INHALT - TU Chemnitz

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Inhalt INHALT 0. Vorwort ......................................................................................................... 4 1. Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer - Expedition in einen unentdeckten Alltag (Gerhard Drees) .......................... 9 2. Analysen zum Methodeneinsatz im berufsbezogenen, kaufmännischen Unterricht (Jens Klusmeyer) ............................................ 23 3. Das Juniorenfirmenkonzept: Von einer handlungsorientierten Lernstrategie zur unternehmerischen Selbstständigkeit (Helmut Woll) ...... 39 4. Juniorenfirmen: Vom Prototypen eines neuen berufsbildenden Lehr- Lernkonzeptes zur ausdifferenzierten Lernform - Beispiele aus Sachsen - (Andreas Neubert) ............................................ 45 5. Das Projekt „Junior“ am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Theorie und Praxis (Karen Redlich/Ingo Hunger). ..................................... 61 6. Aus Erfahrung klug- Unternehmenssimulationen in der beruflichen Ausbildung (Thorsten Möhlmann)............................................................... 73 7. Arbeit erfinden (Jürgen Engel) ................................................................... 87 8. Was ist unternehmerische Kompetenz? (Reinhard Neumann) ................. 101 9. Story telling: New economy and jazz (Helmut Woll) ............................... 109 10. Anhang.................................................................................................... 113 Literatur- und Materialiensammlung (Friederike Strehle) ..................... 118 Verzeichnis teilnehmender Junioren- und Schülerfirmen im April 2002 (Andreas Neubert) ........................................................... 120

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Manuskript-Juniorenfirmen-Korrektur.PDF4
Kooperationspartner
Gesellschaft der Freunde der TU Chemnitz
Vorwort
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0. Vorwort
Der vorliegende Sammelband ist im Rahmen der 3. Sächsischen Junioren- und Schülerfirmenmesse an der TU Chemnitz entstanden. Sie fand am 26./27. April 2002 statt. Das Motto lautete: "Schüler von heute, Unternehmer von morgen?!" Insgesamt stellten 19 Miniunternehmer mit ca. 90 Schülern, Azu- bis, Lehrern und Ausbildern ihre Ergebnisse vor. Die Firmenprodukte er- streckten sich von der Pizzaherstellung bis zum Internetservice. Zum laufen- den Messebetrieb im Foyer des Zentralen Hörsaal- und Seminargebäude der TU Chemnitz wurde ein zusätzliches Vortragsprogramm angeboten. Die Ver- anstaltung wurde organisiert vom Arbeitskreis "Juniorenfirmen" und vom Re- gionalschulamt Chemnitz, dem Bildungswerk der Sächsischen Wirtschaft e.V., der Gesellschaft der Freunde der TU Chemnitz und dem VLW Sachsen finanziell unterstützt. Im folgenden werden die Vorträge in überarbeiteter Form dokumentiert, dabei wurden auch einige Beiträge (Neumann, Engel) zur Existenzgründung für diese Veröffentlichung neu konzipiert und sind als eine thematische Erweiterung und Ergänzung gedacht.
Aus didaktischen Gründen ist es sinnvoll, komplexe Lehr-Lernstrategien in der beruflichen Bildung umzusetzen: Fallstudien, Planspiele, Übungs- und Ju- niorenfirmen, Simulationen etc. Die Ausbildungsrealität zeigt aber, dass inno- vative Konzepte schwer umzusetzen sind. Der Beitrag von Gerhard Drees be- leuchtet die Rolle der Berufsschullehrer in diesem Wandlungsprozess. Sein empirisches Material dazu entstammt den Ergebnissen Dortmunder For- schungsarbeiten zur Begleitung der Umsetzung von Innovationsmaßnahmen. Diese Forschungen zeigen eine große Zurückhaltung der befragten Berufs- schullehrer gegenüber neuen handlungsorientierten Lehr-Lernstrategien. Im Zweifelsfall entscheiden sich die Lehrer für bewährte Handlungsmuster. Man befürwortet in aller Regel die neuen Formen berufsschulischen Lehrens und Lernens und würde gern in dieser Weise arbeiten, es fehlen aber dazu meist die Voraussetzungen: Prüfungen, Stofffülle etc. Damit ist eine latente Frustra- tion vorprogrammiert. Komplexe didaktische Innovationen, die von den Leh- rern ein hohes Maß an Engagement schon bei der Erarbeitung und erst recht bei der Umsetzung erfordern, können nicht per Verwaltungsakt eingeführt werden. Drees plädiert für einen realistischen Reformprozess in den Berufs-
Vorwort
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schulen: bessere Kooperation der Lehrer untereinander, Kooperation von Leh- rern und Schulbehörde, vor allem Verbesserung der Bedingungen vor Ort.
Der Beitrag von Jens Klusmeyer fasst erste Zwischenergebnisse aus dem BLK-Projekt „Erfassung und Analyse vorherrschender Lernmethoden und Unterrichtsstile im berufsbezogenen Unterricht in ausgewählten Berufsfeldern der dualen Berufsausbildung“ zusammen. Es geht um ein reales Bild über die im Unterricht eingesetzten Lehr-Lernmethoden. Die empirische Datenbasis zu diesem wichtigen Thema ist sehr gering. Klusmeyer hat versucht, durch aus- führliche Befragungen diese Lücke ein klein wenig zu schließen. Er hat nach der Stellung des Frontalunterrichts gefragt und auch nach den Hemmnissen, die einem Einsatz handlungsorientierter Methoden entgegenstehen. Seine Er- gebnisse sind ernüchternd. Der Frontalunterricht dominiert, und die aktiven Lernmethoden nehmen nur eine ergänzende Funktion ein. Vor allem der hohe Zeitaufwand wird gegen die aktiven Lernmethoden in den Befragungen ge- nannt. Die handlungsorientierten Methodenarrangements haben allenfalls ei- nen „Leuchtturmcharakter“. Klusmeyer spricht sich dabei dafür aus, dass das unterrichtsmethodische Repertoire der Lehrkräfte in Bezug auf handlungsori- entierte Methoden zu erweitern ist. Dabei geht es vor allem um intensivere Übungen und Erfahrungen im Umgang mit neuen Methoden. Dabei wären Formen des Coaching, Mentoring, Moderation etc. in die Programmentwick- lung der berufsbildenden Schulen einzubeziehen. Da der Frontalunterricht auch in Zukunft von Bedeutung sein wird, plädiert Klusmeyer für eine Ver- besserung und Weiterentwicklung dieser Unterrichtsmethode.
In dem Beitrag von Helmut Woll wird das Juniorenfirmenkonzept als aktive Lehr- Lernmethode erläutert. Es wird abgegrenzt von der Übungsfirma und vom Lernbüro. Dabei wird deutlich, dass dieses Konzept einem Bedeutungs- wandel unterlegen ist. Zunächst eingeführt in Fortsetzung der Projektmethode im Rahmen einer handlungsorientierten Ausbildungsreform, u.a. zur besseren Motivierung der Auszubildenden, d.h. von Lohnempfängern. In den letzten Jahren wird aber stärker der Aspekt betont, dass die Juniorenfirmen auch ei- nen Impuls leisten sollen in Richtung einer Ausbildung zum unternehmeri- schen Verhalten (Entrepreneur).
Andreas Neubert beschreibt die einzelnen Junioren- und Schülerfirmen, die sich auf der 3. Sächsischen Messe präsentiert haben, in ihrem Selbstverständ-
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nis und ihrer Zielsetzung. Es haben sich 19 Miniunternehmen vorgestellt. Die Aufgaben der einzelnen Unternehmen ist sehr heterogen. Sie reichen von der Pizzaherstellung bis zur Visitenkartenerstellung. Es zeigt sich hierbei die Plu- ralisierung der Organisations- und Arbeitsformen in Juniorenfirmenkonzep- ten, die übergreifend zu beobachten sind.
Außerdem hat sich das Projekt JUNIOR eigenständig dargestellt. Karen Red- lich und Ingo Hunger beschreiben ausführlich das Projekt „JUNIOR“ im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. JUNIOR wird in 12 Bundesländer an allen Schulformen ab Klasse 9 angeboten. 10-15 jährige Schülerinnen und Schüler gründen ein auf ein Schuljahr angelegtes JUNIOR-Unternehmen. Im Unterschied zu Planspielen erleben die Beteiligten Wirtschaft live. Es wird eine Geschäftsidee entwickelt, die bis zur Marktreife und darüber hinaus um- gesetzt wird. Die JUNIOR-Geschäftsstelle in Köln übernimmt im Rahmen des Projektes die Rolle des Staates. Die Unternehmen müssen Steuern, Lohn- und Sozialabgaben zahlen sowie monatlich Buchführungsunterlagen einreichen. Dabei kommt es nicht darauf an, von Anfang an alles richtig zu machen. Im Sinne des Schulprojektes ist es vielmehr, die erforderlichen Lernprozesse zu initiieren. Während des gesamten Schuljahres werden die Unternehmen daher betreut. Als Reaktion auf die eingesandten Buchungsunterlagen erhalten sie ausführliche Rückmeldungen, die Richtiges loben und Falsches anmerken. Des Weiteren gibt es für die Schüler die Möglichkeit, sich in der Wirtschaft einen Wirtschaftspaten zu suchen. Während des Jahres treffen sich die Unter- nehmer, um Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen oder auch einfach nur um Probleme zu besprechen. In einem Abschlussbericht werden die Erfahrungen gesammelt und zur Diskussion gestellt.
Die Ausführung von Thorsten Möhlmann fragt nach dem Vorwissen im Un- terrichtsgeschehen. Wie können Schüler heute ihr Vorwissen nutzen und es morgen optimal in Planspielen und Juniorfirmen erweitern? Die Schüler kommen bereits mit unterschiedlichem Vorwissen in die Lerngruppen. Sei es aufgrund unterschiedlicher Schulformen, des Alters oder weil sie ohne Schul- abschlüsse in die nächst höhere Schulform eintreten. Diese Unterschiede kön- nen den Lernprozess bremsen aber auch Nutzen stiften. Möhlmann führt drei Methoden aus, die es ermöglichen Vorwissen zu erheben: Story Telling, Pa- piercomputer und die Entscheidungslandkarten. Bei der Erhebung des Vor-
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wissens geht es nicht um eine komplette Bestandsaufnahme des Vorwissens zu einem bestimmten Bereich. Es geht vielmehr darum, eine Verständigung über die eigenen Bilder vom Unternehmen oder Ausschnitten davon im Kopf zu explizieren, zu externalisieren. Kurz: das Wissen auszubilden, welches man sich im bisherigen Bildungsgang eingebildet hat, um es anderen an- schließend zu zeigen.
Jürgen Engel stellt das Projekt "Arbeit erfinden" vor. Es wurde im Jahre 1997 von der Quickborner Beratungsfirma Metaplan Projektforum entwickelt und erprobt. In den folgenden Jahren sind nach diesem Konzept bundesweit zahl- reiche Workshops durchgeführt worden. An der TU Chemnitz ist dieses Kon- zept im SS 2000 von Jürgen Engel eingesetzt worden. Adressaten waren Stu- dierende der Philosophischen Fakultät, die eine Existenzgründung -in den Be- reichen Übersetzungsbüros, Sporttourismus, Berufsberatung etc., beabsichtig- ten. Im SS 2003 wird diese Arbeit fortgesetzt.
Reinhard Neumann ist Lehrbeauftragter der TU Chemnitz für die Thematik des computerunterstützten Rechnungswesens (Lexware). Er hat aber auch vielfältige Erfahrungen im Coaching von Existenzgründern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern. Dieses vielfältige Wissen hat er in seinem Bei- trag „Was ist unternehmerische Kompetenz?“ dargestellt.
In Deutschland mangelt es an dynamischen Unternehmern, weiterhin gibt es noch relativ wenig Existenzgründungen aus den Universitäten heraus. Eine er- folgreiche Ausnahme ist Professor August-Wilhelm Scheer. Er ist Betriebswirt mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlan- des. Er hielt an der TU Chemnitz im Januar 2002 einen Vortrag zu den Bezie- hungen von Jazz und Management. Er hat seine Ideen auch in einem Buch vorgelegt, das Helmut Woll inhaltlich referiert.
Die vorliegende Publikation wurde von der Chemnitzer Wirtschaftsförde- rungsgesellschaft (CWE) und vom Institut für soziale Gegenwartsfragen in Freiburg finanziell unterstützt und von A. Neubert zeitaufwendig zusammen- gefügt. An dieser Stelle dafür einen herzlichen Dank.
Helmut Woll Chemnitz, im April 2003
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schullehrer - Expedition in einen unentdeckten
Alltag
Die folgenden Ausführungen sind dem etwa einstündigen Eröffnungsvortrags zur 3. Juniorenmesse Sachsen „Schüler von heute - Unternehmer von mor- gen!?“ entnommen. Darin sollte, so der Auftrag der Veranstalter, die Lehr- /Lernkonstellation „Berufskolleg“ kritisch und pointiert beleuchtet werden mit dem Ziel, die Diskussion unter den Teilnehmern anzuregen. Zu den Aspekten berufsschulischen Lehrens und Lernens, die dabei aus Sicht der Lehrer und der Schüler hinterfragt wurden, zählte ein eigentümliches Missverhältnis zwi- schen aufwändigen administrativen Initiativen zur Implementation jeweils ak- tueller, hoch ambitionierter didaktischer Konzepte einerseits und im Schnitt enttäuschenden Wirkungen solcher Initiativen auf die berufsschulische Praxis andererseits. Es wurde nach den Gründen gefragt und dabei die Annahme vorausgeschickt, dass bei den komplexen bürokratischen Verfahren zur Ein- führung der angesprochenen Neuerungen eines viel zu wenig berücksichtigt wird: Berufsschule konstituiert sich über die Praxis der Berufsschullehrer und diese wiederum auf der Grundlage individueller Situationsinterpretationen und der daraus abgeleiteten Handlungsstrategien, in die vielfältige Prämissen eingehen, auch - aber eben nur: auch - Richtlinien, Lehrpläne, Erlasse, ein- schließlich Vorgaben zur Didaktik und zu den Unterrichtsformen. Von diesem Gedanken her wurde die Ausgangssituation für die Berufsschul- lehrer, die bei der Konfrontation mit dem Anspruch entsteht, didaktische In- novationen umzusetzen, rekonstruiert und gefragt, wie vor diesem Hinter- grund die Genese der vorfindlichen Realität und mit ihr die zurückhaltende Umsetzung von Neuerungen zu verstehen ist. Das empirische Material dazu entstammt den Ergebnissen Dortmunder For- schungsarbeiten zur Begleitung der Umsetzung von Innovationsmaßnahmen, die Berufsschullehrer mit den genannten neuen Ansprüchen konfrontieren. Diese Ansprüche sind im Einzelnen: Lernprojekte im Rahmen handlungsori- entierten Unterrichts zu entwickeln und durchzuführen (Drees/Pätzold 1997), die Lernortkooperation zu intensivieren (Pätzold/Drees/Thiele 1998) und Lernsituationen gemäß den Vorstellungen lernfeldorientierten Unterrichts zu realisieren (Drees/Pätzold 2002). An dieser Stelle werden die wichtigsten Aussagen in komprimierter Form weitergegeben.
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
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Eggert Holling und Arno Bammé haben anfangs der achtziger Jahre die Situa- tion der Berufsschullehrer markant beschrieben: „Die Arbeit des Lehrers kennt keine Grenze. Es gibt keinen Punkt, an dem er sagen könnte: Jetzt habe ich alles, was möglich ist, getan. Er kann sich immer noch besser auf den Unterricht vorbereiten, er kann sich immer noch stärker um Probleme einzelner Schüler kümmern. (...) Die Ansprüche, die an den Lehrer gestellt werden, sind grenzenlos ... In ihrer Gesamtheit sind sie uner- füllbar ... Die ständige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit schlägt sich in einem dauernd schlechten Gewissen nieder und führt wahr- scheinlich zu größeren psychischen Belastungen, als durch die eigentliche Ar- beit erklärbar wäre“ (Holling/Bammé 1982, S. 216). Nach den angesprochenen Dortmunder Forschungsergebnissen ist dieser all- gemeinen Zustandsbeschreibung zuzustimmen. Sie wird von den Berufsschul- lehrern gerade in solchen Situationen reproduziert, in denen sie mit Neuerun- gen konfrontiert und aufgefordert sind, diese umzusetzen. Die Verlautbarung solcher aus der allgemeinen Erfahrung relativ leicht nachvollziehbarer Befind- lichkeiten ist aber nur ein Aspekt dessen, was den Umgang der Berufschulleh- rer mit Veränderungen in ihrem Handlungsfeld ausmacht. Sie sind eher als „phänotypisches“ Geschehen aufzugreifen. Hinter ihnen zeichnen sich in we- sentlichen Aspekten übereinstimmende Situationsinterpretationen ab, aus de- nen die letztlich praxisrelevanten Handlungsstrategien abgeleitet werden. In den angesprochenen Forschungsarbeiten ging es u. a. darum, diese Situations- interpretationen und Handlungsstrategien mit Blick auf die Entwicklung von Weiterbildungskonzepten herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck wurden die einschlägigen Ausgangssituationen, ihre Deutungen durch die Lehrer und die daraus abgeleiteten Handlungsformen gemeinsam mit den Berufsschullehrern in ihren Erscheinungsformen und Wirkungsweisen herausgearbeitet und die entstehenden Rekonstruktionen kontinuierlich evaluiert. Wie sich der Umgang mit neuen Handlungsansprüchen demnach gestaltet, soll am Beispiel des Um- gangs mit der gegenwärtig erfolgenden Einführung der Lernfeldorientierung, speziell dem Anspruch dargelegt werden, das Lernen ausgehend von authenti- schen Handlungszusammenhängen als Lernsituationen zu gestalten.
Gerhard Drees
3. Kriterien und Strategien gegenüber neuen Handlungsansprüchen am Beispiel von „Lernsituationen“
Gleich welche Reforminitiativen in der Berufsschule wirksam werden sollen - sie müssen den langen Weg von der administrativen Entscheidung bis in die Unterrichtsräume überstehen und dort von den Lehrern umgesetzt werden. An dieser Stelle, an der aus abstrakten Ansprüchen konkretes Handeln werden muss, entscheidet sich letztlich das Schicksal jeder Reform. Ohne das Han- deln der Berufsschullehrer können gleich von wem und gleich wie intendierte Veränderungen nicht verwirklicht werden. Für die Berufsschullehrer werden die Reformaktivitäten als neue oder verän- derte Ansprüche an ihr Handeln relevant. Die Konfrontation mit solchen Handlungsansprüchen bewirkt nun aber nicht - wie es naive Ausdeutungen beruflicher Aufgabenwahrnehmung, des Beamten zumal und speziell der mo- ralisch aufgeladenen Instanz des Lehrers, unterstellen mögen - das unmittelba- re Bemühen um die bestmögliche Umsetzung in die Unterrichtspraxis. Zu- nächst einmal erfolgt vielmehr ein auf die jeweilige Person, den jeweiligen Arbeitsplatz und die dort vorfindlichen Bedingungen bezogenes Abwägen der mit dem neuen Anspruch entstehenden Situation und der zu erwartenden per- sönlichen Konsequenzen. Dabei kommen individuell zugeschnittene Arrangements von Kriterien zur Anwendung, in denen sich allerdings ein „harter Kern“ offenbar positionsty- pischer Maßgrößen aufweisen lässt. Aus diesem Katalog von Kernkriterien erweisen sich im Umgang mit dem Handlungsanspruch „Lernsituationen“ die folgenden als besonders bedeutsam: - die persönliche Bedeutungszumessung für die jeweilige inhaltliche „Sache“ hinter dem konkreten Handlungsanspruch, - das Wahrhaftigkeitsempfinden als das wahrgenommene bzw. unterstellte
Maß, in dem eine Handlungsanforderung als ernsthaftes, redliches Anliegen der im Bereich der Berufsschule verbindlich normsetzenden Instanzen erfah- ren wird, - wobei Erfahrungen, Einschätzungen und Mutmaßungen, die Mo- tive für die Implementation betreffend, von wichtiger Bedeutung sind - und
- die Arbeitserfolgsrelevanz, nämlich der vermutete Einfluss der verlangten Handlungsmodifikation auf das, was den Berufsschullehrern aus ihrer Situa- tion heraus als persönlicher Arbeitserfolg gilt, und den Weg, dies zu errei- chen.
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
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Als Ergebnis von Fallstudien mit Berufsschullehrern, deren Aufgabe es war, die Arbeit mit Lernsituationen im Rahmen eines Modellversuchs zu erproben, lassen sich zu diesen Kriterien die folgenden Erfahrungen weitergeben. Die Bedeutungszumessung für das inhaltliche Anliegen hinter dem Hand- lungsanspruch, Lernsituationen zu planen und durchzuführen, ist hoch. Ein- deutige berufspädagogische Vorteile dieser Lernform werden herausgestellt. So ist erst recht nach intensiven Erprobungen unstrittig, dass die Arbeit mit Lernsituationen positive Effekte in den unmittelbar beobachtbaren Dimensi- onen der angestrebten Förderung von Persönlichkeitsmerkmalen erbringt, die so von klassischen Unterrichtsformen nicht erwartet werden können. Ebenso einmütig wird hervorgehoben, dass sich ein neues kooperatives Lehrer-/Schü- ler-Verhältnis einstellt, auf dessen Grundlage eine größere gegenseitige Ak- zeptanz von Anliegen und Ansprüchen eintritt. Ein hoch eingeschätzter Effekt für die allgemein als gesteigert erlebte Arbeitszufriedenheit geht auf die Er- fahrungen mit der Kooperationsform in den Lehrergruppen selbst zurück, die sich von der ansonsten typischen isolierten Einzelarbeit in erwünschter Weise abhob. Die Wahrhaftigkeitszumessung erfolgt über eine Vielzahl teils sachunspezifi- scher Argumente, von denen die wichtigsten genannt seien. - Das „Packesel-Argument“ weist auf die ständig wachsende Belastung der
Lehrer und des Unterrichts mit immer neuen Unterrichtsinhalten und -formen sowie den immer gerade aktuellen Problemen der Gesellschaft hin. So sieht man sich heute für das eine, morgen für das andere Thema kurzer- hand zum Experten erklärt. Auch eine gewisse Protesthaltung, meist begrün- det auf das echte Gefühl einer Überforderung durch das Volumen der An- sprüche, lässt dazu neigen, sich nur in dem gerade notwendigen Maß mit neuen Themen und didaktisch-methodischen Modellen zu beschäftigen. Ähnlich einträchtig, wie die Berufsschullehrer nach der Erprobung im Rah- men des Modellversuchs die Vorteile des Arbeitens mit Lernsituationen her- ausstellen, relativieren sie diese folglich als an die optimierten Bedingungen der Forschungssituation gebundene Ergebnisse nur ausnähmlich möglichen Aufwands. Die Erfolgsaspekte werden immer sozusagen unter Vorbehalt re- feriert. Die intentionengerechte Implementation von Lernsituationen als in- tegrierter Bestandteil der Berufsschulwirklichkeit oder gar als Regelform gilt als illusionär.
- Mit dem „Mode-Argument“ werden Neuerungen mit Blick auf vorangegan- gene Erfahrungen den zeitgeistigen Erscheinungen zugeordnet, die kommen und gehen. Eine Bildungspolitik, die sich auf der Höhe der Zeit und aktiv
Gerhard Drees
darzustellen hat, muss demnach offiziell immer auch nach dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion besonders geeignete Lehr- /Lernkonzepte übernehmen. Letztlich kommt aber, wer diese Phase „aussitzt“, in der All- tagspraxis immer wieder mit dem alt vertrauten Handeln am besten zurecht, weil sich substantiell an den wirklich normierenden Regeln der Institution „Berufsschule“ nichts ändert.
- Nach dem „Strukturdefizit-Argument“ wird über die komplexen Lehr-/Lern- arrangements, die nötig wären, um komplexe didaktische Modelle wie die Lernfeldorientierung wirklich umsetzen zu können, zwar allgegenwärtig dis- kutiert und geschrieben. Sie sind in den Handlungsbedingungen des Schulbetrieb aber nicht einmal in schütteren Ansätzen realisiert oder überhaupt realisierbar. Als Defizite besonders häufig genannt werden der 45- bzw. 90-Minutentakt als Gliederungsprinzip für die Unterrichtszeit und die auf ihn bezogenen verbindlichen Stundenpläne, die Fächerstruktur, die bedingt, dass nur die Lernprozesse im eigenen Fach überschaubar sind und koope- rationsfeindliches Fächerdenken entsteht, die Individualbenotung am Ende der Ausbildung, die entscheidende Intentionen des sozialen Lernens konter- kariert, und eine Vielzahl einschränkender Erlasse, die bei der Schaffung ungewöhnlicher und spontaner Lernsituationen hinderlich sind.
Die Struktur der Berufsschule, so die Auffassung, ist gegenüber den Anforde- rungen, die auf dem Papier gestellt werden, heillos zurückgeblieben. Was an Veränderungen implementiert wird, gilt als immer nur dann durchführbar, wenn die Berufsschule ihre organisatorischen Regeln selbst vorübergehend außer Kraft setzt und auch dann nur bei einem Aufwand, der auf Dauer un- zumutbar ist. Nur über die adäquate Gestaltung der Berufsschulstrukturen, nicht allein über neue Ansprüche an die Lehrer, würde sich aber eine Reform- absicht als wahrhaftig ausweisen. Die Einschätzung der Arbeitserfolgsrelevanz erweist sich als das zentrale Kri- terium für den Umgang mit einem neuen Handlungsanspruch. An ihm wird in besonderem Maße deutlich, wie wichtig es ist, zur Einschätzung des Vorge- hens der Berufsschullehrer neben den formellen auch die in der Handlungssi- tuation zu erschließenden informellen Regulierungen kennen zu lernen und heran zu ziehen. In diesem Fall ergibt sich die auf den ersten Blick paradox erscheinende Situation, dass für die in der Sache positiv eingestellten Berufs- schullehrer ein Engagement für die Durchsetzung der administrativ verfügten Neuerungen erhebliche Risiken für den Arbeitserfolg bergen kann. Diese
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recht eigentümlich anmutende Beurteilung steht in enger Verbindung zu der Art und Weise, wie sich im Handlungskontext „Berufsschule“ vermittelt, was Arbeitserfolg ist. Von daher muss sie mit Blick auf eine berufliche Tätigkeit betrachtet werden, die ja erstens nach Bammé und Holling als „komplex“, „interpretationsbedürftig“, „grenzenlos“ und „unerfüllbar“ zu betrachten ist und zu der zweitens messbare Erfolgskriterien weitgehend fehlen, Rückmel- dungen kaum vorgesehen sind und wenn, so fast ausschließlich im negativen Fall erfolgen. Unter diesen Bedingungen konzentrieren sich relevante Urteile über den Ar- beitserfolg auf zwei Maßgrößen: Die erste Maßgröße sind die Prüfungsergebnisse als „Zahl gewordene“ und in dieser Qualität einzige (jedenfalls scheinbar) objektive, vorweisbare und Ver- gleichbarkeit schaffende Auskunft über den Erfolg der Arbeit. Der Rang des Prüfungskriteriums wird darüber hinaus aufgewertet, weil bei der gegebenen inoffiziellen Aufgabenverteilung im Dualen System nach übereinstimmender Einschätzung die Herstellung des Prüfungserfolgs im Wesentlichen den Be- rufsschullehrern zugewiesen wird. Eine besonders markante Folge ist, dass der Berufsschulunterricht, alle innerinstitutionellen Vorgaben marginalisie- rend, von den Stoffplänen der Kammer-Prüfungen her geplant wird, die entsprechend nicht selten als die „heimlichen Lehrpläne“ oder als die „Bibel des Berufschullehrers“ bezeichnet werden. Hier entsteht eine Verbindung zu dem zweiten Kriterium, nämlich der Fähig- keit, negative Rückmeldungen über die eigene Tätigkeit zu vermeiden. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Zunächst ist die Notwendigkeit ange- sprochen, das Handeln in der Berufsschule angesichts eines „Dickichts von Erlassen und Verfügungen“ unanfechtbar zu gestalten. Risiken in Form un- kalkulierbarer Handlungsfolgen werden möglichst ausgeschlossen. Ferner sol- len Reaktionen der Betriebe auf das unterrichtliche Geschehen vermieden werden, die zu Rücksprache oder Beschwerden bei den Schulleitungen oder auch der Schulaufsicht führen können. Dieses Absicherungsinteresse der Berufschullehrer ergibt sich aktuell in be- sonderem Maße aus ihrer Beobachtung bzw. der Annahme, dass die in der Regel als tolerant, unterstützend und solidarisch beschriebene Zusammen- arbeit mit den Schulleitungen und der Schulaufsicht zurzeit besonders sensib- le Bereiche hat, wenn die Interessen der Ausbildungsbetriebe berührt sind. Als Hintergrund dafür wird die Sorge um die Akzeptanz des berufsschulischen Ausbildungsbeitrags, in der Konsequenz um die Sicherung von Kapazitäten und allgemein des Bestands der Berufskollegs, ausgemacht. Die Berufsschule
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wird als der schwache und latent im Bestand bedrohte Partner im Dualen Sys- tem gesehen. Diese Situation fördert die Bereitschaft zu mitunter sehr weitge- hendem Entgegenkommen und aktiven Bemühungen, auf die Ausbildungsbe- triebe zuzugehen - Konsolidierungs- und Akzeptanzbildungsmaßnahmen auf der Leitungsebene, die durch Friktionen im Alltagsbetrieb nicht gestört wer- den sollen. Teils sind z. B. neue Ausbildungsgänge nach intensiver Umwer- bung der Betriebe zustande kommen und hängen in ihrem Bestand von deren Bereitschaft ab, in den entsprechenden Berufen auszubilden und die Auszu- bildenden auch gerade dieser Berufsschule zuzuführen. Ein gleich wie moti- vierter reservierter Umgang mit Interessenbekundungen und Einflussnahmen solcher Ausbildungsbetriebe, die mit einer Berufsschule kooperative Kontakte unterhalten, oder Veränderungen der gewohnten Abläufe in der Berufsschule, die für die Betriebe in ausbildungsorganisatorischer oder didaktischer Hin- sicht relevant werden, sind potentielle Quellen negativer Rückmeldungen. Sich einer Art „Schulräson“ zu unterstellen - positiver ausgedrückt: das Ein- verständnis in die Konsolidierungsbemühungen der Schulleitungen, ggf. der aktive Beitrag dazu - ist aus der Sicht der Berufsschullehrer offenbar zu einem Leistungskriterium geworden. Wenn nun neue Handlungsansprüche vorrangig nach diesen beiden Kriterien aufgegriffen werden, heißt dies, dass Berufsschullehrer aufgrund der von ih- nen antizipierten Realitäten im Dualen System ihr Handeln nicht in erster Li- nie von den Vorgaben in Richtlinien und Lehrplänen, von didaktischen Mo- dellen, von der persönlichen inhaltlichen Bedeutungszumessung, von den be- rufspädagogischen Intentionen oder von der aktuellen Bedeutung eines Lern- stoffs ausgehend planen können. Entscheidend sind vielmehr das Gewicht im Rahmen inkompatibler Prüfungsformalitäten und zum anderen die Krisenfäl- ligkeit (im Falle ungünstiger Rückmeldungen). Für das, was ihr Handlungs- feld „Berufsschule“ für die Lehrer im Kern ausmacht, stehen die Formalismen der reproduktionsorientierten Individualprüfungen und die Notwendigkeit, - auch und gerade im Verkehr mit den Ausbildungsbetrieben - nicht auffällig werden zu dürfen, sehr viel mehr als z. B. die offiziell implementierten didak- tischen Konzepte, wie derzeit etwa die Lernfeldorientierung.
4. Berufsschullehrer zwischen widersprüchlichen Anforderungen
Die Kernerfahrung aus der gemeinsam mit den Betroffenen unternommenen Analyse des Umgangs der Berufsschullehrer mit den neuen Handlungsanfor-
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derungen, für den hier der mit den Lernsituationen als Beispiel diente, ist wie folgt zu beschreiben: Die in die angesprochenen Forschungen einbezogenen Lehrer kommen anhand zwar individuell unterschiedlich kombinierter und gewichteter, aber im Wesentlichen übereinstimmender Analyseergebnisse und in Anwendung der genannten (hier für das Beispiel „Lernsituationen“ spezifi- ziert vorgetragenen) Kriterien für ihre Praxis zu großer Zurückhaltung gegen- über neuen Handlungsansprüche und entscheiden sich eher für solche Hand- lungsmuster, die sich in den berufsschulischen Ausgangsbedingungen bisher bewährt haben und unter strukturell unveränderten Verhältnissen wohl auch weiterhin bewähren werden. Nun müssen bei dieser Bilanz, auch zur Vermeidung von Fehlinterpretationen nach dem Muster folkloristischer Mutmaßungen über den Lehrerberuf, vier Aspekte deutlich betont werden: Erstens: Die Zurückhaltung bei der Umsetzung der neuen Handlungsansprü- che ist zumeist das Ergebnis einzelfallbezogener bewusster und gezielter Ent- scheidungen, nicht etwa eines automatisierten, pauschalen Wegdrängens un- bequemer Neuerungen und Anstrengungen. Zweitens: Die Situation, die diese Entscheidungen bedingt, wird im Schnitt als frustrierend erlebt. Man befürwortet in aller Regel die neuen Formen berufs- schulischen Lehrens und Lernens und würde gern in dieser Weise arbeiten - wenn die Voraussetzungen angemessen wären. Die Realität aber verlangt zur Abwendung persönlicher Nachteile statt dessen die Konzentration auf das „Überleben in der Stofffülle“, das „Durchkommen bis zum Prüfungstag“ und vor allem die Absicherung des Prüfungserfolgs. Die neuen didaktischen Mo- delle stellen in dieser Hinsicht Risiken dar. Drittens: Das Erlebnis der Frustration ist mit der als unausweichlich empfun- denen Abweisung der neuen Handlungsansprüche nicht aufgehoben. Sie be- freit keineswegs von den Zweifeln und emotionalen Spannungen, über die sich der Problemcharakter der Umstände an die Betroffenen mitteilt. Dies kommt in den Situationsschilderungen aus der Alltagspraxis und zu den ganz privaten Verarbeitungsformen und -problemen deutlich zum Ausdruck. Ge- genüber den Ansprüchen an die Arbeitsleistung und den Gegebenheiten, in denen sie zu erbringen sind, erscheint diese Strategie lediglich als das kleinere Übel. Sie wird wie ein berufsspezifisches Fatum tradiert und oftmals in dem vollen Bewusstsein angewendet, dass die Probleme und die eigene Unzufrie- denheit so auf Dauer gestellt und nicht gelöst werden, dass dieses Verfahren resignativen und eskapistischen Charakter hat. Die Tatsache, dass die immer neue Konfrontation mit den Widersprüchen und das entsprechende emotionale
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Geschehen nicht ausgesetzt werden können, macht es notwendig, sich der Richtigkeit dieser Orientierung ständig neu zu versichern, was hohen Kraft- aufwand erfordert und nur mehr oder weniger gut gelingt. Viertens: Dieses Verhalten kann von außen betrachtet unsinnig und unver- ständlich erscheinen. Es mag, wo nur das Ergebnis sichtbar wird, auch ver- breitete Vorurteile Außenstehender beleben. Bei solchen Gedanken darf aber der Prämissenrahmen nicht ausgeblendet werden, in dem es zustande kommt: Zum einen hat die Analyse des Handlungsfeldes wenig Zweifel daran gelas- sen, dass die Problembeschreibungen der Lehrer zur Situation in der Berufs- schule zutreffend sind. Zum anderen mögen die individuellen Beweggründe zum Verzicht auf die Umsetzung von Neuerungen unterschiedlich sein - durchhalten lassen sie sich nur, weil sich dieses Handeln in der beruflichen Praxis nach den dort für die Wahrnehmung der Lehrer tatsächlich ausschlag- gebenden Leistungskriterien bestätigt und als richtig und erwünscht zurück gemeldet wird. Wenn Lehrer sich gegen die neuen Handlungsansprüche und für das Hinnehmen der damit verbundenen Frustrationen entscheiden, so zie- hen sie eine Konsequenz, die ihnen - allen programmatisch aufgeladenen Re- formaktivitäten an der Oberfläche zum Trotz - von den Strukturen, in denen sie handeln müssen, sehr nahe gelegt wird. (Auch) mit diesen Zusammenhängen erklärt sich also die häufig vorwurfsvoll beklagte Innovationsresistenz der Berufsschule. Die genannten, alle Reform- prozesse überdauernden Strukturmerkmale, ein hohes Maß an externer Regu- lierung durch die (antizipierten) Interessen der Ausbildungsbetriebe und die mit beidem verbundenen, oft informell etablierten Handlungsnotwendigkeiten sorgen dafür, dass Lehrer ein Interesse an der Bewahrung eines unbefriedi- genden Status Quo haben, um gemäß der wirklich ausschlaggebenden Krite- rien für ihr Handeln erfolgreich sein zu können.
5. Perspektiven
Auf der Suche nach Perspektiven kurzfristige strukturelle Veränderungen in der Berufsschule anzuregen, nach denen die praktische Umsetzung der jeweils vorgegebenen didaktischen Modelle tatsächlich möglich wäre, hieße, sich auf Illusionen zu kaprizieren. Berufspädagogische und lerntheoretische Einsichten bilden eben nur einen Teil des Hintergrunds für bildungspolitische Entschei- dungen - und nicht den entscheidenden. Das Interesse an den legitimatori- schen und sozialintegrativen Leistungen der beruflichen Ausbildung etwa,
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speziell die Funktion der Zuweisung von beruflichem und sozialem Status ü- ber die vermeintlich objektive und Vergleichbarkeit schaffende Verortung der Lernenden auf einer Leistungsskala, hat traditionell größeres Gewicht. Die hierfür notwendigen Gegebenheiten sind über unangetastete Anteile der be- rufsschulischen Kernstruktur gesichert, auch wenn so die Realisierung der of- fiziell eingeforderten neuen Formen von Lehren und Lernen offensichtlich be- oder verhindert wird. Dennoch sind Initiativen zur Umsetzung didaktischer Innovationen natürlich nicht fruchtlos, auch wenn sie zunächst nur zu Verbesserungen im Detail oder zu einer Ausweitung der Diskussion führen. Was Empfehlungen zu entspre- chenden Aktivitäten betrifft, soll mit Blick auf den begrenzten Raum an dieser Stelle jeweils eine wesentliche zum Umgang mit der voranstehend diskutier- ten Schlüsselproblematik an die beteiligten Instanzen gerichtet werden. Die Berufsschuladministration ist an eine Grunderkenntnis zu erinnern, die als Formel zwar geläufig ist, aber in der Praxis zu wenig Berücksichtigung findet: Komplexe didaktische Innovationen, die von den Lehrern ein hohes Maß an Engagement schon bei der Erarbeitung und erst recht bei der Umsetzung er- fordern, können nicht per Verwaltungsakt eingeführt werden. Bei allen An- strengungen, z.B. die Implementation lernfeldorientierter Unterrichtsgestal- tung durch Aufklärung, Weiterbildung, Moderatoren und Materialien zu un- terstützen, deutet das Meinungsbild der Lehrer auf ein Defizit bei der Berück- sichtigung der Bedingungen alltäglicher praktischer Arbeit hin. Gleichzeitig wird der Trend beobachtet, der Öffentlichkeit die berufsschulische Realität über die in besonderen Bedingungen zustande gekommenen Ergebnisse von Modellversuchen und spektakulären Events zu beschreiben und die oftmals triste Wirklichkeit des Normalbetriebs auszublenden. Es wird bezweifelt, ob die Instanzen oberhalb der Schulleitung die aktuellen Arbeitssituationen der Lehrer tatsächlich hinreichend zur Kenntnis nehmen - ebenso, wie einen aus- gesprochen tiefgehenden Unmut der Lehrer über die entstehende Situation. Es erscheint, als werde die Implementation zunächst als Informations- und im Weiteren als ein Motivationsproblem gesehen, dem mit oftmals nur moralisie- renden Appellen entsprochen werden soll. Es kann für die Prozesse der Implementation förderlich sein, die Kooperation mit den Kollegien auf eine breitere Basis zu stellen, die Lehrer stärker in die Entwicklungsarbeit einzubeziehen und dabei die Umsetzungsbedingungen de- tailliert zu erheben und in Ansatz zu bringen. Damit wäre es möglich, Umset- zungsstrategien zu entwickeln, in denen die Realisierungsbedingungen unmit- telbar berücksichtigt und die momentan verfügbaren Möglichkeiten ausgereizt
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werden. Gleichzeitig können die institutionellen Gegebenheiten, an denen die Reformbemühungen an Grenzen stoßen, klar definiert und ggf. zum Gegen- stand bildungspolitischer Initiativen zu werden. Die Berufsschullehrer beschreiben die Situation, in der sie sich sehen, enga- giert, detailreich und oftmals in drastischen Formulierungen. Allerdings bleibt die kritische Bestandsaufnahme häufig perspektivlos und letztgültig. Die teils tief gehenden Analysen der berufsschulischen und bildungspolitischen Reali- täten zeichnen dann ein Szenario, dem konsequent allein durch eine fatalisti- sche Haltung und Rückzug zu entsprechen ist. Die einen finden ihre privaten Wege zu kleinen Fluchten, andere beschränken sich auf minimalen Aufwand für den Beruf, der in diesem Fall nur mehr als Beschaffungsgrundlage für sinnerfüllte Tätigkeit in der Freizeit akzeptiert ist. Wo dies geschieht, werden jegliche Gestaltungsmöglichkeiten, die das Handlungsfeld trotz allem in ver- gleichsweise hohem Maße vorhält, von vornherein vergeben. Zwar ist dem variantenreich belegten Argument zuzustimmen, dass zur Lösung der Prob- leme letztlich politische Entscheidungen notwendig sind. „Politische Ent- scheidungen“ kodiert in den Spracheinlassungen der Berufsschullehrer jedoch in aller Regel Prozesse auf einer übergeordneten Ebene, die ihnen nach ihrem Eindruck selbst nicht zugänglich ist. Mögliche Veränderungen werden bei dieser Interpretation der Gegebenheiten von anonymen Instanzen erwartet, Möglichkeiten zu eigener Einflussnahme hingegen nicht gesehen, geleugnet, resignativ zurückgewiesen, oder es wird nicht einmal nach ihnen gefragt. Auch die Ausgangsbedingungen für diejenigen Lehrer, die ihre kritische Ana- lyse perspektivisch wenden und praktisch wirksam werden lassen wollen und die dazu auf kollegiale Kooperationen angewiesen sind, werden so weiter er- schwert. Dennoch hängt von diesen Personen und ihren Aktivitäten entschei- dend ab, ob und inwieweit sich in den Berufsschulen Entwicklungen vollzie- hen. Dabei geht es entscheidend, aber nicht allein, um das Vermögen, der be- rufspädagogischen Arbeit neue Wege zu erschließen und die Bedingungen da- für politisch geschickt zu schaffen - was bereits des Aufwands genug bedeu- tet. Ebenso wichtig ist es, die neuen Handlungsstrategien weiterzugeben, für sie zu werben, Kollegen für gemeinsame Anstrengungen zu gewinnen, dabei auch die Erfolge und den Zugewinn für die Arbeitszufriedenheit - über die z. B. nach der Erprobung des Lernfeldkonzepts alle Beteiligten teils eupho- risch berichten - für die Überzeugungsarbeit einzusetzen. Dazu bedürfen die Lehrer der Unterstützung, die sie auch bei der Wissenschaft finden sollten. Wissenschaftliche Politikberatung konzentriert sich allerdings einseitig auf die Konzeptualisierung didaktischer Arrangements und curricularer Regel-
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
21
werke. Deren Wirksamkeit muss jedoch prinzipiell als fraglich gelten, so lan- ge sie bei weitgehender Abstraktion von den Verwirklichungsbedingungen zustande kommen. Der Wissenschaft ist daher zu empfehlen, sich konzentriert der alltäglichen Arbeit der Berufsschullehrer und der Herausarbeitung der tat- sächlichen Bedingungen zuzuwenden, unter denen diese sich vollzieht. Was die unmittelbare Berufsausübung der Lehrer, die sie leitenden Situationsinter- pretationen, erkannte und verborgene Handlungsräume und -begrenzungen angeht, ist kaum etwas bekannt. Die Fragen, wie Lehrer - jenseits der von ih- nen selbst häufig verlangten Belieferung mit vermeintlich rationalisierenden Unterrichtsrezepten - bei der Reflexion ihrer Situationsinterpretationen und ihrer Praxis, bei der Entwicklung ihrer berufspädagogischen Positionen, schließlich bei einer den Rahmen des Möglichen ausschöpfenden Verwirkli- chung ihrer dabei entstehenden Handlungskonzepte und bei Aktivitäten zur Ausweitung des Rahmens selbst unterstützt werden können, gehören ins Zent- rum des Forschungsinteresses. Eine Unterstützung der Lehrer, die letztlich zur Verbesserung der Qualität der beruflichen Ausbildung führen soll, muss damit beginnen, ihr alltägliches Handeln aus seiner Prämissenstruktur heraus zu er- klären. Wird er nicht gegangen, so werden die Berufsschule, in der die Lehrer erfolgreich agieren müssen, und die Berufsschule, über die Bildungspolitik, Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutieren, zwei ganz unterschiedliche Wirklichkeiten bleiben.
Literatur
Gerhard Drees
Verfasser Dr. Gerhard Drees ist Lehrbeauftragter an der Fernuniversität Hagen und hat in verschiedenen Forschungsprojekten an den Universitäten Dortmund und Erfurt mitgewirkt.
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berufsbezogenen, kaufmännischen Unterricht
Der Beitrag fasst erste Zwischenergebnisse aus dem BLK-Projekt „Erfassung und Analyse vorherrschender Lehrmethoden und Unterrichtsstile im berufs- bezogenen Unterricht in ausgewählten Berufsfeldern der dualen Berufsausbil- dung“1 zusammen. Der Projekttitel signalisiert, dass die durchgeführte Unter- suchung der deskriptiven Lehrmethodenforschung zuzuordnen ist. Ziel der deskriptiven Lehrmethodenforschung ist es, ein reales Bild über die im Unter- richt eingesetzten Lehr-/ Lernmethoden zu zeichnen, d. h. es geht ihr um die Erfassung „der tatsächlichen Realitäten des Methodengebrauchs im gegebe- nen Unterrichtsalltag“ (Terhart, 1997, S. 98). Der aktuelle Forschungsstand der deskriptiven Lehrmethodenforschung ist im Hinblick auf den Wirtschafts- lehreunterricht an Berufsschulen als äußerst defizitär zu bezeichnen. Defizite im unterrichtsmethodischen Repertoire der Lehrkräfte werden zwar seit Jahr- zehnten kontinuierlich in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Literatur beschrieben (vgl. Kaiser & Kaminski, 1999, S. 94), die argumentative Absi- cherung der jeweiligen Defizitbeschreibung erfolgt jedoch zumeist auf Basis der didaktisch-methodischen Theoriediskussionen. Sofern überhaupt auf em- pirische Erkenntnisse zurückgegriffen wird, entstammen diese der Lehrme- thodenforschung des allgemeinbildenden Unterrichts und sind zudem älteren Datums. So wird beispielsweise im Standardlehrwerk „Methodik des Ökono- mie-Unterrichts“ von Kaiser und Kaminski (1999, S. 94) der Befund eines vorherrschenden lehrerzentrierten Wirtschaftslehreunterrichts abgesichert durch die Studie von Hage et al. zum Methodenrepertoire von Lehrern und Lehrerinnen im Schulalltag der Sekundarstufe I von 1985. Das Alter der Stu- die und die seit dem geführten didaktisch-methodischen Reformdiskussionen und -umsetzungen im Lichte komplexer und handlungsorientierter Unter- richtsmethoden verdeutlichen, dass eine Untersuchung über das vorherrschen- de unterrichtsmethodische Repertoire von Lehrern und Lehrerinnen an be- rufsbildenden Schulen längst überfällig ist. Mit der vorliegenden Studie wird zum Abbau des beschriebenen Forschungsdesiderats beigetragen. Im Rahmen eines 30minütigen Vortrages lässt sich natürlich nicht die Gesamtuntersu- chung mit all ihren Forschungsfragestellungen und -ergebnissen darlegen, deshalb werden in diesem Beitrag zunächst folgende Forschungsfragen einer vorläufigen Antwort zugeführt:
1 Das Projekt wurde im Zeitraum Januar 2001 bis Oktober 2002 im Rahmen eines Unterauftrages der Uni- versität Dortmund durchgeführt, die im Auftrag des Instituts Technik und Bildung der Universität Bremen (Programmträger im BLK-Programm „Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung“) die Gesamt - studie erstellt hat. Der Programmträger war an der Abfassung der Aufgabenstellung und der wesentlichen Randbedingungen beteiligt.
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
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2. Kurzbeschreibung des Forschungsdesigns und der Datenbasis
Die Untersuchung wurde mittels eines Fragebogens durchgeführt, der es er- laubte, quantifizierbare Daten zu den vorherrschenden Lehrmethoden und Un- terrichtsstilen im berufsspezifischen Unterricht zu erheben. Die allgemeinen Vor- und Nachteile der quantitativ ausgerichteten, schriftlichen Befragung sind in der einschlägigen empirischen Grundlagenliteratur gut beschrieben und vielfach diskutiert worden (vgl. Bortz & Döring, 1995, S. 231 ff.; Fried- richs, 1990, S. 236 ff.), auf eine entsprechende Erörterung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Hervorzuheben ist jedoch, dass die Vorgabe des Erhe- bungsinstruments den Zugriff auf das Forschungsfeld dahingehend ein- schränkte, dass die Erfassung und Analyse der vorherrschenden Lehrmetho- den und Unterrichtsstile aus der subjektiven Sicht der beteiligten Personen er- folgen musste. Das heißt, nicht der Unterricht, wie er „an sich“ ist, wurde er- forscht, sondern es wurde erhoben, wie die befragten Lehrpersonen und Schü- ler/ -innen den Unterricht sehen, wahrnehmen und bewerten. Bei der Konstruktion der Fragebogen wurden die Besonderheiten der zu be- fragenden Personengruppen und die der Berufsfelder berücksichtigt. Entspre- chend wurde je ein eigener Fragebogen sowohl für die Schüler/ -innen als auch für die Lehrkräfte entwickelt sowie drei verschiedene Fragebogen für die drei Erhebungseinheiten „Wirtschaft und Verwaltung (WV)“, „Metalltechnik (GT)“ und „IT-Bereich (IT)“ konstruiert, um deren methodische Besonderhei- ten angemessen berücksichtigen zu können. Die Fragebogenerhebung wurde im Früh- und Spätsommer 2001 in 6 ausge- wählten Bundesländern an 74 verschiedenen berufsbildenden Schulen durch- geführt (Baden-Württemberg mit 10 Schulen, Hamburg mit 11 Schulen, Nie-
Jens Klusmeyer
GT-L GT-S WV-L WV-S IT-L IT-S Summe Schüler Bundesland
Summe Lehrer Bundesland
Sachsen-Anhalt 30 287 28 255 8 101 643 66 Sachsen 30 229 23 217 12 95 541 65 Nordrhein-Westfalen 26 227 39 289 8 91 607 73 Niedersachsen 30 246 31 206 8 100 552 69 Hamburg 36 190 20 222 8 90 502 64 Baden-Württemberg 18 222 36 231 8 137 590 62 Gesamt 170 1401 177 1420 52 614 3435 399
dersachsen mit 15 Schulen, Nordrhein-Westfalen mit 11 Schulen, Sachsen mit 14 Schulen, Sachsen-Anhalt mit 13 Schulen). Insgesamt wurden 3435 Schüler/ -innen und 399 Lehrer/ -innen zu den vor- herrschenden Lehrmethoden im berufsspezifischen Unterricht befragt. Auf den hier zu analysierenden kaufmännisch-verwaltenden Bereich entfielen ins- gesamt 1420 Schüler/ -innen und 177 Lehrpersonen. Im Bundesland Sachsen haben 217 Schüler/ -innen und 23 Lehrer/ -innen an der Befragung teilge- nommen. Die Schüler/ -innen wurden überwiegend in den beiden Berufen „Einzelhandelskauffrau/ -mann“ (N = 662 entspricht 46,6 %; in Sachsen N = 101 entspricht 46,5 %) und „Industriekauffrau/ -mann“ (N = 707 entspricht 49,8 %; in Sachsen N = 114 entspricht 52,5 %) ausgebildet. Auf die Darstel- lung weiterer Strukturdaten zu den befragten Personengruppen wird an dieser Stelle verzichtet, da sie für die im Folgenden darzustellenden Untersuchungs- ergebnisse nicht von Belang sind. Abb. 1: Verteilung der Befragten nach Bundesländern und Berufsfeldern
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
27
3.1 Zur Einsatzhäufigkeit der Unterrichtsmethoden
In der folgenden Abbildung 2 wird zunächst ein erster, grober Einblick in die Einsatzhäufigkeit verschiedener unterrichtsmethodischer Vorgehensweisen vorgelegt. Sie thematisiert die Verwendung unterschiedlicher Unterrichtsme- thoden aus der Sicht des Lehrpersonals. Deutlich ist aus der Abbildung abzu- lesen, dass 39,0 % der Lehrer/ -innen in 10 oder mehr Unterrichtsstunden Frontalunterricht abhalten. Wird innerhalb dieser Kategorie der prozentuale Spaltenwert berechnet, so lässt sich ein Wert von 79,3 % ermitteln. Damit wird die Dominanz des Frontalunterrichts überdeutlich. Dieser Befund wird nochmals bei der Betrachtung der Kategorien „5-10 Stunden pro Woche“ und „bis zu 5 Stunden pro Woche“ gestärkt. Auch in diesen Spalten zeigt sich, dass der Frontalunterricht mit 29,4 % bzw. 20,9 % den ersten Rang in der me- thodischen Grundorientierung der Lehrpersonen einnimmt. Ergänzt wird der Frontalunterricht insbesondere durch die Fallstudie. 13,0 % der Befragten ga- ben an, Fallstudien bis zu 5 Stunden pro Woche in ihrem Unterricht durchzu- führen, und weitere 14,1 % der Lehrpersonen binden Fallstudien 3-4mal im Monat in ihr unterrichtsmethodisches Repertoire ein. Eine ähnlich ergänzende Bedeutung fällt dem Lernen mit dem Computer zu, wenngleich im Gegensatz zur Fallstudie der insgesamt geringere Einsatz sowie die deutlichere Nichtan- wendung dieser Methode (mit 28,2 %) hervorgehoben werden muss. Der Pro- jektunterricht, die Erkundung und das Rollenspiel kommen im Kern nur 1- 2mal im Halbjahr zum Einsatz. Die Leittextmethode und das selbstgesteuerte Lernen werden in der Mehrzahl nicht eingesetzt. Noch seltener wird ein Plan- spiel im kaufmännischen Unterricht durchgeführt. 27,7 % der Lehrer/ -innen gaben an, lediglich einmal im Schuljahr ein Planspiel durchzuführen und 46,9 % des Lehrpersonals hat noch nie ein Planspiel eingesetzt. Zusammenfassend lässt sich aus der Sicht der Lehrer/ -innen festhalten, dass der Frontalunterricht dominiert und die anderen Methoden eine ergänzende Funktion einnehmen. Dieser Befund stellt sich aus der Perspektive der Schü- ler/ -innen in ähnlicher Weise dar. Der Anteil des Frontalunterrichts wird aus ihrer Sicht mit 79,4 % bewertet. Diese hohe Deckungsgleichheit bei der Ein- schätzung der Einsatzhäufigkeit lässt sich bei den anderen, tendenziell hand-
2 Die Vorstellung der Ergebnisse erfolgt auf der Basis der Gesamtdatenlage. Werte aus dem Bundesland Sachsen werden in Klammern eingefügt und waren eher Gegenstand der anschließenden Diskussion.
Jens Klusmeyer
Methode
G es
am t
N 69 52 37 13 1 0 0 0 1 4 177 Frontalunterricht
% 39,0 29,4 20,9 7,3 0,6 0,0 0,0 0,0 0,6 2,3 100,0 N 2 3 10 8 8 11 43 48 29 15 177 Projektunterricht
% 1,1 1,7 5,6 4,5 4,5 6,2 24,3 27,1 16,4 8,5 100,0 N 0 0 0 2 4 19 44 43 42 23 177 Erkundung
% 0,0 0,0 0,0 1,1 2,3 10,7 24,9 24,3 23,7 13,0 100,0 N 5 12 21 21 16 14 11 12 50 15 177 Lernen mit dem
Computer % 2,8 6,8 11,9 11,9 9,0 7,9 6,2 6,8 28,2 8,5 100,0 N 0 8 4 23 13 17 13 14 57 28 177 Leittextmethode
% 0,0 4,5 2,3 13,0 7,3 9,6 7,3 7,9 32,2 15,8 100,0 N 0 3 12 22 16 17 41 14 35 17 177 Rollenspiel
% 0,0 1,7 6,8 12,4 9,0 9,6 23,2 7,9 19,8 9,6 100,0 N 4 12 16 23 22 8 20 9 33 30 177 Selbstgesteuertes
Lernen % 2,3 6,8 9,0 13,0 12,4 4,5 11,3 5,1 18,6 16,9 100,0 N 5 13 23 25 20 28 30 11 11 11 177 Fallstudie
% 2,8 7,3 13,0 14,1 11,3 15,8 16,9 6,2 6,2 6,2 100,0 N 1 2 1 2 2 0 14 49 83 23 177 Planspiel
% 0,6 1,1 0,6 1,1 1,1 0,0 7,9 27,7 46,9 13,0 100,0 N 1 7 5 3 1 0 3 1 57 99 177 Sonstiges
% 0,6 4,0 2,8 1,7 0,6 0,0 1,7 0,6 32,2 55,9 100,0
Spaltensumme N 87 112 129 142 103 114 219 201 398 265 Frontalunterricht Sp.-% 79,3 46,4 28,7 9,2 1,0 0,0 0,0 0,0 0,3 1,5
N 11 7 2 2 0 0 0 0 0 1 23 Sachsen: Frontalunterricht
% 47,8 30,4 8,7 8,7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 4,3 100,0 Spaltensumme N 12 16 10 14 16 8 26 17 65 46 Frontalunterricht Sp.-% 91,7 43,8 20,0 14,3 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 2,2
lungsorientierteren Unterrichtsmethoden nicht feststellen. Hier fällt die Ein- schätzung der Schüler/ -innen deutlich negativer aus als bei den Lehrkräften. Abb. 2: Einsatzhäufigkeit von Unterrichtsmethoden aus Sicht der Lehrpersonen
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
29
72,1
72,9
79,8
82,2
20,2
20,2
11,6
11,6
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0
Die Fragen in Lehrergesprächen sind
tendenziell offener geworden
Unterricht einzubringen
trifft kaum zu trifft nicht zu
trifft voll zu trifft weitgehend zu
3.2 Zur Entwicklung und Verfasstheit des Frontalunterrichts aus der Sicht der Lehrer/ -innen und Schüler/ -innen
Die festgestellte Dominanz des Frontalunterrichts wirft die Frage nach seiner Entwicklung und inneren Verfasstheit auf. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass rund 2/3 der Lehrer/ -innen die Ansicht vertreten, dass durch die Diskus- sionen um einen handlungsorientierten Unterricht der Frontalunterricht einen „anderen“ Stellenwert eingenommen hat. Zu beachten ist jedoch auch, dass 27,3 % (in Sachsen 43,5 %) der Befragten für sich keinerlei Veränderungs- entwicklungen bzw. -druck identifizieren konnten.3 Welche konkreten Verän- derungen der Frontalunterricht nach Ansicht der Lehrer/ -innen vollzogen hat, ist in Abbildung 3 zusammengestellt. Abb. 3: Veränderungsentwicklungen –Frontalunterricht- aus Sicht der Lehrpersonen
3 Die Werte sind aus einer entsprechenden Fragestellung der Studie ermittelt worden. Bei den Prozentwer- ten aus Sachsen ist die kleine Grundgesamtheit zu beachten.
Jens Klusmeyer
30
Werden die Kategorien „trifft voll zu“ und „trifft weitgehend zu“ wie in der Abbildung 3 zusammengefasst, so wird ersichtlich, dass Lehrvorträge seltener abgehalten (72,9 %) werden, die Fragen in den Lehrgesprächen tendenziell of- fener gestellt werden (72,1 %) und häufiger Klassendiskussionen stattfinden (79,8 %). Bezüglich der Mitgestaltungs- und Einflussmöglichkeiten der Schü- ler/ -innen wird hervorgehoben, dass die Schüler/ -innen vermehrt eigene Er- fahrungen in den Unterricht einbringen können (82,2 %). Inwieweit die von den Lehrkräften diagnostizierten Veränderungen des Fron- talunterrichts von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen wurden, soll im Folgenden untersucht werden. Abb. 4: Der Frontalunterricht aus der Sicht der Schüler/ -innen Die nähere Analyse des Frontalunterrichts zeigt in Abbildung 4 deutlich, dass aus der Sicht der Schüler/ -innen der Lehrervortrag mit 86,8 % und das fra- gend erarbeitende Lehrgespräch mit 85,5 % im Mittelpunkt des kaufmänni- schen Unterrichts stehen. Demgegenüber nehmen Formen der Klassendiskus- sion einen deutlich geringeren Stellenwert ein. Zumeist werden die Diskussi- onen eher im „klassischen Sinn“, d. h. die Lehrperson leitet und führt die Dis-
Dr. Jens KlusmeyerDer Frontalunterricht aus der Sicht der Schüler/-innen
11,0
43,9
85,5
86,8
86,9
54,3
13,5
12,2
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
W ir diskutieren untereinander. Der
Lehrer dient als Berater/Moderator
gemeinsam
redet
Prozent
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
31
Dr. Jens KlusmeyerDie Qualität der Fragestellung im Frontalunterricht aus der Sicht der Schüler/-innen
91,0
14,5
67,4
7,6
83,5
31,1
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
Der Lehrer stellt Fragen, die auf eine bestimmte Antwort ausgerichtet sind
Der Lehrer stellt Fragen, die wir mit "Ja"
oder "Nein" beantworten können
unterschiedliche Gedanken und Ideen
Kursive Zahlen = Werte in Sachsen
kussion, durchgeführt. Deutlich seltener kommen Diskussionsformen zum Einsatz, bei denen die Schüler/ -innen ihre Ansichten untereinander austau- schen und bei denen der Lehrende lediglich die Rolle des Moderators ein- nimmt. In Sachsen ist der lehrerzentrierte Frontalunterricht nach Meinung der Schüler/ -innen stärker ausgeprägt als im Gesamtdurchschnitt. Deutlich wird dieser Befund an der äußerst geringen Stellung der Klassendiskussionen (73,8 %; 95,4 %) im methodischen Repertoire der Lehrpersonen. Demgegen- über wirft der hohe Anteil des Lehrgesprächs die Frage nach der „Qualität“ der Fragestellung auf. Abb. 5: Die „Qualität“ der Fragestellung im Frontalunterricht aus Schülersicht
Die Antworten in Abbildung 5 stehen in einem gewissen Widerspruch zuein- ander und sind deshalb mit aller Vorsicht zu interpretieren. Einerseits wird er- sichtlich, dass die Fragen der Lehrenden, die auf eine bestimmte Antwort aus- gerichtet sind, mit 91 % (Summe aus den beiden Kategorien „immer“ und
Jens Klusmeyer
„häufig“) einen aus Schüler- und Schülerinnensicht hohen Stellenwert ein- nehmen. Dieser Befund lässt vermuten, dass das Lehrgespräch – in behavioristischer Weise – in kleine Lern- und Erarbeitungsschritte aufgeteilt ist und die Lernzusammenhänge in reduktionistischer Art und Weise dargebo- ten werden. Andererseits steht diesem Befund entgegen, dass reine Entschei- dungsfragen eine nur noch untergeordnete Rolle spielen (14,5 %) und offene Fragestellungen, die einen Spielraum für eigene Gedanken und Antworten lassen, mit 67,5 % ein starkes Gewicht einnehmen. Gerade dieses zweite Er- gebnis verweist auf eine eigene, aktive Teilnahme im Dialog mit den Lehr- kräften. In Sachsen kommt der angesprochene Widerspruch nicht in dieser Deutlichkeit zum Vorschein, zumal offene Fragestellungen deutlich seltener eingesetzt werden als im Gesamtdurchschnitt (31,1 % zu 46,8 % in Sachsen). Die Einschätzung der Schüler/ -innen steht in einem gewissen Spannungsver- hältnis zu der Aussage der Lehrer/ -innen, dass die Fragen in Lehrgesprächen tendenziell offener geworden sind (vgl. Abbildung 3). Werden zur Gesamtbe- urteilung des Frontalunterrichts die hier nicht weiter dargestellten Angaben zu den vorherrschenden Sozialformen (Dominanz des Klassenunterrichts) und Medien (Dominanz des Tafeleinsatzes) hinzugezogen, so kann gefolgert wer- den, dass die Schüler/ -innen den berufsbezogenen, kaufmännischen Unter- richt in der Tendenz als einen vom Lehrenden direkt gesteuerten Unterrichts- prozess wahrnehmen, der ihnen eine eher passive und rezeptive Rolle in der Wissensaufnahme zuweist. Zu fragen bleibt, aus welchen Gründen der Frontalunterricht die methodische Gestaltung des berufsbezogenen Unterrichts dermaßen dominiert und weshalb die vermeintlich handlungsorientierteren Unterrichtsmethoden einen deutlich geringeren Stellenwert im methodischen Repertoire der Lehrkräfte einneh- men. Erste Hinweise zur Beantwortung dieser Frage lassen sich aus den Ein- schätzungen zu den pädagogischen, institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen zur Umsetzung handlungsorientierter Methoden herlei- ten. 3.3 Zur Einschätzung der Rahmenbedingungen für die Umsetzung hand- lungsorientierter Methoden
Werden die Lehrpersonen danach befragt, welche Rahmenbedingungen dem vermehrten Einsatz handlungsorientierter Unterrichtsmethoden entgegenste- hen, so werden folgende Gründe von den Lehrkräften angeführt (s. Abbildung 6):
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
33
Zeitaspekt: Der Zeitaspekt bezieht sich einerseits auf die Unterrichtsvorbereitung und an- dererseits auf den Unterrichtsprozess selbst. So geben 72,3 % der Lehrperso- nen an, dass die Vorbereitung eines handlungsorientierten Unterrichts zu zeit- aufwändig sei. Bezüglich des Unterrichtsprozesses wird mehrheitlich angege- ben, dass der Zeitaufwand für die Methodendurchführung (86,4 %) zu groß sei und dass das Verhältnis zwischen Zeitaufwand und Lernprozessfortgang bzw. –ertrag als äußerst gering einzuschätzen ist (79,1 %).
Lernvoraussetzungen der Schüler/ -innen: Neben den zeitlichen Restriktionen werden von den Lehrkräften die mangeln- den personellen Voraussetzungen auf Seiten der Schüler/ -innen hervorgeho- ben. Zu jeweils 1/3 sind die Lehrpersonen der Auffassung, dass es den Schü- lerinnen und Schülern an grundlegenden Fähigkeiten (wie bspw. Lese- und Ausdrucksfähigkeit) sowie an fachlichen Voraussetzungen fehlt und sie mit komplexeren Methoden schlicht überfordert wären.
Methodenkompetenzen der Lehrpersonen: Auf Seiten der Lehrer/ -innen kommt zum Tragen, dass rund die Hälfte von ihnen angeben, dass es ihnen an Methodenkompetenz mangelt. Immerhin wünschen sich 48 % der Befragten mehr Kenntnisse über handlungsorientierte Methoden. Zudem fehlt es ihnen an praktischen Erfahrungen mit diesen Me- thoden, wie 55,4 % der Lehrpersonen bestätigen. Im Anschluss dieser Ergebnisse ist zu klären, welche Veränderung aus der Sicht der Lehrer/ -innen herbeigeführt werden müssen, damit handlungsorien- tierte Unterrichtsmethoden häufiger im berufsspezifischen Unterricht einge- setzt werden. Nach Ansicht der Lehrkräfte sind folgende Aspekte zu verän- dern:
Curriculum/Lehrmaterialien: Auf der curricularen Ebene wird insbesondere hervorgehoben, dass die Stoff- fülle des Lehrplans zu reduzieren wäre (85,3 %). Zu diesem Punkt gehört auch die Forderung nach einer größeren Anzahl geeigneter Unterrichtsmateri- alien (78 %).
Prüfungsstruktur: Die vorgegebenen Prüfungsanforderungen werten die Lehrkräfte mit 80,8 % als besonders veränderungsbedürftig und für den Einsatz handlungsorientier- ter Methoden als hinderlich.
Jens Klusmeyer
48,0
55,4
34,5
36,4
79,1
86,4
72,3
48,0
40,1
60,5
59,7
16,9
11,3
25,4
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
Ich wünsche mir mehr Kenntnisse über einzelne Methoden
Ich wünsche mir mehr Übung/Erfahrung im Umgang mit diesen Methoden
Es mangelt bei den Schülern an fachlichen Voraussetzungen
Es mangelt bei den Schülern an grundlegenden Voraussetzungen (z.B. Lesefähigkeit, mündliche und
schriftliche Ausdrucksfähigkeit)
Der Zeitaufwand für das Erlernen von Wissen und Fertigkeiten ist zu hoch
Die Umsetzung der Methoden im Unterricht ist zu zeitaufwändig
Die Vorbereitung eines solchen Unterrichts ist zu zeitaufwändig
Prozent
Abb. 6: Hemmnisse auf der pädagogisch-didaktischen Ebene, die gegen einen handlungsorientierten Unterricht sprechen.
Schulorganisation: Bezogen auf die schulorganisatorische Ebene würde nach Meinung der Lehr- personen ein Unterricht außerhalb der 45- bzw. 90- Minutentaktung den Ein- satz handlungsorientierter Methoden erleichtern (67,2 %). Fortbildungen: Der Wunsch nach einem größeren Fortbildungsangebot (65,0 %) lässt mit al- ler Vorsicht auf eine Unzufriedenheit der Lehrkräfte in Bezug auf die aktuel- len Angebote schließen. Dieser Aspekt steht vermutlich im Zusammenhang mit dem Bedürfnis der Lehrer/ -innen nach mehr Kenntnissen und Erfahrun- gen über und mit handlungsorientierten Methoden (s. Abbildung 6). Deshalb soll abschließend die Frage aufgenommen werden, wie die Lehrkräfte das quantitative und qualitative Fortbildungsangebot einschätzen.
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
35
Ich würde handlungsorientiertere Unterrichtsmethoden häufiger einsetzen, wenn ...
65,0
78,0
67,2
80,8
85,3
31,6
19,2
27,7
15,8
10,7
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0
es für diese Methoden ein größeres Angebot an Fortbildungen gäbe
es für diese Methoden eine größere Anzahl geeigneter Unterrichtsmaterialien gäbe, an denen
ich mich orientieren könnte
die Prüfungsanforderungen verändert werden würden
die Stofffülle des Lehrplans reduziert werden würde
Prozent
Abb. 7: Hemmnisse auf der organisatorisch-institutionellen Ebene, die gegen einen handlungsorientierten Unterricht sprechen.
Der erste, zusammenfassende Blick auf die Abbildung 8 verdeutlicht, dass nur 39,0 % (in Sachsen nur 21,7 %) mit der angebotenen Menge an Fortbildungen zufrieden oder sehr zufrieden sind. Die Mehrheit der Lehrkräfte (47, 4 %; in Sachsen 56,5 %) ist jedoch weniger zufrieden oder sogar unzufrieden mit dem quantitativen Angebot. Bezüglich der Qualität zeichnet sich ein sehr ähnliches Bild ab. So sind nur rund 1/3 (in Sachsen 1/5) der Befragten mit der Qualität der Veranstaltungen zufrieden oder sehr zufrieden und 42,6 (in Sachsen 43,4 %) sind weniger zufrieden oder unzufrieden.4
4 Die Beurteilung der Fortbildungsveranstaltungen in ihrer Quantität und Qualität wird in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich bewertet.
Jens Klusmeyer
35,8
39,0
42,6
47,5
0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0
Mit der Qualität des Fort- bildungsangebots bin ich
Mit der Quantität des Fort- bildungsangebots bin ich
Prozent
Kursive Zahlen = Werte in Sachsen
Abb. 8: Quantität und Qualität der Fortbildungsveranstaltungen aus der Sicht der Lehrpersonen
4. Schlussbemerkungen
Angesichts der seit Jahren intensiv geführten didaktisch-methodischen Dis- kussionen kann man mit den dargelegten Ergebnissen zum unterrichtsmetho- dischen Repertoire der Lehrer/ -innen im berufsspezifischen, kaufmännischen Unterricht insgesamt nicht zufrieden sein. Vor dem Hintergrund der Projekt- ergebnisse nehmen die in der Literatur vorfindbaren Erfahrungsberichte und Fallbeispiele zu handlungsorientierten Methodenarrangements allenfalls einen „Leuchtturmcharakter“ ein (vgl. Pätzold & Wingels, 2003, S. 278). Folgerun- gen aus den vorgestellten Ergebnissen lassen sich aufgrund ihrer Komplexität – betreffen sie doch die Ebene der Wissenschaft, Bildungspolitik und Bil- dungspraxis - an dieser Stelle nicht ausführlich darlegen.
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
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In Bezug auf die Dominanz des wenig schülerorientierten Frontalunterrichts soll jedoch erwähnt werden, dass meines Erachtens Maßnahmen erforderlich werden, die die Routinisierung bei der Gestaltung des Frontalunterrichts auf- brechen und den Frontalunterricht somit weiterentwickeln (vgl. Bohl 2001, S. 285 und S. 359). Diese Forderung darf nicht missverstanden werden. Es soll nicht die dominierende Stellung des Frontalunterrichts als Unterrichtsme- thode zementiert werden, sondern es gilt seine Qualität zu verbessern. Dieser Aspekt erhält eine um so größere Bedeutung, wenn der Blick auf die Häufig- keit seines Aufkommens gerichtet wird. Darüber hinaus ist das unterrichtsme- thodische Repertoire der Lehrer/ -innen in Bezug auf die handlungsorientier- teren Methoden zu erweitern. Dass bei beiden Aufgaben „verbesserte“ Fort- bildungen eine besondere Rolle spielen könnten, braucht nicht weiter ausge- führt zu werden. Jedoch ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass weniger theoretische Kenntnisse über handlungsorientierte Methoden von den Lehrer/ -innen nachgefragt werden, als vielmehr intensivere Übungen und Erfahrungen im Umgang mit neuen Methoden. Zur Übung und zur kon- kreten Erprobung unterschiedlicher Unterrichtsmethoden sind angebotsorien- tierte Lehrerfortbildungsveranstaltungen, die fern vom Arbeitsplatz durchge- führt werden, eher ungeeignet. Deshalb sind Programme zu entwickeln und zu erproben, die den Lernort Schule zum Ort des unterrichtsmethodischen Wei- terlernens nutzen. Dabei wären Formen des Coaching, Mentoring usw. in die Programmentwicklung der berufsbildenden Schulen einzubeziehen.
Literatur
Jens Klusmeyer
Pätzold, G. & Wingels, J.: Der Einsatz methodischer Arrangements - eine ak- tuelle Studie. In: Cramer, G. (Hrsg.): Jahrbuch Ausbildungspraxis 2003. Er- folgreiches Ausbildungsmanagement. Köln 2003, S. 271-278. Terhart, E.: Lehr-Lern-Methoden. Eine Einführung in Probleme der methodi- schen Organisation von Lehren und Lernen. Weinheim & München 1997.
Verfasser Dr. Jens Klusmeyer ist wissenschaftlicher Assistent im Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik am Institut für Betriebswirtschaftslehre II der Uni- versität Oldenburg.
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Die Juniorenfirma ist eine selbstständige „Miniaturfirma“, die innerhalb der betrieblichen, schulischen, oder außerschulischen Ausbildung als praktische Ausbildungsmethode eingesetzt wird. Sie ist eine Firma mit realem Ge- schäftsbetrieb, Waren oder Dienstleistungen werden erstellt, verkauft und ab- gerechnet. Gewinne und Verluste müssen verantwortet werden. Die Handlun- gen in den Juniorenfirmen zielen sowohl auf den ökonomischen Erfolg als auch auf die Verbesserung des Lernens. Arbeits- und Lernmotivation sollen durch praktisches Tun und ernste Lernsituationen gesteigert werden. Selbst- ständigkeit und Selbstwertgefühl werden gefördert. Die Fähigkeit zur Zu- sammenarbeit wird zu einer Notwendigkeit. Das Juniorenfirmenkonzept kann als „reale Projektarbeit“ verstanden werden, das in vielen Ausbildungsberufen angewendet werden kann. Das gilt sowohl für die kaufmännischen als auch für die gewerblichen Berufe. Der Begriff Juniorenfirma wird vor allem für Firmen in Ausbildungsbetrieben benutzt. Bei vollschulischer Berufsausbil- dung oder bei allgemeinbildenden Schulen spricht man auch von Schülerfir- men. Diese haben eine zusätzliche Funktion in der Berufsorientierung. Die Schüler sollen dabei auch informiert werden über Möglichkeiten der eigenen beruflichen Zukunft, über Übergänge und Zwischenschritte von der Schule zum Beruf sowie über Zukunftsperspektiven von Berufen und neuen betrieb- lichen Anforderungen. Die Distanz zwischen Schule und Betrieb soll vermin- dert werden. Betrieb und Schulen sollen besser zusammen arbeiten. Schüler- firmen sind deswegen nicht nur für leistungsorientierte und wirtschaftsorien- tierte Schüler gedacht, sondern auch für benachteiligte Schülerinnen und Schüler. Mit dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen entscheidet sich, ob sie eine reale Vermittlungschance in Ausbildung und Beruf haben. Junioren- und Schülerfirmen sind reale Unternehmen. Davon ist die Übungs- firma abzugrenzen. Die Übungsfirma ist zwar auch ein Ort handlungsorien- tierten Lernens allerdings nur eine Art „Laboratorium“. Sie ist ein Lernort für die Aus- und Weiterbildung von Kaufleuten, in der berufspraktische Fertig- keiten und Kenntnisse praxisorientiert vermittelt, erweitert und vertieft wer- den. Übungsfirmen sind Orte der Simulation von Unternehmensabläufen, oh- ne wirkliches unternehmerisches Risiko. Sie können aber Außenkontakte zu anderen Übungsfirmen schaffen und sich in Übungsfirmenringen zusammen- finden. Weiterhin gibt es noch Lernbüros. Es ist ein geschlossenes Modell, das Arbeitsabläufe eines Betriebes simuliert. Es hat keinen Bezug zu anderen Lernbüros oder zur realen Wirtschaft. Lieferanten, Kunden, Behörden, Dienst- leistungsunternehmen werden deshalb vom Lehrer oder von Teilnehmern oder einer Teilnehmergruppe initiiert.
Das Juniorenfirmenkonzept
Juniorenfirmen haben den Vorteil, dass sie in das reale Wirtschaftsgeschehen eingebunden sind. Der Nachteil kann die Haftung und die Betriebsblindheit sein. Die Übungsfirma hat den Vorteil, dass sie branchentypische Situationen simulieren kann, die im einzelnen Betrieb nicht möglich sind. Der Nachteil ist die Marktferne. Das Lernbüro kann branchentypische Probleme simulieren und die Lernvoraussetzungen der einzelnen Teilnehmergruppen am besten be- rücksichtigen, allerdings liegt auch hier der Nachteil in der Marktferne. Alle drei Arbeitsmethoden sind in der berufspädagogischen Diskussion anerkannt und haben ihre jeweilige Berechtigung. Es gibt zu den drei Methoden Modell- versuche und wissenschaftliche Auswertungen (vgl. Frick 2000, Schülerfirma 2000 NRW, Preiß/Wahler 1999. Schneider 1994).
2. Verbesserung der Berufsausbildung durch praktisches Tun
Juniorenfirmen gibt es seit Mitte der 70er Jahre. Die erste Firma nahm 1975 bei der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG ihre Arbeit auf. Sie gehören seither zum festen Repertoire in der beruflichen Bildung. Sie sind praxisbezogene Ergänzungen zum schulischen Unterricht und zur betrieblichen Ausbildung. Sie können als Weiterentwicklung des projektbezogenen Unterrichts angese- hen werden. Der Projektbegriff wurde vor allem durch John Dewey, dem Be- gründer des amerikanischen Pragmatismus, bereits in den 20er Jahren in die berufspädagogische Diskussion eingeführt. Die Berufsausbildung soll durch praktisches Handeln, Zielorientierung und Planmäßigkeit verbessert werden. Diese Ziele sollen die Motivation aller Beteiligten erhöhen. Die Projektme- thode war in den 20er Jahren Teil einer Neuorientierung in der Pädagogik, die sich als Reformpädagogik verstand. Das Juniorenfirmenkonzept wurde in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Diskussion um das Schlüsselqualifikationskonzept und im Rah- men der Handlungsorientierung diskutiert. Der Begriff Schlüsselqualifikation wurde 1974 von dem Arbeitsmarktforscher Dieter Mertens eingeführt. Allge- mein lassen sie sich als berufsübergreifende Qualifikationen beschreiben. Sie sind nichts anderes als die Wiederentdeckung einer ganzheitlichen Lern- und Arbeitsqualifikation, die durch das duale System verloren gegangen ist. Schlüsselqualifikationen werden unterschiedlich definiert und bewertet. Es lassen sich folgende Schlüsselqualifikationen anführen: selbstständiges Han- deln, Teamfähigkeit, Kooperations- und Kommunikations- und Konfliktfä- higkeit, Kreativität, Flexibilität und Mobilität. Das Schlüsselqualifikations- konzept kann als eine Antwort auf den technologischen Wandel, die Arbeits- marktsituation, den gesellschaftlichen Wandel und den Wertewandel gesehen werden. Die Ausbildung von Schlüsselqualifikationen – außerfachlicher bzw.
Helmut Woll
extrafunktionaler Qualifikationen – soll die Handlungskompetenz der Auszu- bildenden erhöhen. Diese kann wiederum in Fach- , Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz differenziert werden. Juniorenfirmen sollen in diesem Ver- ständnis dazu beitragen, Schlüsselqualifikationen und damit Handlungskom- petenz erlernbar zu machen. Diese Neuorientierung der beruflichen Bildung erfordert auch ein verändertes Ausbildungsverständnis und einen neuen Lern- begriff. Die aktive und selbständige Auseinandersetzung des Lernenden mit dem Lerngegenstand. Eigene Entscheidungen treffen und die Problemlösefä- higkeit fördern, werden zu neuen Zielen in der beruflichen Bildung. Das the- oretisch-abstrakte Lernen soll ergänzt werden durch das Lernen aus eigener praktischer Erfahrung. Gestützt auf die Arbeiten von Aebli, Piaget, Volpert u.a. wurde in den 80er Jahren das handlungsorientierte Konzept entwickelt und in den 90er Jahren durch konstruktivistische und kognitionswissenschaft- liche Aspekte weiterentwickelt und ergänzt. Die Handlungstheorie ging von einem wechselseitigen Verhältnis von Denken und Handeln aus und betont dadurch die Bedeutung der Praxis für den Lernprozess. Konstruktivismus und Kognitionswissenschaften betonen die Notwendigkeit der Eigenaktivitäten der Lernenden und die Sinnhaltigkeit von komplexen Lehr- und Lernstrategien. Vor allem das menschliche Gehirn müsste stärker in seiner Koordinations- funktion durch komplexe Lernsituationen herausgefordert werden. Das neue Lernen soll erreicht werden durch einen Pluralismus von handlungsorientier- ten Methoden: Fallstudien, Projekte, Leittextmethode, Simulationen, Lernbü- ros, Übungsfirmen und auch Juniorenfirmen.
3. Von der Arbeitnehmermentalität zum unternehmerischen Handeln
In den letzten Jahren wird in der berufspädagogischen Diskussion die Junio- renfirma nicht nur als ein praxisorientiertes Konzept zur Verbesserung der Handlungskompetenz gesehen, sondern auch als ein Instrument zur Förderung unternehmerischen Handelns. Allgemein geht man davon aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland der Anteil von Selbstständigen zu gering ist. Aus diesen Gründen wird die Existenzgründung stärker gefördert. Das Junioren- firmenkonzept kann nun auch gesehen werden, als eine Förderung nicht nur der Schlüsselqualifikationen, sondern der Bereitschaft sich mit unternehmeri- schem Handeln stärker zu identifizieren, d.h. einen Paradigmenwechsel von der Angestelltenmentalität zum unternehmerischen Handeln (vgl. Hansen 1992) zu unterstützen. Es fehlt also an Unternehmern bzw. Entrepreneuren (innovativen Unternehmensgründern). Von diesen werden nicht nur Schlüs- selqualifikationen verlangt, sondern vielmehr: Kreativität, Innovation, Unter- nehmensgestaltung und nachhaltige Dynamik. Man kann von vier zentralen
Das Juniorenfirmenkonzept
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Unternehmerfunktionen (vgl. Schaller 2001, S. 14) ausgehen: Innovation, das Tragen von Risiko, das Entdecken und das Koordinieren. Schaller nennt zehn Eigenschaften, die ein dynamischer Unternehmer (Entrepreneur) haben sollte: "Er entscheidet, ob, was und wie produziert wird. Er ist der letzte Entscheider. Er trifft exzeptionelle Entscheidungen, setzt sich durch und verantwortet sie. Er ist ein Macher – als eine Person, die eine Chance erkennt und anpackt. Er beeinflusst die Transformations- oder Transaktionskosten in systematischer und entscheidender Weise. Er besitzt den höchsten Freiheitsgrad innerhalb einer abgegrenzten Organisa- tion. Man findet Entrepreneure typischerweise unter der selbstständigen Unter- nehmerschaft und besonders häufig bei den Unternehmensgründern. Man kann sie aber auch – mit einigen Abstrichen hinsichtlich der Freiheitsgrade – unter den Top Managern von Groß-Unternehmen oder von Non-Profit- Organisationen identifizieren und gegebenen falls sogar in Politik und Ver- waltung. Angehörige des mittleren Managements sind dagegen als Intrapre- neure zu bezeichnen, falls sie unternehmerisch denken und handeln und dies auch dürfen. Ein Entrepreneur muss demnach nicht zwingend Eigentum an einem Unternehmen besitzen. Sein Handeln ist sehr stark von dem Element des Neuen geprägt. Er ist stän- dig auf der Suche nach kreativen und innovativen Arbitragemöglichkeiten. Er muss ständig Wertsteigerungspotentiale erkennen und strukturieren können. Damit ist der Entrepreneur ein Suchender und ein Entdecker. Er besitzt eine hohe Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit. Er fühlt sich nicht unwohl in ungewissen, schlecht strukturierten Entscheidungssituationen. Er steht syn- onym für das Schaffen von Werten. Ein Entrepreneur bearbeitet Projekte mit einem begrenzten Zeithorizont. Er bildet dafür eine Zweckgemeinschaft der Produktionsfaktoren auf Zeit mit dem Ziel, die Wertschöpfung für sich als Bezieher des Residualeinkommens realisieren zu können. Da es relevant ist, wer eine Entscheidung im Unternehmen trifft, besitzt der Entrepreneur eine zentrale Rolle und ist für eine Wettbewerbswirtschaft un- entbehrlich. Entrepreneur zu sein, ist ein Prädikat, das eine Person im Zeitab- laufplan innehaben kann oder auch nicht." (Schaller 2001, S. 32/33) Stellt man die Juniorenfirma in diesen unternehmerischen Zusammenhang, so könnte sie als ein erster Versuch in Richtung Selbstständigkeit gewertet wer- den. Hier stellt sich natürlich auch die Frage, ob unternehmerisches Verhalten überhaupt erlernbar ist. Man kann zwischen lehrbaren und nichtlehrbaren Fä- higkeiten unterscheiden: Kreativität, Risikobereitschaft oder auch Innovation gelten als förderbar, nicht jedoch als lehrbar. Die als erlernbar vermuteten Fä- higkeiten und Fertigkeiten kann man als „skills“ bezeichnen. Man unterschei-
Helmut Woll
det „technical skills“, das ist kaufmännisches und sonstiges technisches Wis- sen, „human skills“ das sind soziale Fähigkeiten und „conceptual skills“, dar- unter werden Fähigkeiten zum analytischen, planerischen, strategischen und kreativen Denken verstanden (Vgl. Schaller 1997, S. 43). Wenn man den beschriebenen Paradigmenwechsel von der Ausbildung einer Angestelltenmentalität zur Herausbildung einer Unternehmermentalität als Kriterium hinzu nimmt, dann muss die eingangs erfolgte Einordnung der Ju- niorenfirmen (Schülerfirmen), Übungsfirmen und Lernbüros modifiziert wer- den. Unter dem Blickwinkel der Selbstständigkeit sind vor allem die Junioren- firmen zu präferieren, da sie am besten das Marktgeschehen berücksichtigen.
Literatur
Wolfgang Fix: Juniorenfirmen. Ein innovatives Konzept zur Förderung von Schlüsselqualifikationen, Berlin 1989. Simone P.A. Frick: Die Übungsfirma in der kaufmännischen Lehre. St. Gallen 2000. Klaus P. Hansen: Die Mentalität des Erwerbs. Erfolgsphilosophien amerika- nischer Unternehmer. Ffm/New York 1992. Konrad Kutt. Juniorenfirmen und Umweltschutz. Heft 50. Hrsg. vom Bundes- institut für Berufsbildung. Bielefeld 1996. Landesarbeitsgemeinschaft Schule Wirtschaft, Thüringen, Schülerfirmen. Wenn Schüler zu Unternehmern werden. 1. Aufl. 2000. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW, Schülerfirma. Von der I- dee zur Realisierung. 1. Aufl. Soest 2000. Armin Schaller: Entrepreneurship oder wie ein Unternehmen denken muß. In: Blum/Leibbrand (Hrsg). Entrepreneurship und Unternehmertum. S. 3-56. 1. Aufl. Wiesbaden 2001. D. Schneider: Lernbüroarbeit zwischen Anspruch und Realität. Untersuchung zur Theorie und Praxis der Lernbüroarbeit an kaufmännischen Schulen unter fachdidaktischem Aspekt. Göttingen 1994. Helmut Woll/Andreas Neubert: Alles Leben ist Problemlösen: die Junioren- firma erscheint in der Festschrift für Reinhard Czycholl.
Verfasser Prof. Dr. Helmut Woll ist Inhaber der Professur Wirtschaftspädagogik an der Technischen Universität Chemnitz.
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form - Beispiele aus Sachsen -
1 Hierbei wird verwiesen auf die durchaus umstrittene Diskussion um die Ablösung des Bildungsbegriffes durch die begrifflichen Konstrukte „Kompetenz“ und „Qualifikation“ in der u.a. die kritiklose und trendori- entierte Installation bildungsexterner Zielvorgaben und Interessen kritisiert wird. „,Kompetenz’ wurde zur semantischen Projektionsfläche für Zuschreibungen, die etwas mit Fähigkeiten zu tun haben, die im Le- bens- und Arbeitsvollzug gebraucht werden und deren Erwerb möglich ist.“ (Geissler/Orthey, 2002, S.70.)
Juniorenfirmen - Beispiele aus Sachsen
In die Ansätze der Neuentwürfe bzw. der Wiederbelebung reformpädagogi- scher Lehr- und Lernkonzepte und –strategien ist auch die sich mittlerweile postmoderner Differenzierungsprozessen anpassende Idee der Juniorenfirma einzuordnen. „Als Reaktion auf die schwindende Attraktivität des Arbeits- platzes in großen Büros und Verwaltungen bietet das ganzheitliche Lernen in der Juniorenfirma und die Interaktion in einer Gruppe von Auszubildenden, die sich den Erfolg der Firma zum Ziel gesetzt hat, ein ganz neues Maß an Er- fahrungsmöglichkeiten und Motivationschancen.“ (Preiß/Wahler, 1999, S.11) Im vorliegenden Artikel soll das Konzept der Juniorenfirma, Intentionen und Voraussetzungen ihrer Implementierung in der beruflichen Ausbildung sowie Problemfelder und Ausdifferenzierungs- bzw. Pluralisierungsformen der ei- gentlichen Juniorenfirmenidee vorgestellt werden. Den Abschluss bildet ein Überblick über die Arbeit mit und in Juniorenfirmen im Freistaat Sachsen.
2. Ursprünge und Idee des Juniorenfirmen-Konzepts
So neu wie das Konzept der Juniorenfirma erscheint; es hat historische Ah- nen. „Übungskontore“ im späten Mittelalter, „Junior-Läden“ Ende des 18. Jahrhunderts oder Miniunternehmen der sogenannten „Junior achievement Companies“ in den USA der frühen 20er Jahre des 20 Jahrhunderts – eine Or- ganisation, die bis heute existiert und mittlerweile auf über 8.000 zugehörige „Companies“ zählen kann. (vgl. BmBF, 2001, S.20) – sind Beispiele für Tra- ditionslinien, auf die sich das heutige Juniorenfirmenkonzept stützen kann. Im Zuge einer verstärkten Rekurrenz der Berufsbildung auf reformpädagogi- sche Traditionen und deren Verknüpfung mit neuen Ansätzen trat auch das Juniorenfirmen-Konzept unter dem Paradigma eines „handlungs- und reali- tätsorientierten Unterrichts“ Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre in neuem, reformierten Gewand zu Tage. In der Idee der Juniorenfirma spiegeln sich an- teilig Ansätze eines erfahrungs- und problemorientierten Lernens wieder. Ausgangspunkt für den Beginn einer intensiveren Beschäftigung mit der Lehr- Lernmethode Juniorenfirma war ein Modellversuch und die damit ver- bundene Begleitung einer Juniorenfirma in der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG bzw. die Gründung weiterer betrieblicher Juniorenfirmen Mitte der 80er Jahre in Bayern und Baden-Württemberg unter der Leitung und Betreuung von Wolfgang Fix.2 Der Transfer von Ergebnissen und Erkenntnissen wurde
2 Die Ergebnisse des Modellversuches sowie weitere Publikationen von Wolfgang Fix sind noch in der heutigen Debatte von Bedeutung. (Fix, 1986; Fix, 1989)
Andreas Neubert
mittels eines großen Aufwandes an public relation gefördert und somit ein Prototyp heutiger Juniorenfirmen öffentlichkeitswirksam etabliert. In der Analyse aktueller Konstrukte der Juniorenfirma haben sich die grund- legenden pädagogischen Vorstellungen über Ziel und Zweck der Juniorenfir- menarbeit nur unwesentlich verändert. Die Vorstellungen von Bunk/Zedler (1986) - aus der ‚Gründerzeit’ - über das Juniorenfirmenkonzept, könnten z.B. aus der aktuellen Diskussion