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Das Magazin der HANNOVER MESSE 1 | 19 INDUSTRIAL INTELLIGENCE EXKLUSIVER EINBLICK DIE VORSERIENMONTAGE DES E.GO LIFE IN AACHEN S. 22 WHITE HAT ADRIAN JANOTTA S. 20 VORBILD SOPHIA HATZELMANN INDUSTRIAL PIONEERS S. 37 MAHNER PROF. DR. SEPP HOCHREITER

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Das Magazin der HANNOVER MESSE

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INDUSTRIAL INTELLIGENCE

EXKLUSIVER EINBLICKDIE VORSERIENMONTAGE DES E.GO LIFE IN AACHEN

S. 22 WHITE

HAT

ADRIAN JANOTTA

S. 20 VORBILD

SOPHIA HATZELMANN

INDUSTRIALPIONEERS

S. 37MAHNER

PROF. DR. SEPP HOCHREITER

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LIEBE LESERINNEN UND LESER,

Ende 2018 hat die Bundesregierung die KI-Strategie Deutschlands auf den Weg gebracht – unter anderem ausgestattet mit drei Milliarden Euro. Das kann ein Anfang sein. Viele behaupten, Deutschland und Europa hätten schon lange den Anschluss an China und die USA in Sachen Machine Learning und KI verloren. Für den Con-sumerbereich mag das so sein, leider.

In der Industrie startet das Wettrennen aber jetzt. Viele Kommentatoren sitzen einem großen Irrtum auf. Sie schreiben von Künstlicher Intelligenz (KI) und meinen doch Machine Learning, denn alles, was wir momentan sehen, hören und mit welchem Gerät wir auch sprechen: Die Technologie ist Machine Learning und die Algorithmen be-ruhen unter anderem auf den Forschungen von Prof. Dr. Sepp Hochreiter, dem ich sehr dankbar bin, dass er uns einen polarisierenden Gastbeitrag geschrieben hat (Seite 37). Wir als Messe bringen Menschen und ihre Meinungen zusammen.

Ich schließe mich der Meinung von Prof. Dr. Sepp Hochreiter an: Deutsch-lands und Europas Chancen liegen sicher nicht in Alexa- oder Siri-Pendants. Unsere Chance liegt im Machine Learning, in intelligenten Anwendungen für die Industrie, und an vielen Hochschulen bilden Dozenten schon heute junge Frauen und Männer zu dem Thema aus, machen sie fit für Machine Learning. Die zweite Halbzeit der Künstlichen Intelligenz bricht gerade erst an, und wir werden diese mit unseren Ausstellern nutzen.

Wir haben gut trainiert – Menschen und Maschinen, auch im ältesten Unternehmen Deutschlands. Achenbach Busch-hütten wurde 1452 gegründet und setzt heute auf die Google Cloud und Machine Learning für neue Produkte – von wegen „abgehängt“. Roger Feist erklärt uns, wie er das macht (Seite 24). Er ist ein echter Pionier und auch Fachbesucher der HANNOVER MESSE.

Ich lade Sie zur HANNOVER MESSE (1. bis 5. April) ein, um sich vor Ort ein Bild über die Leistungsfähigkeit der Industrie zu machen. Unser Leitmotto: Industrial Intelli-gence umfasst nicht nur die Künstliche Intelligenz, sondern auch den Menschen in den Produktionsprozessen.

Ihr

Dr. Jochen Köckler Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Messe

EDITORIAL

GUT TRAINIERT

Informationsgebend und vernetzbar sind SCHUNK Greifsysteme die Schnittstelle für die Kommunikation zwischen Werkstück und Maschine.

In Touch with Big DataSeit Jahrzehnten prägen SCHUNK Greifsysteme den rasanten Fortschritt in vielen Branchen. Schon heute bilden intelligente und vernetzbare SCHUNK Komponenten die Grundlage für die flexible und intelligente Produktionsautomatisierung. Als führender Technologieausrüster von Robotern und Produktionsmaschinen engagieren sich in 9 Werken, 34 Ländergesellschaften und über 50 Ländern der Erde 3.400 Mitarbeiter der SCHUNK-Familie Tag für Tag für den Erfolg unserer Kunden – mit Pioniergeist und Kompetenz, mit Zuverlässigkeit und Leidenschaft.

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Jens Lehmann, deutsche Torwartlegende, seit 2012 SCHUNK-Markenbotschafter für sicheres, präzises Greifen und Halten.schunk.com/lehmann

01.-05.04.2019Halle 17 I Stand B40

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INHALT 1 | 19

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Editorial3 GUT TRAINIERT

Augenblick6 KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

News8 SECURITY, ÜBERNAHME, 5G

Reportage10 VORSERIENPRODUKTION

BEI E.GO

News14 CYBERPOLICEN, HERMES

AWARD, ROBOTERMARKT

Pioniere16 SEEBERG – DER TRAINER

18 IVERSEN – DER ARCHITEKT 20 HATZELMANN – DAS VORBILD 22 JANOTTA – DER GUTE HACKER 24 FEIST – DER VORDENKER 26 SODER – DER DIRIGENT

News28 HARTMETALL-DRUCK,

E-MOBILITÄT, INDUSTRIAL INTELLIGENCE

Forschung30 MUSTERSUCHE IN DER

KONSTRUKTION

Energie32 5G FÜRS NETZ

Gamification34 SPIEL, ABER ERNST

Gastbeitrag37 VERMASSELT ES NICHT

Steuerung38 20 MILLIARDEN FÜR

AUTOMATISIERUNG

Arbeit40 WOL IN DER PRODUKTION

Startup42 DIE NEUEN

Der Ort, an dem die Industrie von morgen entsteht – die HANNOVER MESSE ist es seit über sieben Jahrzehnten. Was kommt als nächstes? Das!

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20 Milliarden für Automatisierung

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Pioniere

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KI für die Konstruktion

30Spiel, aber ernst

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e.GO – die Fabrik und die Menschen lernen

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THEMENSCHWERPUNKT:

INDUSTRIAL INTELLIGENCE

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MACHINE LEARNING ALLE MÜSSEN LERNEN UND DENKENMenschen bringen Maschinen bei, logisch und zweckgerichtet zu handeln, um Kunden-bedürfnisse zu befriedigen. KI-Systeme generieren Wissen und können heute auf Basis von Daten und Algorithmen Betriebszustände fortlaufend optimieren oder Fehler und Störungen sicher voraussagen – in Produktionsprozessen, im Stromnetz oder in der Logistik. Daten-sammlung, Datenanalyse, maschinelles Lernen oder die Entwicklung von Algorithmen für Künstliche Intelligenz macht der Mensch erst möglich. Industrial Intelligence steht deshalb auch dafür, Wissensmanagement auszubauen und Wissensträger auszubilden.

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NEWSNEWS

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SECURITY ROBOTIK

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KOMMUNIKATION

DER FOKUS MUSS AUF DER INDUSTRIE LIEGEN

DER 5G-PLAN

NEUE CHANCENVPN-MYTHOS

Quelle: ZVEI

VPN-Tunnel können weiter in China betrieben werden. Lachen jetzt bei der Hahn Group – die Roboter von Rethink.

Die Aufregung in europäischen Unternehmen war groß. Medien berichteten vor wenigen Mo-naten von einer bevorstehenden VPN-Tunnel-abschaltung in China. Dr. Dennis-Kenji Kipker, unter anderem wissenschaftlicher Geschäfts-führer des Instituts für Informations-, Gesund-heits- und Medizinrecht (IGMR) der Universität Bremen, gibt vorsichtig Entwarnung. In einem Aufsatz für die Fachzeitschrift Datenschutz und Datensicherheit berichtet er: Das bedeutet konkret, dass bestehende VPN-Verbindungen wie bisher auch grundsätzlich aufrechtzuerhalten sind. Von einer möglichen Unterbrechung sollen lediglich solche Anbieter bzw. Verbindungen betroffen sein, die rechtswidrig sind – was aber auch schon nach „altem“ Recht der Fall gewesen sein kann und nicht mit einer f lächendeckenden und anlasslosen VPN-Abschaltung zu tun hat. Daraus wiederum lässt sich folgern, dass solche VPN-Tunnel, die bisher auch schon ohne grund-sätzliche Konflikte bestanden, mit großer Wahr-scheinlichkeit selbst unter dem Regelungsregime des chinesischen Cyber-Sicherheitsgesetzes ebenso weiterhin ohne zu erwartende Konflikte betrieben werden können. Sein Fazit: Festzustel-len bleibt, dass sich deutsche und EU-Unterneh-men zumindest beim Thema „VPN und China“ etwas entspannen können. ■

ZITIERT

Es stört mich, dass alle, die über Innovation reden, ein Ticket kaufen und nach San Francisco fliegen. In Berlin gab es schon Startups, da gab esim Silicon Valley noch nicht mal Garagen.

Joe Kaeser, CEO von Siemens, anlässlich der Vorstellung der Investitionspläne des Konzerns in Berlin

Bei der 5G-Diskussion herrscht Verwirrung. Immer neue Stimmen fordern immer neue Dinge. Wie ist der Stand der Dinge?Es herrscht weder Verwirrung noch Chaos. Als Elektro-industrie haben wir eine klare Position zu 5G. Diese lautet: ein ganz eindeutiges „ Ja“ zu lokalen 5G-Netzen auf den Werksgeländen. Denn wenn diese 5G-Netze nicht schnell kommen, verspielen wir unsere Führungsrolle bei Industrie 4.0. Es geht um die Zukunftsfähigkeit des In-dustriestandorts Deutschland. Deshalb müssen wir beim 5G-Ausbau schnell vorankommen und alle mit anpacken.

Fehlt Ihnen das Vertrauen in die Telekommunikationsanbieter?Es geht eher um Teamwork, also darum, dass jeder genau das in den 5G-Ausbau einbringt, was er am besten kann. Denn Deutschland braucht von vornherein ein leistungs-starkes industriefähiges 5G-Netz. Gleichzeitig muss der Ausbau schnell erfolgen: Industrie 4.0 ist ein Tempo-Thema und 5G schafft das schnellste und zuverlässigste Netz für das Internet der Dinge und die Fabrik 4.0 mit vielen Tausend Geräten und Maschinen und zwar am

besten über lokale, sichere Netze auf dem Werksgelände. Viele Industrieunternehmen aus unterschiedlichen Bran-chen wie der Automobilindustrie, der Chemie, Elektro-industrie und Maschinenbau wollen solche Netze aufbau-en. Sobald die Frequenzen zur Verfügung stehen, werden diese von den Unternehmen beantragt werden. Lokale 5G-Netze auf den Werksgeländen ergänzen den Ausbau der großen Mobilfunkbetreiber und garantieren die not-wendige Versorgungsdichte mit 5G.

Wo lauern Fallstricke in dem Prozess?Die große Herausforderung ist, dass wir in Deutsch-land kein Silicon Valley haben. Wir haben den Mittel-stand überall im Land – derzeit noch mit vielen schlecht versorgten Verkehrswegen und Gewerbegebieten. Das muss sich jetzt ändern. Deshalb muss der Fokus auf der Industrie liegen und die Unternehmen zu 100 Prozent ans Breitbandnetz angeschlossen werden – gleichgültig, ob sie nahe der städtischen Ballungszentren oder in ländlichen Regionen ansiedeln. Dabei können wir unterstützen, indem wir selbst lokale 5G-Netze auf den Werksgeländen aufbauen. ■

FACTORY A

FACTORY B

Edge data center (hosting edge cloud)Network functions, industrial apps,3rd party apps

Data center (hosting cloud)Network functions, industrial apps,3rd party appsTransport

5G Access Slice A

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Sensors

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5G Access Slice A

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Nach dem Aus von Rethink Robotics können viele Mitarbeiter aufatmen, denn Universal Robots bietet den Mitarbeitern vom ehemaligen Wettbewerber Arbeitsplätze an. Die Dänen überneh-men über 20 Mitarbeiter – vor allem aus den Bereichen Engineering und Produktentwicklung, berichtet der US-Robotic-Report. Auch der Standort Boston soll von Universal Robots übernommen wer-den, berichtet das Fachmedium. Dazu kommt: Die Hahn Group, ein international agierendes Technologieunternehmen für Automa-tisierungs- und Roboteranwendungen, stärkt seine Marktposition durch die Übernahme von Robotertechnologie des US-ameri-kanischen Robotik-Pioniers Rethink Robotics. Im Rahmen der Transaktion wurden u. a. alle Patente und Namensrechte sowie die Softwareplattform „INTERA5“ des Unternehmens erworben. Mit dieser Softwareplattform, welche die intuitive Programmierung von Industrierobotern erlaubt, hat Rethink Robotics den industriellen Einsatz von kollaborativen Robotern – sogenannten Cobots – erst möglich gemacht, heißt es in einer Mitteilung. Die Übernahme der Robotertechnologie von Rethink Robotics markiere für die Hahn Group einen wichtigen Schritt im Ausbau ihres Geschäftsfelds Kollaborative Robotik, heißt es weiter. Durch die Transaktion er-ziele man einen deutlichen Zugewinn an innovativer Technologie und hoch spezialisiertem Know-how. ■

Interview mit Dr. Klaus Mittelbach, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung

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Bastian Lüdtke ist ein ruhiger, analytischer Mensch. Er ist promovierter Wirtschaftsingenieur von der RWTH Aachen und steht vor der größten Aufgabe seiner jungen Karriere. In weniger als 100 Tagen muss der erste Elektrokleinwagen e.GO Life aus Aachen „sein“ Werk verlassen. Er ist Werksleiter der e.GO Mobile AG in Aachen. Die Kunden warten ungeduldig, manche haben das Auto sogar blind im Internet bestellt. „Wir haben keine firmeneigenen Vorerfahrungen, keine Voranläufe“, berichtet Lüdtke nüchtern. Autobauen aus dem Nichts. Aufgeregt? „Aufregung herrscht vor allem bei der Frage, wer den ersten Wagen bekommt“, erklärt Lüdtke und grinst dabei. e.GO ist Lüdtkes erster Arbeitgeber, sein ehe-maliger Doktorvater Prof. Dr. Günther Schuh ist jetzt sein Chef. Für viele bei e.GO ist es das erste Mal,

dass sie ein völlig neues Auto entwickeln und bauen – in der Konstruktion, im Einkauf, am Band oder in der Logistik. Doch Lüdtke und seine Kollegen sind sich sicher: „Den Anlauf kriegen wir hin.“ Vielleicht auch deshalb, weil zunächst einmal 45 Stück pro Schicht gebaut werden sollen. „Darüber lachen die großen Autobauer.“

Der e.GO Life war eine Vision, eine Wette auf die Zukunft und ist jetzt zur Realität geworden – ein bezahlbares, viersitziges Stadtauto mit Elektro-antrieb, gebaut in Deutschland, das auch noch Spaß machen soll, mit dicken Reifen für das Gokart- Feeling. Darüber lachen die großen Autobauer heute nicht mehr. Und Bastian Lüdtke und seine Kollegen sind zufrieden.

REPORTAGE

DIE FABRIK UND DIE MENSCHEN LERNENAutofabriken werden heute nur noch selten in Deutschland eröffnet. Die jüngste Fabrik steht in Aachen. Bei e.GO setzen die Verantwort lichen auf volle Datentransparenz in der Produktion. Am 1. März muss alles laufen. Werksleiter Dr. Bastian Lüdtke gewährt einen Einblick in die Vorserienproduktion.

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DATEN ZUM E.GO LIFE 60

• Leistung: 60 kW• Geschwindigkeit: 152 km/h• Reichweite Stadtverkehr: 158 km• Verbrauch: 12,5 kWh • Ladezeit (IEC Type 2 Connector):

6,9 Stunden • Preis: ab 19.900 Euro

Der e.GO Life 20, die Basisversion mit 20 kW, schafft eine reale Reich-weite von 104 km und ist erhältlich ab 15.900 Euro.

Die Vorserienproduktion läuft seit einigen Wo-chen. Die Fabrik und die Menschen lernen. „Ein Elektroauto zu bauen, ist weniger komplex als ein Verbrennermodell“, berichtet der Werksleiter. Viele Mitarbeiter sind ehemalige Kfz-Meister oder -Gesellen, die e.GO in der Region Aachen angeworben hat und die jetzt den Kleinwagen zusammenschrauben. Über 40 Angestellte in der Montage sind es mittlerweile. Zahlreiche Displays an den Stationen visualisieren Arbeitsschritte und Fertigungsdaten. Die Philosophie: Ein gutes Bild ist besser als jede Erklärung. „Datentransparenz auch gegenüber den Mitarbeitern ist uns wich-tig.“ Mehr als 650 Teile müssen verbaut werden. „Wir fertigen an sich klassisch in der Linie mit 28 Stationen.“ An diesen Stationen werden so über 1.000 Varianten erzeugt. Theoretisch sind noch viel mehr Varianten möglich.

Roboter, Cobots, automatische Kleinteilelager? Weitgehend Fehlanzeige bei e.GO – Roboter schweißen im benachbarten Karosseriewerk, aber in der Fertigung geben Menschen den Takt an. „Unser 4.0 ist die schlanke Fertigung und die Datendurchgängigkeit von der Entwicklung über den Einkauf, die Fertigung bis zum Endkunden“, erklärt Lüdtke. Roboter würden sich momentan bei e.GO noch nicht rechnen. Doch die Aachener sammeln Daten an allen Prozessschritten bei der Entstehung des Fahrzeugs. „Wir haben keine Re-dundanzen in den Daten“, erklärt Lüdtke. Altbe-stände in den Datensätzen kennen die e.GO Pla-ner nicht. Die Fabrik ist ein Greenfield-Projekt und das erleichtert die Arbeit. Die Batterien lagern bei e.GO im Bunker, denn Lithium-Ionen-Batte-rien sind schwer zu löschen. Grundsätzlich setzen Autobauer darauf, möglich wenig zu lagern und so eine Just-In-Sequence( JIS)-Belieferung sicherzu-stellen. Die Antriebseinheiten werden in eigenen, kleinen Vormontagestraßen am Band konfiguriert und dann in der Montagelinie eingesetzt. „Die Vormontagelinie haben wir beispielsweise mit einem unserer Zulieferer gemeinsam entwickelt“, erklärt Lüdtke. Auch an dieser Stelle sammelt er natürlich Daten über den Montageprozess.

„Wir haben eine Datendurchgängigkeit vom PLM-System über das ERP hin zum WMS und MES. Unser Ziel ist es, die Entwicklungsstückliste effizient zur Fertigungsstückliste ohne Daten-redundanzen und Systemschnittstellenbrüche umzuwandeln.“ Diese wird dann an das ERP automatisch übergeben.

DAS ENDE DER DATENSILOSDafür brauchte es Schnittstellen – alles individuell konfiguriert. Lüdtke steht vor einer riesigen Vi-deowand, auf der er Datenauswertungen aus allen Bereichen auf Knopfdruck bekommt. „In der Ver-gangenheit haben drei bis vier Leute Wochen an der Umwandlung der Stücklisten und der Aktu-alisierung der Prozessbeschreibungen gearbeitet. Heute erfolgt das durch die Datendurchgängigkeit in den normalen Arbeitsabläufen.“ Die Datensilos sind bei e.GO verschwunden, ein Traum vieler Unternehmen. „Wir sind eine lernende Fabrik, die uns zeigt, wie sie arbeitet. Wir können Prozesse schnell verändern und wenn wir feststellen, dass wir einen Roboter an der Montagelinie brauchen, dann implementieren wir ihn. Die Daten geben uns die richtigen Antworten“, gibt sich Lüdtke selbstbewusst. Bei e.GO will man Probleme in der Fertigung dank der Datentransparenz früher als Wettbewerber erkennen. „Und die Datendurch-gängigkeit ermöglicht es uns, dem Endkunden neue Produkte oder Services bei unserem lokalen Partner Bosch anzubieten oder schneller auf Probleme zu reagieren.“

Doch ganz ohne Automatisierung kommen Lüdtke und seine Kollegen nicht aus. Automa-tisch gesteuerte FTS ermöglichen die barriere-freie Fabrik. „Elektroautos baut man heute nicht mehr zwanghaft in der Elektrohängebahn, denn wir müssen weniger Arbeitsschritte unter dem Auto durchführen. Das ist beim Verbrenner noch anders.“ Die FTS kommen von SEW Eurodrive. „Die Industrie-4.0-Fertigung von Johann Soder bei SEW hat uns überzeugt“, blickt Lüdtke zu-rück. Dort versorgen FTS die Montageplätze. Die FTS-Lösung deckt die einzelnen Fahrzeuge, die Energieversorgung, die WLAN-Kommunikation sowie die Navigation und Fahrzeugkoordination ab. Im Boden verlegte Linienleiter ermöglichen eine kontaktlose und damit verschleißfreie und wartungsarme Energieübertragung. Eine präzise Positionierung wird durch bedarfsgerecht im Boden eingelassene Transponder sichergestellt. Die Software aus Bruchsal ermöglicht es e.GO gleichzeitig, die Förderstrecke zu planen, zu simulieren und zu emulieren und für unterschied-liche Streckenabschnitte beliebige Fahrprofile und Fahrverhalten zu parametrieren – für mehr Wachstum, denn Lüdtke und sein Chef Prof. Dr. Günther Schuh arbeiten schon am nächsten Projekt: ein autonom fahrender Kleinbus. Die Daten aus der e.GO Produktion werden den beiden helfen, ihre 4.0-Fertigung auch auf den Kleinbus zu übertragen. ■

Mit zunehmender Urbanisierung rücken verstärkt Themen wie eine nachhaltige und effiziente Energienutzung sowie loka-le Emissionsbelastungen in den Vorder-grund. Der Ausstellungsbereich Electric Vehicle Infrastructure greift dieses neue Verständnis auf. Damit werden vernetzte Infrastrukturlösungen für die Elektro-mobilität genauso im Fokus stehen wie die Frage, welche Rolle der Verkehrssektor im Energiesystem der Zukunft einnehmen wird. Neben der individuellen Mobilität sind insbesondere der öffentliche Perso-nen- und Warentransport, die Zustellung auf der letzten Meile, die Einbettung in die Infrastruktur sowie neue Verkehrssys-teme, Services und On-Demand-Angebote von besonderer Relevanz.

ELECTRIC VEHICLE INFRASTRUCTURE AUF DER HANNOVER MESSE

„ Unser 4.0 ist die schlanke Fertigung und die Datendurchgängigkeit.“

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Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, ist neuer Vorsitzen- der der HERMES AWARD Jury und wird in dieser Funktion die Weiterentwicklung des welt-weit bedeutendsten Technologiepreises voran- treiben. „Der HERMES AWARD ist eine Insti-tution in der deutschen Forschungs- und Entwick-lungslandschaft. Ich empfinde es als besondere Ehre, den Vorsitz der Jury dieses renommierten Industriepreises zu übernehmen“, erklärt Neuge-bauer. „Gemeinsam mit deutschen und inter-nationalen Technikexperten möchten wir diesen wichtigen Preis weiterentwickeln, auf der Suche nach zukunftsweisenden Innovationen auch Blicke über den Tellerrand wagen und den Fokus auf zielgruppengerechte Produktlösungen noch weiter schärfen.“ Mit dem HERMES AWARD wird jährlich im Rahmen der feierlichen Er-öffnungsfeier der HANNOVER MESSE ein Pro-dukt beziehungsweise eine technologische Lösung ausgezeichnet, die als besonders innovativ gilt. Bei der Beurteilung der Preiswürdigkeit spielen die Kriterien Technologischer Innovationsgrad, Nutzen für Industrie, Umwelt und Gesellschaft, Wirtschaftlichkeit und Umsetzungsreife eine herausragende Rolle. Bewerbungsschluss ist der 6. Februar 2019. Erstmals werden nur drei Ein- reichungen für den HERMES AWARD nomi-niert. Unter diesen Top drei wird der Gewinner ermittelt. Alle HERMES AWARD Nominie-rungen werden am 31. März im Rahmen der Eröffnungsfeier der HANNOVER MESSE 2019 vorgestellt und während der Messe vom 1. bis zum 5. April im Bereich der Research & Technology in Halle 2 präsentiert. ■

MANAGEMENT HERMES AWARD

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Im vergangenen Jahr wurden 381.000 Roboter weltweit ausgeliefert. Das entspricht einem Zuwachs von 30 Pro-zent gegenüber dem Vorjahr, berichtet die International Federation of Robotics. Damit stieg das jährliche Umsatz-volumen von Industrierobotern in den letzten fünf Jahren (2013–2017) um 114 Prozent. Der Verkaufswert stieg im Vergleich zu 2016 um 21 Prozent auf einen neuen Höchst-wert von 16,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017. China hat seine führende Position mit der stärksten Nachfrage und einem Marktanteil von 36 Prozent am Gesamtange- bot im Jahr 2017 deutlich ausgebaut. Mit rund 138.000 verkauften Industrierobotern (2016–2017: +59 Prozent) lag Chinas Nachfrage über dem Gesamtabsatz von Europa und Amerika zusammen (112.400 Einheiten). Ausländische Roboterlieferanten steigerten ihren Umsatz um 72 Prozent auf 103.200 Einheiten, darunter auch Roboter, die von internationalen Roboterlieferanten in China lokal pro-duziert wurden. Dies ist das erste Mal, dass ausländische Roboterlieferanten eine höhere Wachstumsrate aufweisen als die lokalen Hersteller. Der Marktanteil der chinesischen Roboterlieferanten sank von 31 Prozent im Jahr 2016 auf 25 Prozent im Jahr 2017. Japans Hersteller lieferten 2017 56 Prozent des weltweiten Angebots. Damit ist Japan der

führende Industrieroboterhersteller. Die Exportquote stieg um 45 Prozent (2016–2017). Nordamerika, China, die Republik Korea und Europa waren Exportziele. Die Roboterverkäufe in Japan stiegen um 18 Prozent auf 45.566 Einheiten und waren damit der zweithöchste Wert, der je in diesem Land erreicht wurde. ■

MARKT

ROBOTER-REKORDE NEUER JURY-CHEFCYBER POLICEN GEFRAGT

Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer ist Maschinenbauer und seit 2012 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

Zerstören oder Datendiebstahl – die Motive von Hackern sind vielfältig.

ANZAHL DER INDUSTRIEROBOTER AUF 10.000 MITARBEITER IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE IN 2017

Quelle: IFR World Robotics 2018

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ZITIERT Ich denke, das wahrscheinlichste Szenario ist jetzt keine Zersplitterung mehr, sondern eher eine Aufspaltung in ein chinesisch-geführtes Internet und ein nicht chinesisches Internet, angeführt von den Vereinigten Staaten.

Eric Schmidt im Finanzsender CNBC

In der deutschen Industrie wächst der Markt für Cyberversiche-rungen: Jedes siebte Industrieunternehmen (14 Prozent) hat bereits eine Versicherung gegen digitale Wirtschaftsspionage, Sabotage oder Datendiebstahl abgeschlossen. Vor zwei Jahren waren es erst 11 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie des Digitalverbands Bitkom, für die 503 Geschäftsführer und Sicherheitsverantwort-liche quer durch alle Industriebranchen repräsentativ befragt wurden. So planen weitere 13 Prozent der Industrieunternehmen konkret, eine solche Versicherung abzuschließen. Fast ein Drittel (30 Prozent) diskutiert solch ein Vorhaben. Für vier von zehn Unternehmen (38 Prozent) ist eine Cyber-Police weiterhin kein Thema. Vor allem Großunternehmen setzen sich mit Cyberversi-cherungen auseinander. Ein Drittel der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern (32 Prozent) hat sich bereits gegen digitale An-griffe versichert. Bei mittelgroßen Unternehmen zwischen 100 und 499 Beschäftigten ist es fast ein Viertel (23 Prozent), bei kleineren von 10 bis 99 Mitarbeitern erst jedes zehnte Industrieunternehmen (10 Prozent). Bei der Bewertung, inwiefern sich Cyberversicherun-gen gelohnt haben, ist die Industrie geteilter Meinung. Für drei von zehn Unternehmen (28 Prozent), die in den letzten zwei Jahren von digitalen Angriffen betroffen waren und eine Cyberversiche-rung abgeschlossen haben, hat sich die Police gelohnt. ■

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Seeberg steuert ein Speedboot des Konzerns, das Kunden hilft, Machine Learning zu betreiben – ausgelagert vom Alltagsgeschäft. „Aber wir werden sicher in einigen Monaten nur noch von KI spre-chen, denn das klingt nur einfach sexier“, lacht Seeberg und wirkt dann etwas ernüchtert. Genaue Definitionen sind ihm wichtig, um richtige Rückschlüsse zu ziehen.

„Daten sind ein neuer Produktionsfaktor – zusätzlich zu Boden, Kapital und Arbeitskraft, deshalb müssen wir uns mit dem Thema Datennutzen beschäftigen.“ Die immer schnelleren Prozessoren erleichtern die Arbeit. Immer wieder zitiert Seeberg das Mooresche Gesetz. Er hat viele Jahre bei Intel gearbeitet und durfte Moore selber kennenlernen – nahm eine Auszeichnung aus seinen Händen entgegen. Zur Erinnerung, die These: Die Anzahl der Transistoren pro Fläche-Einheit wird sich alle ein bis zwei Jahre verdoppeln. „Am Ende sind wir jetzt bei 18 Monaten. Und meine These ist, dass sich die Datenmengen ebenso alle ein bis zwei Jahre verdoppeln werden.“ Wer sich dessen bewusst ist, kann sich vorstellen, was in naher Zukunft möglich sein wird.

Was wird sich verändern? „In der Vergangenheit haben wir ein Problem oder eine Chance gesehen. Der Entwickler hat dann einen Code geschrieben, der getestet wurde, dann ging der Algorithmus in die Praxis und wurde mit Daten gefüttert und eine Entscheidung dann dem Anwender überlassen.“ Heute, meint Seeberg, sind wir auf dem Weg, dass die Daten zuerst kommen, die dann „einem allgemeinen Algorithmus übergeben werden und dass dann vom System selbstständige Entscheidungen getroffen werden.“ Seeberg glaubt daran, dass Übersetzungen in Zukunft noch einfacher wer-den. „Ein kleiner Knopf im Ohr und wir verstehen Chinesisch oder Kroatisch.“ Auch das autonome Fahren profitiert. „Übrigens nicht im Silicon Valley erfunden, sondern vor 25 Jahren in Neubiberg an der Universität der Bundeswehr – 1.500 km sind die Forscher mit einem Mercedes damals gefahren. Dann wurde das Projekt einge-stampft. Und jetzt ist es in Silicon Valley wieder aktueller denn je.“ Sind die amerikanischen Unternehmen deutschen Firmen voraus? „Glaube ich nicht unbedingt, vielleicht im Marketing.“ Denn wir dürfen nicht vergessen, viele Machine-Learning-Anwendungen, auch die Sprachsteuerungen, die wir heute kennen, beruhen auf dem Algorithmus LSTM (Long Short Term Memory) – das Lang-zeit-Kurzzeitgedächtnis ist eine Entwicklung von zwei deutschen Wissenschaftlern aus München. Prof. Dr. Sepp Hochreiter (siehe Gastbeitrag auf Seite 37) und Prof. Jörg Schmidhuber haben intel- ligente Sprachassistenten wie Siri und Alexa überhaupt erst ermög-licht. Erinnert die Entwicklung nicht an das MP3-Dilemma?

„Wir sind spitze, wir sind fähig, was zu leisten. Das muss uns bewusst werden. Im Consumermarkt haben wir es verschlafen. Beim Maschi-nenbau können wir es der Welt nochmal beweisen.“

Und KI vernichtet Jobs? „ Jein. KI geht uns alle an! Keine Arbeit wird bleiben, wie sie ist. Umso repetitiver die Arbeitsabläufe, desto tiefgreifender die Änderung. Der Werker in der Industrie wird mithil-fe von KI hochwertigere Arbeit ausführen, während die eigent liche Arbeit des Radiologen vermehrt durch KI übernommen werden wird, weil KI mittlerweile akkurater Diagnosen stellen kann als der Mensch.“ Aber warum hapert es augenscheinlich noch im Maschi-nenbau? „Machine Learning wird noch nicht von allen verstanden, der Hype verunsichert, aber die Technologie ist nicht sehr kompli-ziert. Machine Learning basiert auf Statistik, davor braucht niemand Angst haben“, mahnt Seeberg – kein Hexenwerk also? „Wer an der Uni gut in Statistik war, wird seine Freude haben“, lacht er.

Doch Statistik alleine reicht nicht. Es braucht eine Vision für Machi-ne Learning im Unternehmen. „Wir machen das, nicht weil es leicht ist, sondern weil es schwierig ist und weil es in fünf Jahren der einzige Weg sein wird, um erfolgreich zu sein“, erklärt Seeberg. Was braucht es dafür? Eine Vision, eine Strategie – „der Maschinenbauer kann eine Abteilung zum Speedboot ausgliedern und der große Tanker fährt ungerührt erst mal weiter“. Dann fehlt es oft an Data-Verständ-nis – wo sind die Daten, wer ist zuständig? Die Produktion oder die IT? – „Die Zusammenarbeit der Abteilungen muss das Ziel sein.“ Nächster Schritt: Hardware. „Grafikprozessoren brauchen Unter-nehmen für den Start sicher nicht, wir arbeiten mit eher geringen Mengen an Daten und Industrie-PCs. Das funktioniert aber nur, wenn relevante Merkmale, sogenannte Features in den Daten vor-handen sind, dann liegen wir oft im Megabyte-Bereich. Terabyte- Anwendungen sind eher selten. Das Trainieren der Daten kann auf einem Standard-Notebook stattfinden, die Laufzeit-Modelle verrich-ten ihre Arbeit auf einem Industrie-PC in der Maschine; nicht anders als ein Gesichtserkennungs-Modell auf einem modernen Handy“, berichtet der Münchener. Und das Personal? Das sitzt bei Softing in Rumänien – die Data-Science-Kollegen und die Data- Engineers, die die Datenqualität sicherstellen und die Modelle entwickeln, denn im Großraum München buhlen Google, BMW, Microsoft und Co. um die Datenspezialisten. Und wie funktioniert dann das „Lernen“? „Open-Source-Anwendungen vor Ort oder in der Cloud bei AWS, Microsoft oder Google.“ Der letzte Schritt ist dann die Bereitstellung verbunden mit der regelmäßigen Aktualisierung der Modelle – „dann funktioniert Machine Learning und wir können neue Prozesse oder sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln.“ Damit die Umwandlung der Geschäfts- wie Konsumenten-Welt durch KI einigermaßen koordiniert über die Bühne geht, ist es für Seeberg notwendig, dass jeder Arbeitnehmer zumindest eine Stunde mit dem Thema vertraut gemacht wird. Diejenigen, die näher am Thema dran sind, werden sich einen ganzen Tag oder eine Woche oder über längere Zeit in Kursen oder Seminaren weiterbilden. ■

PETER SEEBERG

DER KI-SPEEDBOOT-KAPITÄN Die Überschrift gefällt Peter Seeberg gar nicht. Er will am Anfang des Gesprächs erst mal mit einem Missverständnis aufräumen: „Wir sprechen immer von Künstlicher Intelligenz, aber das ist nicht richtig. Wir bilden nicht die menschliche Intelligenz nach, sondern wir betreiben Machine Learning – Mustererkennung in Daten“, erklärt der Business Developer von Softing.

„ Die Zusammenarbeit der Abteilungen muss das Ziel sein.“

– Peter Seeberg

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„ In der Robotikwelt gibt es noch sehr viele neue Geschäftsmodelle zu entdecken.“

– Enrico Iversen

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Eigentlich hätte sich Iversen nach dem Verkauf seiner Anteile von Universal Robots irgendwo an ein schönes Fleckchen in Dänemark zurück-ziehen, das Leben genießen und stressige Messen hinter sich lassen können. Doch er entschied sich dagegen, investierte sein Geld in junge Firmen und formte aus drei eigenständigen Firmen eine – OnRobot. „In der Robotikwelt gibt es noch sehr viele neue Geschäftsmodelle zu entdecken“, erklärt Iversen. Sein neues heißt Plug-and-Play-Greifer und -Sensoren für Cobots, die ohne Programmierung sofort mit den Cobots arbeiten können. Die Fachwelt wartete gespannt.

Die drei Unternehmen im Detail: OnRobot stellt die Plug-and-Play-Elektrogreifer RG2 und RG6 her. Sie sind sehr f lexibel und können über die gleiche Schnittstelle wie der Roboter program-miert und bedient werden, ohne dass Program-mierer benötigt werden, heißt es. OptoForce stellt Kraft-/Drehmomentsensoren her, die Industrie-robotern Tastsinn verleihen. So können sie Auf- gaben automatisieren, die normalerweise die Ge-schicklichkeit einer menschlichen Hand erfor-dern. Perception Robotics entwickelt nachgiebige Gummi-Tastsensoren, um Roboter mit einem Berührungssinn und Automatisierungssysteme mit robusten Material-Handhabungsfunktionen auszustatten. Alle drei Unternehmen firmieren jetzt unter OnRobot.

„Cobots haben wir jetzt in der Industrie, in den Werkshallen. Aber es braucht Greifer und Senso-ren für die Anwendungen.“ Das Ziel von Iversen und seinen Mitstreitern: Cobots sollen mehrere Aufgaben übernehmen können und die Robo-terarme sollen schnell umzurüsten sein, mög-lichst ohne zusätzlichen Programmieraufwand. Kollaborative Roboter, die in Anwendungen wie Verpackung, Qualitätsprüfung, Material-handling, Maschinenbedienung, Montage und Schweißen sicher neben dem Menschen arbei-ten, machen laut der International Federation of Robotics derzeit 3 Prozent des weltweiten Roboter umsatzes aus, aber der Anteil soll bis 2025 auf 34 Prozent eines Marktes von 25 Mrd. Dollar steigen – gigantische Zahlen.

„Dieses Wachstum wird ganz sicher davon abhängen, ob die Cobots in mehreren Anwen-dungen eingesetzt werden können“, kommentiert Iversen die Prognosen. Doch der Däne will sich nicht lange mit Analysen aufhalten. Viel mehr interessiert ihn, neuen Mehrwert zu schaffen. Der vom Startup Perception Robotics, das mitt-lerweile mit OnRobot fusioniert hat, entwickelte „Gecko Gripper“ bietet laut Iversen einen neuen Ansatz – seine Inspiration kommt aus der Natur und er nutzt das gleiche System der Adhäsion wie die Füße eines Geckos: Millionen von feinen Fasern haften an der Oberf läche des Werkstücks und erzeugen starke Van-der-Waals-Kräfte. Für die „Gecko Gripper“-Technologie nutzt OnRobot ein lizenziertes Konzept, das ursprünglich vom NASA Jet Propulsion Laboratory ( JPL) entwi-ckelt und zur Marktreife gebracht wurde. „Dank dieser einzigartigen und sich schnell weiterent-wickelnden Lösung sind für den Umgang mit großen, f lachen Objekten keine Vakuumgreifer mit Druckluftanlage mehr erforderlich“, ver-spricht der Däne. Im Gegensatz zu Vakuumgrei-fern kann der Gecko Gripper auch perforierte oder poröse Werkstücke wie Platinen problemlos handhaben. Der Greifer ist kompatibel mit Robo-terarmen von Universal Robots und Kawasaki. „Das ist uns wichtig. Wir sind aufgrund unserer Historie mit Universal Robots verbunden, treffen uns auch mal zum Kaffee, aber wir arbeiten mit allen anderen Robotikherstellern zusammen“, unterstreicht Iversen. Der Roboterarm ist für ihn „nur“ die Schnittstelle zum Werker. Die Inno-vation liegt für den Gründer in den Werkzeugen des Roboters. Und die ersten Kunden bestätigen den Weg. Das dänische Getriebebauunternehmen Osvald Jensen verringerte mit dem Doppelgreifer die Zykluszeit an seiner CNC-Maschine um 12 Sekunden. Der „alte“ Einzelgreifer benötigte für die Aufgabe 27 Sekunden. „Um in einem Hochlohnland wie Dänemark wettbewerbsfähig zu bleiben und uns zugleich als modernes Unter-nehmen zu präsentieren, haben wir beschlossen, in Technologie zu investieren, die uns die beste Rendite bietet. Wir haben viel in unsere CNC-Maschinen investiert, und mit kollaborie-renden Robotern, insbesondere dem Greifer von OnRobot, können wir sie äußerst kostengünstig automatisieren. Daher haben wir 2015 in unseren ersten OnRobot-Greifer investiert und erreich-ten in weniger als drei Monaten einen Return on Investment“, erläutert Christian Viereck von Osvald Jensen und Enrico Iversen steht stolz daneben und freut sich: Seine Technik verändert, verbessert Industrieprozesse. Das treibt ihn an. ■

ENRICO IVERSEN

ROBOTER STATT RUHESTANDEnrico Krog Iversen erreicht man telefonisch am besten im Auto. Der Gründer von OnRobot reist viel, muss viel reisen, denn er will mit seinen neuen Greifern und Sensoren den wachsenden Cobot-Markt erobern. Sein Vorteil: Die Robotikbauer, die er besucht, kennen ihn als Wettbewerber.

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„Es hat sich nichts getan. Unsere Initiativen haben kaum Erfolg“, erklärt die Engineer Powerwoman 2018 – ein Titel, der sie stolz macht, denn „es ist kein Genderpreis, sondern ein Preis, der meine Leistungen als Ingenieurin und Unternehmerin würdigt – eben kein Social-Media-Abstimmungs-Herzchen-Contest“. Das ist der Ingenieurin wichtig.

Die Entwicklung der Studierendenzahlen frustriert sie. „Ich hin-terfrage gerade mich und meine Arbeit, denn in absoluten Zahlen haben wir einen Zugewinn, aber relativ steht da eine Null“, klagt sie. Dabei braucht sie und brauchen viele ihrer Kunden weibliche Mitarbeiter. „Unsere Kunden fragen ganz bewusst weibliche Projektleiter an, weil diese mit ‚geliehener Macht‘ gut umgehen und Menschen in Projekten oft besser führen und zusammen- bringen können“, berichtet die Gründerin einer technischen Unternehmensberatung.

„Unsere Kolleginnen werden meist einmal von den Projektmitglie-dern getestet, ob sie die Kompetenz haben, dann herrscht Ruhe in den Teams“, lacht Hatzelmann. Das sei bei männlichen Teams oft anders – ein andauernder Wettbewerb eben. „Das schadet dem Projekterfolg.“ Ihr Team besteht aus vielen Ingenieurinnen, „aber selbstverständlich auch aus sehr qualifizierten Männern“. Was unterscheidet beide Geschlechter im Technikberuf? „Ich will nicht verallgemeinern, aber meine Beobachtung ist, dass Männer sich zum Beispiel für einen Bagger an sich und die technischen Details interessieren. Frauen haben den Fokus darauf, was man mit dem Bagger machen kann. Technik um der Technik willen funktioniert heute nicht mehr.“

Trotzdem erlebt sie diese Denke oft noch bei ihren Kunden aus dem Mittelstand. „Viele kaufen sich ein Tool und sind frustriert, wenn es nicht die richtigen Ergebnisse liefert. Doch sollte vor jedem Software-Tool ein guter Prozess stehen. Damit fängt es an, muss es anfangen“, mahnt Hatzelmann. Ihrer Meinung nach ist es vor allem die zweite Führungsebene im Mittelstand, die auspro-biert, testet, in der es rumort und die der Geschäftsführung und

den Inhabern „Druck“ macht, mit der Digitalisierung der Pro- zesse und der Fertigung zu starten. „Was auf uns zukommt, weiß keiner, aber alle wissen, dass etwas passieren muss“, berichtet Hatzelmann aus Gesprächen mit Kunden aus dem Mittelstand, den klassischen KMUs. Doch die Rückschlüsse sind oft die fal-schen. „Neben den Dimensionen Kosten und Nutzen kommt auch noch der Plattform-Aspekt dazu. Das verstehen die meisten Unternehmen noch nicht“, erklärt die Unternehmerin.

Was also tun? „Aufräumen. Aber das tun viele Menschen und auch Unternehmer nur ungern. Die Prozesseffizienz zu verbes-sern, ist der erste Schritt, aber das kann schmerzhaft sein. Man muss sich von lieb gewonnenen Dingen vielleicht trennen.“ Und dann folgt die Frage nach dem Geschäftsmodell – Stärken-und-Schwächen- Analyse, Plattformdimension und Tests. Testen? „ Ja, die Ideen beim Kunden ausprobieren fällt vielen schwer.“

Das Problem: Die Unternehmen seien an diesem Punkt schon zu verliebt in ihre Idee. Kritik vom Kunden verhallt. Warum? „Weil die Firmen oft nicht strukturiert herangehen.“ An diesem Punkt sieht die Ingenieurin für technische Unternehmensberatungen einen Ansatz. „Im Vorfeld bei den Geschäftsmodellen sind wir oft Katalysator. Beim Test wird es richtig spannend. Dann testen wir gemeinsam mit dem Kunden in der Zielgruppe die Idee unseres Kunden und entwickeln sie gemeinsam weiter.“

Mit den Kunden arbeiten könnten in Zukunft auch Quereinstei- gerinnen, zum Beispiel Frauen Mitte 40, die zuvor Kinder erzogen haben und in einen Technikberuf umgeschult wurden. „Wir müs-sen neu denken, wenn wir mehr Frauen in technischen Berufen haben wollen.“ Hatzelmann will Frauen qualifizieren – „nicht eine komplett neue Ausbildung, nicht verschult, sondern praktisch in den Unternehmen.“ Unternehmen müssen gezielt Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter analysieren und fördern. Mit Anfang 40 habe man noch mehr als das halbe Berufsleben vor sich. Da müsse man nochmal was Neues wagen. „Wer Kinder erzogen, Eltern ge- pf legt oder eine Familie gemanagt hat, der hat Social Skills, von denen wir bei Absolventen oft nur träumen können.“ Außerdem schaffe das wieder Vorbilder für die Kinder, wenn die Mutter mit über 40 Jahren beispielsweise noch eine Programmiersprache lernt und Apps für eine Maschinenbauplattform entwickelt. „Dafür will ich mich engagieren.“ ■

SOPHIA HATZELMANN

NICHTS PASSIERTSophia Hatzelmann ist Diplom-Ingenieurin für Elektrotechnik, Unternehmerin und ein Vorbild. Aber sie zweifelt – nicht an sich selbst, aber an ihrem Engagement für mehr Frauen in MINT-Berufen und mehr Studentinnen in Elektrotechnik, im Maschinenbau und in der Verfahrenstechnik.

„ Unsere Kunden fragen ganz bewusst weibliche Projektleiter an.“

– Sophia Hatzelmann

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ADRIAN JANOTTA

DER GUTE HACKER NUTZT KIAdrian Janotta hatte alles – eine Freundin, einen Beruf, Freunde und wenige Sorgen. Bis sich alles änderte, als seine Freundin ihn betrog, er anfing zu trinken, es im Beruf Probleme gab. Er verlor den Job, Freunde besuchte er nur selten und sein neues Hobby war Hacken, alleine, daheim. Er brauchte Geld und Anerkennung und hatte es auf Onlineshops abgesehen. Es funktionierte, bis eine Polizeistreife ihn für eine Routinekontrolle auf der Landstraße überprüfte und die Beamten beim mit Laptops gefüllten Kofferraum stutzig wurden.

„ Der Businessplan entstand zwei Zellen weit entfernt von Uli Hoeneß.“

– Adrian Janotta

„Aufgef logen ist meine Straftat durch eine Verkehrskontrolle – nicht, weil ich unvorsichtig beim Hacken war.“ Es folgt das Gefängnis – mehrere Jahre, weit weg von der Familie, von den Freunden, die ihm blieben. „Die Zeit im Knast war für mich eine lehrreiche Zeit.“

Er fing neu an. „Ich habe während meiner Strafe Betriebs-wirtschaftslehre studiert. Da ich viel Zeit hatte, habe ich im Gefängnis auch einen Businessplan ausgearbeitet – zwei Zellen neben Uli Hoeneß. Am Tag der Entlassung habe ich dann mein Gewerbe angemeldet.“ Heute schützt er Banken, mehrere Mittelständler, Maschinenbauer und Forschungsin-stitute vor Cyberangriffen. „Die Mehrzahl der Unternehmen sind sehr blauäugig, wenn es um Cybersicherheit geht“, berichtet Janotta. Aber es sind nicht nur die Kunden selbst, sondern auch die Sicherheitsfirmen. „Sie versprechen Sicher-heit, die sie nicht einhalten können. Stellen Sie sich vor: Sie kaufen eine Firewall, weil Sie denken, dass Sie Ihre Netz-werke schützt. In ein paar Wochen werden Sie gehackt, klar, dass der Sicherheitshersteller Ihnen Sicherheit versprochen hat, die er nicht einhalten konnte. Das passiert leider ständig und diese Fälle wird sicherlich auch der ein oder andere Le-ser kennen. Dieses Szenario lässt sich auch auf Anti-Viren- Software-Hersteller übertragen. Computer sind trotz dieser Virenwächter voller Spionagesoftware“, behauptet Janotta. Doch seine Sorge geht noch weiter: Künstliche Intelligenz (KI) als Waffe.

„Der normale Durchschnitts-Angreifer nutzt KI sicherlich noch nicht, aber das Militär setzt KI-Methoden für Angriffe auf Stromnetze, Fabriken, Steuerungsanlagen oder die Trinkwasserversorgung schon ein.“ KI-Angriffe sind effizi-ent, denn die Systeme greifen nicht nur eine Schwachstelle an, sondern finden Tausende von Eingängen in die virtuelle Welt. „ Je nach Software, die für die Angriffe verwendet wird, kann dies in wenigen Stunden, Minuten oder Tagen bereits Erfolg versprechend sein. Aber noch brauchen Sie keine Angst zu haben, denn solche Software wird noch nicht offiziell zum Verkauf angeboten“, erklärt Janotta, der für die Industrie damit erst einmal Entwarnung gibt. Wie funktioniert so eine Attacke? „Das System simuliert digitale Angriffe, lernt aus Misserfolgen und erfolgreichen Angriffen und entwickelt so für eine bestimmte Attacke auf ein Netz-werk oder einzelne Rechner konkrete Angriffsstrategien. Der methodische Lernweg bei den KI-Angriffssystemen sieht etwas anders aus“, erklärt Janotta.

Zum Aufspüren von Sicherheitslücken setzen die Angriffs-algorithmen nicht nur Mustererkennung ein, sondern auch traditionelle Suchmethoden wie Fuzzing. Fuzzing-Software erzeugt zufällige Daten und gibt sie an das zu untersuchende

Zielsystem weiter. Eine zeitgleich mitlaufende Monitoring- Software überwacht und protokolliert, wie das zu untersu-chende System auf die zufällig generierten Daten reagiert, erläutert Janotta seinen Kunden. Danach wählt das System die beste Angriffsmethode – die typische Hackersammlung Metasploit. „Diese Werkzeuge hat das Angriffssystem gelernt und kann nun entscheiden, welches Werkzeug sich bei einer gefundenen Sicherheitslücke am ehesten für einen erfolg-reichen Angriff eignet. Hochkomplexe Angriffssoftware setzt aber Supercomputer mit Billiarden von Rechenoperationen in der Sekunde voraus“, meint Janotta. „KI-Angriffe sind für Fabriken natürlich zu überdimensioniert, aber stellen Sie sich vor, ein Staat oder ein Angreifer würde die komplette Infra-struktur eines Landes übernehmen wollen. Er infiziert alle Anlagen, Maschinen, Fabriken und Roboter in einer Fabrik und dies tausendfach in einem Land.“ Geht nicht? „Doch, Angreifer finden jedes Gerät, jede Maschine, die im Netz hängt. Standardpasswörter oder gar Werkpasswörter bei Steuerungen machen es den Bösen noch leichter.“

Doch KI kann auch helfen. „Wir nutzen KI-Methoden, um Penetrationstests zu fahren.“ Penetrationstests simulieren An-griffe auf IT-Systeme, aber Pentests können sehr ineffizient sein, da sie alle Signaturen ausführen, heißt es in einem Bericht des Security-Experten Adrian Janotta. Zwingend erforderlich seien auch noch immer menschliche Pentester und die Erfolgsaussichten sind von Pentester zu Pentester verschieden, so Janotta. Sein Weg: KI nutzen. Bei seinen Deep-Learning-Algorithmen für Penetrationstests können die selbstlernenden Algorithmen unüberwachte Lernauf-gaben selbst durchführen. Dies ist ein Vorteil gegenüber manuellen Penetrationstests, da unmarkierte Daten häufiger vorkommen als beschriftete Daten, so der Experte. Beispie-le für tiefe Strukturen, die unbeaufsichtigt Sicherheitstests unterzogen werden können, sind Software, Netzwerke oder Server-Infrastrukturen. Bei jedem vollautomatischen Scan, der durchgeführt wird, lernt der Algorithmus zu erwartende Schwachstellen automatisch hinzu und prüft autonom das System auf Sicherheitslücken.

Doch die Kunden sind skeptisch. „Sie vertrauen immer noch dem Menschen mehr als der KI“, berichtet Janotta. Aber in Sachen Security geht noch mehr, meint Janotta. „Es ist allerdings eine Zukunftsvision, dass sich zum Beispiel eine Software selbst schützt. Stellen Sie sich vor, das Windows-Betriebssystem würde sich ständig selbst an-greifen und so Sicherheitslücken automatisiert auffinden und schließen können.“

Was rät er bis dahin? „Heute verlässt sich leider jeder Zweite auf ein Anti-Viren-Programm oder auf die minimalen An-forderungen der Behörden. Er wird dann trotzdem gehackt. Die viel bessere Lösung ist, selbst Hacker zu beauftragen, die nach Schwachstellen und Sicherheitslücken im System suchen, sei es auf technischer oder eben auf sozialer Ebene, denn Social Engineering ist und bleibt das einfachste und gefährlichste Einfallstor.“ ■

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„Da müssen Sie sich jetzt beweisen. Das Aluminium-band darf nicht reißen“, scherzt Feist, der seit Jahren die Digitalisierung der Anlagen von Achenbach verantwortet und jetzt das erste Level startet. Das Fahren der Anlage ist kompliziert, immer öfter reißt das Band, die Leuchten blinken, die Anzeigen warnen. „Sie brauchen viel Gefühl für die Anlage“, erklärt Feist. Die Produktions- und Spieldaten werden in der Google-Cloud gespeichert und nach drei Fahrten erlöst Feist seinen Gast. „Dreimal gerissen. Die Auswertung können wir uns sparen“, lacht er und ist sofort bei seinem Thema: Daten und Machine Learning.

„Unsere Kunden, aber auch wir wollten die Produk- tionsschritte genauer nachvollziehen und beispielswei-se Daten aus dem Folienwalzwerk mit der Schneid-maschine und der Rückmeldung des Kunden korrelie-ren.“ Die Fertigung sollte transparenter werden. Alle Daten aus der Bachmann-Steuerung M1 werden via OPC UA einem kleinen Ein-Platinen- Rechner zur Verfügung gestellt, der die Informationen dann abonnieren kann und in einem Cloudspeicher ablegt. „Unser Sicherheitskonzept garantiert, dass Daten nur auf Verbindungen übertragen werden, die aus dem Maschinennetzwerk heraus aufgebaut werden. Die Maschinensteuerung ist aus dem Internet weder sicht-bar noch ansprechbar. Der Maschinenbetreiber hat also die alleinige Hoheit darüber, welche Daten in die Cloud übertragen werden und welche nicht“, erklärt Feist. Rund drei Gigabyte können da an einem Tag pro Maschine zusammenkommen – im Wesentlichen sind es OPC UA- und SQL-Daten, die später für das Machine Learning große Bedeutung haben. Und weil in der Cloud praktisch unbegrenzt Speicherplatz ge-nutzt werden kann, müssen aus Platzgründen Daten niemals gelöscht werden. „Weder unser Kunde noch wir können heute sagen, welche Fragen wir an die Daten zukünftig haben werden. Erst wenn konkrete Probleme mit einem bestimmten Material auftreten oder ein Kunde mit Ausfällen eines bestimmten Teil-systems kämpft, wissen wir, welche Daten relevant sind, um das Problem zu lösen. Würden diese im Vor-feld nicht gespeichert oder aus Speicherplatzgründen zu früh gelöscht, fällt eine Problemlösung oft deutlich schwerer.“ Das Machine Learning wäre dahin. Achenbach hat aus den Daten ein Geschäftsmodell, ein Produkt entwickelt: Achenbach OPTILINK –

im ersten Schritt ein Cockpit, ein Analysetool für die Kunden weltweit. Über ein Webinterface kann der Kunde den aktuellen Zustand seiner Maschine abfra-gen. Achenbach liefert dem Kunden einen Basissatz an Analysetools, aber darüber hinaus kann er auch selbst Analysen erstellen und durchführen. Doch Feist und seine Kollegen wollen noch mehr. Künstliche Intelligenz lautet das Stichwort, und dies nicht nur mit Fokus auf das von Google stark promotete „Deep Learning“. Achenbach setzt in vielen Lösungsansät-zen auf das „Unsupervised Machine Learning“. Die Idee dahinter: Das Walzwerk versucht, in den Daten Muster zu erkennen, die vom strukturlosen Rauschen abweichen, um im Idealfall eine Handlungsempfeh-lung an den Betreiber abzugeben – wie beispielsweise die Bestellung eines Ersatzteils bei Achenbach. Die Verbindung des OPTILINK-Systems mit einem elektronischen Ersatzteilkatalog war eine der ersten Erweiterungen des Software-Pakets. Passend dazu kann OPTILINK im ERP-System des Unternehmens über sogenannte Tickets festgelegte Arbeitsvorgänge anstoßen und so die Arbeit von Menschen und Com-putern verbinden. Um auch bei den ML-Algorithmen eine hohe Entwicklungsgeschwindigkeit beibehalten zu können, haben die Entwickler bei Achenbach drei Toolpakete in ihr Portal integriert. So gibt es eine auf „Matlab“ basierende Komponente, die Fertigungsabläufe beobachtet, und eine mit „Rapid-miner“ erstellte Komponente, die Störfälle (beispiels-weise Bandrisse) auf den Maschinen analysiert. Für bestimmte Prognose modelle wurde aber auch mit neuronalen Netzen auf der Basis von „Tensorf low“ experimentiert. Nun geht es daran, die derzeit noch meist von Menschen auf Basis dieser Informationen getroffenen Entscheidungen zu automatisieren. Viele der ML-Algorithmen sind schon seit Jahren bekannt, die richtige Datenfilterung und Auswahl in Bezug auf Produktionsdaten ist jedoch noch weitgehend un-erprobt. „Daran arbeiten wir“, schränkt Feist ein. Er will keinen KI-Hype.

Für die Anwendung von Unsupervised-Machine- Learning-Algorithmen werden in der Regel sehr viele Daten benötigt, die bei Feist und seinen Kunden in der Google Cloud liegen – „ohne Begrenzung“, wiederholt Feist. Ohne ausreichende Datenmenge sind die Algorithmen nicht in der Lage, Clusterungen vorzunehmen. Die Maschine wird mit jedem Daten-satz schlauer. Das birgt aber auch eine Gefahr: Overfitting. Bekannte Daten werden gut verarbeitet, bei neuen Daten tut sich die Maschine dann schwe-rer. Damit kämpfen alle KI-Vordenker. Das andere Extrem: underfitted – es fehlen die Daten. „Wir trainieren die Maschine und müssen das richtige Daten-Gleichgewicht finden“, erklärt Feist. ■

ROGER FEIST

MASCHINEN LERNEN MIT OPTILINK WELTWEIT Wenn Roger Feist Besuch bekommt, dann setzt er diesen am liebsten als erstes vor seinen Walzsimulator – einen dem Original nachgebildeten Leitstand mit drei Bildschirmen, Knöpfen und Hebeln, Temperaturanzeige und vielen blinkenden Warnlichtern – ursprünglich ein Messeobjekt des Maschinen- und Anlagenbauers Achenbach Buschhütten.

„ Wir müssen das richtige Daten- Gleichgewicht finden.“

– Roger Feist

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Welche Rolle spielt Visualisierung, Usa-bility und User Experience (UX) für die Realisierung einer Fertigung 4.0? Für den Dirigenten der Wertschöpfung sowie die Monteure spielen bei einer Fertigung nach Industrie 4.0 Visualisierung und Usability der In-formationen und Software eine wesentliche Rolle. Beide benötigen die richtigen Informationen im jeweils richtigen Moment. Der Dirigent hat aufgrund seiner Funktion einen Gesamtüberblick über seine Smart Factory. Während der Monteur in seiner Montageinsel zum einen den Überblick über seinen Auftragsstand benötigt, welchen er priorisieren kann, und zum anderen benötigt er Hilfsinformationen zu Montageschritten, die nicht immer Routine sind. Hier muss die eingesetzte Automatisierung, IT und Software unterstützen.

Warum gewinnen Usability und UX an Bedeutung in der Fertigung? Die Usability der eingesetzten Softwarelösun-gen gewinnt daher an Bedeutung, da die in der Software abgebildeten Daten und Funktionen komplex sind. Viele Parameter spielen hier eine Rolle. Der Anwender, egal ob Dirigent oder Monteur, muss sich aber auf seine Aufgaben konzentrieren und sich nicht in die Bedienung der Software einarbeiten. Software und IT werden zur Unterstützung und nicht zum Selbstzweck in der Automatisierung eingesetzt oder hat irgend-

Welche Ziele setzt sich SEW bei der Um-setzung von Usability- und UX-Projekten?Unser Ziel ist es, es unseren Mitarbeitern und unseren Kunden an den jeweiligen Schnittstellen so einfach wie möglich zu machen, um mit uns zu arbeiten. Das heißt für Kunden, es einfacher zu machen, Antriebslösungen zu konfigurieren und zu beauftragen, inklusive der Transparenz über den Auftrags-, Montage- und Lieferstatus. Für Mitarbeiter bedeutet es, immer die Information an der passenden Stelle und im richtigen Moment

wer schon einmal die Bedienungsanleitung eines Smartphones gelesen? Da wollen wir mit unseren Lösungen hin.

Was lernen Sie von der Smartphone-Welt?Wir wollen Softwareoberf lächen und -schnitt-stellen, welche sich genauso bedienen lassen, wie wir es von Smartphones oder Tablets gewohnt sind. Die reibungslose Datenübertragung und die Abwicklung von Algorithmen geschieht im Hintergrund der Software, ohne ein weiteres Zu-tun des Bedieners. Wir lernen aber auch von der Gaming-Welt. Denn Spiele sind heute ohne ein großes Studium der Anleitung spielbar – genau da wollen wir hin.

Welche Rolle spielt Gamification in den Bedienoberflächen für die Industrie-anwender?Diese spielt für uns eine besondere Rolle. In der Schnittstelle zu unseren Kunden soll es, wie ge-sagt, noch leichter werden mit uns zusammenzu-arbeiten. In der Montage ist es insbesondere der Dirigent der Wertschöpfung, der seine Montage-planung spielerisch erbringt. Er macht hier auf Basis der eingehenden Aufträge eine Vorauspla-nung für die nächsten drei Stunden und diese soll er so lange durchspielen, bis er das beste Ergebnis herausbekommt, bevor er diese Planung dann in die reale Fertigung überträgt. Hier unterstützen uns Ansätze aus der Gaming-Welt.

zur Verfügung zu haben, um optimal für den Kunden eine Leistung effizient erbringen zu können.

Wie werden die Mitarbeiter in den Entwicklungsprozess eingebunden?Unsere Mitarbeiter sind die Basis für diese Prozesse – sie wissen am besten, welche Infor- ma tion sie wann und in welcher Form benö- tigen; sei es Text, Videos oder als VR-Anwen-dung. Gemeinsam im Projektteam werden dann die Anforderungen mit der Entwicklung abge- glichen, diskutiert, umgesetzt und später getestet. Gleiches gilt aber auch für die Schnittstelle zu unseren Kunden und Lieferanten. Hier setzen wir in Pilotprojekten auf neue Möglichkeiten, Antriebslösungen zu konfigurieren und direkt zu beauftragen. ■

JOHANN SODER

SPIELERISCHE MONTAGEPLANUNGJohann Soder hat eine 4.0-Fertigung bei SEW Eurodrive aufgebaut. Für den COO von SEW ist die Visualisierung von den richtigen Daten entscheidend für den Erfolg der Fabrik. Usability und User Experience gewinnen immer mehr an Bedeutung und SEW Eurodrive setzt darüber hinaus auf Gamification-Ansätze, um Kunden die Montageplanung zu erleichtern.

„ Wir wollen Softwareoberflächen, wie wir sie vom Smartphone gewohnt sind.“

– Johann Soder

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NEWSNEWS

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Additive Verfahren ermöglichen komplexe Geometrien von Hart- metallwerkzeugen, sind bislang jedoch hinsichtlich Härte und Bauteilgröße eingeschränkt. Forscher am Fraunhofer IKTS in Dresden haben nun das 3D-Druckverfahren Fused Filament Fabrication auf Hartmetalle adaptiert. Die Entwicklung erfüllt erstmals alle Anforderungen für den Einsatz in Bearbeitungs- werkzeugen, versprechen die Forscher. Das aus der kunststoffver-arbeitenden Industrie stammende additive Fertigungsverfahren Fused Filament Fabrication (FFF) wurde am IKTS zunächst auf Keramiken und Verbundwerkstoffe adaptiert. Durch die ma-terialeffiziente FFF eröffnen sich aber auch für Hartmetalle Mög-lichkeiten zur Herstellung von großen, komplexen Prototypen oder Sonderwerkzeugen. Bei der FFF werden 3D-Körper aus einem f lexiblen, schmelzfähigen Filament aufgebaut. Dem Fraunhofer IKTS ist es gelungen, das für das FFF notwendige Filament aus hartmetallischen Pulvern mit organischen Bindern herzustellen. Je nach Werkstoffgefüge lassen sich über reduzierte Korngröße und Bindergehalt die Härte, Druck- und Biegefestigkeit von Hartmetallen gezielt steigern. Die Filamente können als Halb- zeug in Standarddruckern eingesetzt werden. ■

E-MOBILITÄT INDUSTRIAL INTELLIGENCEFERTIGUNG

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HARTMETALL-DRUCK BMW SPEIST ZURÜCK

MATHEMATIK IST NICHT NEUTRAL Hartmetallmuster mit komplexer Geometrie auf FFF-Standarddrucker Hage3D 140 L, in dem sich künftig auch große Bauteile drucken lassen.

Die Batterien aus dem i3 verdienen ein zweites Leben und werden in einer Speicherfarm als Großspeicher genutzt.

Der Münchener Autobauer BMW investiert weiter in Mobilitäts- und Energiedienste. „Elektromobilität denken wir ganzheitlich, über das Fahrzeug hinaus und auch über Branchen hinweg“, erklärte Joachim Kolling, Head of BMW Energy Services gegenüber dem Fach-portal Energate Messenger. Weiter sprach er von „intelligenten Services rund um das Laden, etwa für die Nutzung von eigenerzeugter Energie oder für tarifoptimiertes Laden.“ Das zentrale Ziel von BMW Energy Services ist laut Kolling, „komfortables und günstiges Laden“ von E-Au-tos mit Ökostrom zu ermöglichen, heißt es in dem Artikel. Zu diesem Zweck werde der „BMW Power Pool“ aufgebaut, der Stromerzeuger, -ver-braucher und -speicher intelligent miteinander vernetzen und „hochf lexibel steuerbar“ machen soll – etwa, um dem öffentlichen Stromnetz Regelenergie zur Verfügung zu stellen und die Netzstabilisierung zu unterstützen, heißt es in dem Artikel. Auch über die Weiternutzung von Batterien hat sich BMW Gedanken gemacht. Die BMW Speicherfarm in Leipzig kombiniert bis zu 700 Hochvoltspeicher zu einem Groß-speicher mit einer Kapazität von 15.000 kWh, heißt es. Sie soll als Flexibilitätsreserve für das öffentliche Netz dienen, erklärt Kolling. ■

Quelle: Tractica und Statista

Prognostizierter Umsatz mit KI-Anwendungen weltweit (in Mrd. US-Dollar)

NORDAMERIKA LATEINAMERIKA NAHER OSTEN & AFRIKA

EUROPA ASIEN-PAZIFIK

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2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025

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MILLIARDENGESCHÄFT KI

Lorema Jaume-Palasí ist Ethikerin für Automatisierung und Digitalisierung.

fizienzbegriff muss nicht für jeden Anwender der gleiche sein. Von was für Effizienz sprechen wir – von Fairness oder von Zeit? Dazu kommen noch unterschiedliche Kulturen, die in der Modellie-rung berücksichtigt werden müssen. Algorithmen leiten darüber hinaus Entscheidungen aus der Vergangenheit ab und setzten damit voraus, dass sich der Mensch immer so verhalten wird. Das ist subjektiv. Widerstand oder auch Motivation bei-spielsweise werden nicht berücksichtigt.

Wie kann die Industrie das auflösen?Das ist schwer. Es braucht mehr als Zertifizie-rungen, die wir schon kennen. Wir müssen die Entscheidungen der Menschen analysieren, die Datenbanken immer wieder untersuchen und die Ergebnisse kritisch hinterfragen. Es geht nicht mehr nur darum, welches Ergebnis der einzelne Mitarbeiter hat, sondern wie dieses das Kollektiv verändert, die Arbeit und die Gesellschaft.

Was brauchen Unternehmen, um die Fragen zu beantworten?Interdisziplinäre Teams. Die soziale Dimension von KI und Algorithmen ist vielen noch gar nicht bewusst. Ich arbeite deshalb beispielsweise mit Soziologen, Programmierern oder Psychologen zusammen und wir entwickeln ein Ethical Pentes-ting – ein Standardverfahren, um Maschinen mit KI-Elementen zu auditieren. ■

Warum müssen Algorithmen überprüft werden?Mathematik und Statistik sind nicht neutral. Die Mathematik ist eine Sprache mit vielen Wegen und kulturellen Erwartungen und die Ergebnisse von Statistiken hängen von der Fragestellung, der Hypothese oder der Darstellung ab – beide Diszi-plinen sind sehr subjektiv. Und beide sind wesent-liche Bestandteile einer KI. Dazu kommen noch die Datenbasis, die auch subjektiv geprägt sein kann, und der Kontext, in dem die KI arbeitet.

Inwiefern subjektiv? Bei der Modellierung von Algorithmen entstehen Annahmen – bspw. von Effizienz. Aber dieser Ef-

ZITIERT Maschinen verstehen gar nichts. Verständnis und Deutung liegen immer beim Menschen.

Arago-CEO Chris Boos über Künstliche Intelligenz

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Wenn numerische Simulationen in Konstruktion und Entwicklung eingesetzt werden, nimmt der Computer dem Menschen komplexe Rechenvorgänge ab – ein klassisches Beispiel für eine effiziente und sinnvol-le Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine. Verändert sich durch Künstliche Intelligenz (KI) die Rollenaufteilung in der Konstruktion?

Für die Beurteilung der Ergebnisse ist aber heute nach wie vor menschliche Expertise erforderlich. CAx, so die zusammenfassende Bezeichnung für die compu-terunterstützten Verfahren der Konstruktion und Berechnung, wie Computer Aided Design (CAD) und Computer Aided Engineering (CAE), entwickeln sich weiter und erreichen mit AIAx das nächste Level der digitalisierten Produktentwicklung. AIAx steht für Ar-tificial Intelligence Aided x. Die Künstliche Intelligenz soll helfen, die Digitalisierung des Produktentwick-lungsprozesses mit großen, komplexen Datenmengen beherrschbar zu machen und Ingenieure so von zeit-aufwändigen Routinetätigkeiten zu entlasten.

„Es geht um die Entlastung von Standardaufgaben, sodass die Experten mehr Zeit haben, diese komplexen Entscheidungen zu bearbeiten, und zum zweiten um eine weitere Steigerung der Qualität dieser Entschei-dungen. Letzteres wollen wir dadurch erreichen, dass die gesamte Historie der Bewertungen – auch die der Kollegen – in Mustern verdichtet als Entscheidungs-hilfe angezeigt werden soll“, erklärt Dr. Steven Peters, Leiter Artificial Intelligence Research bei Daimler. Die Stuttgarter hatten die Idee für das Forschungs-projekt AIAx und suchten sich Industrie- und Wissen-schaftspartner.

MEHR ZEIT FÜR INNOVATIONENDie Bewertung von Konstruktionen ist häufig kom-plex, viele Kriterien spielen eine Rolle und mehrere zum Teil konkurrierende Ziele sollen erreicht werden. „Weiche“ Kriterien, wie die Erfahrung, das „Bauchge-fühl“ oder das „menschliche Ermessen“ von Experten, spielen eine wichtige Rolle. Es muss abgewogen wer-den, um den bestmöglichen Kompromiss zu erreichen. Und das kann bisher nur der Mensch. Diese Erfah-rungswerte lassen sich jedoch schwer formalisieren und können daher auch nur bedingt an Nachwuchskräfte weitergegeben werden. Durch den Einsatz bestimmter maschineller Lernverfahren könnten jedoch – zum Beispiel – Muster in den Daten einer CAD-Konstruk-tion erkannt und diese effizienter genutzt werden. Jede Simulation liefert riesige Datenmengen, die zurzeit noch von Menschen ausgewertet werden müssen, um Mängel und Defizite in der Konstruktion zu erkennen und diese nach und nach zu verbessern. Speziell entwi-

ckelte maschinelle Lernverfahren sollen diese Daten automatisch intelligent analysieren und auch eventu-elle Verbesserungen vorschlagen. So eine Automati-sierung des Analyseprozesses würde die Konstruktion nicht nur beschleunigen, sondern den Mitarbeitern mehr Zeit für die Entwicklung innovativer Designs und Ideen einräumen, hofft man bei Daimler. „Wir glauben, dass die Ergebnisse für viele technologiein-tensive Firmen in Deutschland relevant sein werden“, meint Dr. Peters.

DER DIGITALE SCHWEISSNAHT-ASSISTENTEine davon ist Endress+Hauser. Das Unterneh-men engagiert sich neben Daimler, DYNAmore, USU Software, der TU Berlin und dem KIT in dem Projekt. „Wir beschleunigen unseren eigenen Entwicklungsprozess mit dem Einsatz der Künst-lichen Intelligenz, wenn beispielsweise ein virtueller Assistent dem Entwickler am CAD-System Arbeiten abnimmt und Vorschläge erarbeitet. Ein Beispiel hierfür ist die Gestaltung einer Schweißnaht: Heute geht ein Konstrukteur zum Schweißfachingenieur und lässt sich die Schweißnaht freigeben. Hier kann in Zukunft ein virtueller Schweißassistent unter-stützen“, berichtet Dr. Volker Frey, Strategic Expert des Unternehmens. Und auch ein Geschäftsmodell haben die Partner. „Während des Projekts entstehen Machine-Learning-Algorithmen, die wir anhand unserer Anwendungsszenarien validieren. Die beiden Softwarehäuser des Konsortiums entwickeln aus den Algorithmen dann Produkte, die lösungsneutral und ohne unser produktspezifisches Know-how allen Unternehmen zum Kauf offenstehen“, erklärt Frey.

Mit der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz wird es denkbar, Expertenwissen in Rechnern zu hinter-legen und deren Entscheidungskriterien auf komplexe Simulationsergebnisse anzuwenden. Computer sollen mit menschlicher Erfahrung gespeist werden, um verwertbare Einschätzungen geben zu können. Die Entscheidungsprozesse von Machine-Learning-Ver-fahren transparent – also erklärbar – zu gestalten, soll deren Akzeptanz in der Praxis steigern und damit eine industrielle Anwendung überhaupt erst möglich machen. Wieso trifft das maschinelle Lernverfahren welche Entscheidung? „Hier wollen wir mit einer Pro-bandenstudie unterschiedliche Darstellungsformen des Entscheidungsprozesses untersuchen. Wie soll die Erklärung dargestellt werden? Welche Informationen sind sinnvoll? Hinsichtlich der Akzeptanz von Machi-ne-Learning-Verfahren ist Erklärbarkeit ein wichtiger Aspekt. Denn die letztendliche Verantwortung obliegt dem Konstrukteur“, erläutert Klaus-Robert Müller von der TU Berlin. ■

Computer sollen beim Konstruieren künftig dem Menschen nicht nur das Rechnen erleichtern – sie sollen auch lernen, wie ein Konstrukteur zu „denken“. Daimler will damit die Mit-arbeiter von Standardaufgaben entlasten. Doch nicht nur die Automobilindustrie soll profitieren – auch Endress+Hauser ist in dem Forschungsprojekt engagiert.

FORSCHUNG

AUF MUSTERSUCHE IN DER KONSTRUKTION

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dank 5G über Angebot und Bedarf informiert und dann entschie-den. Daran arbeiten unter anderem die TU Dresden, die RWTH Aachen, Ericsson, Techem, E.ON und die Deutsche Telekom in dem Projekt „National 5G Energy Hub“. Im ersten Schritt des Forschungsvorhabens werden Software und Hardware entwickelt, welche die Kommunikation von energetischen Anwendungen hin zu übergeordneten Systemkomponenten ermöglichen. Mit dieser neuen Toolbox sollen zukünftig alle Anwender dieser Technik einen gesicherten Kommunikationszugang zu energetischen Anlagen und Anwendungen erhalten. Öffentliche Einrichtungen und Unter-nehmen werden so in die Lage versetzt, direkt nach der geplanten Einführung des 5G-Standards im Jahr 2020 neue Produkte und Services im Energiebereich anzubieten.

HOHE STABILITÄTDie 5G-Technik wird dazu beitragen, dass mithilfe skalierbarer Cloud-Anwendungen lokale elektrische Einspeisungen oder thermi-sche Bedarfe regional für einen Lastausgleich koordiniert werden können. Dadurch wird die Nutzung volatiler regenerativer Energie unterstützt und die Zuordnung der Erzeugungs- und Speichersys-teme kann dynamisch erfolgen, schreiben die Forscher. Weiterhin kann die Auslastung der Betriebsmittel erhöht und die Stabili-tät des Energieversorgungssystems verbessert werden. Auch eine automatisierte Überwachung dieser technischen Systeme, die für eine vorbeugende Instandhaltung verwendet werden kann, ist eine der möglichen Anwendungen dieser neuen Kommunikationsplatt-form. Das Projekt ist in drei Phasen aufgeteilt. Die erste Projekt-phase beginnt in diesem Jahr und läuft bis Anfang 2020. In dieser Zeit werden die grundlegenden Techniken und Softwarebausteine für den Einsatz der 5G-Technik im Energiebereich entwickelt. Im zweiten Projektabschnitt steht der Transfer zu Produkten und Serviceleistungen im Mittelpunkt (2020–2024), wobei insbesondere mittelständische Unternehmen bei ihren Anstrengun gen in der Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen unterstützt

In den Tests bedienten sich die Ingenieure der geringen Latenz-zeiten von 5G, um zeitkritische Anwendungen zu ermöglichen und den Schutz und die Effizienz in einem intelligenten Stromnetz zu verbessern. Die im Rahmen des Forschungsprojekts Wireless for Verticals (WIVE) durchgeführten Versuche stellen eine der ersten realen Anwendungen von zeitkritischen 5G-Anwendungen zur Stromnetz- und Hafenautomatisierung dar, heißt es bei den Projekt-partnern. Die Grundlage für die Testszenarien bildet: URLLC (ultrazuverlässige Kommunikation mit niedriger Latenzzeit). Die Methode wurde als eines der drei Haupteinsatzszenarien für 5G identifiziert, da sie in der Lage ist, Daten innerhalb weniger Milli-sekunden oder weniger mit hoher Zuverlässigkeit zu übertragen.

SCHWERE STÖRUNGEN BEHEBENDie Herausforderung an die Netze der nahen Zukunft: Die Anzahl der zu steuernden Anlagen im Netz auf Kunden- oder Erzeuger-seite steigt durch die Umsetzung der Energiewende beispielsweise in Deutschland laufend an, berichtet der VDE. Die Herausforderung besteht darin, mit den massenhaft im System vorhandenen Anlagen einen sicheren und zuverlässigen Systembetrieb zu organisieren.

Gleichzeitig steigt das Datenaufkommen insbesondere durch Ver-brauchs- und Einspeiseüberwachungen und die Kommunikation zwischen zahlreichen Marktakteuren stark an. Ähnlich sieht es in Finnland aus. Das Management von Stromverteilungsnetzen mit einer zunehmenden Menge an verteilten Energieressourcen und einem zunehmenden Flexibilitätsbedarf erfordert fortschritt-liche Technologien für Schutz, Steuerung und Überwachung. Die 5G-URLLC-Technologie bietet eine kostengünstige Kommunika-tionsplattform für den Einsatz dieser fortschrittlichen Technologien. „Die Ergebnisse des Projekts sind ermutigend für die zukünftige Einführung von 5G im Versorgungsbereich“, erklärt Petri Hovila, Programmmanager bei ABB. Vor allem bei Schutzanwendun-gen in Mittelspannungs-Verteilnetzen soll 5G in dem finnischen Projekt eingesetzt werden. Für die Versorgungssicherheit ist es von großer Bedeutung, dass schwere Störungen unverzüglich behoben werden, um das Verteilernetz am Laufen zu halten, die Sicherheit des Personals zu gewährleisten und Schäden an den Geräten zu ver-meiden. Die Studie der Unternehmen bestätigte, dass 5G/URLLC die Latenzanforderungen der Schutzanwendungen erfüllt. Und die Zukunftsperspektive? In einem Smart Grid wird in Echtzeit

werden. In der anschließenden Feldtestphase (2025–2028) werden weiterführende Anwendungen bearbeitet, mit denen die Aufgaben der Energiewende gelöst werden können. Zurück nach Finnland: „Die Aalto University hat die Möglichkeiten von 5G-Technologien in intelligenten Netzen untersucht. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf Schutz- und Fehlerortungsanwendungen sowie auf der so-genannten packet core performance. Wir sind begeistert von dem wirtschaftlichen Potenzial, das die 5G-Technologien dem industriel-len Internet bietet. An diesem Punkt sind geringe Latenzzeiten und zuverlässige Kommunikation entscheidend für Sicherheit und Auto-matisierung, Fernsteuerung beweglicher Maschinen, dezentrale Ökostromerzeugung und -speicherung“, berichtet Raimo Kantola, Professor am Aalto University Department of Communications and Networking. Das WIVE-Projekt wird von Business Finland kofinanziert und umfasst mehrere Industrieforschungseinheiten und akademische Partner wie Nokia, Teleste, Telia, ABB, Kalmar, die finnische Rundfunkanstalt (YLE), Digita, die Regulierungsbehörde FICORA, wichtige finnische Universitäten sowie das VTT Tech-nical Research Centre of Finland. ■

Wer dachte, 5G braucht es „nur“ für autonomes Fahren oder gute Vernetzung von Maschinen, der irrt. In Finnland arbeitet ABB zusammen mit Nokia, dem Hafenautomatisierer Kalmar und einigen weiteren Forschungseinrichtungen an der Zukunft der Mittelspannung mit 5G. Erstmals testeten die Industrie-partner ein 5G-Netz für die Energiewirtschaft. Die Ergebnisse des Projekts WIVE stimmen die Verantwort-lichen optimistisch. Und auch in Deutschland forschen Wissenschaftler zu 5G in den Energienetzen.

KOMMUNIKATION 5G FÜR SICHERE ENERGIENETZE

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auf Nutzerbedürfnisse einzugehen und die Prozesse neu zu denken, um sie attraktiver zu gestalten. Außerdem sind Spiele sehr gut darin, uns neue Dinge beizubringen; wir lernen also hervorragend, wenn wir spielen. Auch diese Erkenntnis kann man sehr gut in der Industrie anwenden, um Nutzer für komplexe Aufgaben zu schulen, indem man virtuelle Trainingsmöglichkeiten schafft, in der sich die Mitarbeiter ohne Angst vor kritischen Fehlern mit der Materie auseinander setzen können.

Was bedeutet Gamification in Bedienwelten in der Industrie – spielen an der Maschine?Rackwitz: Im Gegensatz zu Ansätzen wie Serious Games oder Si-mulationen werden beim Einsatz von Gamification keine eigenstän-digen Spiele entwickelt, sondern nur einzelne Elemente von Spielen in den Unternehmenskontext übertragen, beispielsweise also in die Interaktion mit einer Maschine. Das führt dazu, dass komplexe Sachverhalte intuitiver begreifbar werden. Außerdem erscheinen selbst eher monotone oder repetitive Aufgaben in solch einem Kontext nicht als unerwünscht, sondern werden als Teilweg zur Lösung gesehen und somit als positiv empfunden. Die Interfaces in den Industriebetrieben liegen leider viele Jahre hinter dem, was die Spieleindustrie längst weiß und erfolgreich anwendet – das klingt zunächst bedauerlich, ist aber auch eine riesige Chance. Denn im Gegensatz zum reinen Spiel wird Gamification dafür eingesetzt, dass sich ein Mensch fokussierter und immersiv mit der Bedienung beispielsweise einer Maschine auseinandersetzt – nicht etwa, um sich davon abzulenken.

Wer verantwortet die Anbindung der Bedienwelt an die Steuerung?Rackwitz: Je nach Kontext entwickeln wir bei Centigrade in Zu-sammenarbeit mit den Ingenieuren, Designern und Softwareteams der Maschinen- und Anlagenbauer die Bedienoberf lächen. Bei der Gestaltung von Interfaces für ein Maschinenpanel teilen wir uns die Arbeit oft so ein, dass wir uns um die Oberf lächenlogik küm-mern, aber auch unsere Kunden dabei unterstützen, diese an die Maschinen daten anzubinden. Für technikaffine Leser: Wir arbeiten nach dem MVVM Pattern, bei dem das Datenmodell der Anwen-dung komplett abgekoppelt ist von dessen visueller Darstellung.

Sie haben beide viele Jahre in der Gaming-Industrie, im Gamification-Umfeld gearbeitet. Ist die Spiele-entwicklung nicht spannender? Jörg Niesenhaus: Aus meiner Sicht ganz und gar nicht. Die Indust-rie bietet häufig komplexe und sehr kontextspezifische Problemstel-lungen. Diesen spielerisch zu begegnen, bereitet mir persönlich gro-ße Freude, da man stets mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird und sehr viele unterschiedliche Arbeitskontexte kennenlernt.

Roman Rackwitz: Ich habe nie verstanden, dass in der gesamten Menschheitsgeschichte – bis heute – das Spielen als eine der Ur-formen menschlichen Verhaltens zwar anerkannt ist, man jedoch glaubt, dies hätte keinerlei Platz im beruf lichen Umfeld. Ich bin davon überzeugt, dass es nur zu unserem Vorteil sein kann, wenn

Wie wird denn eigentlich der Erfolg einer Bedien- oberfläche gemessen? Rackwitz: Die Grundlage für Interaktionen zwischen Mensch und Maschine ist letztlich immer ein Interface. Dieses sollte im Idealfall keine Monotonie oder repetitive Tätigkeiten auf-kommen lassen, da dies oft die Hauptgründe für menschliche Unaufmerksam keiten sind. Oft werden Bedienoberf lächen jedoch, unter der Prämisse von Effizienz, CI und Einfachheit, genau auf diese Charakteristiken hin entwickelt. Dabei wollen wir Werten wie Effizienz und Wiedererkennung gar nicht ihre Wirksamkeit absprechen. Aber sie kommen auch mit ein paar Opportunitäts-kosten. Nur wer beide Seiten kennt, kann hier den effektivsten Weg finden. Für die Erfolgsmessung solcher Bedienoberf lächen gibt es nationale und internationale Standards. Diese sind offen für jeden einsehbar. Daran muss man seine Arbeit messen lassen.

Sind Bedienoberflächen vertriebsrelevant?Niesenhaus: Benutzerschnittstellen können, wie bereits angedeutet, viele Ziele erfüllen – von der Kaufentscheidung bis zur Effizienz- steigerung in den Arbeitsprozessen. Natürlich gibt es Systeme, die sich vor allem aufgrund ihres User Interfaces verkaufen, aber eine gute Bedienbarkeit wird immer mehr zum Hygienefaktor: Erst wenn eine Benutzerschnittstelle nicht so funktioniert, wie sich die Nutzer dies wünschen, fällt dies negativ auf.

Rackwitz: Im besten Fall, bei einem wirklich guten Interface, er-wächst eine positive emotionale Einstellung aus einem großartigen Bedienerlebnis mit messbarer Effizienzsteigerung – dann hat der Vertrieb eine doppelte Motivation, sich für dieses Interface zu entscheiden.

Werden die Mitarbeiter zu Spaß an der Maschine verführt, zu Mehrarbeit verführt?Niesenhaus: Partizipation der späteren Nutzer an der Entwicklung ist der Schlüssel zum Erfolg. Aber dass die Benutzerschnittstellen mit oder ohne Gamification so verführerisch sind, dass die Leute Mehrarbeit tätigen, glaube ich nicht. Wir glauben eher daran, die bisherige Arbeitszeit in eine optimalere Erfahrung zu überführen, das heißt, die Nutzer haben ein positiveres Gesamterleben und

es uns gelingt, den menschlichen Geist auf eine ähnliche Art und Weise auch im Arbeitsalltag zu fordern und fördern, um all die Herausforderungen der Menschheit in der Zukunft auch bewältigen zu können.

Was kann der Industrieanwender von den Spielewelten lernen? Niesenhaus: Spielerische Ansätze bieten ein hohes Motivations-potenzial, welches wir im Arbeitsleben leider bisher selten nutzen. Der spielerische Blick auf Arbeitsprozesse hilft uns dabei, stärker

Roman Rackwitz (links) und Jörg Niesenhaus spielen auch im Auftrag der Industrie.

Jörg Niesenhaus und Roman Rackwitz gehören zu Europas Gamification- Vordenkern. Während Jörg Niesenhaus nach fünf Jahren beim Unternehmen Centigrade neue Wege einschlägt, hat Roman Rackwitz dort seine Arbeit als Enterprise Gaming Pioneer aufgenommen. Beide haben aber weiterhin das gleiche Ziel: Gaming-Mechanismen und -Designs in die Industriewelt bringen.

GAMIFICATION SPIEL, ABER ERNST

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fühlen sich angenehm herausgefordert, ohne dies als Belastung zu empfinden.

Rackwitz: „Zu Spaß verführt“ finde ich gut. Ich wüsste nicht, dass das geht. Jedenfalls solange man verführt so versteht, dass „jemand etwas tut, was er eigentlich nicht wollte“. Gamification führt, wenn es richtig eingesetzt wird, durchaus dazu, dass die Mitarbeiter mehr Spaß bei der Arbeit haben. Dies funktioniert jedoch ausschließlich durch konsequentes Gestalten im Sinne der Emotion Spaß. Und da niemand zum Spaß gezwungen oder über-redet werden kann, ist hier eine Gestaltung gegen den Willen der Nutzer einfach nicht möglich. Auch „Mehrarbeit“ ist kein Ziel, das wir verfolgen würden – Mitarbeiter sollen nicht etwa länger am Arbeitsplatz sein, sondern die Möglichkeit haben, mehr Freude bei der Ausübung ihrer Arbeit zu empfinden.

Braucht es einen Bedienoberflächen-Standard? Niesenhaus: Die Industrie und ihre Herausforderungen sind so vielfältig, dass wir nicht glauben, alle mit einem Standard er-schlagen zu können. Software-Frameworks haben sicherlich ihre Berechtigung, aber wir sind der Überzeugung, dass auf Ebene der Benutzerober f läche nur maßgeschneiderte Lösungen zum Erfolg führen.

Rackwitz: Noch mal aus Nutzersicht: Was würden wir aufgeben, wenn alles gleichförmig wäre? Stellen Sie sich vor, die Spieleindus-trie wäre diesem Irrtum in der Vergangenheit erlegen und hätte, zum Beispiel, nach dem Erfolg von Space Invaders, damals gesagt, man lege jetzt Standards für Visualisierungen und Steuerung fest. Wir hätten eine Menge guter Spiele und Fortsetzungen verpasst. Gerade die Vielfalt und Veränderung ist es, die ganz verschiedene Spielertypen anspricht, so wie es auch verschiedene Nutzertypen

von Software in Unternehmen gibt. Selbst innerhalb einzelner Spielreihen gibt es große Änderungen, die es attraktiv machen, ein ganz ähnliches Spiel erneut zu kaufen und zu nutzen.

Was sind Trends für Bedienoberflächen? Niesenhaus: Wir erleben aus technischer Sicht einen starken Trend hin zu webbasierten Frameworks – unabhängig, ob daraus eine cloudbasierte oder lokale Anwendung entsteht. Darüber hinaus gibt es wieder eine Bewegung hin zu mehr Details und räum-licher Darstellung, nachdem eine Zeit lang probiert wurde, alles möglichst f lach zu halten. Generell sehen wir viel Bewegung im Bereich von 3D-Echtzeitdarstellungen in User Interfaces.

Sind Sprachlösungen in Zukunft die besseren Oberflächen? Rackwitz: Also erst einmal, selbst wenn irgendwann alles nur noch über Sprache gesteuert werden sollte, dauert es noch sehr lange, bis es soweit ist, dass dies auch fehlerfrei im arbeitstechnischen Umfeld eingesetzt werden kann. Zweitens sind wir hier wieder beim Thema Kontext. Es wird perfekte Anwendungsfelder für Sprachsteuerung geben und es wird Bereiche geben, wo es einfach nicht funktioniert.

Niesenhaus: Multimodale Benutzerschnittstellen gibt es schon lange und ich glaube daher eher an eine sinnvolle Verknüpfung dieser unterschiedlichen Interaktionsparadigmen. Sprachinter-aktion mag in einigen Fällen sinnvoll sein (wenn man die Hände frei haben will), aber in vielen sicherheitsrelevanten Umgebungen (von denen es in der Industrie zahlreiche gibt) ist die sprachbasierte Interaktion nicht sicher und verlässlich genug. Sie könnte daher eher als Unterstützung in spezifischen Nutzungsszenarien ange-wendet werden. ■

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Künstliche Intelligenz boomt – an der Westküste in den USA bei Google, Amazon, Facebook und Co. und in China bei Baidu, Alibaba und Co. und in Südkorea wie bei Samsung, Naver und Co. Und in Europa? In Deutschland? Ich mache mir Sorgen, verehrte Maschinenbauer – vermasselt den Vorsprung im Anlagenbau nicht. Wir sollten uns nicht an Google oder Baidu orientieren, auch wenn das in der Öffentlichkeit sehr attraktiv ist. Wir sollten in Europa, in Deutschland und Österreich unseren Schwerpunkt auf Künstliche Intelligenz im Maschinen- und Anlagenbau legen. Die sprechende Drehmaschine muss unser Ziel sein, nicht ein neues Smartphone. Der Anwender spricht mit der Maschine: „Pass auf die Geschwin-

digkeit auf.“ „Kein Problem“, antwortet die Maschine, „ich habe neues Spezialöl bekommen, damit kann ich schneller fahren.“ Doch wir müssen jetzt handeln, denn in den USA erklären mir die Firmen aus dem Silicon Valley: „Das bisschen Engineering kriegen wir hin oder kaufen wir uns dazu.“ Der Maschinenbau ist heute blind, hält nicht wie Facebook oder Apple andauernden Kontakt zum Kunden, analysiert seine Daten nicht – auch weil die Kunden das nicht immer wollen. KI wird in der Medizintechnik revolutionäre Erfolge ver-zeichnen, jedoch muss man aufpassen, da Patienteninformationen oder sogar genetische Daten um ein vielfaches heikler als Produk-tionsdaten sind. Maschinenbauer und Anwender müssen aufwachen, dürfen sich nicht mehr zurücklehnen.

Jedes Unternehmen braucht einen Data Officer, der Daten ver-steht, analysieren kann, der Prozesse erkennt. Kleine Unternehmen müssen sich zusammenschließen und gemeinsam Daten sammeln und Vorteile aus den Informationen generieren, Gewinne teilen, KI-Erfahrungen sammeln und nutzen. An den Hochschulen bilden wir KI-Experten aus, wie in Linz, wo wir ein neues KI-Studium einführen. Ziel ist es, Ingenieure nicht nur für die Googles der Welt, sondern für den Maschinenbau mit Daten- und Marketingstrategien für neue Geschäftsmodelle auszubilden.

Und dann müssen wir investieren – in die Infrastruktur. In 5G und schnelle Netze – sicher, aber es mangelt in den Firmen an Rechen-leistung (intern oder extern) – an GPU-Clustern angebunden mit schnellen Leitungen an ein Storage-System. Mit einer HPC-Stra-tegie (High Performance Computing) können wir uns nicht mit dem Wettbewerb messen. Das ist neben den Experten für KI und Data-Science und Algorithmen unser Flaschenhals in Europa.

Wettbewerb – woher kommt der? Aus den USA, ja, aber auch aus China oder Südkorea. In den Ländern werden Milliarden für KI-Projekte ausgegeben – Schwerpunkt: Medizintechnik und Bio-technologie. Wo müssen wir handeln? Bei Drehmaschinen, Ge-schirrspülern oder Bohrmaschine. Ein sehr gutes Auto können schon viele andere bauen – leider.

Und macht uns die KI Angst? Muss sie nicht. KI ist wie Hundezucht. Wir, der Mensch ist die Natur, die die schlechte KI aussortiert. Eine schwache KI, von der wir reden, hat keinen Überlebenswillen, sie ist ein Werkzeug für den Menschen. Sie wird uns wohlgesonnen sein. ■

MEINUNG

VERMASSELT ES NICHT Prof. Dr. Sepp Hochreiter ist Leiter des Instituts für Machine Learning der Johannes-Kepler- Universität Linz und gilt als Koryphäe für Künstliche Intelligenz (KI). Seine Grundlagenforschung über Deep Learning verwenden Google, Amazon und Facebook.

„ Wo müssen wir handeln? Bei Dreh-maschinen, Geschirrspülern oder Bohrmaschine. Ein sehr gutes Auto können schon viele andere bauen.“

– Prof. Dr. Sepp Hochreiter

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BigRep integriert nach eigenen Aussagen als erstes Druckerunternehmen CNC-gerechte Steuerungs- systeme in den 3D-Drucker. Die Technologie kommt von Bosch Rexroth. Thomas Fechner verantwortet den Produktbereich New Business bei Bosch Rexroth und erklärt, wie die Automatisierer die Prozess-schritte in der additiven Fertigung effizienter gestalten wollen und was sie damit verdienen können.

STEUERUNG

20 MILLIARDEN FÜR DIE AUTOMATISIERUNG

Ist der G-Code jetzt also die gesetzte Sprache für das additive Fertigen?Bei kartesischen Anwendungen ist G-Code aktuell der etablierte Standard für das Anfah-ren definierter Positionen. Das muss aber nicht immer so bleiben. Zukünftig ist es denkbar, dass „Punktwolken“ aus CAD-Software direkt an die Druckersteuerung gesendet werden. Moderne CNC-Steuerungen stellen dafür bereits heute genügend Rechenleistung bereit.

Wie entscheidend ist das Datenformat aus dem CAD-Programm bis zum Drucker für die Automatisierung der Prozesse? Das Datenformat STL ist derzeit der Defacto- Standard. Aber Datenformate sind nur ein klei-ner Teil eines vollständig digitalen Workf lows. In der Fabrik der Zukunft werden sich alle Prozess-stationen, auch AM-Maschinen, f lexibel und modular in schnell veränderbare Produktions-linien einfügen. Es geht künftig also mehr um das Zusammenspiel von CAD, Slicer-Software, Simulationsumgebungen, Steuerung und Quali-tätssicherung. Dazu müssen sich Automatisierer, Maschinenhersteller und Endanwender auf offe-ne Standards einigen. Die Diskussionen rund um OPC UA sind vielversprechend und alles deutet darauf hin, dass sich OPC UA industrieweit als Standard für die Machine-2-Machine-Kommu-nikation durchsetzen wird.

Warum braucht es CNC-Steuerungen für den 3D-Drucker?Eine professionelle Steuerungstechnik hat das Potenzial, den 3D-Druck als industrielle Ferti-gungstechnologie zu etablieren. Hardwareseitig haben CNC-Steuerungen, wie die MTX von Rexroth, die für den 3D-Druck notwendige Per- formance, Präzision und Robustheit. Sie verfü-gen über ausgereifte, vorprogrammierte Funk- tionalitäten, die der Maschinenhersteller nur parametriert. Sie machen es den Konstrukteu-ren wesentlich einfacher, die Vorgaben an die Maschinensicherheit normgerecht zu erfüllen. Darüber hinaus sind CNC-Systemlösungen langfristig verfügbar und der Service für ihre Hard- und Software wird vom Hersteller teil-weise über Jahrzehnte gewährleistet. BigRep sagt von sich, es sei das erste Unternehmen, das CNC-Steuerungen ein-setzt – wie machen das die Wettbewerber? In der Tat beschäftigen sich zunehmend mehr 3D-Drucker-Hersteller mit der CNC-Technik. Ähnlich wie zu Beginn der elektronisch gesteu-erten Werkzeugmaschinen haben viele Hersteller zunächst eigene Steuerungshardware entwickelt, auf der sie alles selbst programmieren. Diesen Aufwand können sie mit CNC-Systemlösungen deutlich reduzieren. Der 3D-Druck ist dem Prototyp-Stadium entwachsen und fügt sich bald schon nahtlos in den digitalen Workf low in der Wertschöpfungskette.

„ Der 3D-Druck ist dem Prototyp-Stadium ent-wachsen und fügt sich bald schon nahtlos in den digitalen Workflow der Wertschöpfungskette.“

– Thomas Fechner

Es fehlte immer an Automatisierungsstandards für das additive Fertigen – wie ist der Stand der Diskussion? Verglichen mit anderen Fertigungsverfahren ist der manuelle Anteil im 3D-Druck immer noch sehr hoch. Jetzt geht es darum, ein ganzheitliches Verständnis für den gesamten Ablauf von der Datenerstellung bis zur Qualitätssicherung zu entwickeln. Die Entscheidung für CNC-Standardsteuerungen mit offenen Schnitt-stellen ist ein wichtiger Schritt, denn sie bringen Automatisie-rungsstandards direkt mit. So unterstützt die CNC- Lösung MTX von Rexroth alle gängigen Echtzeit-Ethernet- Protokolle und den kommenden IoT- Standard OPC UA.

Wie lange dauert es noch, bis der Datenfluss zum 3D-Drucker ähnlich problemlos läuft wie zur Werkzeugmaschine? Entsprechende Technologien und Werkzeuge, die alle Prozessparameter und Bewegungen koordinieren und weitere Automatisierungsstationen steuern, gibt es heute schon. Zusätzlich ermöglichen Lösungen wie die Soft-waretechnologie Open Core Interface von Rexroth Maschinenherstellern, parallel zur SPS in Hochspra-chen programmierte Funktionen einzusetzen – von CAD über Simulationsumgebungen bis hin zur industriellen Bildverarbeitung und IT-Anbindung. Ein durchgängiger Datenf luss und ein vollstän-dig automatisierter 3D-Druck-Prozess werden so möglich.

Wie groß schätzen Sie den Markt für die Automatisierung der additiven Fertigung ein? Die Schätzungen gehen weit auseinander, aber 20 Mrd. Euro scheinen realistisch. Je schneller die Branche etablierte Standards über-nimmt, desto schneller wächst das Marktpotenzial. Der Einsatz von Robotern ist in diesem Zusammen-hang durchaus denkbar. Ihre Anbindung ist durch CNC- und Motion-Control-Steuerungen problemlos, weil Roboterfunktionalitäten bereits integriert sind. Eine weitere Möglichkeit wäre, diese vor- und nachgelagerten Stationen mit schaltschrank loser Antriebs- und Steuerungs-technik zu realisieren und sie über eine Echtzeit-Querkommu-nikation anzubinden. ■Q

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darüber lasen sich sehr spannend und ich hatte das Bedürfnis, WOL mal zu versuchen. Es brauchte noch ein paar Monate, bis ich dafür be-reit war, WOL völlig offen zu versuchen, und mit den Menschen den Circle durchzuführen, die mich schon länger fasziniert hatten – die nicht aus meinem Unternehmen stammen.

Was hat Ihnen WOL gebracht? Der Circle war sehr intensiv, ich erfuhr dann aber sehr schnell, wie sich bei mir die Ziele immer wandelten, und ich dann durch WOL frühzeitig entdeckte, was ich in meiner freien Zeit noch gerne machen möchte: WOL jeder-mann zugänglich zu machen, ohne dass man dafür weite Anfahrtswege hat und trotzdem mit Leuten reden, neue Erkenntnisse gewinnen kann und auch Menschen, die viel über WOL berich-ten können, Themen vorstellen zu lassen, und uns an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Dies war die Geburtsstunde von WOLOnline-DE, das ich mit Denny Kondic und Thomas Schlebach ins Leben rief. Nun bieten wir nahezu alles rund um WOL an – für Einsteiger und Enthusiasten. Ein persönlicher Austausch, finde ich, gehört aber auch dazu, also wurde so WOL Meetup Bodensee mit Julia Weber zusammen gegründet. Es gab bereits ein Treffen, das bei ZF in Friedrichshafen stattfand.

Wie funktioniert WOL bei Ihnen? Bei uns liefen die Treffen immer geordnet ab. Wir hatten uns aber darauf geeinigt, dass wir den Circle zusammen machen, und wir lieber ein Treffen verschieben, wenn es mal nicht ging. Zum Teil fanden wir in der Freizeit noch Zeit, um die Circleguides schon durchzuarbeiten, aber die meiste Zeit machten wir die Guides zusammen.

Was sind das für Menschen, mit denen Sie WOL machen? Ich mache die Circle mit den unterschiedlichsten Menschen. Ich finde, gerade das zeichnet WOL aus, dass man ohne Hierarchie zusammenarbei-tet. Wir sind alle gleich, das finde ich toll.

Ist WOL das allein glücklich machende?Nein, aber es ist ein wichtiges Element auf dem Weg zur Veränderung – sei es privat oder beruf lich. ■

„ Ich finde gerade das zeichnet WOL aus, dass man ohne Hierarchie zusammenarbeitet. Wir sind alle gleich, das finde ich toll.“

– Christian Tratter

Christian Tratter arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der Produktion bei Wieland. Das Unternehmen fertigt Halbfabrikate aus Kupfer und Kupferlegierungen. Doch Tratter ist nicht nur ein Produktionsmitarbeiter, er kann zum Vorbild für viele Beschäftigte in der Industrie werden, denn er macht WOL – Working Out Loud.

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BEI WOL SIND ALLE GLEICH

Bei der Methode gehen Menschen gemeinsam mit drei bis vier Anderen auf eine Lernreise und jeder versucht dabei, ein persönliches Ziel zu erreichen. Das Ganze dauert 12 Wochen (um echte Verhaltensänderung zu bewirken) für je eine Stunde entlang einem von John Stepper entworfenen Kurrikulum (genannt Circles). Das Ganze basiert auf Dale Carnegie und wurde um

die Möglichkeiten des Internets angereichert und angepasst. Und die Effekte? Können am besten an den fünf Säulen von WOL beschrieben werden.

Wie haben Sie WOL für sich entdeckt? Ich wurde letztes Jahr auf WOL aufmerksam, als ich mich bei LinkedIn registrierte. Die Artikel

FÜNF SÄULEN VON WORKING OUT LOUD • SOZIALE NETZWERKE AUFBAUEN

Du bist nicht alleine – verbinde Dich mit Gleichgesinnten und erlebe die positive Wirkung und Möglichkeiten von Diversität.

• SICHTBAR WERDEN Teile Dein Thema, stelle Fragen, lass andere Deinen Lösungsansatz sehen – das erzeugt Vertrauen, Beteiligung und generiert (oft unerwartete) neue Möglichkeiten.

• BESSER WERDEN Fit werden für das digitale Zeitalter (Medienkompetenz, Netzwerke sinnvoll aufbauen und nutzen, Online-Reputation).

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Stolz steht Dr. Tolgay Ungan von endiio auf der Bühne im Maritim Hotel in Berlin und grinst bis über beide Backen. Gerade hat VDMA- Vizepräsident Hartmut Rauen ihm die Urkunde überreicht. Er und sein Team sind das Startup des Jahres. Die Freude ist groß. In der Pause strömen die Besucher des Maschinenbaugipfels an den kleinen Stand des Wiener Unternehmens und wollen mehr über Ungans Technik und das Unternehmen erfahren. „Auch auf der HANNOVER MESSE kamen so viele Men-schen an unseren Stand. Das hat uns in unserer Arbeit weiter bestätigt“, berichtet Ungan.

Die Wiener verfügen über eine Funkzentrale, die bis zu 65.000 Sensoren ansteuert. Über ein Mesh-Netzwerk wird die Weiterleitung von Befehlen sichergestellt, heißt es bei den Erfin-dern. „In der patentierten wake-up on demand endiio Funktechnologie sind die Sensoren im energiesparenden Tiefschlaf, lassen sich aber bei Bedarf jederzeit aufwecken und so in Echtzeit Daten abrufen“, erklärt Ungan. Damit agiert jeder Sensorknoten als Router und es lassen sich große energiesparende und selbstkonfigurierende Mesh-Netzwerke realisieren sowie IoT-Systeme ohne großen Aufwand und mit wenig Hardware umsetzen, versprechen die Österreicher. Bei War-tungsintervallen von Sensoren erreicht die Tech-nologie „neue Maßstäbe“, und bei anspruchsvol-len Sensornetzwerken kann damit die geforderte Robustheit erzielt werden, berichtet Ungan.

Die endiio-Lösung arbeitet dank einer „völlig neuartigen, patentierten“ Funktechnologie im

Echtzeit-Modus bis zu 10.000 Mal sparsamer als alle herkömmlichen Kommunikationslösungen, wie beispielsweise Bluetooth Low Energy, ZigBee oder Wifi. Das endiio Funkmodul ist als zertifizier-te IoT-Lösung sowohl für OEM-Systeme als auch als Teil des endiio Evaluation Boards erhältlich. Zum zertifizierten Funkmodul (ETSI EN 300.220) gehören neben einem Gateway eine anpassbare Software sowie Beispielprojekte, die es Entwicklern und OEMs ermöglichen, echtzeitfähige Kommu-nikationsfähigkeiten schnell und einfach in ihre Anwendungen zu integrieren – ob in der Produkti-on, Automatisierung oder Sicherheitstechnik – und auch ohne Programmierkenntnisse „einfach und schnell umsetzen zu können“, verspricht Ungan.

Das Unternehmen endiio ist eine Ausgründung der Universität Freiburg und erhielt eine Finanzie-rung des aws Gründerfonds – nach eigenen Anga-ben einer der aktivsten Risikokapitalfinanzierer in Österreich – und der österreichischen Beteili-gungsgesellschaft Situlus Holding. Die Mittel beliefen sich auf einen sechsstelligen Betrag und machten die Entwicklung von industriereifen Lösungen erst möglich. „Der Preis ist damit auch ein Preis für unsere Investoren“, erklärt Ungan stolz. ■

Gegründet in Freiburg, finanziert von Österreichern und ausgezeichnet vom deutschen Maschinen-bau: endiio entwickelt eine nachrüstbare und energieautarke Sensorplattform für die Zustands-überwachung von Maschinen.

AUSSTELLER

DIE NEUEN

Dr. Tolgay Ungan (rechts) und sein Partner Patrick Steindl

„ Die endiio-Lösung arbeitet bis zu 10.000 Mal sparsamer als alle herkömmlichen Kommunikationslösungen.“

– Dr. Tolgay Ungan

IMPRESSUM

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Stand: 12/2018

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I N D U S T R I A L P I O N E E R S S U M M I TDienstag, 2. April 201912.30 Uhr – 17.00 Uhr

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Was kommt nach Industrie 4.0?Antworten auf diese wichtige Frage bietet der neue Industrial Pioneers Summit. Hier kommen Vordenker und Innovationstreiber aus unterschiedlichen Bereichen wie Industrie, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Gesellschaft zusammen, um ihre Erkenntnisse, Meinungen und Theorien auszutauschen.

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