Innovationen fördern und sichtbar machen. Vernetzung und Unterstützung für die Weiterentwicklung...

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75 Katja Lengnink Innovationen COrdern und sichtbar machen. Vernetzung und Unterstiitzung fiir die Weiterentwicklung von Schulpraxis Rezension des Buches K. Krainer, W. Dorjler, H. Jungwirth, H. Kuhnelt, F. Rauch, T. Stern (Hrsg.): Lernen im Aujbruch: Mathematik und Naturwissenschaften - Pilotprojekt IMSr, Studienverlag, Inns bruck, 2002. Mit dem Buch liegt ein umfassender Zwischenbericht zum osterreichischen bil- dungswissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprojekt IMST 2 (Innovations in Mathematics, Science and Technology Teaching) vor, das als die Reaktion auf die Ergebnisse von TIMSS in Osterreich angesehen werden kann. Das Buch umfasst die Konzeption, die Aktivitaten und erste Ergebnisse im Rahmen von IMST 2 bis ein- schlieBlich des Pilotjahres 200012001. Es regt auf vielfriltige Weise an, iiber die Qualitatssteigerung von mathematisch-naturwissenschaftlichem Unterricht neu und ganzheitlich nachzudenken. Zum Weiterlesen finden sich aktuellere Ergebnisse des Projektes auf der Web-Seite http://imst.uni-klu.ac.at/. In dieser Rezension wird zunachst das Buch in seinem Anliegen vorgestellt. Dieses konkretisiert sich in vier Schwerpunktprogrammen, die in ihren Zielsetzungen und ihren ersten Umsetzungen dargestellt werden. Zuletzt wird der in dem Buch vorge- stellte Ansatz mit anderen Konzepten zur Qualitatssteigerung mathematisch-natur- wissenschaftlichen Unterrichts verglichen. 1. Historie, Anliegen ond Design von IMST 2 Die Ergebnisse der TIMS-Studie, insbesondere im hoheren Bildungsbereich, gaben auch in Osterreich Anlass zur Besorgnis. Die Defizite waren schnell beschrieben: die osterreichischen Schiiler/innen (genau wie die deutschen) hatten vor all em Defizite im Bereich des Argumentierens, Begriindens und Vemetzens, wahrend ihre Kennt- nisse im Bereich der Grundfertigkeiten oder Routinen noch im intemationalen Durchschnitt lagen. Zur Analyse der Ursachen dieser Defizite wurde das Projekt IMST yom osterreichi- schen Bundesministerium fur Bildung, Wissenschaft und Kultur in Auf trag gegeben. Das Besondere dieses Projektes ist, dass aile fur mathematisch-naturwissenschaft- liche Bildung zustandigen Gruppen in die Erstellung einer selbstkritischen Gesamt- analyse einbezogen wurden: die Schulbehorde, die Fachdidaktiken und die Schul- praxis. Dafur wurde ein umfassender Ansatz gewahlt, in den aile im Rahmen von TIMSS verfugbaren Datenquellen einbezogen, Selbstevaluationen an den Schulen durchgefuhrt und die Situation in Osterreich mit Reformansatzen in ausgewahlten anderen Liindem verglichen wurden. Danach liegen die Ursachen hauptsachlich in • einer mangelnden Einbindung der Lemenden in den Lemprozess, • dem verbreiteten Schemata des fragend-entwickelnden Unterrichts (Monokultur), • der schlechten Offentlichen Stellung der Naturwissenschaften und der Mathematik, (JMD 25 (2004) H. 1, S.75-80)

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Katja Lengnink

Innovationen COrdern und sichtbar machen. Vernetzung und Unterstiitzung fiir die Weiterentwicklung von Schulpraxis

Rezension des Buches K. Krainer, W. Dorjler, H. Jungwirth, H. Kuhnelt, F. Rauch, T. Stern (Hrsg.): Lernen im Aujbruch: Mathematik und Naturwissenschaften - Pilotprojekt IMSr, Studienverlag, Inns­bruck, 2002.

Mit dem Buch liegt ein umfassender Zwischenbericht zum osterreichischen bil­dungswissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprojekt IMST2 (Innovations in Mathematics, Science and Technology Teaching) vor, das als die Reaktion auf die Ergebnisse von TIMSS in Osterreich angesehen werden kann. Das Buch umfasst die Konzeption, die Aktivitaten und erste Ergebnisse im Rahmen von IMST2 bis ein­schlieBlich des Pilotjahres 200012001. Es regt auf vielfriltige Weise an, iiber die Qualitatssteigerung von mathematisch-naturwissenschaftlichem Unterricht neu und ganzheitlich nachzudenken. Zum Weiterlesen finden sich aktuellere Ergebnisse des Projektes auf der Web-Seite http://imst.uni-klu.ac.at/. In dieser Rezension wird zunachst das Buch in seinem Anliegen vorgestellt. Dieses konkretisiert sich in vier Schwerpunktprogrammen, die in ihren Zielsetzungen und ihren ersten Umsetzungen dargestellt werden. Zuletzt wird der in dem Buch vorge­stellte Ansatz mit anderen Konzepten zur Qualitatssteigerung mathematisch-natur­wissenschaftlichen Unterrichts verglichen.

1. Historie, Anliegen ond Design von IMST2

Die Ergebnisse der TIMS-Studie, insbesondere im hoheren Bildungsbereich, gaben auch in Osterreich Anlass zur Besorgnis. Die Defizite waren schnell beschrieben: die osterreichischen Schiiler/innen (genau wie die deutschen) hatten vor all em Defizite im Bereich des Argumentierens, Begriindens und Vemetzens, wahrend ihre Kennt­nisse im Bereich der Grundfertigkeiten oder Routinen noch im intemationalen Durchschnitt lagen. Zur Analyse der Ursachen dieser Defizite wurde das Projekt IMST yom osterreichi­schen Bundesministerium fur Bildung, Wissenschaft und Kultur in Auf trag gegeben. Das Besondere dieses Projektes ist, dass aile fur mathematisch-naturwissenschaft­liche Bildung zustandigen Gruppen in die Erstellung einer selbstkritischen Gesamt­analyse einbezogen wurden: die Schulbehorde, die Fachdidaktiken und die Schul­praxis. Dafur wurde ein umfassender Ansatz gewahlt, in den aile im Rahmen von TIMSS verfugbaren Datenquellen einbezogen, Selbstevaluationen an den Schulen durchgefuhrt und die Situation in Osterreich mit Reformansatzen in ausgewahlten anderen Liindem verglichen wurden. Danach liegen die Ursachen hauptsachlich in • einer mangelnden Einbindung der Lemenden in den Lemprozess, • dem verbreiteten Schemata des fragend-entwickelnden Unterrichts (Monokultur), • der schlechten Offentlichen Stellung der Naturwissenschaften und der Mathematik,

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• der Fragmentierung des osterreichischen Bildungssystems (d.h. hoch differenzierte und jeweils autonome Systeme von Schuitypen, Isolation der einzelnen Fachdi­daktiken und unterschiedliche Institutionen fUr Lehrerausbildung).

Auf dieser Grundlage setzt nun das Folgeprojekt IMST2 an, das zwei zentrale Auf­gaben verfolgt:

1. ,Jnitiieren, Fordern und Sichtbar-Machen von Innovationen sowie deren wissen­schaftsgeleitete Analyse und Verbreitung".

2. "Mitwirkung beim Aujbau eines Unterstiitzungssystems fUr die Weiterentwicklung der Schulpraxis im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften". (S.16)

Das Design des Projektes sieht vor, dass Schulpraxis und Fachdidaktik kooperativ Beispiele fUr "gute Praxis" erarbeiten und verbreiten. Parallel dazu soli die gesell­schaftliche Relevanz von mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung deutlicher herausgestellt werden. Fur diese Vorhaben gilt es ein Unterstiitzungssystem zu in­stallieren, das diesen ganzheitlichen und langfristigen Prozess zu tragen in der Lage ist. In dies em "bottom-up" Prozess sind alle Beteiligten gefragt, Anstrengungen zur QualWitsverbesserung mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts vorzuneh­men - insbesondere auch die Gemeinschaft der Fachdidaktiker/innen, die durch Praxisforschung Innovationen an den Schulen unterstiitzen mussen.

2. Leitziele und Schwerpunkte im Rahmen von IMST2

1m Rahmen von IMST2 werden die folgenden Leitziele angestrebt (vgl. S. 39): • Bessere Grundbildung in Mathematik und Naturwissenschaften - niveauvolleres

Verstehen, angemesseneres Problemlosen, effizienteres und problembewussteres Argumentieren und Reflektieren im Unterricht.

• Groj3ere Vielfalt an Lehr- und Lernformen - KreativiHit, Selbststandigkeit und situationsgerechtes Lehren und Lemen, unterstutzt durch neue Medien und Tech­nologien, sowie mehr und intensivere Formen der Reflexion von Unterricht.

• Zahlreichere und besser gestaltete Formen des professionellen Erfahrungsaus­tauschs unter den Lehrenden, die Auswirkung auf die Weiterentwicklung der Schule haben.

• Etablierung und Weiterentwicklung eines Netzwerks, das die Durchfiihrung und Evaluation von Unterrichtsinnovationen unterstiitzt sowie einer Offentlichkeit zu­ganglich macht.

• Verbessertes "Image" - gunstigere Wahmehmungsmuster und Erwartungshaltun-gen gegenuber Mathematik und Naturwissenschaften in Schulen und Gesellschaft.

Die Umsetzung dieser Leitziele wird in den vier Schwerpunktprogrammen Grund­bi/dung, Schu/entwicklung, Lehr- und Lernprozesse und Praxisforschung angegan­gen, die im Projekt weitgehend unabhangig voneinander entwickeit und durchgefUhrt wurden. Auch die Schwerpunktprogramme werden von allen beteiligten Gruppen mit gestaitet (Lehrende, Lemende, Schulleitungen und Fachdidaktiken wie auch Eltem). Die bei der Konzeption von IMST2 als zentral angesehene Balance zwischen Aktion und Reflexion bei der Umsetzung von Innovationen in die Schulpraxis wird im Kon­zept dadurch verankert, dass yom Projektteam betreute Verschriftlichungen etwa in Projektantragen, Konzepten, Berichten, und Evaluationsinstrumenten gefordert

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werden. Hierdurch sollen erarbeitete Ergebnisse und die dabei stattgefundenen Pro­zesse auch fiir andere nachvollziehbar, verfiigbar und kommunizierbar werden.

Zielsetzungen der Schwerpunktprogramme und Innovationen

Grundbildung 1m Schwerpunktprogramm Grundbildung soll ein Konzept fur mathematisch­naturwissenschaftliche Grundbildung erarbeitet und fiir die schulische Praxis nutzbar gemacht werden. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Auswahl und Begriindung von Leminhalten und -umgebungen. Dazu werden die folgenden Leitlinien zur Begriin­dung von Inhalts- und Zielwahl angegeben: Weltverstiindnis, kulturelles Erbe, All­tagsbezug, Gesellschaftsrelevanz, Einblick in wissenschaftliches Arbeiten und wis­senschaftlicher Nachwuchs. Ahnliche Leitlinien werden auch fur die Methodenwahl formuliert. Diese ubergreifenden Visionen werden bereits in den fachbezogenen Konzeptbe­schreibungen unterschiedlich aktiviert. Fur die biologische Grundbildung werden die Leitlinien durchdekliniert, jedoch bleiben sie mit den vorgeschlagenen Fachthemen weitgehend unverbunden. Bei der Frage nach chemischer Grundbildung wird von der Fachthematik ausgehend ein Konzept chemischer Grundbildung entwickelt, das allerdings nicht mehr an den Leitlinien gemessen wird Der Beitrag zur mathemati­schen Grundbildung fokussiert ausschlieBlich auf Grundvorstellungen beim Lemen mathematischer Inhalte, wodurch nicht zu allen Leitlinien Bezuge hergestellt werden konnen. In dem Aufsatz zur physikalischen Grundbildung wird ausgehend von den Fragen Was? Warum? Wie? an Beispielen der Beitrag der Physik zur Allgemeinbil­dung diskutiert und konsequent mit den Leitlinien zur Zielsetzung und Methodik verschrankt. Diese Heterogenitat setzt sich auch im Bereich der Unterrichtsprojekte zum Schwer­punkt Grundbildung fort. Die vorgestellten Ansatze scheinen ihrer Beschreibung nach sehr unterschiedlich tragfahig fiir die mit dem Schwerpunktprogramm inten­dierten Ziele zu sein. Das Spektrum reicht von SchUler/innenibefragungen in Bezug auf die Relevanz des von ihnen verlangten Wissens uber die Anfrage an Universitii­ten, welche Grundbildung sie von Maturandlinnlen erwarten, bis hin zur gemeinsa­men Auseinandersetzung von Lehrenden und Lemenden uber die Grundbildung in einem Themenkreis. Ein beeindruckendes Beispiel dafiir, welche Kraft eine solche Auseinandersetzung uber Grundbildung in der Schulpraxis entfalten kann, ist die Vorstellung eines Unter­richtsprojekts zur Astronomie, in dem SchUler/innen die Stemwarte ihrer Schule fiir die Offentlichkeit geOff net haben. In diesem Projekt wurden von den Lemenden selbststandig Bildungsinhalte und Ziele definiert, die sie fiir ihre Besucher fiir we­sentlich hielten. Es wurden eigenstandig Fiihrungen durchgefiihrt und evaluiert. Die Lehrenden iibemahmen die Aufgaben, die Lemenden bei ihrer eigenstandigen Arbeit zu unterstutzen und zu beraten sowie den Prozess der Auseinandersetzung iiber astronomische Grundbildung zu moderieren und kritisch zu begleiteten.

Schulentwicklung Das Schwerpunktprogramm Schulentwicklung f6rdert MaBnahmen zum Aufbau ma­thematisch-naturwissenschaftlicher Schwerpunktsetzungen als Schulprogrammele­mente, den Aufbau eines Netzwerks solcher Schulen und Begleitforschung zu Schul-

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entwicklungsprozessen. Dabei geht es auch urn Werbung fUr mathematisch­naturwissenschaftliche Zweige an den Schulen, die Einrichtung von Lehrer/in­neniteams, urn Strukturen in dies em Bereich zu schaff en, und die Entwicklung von Leitbildem an den Schulen. Die weitgreifenden und visionaren Ziele in dies em Schwerpunktprogramm werden von den Lehrenden in kleinen konkreten Projekten angegangen, die mit dem Geist des Rahmenprogramms in Einklang stehen. So wird etwa an der Einrichtung eines naturwissenschaftlichen Labors vorgestellt, wie facheriibergreifender Unterricht zu starker vemetztem Denken beitragen kann, das an Situationen orientiert, aktiv expe­rimentierend, aus unterschiedlichen Fachkompetenzen heraus entwickelt wird. Die Strukturen zur Einrichtung eines solchen Labors und anderer mathematisch­naturwissenschaftlicher Schwerpunktbildungen an den Schulen zu schaffen, stellt sich als muhsames Unterfangen heraus, das von diesem Teil des Projekts begleitet und unterstiitzt wird.

Lehr- und Lernprozesse 1m Schwerpunktprogramm Lehr- und Lemprozesse stehen das Fordem von Diagno­se- und Handlungskompetenzen bei den Lehrenden sowie die Befahigung zu situati­onsgerechtem Lehren und Lemen im Vordergrund. Es sollen Methoden zur systema­tischen Untersuchung von Lehr- und Lemprozessen an Lehrer/innen vermittelt, Lehr- und Lemprozesse fallbezogen untersucht, Konzepte fUr situationsgerechtes Lehren und Lemen entwickelt und erprobt sowie Mentoren ausgebildet werden, die dann weitere Schulprojekte begleiten konnen. Damit geht es in diesem Projektteil zentral urn die Professionalisierung von Lehrerlinne/n in Bezug auf ihr unterrichtli­ches Handeln und das Schaff en von Strukturen, die es moglich machen, diesen Pro­zess auch uber die Laufzeit von IMST2 hinaus weiterzufuhren. Konkretisiert fur die Teilbereiche Mathematik und Naturwissenschaften werden unterschiedliche Herangehensweisen der Betreuerinnen deutlich. Bei den Schulpro­jekten zur Mathematik werden ausgehend von Interessenschwerpunkten der Lehren­den Fragestellungen formuliert und Instrumente zu ihrer Untersuchung entwickelt sowie fallbezogen eingesetzt. Mit gemeinsam von Betreuerin und Lehrer/inne/n geplanten Untersuchungen und ihren Auswertungen wird eine Sensibilisierung der Lehrenden in Bezug auf die sie interessierenden Fragen intendiert, die dann Aus­gangspunkte fur weitere Analysen und eine reflexionsbezogene Anderung der Unter­richtspraxis sein konnen. Fur die Betreuung der Schulprojekte zu den Naturwissen­schaften wird die Methode des Videofeedbacks zum Unterricht angeboten, die durch Erfassen und verlangsamtes Darstellen von Lehr- und Lemprozessen Lehrer/innen dazu anregt, ihren Unterricht zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Beim Lesen der Berichte zu den konkreten Schulprojekten fallt auf, dass die beiden Betreuerinnen den Lehrerlinne/n das Verfassen der Berichte in fast allen Fallen abgenommen haben. Sosehr dies inhaltlich gerechtfertigt sein mag, so wertvoll ware doch gerade fur den Erwerb diagnostischer Kompetenzen eine solche Auseinander­setzung mit dem eigenen unterrichtlichen Handeln gewesen.

Praxisforschung Der Schwerpunkt Praxisforschung zielt darauf ab, fachdidaktische Forschung insbe­sondere zu praxisnahen Themen zu initiieren und zu etablieren, in deren Fokus

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selbststandiges und eigenverantwortliches Arbeiten der Lemenden liegt. In dies em Teilprojekt von IMST2 ist eine enge Kooperation von Schulpraxis und Fachdidaktik vorgesehen, in der Fragestellungen aus der Schule und Methoden aus der Fachdi­daktik gewinnbringend verknupft werden sollen. Es geht auch urn eine Weiterent­wicklung der schulubergreifenden fachdidaktischen Kultur, was durch die Elemente Fondsstruktur, Beratung und Verbreitung erreicht werden solI. Damit zielt dieses Schwerpunktprojekt darauf ab, die Qualitat des mathematisch-naturwissenschaft­lichen Unterrichts in der gesamten "community of practice" anzuheben. 1m Rahmen dieses Schwerpunkts bestand die Moglichkeit, flir kleinere fachdidakti­sche Projekte Fordermittel bei IMST2 zu beantragen. Diese Projekte sollten im Sinne der "Lehrerforschung" uberschaubare Unterrichtseinheiten und deren Evaluation beinhalten, wie dies auch in den osterreichischen Lehrerfortbildungsprogrammen Tradition hat (s. Altrichter und Posch 1998). Es bestand die Moglichkeit, sich zu dies en Projekten beraten zu lassen und die Ergebnisse sollten knapp publiziert wer­den. Die vier beschriebenen Projekte haben aIle eine Forschungsfrage, die mit veranderter schulischer bzw. universitarer Praxis zusammenhangt. So wurde Projektunterricht in Abgrenzung zu herkommlichem Unterricht flir das Themenfeld Trigonometrie eva­luiert. Es wurde ein interdisziplinares Projekt zum Thema "Sonne - Motor des Le­bens" von Studierenden ftir Schiiler/innen geplant und durchgeflihrt. Der Fulle phy­sikalischer Themen wurde in einem Vorhaben durch einen eigentatigen Zugang der Lemenden in Projektform zu begegnen versucht. Der Einsatz des Intemets im Rah­men von eigenverantwortlichem Lemen im Physikunterricht wurde untersucht. Die vorgestellten Proj ekte stellen im Vergleich zu dem umfassenden Anspruch des Schwerpunkts eher lokale Initiativen zur Praxisforschung dar, dennoch ist das Pro­jektteam zuversichtlich, dass ihre Darstellung Modellcharakter hat und als Initial­zundung zum Autbau der ubergreifenden fachdidaktischen Kultur dienen kann. Beim Anwerben der Projekte im Rahmen dieses Schwerpunkts und bei der Publika­tion der Ergebnisse wurde in einer prozessbegleitenden Evaluation festgestellt, dass der zeitliche Aufwand auf Seiten der Lehrer/innen deutlich unterschatzt wurde. Es wurden bereits klein ere Korrekturen in der Prozessbegleitung vorgenommen, die das Problem abmildem sollen.

3. Bilanz Die Konzeption und Durchflihrung von IMST2 in ihrem ganzheitlichen Zugang, auf moglichst vielen verantwortlichen Ebenen Strukturen zur Qualitatssteigerung ma­thematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts zu erarbeiten, ist sehr uberzeugend. Dies fangt bereits mit der soliden Ursachenforschung im Rahmen von IMST an. Eine solche Auftragsarbeit hat es in Deutschland nicht gegeben, dennoch sind im Rahmen des BLK-Programms zur "Steigerung der Effizienz des mathematisch­naturwissenschaftlichen Unterrichts" (BLK 1997) ebenfalls Ursachen fUr das schlechte Abschneiden deutscher Schiiler/innen benannt und Module zur Qualitats­steigerung entwickelt worden. IMST2 wird von der Auffassung getragen, dass sich Unterricht nicht ohne eine Ver­anderung der Kompetenzen und Einstellungen von Lehrerlinne/n weiterentwickeln kann und dass daflir notwendige Rahmenbedingungen an den Schulen und durch den Aufbau von Netzwerken und Unterstiitzungssystemen geschaffen werden mussen.

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Dies gibt .dem Projekt seine spezifische Gestalt, die es klar von den Initiativen der deutschen Bildungspolitik nach TIMSS und PISA abgrenzt. Dort wird, im Gegensatz zu der in IMSr2 verfolgten "bottom-up" Philosophie, durch Einflihren von verbindli­chen Bildungsstandards versucht, zu einer von auBen vorgegebenen Qualitat von mathematisch-naturwissenschaftlichem Unterricht zu gelangen. Eine von den Auto­ren gegebene Begriindung (vgl. S. 38) fUr den mit IMSr2 verfolgten Ansatz ist die Beobachtung, dass von auBen vorgegebene MaBnahmen die Praxis kaum erreichen und auf Systemwiderstande stoBen. Ahnlich sieht es auch mit der Kluft zwischen fachdidaktische Forschung und Schulpraxis aus. In IMSr nimmt man dieses Prob­lem ernst und versucht durch ein Etablieren praxisbezogener Forschung langfristig zu einer Verbesserung der Situation zu kommen. Prozessbegleitend und zum Ab­schluss des Projektes sind umfassende Evaluationen der MaBnahmen geplant, von denen jedoch zum Zeitpunkt der VerOffentlichung des Buches kaum Ergebnisse vorlagen. Damit ist IMSr2 Ausdruck eines Paradigmenwechsels in der fachdidakti­schen Forschungslandschaft, in der sich nach TIMSS und PISA eine Kultur des Fragens nach Effekten von InterventionsmaBnahmen entwickelt und durchgesetzt hat. Seinem ganzheitlichen Anspruch und seiner hohen theoretischen Substanz werden die beschriebenen Einzelprojekte natiirlicherweise nicht gerecht, sie sind Beschrei­bungen individueller Lernprozesse von Lehrer/inne/n, die damit zur Auseinanderset­zung und Nachahmung ermutigen. Schulische Entwicklungsprozesse, gesellschaftli­che Lernprozesse und die Professionalisierung von Lehrer/inne/n konnen nur als langfristige Prozesse geplant und strukturell gefOrdert werden. Mit dem in IMSr2

verfolgten Ansatz wird der schulischen Realitat mehr Raum und Bedeutung gegeben als bisher, ihre spezifischen Probleme und Moglichkeiten werden ausgelotet und ernst genommen. Dies birgt ein enormes Entwicklungspotential, das allerdings Ge­duld und vor all em gute strukturelle Rahmenbedingungen benotigt. So kann eine spiirbare Qualitatssteigerung mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts ge­lingen, es ware Osterreich zu wiinschen.

Literatur Altrichter, H. und Posch, P.: Lehrer erforschen ihren Unterricht. Eine Einfiihrung in die Akti­

onsforschung, Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 1998. BLK (Hrsg.): Gutachten zur Vorbereitung des Programms "Steigerung der Effizienz des

mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts", in: Materialien zur Bildungsp1anung und ForschungsfOrderung, Heft 60, Bonn 1997.

Katja Lengnink TU Darmstadt Fachbereich Mathematik Arbeitsgruppe F achdidaktik Schlossgartenstr.7 64289 Darmstadt Email: [email protected]