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Mosambik-Rundbrief Nr. 75 • Mai 2008 31 Impressionen aus dem mosambikanischen Schulalltag Reformbemühungen, Lokale Curricula, Schülerzentrierter Unterricht. Fernab von den Schlagworten des Erziehungsministeriums und der externen Geldgeber, gestaltet sich der mosambikanische Schulalltag. Es fehlt an allem: Unterrichtsmaterial, Elektrizität, Ausstat- tung. Der Unterricht läuft frontal ab, für Fragen der Schülerinnen und Schüler ist kein Raum. Trotzdem gehen die Kinder gerne in die Schule. Die Autorin schildert Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen rund um das Thema Schule. Von Katrin Schneider Fragen stellt der Lehrer „W ir haben ja nichts, um das zu machen, was ihr macht“, sagt Ester Bata am Ende einer Hospitationswoche in der Baltic-Gesamtschule Lübeck. Ester ist Lehrerin an der Escola Primária A luta continua in Messano. Zwischen den bei- den Schulen besteht eine fast elfjährige Beziehung. Kein Material, keine Ausstattung Was hat Esters Schule nicht, was wir ha- ben und das für uns so selbstverständlich ist wie ein Dach über dem Kopf? Es gibt keine Elektrizität. Ester un- terrichtet in der Nachmittagsschicht. Die Fenster haben Lamellen wegen der Son- ne, im Raum deshalb gedämpftes Licht. Wenn der Nachmittag voranschreitet, können die Kinder nur noch bei geöff- neter Tür lesen, was an der Tafel steht. Kein Strom, also auch kein Radio, kein Recorder, kein Computer, nichts, um den Schulalltag lebendiger zu gestalten. Es gibt kein fließendes Wasser und daher keine Gelegenheit, sich zwischen- durch auch nur mal die Hände zu wa- schen. Papierkörbe im Klassenraum? Fehl- anzeige! Auch auf dem Schulhof ist von einem Behälter für den Müll nichts zu sehen, und der Wind verteilt Papier und Plastiktüten immer wieder neu. Das war nicht immer so, erinnere ich mich. In den ersten Jahren wurde nach Schulschluss der Müll aus den Räumen gefegt und mit dem auf dem Schulhof in einer Grube verbrannt. Ester unterrichtet bis auf Sport alle Fächer, am liebsten Mathematik. Da fällt das Fehlen von Unterrichtsmaterial nicht ganz so stark auf. In Erdkunde aber kann sie den Kindern nicht zeigen, wo Süd- afrika liegt, das Land, in dem viele Väter arbeiten, um die Familie zu ernähren. Of- fensichtlich gibt es die Landkarte und die Globen nicht mehr, die wir vor einigen Jahren mitbrachten. Ester war sehr angetan von den schö- nen Klassenräumen in Lübeck. Warum malt sie keine Bilder mit den Kindern ihrer dritten Klasse und hängt sie an die nackten, graugrünen Wände? Der Schul- leiter erklärt es mir: „Hier wird alles ge- klaut.“ „Und wenn man die Wände be- malt?“, frage ich. „Kein Geld für Farbe“, winkt er ab. Ich habe einen Geldbetrag meiner Schule, über den ich für kleinere Dinge sofort verfügen kann. „Lass uns Farbe kaufen“, sage ich zum Schullei- ter, aber es kommt in den drei Monaten meines Aufenthaltes nicht dazu. Immer ist etwas Anderes wichtiger. Ein weiteres Hindernis für Veränderungen. Hohe Lehrerfluktuation Seit zehn Jahren unterrichtet Ester an der Grundschule in Messano. Auch dieses Jahr ist sie nicht versetzt worden, wo- rüber sie sehr froh ist, weil sie mit ihrer Fragen stellt der Lehrer Latrinenbau für die Lehrerin Foto: Katrin Schneider

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Mosambik-Rundbrief Nr. 75 • Mai 2008 31

Impressionen aus dem mosambikanischen Schulalltag

Reformbemühungen, Lokale Curricula, Schülerzentrierter Unterricht. Fernab von den Schlagworten des Erziehungsministeriums und der externen Geldgeber, gestaltet sich der mosambikanische Schulalltag. Es fehlt an allem: Unterrichtsmaterial, Elektrizität, Ausstat-tung. Der Unterricht läuft frontal ab, für Fragen der Schülerinnen und Schüler ist kein Raum. Trotzdem gehen die Kinder gerne in die Schule. Die Autorin schildert Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen rund um das Thema Schule.

Von Katrin Schneider

Fragen stellt der Lehrer

„Wir haben ja nichts, um das zu machen, was ihr macht“, sagt Ester Bata

am Ende einer Hospitationswoche in der Baltic-Gesamtschule Lübeck. Ester ist Lehrerin an der Escola Primária A luta continua in Messano. Zwischen den bei-den Schulen besteht eine fast elfjährige Beziehung.

Kein Material, keine AusstattungWas hat Esters Schule nicht, was wir ha-ben und das für uns so selbstverständlich ist wie ein Dach über dem Kopf?

Es gibt keine Elektrizität. Ester un-terrichtet in der Nachmittagsschicht. Die Fenster haben Lamellen wegen der Son-ne, im Raum deshalb gedämpftes Licht. Wenn der Nachmittag voranschreitet, können die Kinder nur noch bei geöff-neter Tür lesen, was an der Tafel steht.

Kein Strom, also auch kein Radio, kein Recorder, kein Computer, nichts, um den Schulalltag lebendiger zu gestalten.

Es gibt kein fließendes Wasser und daher keine Gelegenheit, sich zwischen-durch auch nur mal die Hände zu wa-schen.

Papierkörbe im Klassenraum? Fehl-anzeige! Auch auf dem Schulhof ist von einem Behälter für den Müll nichts zu sehen, und der Wind verteilt Papier und Plastiktüten immer wieder neu. Das war nicht immer so, erinnere ich mich. In den ersten Jahren wurde nach Schulschluss der Müll aus den Räumen gefegt und mit dem auf dem Schulhof in einer Grube verbrannt.

Ester unterrichtet bis auf Sport alle Fächer, am liebsten Mathematik. Da fällt das Fehlen von Unterrichtsmaterial nicht ganz so stark auf. In Erdkunde aber kann sie den Kindern nicht zeigen, wo Süd-afrika liegt, das Land, in dem viele Väter arbeiten, um die Familie zu ernähren. Of-fensichtlich gibt es die Landkarte und die Globen nicht mehr, die wir vor einigen Jahren mitbrachten.

Ester war sehr angetan von den schö-nen Klassenräumen in Lübeck. Warum malt sie keine Bilder mit den Kindern ihrer dritten Klasse und hängt sie an die nackten, graugrünen Wände? Der Schul-leiter erklärt es mir: „Hier wird alles ge-

klaut.“ „Und wenn man die Wände be-malt?“, frage ich. „Kein Geld für Farbe“, winkt er ab. Ich habe einen Geldbetrag meiner Schule, über den ich für kleinere Dinge sofort verfügen kann. „Lass uns Farbe kaufen“, sage ich zum Schullei-ter, aber es kommt in den drei Monaten meines Aufenthaltes nicht dazu. Immer ist etwas Anderes wichtiger. Ein weiteres Hindernis für Veränderungen.

Hohe LehrerfluktuationSeit zehn Jahren unterrichtet Ester an der Grundschule in Messano. Auch dieses Jahr ist sie nicht versetzt worden, wo-rüber sie sehr froh ist, weil sie mit ihrer

Fragen stellt der Lehrer

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S C H W E R P U N K T

Familie in Messano wohnt. Sie kann von Glück sagen, denn die Fluktuation an der Schule ist groß. Gerade sind Julieta und Ernesto versetzt worden. Sie waren erst drei beziehungsweise zwei Jahre an der Schule. Ester ist überzeugt, dass Protest nichts bewirkt. „Man wird versetzt, das ist einfach so“, sagt sie.

Fragen stellen die Lehrer Nelessia Cossa arbeitet nicht nur im Er-ziehungsministerium. Von Montags bis Freitags unterrichtet sie abends Englisch. Am Ende der Hospitationswoche in Lü-beck ist sie vor allem beeindruckt von den vielen Fragen, die die Kinder stellen: „In meinem Unterricht stellt nie jemand eine Frage, auch wenn sie etwas nicht ver-standen haben. Frage ich, warum hast du nichts gesagt: Schweigen.“

Auch Mingarda, Esters Tochter, stellt keine Fragen, wie eine Episode in meinem Englischunterricht in Messano, an dem sie zusätzlich teilnimmt, zeigt. Einmal sollen die Jugendlichen sagen, wie alt sie sind. „Fourteen“, sagt Mingar-da. Die anderen lachen. Ich will wissen, warum. Mingarda erklärt es mir: „Ich bin erst 13, aber weil ich nicht wusste, was das auf Englisch heißt, habe ich gesagt, dass ich 14 bin“.

Die Kolleginnen und Kollegen der EP1 und EP2 laden mich in ihren Un-

terricht ein und freuen sich, wenn ich komme.

Ich sehe, dass es für Mingarda und all die andern gar keine Gelegenheit gibt, Fragen zu stellen, weder im Englischun-terricht, noch in irgendeinem anderen Fach.

Die Fragen stellt der Lehrer oder die Lehrerin, die Kinder antworten meistens im Chor. Das hört sich dann so an:Lehrer: 3+7 são 10?Klasse: Sim.Lehrer: 7+8 são 12?Klasse: Não.

In einer 7. Klasse hat die junge Kolle-gin einen anspruchsvollen Text über die Errichtung des Transfrontier Parks ausge-wählt. Der Text wird insgesamt viermal gelesen, dreimal nacheinander von den Kindern, einmal von der Lehrerin. Da-nach erklärt sie der Klasse, warum solch ein Park etwas ganz „Tolles“ für das Land ist. Es wird nichts geklärt, es gibt kein Gespräch, es werden keine persönlichen Bezüge hergestellt.

Dienstleistungen für die LehrkräfteNur in einem Fach sehe ich einmal schü-lerorientiertes Lernen, wie es in einer Handreichung für Lehrkräfte (Módulo de formação / Ensino centrado na criança, 2004) sehr eindrucksvoll und motivie-rend beschrieben wird.

Im Fach Ofícios beobachte ich eines Tages eine Gruppe von Jungen, die ein für das Dorf typisches casa de banho (Toilet-tenhäuschen) bauen. Drei Tage sind sie nachmittags damit beschäftigt. Niemand ist da, der das Projekt begleitet. Soweit ich das beurteilen kann, ist das auch nicht nötig. Die Jungs sind absolut fit.

Das casa de banho ist übrigens nicht für die Schule, sondern für ihre Lehre-rin.

Ob die Tätigkeiten der Mädchen auch in das Fach Ofícios gehören? Die Mädchen betreuen das Baby ihrer Lehre-rin, sie putzen Gemüse, sie waschen das Geschirr für die Lehrer ab, die sich zwi-schen der Vor-und Nachmittagsschicht ei-ne Mahlzeit kochen. Ich sehe auch, wie die Mädchen schwere Wasserkanister zu den Lehrerwohnungen schleppen und den Boden vor den Häusern bearbeiten.

Was haben die Lehrerinnen und Leh-rer in Messano, was für uns nicht mehr so selbstverständlich ist?

Kinder, die gerne zur Schule kom-men, die die Schule als Abwechslung ansehen und für die die Unterrichtenden Respektspersonen sind.

Katrin Schneider engagiert sich im KKM-Vorstand und in der Schulpartnerschaft mit der Escola Primária in Messano.

Keine Gelegenheiten zum Fragen stellen

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