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Integrierte Corporate Governance Martin Hilb Ein neues Konzept zur wirksamen Führung und Aufsicht von Unternehmen 6. Auflage

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Integrierte CorporateGovernance

Martin Hilb

Ein neues Konzept zur wirksamen Führung und Aufsicht von Unternehmen

6. Auflage

Integrierte Corporate Governance

Martin Hilb

Integrierte CorporateGovernance

Ein neues Konzept zur wirksamen Führungund Aufsicht von Unternehmen

6., überarbeitete Auflage

Martin HilbUniversität St. GallenSt. Gallen, Schweiz

ISBN 978-3-662-46729-9 ISBN 978-3-662-46730-5 (eBook)DOI 10.1007/978-3-662-46730-5

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Lektorat: Juliane Wagner

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort................................................................................................... VII

Teil 0 Einführung ..................................................................................... 1 0.1 Ausgangslage ............................................................................ 3 0.2 Zielsetzung ................................................................................ 7 0.3 Vorgehen ................................................................................... 8 0.4 Begriffsklärung .......................................................................... 9 0.5 New Corporate Governance-Modell ....................................... 11

Teil 1 Situative Board Dimension ......................................................... 15 1.1 Unternehmensexterne Kontext-Dimension ............................ 18

1.1.1 Institutioneller Kontext ............................................... 19 1.1.2 Landeskultur-Kontext ................................................. 21 1.1.3 Normen-Kontext ......................................................... 27

1.2 Unternehmensinterne Kontext-Dimension ............................. 36 1.2.1 Eigentumsverhältnisse ................................................. 37 1.2.2 Board-Machtverhältnisse ............................................ 49 1.2.3 Organisationskomplexität ........................................... 56 1.2.4 Board-Rollenträger ...................................................... 58 1.2.5 Internationalisierungsgrad der Board-

und GL-Teams ........................................................... 63 1.2.6 Board-Funktionsmix ................................................... 71

Teil 2 Strategische Board Dimension ................................................... 75 2.1 Strategisch gezielt vielfältig zusammengesetztes

Board-Team .......................................................................... 78 2.2 Konstruktiv-kritische Board-Vertrauenskultur ....................... 93 2.3 Vernetzte Board-Struktur ........................................................ 99 2.4 Anspruchsgruppenorientierte Board-Erfolgsmaßstäbe ........ 101

Teil 3 Integrierte Board Management Dimension ............................ 109 3.1 Gezielte Gewinnung von Board-Mitgliedern und CEO ....... 113 3.2 Gezieltes Feedback für Board-Mitglieder und CEO ............ 124

VI Inhaltsverzeichnis

3.3 Gezielte Honorierung von Board-Mitgliedern und CEO ..... 136 3.4 Gezielte Förderung von Board-Mitgliedern und CEO ......... 146 3.5 Integrierter Board-Management-Ausschuss für

Großfirmen (Integrated Board Management Committee) .......................................................................... 157

Teil 4 Evaluative Board Dimension .................................................... 161 4.0 Integriertes Audit & Risk Management Committee ............. 163 4.1 Auditing-Funktion des Boards ............................................. 168

4.1.1 Zusammenarbeit mit der externen Revisionsstelle .... 169 4.1.2 Zusammenarbeit mit der internen Revision .............. 170

4.2 Risiko-Management-Funktion des Boards ........................... 171 4.3 Kommunikationsfunktion des Boards .................................. 179

4.3.1 Interne Kommunikation zwischen Board und Geschäftsleitung................................................ 179

4.3.2 Externe Kommunikation zwischen Board und Anspruchsgruppen ............................................ 189

4.4 Erfolgsevaluations-Funktion des Boards .............................. 193 4.4.1 Controlling-Funktion des Boards .............................. 193 4.4.2 Selbst- und Fremdevaluation des Boards .................. 199

Teil 5 Schlussfolgerungen .................................................................... 219 5.1 Folgerungen für die Praxis ................................................... 221 5.2 Folgerungen für die Lehre .................................................... 222 5.3 Folgerungen für die Forschung ............................................ 223

Literaturverzeichnis .............................................................................. 227

Stichwortverzeichnis ............................................................................. 245

Zusammenfassung ................................................................................. 251

Vorwort

Bereits 1995 haben wir unser Konzept des „Integrierten Verwaltungsrats-Managements“ publiziert und die Forderung aufgestellt, der Verwaltungsrat müsse sich zu einem Gestaltungs- und Controllingteam entwickeln, damit Corporate Governance zu einem Wettbewerbsvorteil wird (vgl. Abb. V-1).

Abb. V-1. Entwicklungsstufen von Boards

Inzwischen ist das Thema auf Grund der zahlreichen Krisenfälle weltweit aktuell geworden. Von der globalen Finanzkrise waren sowohl Länder be-troffen, in denen der Shareholder-Value-Ansatz1 vertreten wird (wie z. B. die USA oder Grossbritannien) als auch Länder, in denen der Stakeholder-Value-Ansatz2 angestrebt wird (wie z. B. in Deutschland oder Japan). 1 Vgl. Rappaport (1986) und Stewart (1991). 2 Vgl. Freeman (1984:31): Stakeholders sind demnach „those groups without

whose support the organization would cease to exist“.

VIII Vorwort

Dies hat damit zu tun, dass sich je nach Werthaltung und Blickrichtung Corporate Governance entweder „… lediglich mit dem Schutz der Aktio-närsrechte oder mit dem Blick der Rechte aller oder zumindest eines Teiles der übrigen Interessengruppen, …“3 beschäftigt.

Sowohl in Wissenschaft als auch Praxis wird immer noch davon ausge-gangen, dass nur „two basic models of corporate governance systems … (existieren): the first model is the Anglo-American ‚market based‘ model which emphasizes the maximisation of shareholder value, while the second model is the ‚relationship-based‘ model, which emphasizes the interests of a broader group of stakeholders.“4

Wir stellen in diesem Buch einen Dritten Weg, den „Integrierten Corporate Governance“-Ansatz vor, der die Stärken der beiden traditionellen Kon-zepte zu verbinden versucht.

Damit vermeiden wir die traditionelle Frage, ob entweder der z. Zt. global immer mehr verbreitete anglo-amerikanische Shareholder-Value Ansatz oder der in einzelnen Ländern lokal in unterschiedlicher Ausprägung anzu-treffende Stakeholder-Value-Ansatz als Grundlage der Corporate Gover-nance zu verwenden sei.

Wir gehen von einem glokalen Sowohl-als-Auch Ansatz aus: d. h. wir ver-suchen, sowohl global gültige Aspekte der anglo-amerikanischen Board-Best-Practice (wie wir sie vor allem in Kanada und Neuseeland vorfinden) als auch lokale Best-Practice Governance Aspekte (wie wir sie in erfolg-reichen internationalen Pionierfirmen in vielen Ländern antreffen) zu be-rücksichtigen.6

Unternehmen sind dann nachhaltig erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, bei allen Geschäftsaktivitäten immer gleichzeitig Mehrwert für die Aktionäre, die Kunden, die Mitarbeitenden und die Gesellschaft zu schaffen.

Dabei ist es sinnvoll, dass der Board die Erfolgsanteile unternehmensspezi-fisch festlegt, z. B.:

3 Wentges (2003:74). 4 Tabalujan in Hasan (2002:488). 5 Auch für Entwicklungsländer wird meist unreflektiert der Anglo-amerika-

nische Corporate-Governance-Ansatz empfohlen, vgl. z. B. Ahunwan (2003). 6 Vgl. hierzu Beispiele in Kap. 1.1.2.

Vorwort IX

50% für Aktionärswertsteigerung (z. B. auf Grund von EVA7) 20% für Personalwertsteigerung 20% für Kundenwertsteigerung 10% für Öffentlichkeitswertsteigerung,

wobei jeweils die Ansprüche, die Zufriedenheit und die freiwillige Loyali-tät aller dieser Gruppen periodisch auf Grund eines integrierten Feedback-Instrumentariums8 gemessen werden können.

Board-

Leistungsdimension

Board-

Beziehungsdimension

(Globaler)

Shareholder-Ansatz

(Competition-Modell)

(Glokaler)

Sowohl Shareholder

als auch Stakeholder-Ansatz

(Coopetition-Modell)

(Lokaler)

Stakeholder-Ansatz

(Cooperation-Modell)

ztasnA retreirgetnIztasnArehcsinakirema-olgnA

Rheinland Ansatz

Abb. V-2. Corporate Governance Ansätze9

Das International Center for Corporate Governance (www.icfcg.org) wur-de gegründet, um alle Forschungs-, Lehr- und Beratungsaktivitäten gezielt auf diesen integrierten Ansatz auszurichten.

Dabei dient dieses Buch als Grundlagen aller Center-Aktivitäten.

7 Vgl. Stewart (1991). 8 Vgl. Hilb (2003). 9 Der sog. Rheinland-Ansatz wird z. B. in Deutschland und den Niederlanden

häufig praktiziert.

X Vorwort

Es wurde bereits in folgenden Sprachen herausgegeben:

5. Auflage New York 2015

6. Auflage Berlin 2015

2. Auflage Saigon 2007

1. Auflage Buenos Aires 2007

1. Auflage Peking 2008

1. Auflage São Paolo 2009

1. Auflage Tokyo 2013

1. Auflage Lausanne 2014

Vorwort XI

Ich benutze die Gelegenheit, herzlich all denen zu danken, die zu diesem Buch beigetragen haben: zunächst allen VR-Präsidenten, die uns beauf-tragt haben, neue Board-Konzepte ein- und Board-Evaluationen durchzu-führen. Sodann den zahlreichen Board-Teilnehmer/innen unserer VR-Se-minare und VR-Netzwerk-Workshops sowie den Teilnehmer/innen unserer alljährlichen Doktorandenseminare über Corporate Governance an der Universität St. Gallen für die zahlreichen wertvollen Diskussionen und Anregungen.

Ein besonderer Dank gilt folgenden Wissenschaftlichen Mitarbeitenden unseres Instituts:

Professor Roman Lombriser für die wertvollen Hinweise, Dr. Ursula Knorr für die kritische Durchsicht und professionelle Gestaltung der deutschspra-chigen Originalfassung dieses Buches, Dr. Doris Benz für die Überarbei-tung der ersten Auflage sowie Dr. Nina Spielmann für die Überarbeitung der fünften Auflage, Tudor Maxwell für die kompetente Übersetzung und Gestaltung der englischsprachigen Version. Ferner danken wir folgenden Kolleginnen und Kollegen, die für die Übersetzung und Vorbereitung an-derssprachiger Versionen dieses Buches verantwortlich sind:

– Manli Fu (Chinesische Version) – Prof. Dr. Trung Dinh (Vietnamesische Version) – Erica Maidana (Spanische Version) – Dr. Olena Kos (Russische Version) – Luiz Fernando Turatti (Brasilianische Version) – Nicholas Benes (Japanische Version) – Dr. Jérôme Monnier (Französische Version)

Last but not least danke ich Juliane Wagner vom Springer Gabler Verlag für die wertvolle verlegerische Betreuung dieser Publikation.

St. Gallen, 1. August 2015 Martin Hilb

Teil 0 Einführung

TEIL 0

Einführung

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 M. Hilb, Integrierte Corporate Governance, DOI 10.1007/978-3-662-46730-5_1

0.1 Ausgangslage 3

0.1 Ausgangslage

Corporate Governance ist in den letzten Jahren auf Grund der weltweiten Finanzkrise und zahlreicher aufsehenerregender Unternehmensskandale auf Boardebene (d. h. sowohl auf Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats- als auch auf Geschäftsleitungs- bzw. Vorstandsebene)1, unterstützt durch eine ein-seitige wissenschaftliche Ausrichtung, zu einem weltweit aktuellen Thema in Praxis, Forschung und Lehre geworden.

In der Praxis2 sind es vor allem folgende vier Ursachen, die zu einer Vertrauenskrise in der Öffentlichkeit gegenüber der Wirtschaft im all-gemeinen und Vorsitzenden und Mitgliedern von Supervisory und Ma-naging Boards von Unternehmen im besonderen geführt haben.

Auf sozialer Ebene:

Das Top ExecutiveValue Denken

Auf technologischer

Ebene:

Die Dot.comSeifenblase

Hauptursachen der Corporate

Governance Krise

Auf wirtschaftlicher

Ebene:

Die globale Finanzkrise

Auf ökologischer Ebene:

Die High RiskStrategien

Abb. 0-1. Hauptursachen der Corporate Governance Krise (nach Taylor)3

1. Auf technologischer Ebene bestand die Hauptursache der Corporate Governance Krise in der Dot.com Seifenblase. Übertriebene weltweite Börsen-Spekulationen in Aktien von neuen In-ternetfirmen führten laut Alan Greenspan zu „irrational exuberance“.

1 Der Supervisory Board wird in verschiedenen Ländern unterschiedlich be-

zeichnet, z. B. in der Schweiz als „Verwaltungsrat“, in Deutschland als „Auf-sichtsrat“.

2 Vgl. Taylor (2003). 3 Taylor (2003:1).

4 Teil 0: Einführung

Obwohl das Internet unbestritten einen technologischen Durchbruch bedeutete, wurde davon ausgegangen, dass es sich um ein revolu-tionäres neues Geschäftsmodell handelt, „… which it didn’t. It is a tool that companies can use to build their business, if they can combine it with distinctive products (and or services) but nothing more than that“.4

2. Auf wirtschaftlicher Ebene trugen die zahlreichen „Bad Corporate Governance“-Skandale in den USA und Europa zur globalen Finanz-krise bei.5 Gemäß einer Gallup-Umfrage weist gegenwärtig das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaft und ihre Repräsentanten den tiefsten Stand seit 1981 auf.6 Die Position von Board-Mitgliedern in den USA kann wie folgt zusammengefasst werden: – „Highly important corporate position, – with ultimate legal responsibility for company – high reliability and reputational risk, – meagre pay, and – too little time, support, or information to do the job … and – … the job doesn’t even earn much respect nowadays.“7

3. Auf risikobewusster Ebene: Viele Firmenzusammenbrüche wie z. B. der Fall Swissair8 oder Strategiefehler wie z. B. bei Vivendi-Universal oder AOL haben gezeigt, dass Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat oft zu riskante Strategien der CEOs genehmigten. Es fehlte, wie unsere Au-dits in mehreren Verwaltungsräten von Unternehmen unterschiedlicher Branchen gezeigt haben, häufig ein professioneller Risk Management Review auf Supervisory Board Ebene.9

4. Auf sozialer Ebene: In einem Doktorandenseminar baten wir die Dok-toranden aus 18 Ländern Board Miss-Managementstudien aus ihren Heimatländern zu erstellen. Auf die Frage am Schluss des Seminars, was allen diesen Fallstudien gemeinsam ist, kam die eindeutige Antwort: Fehlende Integrität, sei es auf Board-Ebene, CEO-Ebene, auf Ebene der Auditors oder des CFOs. Zusätzlich führten viele fahrlässig eingeführte, einseitige Aktienopti-

4 Taylor (2003:3). 5 Compared with GDP (The Economist, September 7, 2002:14). 6 Business Week (September 23, 2002:14). 7 Ward (2003:224). 8 Vgl. Ernst & Young Report (2003). 9 Ergebnisse unserer Verwaltungsrats-Audits: ¾ aller Audits, die wir in Verwal-

tungsräten von Unternehmen durchgeführt haben, ergaben mangelnde Risk Management Aktivitäten auf Board Ebene.

0.1 Ausgangslage 5

onsprogramme zu (wie es Henry Mintzberg ausdrückte) „legitimized corruption“ in namhaften Publikumsgesellschaften in Nordamerika und Europa.

In der Forschung wird Corporate Governance häufig nur aus Sicht einer bestimmten Theorie untersucht. Auf Grund der eben erwähnten Fehlentwicklungen der Praxis hat sich z. B. gezeigt, dass die häufig in der Corporate Governance Forschung verwendete Agency Theory11 schwerwiegende Fehler aufweist: – „Much of agency theory … unrealistically assumes that earnings

and stock prices cannot be manipulated.“12 – „Traditional Agency Theory builds primarily or exclusively, on ex-

trinsic motivation.“13 – Es werden lediglich die Bedürfnisse der Top Executives und Share-

holders (im schlimmsten Fall nur der Top Executives14), nicht aber die berechtigten Ansprüche der Mitarbeitenden, der Kunden und der Mitwelt (Öffentlichkeit, Um- und Nachwelt) berücksichtigt.

– Damit gelang es der Agency Theory auch nicht, die wichtigsten Unterschiede zwischen einzelnen Ländern zu erklären15.

10 Newing (2003:6); vgl. ferner Behr in Nötzli (2004:23). 11 Berle/Means (1932) sowie Aguilera/Jackson (2003:448ff). 12 Brecht et al. (2002:47). 13 Frey (2003:4). 14 Wir sprechen in diesem Fall von Top Executive Value. 15 Aguilera/Jackson (2003:448).

Zusammenfassend soll Sir David Tweedie, Chairman of the IASB zitiert werden:

– „… Executive boards failed; – non-executives were kept in the dark; – audit committees failed; – auditors fell asleep at the wheel or let problems go; – credit-rating agencies did not do too well; – analysts missed it; – the SEC failed to regulate; and – the investment banks and lawyers (and consultants) were part of the

problem, helping companies with their questionable deals, … It wasn’t just one little piece gone wrong … The whole system was

collapsing.“10

6 Teil 0: Einführung

Die Monitoring Rolle des Supervisory Boards muss somit differenzierter und ganzheitlicher behandelt werden. Zudem muss die Forschung in Cor-porate Governance auch die andern zentralen Rollen von Supervisory Boards berücksichtigen:

Die Resource Dependency Theory soll z. B. zeigen, dass Board-Mitglie-der wertvolle Ressourcen und Coachingfunktionen für den CEO einbrin-gen können.

Dabei besteht die Kunst der Board-Führung darin „… to build and main-tain trust in their relationship with executives, but also to maintain some distance so that effective monitoring can be achieved.“16

Die Stewardship Theory17 soll zeigen, dass die strategische Entschei-dungsfindung im Unternehmen dadurch verbessert werden kann, dass das Supervisory Board das Top Management (als Stewards) in der ganzheitli-chen Gestaltung der Zukunft des Unternehmens unterstützt.

Die Institutional Theory18 versucht ferner, Corporate Governance im Kontext vieler unterschiedlicher sozialer und kultureller institutioneller Faktoren zu behandeln.

Alle diese Forschungsansätze behandeln Corporate Governance lediglich aus einer Perspektive. In Zukunft geht es darum, Corporate Governance aus integrierter Sicht zu erforschen, wie es z. B. Hung mit seiner wertvol-len Forschungs-Typologie19 vorschlägt. Dieser Ansatz dient uns als zweckmäßiger Kompass für unser Modell (vgl. Abb. 0-3).

Die Grenze der gegenwärtigen Corporate Governance Lehre kann, (ähnlich der Lehre im Human Resource Management) wie folgt zusammengefasst werden: „One short-coming has been the tendency of textbooks in the area to make prescriptions about the ‚best practice‘ … without providing a credible analytical framework for the students or the practitioners.“20 Es herrscht ein ausgeprägter Mangel an integrier-ten Corporate Governance Konzepten.

16 Daily/Canella (2003:376). 17 Vgl. Davis et al. (1997). 18 Vgl. Aoki (2001). 19 Hung (1998:105). 20 Boxall (1992:60).

0.2 Zielsetzung 7

So zeigt eine Analyse über den Entwicklungsstand des Lehrbereichs (ähn-lich wie im HRM), dass „… the future academic strength of Corporate Governance will depend on how effectively present scholars dedicate themselves to building credible analytical frameworks – priority at the level of the firm but with the capability of providing an adequate discipli-nary basis for comparative Corporate Governance.“21

0.2 Zielsetzung

In diesem Buch soll ein neuer integrierter Ansatz der Corporate Gover-nance, kurz „New Corporate Governance“22, vorgestellt werden, der die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Schwachstellen in Praxis, For-schung und Lehre zu überwinden versucht.

„New Corporate Governance“ basiert danach auf dem umgekehrten „KISS-Prinzip“:

Unser ganzheitlicher Ansatz der Gestaltung und Erfolgsevaluation von Unternehmen integriert somit bisher in Forschung, Lehre und Praxis weit-gehend isoliert behandelte Komponenten der Corporate Governance:

21 Vgl. Boxall (1992:75). 22 Hilb (2005).

8 Teil 0: Einführung

Teil 1 behandelt die situative Dimension der Corporate Governance und baut sowohl auf der Institutions-Theorie23 als auch auf der Situations-Theorie24 auf.

Teil 2 behandelt die strategische Dimension der Corporate Governance und basiert auf der Stewardship-Theorie25 und der Rollen-Theorie26.

Teil 3 umfasst die ressourcenorientierte Dimension der Corporate Gover-nance und weist die Resource Dependency Theorie27 als Grundlage auf.

Teil 4 zeigt die evaluative Dimension der Corporate Governance auf und nimmt Bezug auf die Agency Theorie28 und die Stakeholder Theorie29.

0.3 Vorgehen

Wir unterscheiden in diesem Buch drei Phasen:

Phase I: In der Phase der Problemklärung sollen Ausgangslage, Ziel-setzung, Vorgehen, Begriff und Modell präzisiert werden (Ein-führungskapitel).

Phase II: In der Phase der Konzeptvorstellung soll das Modell der „New Corporate Governance“ näher vorgestellt werden (Hauptkapitel 1, 2, 3 und 4).

Das vorgestellte Konzept ist über Jahre langsam gereift, wobei der Autor in verschiedenen Rollen tätig war und dabei die An-schauungen unterschiedlicher Interessen kennen lernen durfte:

– Als Lernender: Teilnahme an internationalen Corporate Governance Semina-ren der Harvard Business School, des Henley College in Oxford und des IMD in Lausanne.

23 Vgl. Aoki (2001). 24 Vgl. Fiedler (1967). 25 Vgl. Davis et al. (1997). 26 Vgl. Neuberger (1995). 27 Vgl. Hillman et al. (2000). 28 Vgl. Jenson/Meckling (1976). 29 Vgl. Freemann (1984).

0.4 Begriffsklärung 9

– Als Forscher: Seit 1993 alljährliche Durchführung von Doktoranden-Semi-naren über Corporate Governance an der Universität St. Gallen; Leitung des Forschungs-Workshops über Corporate Gover-nance am ‚European Institute for Advanced Studies in Ma-nagement‘ in Brüssel, sowie Mitglied des ‚European Council on Corporate Governance des Conference Board‘.

– Als Boardmitglied: In der Funktion als Präsident, Vize-Präsident und Mitglied in zehn Organisationen.

– Als Leiter: Gründer des International Center for Corporate Governance (www.icfcg.org) sowie des Swiss Institute of Directors (www.siod.ch).

– Als Moderator: 2009–2012 Moderation von Workshops zur Corporate Gover-nance am WEF in Davos, Dalian und Tianjin, seit 1997 Leitung von Netzwerk-Workshops mit Verwaltungsratspräsidenten von KMUs sowie Durchführung von Board-Seminaren in Nord-amerika, Europa, Naher Osten und Asien.

– Als Berater: Entwicklung, Einführung und Erfolgsevaluation von integier-ten Board-Management-Konzepten sowie Selbst- und Fremd-Evaluationen von Boards in Unternehmen verschiedener Grö-ße, Branche und Länderkultur.

Phase III: In der Phase der Ergebnisbewertung sollen schließlich der Geltungsbereich unseres integrierten „New Corporate Gover-nance“ Konzepts dargestellt und Folgerungen für zukünftige Arbeiten in Praxis, Forschung und Lehre abgeleitet werden (Schlusskapitel 5).

0.4 Begriffsklärung

In diesem Kapitel soll der Begriff „New Corporate Governance“ bestimmt, abgegrenzt und eingeordnet werden.

10 Teil 0: Einführung

(a) Corporate Governance wird häufig nach Cadbury als System definiert, „… by which companies are directed and controlled“30 oder nach Demb und Neubauer als „… the process by which corporations are made responsive to the rights and wishes of stakeholders“.31 Deshalb sollte der Verwaltungsrat treffender als Gestaltungs- und Con-trollingteam bezeichnet werden. Wir definieren „New Corporate Governance“ als System „by which companies are strategically directed, integratively managed and holis-tically controlled in an entrepreneurial and ethical way in accordance with a particular context“.

(b) Wir grenzen die „New Corporate Governance“ von traditioneller Corpo-rate Governance32 auf Grund unserer vier KISS-Faktoren wie folgt ab:

Tabelle 0-1. Unterscheidungsmerkmale von Traditional und „New Corporate Governance“

Unterschei-dungsmerkmal

Traditional Corporate Governance

New Corporate Governance

Situational Implementation

Keine Unterscheidung zwischen unterschiedli-chen Landes-, Branchen- und Unternehmens-kulturen

Gezielte Anpassung an den Kon-text des Unternehmens (Keep it situational)

Strategic Direction

Unternehmensgestal-tung, keine Funktion des Aufsichtsrats

Unternehmensgestaltung als eine zentrale Funktion des Supervisory Boards (Keep it strategic)

Integriertes Board Management

Lediglich isolierte No-mination und Remunera-tion Committees in Pub-likumsgesellschaften

Integrierte gezielte Selektion, Beurteilung, Honorierung und Förderung der Supervisory und Managing Boards (Keep it integrated)

Holistic Monitoring

Lediglich Controlling der finanzwirtschaftli-chen Dimension

Ganzheitliche Erfolgsevaluation aus Sicht der Shareholders, der Kunden, der Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit (Keep it controlled)

30 Cadbury (2002:1). 31 Demb/Neubauer (1992:187). 32 „Corporate Governance deals with the ways in which suppliers of finance to

corporations assure themselves of getting a return on their investment.“ Schleifer/Vishny (1997:737).

0.5 New Corporate Governance-Modell 11

Zudem gehört die unternehmerische und ethische Ausrichtung zu ei-nem integrierten Bestandteil unserer Definition von Corporate Gover-nance.

(c) Wir ordnen „New Corporate Governance“ wie folgt in ein Begriffsge-rüst:

Corporate Governance

(C.G.)

Traditional C.G.(undifferenziert)

New C.G.(differenziert)

UnternehmensspezifischBranchen-

spezifisch

Anspruchsgruppen-

orientiert

BankGovernance

NPOGovernance

CooperativeGovernance

Public CorporateGovernance

HospitalGovernance

Kunden

AktionäreC.G. vonbörsen-notiertenPublikums-gesell-schaften

C.G. vonnichtbörsen-notiertenGesell-schaften

C.G. vonbörsen-notiertenKMU

C.G. vonnicht börsen-notiertenFamilien-Gesell-schaften

Personal

Gesellschaft

(gleichzeitignutzenstiftend für)

C.G. vongroßenbörsen-notiertenGesell-schaften

C.G. vonnicht börsen-notiertenPublikums-Gesell-schaften

etc.

Abb. 0-2. Corporate Governance Begriffsgerüst

0.5 New Corporate Governance-Modell

„Corporate governance researchers have a unique opportunity to directly influence corporate governance practices through the careful integration of theory and empirical study. It has not always been clear, however, whether practice follows theory, or vice versa.“33

In diesem Buch wird ein Modell der „New Corporate Governance“ als in-tegrierter Ansatz im Dienste aller unternehmensrelevanten Anspruchsgrup-pen, d. h. der Eigentümer, der Kunden, des Personals und der Mitwelt (d. h. Um- und Nachwelt und Öffentlichkeit) von Organisationen, vorgestellt.

33 Daily/Canella (2003:371).

12 Teil 0: Einführung

Abb. 0-3. Modell der „Integrierten Corporate Governance“ (auf Grund des KISS-Ansatzes)

Unter Modell verstehen wir „… an abstraction that preserves in economi-cal form most of the points that have been developed.“34

Unser „New Corporate Governance“-Modell beinhaltet vier Teile:

Teil 1: Die situative Board Dimension (Keep it situational)

Dabei unterscheiden wir die externe und interne Kontext-Dimension.

34 Weick (1979:95).

0.5 New Corporate Governance-Modell 13

Die Corporate Governance Praxis unterscheidet sich dabei auf externer Kontext-Ebene je nach Institutions-, Landeskultur- und Normen-Kontext.

Unternehmensspezifisch sind auf interner Kontext-Ebene die Eigentums- und Machtverhältnisse sowie die Größe und Kom-plexität des Unternehmens, der Internationalisierungsgrad so-wie die angestrebten Board-Funktionen von Bedeutung.

Teil 2: Die strategische Board Dimension (Keep it strategic) Dabei unterscheiden wir vier zentrale Erfolgsfaktoren der Cor-

porate Governance. Das gezielt zusammengesetzte Board-Team, das für alle An-

spruchsgruppen des Unternehmens Vorbildwirkung erzeugen muss, ist die Voraussetzung für eine konstruktiv-kritische Board Vertrauens-Kultur.

Diese lässt sich durch einfache vernetzte Board-Strukturen und -Prozesse umsetzen. Die genannten Erfolgsfaktoren sind Vo-raussetzung, dass anspruchsgruppenorientierte Board-Erfolgs-maßstäbe entwickelt, umgesetzt und evaluiert werden.

Teil 3: Die integrierte Board-Management-Dimension (Keep it integrated) Diese Dimension integriert die gezielte Selektion, Beurteilung,

Honorierung und Entwicklung von Mitgliedern des Superviso-ry und Managing Boards. Für größere Publikumsgesellschaften wird zudem die Bildung eines Integrierten Board-Management-Kommittees empfohlen, das übliche Nomination und Remune-ration Kommittees verbindet und durch Board-Evaluation und -Entwicklung ergänzt.

Teil 4: Die Board-Controlling Dimension (Keep it controlled) Diese Dimension umfasst die Auditing-, Risk Oversight-,

Kommunikations- sowie die Evaluations-Funktionen des Boards.

Das vorgestellte Modell weist wie gesagt folgende vier Bestandteile auf:

14 Teil 0: Einführung

S

S

I

K

SKeep it ituational (Kontextdimension)

SKeep it trategic (Gestaltungsdimension)

IKeep it ntegrated (Board-Managementdimension)

K controlledeep it (Evaluationsdimension)

Auch bei diesem Modell ist auf die Schwierigkeit hinzuweisen, komplexe Systeme, wie es die New Corporate Governance darstellt, vereinfacht wie-derzugeben: „Sobald man (nämlich) … Teile aus dem Gesamtsystem her-auslöst, führt eine solche Isolierung zu einer Denaturierung der Sachver-halte.“35 Nur wenn man sich der Unzulänglichkeit dieses Isolierens und damit der limitierenden Bedingungen des Modells bewusst ist, kann dieses Vorgehen als wissenschaftlich legitim gelten.36

Die Grenzen liegen u. E. vor allem in folgenden zwei Punkten:

– Unser Bildmodell weist die in der Sozialforschung übliche Tendenz auf, „… der Interdependenz ein Lippenbekenntnis zu zollen, um dann die (Elemente doch) isoliert zu untersuchen.“37

– Die Aufgliederung der Corporate Governance in einzelne zentrale Komponenten hat zwar für unsere Studie analytische Bedeutung, in der Praxis lassen sich allerdings oft keine klaren Grenzen ziehen. Es gibt ei-nige Überschneidungen und Interdependenzen zwischen den Faktoren.

Trotz dieser Haupteinwände weist das vorgestellte Bildmodell gegenüber den bisherigen Modellen den Vorteil auf, dass es die Brownschen Modell-anforderungen38, also Einfachheit, Klarheit und Konsequenz der formalen Struktur, Wirklichkeitsnähe und damit Eignung für relevante Voraussagen besser erfüllt.

Im Folgenden 1. Teil wird zunächst die Kontextdimension der Corporate Governance vorgestellt. Wir gehen dabei im Unterschied zu vielen bisheri-gen Publikationen zur Corporate Governance davon aus, dass es keinen „one size fits all“ Board-Ansatz gibt.39

35 Maleztke (1972:1515). 36 Koenig (1967:7). 37 McQuail (1973:83). 38 Brown (1965:549). 39 Unser Bildmodell soll mehr sein als eine reine Analogie: es soll „… the key

structure of the system under study“ aufzeigen. Beer (1981:75).

Teil 1 Situative Board Dimension

TEIL 1

SituativeBoard Dimension

Keep it situational

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 M. Hilb, Integrierte Corporate Governance, DOI 10.1007/978-3-662-46730-5_2