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INTERJEKTE 8 2016

Stephanie Eichberg

SCHMERZGRENZEN UND REIZSCHWELLENChristine Kutschbach

PaNEM ET CIRCENSES 20

ZWEI VORTRAumlGE IM RAHMEN DER AUSSTELLUNG raquoNO PAIN NO GAMElaquo

Zentrum fuumlr Literatur- und Kulturforschung Berlin Schuumltzenstraszlige 18 | 10117 BerlinT +49(0)30 201 92-155 | F -243 | sekretariatzfl-berlinorg

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INTERJEKTE ist die thematisch offene Online- Publikationsreihe des Zentrums fuumlr Literatur- und Kulturforschung (ZfL) Sie versammelt in loser Folge Ergebnisse aus den Forschungen des ZfL und dient einer beschleunigten Zirkulation dieses Wissens Informationen uumlber neue Interjekte sowie aktuelle Programmhinweise erhalten Sie uumlber unseren E-Mail-News letter Bitte senden Sie eine E-Mail mit Betreff raquoMailing-Listelaquo an zimmermannzfl-berlinorg

IMPRESSUM

Herausgeber Zentrum fuumlr Literatur- und Kultur-forschung Berlin (ZfL) wwwzfl-berlinorg

Direktorin Prof Dr Eva GeulenRedaktion Dr Christine KutschbachGestaltung KRAUT amp KONFETTI GbR BerlinLayout Satz Dominik FluumlgelTitelbild raquoThe Headachelaquo von G Cruikshank 1835

copy 2016 Das Copyright und saumlmtliche Nutzungsrechte liegen ausschlieszliglich bei den Autoren ein Nachdruck der Texte auch in Auszuumlgen ist nur mit deren aus-druumlcklicher Genehmigung gestattet

INHALT

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04 SCHMERZGRENZEN UND REIZ-SCHWELLEN

WIE KANN MAN SCHMERZ (ER) MESSEN

Stephanie Eichberg

18 PaNEM ET CIRCENSES 20 TOumlDLICHE SPIELE IN LITERATUR

UND FILM Christine Kutschbach

Die hier veroumlffentlichten Vortraumlge wurden von Stephanie Eichberg und Christine Kutschbach am 17 Mai und 14 Juni 2016 im Rahmen der Ausstellung raquono pain no gamelaquo im Museum fuumlr Kommunikation Berlin gehal-ten

Stephanie Eichberg leitet am ZfL das For-schungsprojekt raquoSchmerzforschung Fallstu-die zum Verhaumlltnis von neurowissenschaftli-chen psychologischenpsychoanalytischen und klinischen Deutungenlaquo Christine Kutschbach ist Literaturwissenschaftlerin und war bis Ende 2016 Leitungsreferentin am ZfL

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SCHMERZGRENZEN UND REIZ SCHWELLEN WIE KANN MAN SCHMERZ (ER)MESSEN

Stephanie Eichberg

Die Weltschmerzorganisation IASP (International Association for the Study of Pain) definiert Schmerz als raquoein unangenehmes Sinnes- und Gefuumlhlserlebnis das mit aktueller oder potentieller Gewebeschaumldigung verknuumlpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schauml-digung beschrieben wirdlaquo1 Der ungleich laumlngere An-hang verweist nachdruumlcklich auf die Subjektivitaumlt des Schmerzerlebens das heiszligt auf die individuelle im Laufe des Lebens erlernte Wahrnehmung und Verar-beitung von Schmerzreizen sowie auf die Bandbreite kultureller Ausdrucksmoumlglichkeiten Was unerwaumlhnt bleibt die Vorstellung vom Schmerzerleben aber nachhaltig praumlgt ist die Kategorisierung von Schmerz als ein Grenz- oder Schwellenphaumlnomen Schmerz wird oft in Begriffen beschrieben die das Vorhanden-sein von Grenzen Barrieren Toren Schranken oder Schwellen evozieren Es sind raumlumliche Metaphern

1 Diese bis heute guumlltige Definition erschien erstmalig auf Englisch in einer fruumlhen Ausgabe der IASP-Zeitschrift Pain siehe Bonica J J Editorial ndash The Need of a Taxonomy Pain 6 (1979) S 247ndash252 hier S 250

die den physischen oder psychischen Moment eines Uumlbergangs ausdruumlcken vom Reiz zum Schmerz vom Gefuumlhl zur Agonie von der aumluszligeren zur inneren Wahrnehmung Schmerz ist somit eine rsaquoGrenzerfah-runglsaquo von Koumlrper und Psyche deren Zusammenspiel uns ein einheitliches Erleben beschert nachtraumlglich aber nur als ein Uumlbergang von einem Zustand in einen anderen beschrieben werden kann

Insbesondere in der Schmerzforschung werden Reizschwellen neuronale Kontakt- oder Kontroll-schranken Ein- oder Durchlaumlsse mit ihren jeweiligen rsaquoGrenzwertenlsaquo als Komponenten einer topographisch vorstellbaren Infrastruktur des Koumlrpers verhandelt Was aber repraumlsentieren Schwellen und Grenzen im Kontext des Schmerzerlebens Welche Empfin-dungsmechanismen werden damit suggeriert Zum einen beschwoumlren diese Begrifflichkeiten dezidierte Punkte oder Orte in unserem Inneren an denen eine Art Barriere durchbrochen werden kann sei es auf physiologischer oder psychischer Ebene Gleichzeitig umfasst die Topographie des Schmerzes neben Or-

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Stephanie Eichberg

Waumlhrend in beiden Bildern der Schmerzreiz von der Peripherie ins Zentrum bzw das Gehirn wandert und dort eine Reaktion ausloumlst beschreibt die alte von Reneacute Descartes postulierte Theorie den Schmerz jedoch lediglich als reflexausloumlsende rein koumlrperliche Reaktion (s Abb 2) In Melzacks und Walls Schema

1662) wurde erst durch den og Paradigmenwechsel der 1960er Jahre ins Wanken gebracht

ten des Uumlbergangs die als fixiert dargestellt werden wie mit dem Begriff der Grenze suggeriert auch Orte die weniger klar umrissen scheinen Spielraum lassen und beeinflusst werden koumlnnen wie die Schwelle

Im Phaumlnomen des Schmerzes sind grundsaumltzlich diverse Schwellen- und Grenzfunktionen enthal-ten zum Beispiel die Schwelle zwischen Erlebtem und Beobachtetem zwischen Koumlrper und Psyche zwischen Objekt und Subjekt Auch die potentielle Aufloumlsung einer Grenze zwischen Natur und Kultur im Schmerzerleben wird vorstellbar denn wenn wir Schmerzen erleiden nehmen wir die biologischen und die uns beeinflussenden kulturellen Faktoren nicht getrennt voneinander wahr Eine Grenzuumlber-schreitung ist waumlhrend des subjektiven Erlebens nicht wirklich auszumachen Im Gegensatz zum eigentlich Erlebten bleibt unser Denken uumlber den Schmerz jedoch fragmentiert was nicht nur dem Leib-Seele-Dualismus geschuldet ist Die verschie-denen Herangehensweisen an den Schmerz ndash vom Fokus auf die molekulare Ebene die hirnanatomische Lokalisation oder die epigenetische Disposition bis hin zum Einfluss der Metaphorik mit der wir den Schmerz den wir fuumlhlen beschreiben ndash rufen unterschiedliche disziplinaumlre Erklaumlrungsmodelle auf den Plan Dagegen wird heute zunehmend versucht in interdisziplinaumlrer Zusammenarbeit die verschiede-nen Komponenten des Schmerzerlebens auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen also auch die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Denk- und Erklaumlrungsmodellen aufzuloumlsen

Der Ursprung unseres heutigen Bemuumlhens innerhalb wissenschaftlicher Parameter ein disziplinuumlbergrei-fendes Schmerzmodell zu entwickeln geht zuruumlck auf eine revolutionaumlre Schmerztheorie die seit den 1960er Jahren die Forschung maszliggeblich beeinflusst Als Resultat der Zusammenarbeit des Neurowis-senschaftlers Patrick D Wall und des Psychologen Ronald Melzack integrierte die 1965 veroumlffentlichte raquoKontrollschrankentheorielaquo erstmalig den Einfluss des Bewusstseins auf der physiologischen Ebene des Empfindens2 Bildlich dargestellt scheint die Theorie auf den ersten Blick einem jahrhundertealten cartesi-anischen Reiz-Reaktionsschema verhaftet zu sein3

2 Ronald M und Wall P D Pain Mechanisms A New Theory Science New Series vol 150 No 3699 (1965) S 971ndash979

3 Der franzoumlsische Philosoph Reneacute Descartes (1596ndash1650) gilt als Begruumlnder des Leib-Seele-Dualismus Seine Be-schreibung von Schmerz als rein koumlrperlichem Reiz-Reakti-onsautomatismus in Analogie zu einem Seilzug an dessen Ende eine Glocke zum Laumluten gebracht wird (De Homine

Abbildung 2 Reneacute Descartes De Homine 1662

Abbildung 3 Kontrollschrankentheorie (Gate Control Theory) MelzackWall 1965

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Schmerzgrenzen und Reizschwellen Wie kann man Schmerz (er)messen

geschieht hingegen Folgendes (s Abb 3) Ein Reiz aus der Peripherie trifft auf spezifische Neuronen im Hinterhorn des Ruumlckenmarks die als rsaquoTorhuumlterlsaquo fungieren und sich auf molekularer Ebene dem ankommenden Schmerzreiz entweder oumlffnen oder verschlieszligen Ein offenes rsaquoTorlsaquo laumlsst den Reiz wei-terwandern zum Gehirn wo er als Schmerz bewusst wahrgenommen wird Die psychische Wahrnehmung aber abhaumlngig von unserer jeweiligen Konstitution Kognition Emotionsverarbeitung und dem Kontext des Schmerzerlebens hat ihrerseits Einfluss darauf ob und wie weit sich dieses neurologische rsaquoTorlsaquo oumlffnet oder schlieszligt das heiszligt wie der Schmerz erlebt wird und mit welcher Intensitaumlt Das Konzept einer neurologisch-molekularen rsaquoKontrollschrankelsaquo reprauml-sentiert also nicht mehr nur symbolisch einen Ort des Uumlbergangs einen Grenzbereich an dem Physisches und Psychisches aufeinandertreffen und sich gegen-seitig beeinflussen vielmehr hat es in Gestalt von Neuronen und Neurotransmittern den Schritt von der vorgestellten zur real-physischen Topographie des Koumlrpers vollzogen In Verbindung mit dem Konzept eines Schmerzgedaumlchtnisses welches die molekula-re rsaquoWaumlchterfunktionlsaquo der neuronalen Tore dauerhaft veraumlndern kann fuumlhrte die zugrunde liegende Annah-me eines plastischen das heiszligt sich veraumlndernden neuronalen Netzwerkes zum heutigen multimodalen Schmerzmodell das davon ausgeht dass selbst Gedanken und Worte das zentrale Nervensystem um-formen koumlnnen4 Harro Albrecht beschreibt in diesem Sinne den Schmerz als raquomaumlchtige[n] Gestalter des Nervensystemslaquo5 Die wichtigste Hinterlassenschaft der Kontrollschrankentheorie ist jedoch die Gleichstel-lung der psychischen mit den physischen Komponen-ten des Schmerzerlebens

4 Albrecht H Schmerz Eine Befreiungsgeschichte Patt-loch 2015 S 376

5 Ebd S 347

Im Zuge von Melzacks und Walls Schmerztheorie erfolgte die Gruumlndung der Weltschmerzorganisation die von ihr aufgestellte Definition von Schmerz die Etablierung von Schmerzkliniken und der Einsatz verschiedener subjektiver Messverfahren in der Schmerzdiagnostik Auch wenn die anfangs erwaumlhnte Schmerzdefinition recht vage erscheint vermittelt sie vor allem eine Verschiebung des Schwerpunkts vom rein Physischen hin zum Psychischen vom Objek-tiven zum Subjektiven und ultimativ den Versuch die beiden Ebenen gleichzustellen Zudem wird die Deutungshoheit uumlber jedwedes Schmerzerleben ex-plizit auf den Schmerzleidenden uumlbertragen dessen individuelle Lebenssituation und Geschichte weit uumlber Koumlrperempfindung und Kontext seines spezifischen Schmerzerlebens hinaus verweisen Unser heutiges Verstaumlndnis von Schmerz beinhaltet somit dass unser Denken und unsere emotionale Verarbeitung von Schmerz nicht angeboren sondern groumlszligtenteils erlernt sind das heiszligt es sind nicht ausschlieszliglich biologische Mechanismen am Werk sondern auch erfahrungsbedingte die in ihrem jeweiligen sozia-len und kulturellen Kontext eingebettet sind In der Medizin findet diese Erkenntnis ihre Entsprechung im sogenannten raquobiopsychosozialen Schmerzmodelllaquo in der das Schmerzerleben als komplexe Wechsel-wirkung zwischen biologischen psychischen und sozialen bzw kulturellen Faktoren verhandelt wird6 Dieses Schmerzmodell repraumlsentiert aus therapeuti-scher Perspektive den Versuch der Vielfaumlltigkeit von Schmerzursachen Schmerzwahrnehmungen und Schmerzverhalten gerecht zu werden (s Abb 4)

6 Siehe Weiner H Auf dem Weg zu einer integrierten Medi-zin In Deter H-C (Hg) Psychosomatik am Beginn des 21 Jahrhunderts Chancen einer biopsychosozialen Medizin Bern 2001

Abbildung 4 Biopsychosoziales Modell

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Da mir das noumltige Ruumlstzeug fehlte meine neuronalen Aktivitaumlten zu messen (die vielleicht am ehesten einen punktuellen rsaquoobjektivenlsaquo wenn auch nur physi-schen Uumlbergang vom Reiz zum Schmerz darstellen koumlnnten) war der Anspruch des Versuchs zumindest den Moment des einsetzenden Schmerzes zu erfas-sen ndash was natuumlrlich nicht gelang Im Selbstversuch blieb und bleibt kein Raum den Schmerz zu den-ken geschweige denn zu evaluieren was nicht nur etwas mit dem Sekundenbruchteil des applizierten Schmerzreizes zu tun hat oder mit seiner Intensitaumlt die in meinem Fall zu haumlufigen Unterbrechungen des Spiels fuumlhrte sondern auch schlicht der Unmoumlglich-keit geschuldet ist die Einheit des Schmerzmoments in die notwendigen Fragmente des beschreibbaren Erlebens aufzuspalten Was fuumlhle ich wie fuumlhle ich es wie stark wie schwach wann genau ist meine individuelle rsaquoSchmerzgrenzelsaquo uumlberschritten Eine Reflektion dieser Art ist nur im Nachhinein moumlglich Zudem hatte die Erwartung des Schmerzes meine To-leranzschwelle fuumlr besagte Reize erheblich gesenkt was einen interessanten Aspekt der psychischen Modulation koumlrperlicher Schmerzen beleuchtet Die fokussierte Aufmerksamkeit generiert naumlmlich ein weiteres Moment der Verschiebung von Schmerz-grenzen und Reizschwellen Waumlhrend die Konzentra-tion auf den Schmerz die Schwelle senkt erhoumlht sich

Trotz der ausgewiesenen Verbindungen die das biopsychosoziale Schmerzmodell charakterisieren faumlllt auf dass es weiterhin relativ klar abgegrenzte Komponenten innerhalb des Modells gibt Dies schlaumlgt sich auch im therapeutischen Bereich nieder denn die verschiedenen Komponenten repraumlsentie-ren zugleich die Deutungshoheit unterschiedlicher Disziplinen Je nach Lokalisation der Beschwerden beteiligen sich somit Neurophysiologen eine Band-breite medizinischer Fachaumlrzte Psychologen und Psychotherapeuten an der Behandlung von Schmerz-patienten waumlhrend die sozialen und kulturellen Faktoren eher abseits des therapeutischen Agierens von Soziologen Anthropologen und Kulturforschern genauer untersucht werden die ihrerseits ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand zunehmend mit den neuesten Erkenntnissen aus der Hirnforschung korrelieren Die Ausdifferenzierung des Schmerzerlebens wird dem komplexen Phaumlnomen rsaquoSchmerzlsaquo durchaus ge-recht Andererseits ruumlcken in der zunehmenden dis-ziplinaumlren Ausfaumlcherung grundsaumltzliche Fragen aus dem Blickfeld Was genau ist Schmerz uumlberhaupt Kann und sollte man dieses komplexe Phaumlnomen auf eine einzige allumfassende Definition herunter-brechen Wie kann man ihn einheitlich untersuchen sichtbar machen messen Selbst wenn Schmerz im Rahmen eines simplen Reiz-Reaktionsschemas abgehandelt wird stellt sich stets die Frage wann ein Reiz zum Schmerz wird und wie wir damit umgehen

Diese Fragen waren fuumlr mich der Anlass die wan-dernde Ausstellung No Pain No Game zu besuchen die vom 16 Maumlrz bis 26 Juni 2016 im Museum fuumlr Kommunikation in Berlin zu sehen (bzw zu erfah-ren) war Eines der interaktiven Exponate die ihrem Namen alle Ehre machende Pain Station bietet den Besuchern neben Spaszlig und Spiel den fragwuumlrdi-gen Genuss echter Schmerzen Der Urversion des Computerspiels raquoPonglaquo nachempfunden wurde das Spiel um eine zunaumlchst harmlos wirkende metallene Platte zur Linken des jeweiligen Spielers erweitert auf die die Besucher waumlhrend des gesamten Spiels ihre Hand auflegen Die Funktion der Platte ist die Spieler bei Fehlern im Spielablauf mit echten Schmerzreizen zu bestrafen durch Erhitzung der Platte Elektro-schocks oder mittels Peitschenhieben (s Abb 5 6)

Abbildung 5 Pong

Abbildung 6 Pain Station

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Am Beispiel der numerischen Skala (s Abb 7) stellt sich allerdings auch hier die Frage was genau im Falle des Schmerzerlebens eigentlich rsaquogemessenlsaquo wird Repraumlsentiert zum Beispiel eine rsaquo3lsaquo auf der Skala vielleicht doch einen objektiv messbaren Wert an dem sich alle Schmerzleidenden (un)wis-sentlich orientieren Oder wird die rsaquo3lsaquo des einen in einem anderen Kontext oder bei einer anderen Per-son zur rsaquo7lsaquo Koumlnnte ich zum Beispiel meine von der Pain Station zugefuumlgten Schmerzen mit dieser Skala (er)messen Im Ruumlckblick ist es durchaus moumlglich zu sagen dass mir die heiszlige Platte eine aushaltbare rsaquo3lsaquo auf der Skala von 1 bis 10 zugefuumlgt hat der Elektro-schock aufgrund der Kuumlrze eine rsaquo2lsaquo und die Peitsche wegen der schnellen und andauernden Abfolge einzelner Peitschenhiebe eher dazu fuumlhrt dass sich der Schmerz auf der Skala fortbewegt gefuumlhlt nach oben klettert bzw auf der Skala von links nach rechts wandert vom ersten Peitschenhieb ndash einer gefuumlhlten rsaquo1lsaquo ndash bis zum letzten Peitschenhieb der eher dazu fuumlhrte dass sich die numerisch gesetzte Grenze der Skala quasi aufloumlste weil dieser letzte Peitschenhieb fuumlr mich im Nachhinein keine rsaquo10lsaquo sondern den Mo-ment des Unaushaltbaren darstellt (also den Moment an dem ich meine Hand wegziehen musste)

Hier tritt die generelle Problematik zutage den Schmerz numerisch oder auch graphisch darzu-stellen geschweige denn zu rsaquomessenlsaquo Das eigene Schmerzerleben laumlsst sich selten eindeutig mit einer abstrakten Zahl oder Kurve identifizieren Zudem erfordern Diagramme oder Skalen feste Bestandsgroumlszligen an denen sich interpretatorische Bedeutungen ableiten lassen diese sind im Schmerz nicht gegeben selbst wenn oder gerade weil die subjektive Einschaumltzung im Mittelpunkt der Messung liegt (meine nachtraumlgliche Einschaumltzung der verschie-denen Schmerzreize ist nur durch den Vergleich der jeweiligen Reizintensitaumlten moumlglich nicht weil eine rsaquo2lsaquo oder rsaquo3lsaquo eine allgemeinguumlltige Referenz darstellt) Die klassischen Zahlen- oder Kurvendiagramme werden deshalb hauptsaumlchlich zur Ermittlung von Reizpo-tentialen und Schmerzschwellen als Hilfsvariablen in Labor- oder Therapiestudien eingesetzt (s Abb 8)

die Toleranz bei der Konzentration auf das Spiel um ein Vielfaches so dass selbst substantielle Gewebe-schaumldigungen waumlhrend des Spiels nicht wahrgenom-men werden oder aber auf den zweiten Platz einer Wahrnehmungshierarchie verwiesen werden der den Schmerz-Vermeidungsreflex (das Zuruumlckziehen der Hand) aufhebt7

Die geschilderte Spielsituation ist sicherlich nicht repraumlsentativ fuumlr unser Schmerzerleben im Alltag das eher durch Krankheit oder Verletzungen bedingt ist Doch ist es wohl auch im Fall eines krankheits-bedingten uumlberfallartigen Schmerzes oder einer Verletzung genauso wenig moumlglich den spezifischen Schmerz im eigentlichen Moment des Erlebens zu beschreiben8 Warum aber sprechen wir auch im Alltag von rsaquounseren Schmerzgrenzenlsaquo als waumlre der Schmerz ein klar umrissenes messbares Phaumlnomen Eine rsaquoGrenzelsaquo oder rsaquoSchwellelsaquo deren Definition in der Psychophysik die Mindeststaumlrke eines physikalischen Reizes oder den Punkt auf einem Reizkontinuum markiert der erreicht werden muss um eine eben merkliche Empfindung auszuloumlsen kann nur be-stimmt werden wenn das Subjekt in der Lage ist diesen Punkt zu benennen9 Dass mit dem Begriff der Reizschwelle in der Schmerzforschung haumlufig operiert wird und wir subjektiv unsere Schmerzgrenzen zu kennen scheinen suggeriert faumllschlicherweise dass wir die Faumlhigkeit besitzen diesen Punkt in unserem Inneren ausfindig zu machen und zu bestimmen Das Konzept einer Schwelle oder Grenze ermoumlglicht es natuumlrlich einen Reiz oder Schmerz in der Vorstellung uumlberhaupt erst rsaquomessbarlsaquo zu machen zu lokalisieren und physisch oder psychisch zu evaluieren auch wenn jedwedes ermittelte Reizkontinuum ein artifizi-elles ist und mit dem individuellen Schmerzerleben in Gesundheit und Krankheit wenig gemeinsam hat

Auch in der medizinischen Praxis zielen diverse Messverfahren hauptsaumlchlich darauf ab uumlber das subjektive Erleben oder Beobachten der Schmerzlei-denden den Schmerz als Kontinuum auf einer Skala zu situieren

7 Diese Uumlberlegung resultiert nicht aus der eigenen Er-fahrung sondern aus der Beobachtung anderer Spieler die nach Angaben einer Mitarbeiterin aus dem Museum teilweise gespielt haben raquobis Blut geflossen istlaquo Das Bild am Beginn des Essays zeigt die verletzte Hand eines wie-derholten Besuchers der Pain Station

8 Eine Ausnahme bildet der chronische Schmerz der aufgrund seiner Dauer ein tatsaumlchlich nachvollziehbares Kontinuum des Erlebens aufweist

9 Siehe zB Gossrau G Reichmann H Sabatowski Elek-trophysiologische Messverfahren in der Schmerztherapie Schmerz 4 (2008) S 471ndash481

Abbildung 7 Numerische Skala

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Obwohl bei allen Messverfahren der Schmerz im Mittelpunkt steht findet das eigentliche Deuten und Messen mittels unterschiedlicher Interpretationsmodi statt (auf der Ebene der Koumlrpersprache der subjek-tiven Einschaumltzung der elektrophysischen Messung etc) Man koumlnnte hier erneut argumentieren dass die Vielfalt der Schmerzmessverfahren der Komplexitaumlt des Phaumlnomens selbst entspricht weshalb auch das biopsychosoziale Modell zurzeit als die beste Hinter-grundtheorie fuumlr die Humanmedizin des 21 Jahrhun-derts gilt Dennoch bleibt das Problem die zahlrei-chen Daten aus den beteiligten Systemebenen zu integrieren ein Unterfangen das weder in der thera-peutischen Praxis noch in der Evaluation des eigenen Schmerzerlebens moumlglich ist Ein weiteres Manko ist das Problem den Schmerz zu klassifizieren Trotz der uumlberwaumlltigenden Fuumllle identifizierter Schmerz-arten (die internationale Kopfschmerzgesellschaft allein identifiziert uumlber 300 verschiedene Arten von Kopfschmerz)11 gibt es nach wie vor keine einheitliche Sprache fuumlr die physiologischen Phaumlnomene einer-seits und fuumlr die psychologischen Aspekte anderer-seits Die beobachtbaren (oder erlebten) Ereignisse werden weiterhin in unterschiedlichen Terminologien beschrieben und abgehandelt in einer Sprache fuumlr rsaquoKoumlrperlicheslsaquo und in einer fuumlr rsaquoSeelischeslsaquo obwohl sie wie erwaumlhnt ein ganzheitliches Erleben reprauml-sentieren Dementsprechend fragmentiert sind auch die Messverfahren in der Schmerzdiagnostik Wenn es darum geht den Schmerz zu (er)messen kann das nur uumlber die vereinzelten Elemente erfolgen Was gemessen wird basiert zudem nicht allein auf dem inneren Erleben sondern auch auf dem Blick von auszligen auf das jeweilige Verhalten den Gesichtsaus-druck die neuronalen Aktivitaumlten oder die Aktivitaumlten in bestimmten Hirnarealen die durch bildgebende Verfahren sichtbar gemacht werden Selbst die Evalu-ierung und Kommunikation der koumlrperlichen Schmer-zen durch das Individuum selbst erfordert eine Form der reflektierten Selbstbeobachtung All das erfordert die Interpretation des Erlebenden oder des Beob-achtenden die wiederum von eigenen Erfahrungen und Vorstellungen gepraumlgt ist und sich eben nicht ausschlieszliglich auf einer objektiv-empirischen Grund-lage bewegt

Die zweite Gesichterskala ist eine nach Hicks (FPS-R) uumlberarbeitete Version siehe httpwwwspringermedizinatartikel18340-schmerzmessung-beim-kind (zuletzt abgeru-fen am 14112016)

11 Nach der ICHD (International Classification of Headache Disorders)-3-Version von 2013 siehe httpswwwichd-3org (zuletzt abgerufen am 29082016)

Zur Ermittlung von akutem oder chronischem Schmerz wird in der Medizin neben der numerischen eine weitere Skala eingesetzt die sich auf Aus-druck und Koumlrpersprache bezieht die sogenannte rsaquoGesichterskalalsaquo10 Urspruumlnglich fuumlr Kinder gedacht die Schmerz oder Schmerzintensitaumlten verbal noch nicht beschreiben koumlnnen findet dieses Hilfsmittel zur Einschaumltzung von Schmerz zunehmend auch bei Alzheimererkrankten oder nicht aussagefaumlhigen Patienten Verwendung Waumlhrend die rsaquoSmiley-Ska-lalsaquo diesen Patienten die Moumlglichkeit bietet durch Fingerzeig ihren Schmerzzustand zu vermitteln ihren eigenen Schmerz also zu deuten ermoumlglicht die zweite Gesichterskala Aumlrzten oder Pflegepersonal durch Abgleich der fazialen Struktur den Schmerz ihres Gegenuumlbers zu interpretieren (s Abb 9 10) Die Deutungshoheit liegt im letzteren Fall also nicht bei dem Patienten selbst

10 Diese Skala wurde von den Heilpraktikern Donna Wong und Connie Baker zunaumlchst fuumlr den Einsatz in der paumldiatrischen Schmerzbehandlung konzipiert und wird jetzt international unter dem patentierten Namen Wong-Baker FACES Pain Rating Scale eingesetzt Siehe httpwongbakerfacesorg (zuletzt abgerufen am 10112016)

Abbildung 8 Kurvendiagramm aus der Psychoakustik

Abbildung 9 Smiley-Skala

Abbildung 10 Gesichtsschmerzdiagramm

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McGill Pain Questionnaire (MPQ) Dieser Schmerz-fragebogen wurde im Zuge der Kontrollschranken-theorie von Ronald Melzack und seinem Kollegen in Zusammenarbeit mit Schmerzpatienten entwickelt Er erfasst die verschiedenen Dimensionen des Schmerzerlebens (sensorisch affektiv kognitiv-evalu-ierend) mittels einer Liste von Adjektiven die daruumlber Aufschluss geben sollen um was fuumlr einen Schmerz es sich handelt was die potentielle Ursache ist und wie der Patient den Schmerz psychisch bewaumlltigt (s Abb 11 12 13)

So sind es denn vorwiegend auch die verbalen Schmerzaumluszligerungen die subjektiven Beschreibun-gen die im Zentrum der medizinischen (Er)Messung von Schmerz liegen weil die Kommunikation neben der Koumlrpersprache noch immer den direktesten Zugang zum Schmerzerleben eines anderen darstellt Das ultimative Werkzeug der medizinischen Schmerz-evaluation das den Groszligteil der bisher dargestellten rsaquoMessverfahrenlsaquo in sich vereint den Schwerpunkt je-doch auf die sprachliche Um- oder Beschreibung des Schmerzes durch den Patienten selbst legt ist der

Abbildung 11 Original McGill Pain Questionnaire


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Abbildung 12 Schmerzfragebogen

Abbildung 13 Ausgewaumlhlte Adjektive zur klinischen Schmerzbeschreibung



Ihr Hauptargument im ersten Teil des Buches ist dass der Schmerz sich der Sprache nicht nur widersetzt sondern diese auch zerstoumlrt dass der Leidende mit steigender Schmerzintensitaumlt zuneh-mend in ein vorsprachliches Stadium abrutscht in dem nur noch Wimmern und Schreien moumlglich ist Alle Versuche den Schmerz in ein sprachliches Geruumlst zu zwaumlngen so Scarry muumlssen zwangslaumlufig an der Unmoumlglichkeit scheitern das innere Erleben verbal zu vermitteln Weil im Schmerzerleben keine direkte Verbindung zu Objekten auszligerhalb unseres Selbst existiert wie bei anderen inneren Zustaumlnden (zum Beispiel Gefuumlhle rsaquofuumlr etwaslsaquo haben oder rsaquovor etwaslsaquo Angst haben) habe der Schmerz keinen Referenzpunkt auszligerhalb des Koumlrpers13 Zudem sei unser Vokabular fuumlr Schmerz derart limitiert dass dieser hauptsaumlchlich mit Hilfe von rsaquoAls oblsaquo-Strukturen beschrieben werden muss (raquoes fuumlhlt sich an als obwiehelliplaquo) Die Objekte die in diesen rsaquoAls oblsaquo-Strukturen fuumlr die Schmerzbeschreibung herangezogen wuumlrden haumltten keine Verbindung zum eigentlichen Ursprung des Schmerzes (zum Beispiel ein gefuumlhltes rsaquoHaumlm-mernlsaquo im Kopf) koumlnnten somit niemals identisch mit dem bewussten Erleben von Schmerz sein14 Elaine Scarry ist nicht die Einzige die den sprachlichen Zugang zum Schmerz negiert Auch Schriftsteller die ansonsten fuumlr ihre Faumlhigkeit im Umgang mit Worten gepriesen werden scheinen zunaumlchst an den Gren-zen der Sprache den eigenen Schmerz darzustellen zu verzweifeln

Virginia Woolf (1882ndash1941 s Abb 15) und Alphonse Daudet (1840ndash1897 s Abb 16) beide ihr Leben lang von Schmerz und Krankheit geplagt scheinen im Sinne Scarrys nur zum Ausdruck bringen zu koumlnnen dass die noumltigen Worte fuumlr Schmerz nicht existieren Virginia Woolf bemerkt in ihrer allgemeinen Reflektion raquoUumlber das Krankseinlaquo (1926)

hellip Und schlieszliglich ist da als weiteres Hindernis Krankheit literarisch zu beschreiben die armut der Sprachehellip Das kleinste Schulmaumldchen wenn es sich verliebt hat Shakespeare oder Keats die ihm aus der Seele sprechen aber ein Leidender versuche den Schmerz in seinem Kopf dem Doktor zu beschreiben und sogleich versiegt die Sprache

13 Scarry E The Body in Pain The Making and Unmaking of the World New York and Oxford 1985 S 4ndash6

14 Siehe auch Scarry E Among Schoolchildren The Use of Body Damage to Express Physical Pain In Coakley S und Kaufman K (Hg) Pain and Its Transformations S 279ndash316

Ein rsaquoklopfenderlsaquo Schmerz kann zum Beispiel auf eine Entzuumlndung hindeuten ein rsaquoreiszligenderlsaquo Schmerz auf eine Kolik andere Adjektive wie rsaquoscheuszliglichlsaquo rsaquofurchtbarlsaquo oder rsaquolaumlhmendlsaquo beleuchten hingegen die emotionale Komponente des Schmerzerlebens Studien attestieren dass mittels des MPQ zwischen verschiedenen Schmerzsyndromen unterschieden werden kann und die Moumlglichkeit aus einer Fuumllle von Schmerzbeschreibungen auswaumlhlen zu koumlnnen wird von Patienten allgemein positiv bewertet Andere kritisieren ihn als rsaquoSynonym-Suchmaschinelsaquo die der eigentlichen Bedeutung des Schmerzes fuumlr den Einzelnen nicht gerecht wird12

Interessanterweise entzuumlndete sich gerade an der Oumlffnung der Medizin gegenuumlber dem subjektiven Erleben und Beschreiben des Einzelnen eine Debat-te in deren Mittelpunkt die Frage steht ob Schmerz uumlberhaupt je adaumlquat kommuniziert das heiszligt analog zum eigentlichen Empfinden beschrieben werden kann Ausgeloumlst wurde diese Debatte 1985 durch eine Publikation der amerikanischen Literatur- und Sprach-wissenschaftlerin Elaine Scarry die am Beispiel der Folter die destruktive Kraft des Schmerzes und die Limitation der Sprache diskutierte (s Abb 14)

12 Kleinman A [Discussion] The Dislocation Representation and Communication of Pain In Coakley S Kaufman Shelemay K (Hg) Pain and Its Transformations The Interface of Biology and Culture Cambridge Mass 2007 S 351ndash360 hier S 354

Abbildung 14 Elaine Scarry Buchcover


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Schmerzen im Gegenzug einen wortgewaltigen litera-rischen Ausflug ins rsaquoLand der Schmerzenlsaquo darstellen

Eigentuumlmliche Schmerzen feurige Flam-menstrahlen meinen Koumlrper zerschneidend entzuumlndend (23) Traum von einem Schiffskiel so schmal so schmerzhaft [D]as Schiff sinkt ich gehe unter bin unterhalb des Wasserspiegels leckgeschla-gen Die Fahne haumlngt noch am Mast aber uumlberall brennt es selbst unter Wasser Der anfang vom Ende (24) Nur noch Ruumlstung grausam um die Lenden mit einer staumlhlernen Guumlrtelschnalle gepreszligt ndash Glut-dornen spitz wie Nadeln (31) Verschiedene arten des Schmerzes Manchmal unter dem Fuszlig wie eine Schnittwunde winzig klein ndash ein Haarriszlig Oder aber Stiche eines Taschenmessers unter dem Zehennagel Die Qualen raquospanischer Stiefellaquo an den Knoumlcheln Spitze Rattenzaumlhne an den Zehen nagend (37)

Auch Virginia Woolf verweist mit rsaquoden Klumpen schieren Klangslsaquo mit denen neue Worte fuumlr das Schmerzempfinden gepraumlgt werden koumlnnen auf ein sich staumlndig erweiterndes Arsenal von Klaumlngen und Worten auf das zuruumlckgegriffen werden kann ndash und bedient sich dieses Arsenals in eindringlichen Be-schreibungen von Schmerz in ihren Werken Gerade die Literatur als Archiv vergangener und gegenwaumlr-

Es gibt fuumlr ihn nichts Vorgefertigtes Er ist gezwungen selbst Worte fuumlr sich zu praumlgen und seinen Schmerz in die eine Hand nehmend hellip und einen Klumpen schieren Klangs in die andere muszlig er sie so zusammenpressen daszlig am Ende ein nagelneues Wort herausfaumlllt15

Alphonse Daudet dessen syphilisbedingte koumlrperli-che Schmerzen ihn oft an den Rand des Wahnsinns befoumlrderten vermerkte in seinen Aufzeichnungen

Die Qualhellip keine Worte um das auszudruumlcken es bedarf lauter Schreie Die im Schmerz liegen-de Wahrheit koumlnnen Worte sie wirklich fassen Sie flieszligen erst wieder wenn alles vorbei ist wenn die Dinge sich wieder beruhigt haben Sie sprechen nur von Erinnerung kraftlos oder unwahr16

Gerade am Beispiel Daudets kann man jedoch das Argument Scarrys sowie seine eigene Behauptung widerlegen da die restliche Dokumentation seiner

15 Woolf V Uumlber das Kranksein [1926] In Der Augenblick Essays Deutsch von H Faden und H Viebrock Hg von K Reichert Frankfurt am Main 1996 [engl Originalausgabe 1947] S 14ndash15

16 Daudet A Im Land der Schmerzen Deutsch von D Hem-jeoltmanns Einleitung Nachwort und Anmerkungen von J Barnes Bremen 2003 [frz Originalausgabe Paris 1930] S 32 Die folgenden Zitate sind mit Seitenzahlen im Text ausgewiesen

Abbildung 15 Virginia Woolf

Abbildung 16 Alphonse Daudet



Wirkungsweise der Assoziationen keinen Abbruch Im Gegenteil die rsaquoGlutdornenlsaquo die rsaquospanischen Stiefellsaquo oder die rsaquonagenden Rattenzaumlhnelsaquo in Daudets Beschreibungen ermoumlglichen nicht nur ihm selbst seinen spezifischen Schmerzen Ausdruck zu verlei-hen sondern bewirken auch im Leser ein Nach- oder Mitfuumlhlen seines Leidens selbst wenn der Inhalt des Gesagten weder mit den Erfahrungen Daudets noch den Erfahrungen des Lesers uumlbereinstimmt (zum Beispiel das Tragen raquospanischer Stiefellaquo)

Die Faumlhigkeit zum metaphorischen Denken die es uns ermoumlglicht unseren Schmerz in Analogie zu Ob-jekten oder Ereignissen auszligerhalb unseres Selbst zu kommunizieren setzt den Moumlglichkeiten Schmerz zu beschreiben nominal keine Grenzen Die Wirkmaumlch-tigkeit der Assoziationen die mittels metaphorischer Umschreibungen hervorgerufen werden hat zudem ihren Ursprung in der vertrauten alltaumlglichen Interak-tion des Koumlrpers mit der Umwelt ndash ziehen druumlcken greifen laufen etc ndash welche wiederum das Funda-ment fuumlr die Bildung abstrakterer Konzepte ist19 Die Imagination tut ihr Uumlbriges diese Assoziationen zu vermitteln

19 Kirmayer L J On the Cultural Mediation of Pain In Coakley S und Kaufman K (eds) Pain and Its Transfor-mations S 363ndash401

tiger Beschreibungen von Schmerz fand und findet immer neue Mittel und Wege das Unbeschreibliche zu beschreiben17

Nun ist es nicht jedem gegeben die Literatur mit ihren rhetorischen Techniken und Stilmitteln als Vehikel zu nutzen um seinem Empfinden Ausdruck zu verleihen Haben diese Autoren also Recht Ist es auszligerhalb der Literatur wirklich unmoumlglich Schmer-zen so zu beschreiben dass ein anderer Einblick in das eigene Schmerzerleben bekommt Der medizini-sche Schmerzfragebogen dessen Wortliste immerhin den Schilderungen Schmerzleidender entstammt und somit anders als bei Virginia Woolf durchaus etwas rsaquoVorgefertigteslsaquo bereitstellt zeigt schon einen Aus-schnitt aus den vielfaumlltigen Moumlglichkeiten Schmerz zu beschreiben ndash trotz einer begrenzten Anzahl an Adjektiven Schmerzpatienten generieren in ihren Beschreibungen aumluszligerst kreative Wortschoumlpfungen und Vergleiche gerade im Ruumlckgriff auf Objekte und Ereignisse die den Schmerz selbst nicht ausgeloumlst haben18 Dass es hierbei wie Scarry kritisiert keine direkte Verbindung zwischen Objekt bzw rsaquoAls-oblsaquo-Struktur und dem Schmerzempfinden gibt tut der

17 Siehe Borgards R Poetik des Schmerzes Physiologie und Literatur von Brockes bis Buumlchner Wilhelm Fink Verlag 2007

18 Siehe Leiss J Sprache und Schmerz ndash eine medizinsozio-logische Studie Technische Universitaumlt Muumlnchen 1983

Abbildung 17 Der Kopfschmerz G Cruikshank 1835


Stephanie Eichberg

Wenn wir also in einer Patientenakte aus dem Jahre 1909 lesen dass jemand einst an einem raquo15cm-lan-gen Zahnschmerz in der Huumlftelaquo 20 litt kann man aus diesem Zitat nur interessante Fragen ableiten wenn man die Annahme gelten laumlsst dass die Sprache einen genuinen Einblick in den Empfindungszustand eines anderen gewaumlhrt und zwar uumlber zeitliche kulturelle und raumlumliche Grenzen hinweg Eine solche Frage waumlre zum Beispiel ob Schmerz in der Vergangenheit oder in einer anderen Kultur anders empfunden wurde und wird Ob unsere Ausdrucks-wahl unseren jeweiligen Schmerz lediglich reflektiert oder ob die Sprache umgekehrt vielleicht sogar einen Einfluss auf das Schmerzerleben selbst hat Die Analysen individueller Schmerzbeschreibungen (und -darstellungen s Abb 17 18) in Geschichte und Gegenwart eroumlffnen somit zumindest Einblicke in das kulturelle Bedeutungsspektrum von Schmerz21

Vielleicht ist im Hinblick auf die Relevanz der sprach-lichen Vermittlung des Erlebten der Fokus auf die Begriffe rsaquoSchwellelsaquo und rsaquoGrenzelsaquo ein irrefuumlhrender weil im eigentlichen Erleben keine Schwellen oder Grenzen festgemacht werden koumlnnen Vielleicht ist der Fokus auf den Moment des Schmerzerlebens auch unwichtig wenn ohnehin erst im Nachhinein

20 Im Original raquoa toothache about six inches long in the hiplaquo in Bourke J The Story of Pain From Prayers to Painkil-lers Oxford University Press 2014 S 56

21 Am Beispiel des Zahn- bzw Huumlftschmerzes kann man zB ableiten dass der Zahnschmerz in der Vergangenheit aufgrund seiner Haumlufigkeit und Intensitaumlt fuumlr viele das Maszlig aller anderen Schmerzen bildete wie Joanna Bourke in ihrem Buch anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht

reflektiert werden kann was gefuumlhlt wurde Fuumlr den Versuch aber Schmerz zu konzeptualisieren sind die Begriffe vielleicht doch hilfreich Der Philosoph Michel Foucault bezeichnete die Auseinandersetzung mit dem Schwellenbegriff als den raquoPruumlfstein eines Denkenslaquo22 waumlhrend der Dichter und Philosoph Paul Valeacutery in seinen Heften (1914) notierte dass die Schwelle ein Moment sei raquoin dem sich feste psychi-sche Zustaumlnde aufloumlsen und umformen und damit als Moumlglichkeit der Instabilitaumlt der Diskontinuitaumlt und des Kontrollverlustslaquo aufgefasst werden kann23 Beides laumlsst sich auf den Moment des Uumlbergangs vom Reiz zum Schmerz anwenden Der Schwellenbegriff befoumlr-dert und bestaumlrkt zwar unser dualistisches Denkmo-dell von Koumlrper und Psyche der erlebte Moment des Uumlbergangs (des rsaquoIn-betweenlsaquo) loumlst jedoch ebenjene physischen und psychischen Grenzzustaumlnde auf

Die Schwierigkeit feste Begrifflichkeiten in die Schmerzforschung einzufuumlhren die diesen Moment des Uumlbergangs geschweige denn den der subjektiv erlebten Einheit benennen koumlnnten hat durchaus etwas mit den Grenzen unseres Denkens und Beschreibens zu tun Das Diktum des Philosophen Ludwig Wittgenstein raquoDie Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Weltlaquo24 impliziert dass diese gedanklichen und sprachlichen Grenzen nicht

22 Foucault M Von der Subversion des Wissens Frankfurt am Main Berlin Wien 1978 S 40

23 Steizinger J Weigel S Schwellenkunde In Trajekte 15 Nr 30 (Mai 2015) S 26ndash37 hier S 30

24 Wittgenstein L Logisch-philosophische Abhandlung (Trac-tatus logico-philosophicus) 1921 Satz 56

Abbildung 18 Die Gicht James Gillray 1799



erstmaligen horrenden Kontakt mit einer Peitsche ei-nen gebuumlhrenden Speicherplatz zugewiesen hat ein gelinder Schock ob der Heftigkeit der Schmerzreize (raquoDuumlrfen die daslaquo) und die Erkenntnis dass selbst im Moment des eigenen Erlebens der Uumlbergang vom Reiz zum Schmerz nicht zu erfassen ist das Uumlber-schreiten einer wie auch immer gearteten Grenze vom Gefuumlhlten zum Erlittenen selbst nicht nachvoll-ziehbar ist in manchen Faumlllen jedoch beschrieben beobachtet und abgebildet werden kann

universal gezogen werden koumlnnen da sich der welt-liche und sprachliche Horizont eines jeden Einzelnen unterscheidet Und doch sind eben diese Horizonte vermittelbar gewissermaszligen grenzuumlberschreitend so dass auch ein Auszligenstehender einen Einblick in die spezifische Welt des anderen erhalten kann

Was bleibt von meinem Versuch meine eigenen rsaquoReizschwellenlsaquo und rsaquoSchmerzgrenzenlsaquo an der Pain Station auszuloten Ein leichter Nachhall im Gewebe eine Erinnerungsspur im Gehirn die vor allem dem

Abbildung 19 Autorin an der Pain Station


Stephanie Eichberg

S 199ndash202 hier S 200 httpanesthesiologypubsasahqorgdataJournalsJASA93118328FF1png (zuletzt abgerufen am 26092016)

Abb 12 Schmerzfragebogen auf der Website der Deutschen Schmerzgesellschaft e V (eine Sektion der IASP) httpwwwdgssorgdeutscher-schmerzfragebogen (zuletzt abgerufen am 26092016) Abb 13 Tabelle mit ausgewaumlhlten Adjektiven zur klinischen Schmerzbeschreibung Zusammengestellt von Julia Helene Raff ZfL

Abb 14 Buchcover Elaine Scarry The Body in Pain The Making and Unmaking of the World New York 1985

Abb 15 Virginia Woolf httpsuploadwikimediaorgwikipediacommons00bGeorge_Charles_Beresford_-_Virginia_Woolf_in_1902_-_Restorationjpg (zuletzt abgerufen am 10112016)

Abb 16 Alphonse Daudet httpsuploadwikimediaorgwikipediacommons887Alphonse_Daudet_2jpg (zuletzt abgerufen am 10112016)

Abb 17 The Headache [Der Kopfschmerz] von G Cruikshank 1835 httpsuploadwikimediaorgwikipediacommons446Cruikshank_-_The_Head_Achepng (zuletzt abgeru-fen am 10112016)

Abb 18 The Gout [Die Gicht] von James Gillray 1799 httpsuploadwikimediaorgwikipediacommons883James_Gillray_The_Gout_Wellcome_M0010580jpg (zuletzt abgerufen am 26092016)

Abb 19 Autorin an der Pain Station copy ZfL Aufgenommen am 12042016 von Florian Snigula

MEDIENNaCHWEISE

Abb 1 Die Pain Station Aus der Bildergalerie des Projekts rsaquoSpieltrieblsaquo copy 2016 Goethe-Institut httpwwwgoethedeinsplprospieltriebgal_reiff3jpg (zuletzt abgerufen am 26092016)

Abb 2 Illustration (Junge am Feuer) Reneacute Descartes De Homine Leiden P Leffen amp F Moyardum 1662

Abb 3 Illustration Kontrollschrankentheorie httpsgracefulagonyfileswordpresscom201003ga-tecontroltheoryjpg (zuletzt abgerufen am 10112016)

Abb 4 Biopsychosoziales Krankheitsmodell httpdebojclubtopicbiopsychosoziales-krankheits-modellhtml (zuletzt abgerufen am 10112016)

Abb 5 und 6 rsaquoPonglsaquo und rsaquoPain Stationlsaquo Aus der Bildergalerie des Projekts rsaquoSpieltrieblsaquo copy 2016 Goethe-Institut httpwwwgoethedeinsplprospieltriebgal_reiff2jpg

httpwwwgoethedeinsplprospieltriebgal_reiff1jpg (zuletzt abgerufen am 26092016)

Abb 7 Numerische Schmerzskala httpwwwwundwisseninfowp-contentuploads201511NRSpng (zuletzt abgerufen am 26092016)

Abb 8 Schmerz-Kurvendiagramme Psychoakustik httpswwweubeldeinternetzindexphpaudiotech-nik-der-gute-tonpsychoakustik (zuletzt abgerufen am 26092016)

Abb 9 Wong-Baker FACES Pain Rating Scale (Smiley-Skala) httpwongbakerfacesorgwp-contentuploads201506FACES_English_Blue1jpg (zuletzt abgerufen am 10112016)

Abb 10 Paumldiatrisches Gesichtsschmerzdiagramm nach Hicks (FPS-R) httppediatricsaappublicationsorgcontentpedia-trics1324e971F1largejpg (zuletzt abgerufen am 14102016)

Abb 11 McGill Pain Questionnaire in Melzack Ronald The McGill Pain Questionnaire From De-scription to Measurement Anesthesiology 103 (2005)


PaNEM ET CIRCENSES 20 TOumlDLICHE SPIELE IN LITERATUR UND FILM

Christine Kutschbach

Die Ausstellung No Pain No Game die vom 16 Maumlrz bis 26 Juni 2016 im Museum fuumlr Kommunikation in Berlin zu sehen war lief als ein Teil der Initiative raquoSpieltrieblaquo des Goethe-Instituts raquoSpiel ist eine kulturelle Praxis die den Menschen seit Jahrtau-senden begleitet formt seine Phantasie anregt und ihn zu Houmlchstleistungen antreibtlaquo schreiben die Herausgeber in dem dazugehoumlrigen Katalog1 Spielen macht Spaszlig Spielen vermittelt soziale Kompeten-zen Spielen steigert das Lernvermoumlgen Oft hat das Spiel Wettkampfcharakter und ist gekoppelt an den Ehrgeiz zu gewinnen wie zum Beispiel bei dem 1972 von Atari entwickelten Computerspiel raquoPonglaquo das als das Ur-Videospiel gilt und quasi Tischtennis am Bildschirm ist (s Video 1)

1 Franke B Goumlpfert D Einfuumlhrung In Daniel Goumlpfert (Hg) Spieltrieb Goethe-Institut Krakau 2014 S 1

Was das Spiel sicherlich in eher geringem Maszlige bewirkt ist die Endorphinausschuumlttung die auf koumlrperliche Bewegung und Anstrengung sportlicher Spiele folgt und Gluumlcksgefuumlhle in uns ausloumlst Was dem Spiel ebenfalls fehlt ist der gewisse Kick die Aufregung die bei physischen Wettkampfspielen den Adrenalinspiegel in die Houmlhe schnellen laumlsst und der umso houmlher ausfaumlllt je groumlszliger das mit der Ausuumlbung der Taumltigkeit verbundene Risiko ist ndash man denke an houmlchst risikoreiche Aktivitaumlten wie Freeclimbing S-Bahn-Surfen und Aumlhnliches Die Angst vor realen koumlrperlichen Konsequenzen fuumlgt dem Unterhaltungs-wert des Spiels oder Sports eine nicht unerhebliche Komponente hinzu wie auch das Kuumlnstlerduo Fur mit seiner raquoPain Stationlaquo in der eingangs erwaumlhnten Aus-

Video 1 raquoPonglaquo (Atari 1972)



stellung zeigt Dem Computerspiel Pong wird naumlmlich eine ganz andere Spannung verliehen wenn man den Spielern bei Fehlern mit koumlrperlichen Schmerzen droht Es geht bei der Pain Station darum die Hand nicht von der Oberflaumlche wegzuziehen wenn man bei Durchlassen des Balls mit Hitze Elektroschock oder Peitschenschlag bestraft wird Wer wegzieht verliert (s Video 2)

Im Vergleich zum originalen Pong das in der Be-trachtung etwas regelrecht Meditatives haben kann fasziniert diese Spielvariante deutlich staumlrker Sie weckt die Schaulust ein Phaumlnomen das ebenso zum Menschsein gehoumlrt wie das Spielen an sich Beim faszinierten Beobachten der Pain Station Spielenden wird der Adrenalinausstoszlig ins Blut gerade dadurch bewirkt dass man eine Szene beobachtet die man fuumlr sich selbst fuumlrchten wuumlrde Man koumlnnte die Schau-lust auch als Kehrseite der Empathie bezeichnen Unfallgaffer Zuschauer von Hahnen- oder Hunde-kaumlmpfen Sadismus- oder gar Snuffvideos begeben sich allesamt in einen Empfindungsraum in dem die Empathie ausgeschaltet und vom Erregungsempfin-den beim Leid oder gar Tod anderer foumlrmlich uumlber-schrieben wird ndash verbunden mit der Erleichterung dass der eigene Platz der Ort des Beobachtens sich im gesicherten Abstand naumlmlich im Zuschauerrang oder vor dem Bildschirm befindet

Paradoxerweise moumlchte man sagen resultiert das Beobachten von ausgetragener Gewalt bei vielen in ein positiv geladenes Empfinden das sich auf mindestens drei Ebenen vollzieht erstens der Ebene

der Bestaumltigung der eigenen Unversehrtheit beim Mit-erleben des Leidens anderer zweitens der Ebene der verschobenen Gewaltausuumlbung was einem selbst im taumlglichen Umgang mit anderen verwehrt ist wird in der Arena ausgetragen und so das eigene Gewaltpo-tential stellvertretend entladen drittens der Ebene des menschlichen Beduumlrfnisses nach Erregung das der Sensationslust zugrunde liegt Das Bedienen dieser Empfindungs-Koppelung hatte in der Antike eine gesellschaftliche Funktion So dienten die Gladiato-renspiele die im roumlmischen Kolosseum veranstaltet wurden der Beruhigung Ablenkung und Unterhaltung des Volkes

Laumlngst schon seitdem wir unsere Stimmen niemandem mehr verkaufen hat [das Volk] jedes Interesse von sich geworfen denn einst verlieh es Befehlsgewalt Rutenbuumlndel Legionen alles sonst jetzt haumllt es sich zuruumlck und wuumlnscht aumlngstlich nur zwei Dinge Brot und Circusspiele2

raquoPanem et circenseslaquo Brot und Spiele also so hat der roumlmische Dichter Juvenal diese Funktion im 1 bis 2 Jahrhundert nach Christus satirisch ausge-druumlckt Ich moumlchte in diesem Beitrag nachvollziehen

2 Decimus Iunius Iuvenal SaturaeSatiren 10 77-81 Lat Ori-ginal [] iam pridem ex quo suffragia nulli vendimus effu-dit curas nam qui dabat olim imperium fasces legiones omnia nunc se continet atque duas tantum res anxius optat panem et circenses Textedition Adamietz J (Hg) Juvenal Satiren Lateinisch-deutsch Herausgegeben uumlbersetzt und mit Anmerkungen versehen von Joachim Adamietz Muumlnchen Zuumlrich 1993

Video 2 raquoPain Stationlaquo (Fur)

Panem et circenses 20


Das Kolosseum in Rom ist nach wie vor das groumlszligte je gebaute Amphitheater der Welt und verfuumlgte uumlber beeindruckende technische Konstruktionen um dem roumlmischen Volk ein effektreiches Spektakel zu bieten Die Unterkellerung des Kolosseums (s Abb 1) ist selbst aus heutiger Sicht bemerkenswert Unter dem Arenaboden befand sich ein ausgekluumlgeltes System von Zellen Gaumlngen und Aufzuumlgen so dass die Sklavenkaumlmpfer und Tiere zum richtigen Zeitpunkt in die Arena befoumlrdert werden konnten Ein Modell der Seilaufzuumlge die durch Gewichte betrieben wurden verdeutlicht wie die Gladiatoren nach oben transpor-tiert wurden und durch Luken mit Falltuumlren quasi wie von Zauberhand in der Mitte der Arena erschienen (s Abb 2)

Gladiatorenkaumlmpfe waren meist begleitet von Tierhetzen und Hinrichtungen wie beispielsweise der Loumlwenfuumltterung deren Gewaltaumlquivalente sich durch den Lauf der Jahrhunderte ziehen in Form von oumlffentlichen Hinrichtungen durch Galgen Garotte Scheiterhaufen oder Schwert um nur die haumlufigsten Hinrichtungsformen des westlichen Kulturkreises zu nennen Tierhetzen fungieren seit der Antike bis heute als Gewaltspektakel sei es in Gestalt von Hahnen- oder Hundekaumlmpfen die seit Einfuumlhrung des Tierschutzgesetzes zwar nicht mehr legal sind aber doch praktiziert werden sei es in der ritualisierten und oumlffentlich ausgetragenen Form des Stierkampfes der gegen alle Tierschutzgesetze verstoumlszligt aber bis heute nicht strafrechtlich geahndet wird

welchen Verlauf die Inszenierung blutruumlnstiger bis toumldlicher Unterhaltung von der Antike bis zur Gegen-wart in der westlichen Kultur vollzogen hat und welche Auswirkungen dies auf ihre gesellschaftliche Funktion hatte Ist sie gleich geblieben Gab es Verschiebun-gen und Veraumlnderungen Wenn ja welche und vor allem Was bedeutet dies fuumlr die heutige mediali-sierte und globalisierte Gesellschaft Dem Umfang geschuldet fokussiere ich dabei auf die tatsaumlchliche Inkorporierung von Gewalt und Tod in Wettkampfspie-len und deren Entwicklung und Auspraumlgungen bis in die Jetztzeit hinein und spare andere Formen der Uumlbertragung aus wie zB im Kontext der Industrie (Ablenkung von wirtschaftlichen Problemen durch aufwendig inszenierte Groszligereignisse) der Politik (Einsatz von kalkulierten punktuellen Wahlgeschen-ken an die Waumlhler in Zeiten politischer Probleme oder Entscheidungen) oder der Massenmedien (Ausweitung der Sportberichterstattung und anderem Entertainmentjournalismus um von unguumlnstigen politischen Entwicklungen oder gesellschaftlichen Problemen abzulenken)

Die rsaquourspruumlnglichenlsaquo Gladiatorenkaumlmpfe wurden erstmals im 3 Jahrhundert vor Christus inszeniert und waren waumlhrend des roumlmischen Kaiserreiches zunaumlchst ausschlieszliglich privat finanziert Mit zuneh-mender Beliebtheit beim Volk und vor allem nach Caesars Tod im Jahr 44 v Chr wurden sie dann oumlffentlich ausgetragen was schlieszliglich zum Bau des Kolosseums im 1 Jahrhundert nach Christus durch Vespasian den Nachfolger Kaiser Neros fuumlhrte

Abbildung 1 Unterkellerung des Kolosseums



Bei den literarisch aufbereiteten Todesspielen handelt es sich zumeist um simple Re-Inszenierungen der antiken rsaquoLivelsaquo-Inszenierungen und alle Historienfilme die auf Grundlage solcher Romane entstanden sind fallen in eben diese Kategorie

Sichtet man die Titel fallen genrespezifische Gradie-rungen ins Auge beispielweise in Richtung Sklaven-aufstand der Spartakus-Romane in denen das Gla-diatorentum als Vorstufe der notwendigen Erhebung der Unterdruumlckten gegen die Machthaber skizziert wird ndash solche Romane wurden oft von kommunistisch orientierten Autoren verfasst wie zum Beispiel Arthur Koestler Dessen 1939 veroumlffentlichter Roman Die Gladiatoren literarisiert die Erfahrungen des Autors im spanischen Buumlrgerkrieg und mit dem Stalinismus in der Sowjetunion Der Spartakus-Roman von Howard Fast aus dem Jahr 1951 wiederum diente als literari-sche Vorlage fuumlr das gleichnamige Monumentalepos von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1960 und inspirier-te auch die Neuverfilmung durch Robert Dornhelm von 2004

Weiterhin augenfaumlllig (aber eigentlich auch selbstver-staumlndlich) sind die qualitativen Abweichungen Eine Jugendbuchreihe wie die des britischen Historikers Simon Scarrow (Gladiator dt Marcus Gladiator)3 ist in seiner Fiktionalisierung unter geschichtlichem Anspruch serioumlser gefertigt als zB das 2005 bei

3 4 Baumlnde 2011ndash2014 deutsche Uumlbersetzungen 2012ndash2014

Die direkte Inszenierung toumldlicher Wettkaumlmpfe zwischen Menschen setzte sich im Mittelalter in der Form von Ritterkaumlmpfen fort die jedoch unter der Herrschaft von Elizabeth I in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts unblutiger wurden da die Regentin Waffen und Ruumlstungen derart umkonstruieren lieszlig dass der Tod der Kaumlmpfenden vermieden wurde Heutzutage sind Auslaumlufer der Gladiatur deutlich uumlberformt und reglementiert in Kampfsportarten wie Boxen Ringen oder Karate (oder Showkaumlmpfen wie dem Catchen) auszumachen deren oberster Grundsatz allerdings lautet raquoDie Sportkaumlmpfer duumlrfen keine dauerhaften Schaumlden erleidenlaquo Wo bleibt hier das Todesrisiko Diese Komponente hat sich im 19 Jahrhundert wohl im Gefolge der Aufklaumlrung in die Medien verschoben Ob auf dem Papier spaumlter dann auf der Kinoleinwand und in juumlngerer Zeit am Com-puterbildschirm ndash es mangelt nicht an blutruumlnstigen Kampfszenarien wie ich im Folgenden kurz ausfuumlh-ren werde

Der aumllteste Roman uumlber die antiken Gladiatoren ist vermutlich Martha MacDonald Lamonts The Gladia-tor A Tale of the Roman Empire aus dem Jahr 1840 der bis heute aufgelegt wird und im Buchhandel er-haumlltlich ist Seitdem ist eine unbeschreibliche Fuumllle an Gladiatorenromanen verfasst und publiziert worden viele von ihnen Bestseller die alle mehr oder weniger authentisch die historischen Gegebenheiten rund um das roumlmische Kolosseum schildern oder fiktionalisie-ren (s Abb 3)

Abbildung 2 Modell zur Buumlhnenmaschinerie des Kolosseums



Real-Inszenierungen durch die Schaulust entsteht durch schriftliche Schilderung anzunaumlhern kann man an dem Cover des Sachbuchs von Daniel P Mannix aus dem Jahr 1958 sehen das als Inspirationsquelle fuumlr das Drehbuch des im Jahr 2000 entstandenen Films Gladiator von Ridley Scott diente und 2001 als The Way of the Gladiator neu aufgelegt wurde Die Highlights des beschriebenen brutalen Spektakels werden fuumlr die potentielle Leserschaft als Teaser auf den Buchdeckel gedruckt (s Abb 5) raquothe full truth about the sadistic Roman rsaquogameslsaquolaquo zum Beispiel dass die Show durch menschliche Fackeln beleuchtet wurde oder rsaquoLeoparden und Stiere darauf abgerichtet wurden Frauen zu vergewaltigenlsaquo

Bastei Luumlbbe erschienene Die Schule der Gladiato-ren zu dem der Muumlnchner Merkur vom 23 April 2009 anmerkt dass das raquotechnische Schreibenlaquo von Prinz Wolfram zu Loumlwenstein-Mondfeld erledigt worden sei (so heiszlige der Autor naumlmlich mit vollem Namen) waumlhrend raquodurch die hellseherischen Faumlhigkeiten von Barbara zu Wertheim Ereignisse aus ganz anderen Blickwinkeln beschrieben werden konntenlaquo4 (S Abb 4)

Dass es bei solcherlei Re-Inszenierungen durchaus darauf ankommt sich dem Adrenalinkick der bei

4 raquo800 Seiten uumlber einen Gladiatorlaquo Merkurde httpwwwmerkurdelokalesregionenseiten-ueber-einen-gladia-tor-227261html (zuletzt abgerufen am 25102016)

Abbildung 3

Abbildung 4

Abbildung 5



Video 3 Shadow of Rome Intro

Video 4 Shadow of Rome Spielsequenz



Ein klein wenig interessanter als dieser doch recht banale Spielaufbau in dem der Spieler die Gladia-torenfigur durch Tastendruumlcken steuert scheint mir die Eingangssequenz des zeitgleich veroumlffentlichten raquoColosseum ndash Road to Freedomlaquo da man hier historische Details wie die Seil-Aufzuumlge des Kolosse-ums mit eingearbeitet hat Das Spiel gibt es auch in der Variante Multiplayer das heiszligt dass zwei Spieler die Kaumlmpfer besetzen und gegeneinander antreten koumlnnen was man an den farbigen Balken uumlber den Spielfiguren erkennen kann die deren Energielevel ausdruumlcken (s Video 5 und Video 6)

Einen deutlichen Entwicklungsschritt hat die gra-fische Umsetzung im Lauf der Jahre vollzogen wie man beispielsweise an dem fuumlr die Xbox One entwickelten Spiel raquoRyse Son of Romelaquo von 2013 sehen kann Hier ist wieder die antike Aufzugtechnik in die Spielvisuals inkorporiert und dem Spieler wird beispielsweise mit einer kleinen Grafik am oberen Bildrand angezeigt ob das Publikum im Kolosseum sich langweilt oder unterhalten fuumlhlt je nach platzier-ten Hieben und Blutvergieszligen (s Video 7)

Eine Vielzahl von Gladiatorenromanen Filme wie Ridley Scotts Gladiator und natuumlrlich auch Com-puterspiele versuchen demnach vor einer Matrix historischer Authentizitaumlt die tatsaumlchliche Blutruumlnstig-keit der antiken Kampfinszenierungen schriftlich und bildlich umzusetzen Ich moumlchte speziell die visuelle Umsetzung nun an Trailern zu Computerspielen exemplarisch vorfuumlhren In der rsaquoOpening Narrati-onlsaquo der historischen rsaquoEinbettunglsaquo des 2005 fuumlr die Playstation 2 entwickelten Spiels raquoShadow of Romelaquo sieht man deutlich dass der historische Hintergrund nur in groben Zuumlgen gezeichnet wird Caesar wird eindimensional als kompetenter und friedensstiften-der Kaiser dargestellt und das Setting mit seiner zeitlichen Verortung soll dem eigentlichen Spiel und seiner virtuellen Brutalitaumlt nurmehr eine Legitimati-onsgrundlage verschaffen waumlhrend der eigentliche Spielablauf dann recht simpel daherkommt (s Video 3 und Video 4)

Video 5 Colosseum Spielsequenz



Video 6 Colosseum Multiplayer Spielsequenz

Video 7 Ryse Son of Rome



medialisierter Todesfolge6 Seit einigen Jahren ist nun zusaumltzlich zu diesen Verschiebungen eine weitere hinzugekommen eine Re-Re-Inszenierung sozu-sagen in der im Medium von Literatur und Film die rsaquoklassischelsaquo mediale Inszenierung von toumldlichen Spie-len wie wir sie bislang betrachtet haben selbst in den Fokus ruumlckt sich die Perspektive also auf die mediale Inszenierung hin verschiebt und eine Metaebene eingezogen wird die zur Kritik an gesellschaftlichen Phaumlnomenen und Entwicklungen genutzt wird Die Frage ist Traumlgt diese Metaebene Wie geeignet ist die Inszenierung von Tod und Gewalt im Spiel um aufklaumlrerische Werte zu vermitteln Drei Beispiele will ich hierzu skizzieren die auch die Bandbreite der Herangehensweise abstecken moumlgen mit der diese Verschiebung in Werken praumlsentiert wird

Ich gehe dabei chronologisch vor Das erste Beispiel ist der Film Das Millionenspiel von Tom Toelle aus dem Jahr 1970 (s Abb 6) Aus heutiger Sicht wirkt der Film beinah normal da die meisten der 1970 noch ausgeschlossenen befuumlrchteten und als Satire kritisierten Gesellschaftsentwicklungen inzwischen eingetreten sind Reality-TV mit Kandidaten die bereit sind alles fuumlr die Publikumsgunst zu tun sexualisierte Werbeunterbrechungen die mediale Uumlberschreitung der Privatsphaumlre durch Paparazzi und vieles mehr Der Film ist visuell eher unblutig die Gewalt spielt sich zwar auch auf physischer Ebene ab aber deutlicher noch in ihrem Bedrohungspotential auf psychischer

6 Ich meine mit rsaquomedialisiertlsaquo hier nicht eine Medialisierung im Sinne eines sozialen Wandels wie sie als theoretischer Ansatz in der Kommunikationswissenschaft gebraucht wird sondern zunaumlchst einmal schlicht die Verschiebung vom realen in den virtuellen Raum der Medien

Diese Spiele bedienen abgeschwaumlcht aber doch ver-gleichbar die statthalterische Entladung des eigenen Gewaltpotentials gepaart mit dem Unterhaltungswert durch die Schaulust (oder in diesem Fall Spiel-lust) Was im echten Leben verboten ist kann der Spieler mit der Konsole in der Hand stellvertretend am Bildschirm ausleben ndash nur dass wir mittlerweile wissen dass dies hochkomplexe und sehr individu-elle Prozesse sind die hier vonstattengehen und die nicht ausschlieszliglich in die eine oder andere Richtung verlaufen5 Auch wird evident wenn man sich die Online-Eintraumlge und Fragen der Spielecommunity ansieht dass es den allermeisten Spielern um andere Dinge im Spiel geht als um das Level der Brutalitaumlt oder das Setting Selbst die hohe Aufloumlsung und gra-fische Umsetzung scheint vielen weniger wichtig zu sein als die Vielfalt und Offenheit der Spielzuumlge die das Spiel bietet und das Entertainment des Spielens scheint bei simpleren Varianten nicht notwendigerwei-se geringer zu sein als bei hochentwickelten

Wir koumlnnen jedoch festhalten dass wir es im Verlauf von der antiken Inszenierung toumldlicher Spiele hin zu den modernen Re-Inszenierungen dieser Spiele mit einer zweifachen Verschiebung zu tun haben erstens mit einer Verschiebung von der Koumlrperlichkeit im Kampf mit Todesfolge hin zu einer Koumlrperlichkeit im Kampfsport ohne Todesfolge und parallel dazu mit einer Verschiebung von Koumlrperlichkeit im Kampf mit Todesfolge hin zum medialisierten Kampf mit

5 Diese Art Computerspiel dient sicherlich weder ausschlieszlig-lich der Entspannung durch die Entladung des sublimierten Gewaltpotentials noch bewirken Gladiatoren-Games ausschlieszliglich eine Verrohung des Spielenden der seine Gewoumlhnung an virtuelle Brutalitaumlt auf die Realitaumlt uumlbertruumlge

Abbildung 6 Das Millionenspiel Gamer The Hunger Games



also als gegluumlckt bezeichnen ndash ein Gegenbeispiel stellt der 2009 ausgestrahlte Film Gamer dar

Hier geht es um ein Online-Spiel namens raquoSlayerslaquo in dem die Spielfiguren aus realen zum Tode verur-teilten Haumlftlingen bestehen die als moderne Gladia-toren gegeneinander kaumlmpfen muumlssen Sie werden durch implantierte Chips fremdgesteuert und haben keine Kontrolle uumlber ihren Koumlrper oder ihr Handeln Der groszlige Held des toumldlichen Spiels dargestellt von Gerard Butler hat bislang am laumlngsten uumlberlebt und weiszlig ein Millionenpublikum von Fans auf seiner Seite die mitfiebern ob es ihm gelingt als Sieger aus dem groszligen Schlachten hervorzugehen begna-digt zu werden und Frau und Tochter wiedersehen zu koumlnnen Er wird von einem Teenager als Spieler kontrolliert der oft andere Entscheidungen trifft als der kaumlmpfende Straumlfling es selbst getan haumltte (und man kann auf dem Filmplakat ganz gut sehen wie der eigentliche Spieler hinter dem Gesicht der lebendi-gen Spielfigur durchschaut s Abb 6) Das Lexikon des Internationalen Films beschreibt Gamer voumlllig zu Recht als raquo[a]ufwaumlndig inszenierte[n] Actionfilm der seine vorgeblich kritische Auseinandersetzung mit gewaltverherrlichenden Computerspielen durch ausschweifend-sadistische Exzesse konterkariert Die brutalen hektisch inszenierten Gewalteinlagen werden dabei regelrecht zelebriertlaquo7

7 httpwwwzweitausendeinsdefilmlexikonsucheNach=ti-telampwert=533921 (zuletzt abgerufen am 25102016)

Der Spielkandidat muss um am Ende eine Million Mark zu gewinnen eine Woche lang uumlberleben waumlhrend er vor drei Auftragskillern fluumlchtet und dabei medial uumlbertragen wird Jeden Tag muss er eine bestimmte Station anlaufen und es am letzten Tag ins Fernsehstudio schaffen wo er noch die Todesspirale durchlaufen muss Waumlhrend seiner Flucht helfen oder denunzieren ihn die Mitmenschen je nach Veranla-gung er ist der Gesellschaft vollkommen ausgeliefert

Ebenso interessant wie das Filmszenario des moder-nen als Fernsehshow konzipierten Ums-Leben-Spie-lens ist die Reaktion der Zuschauer im Jahr 1970 Auf die im Dokumentarstil inszenierte Verfilmung in der eine Fernsehansagerin zu Beginn wie selbstverstaumlnd-lich die Regeln der neuen Spielshow vorstellt gab es zwar uumlberwiegend entruumlstete Reaktionen doch wollten sich auch einige der Anrufer als Kandidaten anmelden Einer dieser Buumlrger wie ein Ausschnitt des WDR zeigt redet sich bei genauerem Nachfragen beinah um Kopf und Kragen (s Video 8)

Wenn der Film aufgrund des heutigen Status quo auch nurmehr als retrospektive Dystopie zum Gruumlbeln anregen mag so wirft zumindest seine Aufnahme in der deutschen Bevoumllkerung von vor 45 Jahren die nach wie vor aktuelle Frage auf wohin unsere Gesellschaft sich entwickeln soll welche Spielregeln wir moumlchten und wie viel Spiel- oder vielmehr Staats-houmlrigkeit zur Norm geworden ist In diesem Fall kann man den gesellschaftskritischen Impetus des Films

Video 8 WDR-Interview zu Das Millionenspiel



US-Dollar und hat eine entsprechende Reichweite uumlber nationale Grenzen hinaus Die Buumlcher entwerfen eine dystopische Gesellschaft auf dem nordame-rikanischen Kontinent der nach schweren Natur-katastrophen und einem anschlieszligenden Buumlrgerkrieg verwuumlstet liegt Im neugebildeten Staat der Zukunft Panem herrscht eine strikte Zwei-Klassen-Gesell-schaft Auf der einen Seite die Bewohner des Capi-tols die in roumlmischer Dekadenz schwelgen und das Land kontrollieren auf der anderen die Bewohner der 12 umliegenden eingezaumlunten Distrikte die je nach Naumlhe zum Capitol mehr oder weniger des Hungers leiden ihren Wohnort nicht verlassen koumlnnen und durch ein bestimmtes ihrem Distrikt zugewiesenes Handwerk sklavisch ausgebeutet werden

Aus der Fuumllle von Panem-Karten die die Fans anhand der verschiedenen Hinweise in den Romanen angefertigt haben habe ich eine ausgewaumlhlt die noch die uumlberschwemmten Gebiete des Kontinents mit verzeichnet sowie in Gruumln die zunehmende Wildnis die umso ausgepraumlgter ist je weiter sich der Distrikt vom Capitol entfernt befindet (s Abb 7) Distrikt 12 aus dem die Heldin der Romane gebuumlrtig ist liegt quasi voumlllig im unerschlossenen Randgebiet

Die neue Funktion solcher Gladiatur-Inszenierungen naumlmlich die der Selbstreflexion und Gesellschafts-kritik geraumlt angesichts der Inszenierung der eigentli-chen Gewalt hier ins Hintertreffen Zwar thematisiert der Film bestehende Massenphaumlnomene wie Konsum orientiertheit und Medialisierung8 kontrovers doch bleibt houmlchst fragwuumlrdig wie deutlich wahr-nehmbar diese Kritik angesichts der uumlberwiegenden Ausstellung von Brutalitaumlt denn dann ist No pain no game ndash die Effekte von Schaulust Unterhaltung und Erregung angesichts der Normabweichungen duumlrften als Reiz deutlich staumlrker auf die Zuschauer einwirken als der theoretische Uumlberbau dieser Inszenierungen

Vor diesem Hintergrund stellt nun mein letztes Bei-spiel die Romantrilogie Die Tribute von Panem (orig The Hunger Games) ein vielleicht unentscheidbares Phaumlnomen dar das es gerade deshalb naumlher zu be-trachten lohnt und das ich abschlieszligend besprechen moumlchte Die Buchreihe (2008ndash2011) der amerika-nischen Autorin Suzanne Collins war und ist ein sensationeller Erfolg mit uumlber 65 Millionen verkauften Buumlcher allein in den USA uumlbersetzt in 26 Sprachen mit vier Verfilmungen und einem Verkaufs-Total des gesamten Franchises von uumlber vier Milliarden

8 Diesmal verwende ich rsaquoMedialisierunglsaquo im theoretischen Sinne von Vereinnahmung durch bzw Ausnutzung von Medien in Bereichen in denen dies vorher nicht uumlblich war

Abbildung 7 Panem



Historische Bezuumlge finden sich auch in gewissen Handlungsstraumlngen wie zum Beispiel den um Katnissrsquo Stylisten Cinna Cinna ist zwar Bewohner des Capitols steht aber hinter seinen Tributen-Schuumltzlingen aus Distrikt 12 und verhilft Katniss mit seinen spektakulaumlren symboltraumlchtigen Kostuumlmen waumlhrend der Show zu einer groszligen Fangemeinde die es den Machthabern schwer macht sie nach ihrem renitenten Spielverhalten auszuschalten Als Cinna Katniss im zweiten Band mit einem im wahrsten Sinne des Wortes brandstiftenden Kleid ausstattet wird er im Nachgang vor ihren Augen von den Schergen des Praumlsidenten erschlagen Damit ruft die Autorin die Geschichte des antiken Lucius Cornelius Cinna auf einem roumlmischen Praumltor der waumlhrend der Verschwouml-rung gegen Julius Caesar seine Zustimmung zu dessen Ermordung erkennen lieszlig An seiner statt gelyncht wurde jedoch ein anderer Cinna der Dichter Gaius Helvius Cinna da man ihn faumllschlicherweise fuumlr den Politiker Cinna hielt

Dem Modedesigner aus Panem wird im Roman-geschehen ein Einfluss zuteil der die Leser zum Nachdenken uumlber die Wirkung von Kleidung und Stil in unserer Gesellschaft anregt da selbst ein Ver-weigern von Mode wie Katniss es zunaumlchst tut als gesellschaftliche Geste interpretiert wuumlrde und wird Katniss lernt im Verlauf der Handlung die Macht ihres aumluszligeren Erscheinungsbildes zielgerichtet einzu-setzen und Cinnas Tod zeigt unmissverstaumlndlich dass Kleidung ihre Schutz- und Schmuckfunktion transzendieren und als politische Botschaft eingesetzt werden kann Eine Szene der Verfilmung des zwei-ten Bandes Catching Fire von 2013 zeigt wie das von Cinna entworfene Brautkleid von Katniss das ihrer Unschuld Ausdruck verleihen soll in Flammen aufgeht und sie in einen aschenen Spott-Toumllpel einen rsaquomockingjaylsaquo verwandelt (s Video 9) Der Vogel gilt zu diesem Zeitpunkt bereits als Zeichen fuumlr die Unter-grundbewegung die sich aus den Uumlberlebenden des damals ausradierten Distrikt 13 gebildet hat Katniss wird von Jennifer Lawrence gespielt Cinna von Lenny Kravitz und ganz am Ende sieht man kurz Donald Sutherland als Praumlsident Coriolanus Snow

Zusammenfassend lassen sich folgende Punkte zu der Trilogie festhalten Die Buumlcher sind extrem gewalttaumltig nicht nur dass sie das Abschlachten von Kindern untereinander schildern sie beschreiben die erlittene Gewalt und ausgeuumlbte Brutalitaumlt auch

sind Primrose Ever deen Peeta Mellark Haymitch Aber-nathy Finnick Odair Johanna Mason Rue Thresh Clove Glimmer Blight Marvel

Seit der blutigen Niederschlagung eines Aufstands im ehemaligen Distrikt 13 gegen die Oligarchie des Capitols vor 74 Jahren bei der Distrikt 13 ausradiert wurde fuumlhrt das Capitol einmal jaumlhrlich die sogenann-ten rsaquoHunger Gameslsaquo durch fuumlr die aus jedem Distrikt ein Junge und ein Maumldchen zwischen 12 und 18 Jah-ren ausgelost werden die als jugendliche Gladiatoren in einer technologisch hoch entwickelten Arena gegen die Hindernisse der kuumlnstlich gesteuerten Natur und gegeneinander um ihr Leben kaumlmpfen muumlssen ndash un-ter permanenter Kamerabeobachtung da die Spiele als grausame Realityshow inszeniert und zwangs-weise in jeden Haushalt des Landes ausgestrahlt wer-den Fuumlr die Capitolsbewohner stellt die rsaquoShowlsaquo das Highlight des Jahres dar auf das jeder in freudiger Erregung wartet Fuumlr die restliche Bevoumllkerung jedoch handelt es sich um eine erzwungene Unterwerfungs-geste ja sogar da stets nur eine Person als Gewinner aus den toumldlichen Spielen hervorgehen kann um eine Opferung der eigenen Kinder wie es aus der griechischen Sage um Koumlnig Minos auf Kreta bekannt ist der als Tribut von den Athenern alle neun Jahre sieben junge Paare forderte die er ins Labyrinth des Minotaurus fuumlhren lieszlig Vor diesem Hintergrund ent-wickelt sich die Geschichte der Teenager-Amazone Katniss Everdeen aus dem Kohledistrikt 12 die an-stelle ihrer geliebten kleinen Schwester Prim freiwillig in die Arena zieht und zusammen mit ihrem Spielpart-ner dem unaufgeregten und moralisch geradlinigen Baumlckerssohn Peeta im Verlauf der drei Romane das perverse Spiel sabotiert einen Buumlrgerkrieg entfacht und Panem unter houmlchsten persoumlnlichen Verlusten und zahlreichen erlittenen Traumata schlieszliglich aus der Diktatur befreien kann

Die Nomenklatur des Romans ist roumlmisch sofern es sich um Mitglieder der Oligarchie handelt und wie schon angesichts des Laumlndernamens Panem offenbar wird Der Spielemacher der Hungerspiele heiszligt Seneca Crane der uumlberkandidelte Gameshow-Host Caesar Flickerman und der grausame Praumlsident von Panem traumlgt den Namen Coriolanus Snow Die Bewohner der armen Distrikte hingegen tragen fantasievolle naturverbundene Namen die oft auch ihren Charakter benennen Katniss Everdeen erinnert an ein immerwaumlhrendes Kraut Gale Hawthorne ihr Freund und spaumlter dann kompromissloser Revoluti-onsfuumlhrer gemahnt vom Namen her an eine stacheli-ge Sturmboumle9

9 Weitere Beispiele fuumlr die Namensgebung der Capitols-bewohner sind Seneca Crane Plutarch Heavensbee Effie Trinket Romulus Thread Claudius Templesmith Flavia Cato Brutus Octavia Portia und Pollux Weitere Beispiele fuumlr die Distriktnamen der Buchtrilogie



oumlffentliches Geld nur noch fuumlr diejenigen die sich am besten darstellen und vermarkten koumlnnen Es sind dies durchaus Uumlberlegungen die auch erwachsene Leser immer wieder umtreiben aktuell beispielsweise im Vorfeld einer neuen Praumlsidentschaftswahl in den USA oder angesichts des Zuzugs groszliger Menschen-mengen die auf der Flucht vor Krieg und Trauma sind Auch ethisch-moralische Dilemmas verhandelt der Roman ndash wie weit gehe ich fuumlr das eigene Uumlberle-ben ndash sowie politische Entscheidungsfragen Heiligt der Zweck die Mittel In welcher Gesellschaftsform bewegen wir uns momentan und welche Form sollten und wollen wir anstreben

Weitere Themen die die Trilogie verhandelt sind neben der Perversion der entbloumlszligten Intimsphaumlre quasi aller Distriktbewohner vor allem aber der aus-gewaumlhlten Tribute der Zynismus mit dem die Medien um der Quote willen das Leid von Individuen aus-schlachten Der mediale Einfluss zeigt sich in Panem voumlllig unmittelbar am eigenen Koumlrper So sehen sich alle Tribute einer Doppelbelastung in der Arena ausgesetzt Sie muumlssen nicht rsaquonurlsaquo um ihr Leben gegeneinander kaumlmpfen und Gleichaltrige oder Juumln-gere toumlten die sie zuvor kennen- und sogar schaumltzen gelernt hatten sondern bei der Eingangsshow und auch waumlhrend des Kampfes rsaquoperformenlsaquo das heiszligt vor den Kameras einen bestimmten Typus spielen oder sich anders praumlsentieren als sie eigentlich sind um Sponsoren zu gewinnen Denn die Sponsoren aus dem Publikum koumlnnen durch das Senden von Hilfsguumltern wie Waffen Nahrung und Medizin in die Handlung eingreifen und so die Uumlberlebenschancen

detailliert und drastisch Dies stellte zum Zeitpunkt der Veroumlffentlichung ein Novum dar da man solch explizite Gewaltdarstellung fuumlr ein jugendliches Publi-kum bislang rsaquonurlsaquo in stilisierter Form von Computer-spielen her kannte und aus diesem Grund weigerten sich manche Buchhaumlndler in Deutschland zunaumlchst den Roman auf dem Buumlchertisch fuumlr Jugendliche auszulegen Hieraus ergibt sich nebenbei bemerkt der interessante Effekt dass die Buumlcher gewalttaumltiger daherkommen als ihre Verfilmungen da man die beschriebene Brutalitaumlt nicht eins zu eins ins Visuelle umsetzen und gleichzeitig die Filme einem juumlngeren Publikum freigeben konnte

Doch geht der Handlungsstrang in Schaulust und Sensationsgier nicht voumlllig unter und hierin unter-scheiden sich die Tribute von Panem von vielen anderen Gladiatoren-Re-Inszenierungen Denn vor dem Hintergrund der erlittenen physischen wie auch psychischen Gewalt der alle Charaktere unterworfen sind wird solch eine Vielzahl von gesellschaftsre-levanten Fragen eindringlich verhandelt dass die Romane Jugendliche in ihrem subjektiv als drama-tisch empfundenen Erwachsenwerden abholen und zwar Maumldchen wie Jungen10 Wie steht es um Macht und Einfluss der sozialen Medien und Massenmedien auf unsere Gesellschaft Was macht der Zynismus von Castingshows und Reality-TV mit uns Flieszligt

10 Die Hunger Games sind neben Pippi Langstrumpf vielleicht das einzige Buch in dem eine weibliche Figur die Hauptrol-le innehat und das dennoch von jungen maumlnnlichen Lesern verschlungen wird

Video 9 Szene aus The Hunger Games 2 Catching Fire



MEDIENNaCHWEISE

Video 1 Atari Pong httpswwwyoutubecomwatchv=fiShX2pTz9A (zuletzt abgerufen am 08062016)

Video 2 Pain Station copy ZfL Aufgenommen am 12042016 von Florian Snigula

Abb 1 Unterkellerung des Kolosseums httpsdewikipediaorgwikiKolosseumold-format=truemediaFile0_Colosseum_-_Rome_111001_(2)JPG (zuletzt abgerufen am 08062016) Foto Jean-Pol Grandmont 2011

Abb 2 Querschnittmodell vom Hypogaumlum des Kolosseums Veranschaulicht wird die Funktionsweise der Buumlhnenmaschinerie Ausgestellt im Kolosseum in Rom httpsuploadwikimediaorgwikipediacommons113KolosseumModell1jpguselang=de (zuletzt abgeru-fen am 08062016) Foto Rabax63 2015

Abb 3 Gladiator-Buchcover-Collage copy Christine Kutschbach 2016

Abb 4 Buchcover Simon Scarrow Marcus Gladiator httpvollzeitvaterdewp-contentuploads201203Marcusjpg (zuletzt abgerufen am 31102016)

Abb 5 Buchcover MondfeldWertheim Die Schule der Gladiatoren httpsimages-nassl-images-amazoncomimagesI510Y6HJ4QBLjpg (zuletzt abgerufen am 31102016)

Buchcover Mannix Those About to Die httpswwwflickrcomphotos69111988N078621264444 (zuletzt abgerufen am 31102016)

Filmposter Ridley Scott Gladiator httpwwwimdbcomtitlett0172495mediaviewerrm3463959552 (zuletzt abgerufen am 31102016)

Video 3 Shadow of Rome Intro Trailer httpswwwyoutubecomwatchv=AoBVtvqlMFc (zuletzt abgerufen am 31102016)

Video 4 Shadow of Rome Game httpswwwyoutubecomwatchv=MDWFbMdrYgw (215ndash245 min zuletzt abgerufen am 31102016) Video 5 Spielsequenz Colosseum

entscheidend erhoumlhen Aber auch die Frage wie weit man in brenzligen Situationen gehen darf eigentlich generell wie man mit sich und anderen umgeht wird in diesen Romanen vom Schulhofmobbing auf die Menschenhatz in der Arena uumlbertragen und in vielen Situationen heiszligt die Entscheidung fuumlr die geschun-denen Protagonisten Humanismus hochhalten oder die eigene Haut retten

Und letztlich geht es um die politischen Auswirkungen persoumlnlicher Entscheidungen und um die Auswir-kungen politischer Entscheidungen auf persoumlnliche Beziehungen Solche Entscheidungsfragen das wird eindringlich geschildert muumlssen in Krisenzeiten getroffen werden und wirken bis in die engsten zwi-schenmenschlichen Verhaumlltnisse hinein Am Beispiel von Katniss und ihrem Jugendfreund Gale zeigt die Autorin wie hart diese Auswirkungen sind Der Junge mit dem die Heldin in ihrer Kindheit verbote-nerweise durch die Wildnis auszligerhalb ihres Distrikts streifte um heimlich durch Jagdbeute den Hunger der Familie zu lindern entwickelt sich im Verlauf der drei Romane zu einem bis aufs Aumluszligerste entschlossenen Freiheitskaumlmpfer Waumlhrend Katnissrsquo Kampfpartner Peeta noch in den riskantesten Situationen und bis zur Selbstaufopferung dem Humanismus verpflich-tet bleibt und vor der Folie brutalen Abschlachtens oftmals eher weich und schwach erscheint ist Gale ohne Weiteres bereit im Kampf gegen die Unter-druumlckung auch Individuen fuumlr das groumlszligere Ganze das houmlhere Wohl zu opfern Es ist wahrscheinlich die herzzerreiszligendste Szene der gesamten Trilogie als Katniss kurz vor Ende des letzten Bandes realisiert dass ihre Jugendliebe Gale von einem Anschlag auf das Aumlrzteteam der Untergrundkaumlmpfer wusste dem Katnissrsquo kleine Schwester Prim mittlerweile angehoumlrt und den er aus politischem Kalkuumll nicht verhinderte So faumlllt Prims Leben das zu retten Katniss eingangs in die Arena gezogen war nicht der Grausamkeit der Feinde aus dem Capitol sondern ausgerechnet Gales zweckgerichtetem politischen Handeln zum Opfer

Da die Buchtrilogie Todeskampf und Krieg nicht ein-fach schriftlich reproduziert sondern deren mediale Inszenierung in ihrer Auswirkung auf alle Ebenen der Gesellschaft mit thematisiert wurden Die Tribute von Panem meines Erachtens zu Recht als Antikriegslite-ratur bezeichnet Die Autorin hat mit ihrer Meta-Re-Inszenierung der antiken Todesspiele einen absolut schonungslosen Coming-of-Age-Roman geschaffen der es trotz seiner gerade im Hinblick auf die juumlngere Leserschaft verstoumlrenden Brutalitaumlt schafft nicht in die Sensationslust abzugleiten



httpswwwyoutubecomwatchv=IEM3r2epT-U (000ndash0042 min zuletzt abgerufen am 31102016)

Video 6 Colosseum Multiplayer httpswwwyoutubecomwatchv=hDiDXZMuxEM (005ndash030 min zuletzt abgerufen am 31102016)

Video 7 Ryse Son of Rome httpswwwyoutubecomwatchv=Ru9LrKZm3R0 (000ndash125 min zuletzt abgerufen am 31102016)

Abb 6 Filmposter Das Millionenspiel (1970) Regie Tom Toelle Drehbuch Wolfgang Menge (Adaption der Kurzgeschichte The Prize of Peril von Robert Sheckley) 95 Minuten httplichtspieltheateru-995comimagesFilmbilderdasmillionenspieldvdcoverJPG (zuletzt abgerufen am 31102016)

Filmposter Gamer (2009) Regie und Drehbuch Mark Neveldine Brian Taylor 94 Minuten httpwwwfilminfosdecoverbig69669681jpg (zuletzt abgerufen am 31102016)

Buchcover Die Tribute von Panem (2009ndash2011) Ori-ginaltitel The Hunger Games (2008ndash2010) Autorin Suzanne Collins dt Uumlbersetzung Sylke Hachmeister und Peter Kloumlss vierteilige Verfilmung 2012ndash2015 httpwwwvideoloaddeimagesWUHosting12ima-geskinoweltpic_1268941jpg (zuletzt abgerufen am 31102016)

Video 8 WDR-Interview httpswwwyoutubecomwatchv=5Hn0YvSf7e4 (zuletzt abgerufen am 31102016)

Abb 7 Karte von Panem httptheutscmessengercomwpwp-contentuploads201203Mappng (zuletzt abgerufen am 10062016)

Video 9 Szene aus The Hunger Games Catching Fire httpswwwyoutubecomwatchv=w7R7bm33r6M (zuletzt abgerufen am 26102016)



Zentrum fuumlr Literatur- und Kulturforschung Berlin Schuumltzenstraszlige 18 | 10117 BerlinT +49(0)30 201 92-155 | F -243 | sekretariatzfl-berlinorg

2 INTERJEKTE 8 2016

INTERJEKTE ist die thematisch offene Online- Publikationsreihe des Zentrums fuumlr Literatur- und Kulturforschung (ZfL) Sie versammelt in loser Folge Ergebnisse aus den Forschungen des ZfL und dient einer beschleunigten Zirkulation dieses Wissens Informationen uumlber neue Interjekte sowie aktuelle Programmhinweise erhalten Sie uumlber unseren E-Mail-News letter Bitte senden Sie eine E-Mail mit Betreff raquoMailing-Listelaquo an zimmermannzfl-berlinorg

IMPRESSUM

Herausgeber Zentrum fuumlr Literatur- und Kultur-forschung Berlin (ZfL) wwwzfl-berlinorg

Direktorin Prof Dr Eva GeulenRedaktion Dr Christine KutschbachGestaltung KRAUT amp KONFETTI GbR BerlinLayout Satz Dominik FluumlgelTitelbild raquoThe Headachelaquo von G Cruikshank 1835

copy 2016 Das Copyright und saumlmtliche Nutzungsrechte liegen ausschlieszliglich bei den Autoren ein Nachdruck der Texte auch in Auszuumlgen ist nur mit deren aus-druumlcklicher Genehmigung gestattet

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