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1 Infobrief Arbeitsrecht 2. Jahrgang OKT 2019 08 | OKT 2019 I nfobrief Arbeitsrecht Kurznachrichten für Praktiker Inhalt Editorial Luxemburg oder Erfurt – Hauptsache Urlaub! Neueste Entwicklungen im Urlaubsrecht .......................... 2 BAG: Überwachungspflichten des Rechtsanwalts bei Berufungseinlegung über das beA – Wiedereinsetzung......... 5 LAG Nürnberg: Keine Über- stundenzuschläge für Teilzeit- beschäftigte in kommunalen Krankenhäusern ..................... 6 Terminvorschau BAG Neue anhängige Rechtsfragen .......................... 9 Editorial Herausgeber: michels.pmks Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser, mit einer Reihe von Entscheidungen hat das BAG mehrere Vorgaben des EuGH zum Urlaubsrecht umgesetzt. Durch diese Entscheidungen wird das ehemals sehr bestän- dige nationale Urlaubsrecht einmal mehr aus den Angeln gehoben und von Grund auf geändert. In unserem Beitrag des Monats fassen wir daher zusammen, welche revolutionären Veränderungen sich im Urlaubsrecht ergeben und wie sie in der Praxis umzusetzen sind. Darüber hinaus werden wieder zwei interessante Entscheidungen besprochen. Zum einen wird aufgrund der berufsrechtlichen Aktualität des Themas eine Entscheidung des BAG zu den Überwachungspflichten des Rechtsanwalts beim Versand fristwah- render Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vorgestellt. Zum anderen möchten wir die Überlegungen des LAG Nürnberg zu fehlenden Ansprüchen auf Überstundenzuschläge teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in kommunalen Krankenhäusern mit Ihnen teilen. michels.pmks und der Deutsche Anwaltverlag wünschen Ihnen eine spannende Lektüre! Dr. Tilman Isenhardt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln Partner michels.pmks

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1Infobrief Arbeitsrecht

2. JahrgangOKT 2019

08 | OKT 2019

Infobrief ArbeitsrechtKurznachrichten für Praktiker

Inhalt

Editorial

Luxemburg oder Erfurt – Hauptsache Urlaub! Neueste Entwicklungen im Urlaubsrecht ..........................2

BAG: Überwachungspflichten des Rechtsanwalts bei Berufungseinlegung über das beA – Wiedereinsetzung .........5

LAG Nürnberg: Keine Über-stundenzuschläge für Teilzeit-beschäftigte in kommunalen Krankenhäusern .....................6

Terminvorschau BAG

Neue anhängige Rechtsfragen ..........................9

EditorialHerausgeber:michels.pmks Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

liebe Leserinnen und Leser,

mit einer Reihe von Entscheidungen hat das BAG mehrere Vorgaben des EuGH zum Urlaubsrecht umgesetzt. Durch diese Entscheidungen wird das ehemals sehr bestän-dige nationale Urlaubsrecht einmal mehr aus den Angeln gehoben und von Grund auf geändert. In unserem Beitrag des Monats fassen wir daher zusammen, welche revolutionären Veränderungen sich im Urlaubsrecht ergeben und wie sie in der Praxis umzusetzen sind.

Darüber hinaus werden wieder zwei interessante Entscheidungen besprochen. Zum einen wird aufgrund der berufsrechtlichen Aktualität des Themas eine Entscheidung des BAG zu den Überwachungspflichten des Rechtsanwalts beim Versand fristwah-render Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vorgestellt. Zum anderen möchten wir die Überlegungen des LAG Nürnberg zu fehlenden Ansprüchen auf Überstundenzuschläge teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in kommunalen Krankenhäusern mit Ihnen teilen.

michels.pmks und der Deutsche Anwaltverlag wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Dr. Tilman Isenhardt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Partner michels.pmks

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2Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

Luxemburg oder Erfurt – Hauptsache Urlaub! Neueste Entwicklun-gen im Urlaubsrecht

Kaum ein Teilbereich des Arbeitsrechts ist in den letzten Jahren Gegenstand so vieler Wendungen und Rechtsprechungsänderungen gewesen wie das deutsche Urlaubs-recht. Innerhalb von nur 9 Jahren wurde die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Regelungen des seit 1963 geltenden Bundes-urlaubsgesetzes (BurlG) insbesondere durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf den Kopf gestellt.

I. Was bisher geschah

Die Schultz-Hoff Entscheidung, in der der Verfall von Urlaub bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern geändert wurde (EuGH, Urt. v. 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06) bildete den Auftakt, gefolgt von der darauf aufbauenden Entscheidung in Sachen KHS (EuGH, Urt. v. 22.11.2011 – C-214/10). Daran schloss sich sodann auch das BAG in seinen Entscheidungen vom 24.3.2019 – 9 AZR 983/07 und 7.8.2012 – 9 AZR 353/10 an. Eine ebenfalls bemerkenswerte Entscheidung traf der EuGH in seinem Beschluss in Sachen Brandes (EuGH, Beschl. v. 13.6.2013 – C-415/129), in dem er sich mit dem Urlaubsanspruch bei unterjährigem Wechsel von Voll- in Teilzeit beschäftigte und entschied, dass Teilzeitbeschäftigte die volle Anzahl der während ihrer Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubstage auch nach dem Wechsel in die Teilzeittätigkeit weiterhin beanspruchen können. Erneut gab das BAG daraufhin einen Teil seiner Rechtsprechung zum Urlaubsrecht auf (BAG, Urt. v. 10.2.2015 – 9 AZR 53/14).

II. Neues Urlaubsrecht – Teil II

Nachdem sich die Praxis im Laufe der vergangenen Jahre auf die Rechtsprechungsän-derungen eingestellt hatte, musste sie im Jahr 2018 und im laufenden Jahr 2019 erfahren, dass Schultz-Hoff und Co. lediglich der Auftakt erheblicher Umwälzungen im (deutschen) Urlaubsrecht waren. Die jüngsten Entscheidungen von EuGH und BAG zur Vererblichkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs, zum Verfall von Urlaub und zur Berechnung des Urlaubsanspruchs bei Sonderurlaub und Elternzeit sind nicht nur äußerst bemerkenswert, sondern auch in höchstem Maße praxisrelevant.

1. Auswirkungen von Sonderurlaub, Elternzeit und Altersteilzeit auf den Ur-laubsanspruch

Der volle Urlaubsanspruch entsteht gem. § 4 BUrlG nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Dabei kommt es ausschließlich auf den tatsächlichen Bestand und nicht die Erbringung von Arbeitsleistung an.

Bei Sonderurlaub war das BAG bislang der Auffassung, dass der Arbeitnehmer auch im ruhenden Arbeitsverhältnis Urlaubsansprüche erwirbt (vgl. Urt. v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12 und noch v. 14.3.2017 – 9 AZR 7/16). Dem lag im Wesentlichen die Annahme zugrunde, während des Sonderurlaubs bestehe die Arbeitspflicht „an sich“ fort, müsse aber nicht erfüllt werden.

Daran hält das BAG nicht fest. In seiner Entscheidung vom 19.3.2019 – 9 AZR 315/17 erklärt der 9. Senat, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch zwar weiterhin am 1. Januar entstehe. Der Urlaubsanspruch sei aber nicht mehr nach der zum Zeitpunkt der Urlaubsgewährung geltenden Arbeitszeitregelung zu bemes-sen. Vielmehr sei eine Berechnung bezogen auf das gesamte Urlaubsjahr auf der Grundlage der arbeitsvertraglichen Verteilung der Arbeitszeit vorzunehmen.

Schultz-Hoff, KHS und Brandes

Entstehen des Urlaubs-anspruchs

Bisherige Rechtsprechung bei Sonderurlaub

Aufgabe der Rechtsprechung

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3Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

Der Praxis wird eine vollkommen neue Umrechnungsformel an die Hand gegeben, die zu einer erheblichen Vereinfachung der Urlaubsberechnung führen wird. Diese lautet für die Sechs Tage-Woche:

24 Werktage Urlaub x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht ./. 312 Werktage

Bei der Fünf-Tage-Woche ist von 260 möglichen Arbeitstagen auszugehen. Bei der Ausfüllung der Formel zählen gesetzliche Feiertage als Tage mit Arbeitspflicht. Da der Zeitraum des Sonderurlaubs bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen ist, besteht ein Urlaubsanspruch für die Zeit des Sonderurlaubs deshalb regelmäßig nicht.

Dies gilt auch nach Beendigung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Block-modell, wie das BAG in seiner jüngsten Pressemitteilung am 24.9.2019 zum Verfahren 9 AZR 481/18 mitteilte. Auch die Freistellungsphase sei mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen.

Während der Elternzeit entsteht der volle Urlaubsanspruch, was sich im Umkehrschluss aus § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG, der die Kürzungsmöglichkeit des Arbeitgebers regelt, ergibt. Zunächst hat der EuGH klargestellt, § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG stehe im Einklang mit dem Unionsrecht (vgl. EuGH v. Urt. v. 4.10.2018 – C-12/17). Unionsrecht verlange nicht Arbeitnehmer, die wegen Elternzeit nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, mit Arbeitnehmern gleichzustellen, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben. Dies übernahm auch das BAG in seinen Entscheidungen vom 19.3.2019 – 9 AZR 362/18 bzw. 9 AZR 495/17 und wies darauf hin, dass der Arbeitgeber das Kürzungsrecht nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG nur im bestehenden Arbeitsverhältnis durch Abgabe einer empfangsbedürftigen rechtsgeschäftlichen Erklärung ausüben könne. Er könne den Urlaub aber nur vor, während und nach dem Ende der Elternzeit kürzen, nicht vor dem Antrag auf Elternzeit. Eine pauschale Erklärung im Arbeitsvertrag scheidet damit ebenso aus, wie eine rückwirkende Erklärung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

2. Verfall des Urlaubsanspruchs

Während die Berechnung des Urlaubsanspruchs durch die geänderte Rechtsprechung erfreulich klarer geworden ist, kann man davon bei der Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen (noch) nicht sprechen. Abgesehen von langzeiterkrankten Arbeitnehmern (Stichwort: 15 Monate) verfiel der Urlaubsanspruch auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG in den Fristen des § 7 Abs. 3 BUrlG unabhängig von dem Verschulden einer Partei mit Ablauf des Urlaubsjahres bzw. Übertragungszeit-raums.

Mit einem Paukenschlag wurde diese Rechtsprechung durch Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 in Frage gestellt, der urteilte, dass Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) einer solchen Gesetzesauslegung entgegenstünden, wenn der Arbeitgeber nicht vorab geprüft habe, ob der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wurde, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Arbeitgeber müssten ihre Arbeitnehmer zwar nicht zwingen, Urlaub wahrzunehmen. Sie seien aber verpflichtet, konkret und in völliger Transpa-renz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem sie diesen – erforderlichenfalls förmlich – dazu aufforderten und ihn auf den möglichen Verfall hinwiesen.

Neue Umrechnungsformel

Altersteilzeit – Freistellungs-phase

Elternzeit

EuGH 6.11.2018 – C-684/16 – (Max-Planck-Gesellschaft)

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4Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

Das BAG hat in einem obiter dictum in seiner Entscheidung vom 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 versucht, die vom EuGH entwickelten Mitwirkungsobliegenheiten in prakti-sche Handhabungen für die Praxis zu übersetzen. Danach sei der Arbeitgeber zwar grundsätzlich in der Wahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Obliegen-heit bediene, müsse aber folgende Voraussetzungen erfüllen:

� Geeignetes Mittel, damit der Arbeitnehmer frei entscheiden kann, ob er seinen Urlaub nehmen will;

� abstrakte Angaben im Arbeitsvertrag, in Merkblättern, Betriebsvereinbarungen etc. genügen nicht;

� ein auf den Arbeitnehmer bezogener Hinweis auf den konkreten Status zu Beginn des Jahres genügt in der Regel;

� Textform reicht aus.

Wie dies konkret ausgestaltet werden kann, überlässt das BAG der Rechtspraxis. Arbeitgeber sollten aber zwingend noch in diesem Jahr, spätestens im Oktober oder November, ihre Arbeitnehmer auffordern, etwaig bestehende Resturlaubsansprüche zu nehmen und sie über den drohenden Verfall informieren. Im nächsten Jahr genügt dann grundsätzlich die einmalige Information zu Beginn des Jahres. Hier wird jeder Arbeitgeber ein für ihn funktionierendes System entwickeln müssen. Dabei sollte beachtet werden, dass die Zahl der Urlaubstage konkret für jeden Einzelfall zu berechnen ist. Den Arbeitgeber trifft die Beweislast, dass er seinen Obliegenheiten nachgekommen ist. Für Altfälle gilt im Übrigen kein Vertrauensschutz. Das bedeutet, dass nicht nur Ansprüche aus dem Jahr 2019, sondern auch aus den Vorjahren zu berücksichtigen sind. Ob dies auch über den Verjährungszeitraum der §§ 195 ff. BGB hinausgeht, ist derzeit noch unklar. Schon Ende des Jahres hat das BAG Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Dennoch sollten Arbeitgeber sicherheitshalber Rückstel-lungen bilden.

3. Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen

Das BAG war nicht nur gezwungen, seine Rechtsprechung zum Verfall aufzugeben. Auch seine Rechtsprechung zur Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen hat seit diesem Jahr keinen Bestand mehr.

Der EuGH hatte, zuletzt am 6.11.2018 – C-569/16 und C-570/16 (Bauer und Will-meroth), klargestellt, dass der Anspruch auf Gewährung von Urlaub und dessen Vergütung unabdingbar zusammenhingen. Der vermögensrechtliche Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub dürfe auch durch den Tod des Arbeitnehmers nicht rückwirkend entzogen werden. Folgerichtig entschied das BAG, dass im Falle des Todes des Arbeitnehmers dessen Erben Anspruch auf Abgeltung des vom Erblasser nicht genommenen Urlaubs haben.

III. Fazit

Die dargestellten Urteile, insbesondere zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, werden zukünftig die Rechtspraxis vor einige Gestaltungsaufgaben stellen. Denn trotz der Bemühungen des BAG, die Rechtsprechung des EuGH zu übersetzen, verbleiben erhebliche Unsicherheiten, wie diese Anforderungen erfüllt werden können. Die Entwicklung des Urlaubsrechts ist im Übrigen auch weiterhin nicht abgeschlossen (Stichwort: Verjährung). Es bleibt also spannend.

Dr. Jannis Kamann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Das BAG konkretisiert

Reaktion auf EuGH (Bollacke/Bauer und Willmeroth)

Fortsetzung folgt

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5Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

BAG: Überwachungspflichten des Rechtsanwalts bei Berufungsein-legung über das beA – Wiedereinsetzung

Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht, hat er in seiner Kanz-lei das zuständige Personal dahingehend zu belehren, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 46 c Abs. 5 S. 2 ArbGG zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen.

[Amtlicher Leitsatz]

BAG, Beschluss v. 7.8.2019 – 5 AZB 16/19

I. Der Fall

Anlass für die Entscheidung des BAG war eine Klage auf Überstundenvergütung und weitere Zahlungsansprüche. Das Arbeitsgericht Münster gab der Klage statt. Gegen das der Beklagten am 5.12.2018 zugestellte Urteil legte der erstmals in zweiter Instanz beauftragte Bevollmächtigte Berufung unter Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) ein, die am 8.1.2019 im Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) bei dem LAG Hamm einging. Aufgrund der Zustellung bei der Beklagten lief die Frist für die Berufungseinlegung am 7.1.2019 ab.

Nach Hinweis des LAG auf die verspätete Berufungseinlegung legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.1.2019 die Übermittlungsdatei vor, aus der sich der Versand der Berufung am 28.12.2018 an das LAG entnehmen ließ. Die Felder „Empfangen“ und „Zugegangen“ enthielten keine Eintragung. Unter Hinweis auf die Übermittlungsda-tei vertrat sie die Auffassung, die Berufung sei rechtzeitig eingegangen. Hilfsweise beantragte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit weiterem Schriftsatz vom 14.2.2019 führte sie aus, der Berufungsschriftsatz sei von einer zuverlässigen und über den Umgang mit dem Versand elektronischer Schriftsätze vertrauten Mitarbeiterin versandt worden. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten sei im Übrigen per Arbeitsanweisung allen Mitarbeitern aufgegeben, den versandten Schriftsatz sowie die Übertragungsdatei zu speichern und deren Inhalt zu kontrollie-ren.

Das LAG hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen legte die Beklagte Revisionsbeschwer-de ein, die das BAG mit Beschluss als unbegründet zurückwies, da der Antrag auf Wiedereinsetzung einerseits verspätet begründet sei, andererseits aber auch kein Wiedereinsetzungsgrund vorliege.

II. Die Entscheidung

Gemäß § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von 2 Wochen zu begründen. Diese Frist hat die Beklagte nicht gewahrt. Mit dem Schriftsatz vom 26.1.2019 wurde der gestellte Wiedereinset-zungsantrag nicht begründet. Eine Begründung wurde erst mit Schriftsatz vom 14.2.2019 dem LAG überlassen. Aufgrund des Inhaltes des mit dem Schriftsatz vom 26.1.2019 überlassenen Übertragungsprotokolls hätten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten jedoch nach Auffassung des BAG bereits erkennen müssen, dass die Berufungsschrift nicht rechtzeitig bei dem LAG eingegangen war. In der Datei waren gerade die Felder, die das Empfangs- und Zugangsdatum enthalten sollten, ohne Eintragung geblieben.

Verspätete Berufungs-einlegung

Hinweis auf Übermittlungs-datei und Arbeitsanweisung

Verfahrensgang

Verspätete Begründung des Wiedereinsetzungsantrag

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6Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

Darüber hinaus sei aber auch die Anweisung des Kanzleipersonals der Prozessbevoll-mächtigten der Beklagten nicht ausreichend gewesen. Für eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle reiche die angewiesene Kontrolle des Versands des Schriftstücks und die Ablage des Nachweises hierfür nicht aus. § 46c Abs. 5 ArbGG bestimme, dass ein elektronisches Dokument dann als eingegangen gelte, wenn es auf dem für den Empfang eingerichteten Server eingegangen sei. Der Eingang ist durch das Gericht gemäß § 46c Abs. 5 S. 2 ArbGG automatisiert zu bestätigen.

Trotz dieser gesetzlichen Regelung sehe die Arbeitsanweisung für die Mitarbeiter der Kanzlei indes keinerlei Bestimmung vor, die die Kontrolle dieser Bestätigung vor Kennzeichnung einer Frist als erledigt vorsehe. Die Fristenüberwachung der Kanzlei sei deshalb nicht ausreichend organisiert. Diese unzureichende Organisation der Fristenkontrolle müsse sich die Beklagte als Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen, so dass das LAG die Berufung zutreffend als unzulässig verworfen habe.

III. Der Praxistipp

Die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfach ist aktuell Anlass für eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen. Die so einfach klingende Prämisse, der elektronische Dokumentenversand folge den gleichen Regeln wie der Faxversand, ist nur vordergründig hilfreich. Im Detail ergeben sich erhebliche Unterschiede, die nicht nur durch die technischen Umstellungen hervorgerufen werden. Zu Recht weist das BAG in dem vorliegenden Beschluss auf die gesetzliche Regelung in § 46c ArbGG hin, der sich wortgleich auch in anderen Prozessordnungen wiederfindet. Anders als bei dem Versand per Fax erhält der Versender im elektronischen Rechtsverkehr nämlich eine automatische Eingangsbestätigung. Auf deren Vorhandensein kommt es somit für die Löschung einer Frist im Falle der Nutzung dieses Versandweges an.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

LAG Nürnberg: Keine Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte in kommunalen Krankenhäusern

1. Teilzeitbeschäftigte erhalten Überstundenzuschläge nach § 8 Abs. 1a TVöD-K nur dann, wenn sie gemäß § 7 Abs. 7 TVöD-K die Arbeitszeit für einen Vollbeschäftigten überschreiten. Eine Auslegung, wonach Teilzeitbe-schäftigte Überstundenzuschläge für Mehrarbeit im Sinne des § 7 Abs. 6 TVöD-K erhalten, ist mit dem Wortlaut, der Regelungssystematik und dem darin zum Ausdruck gekommenen Willen der Tarifvertragsparteien nicht vereinbar.

2. Die Überstundenzuschläge im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2a TVöD-K ver-folgen den Zweck, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeits-belastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen und nicht, durch Verteuerung der über die individuell geschuldete Arbeitsleistung hinausge-henden Arbeitszeiten den individuellen Freizeitbereich zu schützen. Dieser Zweck rechtfertigt eine etwaige Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäf-tigten, so dass kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG vorliegt (entgegen BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 161/16).

[Amtliche Leitsätze]

LAG Nürnberg, Urt. v. 13.6.2019 – 3 Sa 348/18

Unzureichende Anweisung des Kanzleipersonal

Kontrolle der automatischen Empfangsbestätigung des Gerichts erforderlich

Digitalisierung macht Ergän-zung der Kanzleiorganisation notwendig

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7Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

I. Der Fall

Die Parteien streiten über die Zahlung von tariflichen Überstundenzuschlägen. Die Klägerin ist seit September 1997 bei der Beklagten, die eine Klinik betreibt, als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 24 Stunden pro Woche beschäftigt. Im Zeitraum von Januar 2017 bis Juli 2017 erbrachte die Klägerin Arbeitsleistung über die in den Dienstplänen vorgenommene Einteilung hinaus in einem zeitlichen Umfang von insgesamt 102,94 Überstunden. Nach §§ 2 Abs. 2, 10 Abs. 1 des zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Beklagten am 19.1.2017 abgeschlossenen Haustarifvertrags finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Wirkung ab 1.1.2017 die zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für den Dienstleistungsbereich Kranken-häuser vereinbarten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in ihrer zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Tarifvertrags gültigen Fassung Anwendung.

Die Beklagte vergütete sämtliche Arbeitsstunden mit dem regulären Stundensatz. Einen Überstundenzuschlag zahlte sie indes nicht. Die Klägerin vertritt die Auffas-sung, sie könne von der Beklagten die Zahlung des Überstundenzuschlags nach § 8 Abs. 1 TVöD-K verlangen. Überstunden seien nach § 7 Abs. 7 TVöD-K diejenigen Arbeitsstunden, die über die im Dienstplan festgelegten täglichen Arbeitsstunden hinaus angeordnet und geleistet sowie nicht bis zum Ende der folgenden Kalender-woche ausgeglichen worden sind. Auf ein Überschreiten der wöchentlichen Arbeits-zeit eines Vollzeitbeschäftigten käme es nicht an, da dies Teilzeitbeschäftigte unzuläs-sigerweise diskriminiere und daher einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG darstelle.

Das Arbeitsgericht Weiden hat die Klage mit Urt. v. 16.8.2017 – 4 Ca 1333/17 – mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch auf Zahlung eines Überstundenzuschlags ergebe sich nicht aus § 8 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 7 Abs. 7 TVöD-K. Überstunden im Sinne der letztgenannten Vorschrift lägen nicht vor, weil es an der Tatbestandsvor-aussetzung des Überschreitens der regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines Vollzeitbe-schäftigten fehle. Die damit einhergehende Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäf-tigten sei sachlich begründet, da die tarifliche Regelung Beschäftigte vor Belastung durch Arbeitsstunden schützen solle, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinausgehen.

II. Die Entscheidung

Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht – so das LAG Nürnberg – habe die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die Auslegung der tariflichen Regelung ergebe, dass die Klägerin keine zuschlagspflichtigen Überstunden geleistet habe, weil sie entgegen § 7 Abs. 7 TVöD-K nicht über die im Rahmen der regelmäßi-gen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten für die Woche dienstplanmäßig festgesetzten Arbeitsstunden hinaus gearbeitet hat.

Zunächst stellt das LAG klar, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeits-gerichts (vgl. BAG, Urt. v. 26.4.2017 – 10 AZR 589/15) die Auslegung des normati-ven Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln zu folgen habe. Hiernach sei zunächst vom Tarifwortlaut unter Erforschung des maßgeb-lichen Sinns der Erklärung auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Sodann sei über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, dies allerdings nur sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systema-tischen Zusammenhang Niederschlag gefunden habe.

Teilzeitpflegekraft leistet Überstunden

erhält Grundvergütung, nicht jedoch Überstundenzuschläge

Verfahrensgang

LAG folgt ArbG Weiden

zur Auslegung von tariflichen Normen

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8Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

Die Auslegung nach diesen Grundsätzen ergebe, dass die Klägerin im streitbefange-nen Zeitraum keine zuschlagspflichtigen Überstunden i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 lit. a TVöD-K geleistet habe, weil sie entgegen § 7 Abs. 7 TVöD-K nicht über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten für die Woche dienstplanmäßig festgesetzten Arbeitsstunden hinaus gearbeitet habe.

Dies ergebe sich aus dem Wortlaut und der Systematik der tariflichen Regelungen. Den Begriff der Überstunde haben die Tarifvertragsparteien vielmehr in § 7 Abs. 7 TVöD-K eigens definiert. Danach sind Überstunden „… die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.“ Mangels ausdrücklicher anderer Regelung sei eine Auslegung, wonach Teilzeitbeschäftigte Überstundenzu-schläge i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 Buchst. a TVöD-K für Mehrarbeit i.S.d. § 7 Abs. 6 TVöD-K erhalten, daher mit dem Wortlaut und der tariflichen Regelungssystematik unvereinbar.

Auch der Regelungszweck stütze die gefundene Auslegung. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG könne ohne Anhaltspunkte im Tarifvertrag nicht davon ausgegangen werden, dass es den Tarifvertragsparteien darum gehe, durch Verteue-rung der über die individuell geschuldete Arbeitsleistung hinausgehenden Arbeitszei-ten den individuellen Freizeitbereich zu schützen (vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18). Derartige Anhaltspunkte seien vorliegend indes nicht ersichtlich. Vielmehr komme im Tarifvertrag aufgrund des Regelungszusammenhangs hinrei-chend deutlich zum Ausdruck, dass Regelungszweck des § 8 Abs. 1 S. 2 lit. a TVöD-K sei, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen.

Schließlich verstoße diese Auslegung entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin auch nicht gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Nach Auffassung der Kammer spreche nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt. 15.12.1994 – C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93, Rs. Helmig) viel dafür, dass hier – auch bei richtlinien-konformer Auslegung – bereits keine Ungleichbehandlung vorliege, weil für die gleiche Anzahl von Arbeitsstunden für Teilzeit- und Vollzeitarbeitnehmer die gleiche Gesamtvergütung geschuldet wird. Dies könne letztlich dahinstehen, da die (damit etwaige) Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sei. Der im Tarifvertrag zum Ausdruck gekommene Leistungszweck der Überstundenzuschläge bestehe darin, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen und nicht darin, durch Verteuerung der über die individuell geschuldete Arbeitsleistung hinausgehenden Arbeitszeiten den individuellen Freizeit-bereich zu schützen. Dieser Zweck vermöge eine etwaige Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

III. Der Praxistipp

Die Entscheidung verdeutlich anschaulich die bei der Auslegung von tariflichen Normen zu berücksichtigen Besonderheiten und ist daher bereits aus diesem Grund instruktiv. Auf der Grundlage des insoweit zu berücksichtigenden „gesetzesgleichen“ Auslegungsmaßstabes gelangt das LAG zu der Überzeugung, die Ungleichbehand-lung der Teilzeitbeschäftigten sei gerechtfertigt, da nach dem Zweck der tariflichen Normen lediglich über die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinausgehende Überstunden vergütet werden sollen. Ungeachtet der Frage, ob man diese Auffas-sung teilt, ist dies dogmatisch lehrreich.

Überstundenzuschläge nur für Vollzeitbeschäftigte

folgt aus Wortlaut und Systematik der tariflichen Normen

sowie aus Regelungszweck

auch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG

instruktiv zur Auslegung von Tarifnormen

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9Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Thema des Monats

Die weitere Entwicklung bleibt indes mit Spannung zu verfolgen. Das LAG hat die Revision vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Abweichung von der Rechtspre-chung des BAG im Urt. v. 23.3.2017 – 6 AZR 161/16 wegen Divergenz (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG) zugelassen. Der 6. Senat des BAG ist in diesem Urteil zu der Auffas-sung gelangt, dass jedenfalls bei sog. ungeplanten Überstunden i.S.v. § 7 Abs. 8 lit. c Alt. 1 TVöD-K, die über die tägliche Arbeitszeit hinaus abweichend vom Schichtplan angeordnet werden, den betroffenen Arbeitnehmern Überstundenzuschläge zuste-hen. Die von der Regelung betroffenen Arbeitgeber sind daher gut beraten, diese obergerichtliche Rechtsprechung (zumindest vorerst) auch weiter zu berücksichtigen. Die Revision ist unter dem Aktenzeichen 6 AZR 332/19 beim 6. Senat anhängig.

Dr. Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Terminvorschau BAG

Neue anhängige Rechtsfragen

– BAG 4 AZR 66/18 –

Equal Pay bei vertraglicher Bezugnahme auf die Tarifverträge der Zeitarbeit

Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt von equal pay.

Der 1971 geborene Kläger ist seit 2013 bei der Beklagten, die ein Zeitarbeitsunter-nehmen betreibt, als Kraftfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund vertraglicher Bezugnahme u.a. der zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) abgeschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält eine Ausschlussfrist.

Der Kläger wurde von April 2014 bis August 2015 im Wege der Arbeitnehmerüberlas-sung als Coil-Carrier-Fahrer bei einem Kunden der Beklagten eingesetzt. Mit Ände-rungsvertrag vom April 2014 vereinbarten die Parteien für den Einsatz bei diesem Kunden einen Vergütungssatz von 11,25 EUR, wobei die übrigen vertraglichen Vereinbarungen unberührt bleiben sollten. Während des Einsatzes zahlte die Beklagte an den Kläger zunächst 10,61 EUR brutto/Stunde zzgl. 0,64 EUR brutto außertarifli-che Zulage. Ab November 2014 zahlte sie einen Stundenlohn i.H.v. 9,07 EUR brutto und ab April 2015 i.H.v. 9,39 EUR brutto. Sie zahlte ferner die Zuschläge nach dem MTV.

Der Kläger hat mit der vorliegenden Klage Differenzvergütung einschließlich Zulagen und Zuschlägen für die Zeit von April 2014 bis August 2015 begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde die Differenz zwischen der gezahlten Vergütung und dem Entgelt, das Coil-Carrier-Fahrer beim Kunden erhielten (equal pay). Die vertragliche Bezugnahme auf die Tarifverträge der Zeitarbeit sei nicht hinrei-chend transparent. Jedenfalls sei die Differenz zu der im Änderungsvertrag vereinbar-ten Stundenvergütung zu zahlen. Ab Mai 2014 sei zudem ein Branchenzuschlag geschuldet. Die Ausschlussfrist halte einer AGB-Kontrolle nicht stand. Die Beklagte hat gemeint, dass keine equal-pay-Ansprüche bestünden. Aus dem Änderungsvertrag könne der Kläger keine Ansprüche herleiten, weil die Anrechnung von Zuschlägen auf den Stundenlohn vereinbart worden sei.

Das Arbeitsgericht hat dem Kläger nur die Differenzvergütung aufgrund des Ände-rungsvertrages und Branchenzuschläge zugesprochen. Im Übrigen haben die Vorins-

Revision wegen Divergenz zugelassen

Differenzvergütung (Equal-Pay-Anspruch)

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10Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

Terminvorschau BAG

tanzen die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe keinen Anspruch auf equal pay, weil die Pflicht zur Gewährung der Arbeitsbedingungen des Entleihers aufgrund der vereinbarten Anwendung der tariflichen Regelungen ausgeschlossen gewesen sei. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren auch insoweit weiter.

Vorinstanz: LAG Bremen, Urt. v. 6.12.2017 – 3 Sa 64/17

Termin der Entscheidung: 16.10.2019, 11:15 Uhr

Zuständig: Vierter Senat

– BAG 3 AZR 200/18 –

Ablösung – Betriebsübergang – Vertrauen auf bezahlte Betriebsrente

Die Parteien streiten über die Höhe einer betrieblichen Altersversorgung.

Der 1949 geborene Kläger war seit 10.2.1971 bei der Ü AG beschäftigt. Dort galt eine Betriebsvereinbarung „Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung“ vom 1.1.1962. Diese wurde zum 1.1.1991 von der „Ruhegeldvereinbarung für Mitarbeiter bis Eintrittsdatum 31.12.1990“ abgelöst. 1998 ging der Betrieb im Wege der Verschmel-zung auf eine Rechtsvorgängerin der Beklagten über. Auch bei dieser galten Ruhe-geldordnungen. Unter dem 13.6.2000 schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung Altersversorgung – Überleitung (BV Überleitung). Danach sollten die Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung zeitanteilig je nach der Beschäftigungszeit bei der Ü AG und der Rechtsvorgängerin der Beklagten errechnet werden.

Zum 1.8.2011 ging der Kläger in Ruhestand und bezog seitdem eine Sozialversiche-rungsrente sowie eine Betriebsrente. Mit Schreiben vom 28.7.2011 teilte ihm die Beklagte mit, dass er ab 1.8.2011 eine Betriebsrente i.H.v. 2.243,- EUR brutto monatlich erhalte. Ab Juni 2014 wurde sie aufgrund von Rentenanpassungen auf 2.320,- EUR erhöht. Mit Schreiben vom 18.6.2014 verwies die Beklagte auf einen Berechnungsfehler (ab Rentenbeginn richtigerweise 1.979,- EUR) und teilte dem Kläger mit, dass er ab 1.7.2014 nur noch eine Betriebsrente iHv. 2.047,- EUR erhalte.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger die bisher gezahlte Betriebsrente weiter. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine betriebliche Altersversorgung i.H.v. mindestens 2.374,18 EUR monatlich zu. Dies habe die Beklagte verbindlich zugesagt. Der Eingriff in die bereits erworbenen Anwartschaften durch die BV Überleitung sei unzulässig und verstoße gegen das Vertrauensschutzprinzip, der Gesamtbetriebsrat sei hierfür überdies nicht zuständig gewesen. Sein Anspruch rechtfertige sich auch aus betrieblicher Übung. Im Übrigen werde gegen den Gleich-behandlungsgrundsatz verstoßen, indem durch die BV Überleitung eine Verschlechte-rung der Betriebsrente ausschließlich zulasten der Mitarbeiter der Ü AG erfolge.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.

Vorinstanz: LAG Niedersachen, Urt. v. 1.2.2018 – 4 Sa 1315/16 B

Termin der Entscheidung: 22.10.2019, 9:00 Uhr

Zuständig: Dritter Senat

Vertrauen auf bezahlte Betriebsrente nach abgelöster Betriebsvereinbarung

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11Infobrief Arbeitsrecht 08 | OKT 2019

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