Inklusive Bildung: Inklusive Pädagogik und inklusive Didaktik · UN-Behindertenrechtskonvention -...

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Prof. Dr. Reinhard Markowetz Inklusive Bildung: Inklusive Pädagogik und inklusive Didaktik Aspekte des Lehrens und Lernens im Gemeinsamen Unterricht Gastvorlesung 07.11.2016, 10-12 LMU Große Aula, Geschwister-Scholl-Platz 1 Ringvorlesung WS 2015-16 „Einführung in die Allgemeine Pädagogik

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Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusive Bildung: Inklusive Pädagogik und inklusive Didaktik

Aspekte des Lehrens und Lernens im Gemeinsamen Unterricht

Gastvorlesung 07.11.2016, 10-12

LMU Große Aula, Geschwister-Scholl-Platz 1 Ringvorlesung WS 2015-16 „Einführung in die Allgemeine Pädagogik

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# 2 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

3. Kontext UN-BRK

4. Entwicklung inklusiver Bildungssysteme: politische und gesetzliche Vorgaben

5. Schulische Inklusion - Statistik - Inklusion als dynamischer Prozess

6. Inklusive Didaktik – Lernen in heterogenen Gruppen - Modelle und Konzepte inklusiver Didaktik - Konturen einer „zweidimensional differenzierenden Didaktik“ - Innere Differenzierung und Individualisierung - Was meint Bildung mit for-mat? - Fazit und Ausblick

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Inklusions- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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# 3 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Intention und Lernziele der Vorlesung

1. Inklusion als Begriff und gesellschaftlich bejahte Reform-bewegung im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention verstehen und historisch einordnen lernen

2. Die Bedeutung der Inklusion für die Schulentwicklung und die wirksame Entfaltung eines inklusives Bildungssystems kennenlernen

3. Die Konturen einer inklusiven Pädagogik und Didaktik für eine qualitative hochwertige Bildungsarbeit im Unterricht einer Schule für Alle erfassen und kritisch diskutieren können

Lernziele

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Literaturempfehlung

# 4

Markowetz, R. (2007): Inklusion und soziale Integration von Menschen mit Behinderungen (Kapitel 7)

Fischer, E./Markowetz, R. (2016): Schulische Inklusion: Paradiesmetapher und/oder langer Weg zu einer inklusiven Schule?,13-30.

Markowetz, R. (2016): Theoretische Aspekte und didaktische Dimensionen inklusiver Unterrichtspraxis, 237-286

Markowetz, R. und Reich, K. (2015): Didaktik., 338-346

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# 5 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Inklusions- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Quelle: Orientierung, Zeitschrift der Behindertenhilfe, Titelseite Heft1/2009

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# 6 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Definition & Verständnis

Inklusion ist …

ein Ansatz, der auf der Basis von Bürgerrechten argumentiert, sich gegen jede gesellschaftliche Marginalisierung wendet und somit allen Menschen das gleiche volle Recht auf individuelle Entwicklung und soziale Teilhabe ungeachtet ihrer persönlichen Unterstützungsbedürfnisse zugesichert sehen will.

(Hinz 2006, 97–99)

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# 7 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Definition & Verständnis

Inklusion im Bildungsbereich bedeutet…

einen uneingeschränkten Zugang und die vorbehaltlose Zugehörigkeit zu allen Bildungseinrichtungen von Städten, Kommunen wie Kreisen (Schulen) und die selbstverständliche Möglichkeit zur Teilhabe an allen Angeboten der Bildungsanbieter des sozialen Umfeldes (Erwachsenenbildung) zu haben, die deshalb allesamt auf die Bildungsbedürfnisse aller Menschen so einzugehen haben, dass jeder Mensch eine möglichst qualitativ hochwertige Bildung erfahren kann und dabei als selbstverständliches Mitglied der Gemeinschaft chancengleich anerkannt und von ihr wertgeschätzt werden kann!

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# 8

Inklusion: „All means All!“ (Marsha Forest)

Sozialbenachteiligte Menschen

Aus kulturellen, religiösen, linguistischen Gründen benachteiligte Menschen

Benachteiligte Menschen aufgrund ihres Geschlechts /

Gender

Arme und von Armut bedrohte Menschen

Menschen mit HIV/Aids

… und andere

Inklusion sog. marginalisierter Gruppen:

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016

Jungen und Mädchen

Ethnische, religiöse und linguistische Minderheiten

ländliche Bevölkerung

Arbeitende Kinder, missbrauchte Kinder, Kindersoldaten, Straßenkinder, Nomadenkinder,

Waisen

Flüchtlinge, indigene Völker

Kranke, mangelernährte Kinder

Menschen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten

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# 9

Kinder und Jugendliche mit - Sehbehinderungen, blinde Kinder - Hörschwierigkeiten: Schwerhörige Kinder, gehörlose Kinder - Sprachbehinderungen - Kommunikationsproblemen - Lernschwierigkeiten - Verhaltensauffälligkeiten - sozial-emotionalen Störungen - psychiatrischen Störungen - sozialen Schwierigkeiten - geistiger Behinderung - autistischen Störungen (Autismus Spektrums Störungen, ASS) - Epilepsie - Krankheiten (z.B. Meningitis), chronischen Krankheiten, Infektionen - Körperbehinderungen - mehrfachen Behinderungen - „erworbenen“ Behinderungen, z.B. aufgrund von Unfällen, Krankheiten, Traumatisierungen, Mangelernährung, hygienischen Verhältnissen

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016

Behinderungen, Beeinträchtigungen, Benachteiligungen

Inklusive Bildung und Behinderung

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# 10 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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# 11 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

… die unendliche lange Geschichte der Hin- und Zuwendung von Menschen mit Behinderungen

Historische Phasen und Entwicklungsmodelle der Pädagogik für Menschen mit Behinderungen

… vom Objekt zum Subjekt … von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung

… vom Fürsorgeansatz zum Bürgerrechtsansatz … auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft?

Heil-/Sonderpädagogik zwischen Inklusion und Exklusion Inklusion als Aufgabe aller Schulen: Inklusive Bildung, Inklusive Pädagogik

Antike Frühzeit Altertum

Mittelalter Neuzeit

19. Jahrhundert 20. Jahrhundert 21. Jahrhundert

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t

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Moderne Postmoderne

Drittes Reich 1933-1945

„Heilpädagogischer Urknall“

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Praxis der schulischen Integration Praxis der schulischen Inklusion

Eingliederung von Kindern mit

bestimmen Bedarfen in die Allgemeine

Schule

Differenziertes System je nach

Schädigung

Zwei-Gruppen-Theorie

(behinderte/nichtbehindert; mit /ohne

sonderpädagogischem Förderbedarf)

Aufnahme von behinderten Kindern

Individuumszentrierter Ansatz

Fixierung auf die institutionelle Ebene

Ressourcen für Kinder mit Etikettierung

Spezielle Förderung für behinderte

Kinder

Individuelle Curricula für einzelne

Förderpläne für behinderte Kinder

Anliegen und Auftrag der

Sonderpädagogik und Sonderpädagogen

Sonderpädagogen als Unterstützung für

Kinder mit sonderpädagogischem

Förderbedarf

Ausweitung von Sonderpädagogik in die

Schulpädagogik hinein

Kombination von (unveränderter) Schul-

und Sonderpädagogik

Kontrolle durch Expertinnen und

Experten

Leben und Lernen für alle Kinder in der

Allgemeinen Schule

Umfassendes System für alle

Theorie einer heterogenen Gruppe (viele

Minderheiten und Mehrheiten)

Veränderung des Selbstverständnisses der

Schule

Systemischer Ansatz

Beachtung der emotionalen, sozialen und

unterrichtlichen Ebenen

Ressourcen für Systeme (Schule)

Gemeinsames und individuelles Lernen

für alle

Ein individualisiertes Curriculum für alle

Gemeinsame Reflexion und Planung aller

Beteiligter

Anliegen und Auftrag der

Schulpädagogik und Schulpädagogen

Sonderpädagogen als Unterstützung für

Klassenlehrer, Klassen und Schulen

Veränderung der Sonderpädagogik und

Schulpädagogik

Synthese von (veränderter) Schul- und

Sonderpädagogik

Kollegiales Problemlösen im Team

Vergleich Integration - Inklusion

# 12 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz Vgl. HINZ 2002, 359)

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# 13 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

3. Kontext UN-BRK

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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# 14 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

UN-BRK ein völkerrechtlich bindendes Abkommen

und internationales Recht

Quelle: United Nations https://www.un.org/development/desa/disabilities/convention-on-the-rights-of-persons-with-disabilities.html

„Verbreitung“ der UN-Behindertenrechtskonvention

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# 15 07.11.2016 Referat Markus Mustermann

Art. 1 Zweck

Art. 2 Definitionen

Art. 3 Allg. Grundsätze

Art. 4 Allg. Verpflichtungen

Art. 5 Nichtdiskriminierung

Art. 6 Frauen mit Behinderung

Art. 7 Kinder mit Behinderung

Art. 8 Förderung des Bewusstseins

Art. 9 Zugänglichkeit

Art. 10 Recht auf Leben

Art. 11 Gefahrensituationen

Art. 12 Rechts-/Geschäftsfähigkeit

Art. 13 Zugang zur Justiz

Art. 14 Freiheit und Sicherheit

Art. 15 Freiheit von Folter ...

Art. 16 Freiheit von Ausbeutung

Art. 17 Schutz der Unversehrtheit..

Art. 18 Freizügigkeit und Staatsangehörigkeit

Art. 19 Unabhängiges Leben / Teilhabe a. d. Gemeinschaft

Art. 20 Persönliche Mobilität

Art. 21 Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen

Art. 22 Schutz der Privatsphäre

Art. 23 Achtung von Heim und Familie

Art. 24 Bildung Art. 25 Gesundheit

Art. 26 Rehabilitation

Art. 27 Arbeit und Beschäftigung

Art. 28 Angemessener Lebensstandard

Art. 29 Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

Art. 30 Teilhabe am kulturellen Leben

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UN-Behindertenrechtskonvention - Artikel 24 „Inclusive Education“

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives [inklusives] Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel,

a) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des

Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den

Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken;

b) Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre

geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen;

c) Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen.

Link: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-

nationen/menschenrechtsabkommen/behindertenrechtskonvention-crpd.html#c1909

# 16 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

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# 17 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

3. Kontext UN-BRK

4. Entwicklung inklusiver Bildungssysteme: politische und gesetzliche Vorgaben

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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Inklusion Vorgaben und Umsetzung

UN-Behindertenrechtskonvention

Empfehlungen der Kultusministerkonferenz

(KMK)

Ländergesetze (BayEUG)

# 18 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Politische und gesetzliche Vorgaben der Inklusion

07.11.2016

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Inklusion und die KMK-Empfehlung

Empfehlungen der KMK zur inklusiven Beschulung:

• Gleichberechtigter Zugang zu allen Angeboten des Unterrichts, zu den Angeboten der verschiedenen Bildungsgänge und des Schullebens

• Barrierefreiheit bezieht sich sowohl auf den Unterricht, auf die Zugänglichkeit von Schulgebäuden und anderen Lernorten, auf Eignung und ggf. Anpassung von Lehr-und Lernmedien als auch auf sonstige Hilfen

• Individuellen Bildungs- und Erziehungsbedürfnissen ist Rechnung zu tragen • Berücksichtigung individueller Lern- und Leistungsmöglichkeiten • Berücksichtigung der individuellen Lern- und Leistungsvoraussetzungen • Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten, selbstgesteuerte und selbstbestimmte

Entwicklungsprozesse initiieren • Elementarisierung von Unterrichtsinhalten • Maßnahmen innerer und äußerer Differenzierung • Geeignete personelle Rahmenbedingungen • Anpassung von Kommunikationsformen

# 19 Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016

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Inklusion in Bayern: das BayEUG 2011, (insbes. Art 2, Art. 30a, b)

http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG-2

http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG-30a

http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG-30b

Im Bay EUG* verankerte und beschriebene Aspekte des „kooperativen“ Lernens:

• Gemeinsame Unterrichtung aller Schüler/-innen mit und ohne Förderbedarf

• Unterstützung der allgemeinen Schulen bei ihrer Aufgabe, Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten durch Förderschulen

• Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören sowie körperliche und motorische Entwicklung in allg. Schule kann nur bei erheblichen Mehraufwendungen verweigert werden.

* http://www.km.bayern.de/lehrer/dienst-und-beschaeftigungsverhaeltnis/gesetze-verordnungen-und-bekanntmachungen.html

# 20 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusion in Bayern – Bay EUG

07.11.2016

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Im Bay EUG verankerte und beschriebene Aspekte des „kooperativen“ Lernens:

• Ein sonderpädagogischer Förderbedarf begründet nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schulart

• Schulartspezifische Regelungen für die Aufnahme etc. bleiben unberührt

• Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf müssen an der allgemeinen Schule die Lernziele der besuchten Jahrgangsstufe nicht erreichen, soweit keine schulartspezifischen Voraussetzungen bestehen Lernziele werden durch individuelle Förderpläne festgelegt

• Zusammenarbeit im Unterricht und im Schulleben

• bei Bedarf Zusammenarbeit mit entsprechenden Partnern z.B. mit Jugend- und Sozialhilfe (Schulbegleiter, Integrationshelfer, Jugendsozialarbeit)

# 21 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusion in Bayern – Bay EUG

07.11.2016

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Im Bay EUG verankerte und beschriebene Formen des „kooperativen“ Lernens:

• Schulen mit dem Schulprofil „Inklusion“

• Partnerklassen

• Kooperationsklassen

• Einzelintegration

• Tandemklassen

• Offene Klassen des Förderzentrums

http://www.km.bayern.de/epaper/Inklusion_2011/index.html

Blicke in die Schulwirklichkeit:

http://www.km.bayern.de/lehrer/unterricht-und-schulleben/inklusion.html

# 22 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusion in Bayern – Bay EUG

07.11.2016

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# 23 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

3. Kontext UN-BRK

4. Entwicklung inklusiver Bildungssysteme: politische und gesetzliche Vorgaben

5. Schulische Inklusion

- Statistik

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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Inklusion und Statistik

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…immer mehr Schüler mit einem Förderbedarf

Quelle und lesenswerter Aufsatz: Torsten Dietze: Sonderpädagogische Förderung in Zahlen - Ergebnisse der Schulstatistik 2009/10 mit einem Schwerpunkt auf der Analyse regionaler Disparitäten. In: Zeitschrift für Inklusion Online, H. 2, 2011

Entwicklung der sonderpädagogischen Förderquoten 1992/93 bis 2009/10 nach Förderschwerpunkten (in %)

?

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# 26

Inklusions-

anteile

(Deutschland)

2013/14

Inklusions-

anteile

(Deutschland)

2013/14

(aus: KMK, 2014a, b, eigene Berechnungen)

35,2 37,9 39,9 40,1 28,5

7,9

50,2

64,8 62,1 60,1 59,9 71,5

92,1

49,8

0

20

40

60

80

100

Lernen Sehen Hören Sprache körperlicheund

motorischeEntwicklung

geistigeEntwicklung

emotionaleund sozialeEntwicklung

Pro

zen

t

Exklusionsanteil Inklusionsanteil

Inklusionsanteile

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# 27 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusionsqouten Stand der Inklusion in Deutschland

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# 28

Ein Blick auf die Inklusionsanteile nach bildungsbiographischen Stationen:

Kindergarten

Grundschule

Sekundarstufe 1

Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusion und Statistik

07.11.2016

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# 29 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Inklusionsquoten in Europa

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# 30 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Zugang zu Bildung = Inklusion?

Inklusive Bildungssysteme - international betrachtet… (vgl. Lindsay 2007)

Mainstreaming

Inclusive Classroom

„full inclusion“

Special Classes

Special Schools

Inklusion bedeutet nicht, dass… - alle Sonderschulen zu schließen sind - die Sonderpädagogik als Disziplin

bedeutungslos wird

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# 31

Inklusion und Statistik

Weitere Detailblicke auf Forschungsergebnisse zum Gemeinsamen Unterricht“ (GU)

Klemm 2009: Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven

Klemm 2010: Gemeinsam lernen. Inklusion leben.

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016

Literatur: Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen

Breyer (2010): Gemeinsamer Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Deutschland. In: Lernen konkret, H. 1, 6-8

Klemm (2009): Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven. online veröffentlicht unter: http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms-bst-dms_29959_29960_2.pdf

Klemm (2010): Gemeinsam lernen. Inklusion leben. online veröffentlicht: http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms-bst-dms_32811_32812_2.pdf

Speiser (2013): Aktuelle Entwicklungen im Kontext von Integration und Inklusion in: Lernen konkret 2/2013, 31f

KMK: Sonderpädagogische Förderung in allgemeinen Schulen 2011/2012, Berlin 2012

KMK: Sonderpädagogische Förderung in Förderschulen 2011/2012, Berlin 2012

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# 32 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

3. Kontext UN-BRK

4. Entwicklung inklusiver Bildungssysteme: politische und gesetzliche Vorgaben

5. Schulische Inklusion - Statistik

- Inklusion als dynamischer Prozess

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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3P – Modell

P 1

P 2

P 3

Stufe der Präsenz Kinder mit Behinderungen sind willkommen und endlich in den „Volksschulen“ angekommen! institutionelle Dimension von Inklusion Schule wird zum Aufnahme- und Aufenthaltsort für alle Kinder…

Stufe der Partizipation Kinder mit Behinderungen gehören egalitär dazu und nehmen selbstverständlich am sozialen Leben teil! soziale Dimension von Inklusion Schule wird zum Lebens-, Begegnungs- und Sozialraum für alle Kinder und ist ein Handlungsfeld für gelebte soziale Kontakte und soziales Lernen…

Stufe der Pädagogik Entfaltung einer Pädagogik für alle Kinder: „making learning effective for every child“ didaktische Dimension von Inklusion Schule ist ein Haus des Lehrens und Lernens und wird eine verlässliche Veranstaltung für schulische Erfolge und Bildungskarrieren, Schlüssel zum Leben, Wegbereiter in Arbeit und Beruf und Promoter für gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung aller Kinder…

Inklusion als Prozess Stufen, Dimensionen, Qualitäten

adapt. Mel Ainscow, University Manchester, UK

# 33 Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016

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# 34 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Gliederung

1. Inklusion – was ist das?

2. Geschichte der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

3. Kontext UN-BRK

4. Entwicklung inklusiver Bildungssysteme: politische und gesetzliche Vorgaben

5. Schulische Inklusion

- Statistik

- Inklusion als dynamischer Prozess

6. Inklusive Didaktik – Lernen in heterogenen Gruppen

Fakultät 11 Psychologie und Pädagogik Department Pädagogik und Rehabilitation Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationspädagogik

Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

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Ob „inklusive Bildung“ überhaupt und auch in Deutschland ein Erfolgsmodell wird, hängt

maßgeblich davon ab, ob und wie es gelingt Kinder unabhängig von Art, Umfang, Intensität

des sonderpädagogischen Förderbedarf an Schule und Unterricht so teilhaben zu lassen,

dass

• die Kinder in Ihrer Identität gestärkt, statt beschädigt werden,

• soziale Kohäsion, statt Isolation entsteht und

• der Anspruch auf Erziehung und Bildung, Förderung und Therapie sowie

rehabilitative Hilfen, persönliche Assistenz und Pflege qualitativ hochwertig gewährt

und professionell umgesetzt werden kann!

Die gemeinsame Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit sehr unterschiedlichen

Lernvoraussetzungen und Entwicklungsausgangslagen gehört zu den ganz großen

pädagogischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und definiert eine bislang nicht

hinreichend gelöste Aufgabe!

Video: So funktioniert Inklusive Schule - "Jakob Muth-Preis 2011/2012" der Bertelsmann Stiftung: https://www.youtube.com/watch?v=fYlCPHoaLr8

Inklusion als Herausforderung

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 35

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Das Gelingen von Gemeinsamen Unterricht, die Entfaltung inklusiv wirksamer Lern- und Bildungsprozesse und die Verwirklichung von Teilhabe an Schule und Unterricht ist eine Frage der Didaktik!

• Inklusion pädagogisch qualitativ hochwertig verwirklichen,

• Lernprozesse und Bildung mit format in heterogenen Gruppen kompetent analysieren, planen, durchführen und reflektieren

• die Ansprüche auf sonderpädagogische Förderung professionell einlösen

meint die Wiederentdeckung der Didaktik als

„pulsierende Herzkammer der Pädagogik“ (Wolfgang KLAFKI 1964, 82)

Didaktik als Antwort und Lösungsansatz

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 36

01.09.1927 - 24.08.2016

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Didaktik – was ist das?

# 37 Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016

Quelle: Werner Jank, Hilbert Meyer: Didaktische Modelle. Berlin (Cornelsen Verlag Scriptor) 2011, 10. Aufl., S.16

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Gibt es eine inklusive Didaktik?

Welche didaktische Positionen bestimmen die Diskussion bei der Umsetzung Inklusiver Bildung?

Modelle und Konzepte der inklusiven Didaktik

Die bildungstheoretische Didaktik (Klafki) Die entwicklungslogische Didaktik (Feuser) Das Theorem gemeinsamer Lernsituationen (Wocken) Inklusiver Sachunterricht (Seitz) Der Bielefelder Ansatz (Kullmann, Lütje-Klose, Textor) Die konstruktivistische Didaktik (Reich) Der RTI-Ansatz (Huber , Grosche, Hartke u.a.) Die zweidimensional differenzierende Didaktik (Markowetz) Die menschenrechtsbasierte Didaktik (Prengel) Literatur: Hans Wocken: Inklusive Didaktik. Versuch einer Standortbestimmung. In: Hans Wocken: Am Haus der inklusiven Schule. Anbauten - Anlagen – Haltestellen. Hamburg (Feldhaus) 2016.

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 38

Eine lehr- und lernbare inklusive Didaktik gibt es noch nicht!

Inklusive Didaktik ist eine Patchwork-Didaktik, ein umfassendes Metamodell (Kiper/Mischke 2004),

das didaktische Prinzipien, Konzepte, Modelle und Theorien des Unterrichtens mehrperspektivisch

vereint und auf die Analyse, Planung, Durchführung und Reflexion von Lern- und Bildungssitua-

tionen im Unterricht einer Schule für ALLE und bei der Umsetzung von inklusiver Bildung

anzuwenden und zu synchronisieren versucht!

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Was soll eine inklusive Didaktik leisten?

Blicke auf die

„zweidimensional differenzierende Didaktik“

…oder:

Wie gelingt es einer Pädagogik für ALLE • inklusive Bildung in einer Schule für Alle zu verwirklichen?

• die Heterogenität der lernenden Subjekte im Unterricht zu bewältigen?

• das „making learning effective for every child“? Umzusetzen?

• dass „kein Kind zurückgelassen wird?“ (no child left behind!)

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 39

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Lernen

Inklusive Bildung: Gemeinsamer Unterricht und Getrennter Unterricht als dialektische Beschulungskultur

zwischen Inklusion und Exklusion

Schule für Alle

Gemeinschaftsschule, Inklusionsschule, Schule mit dem Schulprofil Inklusion…

Inclusive Education – Inklusive Bildung

Klasse “bunte” Schülerschaft – Anerkennung von Vielfalt und Differenz (Diversity) – Heterogenität als Normalfall und didaktische Herausforderung

Mehrpädagogensystem: Lehrer (Regel-/Sonderschule), Sozialpädagogen, Heilpädagogen, Therapeuten, Pflegekräfte, Schulbegleiter… Teamteaching – Kompetenztransfer

Gemeinsamer Unterricht mehr als 80%

Unterricht – “making learning effective for every child!“

Getrennter Unterricht weniger als 20%

Inklusion Exklusion Verschiedenheit Innere Differenzierung und Individualisierung

Gleichheit Äußere Differenzierung

„Gruppenpädagogik – Allgemeine Pädagogik + Schulpädagogik + Sonderpädagogik“ „Individualpädagogik – Sonderpädagogik“

in Kooperation am gemeinsamen Lerngegenstand (Feuser) in vielfältigen Lernsituationen (Wocken) gemeinsames Lernen: in heterogenen Lerngruppen, alle, binnendifferenziert, individualisiert, zieldifferent Klassenzimmer, Differenzierungsraum Betonung kollektiver Lernwelt 2-Pädagogensystem plus

Bildungsplan Regelschule und Bildungsplan Förderschule(n)

in exklusiven Lernsituationen „diversifiziertes“ Lernen:

allein (exklusiv-individuell), zu zweit (exklusiv-partnerschaftlich),

in homogenen Kleingruppen (exklusiv-kollektiv), zielgleich, im Klassenzimmer und/oder

Ausweichklassenzimmer/Differenzierungsraum Betonung behinderungsspezifischer Lernwelten

Betonung Rehabilitationsbedürfnisse Personal Förderschule(n) plus Bildungsplan Förderschule(n) In

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Inklusive Pädagogik und Didaktik

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Johann Amos Comenius (1592-1679)

„Omnes omnia omnino docere“

… alle Menschen alles lehren!

- wirklich alle ?

- wirklich alles ?

… aber was? …. und wie?

Allen alles lehren?!

Lernen am gemeinsamen Gegenstand

in inklusiven Lernsituationen

im gemeinsamen Unterricht?

und

Lernen am individuellen Gegenstand

in exklusiven Lernsituationen

im getrennten Unterricht? Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 41

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Individuell lernen

Individuell lernen

Individuelle Inhalte und Ziele

Individuelle Inhalte und Ziele

Inhalts- und Beziehungsaspekt Gemeinsam

lernen

Gemeinsame

Inhalte und

Ziele

Kooperative Lernsituation

b) solidarische Lernsituation = Gemeinsames Lernen an einem gemeinsamen Lerngegenstand

... zur Vielfalt der Lernsituationen im Gemeinsamen Unterricht

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 42

Biene Biene Biene

Biene Biene Biene

Schüler/-in mit

Behinderung

Schüler/-in mit

Behinderung

Schüler/-in ohne

Behinderung

Schüler/-in ohne

Behinderung

Biene Biene

Biene

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Beziehungsaspekt

Inhaltsaspekt

Inhaltsaspekt

• die koexistente Lernsituation

... zur Vielfalt der Lernsituationen im Gemeinsamen Unterricht

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 43

Biene Biene Biene

Biene Biene Biene

Schüler/-in mit

Behinderung

Schüler/-in ohne

Behinderung

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Beziehungsaspekt

Inhaltsaspekt

Inhaltsaspekt

• die kommunikative Lernsituation

... zur Vielfalt der Lernsituationen im Gemeinsamen Unterricht

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 44

Schüler/-in mit

Behinderung

Schüler/-in ohne

Behinderung

Biene Biene Biene

Biene Biene Biene

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Können Lehrer/-innen zaubern? Lösen Maßnahmen der Individualisierung und Binnendifferenzierung das Problem?

Stimmt die Formel? Was können wir wie „verzaubern“?

Maßnahmen der „Inneren Differenzierung“ und „Individualisierung“ begründen

eine didaktische Zauberformel, die das Lernen in heterogenen Gruppen

möglich machen und die integrationspädagogische Praxis gestalten soll !

Gemeinsamer Unterricht = differenzierter + individualisierter Unterricht !

„die integrative Didaktik ist vor allem durch Betonung der Prinzipien Individualisierung und Differenzierung unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten aller Kinder gekennzeichnet“ (Werning/Lütje-Klose 2006, 126)

Gemeinsamer Unterricht ist „stets ein hochdifferenzierter und stark individualisierter Unterricht“ (Heimlich 2004, 289)

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„unter Differenzierung wird einmal das variierende Vorgehen in der Darbietung und Bearbeitung von Lerninhalten verstanden, zum anderen die Einteilung bzw. Zugehörigkeit von Lernenden zu Lerngruppen nach bestimmten Kriterien. Es geht um die Einlösung des Anspruchs, jedem Lernenden auf optimale Weise Lernchancen zu bieten, dabei die Ansprüche und Standards in fachlicher, institutioneller und gesellschaftlicher Hinsicht zu sichern und gleichzeitig lernorientiert aufzuarbeiten“

„Differenzierung stellt sich für die Organisation von Lernprozessen als Bündelung von Maßnahmen dar, Lernen in fachlichem, organisatorischem, institutionellem wie individuellem und sozialem Bezug zu optimieren“

„unter Binnendifferenzierung wird eine gruppeninterne Differenzierung verstanden. Die zugrundeliegenden Differenzierungskriterien können unterschiedlich sein: Lerngeschwindigkeit, Arbeitsmenge, Leistungshöhe, Lernschwierigkeiten, Arbeitsweisen, Kooperation, Interessen usw. Die Gruppe kann unterschiedlich groß sein: Klasse, Großgruppe, Kleingruppe.

Binnendifferenzierung strebt keine Dauerlösung an; sie bleibt in der Regel situations- und lernzielgebunden. Im Extremfall bedeutet Binnendifferenzierung Individualisierung“

(Bönsch 1995; 21ff)

Innere Differenzierung - Definition und Verständnis

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Instrumente der Inneren Differenzierung als Zugang zu Bildungsinhalten und didaktische Strategie zur Optimierung des unterrichtlichen Lernens in Gemeinsamen Lernsituationen

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Komplementarität und Interdependenz von Innerer Differenzierung und Individualisierung als Integrations- und Balanceleistung inklusiver und exklusiver Lernsituationen im Gemeinsamen Unterricht

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Lernen Auseinandersetzung mit

Lerngegenständen

Aneignung von Welt

„das lernende

Subjekt“

formale Bildung

„die Sache“

materiale Bildung

Theorie der kategorialen Bildung

(Klafki 1957, 1963, 1985, 1996)

Begegnung mit anspruchsvollen Bildungsinhalte,

Konfrontation mit materialen Bildungsinhalten

Begegnung mit formalen

Bildungsinhalten

Inklusive Bildung Was meint Bildung mit for-mat? Plädoyer für das 2-Pädagogen-System

Prof. Dr. Reinhard Markowetz 07.11.2016 # 49

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Fazit und Empfehlungen

Wie geht es weiter?

# 50 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Mehr Inklusion wagen - behutsam, chancengleich und für qualitativ hochwertige Bildung aller Kinder in Bayern!

keine Obergrenzen für Inklusion einführen! stattdessen: kooperative Organisationsmodelle wie z.B. das Partnerklassenmodell aufwerten und

diese in der amtlichen Schulstatistik der KMK als Inklusion ausweisen! diversifizierte, d.h. behinderungsspezifische und auf Rehabilitation ausgerichtete „exklusive“

Angebote als ein unverzichtbares Lernformat inklusiver Beschulungskultur anerkennen! Chancen des Gemeinsamen Unterrichts und des Getrennten Unterrichts effektiv nutzen, d.h. den

Schieberegler der „Inklusions-Exklusions-Schranke“ professionell bedienen lernen! Verlässliche Kontakte für wertvolle soziale wie lernende Begegnungen zwischen Schülern mit und

ohne Behinderungen schaffen, für soziale Kohäsion sorgen und zu Ent-Stigmatisierung beitragen!

Inklusion meint auch Aussonderung vermeiden!

Regelschulen mit Schülern mit SPF nicht allein lassen! Lehrpersonen stärken, mit sonderpädagogischen Fachwissen, Konzepten und Methoden vertraut

machen, heilpädagogisches Klima und sonderpädagogische Räume an Regelschulen schaffen! mehr Sonderpädagog/-innen für den Einsatz in der Inklusion wie an klassischen Förderorten der

Sonderpädagogik qualifizieren und auf die Zusammenarbeit mit Lehrpersonen der Regelschulen vorbereiten!

aufpassen, dass Schulbegleiter, Integrationshelfer, Inklusionsassistenten sich nicht zu einem paraprofessionellem Entlastungssystem entwickeln und eine heimliche Schattenpädagogik auf den Plan rufen!

MSD ausbauen und strategisch als Fachdienst für INKLUSION weiterentwickeln!

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Fazit & Ausblick

Inklusive Bildung – Inklusive Pädagogik und

Inklusive Didaktik:

„Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen.

Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik!“

Ernesto Cardenal

# 51 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

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# 52 07.11.2016 Prof. Dr. Reinhard Markowetz

Literaturauswahl

Markowetz, R. (2004): Maßnahmen der Inneren Differenzierung und Individualisierung im Gemeinsamen Unterricht als Aufgabe für Sonderpädagogik und Integrations-pädagogik auf dem Weg zu einer inklusiven Didaktik. In: Schnell, I./Sander, A. (Hrsg.), Inklusive Pädagogik. Bad Heilbrunn/Obb., 167-186.

Markowetz, R. (2007a): Inklusion und soziale Integration von Menschen mit Behinderungen (Kapitel 7) In: Cloerkes, G., Soziologie der Behinderten. Eine Einführung. Unter Mitwirkung von Reinhard Markowetz. 3., neu bear. und erw. Auflage. Heidelberg, 207-278.

Markowetz, R. (2007b): Soziale Integration, Identität und Entstigmatisierung. Behindertensoziologische Aspekte und Beiträge zur Theorieentwicklung in der Integrationspädagogik. Heidelberg 2007b

Markowetz, R. (2007c): Behinderung und Inklusion. Paradigmenwechsel – Verändert Inklusion das Verständnis von Behinderung und bringt Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe und Emanzipation? In: Betreuungsmanagement 3, 2, 59-71.

Markowetz, R. (2011a): Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen – soziologische Zugänge. In: Eurich, J., Lob-Hüdepohl, A. (Hrsg.), Inklusive Kirche. Stuttgart, 23-49.

Markowetz, R.(2011b): Inclusive Education: Schulentwicklung in Burkina Faso/Westafrika. In: Petra Flieger, Volker Schönwiese (Hrsg.), Menschenrechte, Integration, Inklusion. Aktuelle Perspektiven aus der Forschung. Bad Heilbrunn/Obb., 131-136.

Markowetz, R. und Schwab, J. E. (Hrsg.) (2012a): Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Inklusion und Chancengleichheit zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Bad Heilbrunn/Obb..

Markowetz, R. (2012b): Inklusive Didaktik (k)eine Neuschöpfung!? Ein Beitrag zur didaktischen Diskussion über Gemeinsamen Unterricht. In: Cornelius Breyer, Günther Fohrer, Walter Goschler, Manulea Heger, Christina Kießling und Christoph Ratz (Hrsg.), „Sonderpädagogik und Inklusion“. Oberhausen, 141-160.

Markowetz, R./Reich, K. (2015): Didaktik. In: Hedderich, I./Biewer,G./Hollenweger, J./Markowetz, R. (Hrsg.), Handbuch Sonderpädagogik und Inklusion. Bad Heilbrunn/Obb., 338-346.

Fischer, E./Markowetz, R. (2016): Schulische Inklusion: Paradiesmetapher und/oder langer Weg zu einer inklusiven Schule? In: Fischer, E./Markowetz, R. (Hrsg.), Inklusion im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Stuttgart, 13-30.

Markowetz, R. (2016): Theoretische Aspekte und didaktische Dimensionen inklusiver Unterrichtspraxis. In: Fischer, E./Markowetz, R. (Hrsg.), Inklusion im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Stuttgart, 237-286.

Speck, O. (2011). Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht: Rhetorik und Realität. München, Basel, 31-55.

Wocken, H. (2016): Inklusive Didaktik. Versuch einer Standortbestimmung. In: Hans Wocken: Am Haus der inklusiven Schule. Anbauten - Anlagen – Haltestellen. Hamburg (Kapitel 6)

Page 53: Inklusive Bildung: Inklusive Pädagogik und inklusive Didaktik · UN-Behindertenrechtskonvention - Artikel 24 „Inclusive Education“ (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht

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