspräsident Georg Kennel dabei. Das einzige Interesse von Ken-nel sei gewesen, wie man die ganze Geschichte am besten «unter den Tisch kehren» kann, erzählt ein Insider.

Im Juli 1992 erschien im Spiegel ein weiterer Arti-kel. Das Magazin publizierte oben erwähnte Treffen, den Briefwechsel zwischen Keller und Howald und bezichtigte die Schweizer Sportbehörden der «sy-stematischen Vertuschung». Im Oktober 1992 veröf-fentlichte der Autor dieses Textes eine Recherche im Sport, in der die Vertuschungspraktiken von positi-ven Dopingproben im Schweizer Sport nachgezeich-net wurden. Eine durch die informelle Arbeitsgruppe «Sport Schweiz» eingesetzte Dopinguntersuchungs-kommission (DUK) sollte klären, wie «derartige Vor-kommnisse künftig vermieden werden können».7 Mit Vorkommnissen waren nicht etwa die Dopingprak-tiken gemeint, sondern deren Aufdeckung. Es ging darum abzuklären, wie Dopingpraktiken effektiver geheim gehalten werden können. Die Empfehlung lautete, eine «zentrale Informationsstelle» zu schaf-fen, um das Wissen besser zu kontrollieren.

Sekretär der DUK-Kommission war Matthias Kam-ber. Der gelernte Biochemiker arbeitete zuvor im Dopinglabor von Magglingen. Kamber war zuständig für die Analysen der Dopingproben. Zur gleichen Zeit lebte und trainierte auch Günthor in Magglingens Sportanlagen. Nachdem die Magglinger-Dopingprak-tiken aufgeflogen waren, trennte das Bundesamt für Sport (BASPO) aus taktischen Gründen Dopingkon-sum und Dopinganalyse. Es löste das Labor in Magg-lingen auf und gründete 1992 eine Niederlassung in Lausanne. Kamber war nun ohne Funktion, aber Geheimnisträger. Er wurde Leiter des Fachbereichs Dopingbekämpfung (FDBK) im BASPO und Mitglied der Fachkommission für Dopingbekämpfung von Swiss Olympic. Als Leiter der Projektgruppe zur Gründung der Stiftung Antidoping Schweiz hatte er wesentlichen Anteil an dessen Ausgestaltung. 2007 wurde ihm auf Wunsch von Swiss Olympic der Posten als Direktor anvertraut. Das Wissen und der Doping-diskurs im Schweizer Sport werden seither zentral kontrolliert.

7 DUK-Bericht vom 25.5.1993 auf: http://www.antidoping.ch/de/allge-mein/news/bericht-doping-untersuchungskommission-1993. Zugriff am 11.5.2017.

Lic phil Walter Aeschi-mann ist freier Historiker, Publizist und Filmer und lebt in Zürich. Er studierte Geschichte und Germanistik an der Univer-sität in Zürich und arbeitete jahrelang als Redaktor beim Schweizer Nachrichtenmaga-zin Facts und beim Schweizer Fernsehen. Seine Forschungs-Schwerpunkte sind im Bereich

Sport, Körper und Leistungssteigerung angesiedelt. Seit Jahren publiziert er regelmässig über sportpoli-tische Belange in der Neuen Zürcher Zeitung. Derzeit forscht er über Teilbereiche der Dopinggeschichte in der Schweiz.

Zur Person

Foto: Aeschimann 2017

102 DOPING I AUSGABE 2/2017

Anabolika im SportDer Arzt als Erfüllungsgehilfe des Sportfunktionärs Leichtfertige Verniedlichung von Nebenwirkungen1

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

In der in der Öffentlichkeit anhaltenden Diskussion um das Ausmaß und die Bewertung der Verabreichung von anabolen Steroidhormonen an Sportler und Sportle-

rinnen (Medical Tribune Nr. 13, 19772) ist der Arzt und der in der medizinisch-biologischen Forschung tätige Wissenschaftler in zweierlei Hinsicht zu einer deutlichen Stellungnahme aufgerufen. Da ist einmal das Selbstver-ständnis des Arztes bzw. des Wissenschaftlers mit dem An-sinnen einiger Kreise unserer Gesellschaft konfrontiert, hormonelle Medikamente für irgendwelche außermedizi-nischen Zwecke zu verschreiben und zu entwickeln. Zum

anderen gilt es, einer breit angelegten Kampagne zur Po-pularisierung dieser Praktiken entgegenzutreten, bei der die bekannten wie die möglichen Nebenwirkungen dieser Mittel leichtfertig verharmlost werden.

Nach Ansicht einer kleinen, in einigen Sportverbänden aber einflussreichen Gruppe von Sportmedizinern, angeführt von Prof. Dr. J. Keul (Freiburg) und Prof. Dr. W. Hollmann (Köln), sollten gesunden Menschen - lediglich auf ihren Wunsch hin - zum Zweck der sportlichen Leistungsstei-gerung androgene-anabole Steroidpräparate verabreicht werden, ohne jede medizinische Indikation, ohne jede angemessene Güterabwägung und gegen die Regeln der olympischen Sportarten selbst, in denen diese Präparate als Dopingmittel eingestuft und verboten sind. Hier de-gradieren sich Ärzte offensichtlich nicht nur zu „Gefällig-keitsverschreibern“, sondern sie machen sich auch noch zu Helfern und Helfershelfern eines Betruges, eines Ver-stoßes gegen die - ironischerweise z. T. unter Beteiligung eben dieser Mediziner ausgearbeiteten - Regeln. Wie von Dr. B. Segesser (Basel) in seinem Beitrag ja schon angedeu-tet wurde, sehen einige dieser Sportmediziner sogar ihre Aufgabe darin, den Athleten Kenntnisse über die jeweiligen Dopingkontrollen und ihre Erfassungsmöglichkeiten zu-kommen zu lassen, so dass sie umgangen werden können, u. U. auch durch „Überbrückung“ mit reinem Testosteron (vgl. dazu auch die haarsträubenden, offenen Bekenntnisse des Vize-Europameisters im 200-m-Sprint, Manfred Om-mer, in der WELT vom 15. 3. 1977). Diese - wahrscheinlich aus dem Wunsch nach (indirektem) Teilhaben am sportli-chen Erfolg zu verstehende - Selbstdegradierung zum Be-trugskomplizen hat nun wirklich mit „Heilkunst“ nichts mehr zu tun und sollte die entschiedene Missbilligung des Ärztestandes wie der Wissenschaft erfahren. Prof. Dr. H. Reindell, Nestor der deutschen Sportmedizin und Präsi-dent des deutschen Sportärzteverbandes, erklärte denn auch kürzlich: „Wer die Einnahme von Anabolika befür-wortet, ist kein Arzt mehr!“ Ein Satz, der hoffentlich auch von seinen früheren Schülern gehört und beherzigt wird!

1 Bei diesem Artikel Werner Frankes handelt es sich um einen historisch wichtigen Artikel, der in „Medical Tribune“ am 22.4.1977 veröffentlicht wurde.

Karikatur: Andreas Krieger

103DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Prof. T. B. Schwartz (Chicago) fand in einem Kommentar der neuesten Ausgabe des von ihm herausgegebenen Jahr-buchs der Endokrinologie nur noch eine Bezeichnung für die Gabe von Anabolika im Sport: „Obszön!“

Besonders bedenklich scheint aber in diesem Zusammen-hang die von den Befürwortern und Praktikern des Dopings mit Anabolika systematisch wiederholte Behauptung von der medizinischen Unbedenklichkeit dieser Präparate zu sein, eine Behauptung, die eben auch durch stereotype Wiederholung nicht richtiger wird. Die einschlägigen pharmakologischen Standardwerke (stellvertretend seien hier nur genannt: The United State Dispensatory, Meyler‘s Side Effects of Drugs, Marlindale – The Extra Pharmaco-poeia, The Pharmacological Basis of Therapeutics) weisen über viele Seiten auf negative Nebenwirkungen hin. Dabei ist bei einer Wertung der Nebenwirkungen im Falle des Einsatzes bei gesunden Personen natürlich mit besonderer Strenge davon auszugehen, dass hier eben keine medizini-sche, nicht einmal eine zwingende psychische oder soziale Indikation vorliegt. Da also bei der Medikation hier kein medizinisch relevanter Nutzen zu erwarten ist, bleibt nur mehr das Risiko der Behandlung zu diskutieren. Nun sind aber Steroidhormone keine Zuckerstangen! Von den vielen in der Literatur behandelten Nebenwirkungen, darunter auch solche, die bei Sportlern festgestellt wurden (darun-ter auch „kleinere“ Nebenwirkungen; vgl. z.B. D. I. J. Freed et al., Br. Med. J., 1975, 2. 471), seien hier nur einige etwas ausführlicher erwähnt und besprochen.

1. Funktionsstörungen und Schädigungen der Leber

Aus medizinischer Sicht muss auf das Schärfste gegen die Bagatellisierung der Cholestase und der Hemmung der Exkretion und Sekretion protestiert werden, die nach Gabe - z.T. auch bei recht geringen Dosen von C3-Keto- und besonders nach CI7- -alkylierten Androge-nen auftritt. Wie hier die Praxis des Spitzensports in der Bundesrepublik aussieht, mag man vielleicht aus einer Bemerkung in einer (im übrigen methodologisch recht insuffizienten) Untersuchung der Freiburger Sportme-

diziner selbst ersehen, die z. B. bei einer „Zufallsprobe“ von 57 Sportlern, die zugaben, Anabolika genommen zu haben, folgenden Befund erhoben: „Schädigung bzw. Funktionsstörungen wurden bei 31 Sportlern nach oral verabreichten Steroiden beobachtet“ (J. Keul, B. Deus und W. Kindermann, Med. Klin. 71, 497, 1976). Fürwahr, eine groteske Art von Sport: 54% einer Stich-probe von Anabolika-Abhängigen sind krank, mit bis zu 2,6 mg % Bilirubin und Transaminasen bis zum Zehnfachen des oberen Normbereiches! Aus dem Rückgang dieser Werte nach Absetzen der Präparate binnen einiger Wochen wird dann (leider ein weitverbreiteter Euphemismus!) ge-schlossen, „dass es sich wahrscheinlich (1) um eine re-versible Funktionsstörung der Leber gehandelt hat“. Die weitverbreitete Leichtfertigkeit im zyklischen An- und Ab-setzen von Anabolika bei Sportlern wie bei der Interpreta-tion der beobachteten, aber völlig unzureichend analysier-ten Hepatozyten-Läsionen ist fachlich abzulehnen. Wenn nach einem begrenzten Waldbrand kein Rauch mehr zu sehen ist, würde wohl nur ein Narr auf eine Reversibilität des Feuerschadens schließen!

Eine arzneimittelbedingte Cholestase ist durchaus sehr ernst zu nehmen, und kein Sportmediziner sollte sich einbilden, solche – häufig auch individuell sehr verschie-denen - Pathogenesen „steuern“ zu können bzw. allein aus schlichten Routine-Labordaten das Ausmaß der zellulären Schäden mit Sicherheit abschätzen zu können. Wer der-artige Präparate an gesunde Personen verabreicht, dem gehört wirklich der Satz von Prof. H. Popper (New York) ins Stammbuch geschrieben: „Längerdauernde Cholestase extra- und intrahepatischer Ursache bewirkt Leberzellde-generation und -nekrose!“ Das Herbeiführen einer Chole-stase oder Exkretionsstörung aus „sportlicher Indikation“ ist somit als grob fahrlässig anzusehen. Dies um so mehr, als nicht nur der durch Steroide herbeigeführte cholestali-sche Zustand - durch den Detergenz-Effekt der Gallensäu-ren - sondern möglicherweise auch die direkte Interaktion einiger dieser Steroide mit der Plasmamembran bzw. dem endoplasmatischen Retikulum zur Schädigung von Mem-branstrukturen und -funktionen (bis hin zur Membrano-lyse) beiträgt (vgl. z. B. die Anthologie „Pathogenesis and

2 „Medical Tribune, Ausgabe für Österreich“ am 22. April 1977 (Jg. 12, Nr.16). In einer Replik auf diesen Artikel (Nr.32) warfen die Sportmedi-ziner Keul und Kindermann Franke „teilweise pseudowissenschaftliche Argumentation“ und „nicht fundierte Angriffe gegen unbescholtene Ärz-te“ vor und behaupteten, dass „nahezu alle deutschen Ärzte“ gegen die Einnahme von anabolen Steroiden seien. Nebenwirkungen im Leberbe-reich, auf die Franke ausdrücklich hingewiesen hatte, seien „reversible Funktionsstörungen“. Es sei in „keinem einzigen Fall belegt, daß anabo-le Steroide bei gesunden Menschen einen Lebertumor induzieren.“

Sie lehnten ausdrücklich die Verwendung von anabolen Steroiden ab; zumindest für Keul wissen wir dies heute besser (vgl. Singler/Treutlein 2017 – Gutachten zu Keul). Franke erwiderte, Keul und Kindermann seien keine Vorkämpfer des Verbots von Anabolika. Er empfahl ihnen biologischen Nachhilfeunterricht, um seine Argumentation und die Zusammenhänge besser verstehen zu können: Franke, der des Öfteren als sportmedizinischer Laie bezeichnet wurde, war der überlegene Wis-senschaftler, er wusste es besser als Keul, Kindermann und so manche andere sportmedizinische Größe.

104 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Mechanisms of Liver Cell Necrosis“, ed. D. Keppler, MTP Press Ltd., 1975). Die Interferenz solcher Steroide mit den Hydroxylierungs- und Demethylierungssystemen der Leber allein sollte einen schon davon abhalten, ohne Not mit Steroiden im Organismus „herumzufummeln“. Ganz zu schweigen von den Problemen und Komplikationen, die sich für Anabolika-Konsumenten etwa bei starkem Alkohol-Konsum (das ist bei einigen Sportlern ja nicht gerade selten!), bei plötzlich erforderlicher Medikation (z. B. mit bestimmten Antibiotika) mit hepatotoxischen Sub-stanzen, bei einer Narkose-Behandlung etc. ergeben. Hier wird der Sportarzt wohl kaum immer in der Nähe aller po-tentiell Gefährdeten sein können, und einen „Anaboliker-Pass“ gibt es ja wohl noch nicht!

2. Verdacht auf Beteiligung von androgen-anabolen Hormonen

In den letzten Jahren hat sich der Verdacht gebildet, bestimmt hormonelle Komponenten könnten zur Ent-stehung von benignen und malignen Hepatomen sowie der (aus gutem Grund damit vielfach im Zusammen-hang diskutierten) eigentlich seltenen Peliosis hepatis beitragen (Übersichten z. B. bei S. Goldfarb, Cancer Res. 36,2584.1976; F. L.Johnson, in: Hepatocellular Carcinoma, K. Okuda and R. l. Peters, eds.; Wiley & Sons, New Vork). Diese Befürchtung stützt sich keineswegs nur auf Fälle bei der Androgen-Therapie von schweren Grundkrankheiten anämischer Natur, sondern auch auf Beispiele aus der The-rapie von z. B. Osteoporosen, Kryptorchismus, Pankreati-tis, Ilypopituitarismus etc. Besonders eigentümlich muten hier Angaben über eine direkte Androgen-Abhängigkeit des Tumorwachstums in einigen dieser Fälle an. Die ganze Problematik scheint ferner in einem interessanten Zusam-menhang mit Berichten über gehäuftes Auftreten von He-patomen und Peliosis hepatis nach langjähriger Einnahme bestimmten Kontrazeptiva zu stehen, über die ja auch in dieser Zeitschrift schon berichtet worden ist. Und nicht zuletzt ist es eine alte Erfahrung aus Tierversuchen, dass ein androgenes Hormonmilieu die Entwicklung bestimm-ter Hepatome fördern kann. Bezeichnenderweise fallen ja auch die androgen-anabolen Progestagengen-Komponen-ten einiger Kontrazeptiv (Norethynodrel, Norethisteron) im Tierversuch durch hohe Hepatombildungsrate, und zwar vor allem bei männlichen Tieren (!), auf (vgl. die ent-sprechende Studie des britischen Committee on Safety of Medicines, 1972). Der Ernst, mit dem diese Thematik z. B., in der medizinischen Wissenschaft behandelt wird, durch-aus auch im Zusammenhang mit der unter Steroid-Gaben gestörten Exkretion (s. o.), sollte einige der oben erwähn-

ten Sportmediziner doch verstummen lassen. Jedenfalls geben mehrere der damit befassten Nicht-Sport-Mediziner öffentlich den ausdrücklichen Rat, androgene-anabole Hormonpräparate nicht ohne strenge Indikation einzu-setzen, schon gar nicht im Sport. Die bekanntermaßen langen Entwicklungszeiten solcher Hepatome und auch die gerade begonnenen langfristigen Tierversuchsreihen (z. B. im Deutschen Krebsforschungszentrum) lassen üb-rigens eine Klärung dieser Frage in den nächsten Jahren noch nicht erwarten.

3. Antigonadotrope Wirkungen

Pauschale Bemerkungen, die androgene-anabole Hor-monpräparate von Nebenwirkungen auf Hypophysen-funktion, Funktionen der Sertoli-Zellen, der Leydig-Zellen und des Epididymisepithels, auf Spermata- und Spermiogenese „freisprechen“ wollen (vgl. Med. Tribune Nr. 12), können fachlich nicht ernst genommen werden. Die z. Z, immer noch sehr häufig an Sportler verabreich-ten 17- -alkylierten Androgene haben allesamt eine sol-che inhibierende Wirkung (Übersicht z. B. bei H. Jackson and A. R. Jones, in: Adv. Steroid Biochem. harrnacol., pp. 167, 1972). In ihrer jüngsten eingehenden Unter-suchung fanden P. Halma und H. Adlercreutz (Acta en-docrin. 83, 856, 1976) nach Verabreichung von nur 15 mg Metandienon (syn. Metandrostenolon) an finnische Athleten im Plasma eine Abnahme des Testosterons um 69 % und des LH und FSH um je 50 %. Das entspricht auch Beobachtungen anderer Autoren bei Vergabe von höheren Tagesdosen (z. B. Kilshawet al., Clin. Endocri-nol. 4, 536, 1975; Hervey et al.. Lancel 1976, 2. 699). Die einzige Androgen-Verbindung, für die eine erstaunlich geringe antigonadotrope Wirkung (nur ca. 23 % Sen-kung des Plasma-Testosterons) als hinreichend gesichert gelten kann, ist Mesterolon, das jedoch nur bescheidene anabole Effekte aufweist. Selbst bei den Metenolon-Es-tern sind in diesem Punkt noch Abstriche in der Quali-tät der Literaturbelege zu machen. Das Fehlen solider Langzeit-Untersuchungen auf diesem Gebiet wird in der pharmakologischen Literatur ausdrücklich bemängelt.

4. Negative Effekte auf den Thymus

Androgene haben allgemein einen hemmenden Effekt auf den Thyrnos, insbesondere führen sie zu einer Verküm-merung des epithelialen Retikulums. Die nicht selten beobachtete Anfälligkeit von Athleten bestimmter Kraft-sportarten gegenüber Infekten könnte hier durchaus ihre Ursache haben. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung

105DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

dieses Aspekts fordern Fachleute systematische Untersu-chung der Wirkung androgener-anaboler Präparate auf die Thymusfunktion von Sportlern (70. B. J. Ahlqvist, Acta en-docrinol. suppl. 206, 1976).

5. Virilisierungserscheinungen bei Frauen und Mädchen

Die allseits bekannten, z.T. drastischen und irreversib-len Virilisierungserscheinungen, die bei Verabreichung androgen-anaboler Präparate an Frauen und Mädchen beobachtet, in jedem Falle aber riskiert werden, erfor-dern auch im klinischen Bereich eine Beschränkung auf streng gestellte Indikation. Dass es Sportmediziner gibt, die auch hier verharmlosen und diese Effekte als „soziale“ Probleme versieben („im Osten kommen Frauen auch mit tiefen Stimmen durch den Alltag“) wie Dr. W. Kindermann (Freiburg) und Dr. A. Mader (Köln) kann beim verantwor-tungsbewussten Arzt und Wissenschaftler nur noch Kopf-schütteln erregen, mehr nicht.Diese Reihe der ernstzunehmenden, schädlichen Neben-wirkungen ließe sich leicht noch um ein Dutzend fort-setzen. Aber das Vorstehende mag auch so bereits ausrei-chen, um die Verharmlosungskampagne der Anabolika-Verabreichung an Sportler als das zu entlarven, was es letztlich ist, eine fachlich nicht haltbare Propaganda-Ak-tion. Dass in der Tat bei einigen der von Sportmedizinern durchgeführten Untersuchungen keine oder nur geringe Nebenwirkungen gefunden wurden, überrascht bei nähe-rer Betrachtung dieser Arbeiten kaum. Hier gilt einmal mehr die alte Waldbauern-Regel: Wer im Buchenwald sucht, darf sich nicht wundern, wenn er keine Eicheln findet! Auch das häufig von dieser Seite der Sportmedizin gebrauchte Argument, sie seien ja gewissermaßen aus Verantwortung gezwungen, dem Athleten diese Mittel zu geben, weil er sonst Selbstmedikation betreibe, ist nicht stichhaltig. Erstens verhindert der Sportmediziner da-durch nicht notwendigerweise die zusätzliche Einnahme von Überdosen durch den Athleten; zweitens kann ein aufrechter Arzt sich doch wohl kaum in so plumper Weise nötigen lassen. Wenn man diese Art von Logik generell in der Medizin anwenden würde!

Aktuelle Ergänzung 2017

Die Mitwirkung bei der Verabreichung von Dopingmitteln durch Freiburger Sportmediziner (oft Täter und Abstreiter in derselben Klinik) – wie auch von anderen Medizinern in Ost-(DDR-)- wie West-(BRD)-Deutschland –, verbunden mit wiederholten Lügen, man täte es nicht, ist umfang-

reich durch Tatsachenfälle belegt. Hinzu kam die fachlich falsche Beurteilung gefährlicher Nebenwirkungen von anabolen Steroiden durch den Leiter der Abteilung Sport-medizin der Universität Freiburg, Prof. Dr. Joseph Keul und sein Umfeld. Folgende Schäden und Krankheiten wur-den im Lauf der vergangenen Jahrzehnte bei Sportlerin-nen und Sportlern nach Doping mit androgenen-anabolen Steroiden festgestellt: Bei beiden Geschlechtern: Funkti-onsstörungen und Tumore der Leber, Kardiomyopathien, Thromben, Bluthochdruck, Steroidakne, erhöhte Aggres-sivität („roid rage“), Depressionsanfälle, schmerzhafte Muskelspannung („Hartspann“), Krämpfe, chronische Muskel- und Gelenkschmerzen, Polyzythämie (benigner Tumor); bei Mädchen und Frauen polyzystisches Ovarsyn-drom, Uterusatrophie, Menstruationsstörungen, Klitoris-Hypertrophie, Reduktion der Brüste, Promotion eines Typs von Mammakarzinom, exzessive Libidosteigerung, Hirsu-tismus (männliche Körperbehaarung), Stimmvertiefung (z.T. irreversibel); bei Jungen und Männern Hodenatrophie (Rückbildung des Hoden), Prostatakarzinome, Reduktion und Einstellung der Spermienproduktion, Gynäkomastie (Entwicklung einer vergrößerten „weiblich“-erscheinen-den Brust) (die detaillierte Auflistung siehe unter http://www.dkfz.de/de/helmholtz-zellbiologie/mitarbeiter/kon-takt/Mitarbeiter-Details/Tabelle--Schaeden-Krankheiten-AAS-Doping.pdf). Eine besondere Veröffentlichung hierzu erfolgt demnächst. Detailliert wurden häufige Schäden in gerichtsmedizinische Dissertation von Luitpold Kist-ler (2006 https://edoc.ub.uni-muenchen.de/5689/1/Kist-ler_Luitpold.pdf) dargestellt. Kistler hatte im Rahmen der Arbeit an seiner Dissertation 10 an den Folgen ihres Do-pingkonsums verstorbene Bodybuilder obduziert.

Prof. Dr. rer. nat. Werner Wilhelm Franke, seit 1973 Professor für Zell- und Moleku-larbiologie am Deutschen Krebs-forschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und an der Universi-tät Heidelberg, renommierter Grundlagen- und Krebsforscher sowie international führender

Experte in Doping-Fragen. Unter anderem war er von 1982 bis 1990 Präsident der European Cell Biology Organization (ECBO). 2004 Bundesverdienstkreuz am Bande des Ver-dienstordens der Bundesrepublik Deutschland. (http://www.dkfz.de/de/helmholtz-zellbiologie/mitarbeiter/kontakt/Mitar-beiter-Details/franke-detail.html)

ZUR PERSON

Foto: Franke 2017

106 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Doping als Mehr-Ebenen-PhänomenKarl-H. Bette über Handlungsverstrickungen

Die soziologischen Analysen der letzten Jahre haben in erdrückender Eindeutigkeit gezeigt, dass der Wille und der strukturelle Zwang zum Doping im Spitzensport national und international und über alle Disziplinen hinweg nach wie vor stark verbreitet sind und offen-sichtlich durch eine sich immer wieder neu regene-rierende soziale Dynamik am Leben erhalten werden. Doping ist kein Unfall, sondern der Fall, auf den man sich einzustellen hat. Um nur einige Schlaglichter der letzten Jahre in Erinnerung zu rufen: der tiefe Fall des Radsportlers Lance Armstrong; die Enthüllungen über die Dopingpraktiken in der Freiburger Sportmedizin; das massenhafte Aus-dem-Verkehr-Ziehen von Me-daillengewinnern nach postolympischen Kontrollen; die erst durch Whistleblower und investigative Jour-nalisten ans Tageslicht gebrachten Praktiken eines staatlich geförderten und dort bis heute geleugneten Massendopings in Russland; der weit verbreitete TUE-Missbrauch im Weltsport; die perfiden Bestechungs-, Erpressungs- und Vertuschungspraktiken in der inter-nationalen Leichtathletik; die defizitäre Situation des internationalen Kontrollwesens und die hohe Anzahl von „Non Compliant Signatories“. Soziologisch ist all dies nicht überraschend. Doping ist keine Angelegenheit, die sich einfach aus dem Persönlichkeitsinventar einzelner Sportler, Trainer, Funktionäre oder Mediziner ableiten lässt. Es geht we-niger um „schlechte“ Menschen, sondern um soziale Bedingungen, die Abweichung in erwartbarer Weise auslösen. Wer die Dopingpraktiken verstehen will, um angemessene Gegenstrategien zu entwerfen, hat seine Aufmerksamkeit erstens auf die Makroebene des Ge-schehens, das Verhältnis des Spitzensports zu seinem gesellschaftlichen Umfeld, zweitens auf die Mesoebene der Sportverbände sowie drittens auf die Mikroebene der Athleten zu richten. Vor allem gilt es die hand-lungsprägenden Wirkkräfte zwischen den drei Ebenen herauszuarbeiten.Doping lässt sich so als ein Mehr-Ebenen-Phänomen modellieren, das sich durch Kontrollen und die bislang üblichen Präventionsmaßnahmen noch nicht einmal annäherungsweise aus der Welt schaffen lässt. Konstel-

lationsphänomene entstehen dadurch, dass die Inter-essen von mindestens zwei Akteuren zusammenfallen und sich miteinander verschränken. Dies ist in der do-pingerzeugenden Konstellation zweifellos der Fall. Auf der obersten Ebene des Geschehens, der Makroebene, sind die devianten Praktiken das Resultat einer Interes-senverstrickung, die sich in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis von Spitzensport, Wirtschaft, Politik, Me-dien und Publikum mit sportartspezifischen Varianzen ergeben hat. Der Spitzensport ist ein fester Bestandteil der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie. Wettkämpfe sind spannend, faszinieren das Publikum und erregen die Aufmerksamkeit von Medien, Wirtschaft und Po-litik. Die ohnehin schon vorhandene, auf Steigerung hin ausgerichtete Leistungs- und Erfolgsorientierung des Sports ist durch die externe Nachfrage nach sport-lichen Höchstleistungen und hierüber vermittelte Res-sourcen gleichsam entfesselt worden. Das Sportpublikum taucht im Kontext der Dopingpro-blematik als eine »unorganisierte Kollektivität« auf, die durch ihre Nachfrage nach sportlichen Höchst-leistungen soziale Aufmerksamkeit selektiv verteilt: Verehrung für die Erfolgreichen und Aufmerksam-keitsentzug für die dauerhaften Verlierer. Eine ähnli-che Nachfragedynamik lässt sich bei den Massenme-dien, bei Sponsoren und politischen Unterstützern nachweisen. Unternehmen geben Geld in den Sport, um das wirtschaftliche Mögliche mit Hilfe sportlicher Akteure und Situationen zu steigern, insbesondere dann, wenn das Fernsehen regelmäßig über die un-terstützten Athleten, Mannschaften oder Sportarten berichtet. Die Politik subventioniert den Spitzensport nicht nur, um nach innen Wir-Gefühle bei der eigenen Bevölkerung und nationale Repräsentation nach au-ßen herzustellen. Politisch vermittelte Gelder fließen vor allem auch deshalb, um über den sportlichen Erfolg nationaler Athleten eine positiv gestimmte, für Wie-derwahlinteressen nutzbare Begleitaufmerksamkeit herzustellen. Bei ausbleibender Medaillenausbeute kürzen wirtschaftliche und politische Sponsoren aber rigoros ihre Fördergelder. Auch die Massenmedien ziehen sich aus der Berichterstattung über Sportler,

107DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Mannschaften oder Disziplinen zurück, wenn die Lei-stungen nicht mehr stimmen. So entsteht bereits auf der Makroebene ein struktureller, tendenziell flächen-deckender Dopingdruck. Denn wer möchte schon bei sportlichen Minderleistungen durch das Publikum, die Medien sowie wirtschaftliche und politische Spon-soren mit Ressourcen- und Aufmerksamkeitsentzug abgestraft werden. Auf der mittleren Ebene des Geschehens hat die Tota-lisierung der Leistungserwartungen dazu geführt, dass die Sportverbände durch ihre Prinzipale in Wirtschaft, Politik, Medien und Publikum in Beziehungsfallen ver-strickt werden, denen sie sich nicht konsequenzenlos entziehen können. Die relevanten Bezugsgruppen des Sports fordern einerseits von den Verbänden ein hartes Durchgreifen gegen Doping, demotivieren dieses aber subtil durch die enge Kopplung ihrer Ressourcenzu-teilung an sportliche Rangplätze. Sportliche Erfolge sind für die Verbände also nicht nur beiläufig wichtig; sie sind Teil ihrer Identität und unverzichtbare Vor-aussetzungen für die Aufmerksamkeit des Publikums, die Sendebereitschaft der Fernsehanstalten sowie die pekuniären Zuweisungen von wirtschaftlichen und politischen Sponsoren. Es ist insofern nicht überra-schend, wenn die Sportverbände die Leistungserwar-tungen, mit denen sie selbst durch ihre Prinzipale kon-frontiert werden, an ihre Agenten, die Sportler, wei-tergeben. Erfolge werden vertragsmäßig eingefordert und eine nicht durch Siege oder höhere Platzierungen abgedeckte Regeltreue wird mit Achtungs- und Res-sourcenentzug bestraft. Die traditionelle Sportmoral hat ihre vormals starke Steuerungskraft durch diese Entwicklung eingebüßt. An ihre Stelle ist in nicht wenigen Sportarten eine subversive Leistungsmoral getreten, in der Regelabweichungen klammheimlich akzeptiert werden, solange sie unentdeckt bleiben und Erfolge erwartbar machen. Sportinterne Werte wie Fairplay und Dopingabstinenz werden unter diesen Bedingungen nicht als Leuchtfeuer für richtiges Han-deln, sondern als Ballast wahrgenommen. Denn wer zu viel und zu effektiv kontrolliert, riskiert Misserfolge eigener Sportler und hat zudem auch die Kosten eines öffentlichen Imageschadens zu tragen. Durch die Vorgänge im Makro- und Mesobereich wer-den die Athleten und Athletinnen auf der Mikroebene mit inflationären Erfolgserwartungen konfrontiert. Sie sollen einerseits erfolgreich sein, weil dadurch Publi-kumswünsche erfüllt, mediale Interessen bedient und wirtschaftliche und politische Ressourcengeber zufrie-dengestellt werden. Andererseits sollen die Athleten

aber auch sauber sein. Obwohl Sauberkeit sportliche Erfolge nicht logisch ausschließt, wird Sauberkeit doch mittlerweise als ein bio-soziales Erfolgshemmnis wahrgenommen, da im nationalen und internationa-len Sport, wie die zahlreichen Entdeckungen immer wieder zeigen, nachweislich viel gedopt wird. Hieraus resultiert die Gefahr, dass Doping nicht als etwas mo-ralisch Inakzeptables und Gefährliches, sondern als »brauchbare Illegalität« (Luhmann) in Anspruch ge-nommen wird. Athleten entscheiden sich somit nicht aus einem plötz-lichen Affekt heraus für Doping; sie sehen sich viel-mehr mit biographischen Risiken konfrontiert, die sie durch Doping zu bewältigen trachten. Das Hauptrisiko besteht für sie darin, während der Karriere erfolglos zu sein und nach der Sportkarriere eine unsichere Zukunft zu haben. Angesichts der Intransparenz des Geschehens und des wechselseitigen Misstrauens der Konkurrenten untereinander fühlen sich infolgedes-sen immer mehr Athleten genötigt, tatsächliche oder auch nur vermutete Nachteile durch eigene Doping-praktiken kontern zu müssen. Dadurch, dass Doping gleichzeitig auf allen drei Ebe-nen strukturell immer wieder neu angeheizt wird, ist ein Problemzusammenhang entstanden, der durch einfache Gegenmaßnahmen nicht aus der Welt ge-schafft werden kann. Nur durch eine Mehr-Ebenen-Intervention, die sowohl die biographischen Risiken auf der Athletenebene als auch die Beziehungsfallen der Sportverbände auf der Mesoebene kontert sowie der Entfesselung der sportlichen Siegeslogik durch wirtschaftliche, politische und mediale Akteure auf der Makroebene angemessen begegnet, wird es mög-lich sein, die weitverbreiteten Dopingpraktiken im Spitzensport über das bisher erreichte Maß hinaus zu reduzieren. Die Riskanz spitzensportlichen Engage-ments gilt schließlich nicht nur für die Akteure auf der Mikroebene des Spitzensports, sondern auch für die Instanzen auf der Mesoebene. Wer die Sportverbände und deren Funktionsträger unter einen scharfen, bis-weilen existentiellen Leistungs- und Medaillendruck setzt, darf sich nicht wundern, wenn diese den ihnen gegenüber exekutierten Erwartungsdruck ungefiltert oder sogar verschärft an die eigentlichen Leistungs-träger, die Athleten und Athletinnen, weitergeben und diese wiederum mit illegalen Copingstrategien auf die Leistungserwartungen ihrer Prinzipale reagieren.

Der Autor ist Professor für Sportsoziologie an der TU Darmstadt.

108 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Karikatur: A. Krieger

109DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Hinsehen statt WegsehenWas man alles zur Entwicklung der Doping-problematik in der Bundesrepublik Deutschland wissen konnte und kann1

Im Westen nichts Neues? Ja, Fausto Coppi, Rudi Altig u.a.m. lassen grüßen!1

Interview eines Journalisten von RAI (italienisches Fernsehen) mit dem italienischen Radidol Fausto Coppi in den 50er Jahren: „Und Sie, Fausto, verwenden Sie la Bomba?“ (Mi-schung von Amphetamin, Koffein, Kokain) - Fausto Coppi: „Jedes Mal, wenn es notwendig ist.“„Und wann ist es notwendig?“ - Fausto Coppi: „Prak-tisch immer“. (Gilles Goetghebuer 2014, S.5, FAZ, 28.5.2007))

Eine Hilfe zur zeitlichen Einordnung der Beiträge in diesem Heft - Phasen der Dopingentwicklung

Übergangsphase (Stimulantien/anabole SteroideVom Doping mit Stimulantien zum Doping mit anabolen Steroiden – eine Zeit unterentwickelten Problembewusstseins und des Learning by Doing (50er, 60er Jahre)

-pingmittel

-

--

lantien angesehen.

-

Jahre auch Anabolikadoping mit/durch Frauen, da-

-geschichte ist hervorragend gegliedert und gespickt mit abrufbaren

nach auch durch Jugendliche und im Breitensport

-

-

--

-

-tel auf anaboler Basis, das ich laufend in meiner

-

Warnungen vor Nebenwirkungen und Langzeitfol-gen des Anabolika-Dopings (60er Jahre)

--

-piateilnehmerin, Athletensprecherin) in der

--

110 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

Anabole Phase der 70er/80er Jahre

Unterdrückung von Problembewusstsein und zunehmende Heuchelei - Was man alles wissen konnte, aber ausgesessen wurde:

was noch nicht verboten ist, was noch nicht nach-

kaschiert werden kann.

-

der Heidelberger Krebsforscher und Antidoping-

Italien)

-handelten erfolgreichen Sportlern).

-

-

vermeiden“).

BISp an eine Heidelberger Gruppe

-wicklungen. Im 1974 eingereichten Schlussbericht waren im Kapitel

-

-

-

-

Mader, Hunold, Riedel u.a.m. wurden als Folge

-rungen Maders kaum beachtet oder unwiderspro-

Sport unter Zuhilfenahme von Pharmaka unter

-

Anabolika bei Frauen ebenso leistungssteigernd

-

Sportarten nachweisen lassen. Sie sind auch bei -

gesundheitlichen Folgen sind bisher in keinem Fall eingetreten.“ (Protokoll des deutschen Bun-

Foto

: Dop

ing

Jens

Her

tlin

g

111DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

-

-kussionen

-

-ren Athleten nicht vorenthalten werden.“

1977 (mit Berendonk, Keul u.a.), u.a. der Sprin-

und wollen einfach nicht hinterherlaufen oder hinterherwerfen oder hinterherspringen. Und

Athleten besorgen sich eben … Anabolika, wenn -

rung bringen.“

Leistungsbeeinflussende und -fördernde Maßnahmen im Hochleistungssport

-

-

-

kann.“ (siehe auch: http://c4f.sirius.uberspace.de/fileadmin/user_upload/vermischtes/0_doping/Protokolle/Sportausschuss_Protokoll_9.1977__

fileadmin/user_upload/vermischtes/0_doping/-

Humanität im Spitzensport

--

--

losung durch Keul u.a.m.-

im Hintergrund: Keul

Phase der Weiterentwicklung der Dopingproblematik: Good Governance? (70er Jahre bis heute)

Zwischen Dopingablehnung in Sonntagsreden und heimlichem Fordern und Fördern von Doping

-lative Ruhe in den Medien)

-ter Schmidt (Hammerwurfweltrekordler) erfolgte

den Athleten nicht nachgekommen sei“ (Singler/

gesucht.

-

-

-

Verpasste Anlässe zur Selbstreinigung

112 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

-

Hans-Peter Sturm (Salamander Kornwestheim,

-

-missbrauch durch Kontrollen und Sanktionen be-

-

-mannschaften)

--

--

--

sie durften nicht abgewickelt werden)

--

die Russen“ usw.) bis heute. Statt Berendonk und -

alle gewannen.

Foto

: Gra

ce W

inte

r / P

ixel

io.d

e 20

17

113DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

-

-

(Sportausschuss des Bundestags) und organisier--

haltssperre“).

Medaillenorientierte Sponsoren, profilneurotische --

-

Phase der intensivierten Aufklärung - Zunehmendes Wissen zum Doping in der BRD, u.a.

-stungssport. Anpassung durch Abweichung“

-

mich an relevante Akteure in Sport und Politik

---

--

-

-

Kommissionen ein. --

www.uniklinik-freiburg.de/fileadmin/media--

richt.pdf)

-gutachten), u.a.:

-

-

-

-stungssteigerung

-kom-vorbehaltlich-des.pdf)

---

114 DOPING I AUSGABE 2/2017

D o p i n g i n W e s t d e u t s c h l a n d

--

-

behauptet werden wird, man wisse nicht ausreichend

-

-

Antidopingpolitik.

-

Einige Aspekte der Doping-Strukturen in der BRD

-ping (top-down-Strategie) war das westdeutsche

staatlich organisiert und gelenkt, staatlicher

-

vorherrschend.-

wollte, musste sich anpassen oder ausscheiden ( Bette/Schimank: Anpassung durch Abweichung)

-

-wortlichkeit aus.

-

investigativen Journalisten).

-

--

wortliche in Politik und Sport nicht strukturelle --

ner Personen.

--

Sports funktionierten/funktionieren nicht.

Prof. Dr. Gerhard Treutlein war bis zu seiner Emeritierung 2007 Professor für Sportpädagogik an der Pä-dagogischen Hochschule (PH) in Heidelberg. Er leitet noch das Zentrum für Dopingprä-vention an der PH. Praktische Erfahrungen im Sport sammel-te der Ex-Mittelstreckler als Leichtathletik-Trainer des

USC Heidelberg seit den 60er Jahren. Mit Andreas Singler verfasste Gerhard Treutlein das Standardwerk „Doping im Spitzensport“. Disziplinchef Leichtathletik im ADH von 1972-2007. Ehrungen: Ehrenmitglied des ADH, Bundesverdienstkreuz am Bande 2009, Ethikpreis des DOSB 2016.

Zur Person

Foto: Treutlein 2017

I m p r e s s u m

115DOPING I AUSGABE 2/2017

Stefan Felsner ist als langjähriger Anti-Doping Be-auftragter eines Spitzensportverbandes Experte im Anti-Doping Kampf. Er ist beruflich in der wirtschafts-rechtlich ausgerichteten Anwaltskanzlei Toennes-Fels-ner in Osnabrück auf dem Gebiet des Gesellschafts-, Wirtschafts- und des Sportrechts tätig. Im Sportrecht

vertritt er neben Sportlern aller Sportarten auch verschiedene Sportver-bände – und –vereine. Zudem berät er als Justitiar den Deutschen Ruder-verband in allen rechtlichen Belangen und hat Sitz im Präsidium.

Prof. Dr. Elk Franke, 1995-2009 Inhaber der Pro-fessur für Sportphilosophie und Sportpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1980-1995 Professor für Sport und Gesellschaft an der Universität Osnabrück. 1998–1991 Präsident der Vereinigung für Sportwissen-schaft, Er ist Gutachter in diversen Kommissionen,

Fachzeitschriften und Sammelbänden. Arbeitsschwerpunkte: Ethik und Ästhetik des Sports, Handlungstheorie , Bildungstheorie im Sport. Autor und Herausgeber einer Vielzahl von Publikationen zu den genannten For-schungsschwerpunkten u.a. „Ethik im Sport“ (2011), „Translating Doping“ (mit Prof. G. Spitzer).

Prof. Dr. Anne Jakob ist Rechtsanwältin in Frankfurt mit dem Schwerpunkt Sport- und Gesellschaftsrecht. Bei zahlreichen Welt- und Europakämpfen der Leicht-athleten war Anne Jakob zuständig für das Dopingkon-trollmanagement. Prof. Dr. Jakob ist Schiedsrichterin am Deutschen Sportschiedsgericht und lehrt Wirt-

schaftsrecht und Sportrecht an der accadis Hochschule Bad Homburg so-wie im Rahmen des Masterprogramms der Universitäten Köln und Gießen.

Prof. Dr. med. Dr.rer.nat. Dr. Sportwiss. Chri-stoph Raschka, Anthropologe, Internist und Facharzt für Allgemeinmedizin, Zusatzbezeichnungen Sportme-dizin, Notfallmedizin, Chirotherapie, Naturheilverfah-ren, Homöopathie, Akupunktur und Palliativmedizin, Promotionen in Humanmedizin (Gießen), Anthropolo-

gie (Mainz) und Sportwissenschaften (Bochum), Habilitation für das Fach Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Sportmedizin (Frankfurt/Main), Privatdozent am Fachbereich Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Ralf Meutgens, geboren 1959 in Düsseldorf, Studium Sportwissenschaft und Germanistik, freier Journalist und Buchautor. Als Aktiver/Trainer (Radsport) sowie als Funktionär/Trainerausbilder (Radsport, Schwimmen) bis Mitte der 1990er Jahre engagiert. Mit Initiator des Anti-Doping-Symposions 1992 im Schwimmsport in

Düsseldorf. Als Journalist intermedial tätig, im Printbereich für zahlreiche Beiträge zur Dopingthematik ausgezeichnet.

IMPRESSUM 4. JAHRGANG

Ein Objekt der I N G E RVerlagsgesellschaft mbH

SIE HABEN FRAGEN? RUFEN SIE UNS AN!Abo-Service: Tel.: 05181 8004-40, Fax: 05181 8004-81 Andrea Sommer E-Mail: [email protected]

Redaktion: Tel.: 02271 45892Jens Hertling E-Mail: [email protected]

Anzeigenverkauf/ Kleinanzeigen: Tel.: 0234 915271-76 Sonja Shirley E-Mail: [email protected]

Foto: pixelkorn / Fotolia.com 2016

Ausgabe 4/2016

3. Jahrgang

ZKZ 19433

ISSN 2366-9659

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Dopin

g – d

as A

nti

-Dopin

g M

agazin für

Wett

kam

pfs

port

ler,

Vere

ine u

nd V

erb

ände · A

usgabe 4

/2016 · 3

. Jahrg

ang

Ein Jahr

AntiDopG:

Eine Bilanz

ab Seite 30

Gendoping

Grenzen?:

Umgang mit Gendoping

ab Seite 18

Foto: pixelkorn / Fotolia.com 2016

Ausgabe 3/2016

3. Jahrgang

ZKZ 19433

ISSN 2366-9659

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Dopin

g – d

as A

nti

-Dopin

g M

agazin für

Wett

kam

pfs

port

ler,

Vere

ine u

nd V

erb

ände · A

usgabe 3

/2016 · 3

. Jahrg

ang

Rio und die

Paralympics

Paralympischer Mut

ab Seite 14

Doping in

der Freizeit:

Enormes

Missbrauchspotential

ab Seite 22

18.10.16 11

Foto: cliplab / Fotolia.com 2016

Ausgabe 1/2017

4. Jahrgang

ZKZ 19433

ISSN 2366-9659

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Dopin

g – d

as A

nti

-Dopin

g M

agazin für

Wett

kam

pfs

port

ler,

Vere

ine u

nd V

erb

ände · A

usgabe 1

/2017 · 4

. Jahrg

ang

Doping und Arbeitsrecht:

Kündigung wegen eines Dopingvergehens

ab Seite 28

Eine positive Dopingprobe:

Was nun?

ab Seite 22

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Verlag: INGER Verlagsgesellschaft GmbH Luisenstr. 34, 49074 Osnabrück Tel.: 0541 580544-57 Postfach 1220, 49002 Osnabrück

Geschäftsführung: Trond Patzphal

Redaktions- Jens Hertling anschrift: Märchenring 28, 50127 Bergheim Internet: www.doping-magazin.de E-Mail: [email protected]: Jens Hertling (V.i.S.d.P.)

Tel.: 02271 45892 E-Mail: [email protected]

Grafik: Janette ChmielInternet: www.doping-magazin.deAnzeigen: Anzeigenpreisliste Nr. 8 vom 1. Januar 2015. Bei telefonisch

aufgegebenen Anzeigen haftet der Verlag nicht für die Richtigkeit.Anzeigen- Sonja Shirleyverkauf: Tel.: 0234 915271-76

Fax: 0234 915271-19 E-Mail: [email protected]

Abonnenten- Leserserviceservice: Föhrster Str. 8 31061 Alfeld Tel.: 051818004-40 Fax: 051818004-81 [email protected]: Alle in Doping erschienenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen vorbehalten. Reproduktionen jeder Art bedürfen der schriftlichen Genehmi-gung des Verlages. Doping wird ganz oder in Teilen im Print und digital vertrieben. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt, nachgedruckt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt insbesondere die Vervielfältigung per Kopie, die Auf-nahme in elektronische Datenbanken, Internet etc. Für unverlangt eingesandtes Bild- und Textma-terial wird keine Haftung übernommen. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Eine Gewähr für die Richtigkeit der Veröffentlichung kann trotz sorgfältiger Prüfung nicht übernommen werden. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften und Leserbriefe bei Veröffent lichung zu kürzen. Aus der Nennung von Markenbezeichnungen in dieser Zeitschrift können keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob es sich um geschützte oder nicht geschützte Zeichen handelt. Die Zeitschrift ist auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.Nutzungsrechte: Die vorliegende Fachzeitschrift wird in gedruckter und digitaler Form vertrieben und ist aus Datenbanken abrufbar. Eine Verwertung der urheberrechtlich geschützten Artikel und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, Verbreitung, Digitalisierung, Speicherung in Datenbanksystemen oder Inter- und Intranets, ist unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt. Sollten Sie Artikel aus dieser Fachzeitschrift nachdrucken, in Ihr Internet Angebot oder in in Ihr Intranet oder Pressespiegel übernehmen oder per E-Mail versenden wollen, können Sie sich die erforderlichen Rechte bei der Inger GmbH, Frau Shirley, Telefon 0234-915271-76 erwerben. Mit der Annahme zur Veröffentlichung überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht für die Zeit bis zum Ablauf des Urheberrechts. Diese Rechteübertragung bezieht sich insbesondere auf das Recht des Verlages, das Werk zu gewerb-lichen Zwecken per Kopie (Mikrofilm, Fotokopie, CD oder andere Verfahren) zu vervielfältigen und/oder in elektronische oder andere Datenbanken aufzunehmen.Copyright © 2016 für alle Beiträge, sofern nicht anders angegeben, bei der Inger Verlagsgesell-schaft. Nachdruck, Aufnahme in Online-Diensten, Internet und Vervielfältigungen auf Datenträgern wie CD-ROM, DVD-ROM etc., nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen.Bezugspreise: Inland 87 Euro. Alle Preise verstehen sich inkl. MwSt. und Versand. Abonnenten-kündigungen müssen 2 Monate vor Ablauf des Bezugsjahres schrift lich an den Verlag erfolgen. Bei Nichterscheinen in Folge höherer Gewalt, Materialv knapp ung, Streik o. Ä. besteht kein Anspruch auf Nachlieferung bzw. Schadensersatz.Abonnementpreis Schulen/Universitäten: Gegenüber schulischen Einrichtungen und an Studenten gewähren wir bei der Vorlage einer gültigen (Immatrikulations-) Bescheinigung 25 % Rabatt auf den Netto-Abonnementpreis.ZKZ: 19433 ISSN: 2366-9659Erscheinungsweise: Doping erscheint viermal im Jahr.Beilagen: keineTitel: nikilitov / Fotolia.com 2017, Grafik: Doping 2017Gerichtsstand: Osnabrück.Es gelten die AGBs der Inger Verlagsgesellschaft, die im Internet unter www.doping-magazin.de einzusehen sind. Es wird gebeten, Entscheidungen in den jeweiligen Rechtsgebieten an die Redakti-on zu senden. Die namentlich gekennzeichneten Artikel stellen nicht die Meinung der Redaktion dar.Eine Veröffentlichung von Inhalten in soziale Netzwerke ist ausdrücklich untersagt.

Der wissenschaftliche Beirat:

Foto

: Ras

chka

Foto

: Fra

nke

Foto: Jakob

Foto

: Fel

sner

Foto

: Meu

tgen

s

Ausgabe 2/2017

4. Jahrgang

ZKZ 19433

ISSN 2366-9659

Das Anti-Doping Magazin für Wettkampfsportler, Vereine und Verbände

Dopin

g – d

as A

nti

-Dopin

g M

agazin für

Wet

tkam

pfs

port

ler,

Ver

eine

und V

erbände

v A

usgabe

/2017 · 4

. Jahrg

ang

Im Westen

nichts Neues?

Zur Dopinggeschichte der BRD

Foto

: fro

licso

mep

l / P

ixab

ay.d

e 20

17

27.06.17 10

GEBEN SIE DOPING KEINE CHANCE!Seit der Deutsche Bundestag im November 2015 einem verschärften Anti-Doping-Gesetz zugestimmt hat, erfährt das Thema Doping eine ganz neue Brisanz. Da Sportler bei nachgewiese-nem Selbstdoping nun erstmals auch persönlich strafrechtlich belangt werden können und neben Geld- sogar mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren rechnen müssen, ist der Informationsbedarf hin-sichtlich der Frage, was erlaubt ist und was nicht, immens gestiegen.Umfassende Antworten gibt Doping – das Anti-Doping-Magazin für Wettkampfsportler, Vereine & Verbände.Vier Mal im Jahr informiert Sie eine erfahrene Fachredaktion, bestehend aus Juristen, Medi-zinern, Sportwissenschaftlern und Athleten, zu-verlässig, kompetent und für alle Zielgruppen verständlich über die aktuellsten Entwicklungen in der Dopingthematik. Abonnieren Sie jetzt und sichern Sie sich 30 % Sonder-Rabatt auf den regulären Abon-nementpreis. Für vier Doping-Ausgaben pro Jahr bezahlen Sie statt regulär € 87,– (inkl. MwSt. und Versand) jetzt nur € 64,50 (inkl. MwSt. und Versand)!

Foto

: Ccv

ision

.de

DO_02_2017

Jetzt bestellen unter Tel.: 05181 800440, Fax: 0234 915 271-19, E-Mail: [email protected]

Bestellung:per Fax: 0541 580544-98per Tel.: 05181 800 44 0

per Post:INGER Verlagsgesellschaft mbHLuisenstraße 34 (ehemals 1a)49074 Osnabrück

Bitte frei

machen

JA, ich bestelle Doping – das Anti-Doping-Magazin für Wettkampfsportler, Vereine & Verbände (4 Ausgaben im Jahr) im ersten Bezugsjahr zum Sonderpreis von 64,50 (€ 52,50 Abopreis, inkl. MwSt. + € 12,– Porto Inland = Jahresbezugspreis Inland; Abopreis inkl. MwSt. + € 22,– Porto Ausland = Jahresbezugspreis Ausland). Das Angebot gilt bis zum 31.8.2017. Die Kündigungsfrist beträgt 2 Monate zum Ende des jeweiligen Bestellzeitraums. Ab dem zweiten Bezugsjahr gilt der reguläre Abo-Preis von € 75,–, inkl. MwSt. + € 12,– Porto Inland bzw. € 22,– Porto Ausland).JA, ich bin VDS-Mitglied und ich bestelle Doping – das Anti-Doping-Magazin für Wett-kampfsportler, Vereine & Verbände (4 Ausgaben im Jahr) zum Sonderpreis von 72 (€ 60 Abopreis, inkl. MwSt. + € 12,– Porto Inland = Jahresbezugspreis Inland; Abopreis inkl. MwSt. + € 22,– Porto Ausland = Jahresbezugspreis Ausland). Das Abonnement ist zeitlich nicht befristet. Die Kündigungs frist beträgt 2 Monate zum Ende des jeweiligen Bestellzeitraums.

JA, ich bestelle Doping – das Anti-Doping-Magazin für Wettkampfsportler, Vereine & Verbände als Digitalabonnement (ohne Print) für nur € 75,– inkl. MwSt. Das Digital-Abonnement ist zeitlich nicht befristet. Die Kündigungsfrist beträgt zwei Monate zum Ende des jeweiligen Bestellzeit-raums.JA, ich bin bereits Abonnent (Abo.-Nr.__________ ) und möchte zusätzlich zu dem Printabon-nement das Digitalabonnement für nur € 22,– inkl. MwSt. erwerben. Das Digital-Abonnement ist zeitlich nicht befristet. Die Kündigungsfrist beträgt zwei Monate zum Ende des jeweiligen Bestellzeitraums.

Das Anti-Doping-Magazin für Wettkampfsportler, Vereine & Verbände

Firma, Name

Straße PLZ, Ort

Telefon, E-Mail

Datum, Unterschrift

Zahlungsweise: Rechnung Bankeinzug

Geldinstitut

IBAN BIC

Datum/Unterschrift

quartalsweise

jährlich

4 Ausgaben/Jahr für nur € 64,50*

(inkl. MwSt. u. Versand, Inland)

statt regulär € 87,00 (inkl. MwSt.

u. Versand, Inland)

JETZT

ABONNIEREN UND

30 % SONDER-RABATT

SICHERN!

*Gültig bis zum 31.08.2017

Rabatt wird nicht auf die Portokosten gewährt