Immer im Takt Kommen und Gehen im Hauptbahnhof … · Lautsprecher zu bespielen, nicht mit...

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1 Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 31. Dezember 2011 – 11.05 – 12.00 Uhr Immer im Takt - Kommen und Gehen im Hauptbahnhof Zürich Mit Reportagen von Simonetta Dibbern Am Mikrophon: Thilo Kößler Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – Opening Musik Mod: Pünktlich, zuverlässig, sicher. Die Schweizer Eisenbahnen funktionieren wie ein Uhrwerk. Sagt der Zugverkehrsleiter im Stellwerk des Hauptbahnhofs von Zürich.

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Deutschlandfunk

GESICHTER EUROPAS

Samstag, 31. Dezember 2011 – 11.05 – 12.00 Uhr

Immer im Takt -

Kommen und Gehen im Hauptbahnhof Zürich

Mit Reportagen von Simonetta Dibbern

Am Mikrophon: Thilo Kößler

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar –

Opening

Musik

Mod:

Pünktlich, zuverlässig, sicher. Die Schweizer Eisen bahnen

funktionieren wie ein Uhrwerk. Sagt der Zugverkehrs leiter im

Stellwerk des Hauptbahnhofs von Zürich.

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O-Ton 1: Eisenbahn ist Teamarbeit, jeder ist auf den anderen

angewiesen, das erklärt auch ein bisschen den

Teamspirit, also, man ist Eisenbahner, das ist ni cht

einfach ein Beruf wie ein anderer, also die

Zusammengehörigkeit im Team ist schon speziell

Mod:

Voll. Laut. Und für alle da: Auch der Züricher Haup tbahnhof

ist eine Welt für sich, sagt ein Mitarbeiter des

Sicherheitsdienstes.

O-Ton 2: D as ist ein kleiner Kosmos, der alles anzieht.

Bahnhof ist ja auch Treffpunkt, also die Jungen

treffen sich, aber auch jede Wandergruppe trifft sich

hier im Bahnhof,(..) das ist einfach der große

Treffpunkt, darum haben wir auch sämtliche sozial en

Schichten hier, vom Banker bis zum Clochard (…) d as

gehört zu jedem Bahnhof, das ist nicht nur hier s o.

Mod:

Gesichter Europas: Immer im Takt. Kommen und gehen im

Hauptbahnhof von Zürich. Eine Sendung von Simonetta Dibbern.

Am Mikrophon begrüßt Sie Thilo Kößler.

MUSIK

Mod:

Irgendjemand hat Bahnhöfe einmal „Kathedralen der B egegnung“

genannt – und das stimmt ja auch: Die Architektur i st geradezu

monumental. Unter der gigantischen Kuppel des Zürch er

Hauptbahnhofs zum Beispiel fühlt sich der Reisende wie ein

Pilger im Dom. Dabei herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.

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Bahnhöfe sind Sehnsuchtsorte – die Bahnsteige sind Bühnen für

Abschied und Wiedersehen, für Fernweh und Heimweh, gegeben

wird immer wieder das Stück vom Wegfahren und Wiede rkommen.

Und das alles im Takt der Fahrpläne und der Bahnhof suhren,

unterlegt von einer akustischen Endlosschleife aus

quietschenden Bremsen, schlagenden Türen und hallen den

Lautsprecheransagen.

Im 19. Jahrhundert, als der Zürcher Bahnhof an den Rand der

Stadt gebaut wurde, gingen täglich vier Züge auf di e 23

Kilometer lange Strecke nach Baden – die „Spanisch- Brötli-

Bahn“ brachte die Gebäckspezialität aus Baden mit V olldampf

auf die Frühstückstische der Zürcher Bourgeoisie. H eute ist

der Züricher Hauptbahnhof einer der größten Kopfbah nhöfe

Europas: hier laufen die 5000 Streckenkilometer des Schweizer

Eisenbahnnetzes auf 26 Bahnsteigen zusammen. Zürich

Hauptbahnhof: Bis zu 500.000 Passagiere und 3000 Zü ge stimmen

hier tagtäglich das Konzert der Großstadt an.

Wir hören grad die schöne Glocke - weil die ist näm lich, diese Glocke ist nämlich die sechste im Bunde von allen K irchglocken der Altstadt. Da war früher mal ein Kloster und das wurde in der Reformation ein Gefängnis und ist jetzt Polizei station lacht und die haben keine Glocke mehr und jetzt hat die Bahnhofsglocke eigentlich diesen Punkt übernommen u nd sie spielt damit quasi mit im wunderbaren immer noch ex istierenden Klangnetz der alten Glocken über der Altstadt. Er hört alles. Und er weiß viel über die Geschichte der Stadt Zürich: Andres Bosshard, Musiker, Klangkünstler. Un d Stadtführer für akustische Phänomene. Und da wandern jetzt die Klänge, die fliegen da von den Gleisen her in diese große Halle, die war ursprüngl ich mal die Geleisehalle (...) von der Spanisch-Brötli-Bahn, al so hier gingen die Gleise rein, insofern ist das eine richt ige Bahnhofshalle, die wir dann vor 15 oder 20 Jahren wurde sie dann geleert. Jetzt ist das eine leere Halle, die g rößte

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Klanghalle der Stadt Zürich, wir gehen da mal ein b isschen weiter. Andres Bosshard kennt jeden Brunnen in Zürich, er w eiß, wie die Fassaden den Straßenklang verändern, er liebt d en Resonanzraum unter der Quaibrücke. Die Bahnhofshall e, groß wie ein Fußballfeld und 24 Meter hoch, ist einer seiner Lieblingsklangorte in der Stadt. Weil hier ist der einzige große Ort, man hörts aber jetzt wunderbar, das besteht nur aus Menschenstimmen, ein e gute Halle für den Menschenchor. Und hier hören wir eige ntlich das, was wir sonst in der Stadt nie hören, einfach diese s Gemurmel von tausenden von Stimmen, das ist eine ganz wichti ge geistige und emotionale Quelle unseres Lebens, das Wort des Menschen, ohne dass wir es verstehen, eben nur dieses Gemurme l, und wir merken jetzt auch, die ist so lebendig, die Halle, das dreht sicht die ganze Zeit, das ist wie eine unglaublich tolle Hörskulptur, dann tauchen so einzelne Stimmen auf, und jetzt die zweite Stimme, die auch wunderbar klingt, das s ind die Schritte. Da hört man wirklich immer eine unglaubl iche Perkussion von Schritten und diese beiden Präsenzen , nur die Menschenstimmen und die menschlichen Schritte, das ist sonst in der Stadt leider durch den Verkehr vollständig verschwunden. Er braucht seine Augen nicht zu schließen, um alles zu hören, da, sehen Sie, sagt er: dort oben an der Decke, die blaurote Lichtinstallation von Mario Merz. Und, gegenüber: d er riesige goldene Engel von Niki de Saint Phalle. Früher stan den hier die Dampflokomotiven, darum die Höhe: damit der Rau ch abziehen konnte. Eine ererbte Hülle, sagt Andres Bosshard. E in Geschenk. Man hört wenn jemand ruft, das gibt ein ganz tolles Echo, ich machs jetzt mal lauter, es ist wirklich sehr weit, das heißt, es gibt einen tollen Nahraum, wir können uns gut sp rechen, und die Echos, die drehen dort oben geheimnisvoll ihre Kreise. Und ich habe das Gefühl, das ist wie so ein eigentümlic hes Kräftemagnetfeld, wo diese Kreise sich in einem gro ßen Raum drehen können und wenn die Leute so kommen, dann sc hweben die so etwa 5 cm über dem Boden. Also es ist eigentlich nicht mehr eine profane Hall e, sondern etwas anderes. Und der Klang hier drin ist eigentli ch geheimnisvoller als der im Großmünster-Krypta. Weil da gibt es

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Parkplatz vor dem Fenster und da hört man immer die Autos, hier hört man trotzdem noch die Stadt und zwar als Hintergrund zu diesem wunderbaren Chor. Autorin Im Boden der Stadt, sagt Andres Bosshard, ist eine riesige Schallplatte versteckt. Und ich, sagt er, bin die N adel. Der Fellkragen ist hochgeschlagen, die blonden halblang en Haare fallen ihm ins Gesicht. Es macht ihm offensichtlich großes Vergnügen, auch anderen die Ohren zu öffnen. Regelm ässig bietet er Klangspaziergänge an. Und längst hat er s ich einen Namen gemacht, als Berater für Stadtplaner, Archite kten, Lärmschutzexperten, die zunehmend erkennen, wie wic htig die urbane Geräuschkulisse ist, für das Wohlbefinden de r Stadtbewohner. Mit dem Klang erlauben wir uns Dinge, das hat den C harme einer Schwerindustriekiesgrube Andrej! Ach. Ja was macht denn der hier Ein Mann in schwarzem Wollmantel steht am Fahrkarte nautomaten und winkt. Salut, das ist Arti Marthaler, mit dem ich zusammen den Bahnhof machen werde, lacht Adrian Marthaler. Mit ihm hat Andres Bosshard vor e inigen Jahren Verdis La Traviata inszeniert, hier, im Zürc her Hauptbahnhof – demnächst werden sie wieder einen B ahnhof bespielen, in Winterthur. Sieht man, dass ich hier zuhause bin. Die Bahnhofshalle, sagt er, sei natürlich ein Symbo l. Und eine Utopie - für das Zusammenleben der Menschen, mit vi elen verschiedenen Sprachen, unterschiedlichen Lebensweg en. Andres Bosshard ist auch Philosoph. Diese beiden Seitenflügel, eigentlich eine Art Zeit tempel mit diesen Toren und der Zeit, die ja überall hier eine riesige Rolle spielt, das ist auch dafür ein toller Raum, d ass es die Zeit hier gibt. Und trotzdem ist es so ein bisschen off, gerade nicht der Ort, wo man gehetzt wird, es ist e in

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Zwischenraum, ein riesiger Zwischenraum, und man si eht hier in diese Bahnhofsstraßenachse, die damals die Stadt vö llig neu umgestimmt hat. Und man hört jetzt auch wie sich de r Klang ändert, wunderbar, dieser Übergang durch dieses Tor , wenn man für ein Hörspiel arbeitet, dann geh ich immer wiede r hier hören, wie sich die Szene A mit der Szene B mischt. Das ist nämlich viel feiner, als wir es auf dem Mischpult h inkriegen. Sein Lieblingsberuf, sagt Andres Bosshard noch, wär e, Musikdirektor eines Bahnhofs zu sein. Und die paar hundert Lautsprecher zu bespielen, nicht mit Gleisansagen. Sondern zum Beispiel mit dem Rauschen der Sihl. Dann wäre der F luß, der unter dem Bahnhof verläuft, auch oben zu hören ist, auf dem Bahnsteig. Das sagt er, wäre eine mächtige Stimme. Doch mit dem Bahnhofsklang ist er auch so schon ganz zufried en. Ich könnte das nicht besser machen, ich müsste einf ach mal eine große Tafel hinschreiben, das ist meine beste Komposition. Das wäre wahrscheinlich das allerbeste (lacht) Und dafür würde ich natürlich gern den Kulturpreis kriegen...

MUSIK

Mod:

Die Eisenbahn hat Geschichte geschrieben und Epoche n geprägt:

Die Eisenbahn heizte die Industrialisierung an und gab den

Takt für die Urbanisierung vor. Die Bahnhöfe wurden im 19.

Jahrhundert zu Spiegelbildern des Aufbruchs, der Mo bilität,

der Modernisierung. Später zu militärischen Umschla gplätzen

für Soldaten und Kriegsgerät. Schließlich Stellwerk e für den

organisierten Massenmord – die Juden wurden mit der Deutschen

Reichsbahn in den Tod geschickt. Nur wenigen gelang die Flucht

per Bahn – ins benachbarte Ausland, in die Schweiz, nach

Zürich etwa.

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Eisenbahnfahren – eine Parabel über Leben und Tod. Ein

literarisches Motiv allemal.

Lit 1: Das Eisenbahngleichnis.

Von Erich Kästner

Wir sitzen alle im gleichen Zug

Und reisen quer durch die Zeit

Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.

Wir fahren alle im gleichen Zug.

Und keiner weiß, wie weit.

Ein Nachbar schläft, ein anderer klagt.

Ein dritter redet viel.

Stationen werden angesagt.

Der Zug, der durch die Jahre jagt,

kommt niemals an sein Ziel.

MUSIK

Mod:

Der englische Architekt Norman Foster hat die erste n Bahnhöfe

des 19. Jahrhunderts „Produkte des Maschinenzeitalt ers“ und

„Vorboten der aufkommenden Moderne“ genannt – in ih nen machte

er die Würde von Parlamentsgebäuden aus, die klassi sche

Eleganz von italienischen Palazzi und die Erhabenhe it

gotischer Kathedralen. Tatsächlich ist auch der Zür icher

Hauptbahnhof halb Palast und halb Fabrik: Hinter de r Fassade

im Stil der Neorenaissance brachte Architekt Jakob Friedrich

Wanner 1847 die imposante Empfangshalle unter, die er mit

allen postfeudalen Insignien der aufstrebenden

Industriegesellschaft ausstattete. Dahinter öffnet sich die

riesige Bahnhalle aus Stein und Eisen, Glas und Sta hl – damals

ein öl- und rußgeschwängertes Monument funktionelle r

Industriearchitektur. Ein janusköpfiges Bauwerk im Stil der

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Zeit: Vorne Stein, Stadt und Bürgertum. Hinten Stah l, Gleis

und Industriekultur. Früher spannte sich das techni sche Herz

des Stellwerks auch noch als Brücke über Gleisanlag en und

Bahnsteige – aber es wurde längst ans Ende von Glei s 51

verlegt, dorthin, wo sich die Gleise zum ersten Mal kreuzen

und queren, vereinen und wieder auseinander gehen. Ein Turm

aus Beton. Das Cockpit im 5. Stock. Hier werden die Weichen

gestellt.

BEITRAG 2: Teamspirit in der Rush-Hour: Im Stellwe rk

Wir haben jetzt viertel nach 9, das ist so bisschen das Ende der rush-hour, wie wir sagen auf schön neudeutsch, also des Berufsverkehrs, der Verkehrsspitze, und jetzt reduz iert sich der Verkehr etwas, also auf den Grundfahrplan, das ist ja immer noch jede halbe Stunde ein Zug, aber in der S pitzenzeit haben wir noch mehr Züge.

Mehr als 1000 Züge sind es jeden Tag, die in den Ha uptbahnhof

Zürich hinein- und wieder herausfahren, sagt Domini que

Schlegel. Im Durchschnitt mehr als 100 Ein- und Aus fahrten pro

Stunde. Er ist stolz darauf, dass alles so reibungs los läuft.

Mitte 50, freundlich ist er. Und sehr gelassen dafü r, dass er

die Hauptverantwortung trägt.

Also ich bin der Leiter des Fernbereichs 1 in Züric h, also des Zentralstellwerks, und gleichzeitig noch Stellvertr eter des Leiterknotens, also des Leiters vom Bahnhof im Bet rieb. Also der Chef des Herzens des Bahnhofs sozusagen. Kann man so sagen, ja (lacht).

Bei der Schweizer Eisenbahn, sagt Dominique Schlege l, habe

alles einen Namen, eine Nummer, eine Abkürzung und einen

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Übernamen. Nur bei den Zügen selbst hat man es sich etwas

einfacher gemacht.

Jeder Zug hat eine Nummer, die gibt es nur einmal in der Schweiz, also der Zug von Zürich nach Genf, wenn ma n nach Bern telefoniert und etwas von dem Zug will, sagt man ni cht, der Zug nach Genf der in Zürich um halb acht abfährt, d er ist ja dann in Bern um halb neun, sondern das ist der Zug 710, wenn man vom Zug 710 spricht, dann weiß jeder, der irgen detwas mit dem Business zu tun hat, von was man spricht, von w elchem Zug, also die Stelle, die das Lokpersonal disponiert, di e Stelle, die die Speisewagenbesatzungen disponiert, der Comp uter, der die Fahrwege einstellt, alles arbeitet mit dieser N ummer.

Auch die Weichensteller im Kontrollraum. Das Großra umbüro ist

eine Mischung aus Cockpit und Kino: kein Fenster, g edämpftes

Licht. Neun Mitarbeiter sitzen im Halbkreis und sch auen

abwechselnd auf den Bildschirm vor sich und auf Wan d

gegenüber: eine riesige Panoramawand, die aussieht wie eine

überdimensionale Modelleisenbahn. Mit schwarzen Bän dern, die

die Gleise, und mit roten und weißen Lämpchen, die die Züge

darstellen. Manche leuchten, manche blinken. Züge, die

angekommen sind. Züge, die ankommen und solche, die wieder

abfahren werden.

Der ganze Zugsverkehr wird von hier aus gesteuert, die Weichen umgestellt, die Signale auf Fahrt gestellt von mein em Team, etwa 80 Leute, ist natürlich eine 7-Tage-24-Stunden -Betrieb, die Leute arbeiten Schicht, Frühdienst, Nachtdienst , Spätdienst, an Weihnachten, Silvester, rund um die Uhr.

Telefon Stellwerk Zürich, Nicole Hartmann.

Eine von ihnen ist Nicole Hartmann. Eine junge schm ale Frau,

schwarzes schulterlanges Haar, Mitte 20.

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Mein Bereich ist die Mitte und zwar sind das die Ge leise Anna 3 bis Anna 12, alles auf der Panoramawand, das einz ige, was ich auf dem Bildschirm schaue, ist der Zulauf, von wo die Züge kommen, ob sie pünktlich sind, man sieht es hier, d ie Zugnummern und dann steht dann plus. Plus 1. Eine M inute zu spät. Wenn sie pünktlich sind, steht nichts, wenn s ie zu früh sind, dies ist ein Güterzug, der hat jetzt minus 2.

Das, sagt die junge Frau, komme schon einmal vor, d ass ein Zug

zu früh ankommt im Hauptbahnhof. Pünktlich dagegen seien die

meisten – und hier oben im Zentralstellwerk tun sie alles

dafür,dass der Fahrplan eingehalten wird.

Die ganzen Züge kreuzen sich bei der Einfahrt und dann kann man, wenn einer zu spät ist, einen anderen forciere n. Damit dieser pünktlich einfahren kann. Und nicht einfach vor dem Einfahrtssignal steht.

Seit knapp 8 Monaten ist sie dabei, genausolang wie die

Kollegin neben ihr. Früher, sagt Dominique Schlege l, früher

hat hier keine einzige Frau gearbeitet.

Ich hab den Beruf einmal noch als reinen Männerdom äne erlebt, ich war auch dabei, als die allererste Frau hier ob en war, was ja wahnsinnig revolutionär war, genau weiß ichs nic ht mehr, aber es muss so vielleicht 1991, 92 gewesen sein. J a, das war eine kleine Revolution. Siebenunddrießig, genau. Das isch korräkt, ja. Wir haben hier eine Weiche, die hatte heute morgen eine Störung, es geht nicht in die Endlage, dann kann ma n nicht rüberfahren mit dem Zug, jetzt hab ich angerufen, s ind sie vom technischen Dienst sind sie dorthingegangen, und ta tsächlich geht sie nicht ganz in die andere Lage, weil sie Sc hwergang hat, sie klemmt. Und jetzt schaut der das an und ma cht, dass sie dann wieder sich kehren kann, ganz.

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Eisenbahn ist Teamarbeit, jeder ist auf den anderen angewiesen, das erklärt auch ein bisschen der Teams pirit, also, man ist Eisenbahner, das ist nicht einfach ei n Beruf wie ein anderer, also die Zusammengehörigkeit im Te am ist schon speziell, also wir hatten gestern ne große St örung, da sind zwei von selbst gekommen, als sies zuhause im Radio gehört haben, haben gedacht, die paar können sicher noch Hilfe gebrauchen und sind dagestanden, ist natürlich imme r super, der Einsatz der Leute in so Situationen, da kann ma n auch wirklich drauf zählen. Also man hilft einander, man unterstützt sich, das ist nicht nur in unserer Berufskategorie, ich denke unter Lokführern oder Ra ngierern ist das auch so.

Heute vormittag gibt es keine Störung. Ein junger M ann steht

auf, geht die paar Stufen hinunter nach vorn zur Pa noramawand

und klebt einen roten Streifen auf das Ende von Gle is sechs.

So, sagt Dominique Schlegel, sehen alle Kollegen, d ass dieses

Gleis ab sofort gesperrt ist für Bauarbeiten. Er ma g den

altmodischen Charme des blinkenden Modellbahnhofs u nd wird ihn

vermissen: demnächst soll das Zentralstellwerk umzi ehen in

einen Neubau am Zürcher Flughafen. Dort werden die

Arbeitsplätze ergonomischer und effizienter sein, d och die

Verantwortung, die jeder Mitarbeiter für seinen Ber eich trägt,

kann auch dort nicht abgegeben werden an die Comput er.

Wenn ich zum Beispiel rangier,also wenn ich eine Lo k an die Wagen lasse, dann muss ich ja zwangsläufig mit dem Fahrzeug gegen ein anderes Fahrzeug fahren, also ich muss ih n in ein Gleis stellen, wo schon Fahrzeuge drin sind. Und we nn ich da anstatt eine Lok einen ganzen Zug nehme, dann geht das technisch auch, aber dann kommt es unter Umständen nicht gut raus. Oder die ganze Sicherung bei Bauarbeiten: als o wenn der draußen bei 78 steht und die Weiche 78 gesperrt hab en will und ich sichere die Weiche 87 – das sind nur 2 Ziffern, ausgetauscht, das kann der Tod sein wegen diesem Fe hler. Also dieser Verantwortung muss man sich bewusst sein in dieser Arbeit.

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Die Fahrwege der Züge werden normalerweise per Rech ner

gesteuert, Gleiswege und Weichenstellungen sind pro grammiert.

Doch schon bei einer winzigen Verspätung eines einz igen Zuges

muss der Mensch eingreifen. Und eine Entscheidung t reffen. Im

Winter zum Beispiel kommt das besonders häufig vor.

Wenn es schneit, die Weichen sind geheizt, Gasbrenn er, aber da gibt’s Schnee an den Zügen, geht ne Viertelstunde n icht mehr, eingefroren, es findet draußen statt, das muss man sich immer wieder klar machen.

Es schwingt immer ein wenig Stolz mit in seiner Sti mme, wenn

Dominique Schlegel über sein Team spricht. Über d en

Hauptbahnhof Zürich. Oder über das Bahnfahren als s olches.

Ja natürlich, ich komme jeden Tag mit dem Zug, ich hab zwar mittlerweile auch ein Auto, aber ich muss es zwisch endrin auch mal bewegen, damit es keine Standschäden erhält.

MUSIK

Lit 2:

Wir packen aus. Wir packen ein.

Wir finden keinen Sinn.

Wo werden wir wohl morgen sein?

Der Schaffner schaut zur Tür herein

Und lächelt vor sich hin.

Auch er weiß nicht, wohin er will.

Er schweigt und geht hinaus.

Da heult die Zugsirene schrill!

Der Zug fährt langsam und hält still.

Die Toten steigen aus.

MUSIK

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Mod:

Auch in Zürich war der Bahnhof zunächst nicht integ raler

Bestandteil der Stadt, sondern ein technischer Appe ndix an

ihren bewohnten Außenrändern. Die Bahnhöfe mussten sich die

Städte erst erobern, ja förmlich einverleiben. Es e ntstand der

Bahnhofsplatz, die Bahnhofsstraße, das Bahnhofshote l – das

ganze städtische Ambiente eben, nervös und fahrig w ie im

Reisefieber. Auf der anderen Seite, hinter den Glei sen,

entstanden die anderen Bahnhofsviertel – die schumm rigen

Milieus mit ihren billigen Kaschemmen, halbseidenen Gestalten

und käuflichen Frauen. Bis heute sind Bahnhöfe imme r wieder

Zwischen- oder Endstation für Obdachlose, Kleinkrim inelle und

Dealer - obwohl aus den anonymen Bahnhöfen von eins t längst

schmucke Dienstleistungszentren und umsatzstarke Sh opping-

Malls mit Ruhezonen und Multimediaanschluss geworde n sind. Auf

die Sicherheit lassen die Züricher auch in ihrem Ha uptbahnhof

nichts kommen.

BEITRAG 3: Blaue Uniform und Käppi auf dem Kopf: Di e

Männer von der Sicherheit

Einmal Lager Migros kontrolliert, alles i.O.

Sie sind immer zu zweit auf Patrouille. Die

Sicherheitsbeauftragten der Securitrans. Blaue Hos e, blaue

Jacke, ein Käppi auf dem Kopf, ebenfalls in dunkelb lau.

So eben immer wenn wir einen Auftrag erledigt haben , dann geben wir es per Funk der Zentrale durch und die sc hreiben es dann auf den Auszug.

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i. O. bedeutet In Ordnung. Beide sind um die dreißi g. Drahtig

der eine, sein Kollege ein Schrank. Gregor und RÜ. Ihre

richtigen Namen wollen sie lieber nicht sagen.

Aus Sicherheitsgründen ja, weil teilweise haben wir es immer mit den gleichen Personen zu tun hier am Bahnhof un d wenn die unsere Nämen wüssten, da wir auch eigentlich ab un d zu am Bahnhof bedroht werden, vor allem am Wochenende, we nn wir jemanden mit Betäubigungsmittel erwischen, beim Lad endiebstahl erwischen, dann kriegt man immer wieder Drohungen, aber die müssen bei einem Ohr reingehen, beim anderen raus. Es ist eigentlich nur zu unserer Sicherheit. Sobald wir ge fragt werden, geben wir die Dienstnummer. Also ich wäre 813. Mein Kollege wäre 814.

Es ist später Vormittag. Gerade haben die zwei

Sicherheitswächter die Lager und Flure im 3. Unterg eschoss

kontrolliert, keine Palette darf die Fluchtwege ver sperren.

Feuerlöschposten: ebenfalls i.O. Weiter in die Tie fgarage, wo

die Ladenlieferanten ihre LKWs entladen. Per Rollt reppe

wieder hoch, die Augen haben sie überall. Gregor un d RÜ kennen

das Labyrinth aus Gängen, Passagen und Treppenhäuse rn besser

als jeder andere. Im Notfall kommt es auf jede Seku nde an.

Also wir sind eigentlich immer unterwegs, in den 8 Stunden haben wir eine halbe Stunde Pause zugute, die könne n wir wählen, wann, und die restliche Zeit sind wir unter wegs, vor allem viele Leute fragen nach Infos, wo fährt der Z ug, wir sind eigentlich für alles hier am Bahnhof, für die Sicherheit, Informationen, für Hilfe, Sanitätsfälle etcetera.

14 Kilometer laufen sie pro Schicht, im Durchschnit t, ein

Kollege hat es mal gemessen, sagt RÜ. Normalerweise in

entspanntem Schritt, gerannt wird nur, wenn es nöti g ist. Bei

einem Feueralarm. Bei einem Unfall. Oder bei einer Prügelei –

die gibt es meist nur am Wochenende.

Funkgerät, genau, PR24, Mehrzweckstock, Pfefferspra y, Funk, Patrouillennatel für Personalienabklärungen...

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Herr Huwyler ist unser Chef, er sagt, wo sind die Schwerpunkte, was wir kontrollieren müssen, auch wa s wir draußen sehen, wir melden es der Zentrale und die Z entrale meldet es dann an Herrn Huwyler.

Die Zentrale ist im 3. Stock, Südflügel. Ein Raum v oller

Bildschirme – darauf die Bilder, die die 95 Videoka meras im

Hauptbahnhof liefern. Es flimmert, alle 2 Sekunden wechselt

die Perspektive.

Das läuft im Hintergrund, die Bilder werden 72 Stun den aufgezeichnet, auf einem großen Server, irgendwo in der Schweiz aufgestellt. Und wenn ein Ereignis ist, als o, wenn sie was sehen oder wenn die Patrouille was meldet, dann kann man diese Daten dann sichern, dass sie nicht gelöscht w erden, weil nach 72 Stunden sind die weg. Aber dass das jetzt w ie, in einem Einkaufszentrum ist das eher so, dass da jema nd mit joystick hinter der Videokamera sitzt und den Perso nen nachgeht, klaut der was, also das machen wir nicht, dazu haben wir, also die Leute die hier arbeiten, gar keine Ze it. Er selbst ist der fachliche Leiter der Überwachungs zentrale.

Stephan Huwyler. Und der Chef der Sicherheit. Ein f reundlicher

Herr, Ende 50, grauer Anzug, weißes Hemd, rote Kraw atte.

Ich bin schon seit 18 Jahren hier, ich weiß wie der Laden läuft, und ich natürlich bin auch draußen, also ich hab nicht einen 100 Prozent Bürojob, als Sicherheitsbeauftrag ter muss man rausgehen, macht man Kontrollgänge, nimmt man d iese Ereignisse wahr, auch im Rapport, jedes Ereignis wi rd rapportiert. Auf seinem Schreibtisch läuft alles zusammen, was i m Bahnhof

mit Sicherheit zu tun hat. Gebäudesicherheit. Brand schutz. Bei

Um- und Neubauten ist er gefragt, wie bei der Planu ng neuen

Bahnhofs Löwenstraße etwa. Im Gespräch mit Architek ten und

Verkehrsplanern hat er festgelegt, wie breit der ne ue

Bahnsteig sein muss. Oder wie viele Fluchtwege es g eben muss.

Sicherheit hat Vorrang. Deshalb ist Stephan Huwyler auch

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Ansprechpartner für die Mieter der Läden im Unterge schoss.

Oder für die Bauarbeiter, die mit einem LKW zur Bau stelle auf

Gleis 16 müssen.

Mein Kollege sagt immer: wenn er meinen Job hätte, würde er keine Nacht ruhig schlafen. Dann sag ich immer dass elbe. Also a ist alles organisiert, b sind die Objektschützer hier und wenn ich schlecht schlafe wegen dem Job, dann müsst e ich den Job wechseln. So lange wie hier, sagt Stephan Huwyler, war er noc h an keiner

Stelle, normalerweise wechselt ein Eisenbahner nach 5 Jahren

in eine andere Position. Doch er wird wohl noch wei terhin hier

bleiben, seine Nerven sind gut. Und dass er mit so vielen

unterschiedlichen Dingen zu tun hat, das macht ihm immer noch

Spaß.

Das ist ein kleiner Kosmos, der alles anzieht, Bahn hof ist ja auch Treffpunkt, also die Jungen treffen sich, aber auch jede Wandergruppe trifft sich hier im Bahnhof, wenn sie losziehen, und Samstag, Sonntag, man trifft sich im Bahnhof, d as ist einfach der große Treffpunkt, darum haben wir auch sämtliche sozialen Schichten hier, vom Bänker bis zum Clochar d, der wirklich auf der Straße lebt, das gibt es auch, abe r: das gehört zu jedem Bahnhof, das ist nicht nur hier so. Die zwei Mitarbeiter 813 und 814, sind gerade im La dengeschoss

unterwegs. An der Treppe zum Ausgang steht eine Fra u, die

raucht, sie wird höflich gebeten, nach oben zu gehe n, dort, im

Erdgeschoss, ist das Rauchen erlaubt.

Dienst ist Dienst. Aber nicht jede Schicht ist wie die andere,

dafür sorgt jedes Zweierteam selbst. Ein bisschen A bwechslung

wollen sie haben.

Wartesaalkontrollen können wir auch machen, da sch auen wir einfach, dass alle ein Billet haben, ein gültiges, ansonsten müssen sie draußen warten oder eins kaufen gehen. W eil die SBB schaut darauf, dass der Wartesaal sauber bleibt und es hat

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viele Jugendliche, gerade am Wochenende, die haben kein Billet und machen hier ihre Riesenpartys. Weil es auch war m ist. Im Zwischengeschoss, gleich neben der Bahnhofskirch e. Ein

kleiner Raum mit roten Plastikstühlen, hintereinand er

angeordnet, vorn an der Wand ein Bildschirm mit den

Abfahrtszeiten.

Eine junge Afrikanerin, ein älterer Herr mit Plasti ktüte, ein

Mann in grauem Anzug, mit Lederkoffer. Der Wartesaa l. Wenn in

der Schweiz gewählt wird, oder bei einer Volksabsti mmung,

dient er auch schon mal als Wahllokal – doch ansons ten nur zum

Warten auf den Zug.

Vielen Dank, merci alle miteinand. Ist schnell gang e! Ja zack zack ja Funksignal - Kontrolle durchgeführt..

Der einzige, der kein Billet hatte und darum den Wa rtesaal

verlassen musste, war der Herr im Graugestreiften, der aussah

wie ein seriöser Geschäftsmann.

Nein, da machen wir keine Ausnahme, weil sonst komm en immer wieder so Vorurteile. Nur weil wir Jugendliche sind , nur weil wir so und so sind, es gilt für alle das gleiche, o b sie Anzug anhaben oder.....

MUSIK

Lit 3:

Ein Kind steigt aus. Die Mutter schreit.

Die Toten stehen stumm

Am Bahnhof der Vergangenheit.

Der Zug fährt weiter, er jagt durch die Zeit,

und niemand weiß, warum.

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Die 1. Klasse ist fast leer.

Ein feister Herr sitzt stolz

Im roten Plüsch und atmet schwer.

Er ist allein und spürt das sehr.

Die Mehrheit sitzt auf Holz.

MUSIK

Mod:

Die Schweizer haben zu ihrer Eisenbahn ein besonder s inniges

Verhältnis – weshalb sie sich den Bahnverkehr auch eine Stange

Geld kosten lassen: Kein Land der Welt ist so darum bemüht,

den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verla gern wie

die Schweiz. Niemand steht so geschlossen hinter de n großen

Infrastrukturprojekten der staatlichen Eisenbahn wi e die

Schweizer – ob beim Umbau des Züricher Hauptbahnhof s, der in

vollem Gange ist, oder beim Bau des Gotthard-Basist unnels, der

bis 2017 fertig gestellt sein soll: es zählt der Ge meinsinn

nach abgeschlossener Volksbefragung. Es gilt: besch lossen ist

beschlossen, Mehrheit ist Mehrheit. Das Phänomen St uttgart 21

wäre in Zürich ebenso unvorstellbar wie im Tessin.

Dafür verlangen die Schweizer allerdings auch eine ganze Menge

von ihrer Eisenbahn. Und deshalb sind die Bahnhöfe in der

Schweiz auch etwas anderes als bei uns – sie sind

gewissermaßen städtische Visitenkarten: Bitte empfe hlen sie

uns weiter. In Zürich gilt das auch kulinarisch.

BEITRAG 4: 14 Küchen und 120 Mitarbeiter: Der Bahn hof als

Großküche

Es ist keine normale Pfanne, in der das Filet angeb raten wird – es ist eher eine Badewanne aus Edelstahl. Der Koc h i weißer Jacke mit den schwarzen Kugelknöpfen muss sich tief hinunterbeugen, wenn er die Fleischstücke wenden wi ll. 8

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Filets pro Bratwanne. Auch die Fleischstücke sind g roß. Sehr groß. Wie eigentlich alles in dieser Küche. 120 Mitarbeiter die ganzen Küchen, 20 Kochlehrlinge , also auch die Ausbildung wird groß geschrieben. Christoph Banz. Ich bin der Küchenchef, und nachher hab ich zwei Stellvertreter Und dann sind noch 14 Küchenchefs, für Catering, i n der Bäckerei ist ein Chef, für Patisserie, Metzgerei, Sandwichproduktion .... Vierzehn Küchen. Und er weiß genau, was in welcher Küche gemacht wird, denn er selbst schreibt die Menüpläne . Die Quantität natürlich, ist wichtig. Doch noch wichtig er ist ihm die Qualität. Soviel frische Produkte wie möglich, auch wenn es mit Tiefkühlgemüse und Fertiggerichten schneller ginge. Immer an die Grenze gehen – das ist das Lieblingsmo tto von Christoph Banz. Ein großer Mann, Ende 40, hohe Stir n, lustige Augen hinter der zarten Brille. Sportlich ist er un d sehr schlank für einen leidenschaftlichen Koch. Also ich esse eigentlich wie ein Tier, aber wahrsch einlich hab ich gute Verbrennungsmotoren oder sowas. Auf jeden Fall läuft er viel. Nicht von Herd zu Her d, sondern von Küche zu Küche. Auch an diesem Vormittag: er hält die Küchen zusamm en. Allein durch seine Anwesenheit. Und durch viel Kommunikati on. Hoi Claudio stehen noch alüten schwyzerisch... haben wir gerade so a lücke..... Für jeden hat er ein paar lustige Worte, ganz gleic h ob es sich um den CEO handelt, den Geschäftsführer, um se inen Chef also. Guten Morgen miteinand....

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Oder um den Lehrling in der Patisserie. Ist eigentlich alles hausgemacht, von Kuchen bis zu Brownies, bis zu Birchermüsli, Birchermüsli, nur als Angabe, 400 Kilo in der Woche, manchmal im Sommer bis zu einer halbe n Tonne Birchermüsli only für eine Woche. Also ist wahnsin nige Produktion da. Es geht in der Zentralküche dann eben doch auch: um Quantität. 100 Kilo Teigwaren jeden Tag. 80.000 Würste pro Mon at: Kalbsbratwurst, Cervelat und, der neueste Renner, e ine Zufallskreation übrigens des Küchenchefs: Chiliwür ste. Jede Wurst, die oben im Hauptbahnhof in den Verkauf geht , wird hier unten handgemacht und im Holzofen geräuchert. Auf der anderen Seite des Gangs: die kalte Küche. T ische mit Arbeitsflächen aus Edelstahl, in der Ecke steht ein e Art Fließband. Wir machen etwa 2einhalb bis 3tausend Sandwiches pr o Tag, von Bagels bis zu Panini, bis zu Standards, Schinkensa ndwiches usw. Wichtig hier wieder der Chef, dass er gut komm uniziert mit der Bäckerei, dass er das Brot zur rechten Zeit kriegt und genügend, Bäckerei muss natürlich schauen, dass die Qualität stimmt, also, hängt alles zusammen und wic htig wieder auch die Kommunikation. Im Prinzip ist es ganz einf ach, aber schwierig umzusetzen. So schwierig scheint es in seinem Fall gar nicht zu sein. Der Küchenchef macht seinen Managerjob gern, mit allem was dazugehört: Budgetplanung. Tages-, Wochen, Saisonka rten. Er bestellt das Fleisch für die Personalküche und die neuen Küchenmaschinen für die Produktion. Nur eines tut i hm leid: dass er kaum noch selbst am Herd steht. Das ist eigentlich das Traurige, ich würde am liebs ten den ganzen Tag kochen, ich hab mich selber in das ganze manövriert, dass ich immer weniger zum Kochen komme und immer mehr sagen muss, was ihr machen müsst und wie ichs haben will. Es ist sehr gefährlich, als Küchenchef nichts mehr zu machen, ich muss schauen, dass ich dabei bin, Caterings, da bin ich

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meistens dabei, sonst verlier ich den Takt, dann we rd ich unglaubwürdig. Das ist eine gefährliche Sache. Damit ihm das nicht passiert, aquiriert der Küchenm anager Christoph Banz zusätzliche Aufträge. Entwirft Menüf olgen für große Anlässe: etwa, wie heute: 500 4-Gänge-Menüs f ür den Zirkus Conelli, der gerade in der Stadt ist. Das ist Pakchoi, Spargel, Trüffelravioli, die Tomät chen... Thema ist East-West, Vorspeise Thuna... Gleich nach der kurzen Mittagspause geht es los: in der Küche der Sandwichproduktion. Auf dem Laufband laufen die Teller und werden bestückt, von 5 Köchen, Erfahrene und Anfäng er: Pakchoi. Spargel. Tomätchen und Teigtaschen. Normal mach ich das Laden am Ende vom Band, da seh ich jeden Teller. Wir haben schon Anlässe gehabt, wo wir 2 Wochen kei n frei gegeben haben. Und: es haben alle mitgemacht, ich m usste die sogar noch heimschicken, hab noch gesagt, komm nich t zu früh, die sind noch zu früh gekommen am Schluss, oder, da s war dann wie so ne Dynamik hat das gegeben, da wollten alle dabei sein. Er ordnet die Petersilie auf der Tomate nach, schie bt den Spargel ein bisschen zur Seite – dann stülpt er ei ne Art Plastikhaube auf den Teller und trägt jeden einzeln en zu der großen Transportkiste neben der Tür. Nicht gerade e ine fachliche Herausforderung für einen Küchenchef. Doc h das scheint ihm nichts auszumachen. Man muss vielleicht nicht alles kochen, aber mal du rchgehen, einen Witz machen,. Als Chef darf man nicht der ers te sein, der schlapp macht, in 10 Jahren war ich nicht einma l krank. Autorin 13 Er selbst hat sich immer schon gerne neue Herausfor derungen gesucht. Ist als 20jähriger vom Gasthof seiner Elte rn aus aufgebrochen in die weite Welt, zuerst nach Kanada, dann nach Asien, insgesamt 18 Jahre lang war er im Ausland. B is er vor zehn Jahren zurückgekehrt ist in die Schweiz, um Kü chenchef zu werden im Hauptbahnhof.

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O 12 Banz Wenn man in Manila, Peking gearbeitet hat, Seoul, d ann braucht man, gewisse action braucht man dann, gewissen das Citylife, zum Leben bin ich schön auf dem Land draußen, das i st das Schöne an der Schweiz - und zum Arbeiten bin ich hi er, ich sag immer: das ist das Herz der Schweiz. Weil wenn der nicht mehr pumpt, dann geht’s der schlecht, der Schweiz, dann kommen keine Pendler mehr her, dann funktionieren die Bank en nicht mehr, das Business läuft nicht mehr, dann geht’s ru nter mit der Schweiz, so sage ich, das ist ein bisserl das H erz und ich kann hier arbeiten, so ich hab eine Freude. Man mus s das lieben, action, crazyness, das Chaotische. Wenn man das natürlich nicht mag, jeden Tag gleich strukturiert, wunderbar schön langweilig, dann bin ich wahrscheinlich der f alsche... Die zweite Transportkiste ist fast voll, mit den Te llern für das Zirkusmenü. Gleich ist die Hälfte geschafft. Di e Stimmung in der Sandwichküche ist immer noch gut. Und der Ch ef am Ende des Laufbands so aufmerksam wie beim ersten Teller. Die Kunst eines Meisterkochs, hatte Christoph Banz heute morg en gesagt, bestehe nicht darin, ein gutes Gericht zu kreieren. Die Kunst, sagte er, sei, auch das tausendste Steak auf den Pu nkt zu braten. Oder, eben: das tausendste Tomätchen zu sor tieren. Es scheint ihm zu gelingen – und seinen Mitarbeitern a uch. Trotz Mittagsmüdigkeit und Neonlicht. Ja, das sagen viele, es hat gar kein Tageslicht und soweiter– ich sag immer, bisschen Humor haben und Freude habe n, ich glaube, tolle Aussicht haben und man ist unglücklic h, bringt auch nichts. So hier haben wir natürlich das Fenste r nicht, dafür können wir mal Quatsch erzählen, mal bisschen lustig haben, ist ja egal was, ein bisschen Herzblut, mit Liebe etwas herrichten, gute Produkte kaufen, können ja mal ein Topprodukt kaufen und selber bisserl essen, und morgens früh m al, wenn der Metzger frische Würste macht, um 9 Uhr frische Weißwurst essen, wer kann das, sag ich immer wieder, so Klein igkeiten.

MUSIK

Lit 4:

Wir sitzen alle im gleichen Zug

Und reisen quer durch die Zeit.

Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.

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Wir fahren alle im gleichen Zug.

Und keiner weiß, wie weit.

Wir sitzen alle im gleichen Zug

Zur Gegenwart in spe.

Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.

Wir sitzen alle im gleichen Zug

Und viele im falschen Coupé.

MUSIK

Mod:

Mit der Bahn verhält es sich in der Schweiz wie mit der Post

und dem Rundfunk. Es lastet nicht nur eine enorme

Verantwortung auf ihnen – sie haben auch mit großen

Erwartungen zu kämpfen: So, wie die Post auf jeder Almhütte

erwartet wird und klarer Fernseh- und Radioempfang in jedem

Seitental, so wird für selbstverständlich gehalten, dass der

Zug so weit wie möglich zu den Menschen kommt und n icht der

Mensch zum Zug.

So kommt es, dass die Schweizer Eisenbahn sich imme r wieder

als Katalysator der gemeinsamen Werte erweist – die Bahn hält

die Schweizer nicht nur verkehrspolitisch zusammen. Sie ist

das soziale und wirtschaftliche Band, das die Eidge nossen in

einem gemeinsamen Schienennetz zusammenschweißt.

Darauf legen die Bahn und ihre Kunden gleichermaßen wert: Auf

Pünktlichkeit. Sicherheit. Zuverlässigkeit. Bequeml ichkeit.

Mehr noch: Auf Sauberkeit. Das gilt für die Züge, W agen und

Abteile. Das gilt aber auch für die Bahnhöfe. Unten auf den

Perrons. Und oben auf dem Dach.

BEITRAG 5: Taubenfänger unterm Dach: Mit einer Zool ogin

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Unterwegs.

Also es hat einfach sehr viel mit Treppensteigen zu tun. Wanderschuhe, Anorak, ein Stirnband aus Wolle – sie ist gut ausgerüstet für ihren Kontrollgang auf dem Dach. Ich mach das auch noch im Großmünster, betreue ich auch noch die Tauben... Iris Scholl, Anfang 40, zarte Statur, gesunde Gesic htshaut, freundliche Augen. Also das Großmünster ist ne Kirche, die hat zwei Tü rme und da muss ich auch immer rauf und runter. Und sie liebt das. Sie – das ist der kleine schwarze Hund mit braunen Pfoten. Aleia. Ein Jagdhund. Sie frisst sehr gerne Taubeneier. Tauben würde sie auch gerne fressen, aber das machen wir nicht. Seit mehr als 20 Jahren kümmert sich die Zoologin u m die Wildvögel der Stadt Zürich: Mauersegler. Turmfalken . Dohlen. Schleiereulen und Waldkauz. Ihr Büro für Verhaltens forschung und Ökologie ist eine gute Adresse für vielerlei Ar ten Naturschutz. Aber als Taubenbeauftragte ist sie auc h gefragt, wenn es nicht um den Schutz der Vögel, sondern um d en Schutz der Gebäude geht. Es ist ja schon so, wir wollen ja nicht einfach kei ne Tauben. Es soll sich halt in nem Rahmen bewegen, mit dem ma n irgendwie umgehen kann. Und der Nachteil bei den Tauben ist s chon: die sitzen lange an der gleichen Stelle und die setzen da ihren Kot ab und der klebt wunderschön. Sie schließt die Tür auf, die aufs Dach führt, stei gt über eine Leiter, die im Weg liegt – und steht schon auf dem Dach der Querhalle.

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Da draußen haben wir drei Fallen, da gebe ich jewei ls Futter rein, als Lockmaterial. Das ist ne spezielle Futtermischung mit Mais, Erbs en, es hat auch noch etwas Hanf drin, und dann hats die roten Samen, die kenn ich nicht, da weiß ich nicht, was es draus gib t, das könnt ich mal mit nach Hause nehmen und ausprobier en, manchmal gibt es wirklich hübsche Pflänzchen – und dann natürlich Gerste, die haben sie am wenigsten gern. Und hier sehen Sie die Fallen, die Idee ist, die Ta uben gehen da durch diesen Rechen, der ist flexibel, aber nach außen können sie dann nicht mehr. Fast filigran sehen sie aus, die Taubenkäfige. Aus Holzstäben gebaut und ausgerüstet mit einer hinterhältigen Zuschnapptechnik. Eigentlich leicht genug, dass man sie einfach mit hinunternehmen – und die Tiere dann in Wald oder Feld aussetzen könnte. Weit weg vom Bahnhof. Nein, Tauben haben ja ein sehr gutes Heimfindevermö gen, denken Sie an die Brieftauben. Ich muss sie umbringen. A lso ich hab keine Wahl. Es ist unfreundlich, ich mach das eigen tlich auch nicht gerne, weil ich muß dann immer wieder schauen , wer kriegt jetzt die Tauben. Ich will die ja nicht einf ach wegwerfen, ich will dass, wenn wir ein Tier umbring en, dass wir das auch irgendwie nutzen. Also sehr häufig neh m ich sie dann mit nach Hause, und leg sie aus für die Füchs e, früher gingen sie noch in den Zoo, und jetzt gehen sie noc h ab und zu in den Tierpark Lommenberg. Für die Wölfe. Und das find ich dann kann ichs irgendwie verantwor ten, es macht mir keinen Spaß, Tauben umzubringen, aber pau se Sie liebt es, wenn sie Tauben umbringen alles, was zappelt, macht sie gerne hin bis es nicht mehr zappelt Das kleine Miststück – sie ist sehr friedlich, wenn s nichts zu jagen gibt. Dahinten hats noch ne Falle.... Dreimal pro Woche steigt Iris Scholl auf das Bahnho fsdach – der Hauptbahnhof liegt sowieso auf ihrem täglichen Arbeitsweg, sagt sie, denn natürlich kommt sie mit dem Zug in d ie Stadt. Manchmal streut sie nur Futter, manchmal säubert si e die Käfige. Und wenn ein Tier in der Falle sitzt, brich t sie ihm das Genick.

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Meine Bedingung ist: es muß möglichst schnell gehen . Wenn ich ne Taube lange anschaue, kann ich sie auch nicht me hr umbringen Es entsteht sehr schnell sowas wie ein Band, oder n e Beziehung. Wobei: das ist wohl eher von mir her, von der Taube wohl eher nicht. Aber das hats auch schon gegeben, dass ich schonmal ne speziell schöne Taube, oder wenn sie so ein sehr k ompaktes Tier in der Hand haben, so wirklich muskulös und so , dann hab ich sie auch schon mal wieder fliegen lassen, weil ich gedacht habe, auf eine mehr oder weniger kommts nicht drauf an, und das ist so ein Prachttier...wir leben ja alle auch gerne.

MUSIK

Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag. Imme r im Takt:

Kommen und Gehen im Hauptbahnhof Zürich. Reporterin war

Simonetta Dibbern, die auch die Musik herausgesucht hat. Und

das Gedicht „Eisenbahngleichnis“ entnahmen wir der lyrischen

Hausapotheke von Dr. Erich Kästner aus dem Jahr 193 6. Es wurde

gelesen von Simon Rohnde. Die vielen Recherchen zu Zahlen,

Daten, Fakten verdanken wir den Kolleginnen und Kol legen von

der Neuen Züricher Zeitung, die sie im Oktober 2010

zusammengetragen haben – im Namen von Redaktion und Technik

verabschiedet sich Thilo Kößler.