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Mai 2005 Arbeitsbericht Nr. 100 Armin Grunwald Gerhard Banse Christopher Coenen Leonhard Hennen INTERNET UND DEMOKRATIE ENDBERICHT ZUM TA-PROJEKT ANALYSE NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UNTER KULTURELLEN ASPEKTEN

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Mai 2005

Arbeitsbericht Nr. 100

Armin GrunwaldGerhard BanseChristopher CoenenLeonhard Hennen

INTERNET UND DEMOKRATIEENDBERICHT ZUM TA-PROJEKT

ANALYSE NETZBASIERTER KOMMUNIKATIONUNTER KULTURELLEN ASPEKTEN

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Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) berätdas Parlament und seine Ausschüsse in Fragen des technischen und gesellschaft-lichen Wandels. Das TAB ist eine organisatorische Einheit des Instituts für Tech-nikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums Karls-ruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft. Das TAB arbeitet seit 1990 auf der Grund-lage eines Vertrages zwischen dem Forschungszentrum Karlsruhe und demDeutschen Bundestag und kooperiert zur Erfüllung seiner Aufgaben seit 2003mit dem FHG-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe.

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INHALT

ZUSAMMENFASSUNG 5

I. EINLEITUNG 19

II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL 27

1. Das Internet als Informationsinfrastruktur 28

2. Überblick über wichtige Nutzungsmöglichkeiten 32

3. Entwicklung von Nutzung und Nutzungsweisen 39

4. Netzbasierte Kommunikation und kultureller Wandel 43

5. Potenziale und Realität der Internetnutzung 49

III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION 53

1. Internet und Politik – zwischen Aufbruchstimmung und Ernüchterung 53

2. Visionen, Potenziale und Befürchtungen 572.1 Effizienzsteigerung demokratischer Prozesse und Institutionen 582.2 Belebung der Demokratie 592.3 Befürchtungen und Sorgen 622.4 Aktuelle Ansätze 64

3. Politische Öffentlichkeit und das Internet 653.1 Öffentlichkeit und Interaktivität 663.2 Teil- und Gegenöffentlichkeiten 673.3 Deliberative Demokratie 69

4. Transnationale Demokratiepotenziale des Internets 724.1 Globalisierung, transnationale Politik und das Internet 724.2 Transnationale Internetöffentlichkeiten 75

5. Politische Potenziale netzbasierter Kommunikation und Ansätze zu ihrer Realisierung 77

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT – AUF DEM WEG IN DIE DIGITALE DEMOKRATIE? 81

1. Digitale Demokratie auf europäischer Ebene 821.1 Onlinekommunikation und »partizipative Demokratie« 851.2 »Ihre Stimme in Europa«: Ein Beispiel für interaktive

Politikgestaltung? 871.3 Ein neuer Trend in der Informations- und

Kommunikationsstrategie der EU? 93

2. Digitale Demokratie in Deutschland und Großbritannien 962.1 Regierungsprogramme und -aktivitäten 972.2 Nicht staatliche Internetöffentlichkeit, Netzkultur und

deren Förderung 1072.3 Websites der Bundesregierung 113

3. Parlament und digitale Demokratie 1293.1 Individuelle Webangebote von Parlamentariern 1293.2 Petitionsrecht, Bürgerbeteiligung und netzöffentliche

Diskussion 1343.3 Parlamentsreform und E-Demokratie in Großbritannien 1363.4 Die Onlineanhörungen des britischen Parlaments 1413.5 Aktivitäten des Deutschen Bundestages zur digitalen

Demokratie 149

4. Zur Einschätzung des Entwicklungsstands digitaler Demokratie 159

V. NETZÖFFENTLICHKEIT – DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION 165

1. Der Internetnutzer als Rezipient und Autor 1661.1 Netzbasierte politische Information und Meinungsbildung 1671.2 Politische Artikulation im Netz 1701.3 Politische Weblogs 1721.4 Partizipatorischer Journalismus und Qualitätssicherung 1751.5 Politische Mobilisierung durch netzbasierte Kommunikation? 176

2. Nutzung des Internets durch zivilgesellschaftliche Gruppen 1782.1 Neue Formen von Gegenöffentlichkeit 1792.2 Kommunikation und Kooperation 1812.3 Netzaktivismus 1842.4 Zur Bedeutung der Netzkommunikation für

zivilgesellschaftliche Gruppen 185

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INHALT

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3. Politische Debatten im Netz 1863.1 Das Internet mit sich selbst befasst – Urheberrecht und

Copyright 1873.2 Politische Öffentlichkeit im Internet – der Diskurs über

gentechnisch veränderte Nahrungsmittel 201

VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN 219

1. Das Internet – eine neue Form politischer Öffentlichkeit? 220

2. Handlungsoptionen 230

LITERATUR 245

1. In Auftrag gegebene Gutachten 245

2. Weitere Literatur 246

ANHANG 261

1. Tabellenverzeichnis 261

2. Abbildungsverzeichnis 261

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INHALT

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ZUSAMMENFASSUNG

Gegenstand der vorliegenden Studie sind Auswirkungen der Internetkommunika-tion auf die Demokratie und ihre kulturellen Grundlagen. Die Auseinandersetzungmit dieser vielfältigen Thematik erfolgt entlang der nachstehenden Fragen:

> Wie verändern sich durch das Internet die technischen Möglichkeiten für politi-sche Information, Kommunikation und Partizipation?

> Welche durch das Internet induzierten kulturellen Veränderungen mit Folgen fürpolitische Kommunikation sind erkennbar?

> Welche Visionen und Potenziale des Internets für die Demokratie, aber auchwelche diesbezüglichen Befürchtungen wurden und werden wissenschaftlich dis-kutiert, und wie sind diese heute einzuschätzen?

> Wie sehen und nutzen Institutionen der Exekutive und Parlamente die Internet-kommunikation? Inwieweit trägt dies zur Realisierung der Demokratiepotenzialedes Internets bei?

> Wie nutzen zivilgesellschaftliche Akteure das Internet für politische Kommunika-tion und was verändert sich dadurch in der politischen Öffentlichkeit? Inwieweitlässt sich die These vom Internet als neue Form politischer Öffentlichkeit(»Netzöffentlichkeit«) stützen?

> Wo liegen politischer Gestaltungsbedarf und politische Gestaltungsoptionen, ins-besondere beim Deutschen Bundestag?

Das Internet wird in dieser Studie somit als mögliches Medium der Unterstützungund Stärkung der Demokratie untersucht. Auch in Auseinandersetzung mit skepti-schen Einschätzungen und Befürchtungen einerseits und mit hoch fliegenden Visio-nen und Erwartungen andererseits sucht dieser Bericht nach realistischen Antwortenauf die Frage nach den Auswirkungen des Internets auf politische Kommunikationund demokratische Kultur.

Ungeachtet des faktischen politischen Bedeutungszuwachses des Internets treten dieeinschlägigen Debatten – zumindest in Bezug auf die übergreifende Einschätzungpolitischer Auswirkungen – oft auf der Stelle. Zwar haben im wissenschaftlichen»Mainstream« sowohl der »Cyberoptimismus« – der den Blick vor allem auf Poten-ziale lenkt – als auch der »Cyberpessimismus« – der unerfreuliche Begleiterschei-nungen und mögliche Risiken der Entwicklung fokussiert – an Einfluss verloren. Dieneue Bescheidenheit, die sich u.a. in der häufigen, fast rituell anmutenden Betonungdes »Business-as-usual«-Aspekts politischer Netznutzung äußert, hat jedoch auchihre Schattenseiten: Weitreichende Hoffnungen wie Befürchtungen bestehen fort,werden aber nur noch selten explizit und kritisch diskutiert. Sie üben so weiter Ein-fluss aus, ohne als normativer Hintergrund deutlich sichtbar zu sein.

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Ein Vorteil der Entwicklung der letzten Jahre ist aber die verstärkte Hinwendungzur empirischen Erforschung tatsächlicher politischer Nutzungsweisen des Internets,wobei verstärkt auch die zentralen politischen Akteure in den Blick genommenwurden. Die vorliegende Untersuchung trägt dieser Tendenz Rechnung und setztsich zugleich mit weitergehenden demokratietheoretischen Fragestellungen ausein-ander. Dabei waren der Entwicklungsstand und die Potenziale des Internets zuberücksichtigen:

> Zum einen spricht – denkt man an frühere medientechnologische Entwicklungen– einiges für die Annahme, dass sich das spezifische Internet-»Mediendispositiv«bisher noch nicht herausgebildet hat – dass bisher also viele Potenziale noch nichtrealisiert sind und oft Anwendungen vorherrschen, die – als Nachahmungen äl-terer medialer und nicht medialer Praktiken – vermutlich Übergangsphänomenedarstellen.

> Zum anderen weist das Internet eine Reihe von Aspekten auf, die Annahmenerheblicher quantitativer Sprünge und sogar neuer Qualitäten medialer Informa-tion und Kommunikation nahe legen. Beispiele dafür sind die Schnelligkeit, mitder durch das Internet große Mengen von Information (Texte, Bilder und Töne)über weite Entfernungen übermittelt werden können, die Entstehung gänzlichneuer Möglichkeiten medialer Kommunikation sowie die weitreichenden Mög-lichkeiten der Abbildung, Speicherung und Archivierung von kommunikativenProzessen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der Argumentationsgang wie folgt skizzieren:

> Ausgangspunkt bei dem normativen Leitbild einer deliberativen Demokratie, dasdemokratietheoretisch gut begründet und im politischen Diskurs verankert ist;

> Befassung mit den möglichen Beiträgen des Internets (Potenzialen) zur Verwirk-lichung dieser normativen Vorstellungen;

> Blick in die Realität der politischen Internetkommunikation und Prüfung, ob undinwieweit diese Potenziale bereits umgesetzt sind;

> Bestimmung von fördernden Faktoren, aber auch von Hemmnissen, die einerUmsetzung bislang im Wege stehen;

> Nutzung dieser als Ansatzpunkte zur Identifikation politischer Handlungsmög-lichkeiten.

Auf diese Weise soll zur konkreten Einschätzung der aktuellen politischen Nut-zungsweisen des Internets beigetragen werden, ohne über das Gegenwärtige hinaus-gehende Innovationspotenziale und mögliche Risiken auszublenden.

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TECHNISCHER UND KULTURELLER WANDEL

Das Internet stellt neue Möglichkeiten der Information, der Kommunikation undder Partizipation bereit. Das Internet ermöglicht Datenübertragung, die

> entfernungsunabhängig (und damit potenziell global für »Fernkommunikation«nutzbar) ist,

> preisgünstig und leicht bedienbar ist,> schnell (praktisch ohne Zeitverlust) erfolgt und dabei Onlinekommunikation und

Interaktivität ermöglicht,> dezentral organisiert ist,> Möglichkeiten der Einspeisung von Informationen für jedermann bereitstellt,

und> durch Links und Suchmaschinen Orientierung ermöglicht.

Im Gegensatz zu den traditionellen Massenmedien mit One-to-many-Kommunika-tion und der Individualkommunikation (z.B. beim Telefonieren) eröffnet die Kom-munikation im Internet auch Interaktionsmöglichkeiten in der Weise, dass von je-dermann – also auch von denen, die in der massenmedialen Kommunikation nurEmpfänger sind – Inhalte bzw. Informationen für einen potenziell globalen Adres-satenkreis bereit gestellt werden können. Durch die technischen Möglichkeiten desInternets wird damit jeder Nutzer (a) potenziell auch zum Sender und hat (b) dieMöglichkeit, direkt auf Informationen anderer Nutzer/Anbieter zuzugreifen, wobeisich ein Zugang zu Informationen ergibt, der in quantitativer und qualitativer Hin-sicht historisch beispiellos ist.

In Bezug auf die Möglichkeiten der Internetkommunikation sind verschiedeneDienste und Anwendungen zu unterscheiden. Neben solchen, die der Informations-verteilung dienen (wie z.B. Newsletter), stehen Diskussionsformate (wie z.B. Online-foren und Chats). Die Dienste und Anwendungen weisen Unterschiede in Bezug auf ihre Potenziale für politische Kommunikation auf und müssen entsprechenddifferenziert untersucht und bewertet werden. Insgesamt ist, bei aller Betonung derRelevanz des Internets für politische Kommunikation, allerdings zu beachten, dass– wie in der Offlinekommunikation – nur ein eher geringer Anteil netzbasierterKommunikation politische Themen betrifft.

Durch neue technische Möglichkeiten der Kommunikation ergeben sich nicht auto-matisch kulturelle Veränderungen. Es bedarf nicht nur technischer, sondern auchsoziokultureller Innovationen, um einen kulturellen Wandel im Sinne von neuenindividuellen wie kollektiven Kommunikations- und Handlungsmustern herbeizu-führen. Die wesentlichen sozialen und kulturellen Wirkungszusammenhänge desInternets rühren weniger von seinen technischen Eigenschaften her als davon, dass

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Menschen es zu einem alltäglichen sozialen Interaktionsraum machen, es gleichsam»erobern« und sich aneignen, wodurch neue gesellschaftliche Kommunikations-und Handlungsmuster entstehen.

Netzbasierte Kommunikation als technische Neuerung kann daher nicht losgelöstvon anderen Aspekten der Kulturentwicklung gesehen werden. Die Veränderungender modernen Lebensführung in den industrialisierten Ländern zu »postmodernen«Formen sind weitaus vielfältiger und haben ihre Ursache nicht allein in der Entste-hung neuer technischer Artefakte; vielmehr ist es ein komplexer Mix aus zahlrei-chen sozialen, politischen und technischen Faktoren, der kulturelle Veränderungenbewirkt (oder auch verhindert). Netzbasierte Kommunikation ist damit nur ein Fa-den im komplexen »Gewebe« der Kultur. Sozialer und kultureller Wandel, an demFormen netzbasierter Kommunikation maßgeblich beteiligt sind, zeigt sich aber z.B.in Tendenzen zunehmender Individualisierung, der Vervielfältigung kultureller Iden-titätsangebote und in kulturellen Globalisierungsprozessen. Bei diesen Prozessenkommt es zu Wechselwirkungen zwischen homogenisierenden Tendenzen (z.B. inBezug auf die sprachliche Vielfalt), neuen Verbindungen zwischen lokalen und glo-balen Kontexten (»Glokalisierung«), Ansätzen zur Herausbildung posttraditionalertransnationaler Kommunikationsgemeinschaften (z.B. im Bereich der NGOs, Netz-kulturen und Jugendkulturen) sowie neuen Formen sozialer Spaltung auf nationalerund globaler Ebene (»Digital Divide«). Diese Entwicklungen gehören zum Hinter-grund der politischen Nutzung des Internets und werden dementsprechend an ver-schiedenen Stellen der vorliegenden Studie angesprochen.

Absehbar ist, dass das Internet zur weiteren internen Ausdifferenzierung der Gesell-schaft beitragen wird, wobei neue Kommunikations- und Informationsweisen ent-stehen. Durch netzbasierte Kommunikation werden Individuen und Gruppen befä-higt, sich zu bestimmten Anlässen zusammenzuschließen, um gemeinsam als wich-tig erachtete Ziele durchzusetzen. Es sind ansatzweise neue kulturelle Muster in derSpannung zwischen Individualisierung und Fragmentierung auf der einen Seite sowieVergemeinschaftung und themenbezogenen gemeinsamen Aktivitäten andererseitserkennbar. Die durch netzbasierte Kommunikation ermöglichte »abwesende Prä-senz« oder »virtuelle Gegenwart« auf vielen gleichzeitigen Aktionsfeldern stellt denInternetnutzer aber auch vor neue Herausforderungen. Sie bringt ein neues Ent-scheidungsdilemma auf der individuellen Ebene mit sich, denn die Bürger müssennoch häufiger entscheiden, welche Aktivitäten sie verfolgen wollen, um angestrebtepolitische Ziele zu unterstützen.

Für die Ausgestaltung netzbasierter Kommunikation und ihre Verbreitung deutetsich als weiteres Problem an, in welchem Umfang interpersonale Kommunikation,die elektronische Spuren hinterlässt, auch als vertrauenswürdige Kommunikationangesehen wird. Mechanismen oder Filter müssen entwickelt werden, die in der

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Lage sind, Vertrauen in die gesendeten/empfangenen Mitteilungen herzustellen.Hinsichtlich kultureller Praktiken netzbasierter Kommunikation sollte das Momentder Selektion und Kontrolle der Kommunikations- und Informationsangebote ver-stärkt berücksichtigt werden.

INTERNET UND DEMOKRATIE – TENDENZEN DER WISSENSCHAFTLICHENDEBATTE

Das Internet eröffnet als interaktives Medium grundlegende Kommunikationsmög-lichkeiten neu und ist damit auch demokratietheoretisch relevant. Dies betrifft vorallem die Konstituierung von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeiten und dieMöglichkeiten politischer Information, Deliberation und Partizipation.

Die wissenschaftliche Analyse hat zunächst klar die positiven Potenziale der Internet-nutzung für die politische Kultur in den Vordergrund gestellt. Angesichts unbefrie-digender Entwicklungen in den westlichen Demokratien (wie Politikverdrossenheit,Wahlmüdigkeit und Legitimationsprobleme des repräsentativen Demokratiemodellsin zunehmend weniger hierarchisch strukturierten Gesellschaften) erschien vielendie Nutzung des Internets als Königsweg der Problemlösung. Neue interaktiveKommunikations-, Deliberations- und Partizipationsmöglichkeiten wurden alsChance zur Wiederbelebung der Demokratie gesehen.

Im Zuge weiterer Analysen und der Krise der Internetökonomie folgte jedoch einePhase der Ernüchterung. Der Technikdeterminismus, nach dem bereits das Angebotneuer Technik ausreichen würde, um neue Formen politischer Kultur zu begründen,erwies sich als eindimensional und naiv. Denn zum einen kam in den Blick, dass dasInternet neue Probleme schafft, besonders hinsichtlich der Zugangsmöglichkeitenund der Anforderungen an die Nutzer hinsichtlich ihrer Medienkompetenz in um-fassender Hinsicht. Zum anderen stellt sich die Realisierung der Potenziale des Inter-nets nicht von selbst ein. Nicht Technik löst die Probleme der Demokratie, sondernTechnik kann von gesellschaftlichen Akteuren eingesetzt werden, um die Problemezu lösen. Die Technik Internet muss sozial und kulturell aktiv »angeeignet« werden,um ihre Potenziale zu entfalten.

Aktuelle Konzepte sind geprägt von dem »zweiten Blick« auf die Rolle des Internetsin der und für die Demokratie. Über die Ernüchterungsphase hinausgehend folgensie Spuren der real erkennbaren Veränderungen politischer Kommunikation undbetonen die Möglichkeit der Intensivierung der Kommunikation zwischen Bürgernuntereinander und zwischen Bürgern und dem politischen System – ohne dabeigleich die Lösung der großen Probleme der Demokratie zu erwarten. Sie setzen aufmittel- und längerfristige Entwicklungen stärkerer gesellschaftlicher Interaktivität,

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Responsivität und Deliberation unter Einschluss der Möglichkeiten, die das Netzzur Effizienzsteigerung von Kommunikation und Informationsversorgung bietet.

Im transnationalen Bereich deuten sich Entwicklungen an, die es rechtfertigen, auchvon einem transnationalen Demokratiepotenzial des Internets zu sprechen. So sindim europäischen Bereich, wenigstens in Teilöffentlichkeiten und einigen Eliten, be-reits Vernetzungsaktivitäten und Onlinedeliberationen in größerem Umfang zubeobachten. Das Internet wird auch von transnational orientierten NGOs undsozialen Bewegungen genutzt, vor allem um zu mobilisieren, Proteste oder andereAktivitäten zu bestimmten Anlässen (z.B. Weltgipfel) und Themen zu koordinierenoder internationale Solidarisierungsaktionen in Gang zu setzen. Zivilgesellschaftli-che Akteure gehören in diesem Bereich zu den Vorreitern, nationalstaatliche undübergeordnete demokratische Akteure stehen dadurch unter dem Druck, sich eben-falls an diesen Teilöffentlichkeiten zu beteiligen. Wenn auch sicher bisher nicht voneiner umfassenden europäischen oder gar globalen Öffentlichkeit gesprochen wer-den kann, so gibt es doch deutliche Anzeichen dafür, dass zu bestimmten Themenund unter einzelnen Gruppen – also in Teilöffentlichkeiten – das Internet bereitserhebliche Folgen für politische Kommunikation hat.

POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

Die Politik hat sich in den letzten Jahren hin zu Netzöffentlichkeit und Netzkulturgeöffnet und reagierte dabei auch auf die Ansprüche von Bürgern, die das Netz alsein Mittel der einfachen und direkten Kommunikation (auch im politischen Bereich)betrachten. Durch Fördermaßnahmen, Vernetzung der eigenen Webangebote mitdenen nicht staatlicher Akteure, Teilnahme an Onlinediskussionen, dem eigenenExperimentieren mit verschiedenen Onlinediskussionsformaten und die zunehmen-de Bereitstellung von Informationen im Internet spielt die Politik mittlerweile einewichtige Rolle in der Netzöffentlichkeit. Zudem werden innerhalb der Netzkulturund von politisch aktiven Bürgern vielfältige Aktivitäten zur Stärkung und zumAusbau digitaler Demokratie entfaltet. Von zentraler Bedeutung für die weitereEntwicklung wird daher sein, wie sich jeweils die Logik, Kultur und das Zeitregimeder Politik mit den – oft netzkulturell grundierten – Erwartungshaltungen starkkommunikationswilliger, an Partizipation interessierter Bürger in Einklang bringenlassen werden. Weder politische Kulturen noch Netzkulturen oder die Kulturbürgerschaftlichen Engagements allgemein sind starre Gebilde: Allein durch dieweiter zunehmende Durchdringung vieler Lebensbereiche durch das Internetwerden bestehende Unvereinbarkeiten und Reibungsflächen aller Voraussicht nachan Bedeutung verlieren.

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Bereits heute wird das Netz vielfältig für die Kommunikation zwischen Politik undBürgern genutzt, an verschiedenen Orten sind Routinen entstanden. Auch inter-national und auf EU-Ebene wurden in den letzten Jahren die Aktivitäten zur E-Par-tizipation und Onlinediskussion verstärkt. Es besteht programmatischer Konsensdarüber, dass dem Internet eine wichtige Rolle für eine Stärkung repräsentativerDemokratie zukommen kann. Trotzdem lässt sich insgesamt gesehen immer nochvon einer Experimentierphase sprechen. Einige vorsichtige Einschätzungen der bis-herigen Praxis sind aber schon möglich:

> (Außerhalb Deutschlands) besonders weit entwickelt ist die Nutzung von Online-befragungen im Rahmen von Anhörungen.

> Onlinediskussionsformate (wie Foren, Chats, Weblogs mit Kommentarfunktionenetc.) werden vielfach genutzt und das inhaltliche Niveau und der Grad an Sach-lichkeit der Diskussionen sind dabei häufig hoch.

> Erfolg versprechen vor allem Themen, die im speziellen Interesse von Fachleutenund besonders gut informierten Bürgern liegen, oder solche, bei denen bestimmteBevölkerungsgruppen politisch besonders stark betroffen sind.

> Im Vergleich zu den Nutzerzahlen der klassischen Massenmedien ist die Zahl derNutzer staatlicher Onlinediskussionsangebote aber gering, die durch vermehrteWerbung zu erschließenden Potenziale jedoch auch noch nicht ausgeschöpft. DieNutzung von Diskussionsergebnissen und (in den meisten Fällen auch) vonBefragungsergebnissen für den Zweck plebiszitärer Legitimation ist – vor allemwegen der in der Regel relativ niedrigen Teilnehmerzahlen – nicht möglich.

Trotz vieler (im Sinn der offiziell proklamierten Ziele) positiver Erfahrungen mitpolitischen Onlinediskussionsangeboten weist die Politik zu diesem Bereich digita-ler Demokratie – zumindest in Deutschland und auf EU-Ebene – Verbesserungsbe-darfe und Inkonsequenzen auf. Es fällt z.B. auf, dass viele der Onlinediskussions-angebote nicht durchgängig den Qualitätskriterien und Empfehlungen entsprechen,die von der OECD, der Bundesregierung und anderen relevanten Akteuren selbstentwickelt worden sind.

Die kommunikativen Potenziale des Internets führen allerdings auch hier nicht perse zu einem verstärkten Engagement der Nutzer. Das Netz erleichtert aber die Kom-munikation zwischen Bürgern und Staat und kann insofern die politische Meinungs-und Willensbildung sowie die Responsivität der Institutionen der repräsentativenDemokratie gegenüber Ansprüchen und Erwartungen der Gesellschaft unterstützen.Bei entsprechender Konzeption der Angebote ergeben sich auch neue Zugangsmög-lichkeiten zum politischen Prozess für gesellschaftliche Gruppen, die in dieser Hin-sicht eher benachteiligt sind (z.B. Jugendliche, Personen mit knappen Zeitressourcenoder geringer Medienkompetenz und solche, die aufgrund ihrer Gefährdung aufAnonymität angewiesen sind).

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Aus der Perspektive einer deliberativen »digitalen Demokratie« – in der Politikdurch netzbasierte Information und Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürgertransparenter, effizienter und responsiver werden soll – ist es zu begrüßen, wenn die-jenigen Strukturen und Prozesse gefördert und unterstützt werden, die ein erwei-tertes bürgerschaftliches Engagement ermöglichen und zu einer vitalen politischenund kulturellen Netzöffentlichkeit beitragen. Parlamente können hier durch dieeigenen Websites und bei der Gestaltung der Politik zur digitalen Demokratie einewichtige Rolle spielen.

NETZÖFFENTLICHKEIT UND ZIVILGESELLSCHAFT

Der Frage, in welcher Art und Weise politische Kommunikation als öffentlicheKommunikation im Internet stattfindet, wurde im vorliegenden Bericht auch hin-sichtlich der drei folgenden Aspekte nachgegangen:

> Inwiefern ergeben sich aus der Perspektive des Bürgers als Internetnutzer neueMöglichkeiten der politischen Meinungsbildung, der politischen Artikulationund des Zugangs zu politischer Öffentlichkeit?

> Wie nutzen NGOs und soziale Bewegungen das Internet für ihre Zwecke undwelche Bedeutung kommt dabei der Herstellung von Netz(gegen)öffentlichkeit zu?

> Was lässt sich mit Blick auf spezifische politische Debatten (anhand der BeispieleCopyright und »Genfood«) zur Bedeutung des Internets für politische Öffentlich-keit feststellen?

Die dem individuellen Nutzer zur Verfügung stehenden Kommunikations- und In-formationsmöglichkeiten lassen es gerechtfertigt erscheinen, vom Internet als poli-tischem Kommunikationsraum mit eigenen, von massenmedialer Kommunikationunterscheidbaren Merkmalen zu sprechen – womit allerdings über die weitreichen-de These der Mobilisierung und politischen Aktivierung der Bürger durch das Netznoch wenig ausgesagt ist. Das Internet eröffnet aber neue Möglichkeiten politischerKommunikation und diese werden auch von politisch interessierten Nutzern wahr-genommen. Zu nennen sind hier sowohl die vielfältigen Möglichkeiten, Informa-tionen direkt bei den Angeboten verschiedener gesellschaftlicher Akteure abzurufen,als auch die im Vergleich zu den Massenmedien erweiterten Möglichkeiten, sich imNetz zu artikulieren, bis hin zu Ansätzen von Laienjournalismus im Netz. Zu be-obachten sind auch Fälle, in denen es Nutzern gelingt, z.B. über so genannteWeblogs, Einfluss auf die Agenda der Massenmedien auszuüben. Die Nutzung derPotenziale des Netzes als Raum politischer Kommunikation (sowohl als Rezipientals auch als Autor) setzen aber neben Kompetenz im Umgang mit dem Internet auchpolitisches Wissen und Engagement voraus. Es sind vor allem die seit langem poli-tisch Aktiven und Kenntnisreichen, die das Potenzial ausschöpfen können.

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Die Forschung zur aktuellen Bedeutung der Netzkommunikation für zivilgesell-schaftliche Gruppen zeigt, dass der netzbasierten Kommunikation insbesondere fürdie Organisation transnationalen Protestes und transnationaler Solidarisierung of-fenbar eine wichtige Funktion zukommt. Andererseits zeigen Untersuchungen zuden Internetangeboten wichtiger auch transnational agierender NGOs, dass die An-gebote eher konventionell gehalten sind und das der Technik inhärente Interaktions-potenzial nur wenig genutzt wird. Auch bezüglich der Auswirkung netzbasierterKommunikation auf die innerorganisatorischen Strukturen sind die Erkenntnisseuneinheitlich. Für eher lose thematisch diversifizierte Netzwerke scheint netzbasierteKommunikation eine conditio sine qua non ihres Funktionierens zu sein. Verände-rungen der innerorganisatorischen Kommunikationsstrukturen bei eher hierarchischorganisierten NGOs sind aber auch durch die erweiterte Nutzung der Möglichkei-ten netzbasierter Kommunikation nicht zu erwarten. Von wesentlicher Bedeutungfür die Arbeit und die Selbstdarstellung zivilgesellschaftlicher Gruppen scheint dieMöglichkeit zu sein, Informationen zu sammeln und an Mitglieder und die interes-sierte Öffentlichkeit via Website oder Mailinglisten zu verbreiten. Es wird auch ver-sucht, das Netz zur Herstellung von Gegenöffentlichkeit zu nutzen.

Die beiden im Rahmen des Projekts durchgeführten empirischen Untersuchungenzu den Strukturen und Inhalten von politischen Debatten im Netz (mit den Themen»Copyright« und »genetisch modifizierte Nahrungsmittel«) zeigen, dass das Ange-bot an Informationen zu diesen politischen Themen im Netz groß ist, wobei dieSichtbarkeit der Angebote von Staat und Parteien oft eher gering ist. Die Masse derangebotenen Informationen macht es gerade für den einfachen Nutzer nahezu un-möglich, sich einen eigenen Überblick über die Breite der vorhandenen Argumenteund Meinungen zu verschaffen.

Insbesondere die Untersuchung zum Thema »Genfood« stützt die Annahme, dasssich im Internet ein breiteres Spektrum von Akteuren breitenwirksam artikulierenkann als in der massenmedialen Öffentlichkeit. Zwar dominieren »starke«, gut or-ganisierte Akteure, aber auch Akteuren, die kaum Zugang zur massenmedialenÖffentlichkeit haben, bietet sich die Chance, im Netz wahrgenommen zu werden.Deutlich wird auch die im Vergleich zur Presse ausgeprägtere internationale odergrenzüberschreitende Ausrichtung der Netzkommunikation.

Widersprüchliches erbrachte die vorliegende Untersuchung zur Qualität der im Netzgeführten Debatten. Obwohl sich im Fall der Untersuchung zum Thema Copyrightdie Nutzer recht gut informiert zeigten und obwohl die meisten Nutzer gerade dieinteraktiven Möglichkeiten des Netzes und den Austausch mit anderen Nutzern inOnlinediskussionen schätzen, wurde die schlechte Qualität der Diskussionen in denvorhandenen Onlineforen beklagt. Offensichtlich werden die thematisch einschlä-gigen Foren von urheberrechtskritischen Nutzern dominiert, die sich in oft emotio-

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nalisierter Art und Weise in ihrer Position selbst bestärken, und diese Form selbst-referenzieller Kommunikation wird von diesen selbst als unbefriedigend empfunden.

Bezüglich der argumentativen Qualität der im Netz einfach per Suchmaschinen-recherche auffindbaren Texte zeigte sich aber im Falle der »Genfood«-Debatte keinrelevanter Unterschied zur Behandlung des Themas in der Presse. Die Bandbreitevon Texttypen und Formaten ist im Netz hier größer und das argumentative Spek-trum zum Thema »Genfood« zumindest nicht enger als in der Presseberichterstat-tung. Von vergleichsweise geringerer Bedeutung sind Texte, die – journalistischenNormen entsprechend – das Für und Wider gegeneinander abwägen (wenngleich dieklassischen journalistischen Formate das Gros der Texte ausmachen). Dagegenfanden sich relativ oft Positionen zum Thema in authentischer Art und Weise – ebenStellungnahmen, Dokumente etc. von Akteuren selbst, und nicht Berichte übersolche Stellungnahmen. Das Internet ist hier somit ein Medium für Selbstdarstel-lungen und Verlautbarungen und nicht für journalistische Berichterstattung. Es lässtsich vermuten, dass es netzbasierte Kommunikation stärker als die Rezeption dermassenmedialen Berichterstattung erlaubt, nur einen bestimmten Ausschnitt ausdem öffentlichen Meinungsspektrum wahrzunehmen bzw. überhaupt erst aufzu-suchen.

Das Beispiel Copyright liefert Hinweise auf die Existenz einer eigenständigen, vonmassenmedialer Vermittlung weitgehend unabhängigen politischen Teilöffentlich-keit im Netz. Die Möglichkeit verbesserter Selbstdarstellung und Artikulation fürzivilgesellschaftliche Initiativen und die interaktiven Möglichkeiten des Netzes kön-nen zur Formierung von Interessengemeinschaften und z.T. auch zur politischenMobilisierung solcher Gemeinschaften beitragen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

Es ist nach einer Zeit weitreichender, teils euphorischer Thesen zur Bedeutung desInternets als Raum politischer Kommunikation mittlerweile geradezu en vogue,Netzkommunikation als politisch bedeutungsloses Rauschen aufzufassen. Auch dieErgebnisse der vorliegenden Untersuchung stützen die weitreichenden Thesen vomNetz als neue demokratische Form politischer Öffentlichkeit nicht. Ebenso wenigaber geben sie Anlass, die Rede von der politischen Belanglosigkeit des Internets zustützen. Zwar ist tatsächlich kein fundamentaler Wandel im Sinne einer Systemver-änderung festzustellen und auch weniger dramatische Prognosen waren offenkundig– zumindest hinsichtlich des Tempos der Entwicklung – falsch. Im Wandel der kul-turellen Grundlagen demokratischer Gesellschaften und politischer Öffentlichkeit,der zivilgesellschaftlichen Nutzung des Internets wie auch im Bereich staatlicherOnlinediskussionsangebote lassen sich aber Anzeichen dafür finden, dass Besonder-

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heiten netzbasierter Kommunikation bereits Auswirkungen zeitigen und auch neueFragen aufwerfen. Die sich – zum Teil rasant, zum Teil eher schleppend – vollzie-hende Integration des Internets in das politische Leben verläuft tatsächlich an vielenStellen weder bruchlos noch unspektakulär. Kulturelle und politische Praktiken derInternetnutzung haben sich noch nicht verfestigt, viele Nutzungsweisen wirken vor-läufig, unfertig oder dem Internet unangemessen. Netzbasierte Kommunikation hatsich aber als integraler Bestandteil von Politikprozessen mit neuen Möglichkeitender Information und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und der Kommuni-kation zwischen politischen Akteuren und dem Netzpublikum etabliert. Weitrei-chende Ziele sind in nationalen und internationalen politischen Programmen fest-geschrieben.

Aus den in der vorliegenden Studie identifizierten, durch netzbasierte Kommuni-kation induzierten Veränderungen politischer Öffentlichkeit lassen sich folgendeallgemeine Herausforderungen ableiten, auf die sich Parlament, Regierung undAdministration einstellen müssen:

> Auf Seiten politischer Akteure wird das Netz als Medium politischer Kommuni-kation (Selbstdarstellung, Mobilisierung) und auf Seiten der Nutzer als Quellepolitischer Information an Bedeutung gewinnen.

> Ohne dass die massenmediale Öffentlichkeit an Bedeutung verlieren würde, wirdeine Reihe von politischen Prozessen im Internet stattfinden (politische Infor-mation, Meinungsbildung und Deliberation, Agenda Setting, Organisation undMobilisierung) und in Form von Themen, Debatten, politischen Aktionen auf diemassenmediale Öffentlichkeit ausstrahlen.

> Die Ausbildung »virtueller« politischer Kommunikationsgemeinschaften (entlangvon politischen Interessen, Befindlichkeiten, Themen, Weltanschauungen) wirddurch das Internet erleichtert. Damit nimmt nicht nur die Vielfalt politischerKommunikation, sondern auch die Segmentierung von Öffentlichkeit zu.

> Die Ansprüche politisch interessierter und gut informierter Bürger hinsichtlichdes Zugangs zu politischen Informationen, der Transparenz politischer Prozesseund auch der Teilhabe an der Entscheidungsfindung über das Netz werdenwachsen.

> Für Nutzergruppen mit geringer Kompetenz im Umgang mit den Möglichkeitenpolitischer Kommunikation und Information im Netz (aufgrund des sozioöko-nomischem Status, Bildungsabschlusses, Alters) kann das Internet als Quelle po-litischer Information und Teilhabe verschlossen bleiben.

> Die Offenheit des Netzes impliziert als negative Begleiterscheinung auch einenMangel an Instanzen der Qualitätssicherung. Die Bewertung der Zuverlässigkeitund Seriosität der vielfältigen im Netz verfügbaren Informationen und Quellenund entsprechende Selektionsprozesse könnten nicht nur für die letztgenanntenNutzergruppen zu Problemen werden.

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Unter dem Gesichtspunkt einer lebendigen und deliberativen Demokratie mit mög-lichst aktiven und gut informierten Bürgerinnen und Bürgern ist es zu begrüßen,wenn diejenigen Strukturen und Prozesse gefördert und unterstützt werden, die neueFormen politischen bürgerschaftlichen Engagements ermöglichen. Ebenso sollte –soweit dies in der Macht von Regierung und Parlament liegt – negativen Tendenzen(Digital Divide, Segmentierung, Nivellierung von Informationen, antidemokratischeAktivitäten etc.) entgegengewirkt werden.

Insbesondere für Parlamente eröffnen sich durch die Verbesserung der eigenen Web-präsenz, die Verlinkung mit Netzangeboten der Zivilgesellschaft sowie die stärkereNutzung der interaktiven technischen Potenziale Möglichkeiten, auch im Zeitalterpolitischer Netzkommunikation ihre Rolle als Forum politischer Debatten und alsScharnier zwischen Öffentlichkeit und politischem System wahrzunehmen.

Die vorliegende Studie identifiziert vier Handlungsfelder, die sich aus der aktuellenund sich abzeichnenden Entwicklung netzbasierter Kommunikation für die Politikergeben:

> Das bereits seit langem diskutierte Thema »Digital Divide« bleibt weiter aktuell.Neben der Gewährleistung eines Netzzugangs für solche Gruppen, die aus öko-nomischen oder sozialen Gründen bisher nicht über einen solchen verfügen, stelltsich aber mindestens ebenso dringlich die Aufgabe, einem »Digital Divide« ent-gegenzuwirken, der sich (sozialstrukturell oder kulturell bedingt) aus den indivi-duell unterschiedlichen Fähigkeiten ergibt, das enorme Potenzial des Internets alspolitisches Informations- und Kommunikationsmedium sinnvoll zu nutzen. Zu-gang zu Informationen aus erster Hand, erweiterte Möglichkeiten, sich politischzu artikulieren und mit anderen auszutauschen – dies sind zentrale Beiträge derNetzkommunikation zur Förderung einer aufgeklärten, demokratischen Öffent-lichkeit. Diese Potenziale zu nutzen, setzt aber ein erhebliches Maß an Medien-kompetenz und Wissen voraus. Neben der allgemeinen Förderung politischerBildung und Medienkompetenz ist auch die Förderung gruppenspezifischer poli-tischer Internetangebote von Bedeutung, vor allem um ansonsten von der politi-schen Kommunikation im Netz ausgeschlossene oder in dieser Hinsicht kaumaktive Bevölkerungsgruppen bei ihren Interessen und Anliegen »abzuholen«.

> Der Zugang zur Öffentlichkeit als »Sprecher« ist durch das Internet erleichtert.Dennoch sind die Chancen, in der Vielfalt der Netzangebote auch wahrgenom-men zu werden, durchaus nicht demokratisch gleich verteilt. Kommerzialisierungund Massenmedialisierung der Netzkommunikation sowie die Entstehung vonTeilöffentlichkeiten sind Entwicklungen, die die Vielfalt, Transparenz und gesell-schaftliche Bedeutung politischer Netzkommunikation einzuschränken drohen.Die Unterstützung der Webpräsenz schwach organisierter Gruppen und vernach-lässigter Themen wie auch die Förderung und staatliche Bereitstellung von Web-

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portalen als Knotenpunkte und Wegweiser für politische Kommunikation könnenMittel zur Förderung politischer Vielfalt im Netz sein.

> In der politischen Öffentlichkeit wird dem Nutzer die Aufgabe der Selektion desSinnvollen, Relevanten und Seriösen aus der vorhandenen Informationsflut nichtdurch massenmediale Filter abgenommen. Dies macht die Autonomie des poli-tisch interessierten Internetnutzers aus, es stellt sich hiermit aber auch ein Pro-blem der Qualitätssicherung, das z.B. auch durch eine Ausweitung des Online-angebots der öffentlich-rechtlichen Medienanbieter angegangen werden könnte.Ein Beitrag zur Qualitätssicherung politischer Netzkommunikation ist auch dieFörderung bestimmter politischer Internetprojekte wie z.B. Angebote, die sich ge-gen Extremismus und Rassismus richten. Daneben kämen verstärkte Bemühun-gen in Frage, durch Zertifizierung von Netzangeboten oder die Vereinbarung von»Codes of Conduct« die Qualität des Angebots an politischer Information undKommunikation zu fördern und dem Nutzer Orientierungshilfen bei der Suchenach Informationen im Netz zu geben.

> Ein direkter Weg der Einflussnahme auf die politische Netzöffentlichkeit ergibtsich für Regierung und Parlament aus der inhaltlichen und technischen Gestal-tung der eigenen Webpräsenz. Neben der Gewährleistung eines umfassendenAngebots an politischen Informationen, das politische Meinungsbildungs- undEntscheidungsprozesse für die Bürger transparent macht, ist insbesondere dieNutzung der interaktiven Möglichkeiten des Internets für die direkte Kommuni-kation zwischen Staat und Bürgern zu nennen. Entsprechende Angebote (Online-foren, Chats etc.) werden von Regierungen und Parlamenten in Europa vielfachangeboten. Die Erfahrungen hinsichtlich der Qualität des in dieser Weise inten-sivierten Austauschs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten und dererweiterten Beteiligung von Bürgern an politischen Beratungen sind durchausgut. Die vorliegenden Erfahrungen weisen aber auf zwei oft nicht beachtete, fürden Erfolg staatlicher Onlineangebote aber entscheidende Voraussetzungen hin:Zum einen sollten die Angebote so konzipiert, ausgestattet und betreut sein, dassvermeidbaren Enttäuschungen der Bürger entgegengewirkt wird. Die dafür not-wendigen Maßnahmen unterscheiden sich im Einzelfall – zentral sind aber eineklare Zweckbestimmung der Diskussionen, Transparenz in Bezug auf die Beteili-gung der Politiker und die Nutzung der Ergebnisse, den Diskussionen angemes-sene Moderationsleistungen und Maßnahmen zur Werbung und Zielgruppen-ansprache. Zum anderen und insgesamt gesehen ist die Weiterentwicklung staat-licher Angebote zur digitalen Demokratie nicht die Aufgabe eines einzigenAkteurs. Ein Konsens der relevanten politischen Kräfte und die Kooperation zwi-schen den verschiedenen Akteuren bestimmen maßgeblich den Erfolg in diesemBereich. Eine Herausforderung, die sich der ganzen Politik stellt, sollte auchdurch die Politik gemeinsam angegangen werden.

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EINLEITUNG I.

Für die Demokratie sind funktionierende informelle wie auch institutionalisierteKommunikationsformen von entscheidender Bedeutung, vor allem zwischen poli-tischen Funktionsträgern und Bürgern, zwischen Bürgern untereinander sowiezwischen Funktionsträgern und der (organisierten) Öffentlichkeit. Die Problemlöse-kapazität des demokratischen Systems und die Legitimation demokratischer Ent-scheidungen hängen davon vielfach ab. Technische Entwicklungen werden daher ineinem besonderen Sinn wichtig für die Demokratie, wenn sie mittelbar oder un-mittelbar zu Veränderungen der Möglichkeiten politischer Kommunikation führen.Hier erscheint Technik nicht als ein »bloßer« Anwendungsfall für Technikpolitikoder Regulierung, sondern kann die kulturellen Grundlagen der Demokratie selbstbeeinflussen.

Das Internet hat, so die Ausgangsdiagnose dieser Studie, das Potenzial, kulturelleFundamente politischer Kommunikation und damit der Demokratie zu verändern:Zum einen dadurch, dass das Internet wesentliche Grundlage für allgemeine kultu-relle Veränderungen ist, die dann auch auf politische Kommunikation durchschlagen.Hierzu gehören vor allem Globalisierungsprozesse im ökonomischen, sozialen undkulturellen Bereich. Zum anderen wird die Politik durch netzbasierte Kommunika-tion auch direkt beeinflusst. Der unmittelbare Einfluss zeigt sich nicht nur in denAnsätzen von »E-Government« und »E-Demokratie«, sondern auch in den vielfäl-tigen neuen Möglichkeiten und Anforderungen, die sich für das politische Handelnunterschiedlicher Akteure ergeben. Für Parlamente sind dies ganz wesentliche Ent-wicklungen, da sie einerseits durch ihren Beitrag zur Internetkommunikation die po-litische »Netzöffentlichkeit« stark mitprägen (können), und andererseits das Inter-net Möglichkeiten bietet, die – oft beklagte – Distanz zwischen den Repräsentie-renden und den Repräsentierten durch neue Kommunikationsformen zu verringern.

FRAGESTELLUNG, GEGENSTAND UND ZIELSETZUNG DER UNTERSUCHUNG

Vor diesem Hintergrund wurde – auf Vorschlag des Ausschusses für Kultur undMedien – das TAB im Sommer 2003 mit einem Forschungsprojekt zur »Analysenetzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten« beauftragt. Die Beauf-tragung knüpfte an Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem TAB-ArbeitsberichtNr. 74 »Neue Medien und Kultur« an. Die gestellte Ausgangsfrage war, welcheMöglichkeiten und Auswirkungen das Internet hinsichtlich neuer Formen der poli-tischen Information, Kommunikation und Kooperation hat und inwieweit dabeikulturelle Grundlagen der Demokratie betroffen sind. Aus der Vielfalt der dafür

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relevanten Aspekte (wie z.B. das Internet als neue Form der Tradierung und Globa-lisierung von Kultur, Zugangsbedingungen zur Internetkommunikation; Ermögli-chung neuer Formen der Bürgerbeteiligung an politischer Kommunikation) wurdedie Frage nach den Auswirkungen netzbasierter Kommunikation auf die kulturellenGrundlagen und die Praxis demokratischer Gesellschaften herausgegriffen und inden Mittelpunkt gestellt. Die übergreifende Untersuchungsfrage lautete: Wie sinddie Möglichkeiten und Auswirkungen des Internets hinsichtlich neuer Formen derkulturellen und politischen Information, Kommunikation und Kooperation einzu-schätzen? Folgende Teilfragen verdeutlichen die Untersuchungsrichtung:

> Wie verändern sich durch das Internet die technischen Grundlagen medialer Öf-fentlichkeit und der Medienkultur, und was bedeutet das für die Gestaltungs- undInteraktionsmöglichkeiten des Individuums?

> Wie verändern sich durch netzbasierte Kommunikation die Handlungsmöglich-keiten und -notwendigkeiten von politischen Organisationen und soziokulturel-len Gruppen sowohl in Bezug auf die Zivilgesellschaft als auch auf politischeInstitutionen in Legislative und Exekutive?

> Welche Bedeutung haben neue Möglichkeiten kultureller Selbstentfaltung undTeilhabe, des Wissenserwerbs sowie netzbasierter Interaktion für die Qualitätpolitischer Diskurse, Partizipationsansprüche und das Ziel der Chancengleichheitbei Information und Bildung?

> Inwieweit lässt sich die These vom Internet als neue Form politischer Öffentlich-keit (»Netzöffentlichkeit«) stützen?

> Wo liegen politischer Gestaltungsbedarf und politische Gestaltungsoptionen, ins-besondere beim Deutschen Bundestag?

Auf diese Weise steht das Internet als mögliches Medium der Stärkung der Demo-kratie im Mittelpunkt dieser Studie. Die Thematik steht in der Spannung zwischenBeharrung und Neuerung: Führt das Internet zu neuen Formen demokratischerKommunikation oder reproduziert es in der virtuellen Welt nur die schon in derpolitischen »Realwelt« vorhandenen Strukturen und Tendenzen? Die genanntenUntersuchungsfragen berühren zum einen normative Erwartungen (vor allem de-mokratie- und kulturtheoretischer Art) und sind zum anderen teilweise einer empi-rischen Analyse nur schlecht zugänglich. Fragen nach Wechselwirkungen zwischenDemokratie und Internet sind von erheblicher Komplexität und sperren sich gegen-über einem einfachen methodischen Zugriff. Es können immer nur – im Hinblickauf Themen, Teilnehmer, genutzte Internetdienste und -anwendungen – stark ein-gegrenzte Teilaspekte untersucht werden. Daher sind erhebliche Deutungsleistungenerforderlich, um die Relevanz und Aussagekraft empirischer Ergebnisse vor demHintergrund der Fragestellung zu bewerten. Nicht erleichtert wird diese komplexeSituation zudem dadurch, dass es keine einheitliche Verwendung wichtiger Begriffewie z.B. Deliberation, Partizipation, Diskurs, Dialog, Konsultation etc. gibt.

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I. EINLEITUNG

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Bei der Untersuchung der politischen Bedeutung netzbasierter Kommunikation imnationalen, europäischen und transnationalen Bereich1 wurde besonderes Augen-merk auf empirische Untersuchungen zu tatsächlichen Nutzungsformen des Inter-nets für politische Kommunikation gelegt. In der Spannung zwischen hoch fliegen-den Visionen und Erwartungen einerseits und skeptischen Einschätzungen sowieBefürchtungen andererseits sollen in diesem Bericht – im Rückgriff auf einschlägige,teils zu diesem Zweck in Auftrag gegebene empirische Arbeiten – nachvollziehbareund realistische Antworten auf die Frage nach den Folgen der Internetnutzung fürpolitische Kommunikation gegeben werden. Eine wesentliche Rolle spielt dabeiselbstverständlich der Deutsche Bundestag, dem auf der Basis der vorgenommenenUntersuchungen Handlungsoptionen für die weitere Ausgestaltung seiner Internet-kommunikation und die Realisierung demokratietheoretischer Potenziale des Inter-nets an die Hand gegeben werden sollen.

In der Ausarbeitung dieser Analysen und Überlegungen dient als normativer Hinter-grund die den meisten demokratietheoretischen Erwartungen an das Internet (undauch vielen politischen Programmen; vgl. Kap. IV) zugrunde liegende Vorstellung,dass Netzkommunikation deliberative Formen der Demokratie fördern könne. Er-wartungen an eine stärkere Bürgerbeteiligung in politischen Diskussionen und Mei-nungsbildungsprozessen, an eine Verringerung der Distanz zwischen Regierendenund Regierten bzw. zwischen Bürgern und ihren gewählten Vertretern sowie Hoff-nungen auf eine – z.B. gegenüber der Fernsehkultur – wachsende Bedeutung argu-mentativ gehaltvoller Kommunikation gehören in diesen Erwartungshorizont. DieHauptfrage, auf die dieser Bericht Antworten verspricht, kann daher umformuliertwerden in die Frage, inwieweit diesen Erwartungen reale Entwicklungen entspre-chen – ob, inwieweit und unter welchen Bedingungen die normativen Hoffnungenin der Praxis anschlussfähig sind. Auf diese Weise wird der Bogen von demokratie-theoretischen Diskussionen in Philosophie und Politikwissenschaften bis hin zu denganz konkreten Anforderungen an die Ausgestaltung politischer Internetangebotegespannt.

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I. EINLEITUNG

1 Die kommunale und regionale Ebene sind, dem Auftrag des Deutschen Bundestages entspre-chend, trotz der unbestrittenen Relevanz der Internetkommunikation dort nicht Gegenstanddieser Untersuchung.

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ZUR DURCHFÜHRUNG DES PROJEKTS

Das Projekt bestand aus drei Phasen. Phase 1 war dem Stand der Forschung ge-widmet, wobei eine Auseinandersetzung mit Konzepten aus der kultur- und medien-soziologischen Forschung zum Internet sowie aus der politikwissenschaftlichen unddemokratietheoretischen Diskussion erfolgte, parallel zu einer Aufarbeitung derrelevanten empirischen Forschung.

In dieser Phase wurden sechs Gutachten vergeben, in denen Spezifika und Poten-ziale netzbasierter Kommunikation (Schönberger 2004a), deren demokratietheore-tische Bedeutung (Leggewie 2004; Kettner 2004; Siedschlag 2004), politische Nut-zungsweisen des Internets (Bieber 2004) und Aspekte transnationaler Öffentlichkeit(Winter/Groinig 2004) aufgearbeitet wurden. Neben der Darstellung des jeweiligenForschungsstands und einschlägiger wissenschaftlicher Debatten ergab sich aus denGutachten bereits eine Vielzahl von Hinweisen auf konkrete Nutzungsformen desInternets für politische Zwecke.

In Phase 2 wurden ausgewählte Forschungsthemen ausführlicher behandelt. Einewichtige Grundlage dafür war ein Fachgespräch zu Methoden der Internetforschungund Onlineinhaltsanalyse, an dem sich dankenswerterweise eine Reihe von Exper-ten bei der inhaltlichen Vorbereitung und durch ihre Teilnahme beteiligte. GeeigneteGegenstände solcher Untersuchungen sind sowohl interaktive Formen netzbasierterKommunikation (wie z.B. Onlineforen und Chats) als auch ausgewählte Debattenim Internet unter Berücksichtigung der Webpräsenzen unterschiedlicher Akteure.Für die Analyse boten sich einerseits tagespolitisch relevante Themen an, die einebreite Öffentlichkeit bewegen. (Hier wurde das Thema »Genfood« gewählt). In Fra-ge kamen aber andererseits auch speziellere Debatten, die hinsichtlich des Internetsselbst von besonderem Interesse sind. (Hierzu wurde das Thema »Urheberrecht«gewählt.) Des Weiteren wurden in dieser Phase Internetangebote von politischenInstitutionen (Deutscher Bundestag und Bundesregierung) untersucht sowie eineAnalyse einschlägiger britischer Erfahrungen vorgenommen.

Inhaltlich stützte sich die Phase 2 auf sieben Gutachten, deren Vergabe durch Fach-gespräche vorbereitet wurde. Drei größere empirische Gutachten analysierten spezi-fische politische Debatten im Internet zu den Themen »Copyright und Urheber-recht« (pol-di.net 2004) und »Genfood« (Rucht et al. 2004) sowie »Quantitativeund qualitative Aspekte der Onlinedialogangebote von Bundestag und Bundes-regierung« (IZT 2005). Weitere Gutachten setzten sich mit britischen parlamen-tarischen Onlinekonsultationen (Trénel 2004), der netzbasierten Kommunikationzwischen Bürgern und Abgeordneten auf deren privaten Websites (Zittel 2004), mitdem Wandel der Öffentlichkeit durch Netzkommunikation (Neuberger et al. 2004)

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I. EINLEITUNG

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sowie mit der Nutzung des Internets durch soziale Bewegungen, NGOs und»Netzaktivisten« (Schönberger 2004b) auseinander.

Die Phase 3 diente der Auswertung von Phase 1 und 2 sowie der Erarbeitung vonThesen hinsichtlich des politischen Gestaltungsbedarfs und politischer Gestaltungs-möglichkeiten. Zentrales Element war ein Fachgespräch mit Kultur- und Medien-politikern, einschlägigen wissenschaftlichen Experten und Vertretern der Verwal-tung des Deutschen Bundestages. Auf dieser Veranstaltung wurden Fragen der poli-tischen Bedeutung von Internetöffentlichkeit und Internetkultur vertieft behandeltsowie Schlussfolgerungen für politisches Handeln erörtert, insbesondere für denDeutschen Bundestag.

DER AUFBAU DER STUDIE

Die Gliederung der Studie folgt den o.g. Arbeitsphasen des Projekts. Die Kapitel IIund III beziehen sich – als Ergebnisse der Phase 1 – auf die Ausgangslage der Unter-suchung und gehen auf den »State of the Art« in Bezug auf die im Internet beste-henden Kommunikationsmöglichkeiten ein sowie auf Thesen zum dadurch indu-zierten kulturellen Wandel und zum Verhältnis von Demokratie und Internet. In denKapiteln IV und V sind dann – als Ergebnisse der Phase 2 – die Ergebnisse derweiterführenden und auf ausgewählte Fragen bezogenen Untersuchungen enthalten.Dies sind – teils empirische – Analysen zur Funktion und zu Nutzungsweisen desInternets im politischen System (Exekutive und Legislative) sowie zu der Frage, obund inwieweit sich durch das Internet neue Facetten der politischen Öffentlichkeitausbilden. Das Kapitel VI enthält die Schlussfolgerungen in Bezug auf die Frage desEntstehens einer eigenen »Netzöffentlichkeit« und auf politische Handlungsmög-lichkeiten. Diese Struktur sei im Folgenden näher erläutert.

Im Kapitel II werden zur Einführung einige technische und kommunikative Cha-rakteristika des Internets dargestellt. Neben einer kurzen Erklärung der technischenBasis geht es vor allem um verschiedene Dienste und Anwendungen netzbasierterKommunikation. Deren Organisations- und Nutzungsformen sind sehr heterogen.Da diese Vielfalt bedeutsam auch für die Nutzung des Netzes im Bereich der poli-tischen Information und Kommunikation ist, wird ein Überblick über verschiedeneInternetdienste und -anwendungen geboten, ergänzt durch erste Hinweise auf derenpolitische Relevanz. Weiterhin wird kurz auf den Wissensstand zur aktuellen Nut-zung des Internets eingegangen. Daran schließt sich eine Erörterung von Aspektendes durch netzbasierte Kommunikation zu erwartenden oder bereits beobachtbarenkulturellen Wandels und dem Verhältnis von Beständigkeit und Wandel kulturellerMuster an.

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I. EINLEITUNG

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Im Kapitel III geht es um die Analyse der Potenziale des Internets für die Demo-kratie, zunächst im Rahmen traditioneller (westlicher) Nationalstaaten, dann aberauch im Hinblick auf die transnationale Ebene. Hierzu wird die wissenschaftlicheDiskussion zum Verhältnis von Demokratie und Internet aufbereitet, für die – teilsutopisch gefärbte – positive Erwartungen einer Belebung der Demokratie einerseitsund skeptische Einschätzungen bis hin zu Befürchtungen einer Verstärkung nega-tiver Tendenzen der »Massen-« oder »Mediendemokratie« andererseits kennzeich-nend sind. Die Frage nach den kulturellen Grundlagen der Demokratie und denAuswirkungen des Internets auf dieser Ebene führt sodann auf die relevanten demo-kratietheoretischen Grundlagen mit den zentralen Begriffen Öffentlichkeit, Delibe-ration und Partizipation. Der aktuelle Forschungsstand spiegelt sich in Konzeptendigitaler Demokratie wider, deren Aufarbeitung als Ausgangsbasis für die Analysein den folgenden Kapiteln dient.

Im Kapitel IV steht die Nutzung des Internets durch Regierung und Parlament imMittelpunkt, vor dem Hintergrund der weitreichenden Erwartungen an einen »akti-vierenden Staat« und an eine intensivere Kommunikation zwischen Politik undBürgern. Initiativen der Bundesregierung und der EU zur digitalen Demokratie undinsbesondere zur politischen Kommunikation mit und zwischen Bürgern werdenuntersucht. Die Ausführungen orientieren sich dabei an den Leitfragen, wie sichProgrammatik und Praxis des Onlinedialogs zwischen Politik und Bürgern ent-wickelt haben, welche Bedeutung die Institutionen der repräsentativen Demokratieden eigenen Angeboten zur politischen Onlinediskussion beimessen und welcheInnovationspotenziale, Hemmnisse und Risiken sich vor dem Hintergrund dernormativ geprägten Erwartungen abzeichnen. In Bezug auf die parlamentarischeNutzung des Internets für den Dialog mit den Bürgern wird ausführlich auf die Rolledes britischen Parlaments innerhalb der dortigen nationalen E-Demokratie-Politikeingegangen. Vor diesem Hintergrund werden Geschichte, Konzept und aktuellePraxis des Onlinedialogangebots des Deutschen Bundestages diskutiert.

Im Kapitel V steht das Internet als politische Öffentlichkeit im Mittelpunkt. Die inder Frühphase des Netzes häufig vertretene These einer (Re-)Vitalisierung der Demo-kratie durch die politische Aktivierung der Bürgerschaft via Netzkommunikationwird vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse und der Ergebnissezweier im Rahmen des Projekts in Auftrag gegebener Gutachten geprüft. Wenn auchdie Erwartung einer weitgehenden und schnellen Belebung bürgerschaftlichenEngagements durch das Netz sich als Illusion erwiesen hat und auch erweiterteMöglichkeiten politischer Partizipation bisher kaum realisiert sind, ist dennoch einestarke Präsenz unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppen im Netz und eine in-tensive Nutzung des Netzes durch diese Gruppen für die Kommunikation ihrerAnliegen zu beobachten. Es wird – vor allem anhand der Fallbeispiele »Genfood«

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I. EINLEITUNG

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und »Urheberrecht« – untersucht, wie diese Präsenz sich konkret zeigt, und disku-tiert, welche demokratietheoretische Relevanz sie besitzt.

Im Kapitel VI werden schließlich Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusam-mengeführt, um zunächst eine Antwort auf die Frage nach Strukturen und Relevanz»politischer Netzöffentlichkeit« zu geben. Weiterhin wird dargelegt, welcher po-litische Handlungsbedarf und welche Handlungsoptionen sich hinsichtlich derGestaltung der politischen Internetöffentlichkeit und der netzbasierten Kommuni-kation zwischen Staat und Bürgern aus den Ergebnissen der Untersuchung ergeben.

IN AUFTRAG GEGEBENE GUTACHTEN UND DANKSAGUNGEN

Folgende Gutachten wurden im Rahmen dieses Projekts vergeben und sind in dieBearbeitung der Fragestellung eingeflossen:

> Neue netzbasierte sozio-kulturelle und politische Kommunikations- und Hand-lungsmuster (Klaus Schönberger, Forschungsinstitut für Arbeit, Technik undKultur Tübingen e.V. in Verbindung mit der Universität Tübingen)

> Die Bewertung des Internets als Kanal und Verstärker deliberativer Demokratie-kultur (Alexander Siedschlag; München)

> Politik im Netz – Akteure, Formate, Trends politischer Onlinekommunikation(Christoph Bieber; Heuchelheim)

> Netzbasierte Kommunikation und transnationale Öffentlichkeit (Rainer Winter,Sonja Groinig; Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Univer-sität Klagenfurt)

> Die Rolle netzbasierter Kommunikation für die Rationalität demokratischerDeliberation (Matthias Kettner; Frankfurt a.M.)

> Demokratietheoretische und demokratiepolitische Einordnung netzbasierterKommunikation (Claus Leggewie; Gießen)

> Möglichkeiten netzbasierter Kommunikation für Parlamente: Erfahrungen ausGroßbritannien (Matthias Trénel; Berlin)

> Copyright und Urheberrecht. Formen und Strukturen des netzbasierten Diskurses(Christoph Dowe, Christian Hochhuth; pol-di.net e.V. für eine demokratischeund digitale Entwicklung der europäischen Informationsgesellschaft, Berlin)

> Die Besonderheiten netzbasierter politischer Kommunikation am Beispiel desGenfood-Diskurses (Dieter Rucht, Mundo Yang, Ann Zimmermann; Wissen-schaftszentrum für Sozialforschung gGmbH, Berlin)

> Direkte Personalisierte Wählerkommunikation im WWW – Wunsch, Wirklich-keit und Perspektiven (Thomas Zittel; Mannheim)

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I. EINLEITUNG

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> Wandel der aktuellen Öffentlichkeit im Internet (Christoph Neuberger, ChristophKaletka, Daniel Meyering, Ann Schlichting; Westfälische Wilhelms-UniversitätMünster, Institut für Kommunikationswissenschaft)

> Persistenz und Rekombination. NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationenzwischen traditionalen und weiterentwickelten Praktiken politischen Handelns innetzbasierter Kommunikation (Klaus Schönberger; Forschungsinstitut für Arbeit,Technik und Kultur Tübingen e.V. in Verbindung mit der Universität Tübingen)

> Quantitative und qualitative Aspekte der Onlinedialogangebote von Bundestagund Bundesregierung (Michaela Wölk, Britta Oertel, Jan Oppermann, MandyScheermesser; IZT – Institut für Zukunftsstudien und TechnologiebewertunggGmbH Berlin)

Den Gutachterinnen und Gutachtern sei an dieser Stelle ganz herzlich für ihre Ar-beit gedankt. Sie bildet das Fundament für viele der in diesem Bericht getroffenenEinschätzungen. Im laufenden Text sind in den Kapiteln jeweils Verweise enthalten,welche Passagen sich schwerpunktmäßig auf welche Gutachten stützen.

Ein herzlicher Dank geht auch an die Expertinnen und Experten, die zum Fachge-spräch zu Methoden der Internetforschung (Berlin, 28. November 2003) beigetragenhaben. Bei dem Fachgespräch im TAB waren anwesend Markus Blume (ContentAG, München), Walter Heinzel (mab Methoden-Analysen-Beratung, Hockenheim),Harald Klein (Social Science Consulting, Rudolstadt), Andreas Metzner-Szigeth(Universität Münster), Patrick Rössler (Technische Universität Ilmenau) und ausdem Gutacherkreis Dieter Rucht und Ann Zimmermann. Wichtige inhaltliche undzudem organisatorische Beiträge zu dem Projekt wurden auch von Robert Hauser(Forschungszentrum Karlsruhe/ITAS), Kang-Jin Lee (Berlin), Barbara Lippa (Berlin)und Constanze Scherz (TAB) geleistet. Ihnen sei ebenfalls herzlich gedankt.

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I. EINLEITUNG

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FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATIONUND KULTURELLER WANDEL II.

Das Internet hat sich von einer Kommunikationstechnologie der wissenschaftlich-militärischen Forschung zu einem Universalmedium entwickelt, das in vielen Be-reichen unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt. Weil die ihmzugrunde liegende Netzwerk-Architektur prinzipiell offen ist, kann es für die unter-schiedlichsten Informations-, Transaktions- und Kommunikationszwecke eingesetztwerden, wobei es herkömmliche Interaktionsformen ergänzt oder ersetzt. Die Ent-wicklung des Internets ist so ein zentraler Aspekt der neueren Medienentwicklung,die u.a. gekennzeichnet ist durch Digitalisierung und eine Tendenz zur Allgegen-wärtigkeit (Ubiquität), durch Mobilität, Vernetzung, Konvergenz, Datenkompres-sion, Miniaturisierung sowie Interaktivität (s.a. TAB 2001). Das Internet bietet, alsein weltweites Netzwerk, zahlreiche Dienste und Anwendungen, deren Organisa-tions-, Aneignungs- und Nutzungsformen sehr heterogen sind.

Seine Auswirkungen werden in vielen wissenschaftlichen Disziplinen untersucht unddiskutiert. Je nach Reichweite der Analysen prognostizieren die Studien z.B. Ver-änderungen in einzelnen Wirtschaftsbranchen, Reformbedarf im Rechtssystem,neue Potenziale für lebenslange onlinegestützte Lernprozesse oder sogar einen struk-turell tief greifenden und globalen gesellschaftlichen Wandel. Zu berücksichtigen ist,dass die Entwicklung des Netzes in die unterschiedlich interpretierbaren Prozesseder Individualisierung und der Globalisierung eingebunden ist. Eine differenzierteAnalyse des Internets, gerade im Hinblick auf seine kulturellen und politischenPotenziale, muss berücksichtigen, dass bestimmte funktionale technische Charak-teristika zwar bestimmte Gebrauchsweisen nahe legen, jedoch die individuelleAneignung der Technologien, ihre gesellschaftliche Nutzung sowie die Institutiona-lisierung des Internets von einer Vielzahl anderer Faktoren beeinflusst wird.

So sind z.B. die Interaktivität ermöglichenden technischen Charakteristika netzba-sierter Kommunikation in gesellschaftlicher Hinsicht lediglich Potenziale für einenverstärkten Austausch zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Auch wenn diemassenhafte Verbreitung des Internets und seine Bedeutung als Chiffre für Moder-nität die Nutzung dieser Potenziale in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen »zurPflicht« macht, stellt sich jeweils konkret die Frage, wie die Technologien genutztwerden, also wer mit wem auf welche Weise und zu welchem Zweck interagiert.

Das Internet als Gesamtsystem wird zwar oft auch als Medium bezeichnet, kannaber zutreffender als eine Informations- und Kommunikationsinfrastruktur und alsein Kommunikations- und Sozialraum begriffen werden. Im Rahmen dieser Infor-

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mations- und Kommunikationsinfrastruktur existiert eine Reihe unterschiedlicher,funktional differenzierter Dienste und Anwendungen, die klassische Aufgaben vonMassen- und Individualmedien übernehmen und sie um neue Optionen ergänzen.Da das »Multifunktionsmedium« Internet Kommunikationsweisen beeinflussenkann, ist es somit zugleich sowohl als technisches System als auch als Raum sozia-ler, kultureller und politischer Praxis zu begreifen (TAB 2001).

DAS INTERNET ALS INFORMATIONSINFRASTRUKTUR 1.

Das Internet ist gegenwärtig nicht nur das dominierende und dynamischste Elementim Bereich der neuen Medien, sondern auch das Element mit den quantitativ wiequalitativ am relevantesten Folgewirkungen soziopolitischer, -kultureller und -öko-nomischer Art (hierzu und zum Folgenden z.B. Banse/Metzner-Szigeth 2005; Metz-ner-Szigeth 2005).

»Internet« steht für »Interconnected Networks«. Es ist ein Verbund von Teilnetzen,in dem Daten in digitalisierter Form paketvermittelt zwischen Computern ausge-tauscht werden. Die Universalität und Medialität des Computers werden hierbei ineine Eigenschaft des Netzes überführt: Computer können nicht nur als »Rechner«fungieren, sondern genauso gut als »Symbolverarbeiter« oder »Virtualitätsgenera-tor« und stellen daher nicht nur eine Maschine oder ein Werkzeug dar, sondernnehmen selbst die Qualitäten eines Mediums an (z.B. Petsche 2005; Schelhove1997). Das Netz ist nicht nur dafür prädestiniert, sich – ob nun als »World WideWeb« (WWW) oder in anderer Form – global auszudehnen, sondern auch dazu, alleerdenklichen Schnittstellen und Funktionen auszubilden, alle möglichen Anwen-dungen miteinander zu verbinden sowie jedwede Programme zu integrieren.

Das Internet »lebt« von der Synergie zwischen Einzelcomputer und Netzverbund,die einen »elektronischen Raum« erzeugt, in dem u.a. Rechnerzeiten aufgeteilt undAufgaben in verteilter Form erledigt werden können, in dem interaktive Daten-banken genutzt, verwaltet und erweitert werden können, in dem Software bereitge-stellt, nach Bedarf abgerufen und im Arbeitsspeicher eingesetzt werden kann. DieAttraktivität und Wachstumsdynamik des Internets erklärt sich darüber hinausdurch die weitreichenden Möglichkeiten, vorgängig bestehende Kommunikations-und Interaktionspraktiken zu integrieren. Bereits heute modifiziert, ergänzt oderersetzt das Internet in diesem Sinne eine Vielzahl historisch gewachsener Kultur-techniken samt den für sie relevanten Einzelmedien. Es vereinigt in sich und re-kombiniert bereits jetzt die Eigenschaften von Individual-Kommunikationsmedien,Gruppen-Kommunikationsmedien und Massenmedien. In der Verschränkung dieserdrei medialen Kommunikationsebenen eröffnen sich ferner weitreichende Optionen

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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zur Übernahme und zum Ausbau von Funktionen, mit Hilfe derer das Internet diegesellschaftlichen Bedarfe nach einem Informations- und einem Unterhaltungs-medium zunehmend an sich zieht und weiter forciert, was seinerseits verstärkendauf die rapide Verbreitung von Haushaltsanschlüssen rückgewirkt haben dürfte. InBezug auf das Internet ist daher auch von hybriden Medien (Höflich 1997) die Rede.Als »Hybridmedien vereinen und ergänzen« demnach »Netzmedien die […] Funk-tionen von herkömmlichen Massen- und Individualmedien« (Döring 2003a, S. 425).Neu ist die Integration diverser Interaktionsmodi in ein und dasselbe technischeSystem, was sich z.B. in der Entwicklung der WWW-Browser zeigt.

Das Internet kann so verstanden werden als eine »kumulative, multimediale Evolu-tion, die alles leistet, was alte Medien je für sich zu leisten imstande sind, aber vorallem eine Eigenheit aufweist: das interaktive Potenzial« (Leggewie 2003b, S. 116).Insofern ist das Internet »ein neues Multimedium, dessen Innovation ironischerweise‘nur’ in der Zusammenfassung aller bekannten Kommunikationsformate besteht«(Leggewie 1998, S. 16) – aber mit starken Interaktivitätskomponenten.

DAS WORLD WIDE WEB

Das Internet war bis Anfang der 1990er Jahre nicht multimedial. Die Bedienung warvergleichsweise schwierig und auch die so genannten Links bzw. Webseitenverweise,die inzwischen sehr komfortabel von einer zu anderen Webseiten führen, existier-ten noch nicht. Die Navigation im »Netz der Netze« war nicht spielend leicht. Mitder Entwicklung des World Wide Web (WWW) und der Webbrowser hat sich hiereine – gerade mit Blick auf die massenhafte Nutzung – einschneidende Veränderungergeben. Das Web eröffnet die Möglichkeit, entsprechend aufbereitete Webseiten,die physikalisch weltweit verstreut vorgehalten werden, über ein spezielles Proto-koll (http: Hypertext Transfer Protocol) miteinander zu verknüpfen. Dabei ist esunerheblich, von wo aus die jeweiligen Seiten aufgerufen werden. Das WWW ver-eint zudem in einer einheitlichen grafischen Benutzeroberfläche die verschiedenenInternetbasisdienste (E-Mail, Chat etc.), die vor einigen Jahren noch weitgehendgetrennt genutzt werden mussten. Websites können neben Text, Fotos, Grafikenauch Animationen, Audio- und Video-Elemente enthalten. Diese Eigenschaftenhaben das WWW für viele zum Synonym für das Internet insgesamt werden lassen.Das Web kommt in seiner Funktionsweise dem klassischen Verteilmassenmediumam nächsten und ermöglicht eine unidirektionale und asynchrone Kommunikation(s.u.). Es lassen sich passwortgeschützte von allgemein zugänglichen Webseitenunterscheiden. Wer im Besitz des Passwortes ist, darf die Seiten betrachten. Das Webwird häufig auch als Datenbank oder Archiv verstanden. Es ist zudem die Basis-technik für eine Vielzahl von weiteren Anwendungen.

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Durch das WWW hat sich für weite Teile der Bevölkerung die Reichweite für inter-personale und private Kommunikation erheblich vergrößert. Die Grenze zwischenMassen- und Individualkommunikation löst sich tendenziell auf (»Hybridmedien«),auch wenn jeweils empirisch zu überprüfen ist, inwieweit die gegebenen sozialenBeziehungen durch die Internetnutzung verändert werden. Das Web ermöglichtnicht nur die Rolle des passiven Rezipienten, sondern es bietet auch die Gelegen-heit, sich individuell oder als Gruppe durch eine eigene Webpräsenz oder gegebe-nenfalls auf den interaktiven Angeboten fremder Websites zu Wort zu melden oderzu präsentieren. An Austausch interessierte Website-Betreiber implementieren in derRegel zumindest die Möglichkeit, via E-Mail erreichbar zu sein, viele bieten aberauch einen netzöffentlichen Raum an, in dem die Besucher Kommentare onlinestellen können. Das Web stellt zudem für Individuen eine Fülle von relativ schnellund unaufwändig abrufbaren Informationen bereit. Insgesamt gesehen rechtfertigenes die quantitativen und qualitativen Veränderungen der Information, Kommuni-kation und Interaktion durch das WWW, von der Entwicklung des Internets alseinem tief greifenden und umfassenden Wandel des Mediensystems zu sprechen.

INFORMATIONSMODI

Im Hinblick auf die Frage nach den kulturellen und politischen Potenzialen netz-basierter Kommunikation und deren tatsächlichen Nutzungsweisen lassen sich dieInternetdienste und -anwendungen kommunikations- und medienwissenschaftlichanhand dreier Kommunikationsparameter systematisieren:

> Teilnehmeranzahl> Richtung der Kommunikation> zeitlicher Faktor

In Bezug auf die Teilnehmeranzahl lassen sich drei Kommunikationsmodi unter-scheiden:2

> One-to-one-Kommunikation: unter vier Augen, direkt und persönlich, wie etwaindividuelle schriftliche Kommunikation im Chat oder per E-Mail und ver-gleichbar dem Telefon, dem klassischen Brief oder der SMS.

> One-to-many-Kommunikation: Sender-Empfänger-Kommunikation, also derklassische Massenmedium-Modus, der in diversen Internetangeboten wie bei-spielsweise WWW-Onlineportalen integriert ist und durch den disperse undgroße Menschengruppen – etwa wie beim Fernsehen, Radio, bei der Zeitung odermit einem Flugblatt – in individualisierter Form erreichbar sind.

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

2 Andere Systematisierungen unterscheiden massenmediale Kommunikation, interpersonale (bila-teral wie multilateral) sowie Mensch-Maschine-Kommunikationen (Simulationsspiele/Avatare).

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> Many-to-many-Kommunikation: in Form von Newsgroups, Onlineforen oderauch Mailinglisten, die vielen Teilnehmern – im Sinne eines »horizontalen Kom-munikationsmediums« (Pisani 2003) – erlauben, Nachrichten an viele andereTeilnehmer zu senden.

Die Richtung der Kommunikation gibt Aufschluss darüber, in welcher Weise derÜbertragungskanal zwischen Sender und Empfänger benutzt werden kann:

> Unidirektionale Kommunikation ist gegeben, wenn dem Empfänger eine unmit-telbare Antwortmöglichkeit auf dem gleichen Kanal nicht möglich ist.

> Bidirektionale Kommunikation ist dann möglich, wenn Sender wie Empfängerauf dem Übertragungskanal sowohl senden als auch empfangen können.

> Multi- oder polydirektionale Kommunikation findet dann statt, wenn auf demÜbertragungskanal mehrere Personen senden und empfangen.

Ein weiterer zentraler Aspekt auch der netzbasierten Kommunikation ist die Unter-scheidung zwischen zeitgleicher (synchroner) und zeitverschobener (asynchroner)Kommunikation. Eine zeitverschobene asynchrone Kommunikation ist nicht nur beider E-Mail, in Onlineforen etc. möglich, sondern auch beim Brief, Telefax, Tele-gramm oder einer gesprochenen Nachricht auf dem Anrufbeantworter gegeben.Eine zeitgleiche synchrone Kommunikation erfolgt beim Chat, bei Onlinegames etc.,aber auch mittels Telefon oder Videokonferenz. Angesichts der Fülle an Online-angeboten und der Dynamik in diesem Bereich stellt sich die Aufgabe, trennscharfeTaxonomien zu entwickeln, allerdings immer wieder neu (Döring 2003a).

Das Netz bietet diverse Möglichkeiten zur bi- und multidirektionalen Kommuni-kation, weshalb die interaktiven Aspekte seiner Nutzung auch stark betont werden.So ist z.B. von »interaktivitätsermöglichenden Medien« die Rede (Höflich 1997).Interaktivität kann dabei verstanden werden als netzbasierte »Mensch-zu-Mensch-Interaktion, die Formen sozialer Organisation ermöglicht, ohne eine Kopräsenz imgemeinsamen physikalischen Wahrnehmungsraum vorauszusetzen« (Schütte 2000,S. 143; s.a. TAB 2001). Empirisch ist hier immer zu überprüfen, wie die Interaktionkonkret verläuft, in welchen Bereichen und zwischen welchen Akteuren sie sichwann verdichtet.

Ein Großteil insbesondere der frühen Forschung zum Netz hat Charakteristika desKommunizierens und Interagierens im »virtuellen Raum« (Chatrooms, Multi-User-Dungeons etc.) zum Gegenstand – wie z.B. die aus der Möglichkeit der Anonymitätsich ergebende Option zum Spiel mit Identitäten. In psychologischer, sozial- und kul-turwissenschaftlicher Forschung wird zudem seit längerem untersucht (z.B. Thiedeke2000; Thimm 2000), inwieweit aus »virtueller« Kommunikation und Interaktioninterpersonale Beziehungen entstehen, die funktional, psychologisch und kulturelläquivalent zu herkömmlichen Formen des zwischenmenschlichen Austauschs sind.

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1. DAS INTERNET ALS INFORMATIONSINFRASTRUKTUR

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Kritisch gefragt wird aber auch, ob maschinenvermittelte Kommunikation über-haupt eine zwischenmenschliche Interaktion ermöglichen könne oder ob nicht dieNutzung des Werkzeugs Computer und der Programme zumindest das analytischvorrangige Phänomen bei netzbasierter Kommunikation sei (z.B. Krämer 1997). DieInternetnutzung zum Zweck des Informationsaustauschs mit anderen Menschenwäre dann als eine Praxis zu verstehen, in der durch die Interaktion zwischenMaschinen und Programmen diverse Mensch-Maschine-Interaktionen zu einemneuartigen Kommunikationszusammenhang werden. Der Aspekt der Kopplung vonMedien, bei dem der Mensch lediglich als Anhängsel der Maschinenkommunika-tion erscheint, wird im so genannten medientheoretischen »Posthumanismus« ex-trem betont (TAB 2001).

ÜBERBLICK ÜBER WICHTIGE NUTZUNGSMÖGLICHKEITEN 2.

Auf der »Prozessebene kommunikativer Verfahren und Arbeitsroutinen« gibt es imInternet eine Vielfalt unterschiedlicher Dienste und Anwendungen, die in der Lite-ratur bereits sehr differenziert und ins Detail gehend beschrieben und analysiertworden sind (z.B. Döring 2003a). Im Folgenden werden daher lediglich Dienste undAnwendungen angesprochen, die hinsichtlich der in den anderen Kapiteln disku-tierten Aspekte politischer Internetkommunikation von besonderem Interesse sind.Die Darlegungen zu den weithin bekannten Nutzungsmöglichkeiten des Netzes sinddabei relativ knapp gehalten, es wird jedoch in aller Kürze auch auf grundlegendeCharakteristika der Dienste und Anwendungen eingegangen. Keine Auseinander-setzung erfolgt mit Tendenzen der Konvergenz klassischer Massenmedien mit demInternet, u.a. deshalb weil die politische Nutzung der interaktiven Potenziale desFernsehens immer noch nicht weit entwickelt ist.

E-MAIL

Die E-Mail gilt als die Hauptapplikation des Internets mit der größten Bedeutung fürdessen Popularisierung. Sie dient der direkten Verständigung zwischen Kommuni-kationspartnern, die sich entweder kennen oder mit denen Kontakt aufgenommenwerden soll. E-Mail ist eine bidirektionale, asynchrone Kommunikationsform undbesonders geeignet, im Hinblick auf persönliche Kontakte Informationen weiterzu-leiten und damit einen persönlichen Kommunikationspartner direkt anzusprechen.E-Mail ist zudem eine schnelle Anwendung für die Kommunikation innerhalb vonOrganisationen. Sie ist technisch eingebunden in weitere Dienste des Internets. Sobieten z.B. fast alle Websites die Möglichkeit der Kontaktaufnahme via E-Mail an.E-Mail ermöglicht sowohl Gruppen als auch Individuen, die Rolle des Senders zu

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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übernehmen. Die Erreichbarkeit von Institutionen und einzelnen Politikern undFunktionsträgern durch E-Mail ist mittlerweile ein Standard politischer Kommuni-kation. Dieser potenzielle Zuwachs an Transparenz und Responsivität wird aller-dings in der Praxis nicht selten geschmälert durch das Phänomen der so genannten»E-Mail-Flut«: Durch die Vereinfachung und (tendenziell) Verbilligung der Kon-taktaufnahme mit staatlichen Akteuren können deren Kapazitäten zur Reaktionüberlastet werden. Hinzu kommt das dem Dienst inhärente Problem des »Spamm-ing«, also der Beeinträchtigung dieses Kommunikationskanals durch die Versen-dung von Massenmails zu Werbezwecken, ermöglicht u.a. durch die maschinelleDurchforstung des WWW zum Zweck der Sammlung von E-Mail-Adressen. DieEindämmung des »Spam«-Problems ist in den letzten Jahren zu einem wichtigenGegenstand der Internetpolitik geworden.

MAILINGLISTE

»Eine Mailingliste bezeichnet ein Verbreitungsmedium zur Verteilung von E-Mailsinnerhalb einer endlichen Menge an E-Mail-Adressen zu einem ausgewiesenenThema oder Zweck« (Rost 2001). Bei Mailinglisten lassen sich moderierte undunmoderierte, öffentliche und nicht öffentliche Mailinglisten unterscheiden. Sie sindjedoch nur nach einer Anmeldung nutzbar. Darüber hinaus bietet sich eine Unter-scheidung in Verlautbarungs-, Diskussions-, Aktivierungs- und Koordinierungs-Mailinglisten an. Mailinglisten lassen sich nach der »Publikationsberechtigung«unterscheiden. Diese Publikationsberechtigung lässt sich differenzieren (vgl. Rost2001) nach

> Allseitigkeit (vorbehaltslose Weiterleitung im »All-to-all«-Modus),3

> Mehrseitigkeit (»many to all«), und> Einseitigkeit (»one to all«)

Im Falle eines einseitigen Schreibrechts handelt es sich um einen Newsletter. Dar-über hinaus ist ein weiteres Unterscheidungskriterium die »Bewertungsberechtigung«(vgl. Rost 2001): Dabei wird nach moderierten oder unmoderierten Listen unter-schieden. In moderierten Listen entscheidet ein Moderator über die Weiterversen-dung einer Nachricht. Neben der Diskussion und dem inhaltlichen Austausch wirddie Mailingliste häufig auch zur Koordination in Gruppen oder zuweilen zurschlichten Unterhaltung eingesetzt. Sie können von Individuen wie von Organisa-tionen eingerichtet und betrieben werden. Mitunter sind sie nur für einen befristeten

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2. ÜBERBLICK ÜBER WICHTIGE NUTZUNGSMÖGLICHKEITEN

3 Da bei Mailinglisten tatsächlich die Gesamtheit bekannt ist, kann hier mit einer gewissen Be-rechtigung von »all« gegenüber dem unbestimmten »many« ausgegangen werden.

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Zeitraum mit erhöhtem Kommunikationsbedarf relevant und werden nach Erfül-lung ihres Zwecks wieder eingestellt. Mailinglisten sind ideal, wenn es darum geht,schnell und einfach eine netzbasierte Diskussionsrunde einzurichten. Im Kontext derFrage nach neuen soziokulturellen und politischen Handlungsmustern interessiereninsbesondere Mailinglisten mit All-to-all-Kommunikationsmodus. Im Bereich derpolitischen – und insbesondere der staatlichen – Webangebote überwiegt aber dieNutzung zur Informationsverteilung (one to all), also der Newsletter.

WEBSITE

Die Website ist für sich genommen zunächst eine unidirektionale und asynchroneForm der Kommunikation. Durch die Einbindung verschiedener anderer Kommu-nikationskanäle ermöglichen Websites allerdings sowohl uni- wie bidirektionale,synchrone wie asynchrone und zudem multimediale Formen der Kommunikation.Diese Integration von Individual- und Massenkommunikationselementen »auf einerPlattform« macht »die strukturelle Besonderheit dieses Mediums aus« (Misocha2004). Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil eines der wesentlichen Motivefür Website-Inhaber die daran anknüpfende Möglichkeit zur weiteren Kommunika-tion darstellt (Misocha 2003).

Das Web bietet mit seinen unzähligen Websites und Newskanälen jedem NutzerInformationsmöglichkeiten, die bis Anfang der 1990er Jahre für den einzelnen Bür-ger kaum vorstellbar gewesen sind. Wer über einen Internetzugang verfügt, kanndiese Quellen für sich nutzen oder auch anderen zugänglich machen. Es ist somit zudem Informationsmedium schlechthin geworden, das eine Vielzahl an Inhalten,Fakten, Meinungen und Perspektiven bereithält. Websites sind mittlerweile zu einemStandardinstrument der politischen Kommunikation geworden, kaum ein relevan-ter politischer Akteur verzichtet auf eine eigene Webpräsenz.

NETZBASIERTE DISKUSSIONSFOREN

Historischer Ausgangspunkt der Entwicklung von netzbasierten Diskussionsforenwar das vor gut 25 Jahren entstandene Usenet. Die Vielzahl der Diskussionsforenzu den unterschiedlichsten Themen erhält eine Strukturierung durch die Untertei-lung in Newsgroups zu bestimmten Oberthemen sowie die weitere Unterteilung inUnterthemen. Das Usenet ist über das Internet und archivierte Newsgroup-Diskus-sionen sind z.B. via Google (»Groups«) zu erreichen.

Newsgroups funktionieren bidirektional sowie als Many-to-many-Kommunikation.Ihr asynchroner Charakter ergibt sich aus der Art und Weise der Nachrichten-versendung und -speicherung. Will ein Nutzer einen Artikel in einer Newsgroup

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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publizieren, so sendet er diesen an einen Newsserver. Seitdem die Kommunikationim Usenet überwiegend über das Internet abgewickelt wird, verbreitet sich einNewsgroup-Artikel von einem Server zu einer Vielzahl anderer Server weiter. DieTeilnehmer senden ihre gegenseitigen Anfragen und Antworten – oder in einemgesonderten Bereich des Usenet (»binaries«) auch Dateianhänge (Bilder etc.) – aufihren jeweils lokalen Newsserver, der seinen Bestand mehrmals täglich mit weiterenNewsservern synchronisiert. Diese dezentrale, Redundanz erzeugende Strukturmacht die Newsgroup-Diskussionen praktisch resistent gegen nachträgliche Zensur,da die versendeten Beiträge auf einer Vielzahl von Servern liegen.

Die Nutzer können zu einem beliebigen Zeitpunkt abfragen, welche Nachrichten inden sie interessierenden Foren neu hinzugekommen sind. Daher kann bei denNewsgroups im Gegensatz zu den Mailinglisten und dem dort zugrunde liegenden»Push-Prinzip« hier von einem »Pull-Prinzip« (aktives Abholen der Nachrichten)gesprochen werden (Runkehl et al. 1998). Es hat sich gezeigt, dass Newsgroups sichmehr noch als Mailinglisten – und ähnlich wie Weblogs (s.u.) – zur schnellen Ver-breitung von Informationen an eine große Zahl von Nutzern eignen. Bei Aufsehenerregenden Ereignissen kann es zu einem massiven Kommunikationsaufkommen imUsenet kommen. Bedeutung und Inhalte politischer Kommunikation im Usenetwerden schon seit längerem untersucht (z.B. Hill/Hughes 1998), für die Mitte der1990er Jahre wurde z.B. ein relativ geringer Anteil politischer Kommunikation –von allerdings kaum überschaubarem Gesamtumfang – konstatiert (Rössler 1998).

Andere Onlineforen sind webbasiert. Diese Onlineforen werden über Webseitenabgerufen und beliefert. Es handelt sich also um eine Abbildung von Newsgroupsim WWW. Von einem »Board« spricht man, wenn verschiedene Diskussionsforenzusammengefasst werden. Klassische Medienanbieter und eine Vielzahl politischerAkteure bieten mittlerweile Newsboards an, in denen verschiedene Themen in ein-zelnen Onlineforen diskutiert werden können.4 Auch in den Onlineforen wird bi-direktional, asynchron und im Many-to-many-Modus kommuniziert. Die Art undGröße des Teilnehmerkreises ist stark abhängig von der Popularität einer Website.Auch hier findet sich oft eine weitere Unterteilung in Unterthemen, und Nutzerhaben oftmals die Möglichkeit, eigene Diskussionsstränge (»threads«) zu starten.Viele Boards bieten registrierten Benutzern die Möglichkeit, sich per E-Mail darüberbenachrichtigen zu lassen, wenn in einem vorher bestimmten Forum eine neueNachricht hinzugefügt wurde.

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2. ÜBERBLICK ÜBER WICHTIGE NUTZUNGSMÖGLICHKEITEN

4 Oft werden die Termini »Diskussionsforum« und »Onlineforum« auch im Sinne des »Board«-Begriffs verwendet.

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Foren unterscheiden oft zwischen der Benutzerrolle des gewöhnlichen Forennutzersund den Administratoren und Moderatoren. Administratoren bzw. Moderatorenkönnen Beiträge anderer löschen oder bearbeiten. Sie können darüber hinausThreads »sperren«, also weitere Diskussionsbeiträge zu einem Thema verhindern.Dies ist ein entscheidender Unterschied gegenüber den in der Regel unmoderiertenNewsgroups, bei denen zudem ein einmal verschickter Beitrag im Netz präsentbleibt. Die Beiträge in den Webonlineforen liegen hingegen nicht dezentral auf ver-schiedenen Servern, sondern zentral auf einem Rechner.

In der Diskussion zur Nutzung des Internets für die politische Kommunikation wer-den Internetforen oft als besonders gut geeignete Instrumente politischer Delibera-tion eingeschätzt und dementsprechend seit längerem auch auf Websites staatlicherAkteure angeboten (Kap. IV).

CHAT

Während beim Telefonieren ein Anrufer in den Telefonhörer spricht und das Ge-sprochene nahezu zeitgleich beim Angerufenen eintrifft, tippt beim Chatten derjeweilige Teilnehmer mittels Tastatur seinen Text, der beim Adressaten ebenfallsnahezu zeitgleich auf dem Bildschirm erscheint: »Wie beim Telefonieren erfolgt dieInteraktion also direkt, synchron, wechselseitig, aber eben nicht sprechsprachlich,sondern schriftsprachlich« (Runkehl et al. 1998, S. 73; s.a. Eberle 2003). Die Kom-munikation beim Chat erfolgt synchron und entweder zwischen zwei Personen odermehreren Personen.

In der öffentlich-medialen Wahrnehmung der Chats dominiert die Funktion derKontaktaufnahme und -pflege zwischen Jugendlichen – die tatsächlich stark über-durchschnittlich diesen Dienst nutzen. Im Vordergrund steht zumeist der spontaneKontakt in Echtzeit mit Gleichgesinnten. Zudem verfolgen große Internetanbieterdie Strategie, über Chaträume Besucher zu binden. Es findet sich auch eine Vielzahlvon Chaträumen, in denen kulturelle und politische Themen verhandelt werden. Esist zu erwarten, dass die jugendkulturell erworbene Routine in der Chatkommuni-kation vermehrt Anknüpfungspunkte für den Transfer dieses Formats in anderegesellschaftliche Bereiche bieten wird.

In Deutschland existiert seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine Tradition vonChats mit Politikern (»Politikerchats«). Politikerchats werden hierzulande – im in-ternationalen Vergleich gesehen – häufig durchgeführt (Bieber 2004 und Kap. IV).Die relativ weit verbreitete Nutzung dieses Instruments »politischer Onlinever-sammlungen« (Bieber 2003) wird aber auch kritisch beurteilt: Der starke Popula-ritätszuwachs von Politikerchats in Deutschland sei ein zentrales Element der Kom-merzialisierung, der Spaß- und »Event«-Orientierung politischer Internetkommuni-

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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kation (Leggewie 2003b; Bieber 2004). Chats dienten vor allem der Selbstdarstel-lung der Politiker, während der größte Teil des Publikums eine ähnlich passive Rollewie der Fernsehzuschauer einnehme. Chats seien somit nicht selten lediglich eine»Fortsetzung der Talkshow mit ‘moderneren’ Mitteln« (Leggewie 2003b, S. 122).Die Potenziale der netzbasierten Kommunikation für gehaltvolle politische Delibe-ration und eine »interaktive Demokratie« blieben bei einer Konzentration auf Chatsungenutzt.

Auch wenn der allgemeinen Einschätzung zuzustimmen ist, dass Chats – vor allemim Vergleich zu Onlineforen – für niveauvolle und dialogische politische Kommu-nikation weniger geeignet sind, sollten Unterschiede zwischen Chats und den gän-gigen TV-Talkshows nicht übersehen werden (Diekmannshenke 2001): Einerseitsbleibt es im Gegensatz zu TV-Talkshows den Politikern stärker selbst überlassen, aufwelche Beiträge sie antworten, und es findet in der Regel kein Gespräch zwischenverschiedenen Politikern statt. Andererseits verfügen die Teilnehmer – auch wennviele von ihnen den Chat nur passiv verfolgen oder einige Beiträge nicht in die Listeder Fragen aufgenommen werden – über andere Möglichkeiten als das Saal- undFernsehpublikum von TV-Talkshows. Sie können ggf. Beiträge einstellen und somitThemen vorgeben sowie Antworten einfordern.

Auf jeden Fall sind auch hinsichtlich der politischen Qualitäten der Chatkommuni-kation die unterschiedlichen Typen dieses Formats zu differenzieren: Dabei lassensich (a) moderierte, selektierte Chats, die die große Zahl der Politikerchats aus-machen, (b) moderierte, unselektierte sowie (c) unmoderierte, unselektierte Chatsunterscheiden (vgl. dazu und zum Folgenden Diekmannshenke 2004). Während derletztgenannte Typ in der Regel die Interaktion zwischen den Teilnehmern sowie auchinformellen Sprachgebrauch begünstigt, zeichnen sich die Politikerchats in der Regeldurch ein Frage-Antwort-Schema aus, bei dem es nur sehr selten zu Nachfragen undnochmalige Antworten (also zu einem Austausch) kommt. Somit wird ein politi-scher Verlautbarungsstil begünstigt. Hinzu kommt, dass Politikerchats von Seitender Anbieter und der teilnehmenden Politiker oft eher als ein politisches Unterhal-tungsangebot (Diekmannshenke 2004) angesehen werden. Des Weiteren erreichenbei den selektierten moderierten Chats nicht alle Teilnehmerbeiträge das »Licht derNetzöffentlichkeit«. Die Moderation hat somit die Möglichkeit, die Auswahl dererscheinenden Beiträge den Bedürfnissen und Interessen des teilnehmenden Poli-tikers anzupassen.

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2. ÜBERBLICK ÜBER WICHTIGE NUTZUNGSMÖGLICHKEITEN

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WEBLOG

Ein vergleichsweise neues Phänomen, das in den USA seit einigen Jahren – und seitkurzem auch in anderen Ländern – viel diskutiert wird, stellen die so genanntenWeblogs (kurz: »Blogs«) dar.5 Eine genaue Eingrenzung dessen, was dieses Phäno-men ausmacht, ist bisher noch nicht gelungen: Sowohl innerhalb der Szene derWeblogbetreiber (»Blogger«) selbst als auch in der wissenschaftlichen Forschungbestehen unterschiedliche Auffassungen (vgl. hierzu und zum Folgenden z.B. Blood2002; Möller 2005; Neuberger 2003; Schönberger 2004a u. b, 2005a). Oftmalswerden Blogs mit Onlinetagebüchern gleichgesetzt, wodurch aber nur ein Aspektdieses Internetformats eingefangen wird.

Die Genese der »Blogosphäre«, wie die Gesamtheit von Weblogs auch genanntwird, lässt sich folgendermaßen skizzieren: In der zweiten Hälfte der 1990er Jahrewurde mit dem (aus »Web« und »Logbuch« zusammengesetzten) Kunstwort »Web-log« in den USA eine Reihe von Websites bezeichnet, in denen die Betreiber Linkszu anderen Seiten im Netz aufführten und kurz kommentierten – was allerdings einePraxis war, die vom Anbeginn des WWW bekannt war. Die Ende der 1990er Jahreals »Weblogs« bekannt gewordenen Websites zeichneten sich aber überdies dadurchaus, dass die häufig aktualisierten Beiträge des Betreibers in chronologischer Ab-folge (mit den jeweils neuesten Beiträgen an oberster Stelle) erschienen und in vielenFällen auch einen anekdotisch-biographischen Charakter hatten. Es handelte sichweniger um pure Orientierungshilfen im Netz und schlichte Hinweise auf andereWebsites als vielmehr um Erlebnisberichte vom eigenen »Surfen« und um diePräsentation und Kommentierung interessanter »Funde« im Netz – eventuell auchergänzt durch Informationen zu Offlineaktivitäten des Bloggers. Ebenfalls bereits inden 1990er Jahren wurden Websites aber auch dazu genutzt, Tagebücher imengeren Sinn netzöffentlich zu machen, also solche Aufzeichnungen, die über daseigene Leben der Autoren berichteten, ohne dabei einen Schwerpunkt auf Erfah-rungen beim Internet»surfen« zu legen.6 Zu Anfang des neuen Jahrzehnts wurdendann einfach handhabbare Software-Programme zur Erstellung von Weblogs ver-fügbar, was das Onlinepublizieren stark erleichterte und kostengünstig machte:Programmierfähigkeiten fielen als Voraussetzung weg und jeder mit Internetzugangkonnte ohne großen Aufwand seine eigene, ständig aktualisierte Website betreiben.Die Erstellung von Weblogs erfolgt also nicht mehr über ein spezifisches Webdesign-

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

5 Das Wort »Weblog« nahm in den letzten Jahren z.B. Spitzenplätze bei den US-amerikanischenWahlen zum »Wort des Jahres« ein.

6 Dabei kam es auch zu literarischen Experimenten, bei denen diese Netzöffentlichkeit zur Aus-einandersetzung mit der Rezeption massenmedialer und alltäglicher Diskurse genutzt wurde(z.B. Goetz 2003).

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Programm, sondern die Bearbeitung von Texten und Bildern kann direkt im Browservorgenommen werden.

Während einige Blogs – und insbesondere politische – auf große Resonanz stoßen,existiert eine Vielzahl von anderen Blogs, die – wenn überhaupt – nur »Mikroöf-fentlichkeiten« erreichen. Inhalte und Zwecke von Weblogs sind dabei sehr unter-schiedlich und reichen von im Wesentlichen rein privaten Tagebüchern über Hob-byseiten und politische Blogs – auch von traditionellen Medienanbietern bzw. beiihnen angestellter Journalisten – bis hin zu Weblogs, die von Unternehmen oderwissenschaftlichen Einrichtungen für die professionelle Kommunikation betriebenwerden. Die letztgenannten Weblogs sind häufig kollaborative Formate, bei denenkein einzelner Blogger der Anbieter ist, sondern es sich um gemeinsam inhaltlich er-stellte Websites handelt. Die Grenzen zu anderen kollaborativen Internetformaten(Kap. V.1) sind fließend. Zumeist werden unter »Weblogs« aber die Angebote vonEinzelpersonen verstanden.

Viele Weblogs bieten die Option, die Beiträge des Anbieters zu kommentieren so-wie Kommentare zu den Kommentaren anderer Leser zu senden, wodurch sie Inter-aktivität zwischen den Lesern und Many-to-Many-Kommunikation ermöglichen.Hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Netzöffentlichkeit ist zudem relevant, dass inder Bloggerszene selbst – aber z.B. auch durch wissenschaftliche Einrichtungen –verschiedene Möglichkeiten der Beobachtung der aktuellen Entwicklungen in der»Blogosphäre« angeboten werden, z.B. statistische Angaben zur jeweiligen Ver-breitung bestimmter Beiträge.

Weblogs werden anscheinend, zumindest in den USA (Rainie 2005), vorwiegend vonerfahrenen Internetnutzern betrieben. Zudem sind die üblichen demographischenCharakteristika der Netzpopulation auch in der »Blogosphäre« festzustellen, auchwenn es hier Anzeichen für eine Veränderung gibt. Auffällig ist aber, dass – trotzeines gewissen Aufmerksamkeitszuwachses für das Phänomen in den High-Quality-Massenmedien – Blogs unter Internetnutzern noch immer wenig bekannt sind.

Im Bereich der politischen Internetnutzung spielen Weblogs eine nicht unerheblicheRolle (Kap. IV u. V), insbesondere in den USA, aber auch in einigen asiatischen undeuropäischen Ländern.

ENTWICKLUNG VON NUTZUNG UND NUTZUNGSWEISEN 3.

Von 2003 bis 2004 wurde ein deutlich nachlassendes Wachstum bei der Ausbrei-tung des Internets festgestellt, wobei aber zu beachten ist, dass das starke Wachstumzuvor vor allem durch die gestiegene Popularität von Onlineshopping, Onlineauk-tionen (eBay) und Preisvergleichen im Netz verursacht war (dazu und zum Folgen-

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3. ENTWICKLUNG VON NUTZUNG UND NUTZUNGSWEISEN

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den van Eimeren et al. 2004). Bei einer Befragung von über 13-Jährigen im Jahr2004 gab gut die Hälfte an, das Internet in den letzten vier Wochen genutzt zuhaben. Zugangsbarrieren für die meisten »Offliner« blieben weiterhin mangelndeKenntnisse im Umgang mit PC und Software sowie die Anschaffungs- und Folge-kosten, viele Nichtnutzer sehen aber auch keinen Mehrwert gegenüber traditionel-len Medien. Bei den Nachzüglern, die erst in diesem Jahrzehnt – und vornehmlichnicht aus beruflicher Notwendigkeit – mit der Internetnutzung begonnen haben,stellt man häufig ein Gefühl der Überforderung fest. Durch die Ausbreitung desInternets hat sich »ein gravierender Strukturwandel vollzogen – von den experimen-tierfreudigen Internetpionieren, die die Möglichkeiten des Netzes in seiner vollenBreite ausschöpfen, hin zu der überwiegenden Zahl an Nutzern, die ihre wenigen,für sie relevanten Websites gefunden haben […]« (van Eimeren et al. 2004, S. 355).Die aktive Suche nach neuen Websites findet demnach »vornehmlich nur noch indenjenigen Gruppen statt, für die das Internet zum ‘virtuellen Lebensraum’ und zumzentralen Medienangebot geworden ist« (van Eimeren et al. 2004, S. 355).

Bei den Inhalten steht die tagesaktuelle Information an der Spitze. 46 % der Nutzergreifen mehr oder weniger regelmäßig darauf zu – vor Freizeit-, Produkt- und Rat-geberinformationen (Van Eimeren et al. 2004; s.a. Kap. VI). Von herausragenderBedeutung für die Popularität des Netzes ist auch die persönliche Kommunikationper E-Mail.

Mit der fortschreitenden Diffusion des Internets entwickeln sich zugleich neue sozio-kulturelle (einschließlich politische) Kommunikations- und Handlungsmuster, die zueiner Ausdifferenzierung der »Nutzertypen« und deren jeweiligen Nutzungsweisenführen. Zur Erfassung differenter Nutzungsmuster gibt es seitens der damit befass-ten Wissenschaften unterschiedliche Angebote. Es kann davon ausgegangen werden,dass allein am Umfang und am Inhalt der Internetnutzung ausgerichtete Medien-nutzertypologien nicht ausreichend sind. In anderen Mediennutzungstypologienwird nicht nur versucht, die Internetnutzung bestehenden Modellen sozialer Schich-tung und Gruppierung (Milieus) zuzuordnen, sondern es wird auch die Perspektiveder verschiedenen sozialen Kontexte zum Ausgangspunkt der Analyse alltäglicherAneignung der Technik genommen (hierzu und zum Folgenden Schönberger 2004a).Frühe Klassifikationsversuche der Internetnutzung unterschieden beispielsweisezwischen Nutzern, die das Internet überwiegend als Werkzeug verstehen, und den-jenigen, die das Internet als Kultur- und Lebensraum begreifen, indem sie »sich fürNetzbelange einsetzen, netzspezifische Ausdrucksformen und Traditionen pflegen,mehr netzvermittelte Kontakte unterhalten und insgesamt über ein größeres Inter-net-bezogenes Wissen verfügen« (Döring 2003a, S. 180). Eine solche Unterschei-dung war für die Phase der »Binnendifferenzierung«, der Diffusion des Internetsdurchaus sinnvoll, weil die hier beschriebene Netzkultur für sich genommen einehervorgehobene Bedeutung hatte. Nach der »universellen Öffnung« des Internets

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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und angesichts der Tendenzen zu einer »globalen Öffentlichkeit« (vgl. Kubicek etal. 1997) im Netz erscheint eine solche Klassifikation heutzutage aber nur nochwenig aufschlussreich. Die Anknüpfung an das Konzept »alltäglicher Lebensfüh-rung« erscheint hier sinnvoll, »denn wie auch immer die Individuen ein Medium inihren Alltag einpassen, sie tun dies nicht frei, sie sind gebunden (wenn auch nichtimmer in einem determinierenden Sinn) an objektive Verhältnisse, sozio-kulturelleNormen, ihre Lebensformen und den Imperativ, diese mehr oder minder eigenstän-dig zu integrieren« (Berker 1999, S. 11).

Ein Medium hat nur dann Aussicht auf Verbreitung, wenn es sich in einer Gesell-schaft in das System der »alltäglichen Lebensführung« von vielen Menschen ein-passen kann (Kubicek et al. 1997). Dies ist zunächst abhängig von der Funktion(Brauchbarkeit) eines Mediums. Darüber hinaus prägen Medien, die sich als sozialesVerhältnis durchgesetzt haben, wiederum die jeweilige »alltägliche Lebensführung«.Erst dieser Blick auf die Lebensbedingungen, die Einstellungen und die Lebensfor-men erklären die empirisch feststellbare unterschiedliche Nutzung (Schönberger2000a u. b, 2003). Dabei sind es auch hier weniger die klassischen Stratifikationen(z.B. Geschlecht, Alter), sondern vielmehr die Lebensführungskonzepte, die dieUnterschiede in der Intensität und der Art der Nutzung erklären helfen sollen. DieNutzungspraxis derjenigen, die Arbeit und Freizeit zeitlich, räumlich oder inhaltlichnicht (mehr) trennen können oder wollen, unterscheidet sich von denjenigen, dienoch weitgehend im »traditionellen« Sinn arbeiten und leben (Berker 1999; Schön-berger 2000a).

Auch für netzbasierte politische Kommunikation sind diese Nutzertypologien be-deutsam, da beim Design und bei der Bekanntmachung der unterschiedlichen In-formations-, Kommunikations- und Partizipationsangebote das spezifische »Netz-verhalten« verschiedener gesellschaftlicher Zielgruppen von besonderem Interesse ist.Beispielhaft lässt sich dies anhand der Ergebnisse der »ARD/ZDF-Onlinestudien«(vgl. zuletzt van Eimeren et al. 2004; s.a. Schönberger 2004a; TAB 2001) zeigen. Indiesen wurden unterschieden (van Eimeren et al. 2004):

> Junge Wilde> Erlebnisorientierte> Leistungsorientierte> Neue Kulturorientierte> Unauffällige> Aufgeschlossene> Häusliche> Klassisch Kulturorientierte> Zurückgezogene

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3. ENTWICKLUNG VON NUTZUNG UND NUTZUNGSWEISEN

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Bemerkenswert erscheint, dass die »Klassisch Kulturorientierten« – also ein kul-turell und politisch stark interessierter, traditionelle Medien intensiv nutzender Teilder Bevölkerung – weiterhin unterdurchschnittliche Nutzerraten aufweist. DieseNutzer hegen oft Zweifel daran, dass das Internet die gesellschaftliche und indivi-duelle Weiterentwicklung fördert.

Für die Onlinenutzertypen der »Jungen Hyperaktiven« (7 % aller Nutzer) und fürdie »Routinierten Infonutzer«, die weitgehend von den Erlebnis- und den Leistungs-orientierten gebildet werden (17 % aller Nutzer), ist das Internet hingegen zum»virtuellen Lebensraum« bzw. zum zentralen Medienangebot geworden. Nur indiesen Gruppen wird in hohem Maß die Bereitschaft bekundet, neue Webangeboteaufzusuchen und ausgiebig zu surfen. Ein deutlicher Trend der letzten Jahre ist zu-dem die – relativ gesehen – abnehmende Attraktivität der interaktiven Möglichkeitendes Internets (Newsgroups, Chats, Foren, Onlinespiele). Mindestens einmal wöchent-lich wurden Foren, Chats oder Newsgroups von 16 % aller über 14-Jährigen Inter-netnutzer genutzt. (2002 waren es 23 %, 2003 noch 18 %.) Die 14- bis 19-Jährigensind hier deutlich am aktivsten: Gesprächsforen, Newsgroups und – vermutlich vorallem – Chats wurden von dieser Altersgruppe relativ stark genutzt, insgesamt vonca. 45 % mindestens einmal wöchentlich.

Jugendliche Nutzer bildeten auch die Hauptbasis für den insgesamt starken Bedeu-tungszuwachs von Computerspielen, wobei Onlinespiele von besonderer Bedeutungsind. Ökonomisch sind Computerspiele allgemein seit Jahren von schnell wachsen-der Relevanz, wobei die Verbesserung der Onlinespielmöglichkeiten durch die Dif-fusion von breitbandigen Übertragungstechniken zu dem Anfang dieses Jahrzehntsprognostizierten (vgl. z.B. TAB 2001) Wachstumsschub geführt hat. Verbreitet habensich – insbesondere von Südkorea aus – zudem soziokulturelle Erweiterungen derreinen Spielpraxis, die von der Industrie gefördert in diesem Jahrzehnt u.a. zurEtablierung der so genannten »E-Sports« geführt haben, bei denen u.a. auch Off-lineturniere (auch mit TV-Übertragungen) und Sponsoring stattfinden. Im politi-schen Bereich spielen Computerspiele ebenfalls eine gewisse Rolle, u.a. didaktischeSpiele, die auf staatlichen Webangeboten an Jugendliche häufiger zu finden sind,oder durch Politiksimulationen wie z.B. www.dol2day.com.

Für die Gestaltung politischer Onlinediskussionsangebote lässt sich aus dem Gesag-ten folgern, dass diese am ehesten bei Jugendlichen und anderen sehr aktiven Inter-netnutzern auf Interesse stoßen dürften. Auch wenn hier selbstverständlich dasThema des Diskussionsangebots von zentraler Bedeutung ist, müsste demnach beiminhaltlichen Design, der Bekanntmachung und Betreuung von solchen Angebotender Bedeutung und den Besonderheiten dieser Zielgruppen Rechnung getragenwerden (vgl. Kap. IV). Dabei ist hinsichtlich der jungen Nutzer allerdings zu be-denken, dass es sich bei der Rede von »der Internetgeneration« um ein Klischee

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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handelt, zumindest insoweit man dabei Unterschiede innerhalb dieser Altersgruppen(z.B. in Bezug auf soziale Herkunft, Bildung und Medienkompetenzen) ausblendet(Iske et al. 2004). Zudem wären – auch bezüglich des Typus des »Routinierten Info-nutzers« – die hohen Erwartungen zu berücksichtigen, die viele Nutzer in Bezug aufstaatliche Onlineinformationsangebote hegen.

Ungeachtet der Bedeutung der stark internetaffinen Nutzergruppen müssten vielestaatliche Webangebote allerdings (zur Abmilderung der Folgen »digitaler Spaltun-gen«) gerade auch so angelegt sein und beworben werden, dass nicht nur dieseNutzergruppen in relevantem Ausmaß auf sie zugreifen.

NETZBASIERTE KOMMUNIKATION UNDKULTURELLER WANDEL 4.

Mit der Metapher der Netzwerkgesellschaft beschreibt Manuel Castells die charak-teristische Gesellschaftsstruktur des Informationszeitalters, die insbesondere durchdie Entwicklung der Mikroelektronik, Globalisierung und Individualisierung beför-dert wird. »Netzwerke bilden die neue soziale Morphologie unserer Gesellschaften,und die Verbreitung der Vernetzungslogik verändert die Funktionsweise und dieErgebnisse von Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und Kultur wesent-lich« (Castells 2001a, S. 527). Dabei sind Netzwerke keine grundsätzlich neue Formsozialer Organisation, neu sind die Informationsnetzwerke, die sich auf neue Infor-mationstechnologien stützen (Castells 2001b). Angesichts expandierender com-putergestützter Kommunikation stellt sich zunächst die Frage nach sich änderndenKommunikationsformen, sodann, weitergehend, nach neuen Möglichkeiten undBedingungen für das individuelle wie kollektive Handeln. Im Fokus steht somit dasVerhältnis von technischen Nutzungspotenzialen und kulturellen Nutzungskon-texten.

Kultur wird durch die Nutzung des Internets und seiner Dienste unterschiedlichtangiert, vor allem aber in folgenden Richtungen (s.a. TAB 2001):

> Es verändert sich Kultur im engeren Sinn, z.B. in den Bereichen Buchproduktionund -vertrieb, Literaturrezeption und Tonträgernutzung.

> Es sind neuartige Möglichkeiten zur Bewahrung des kulturellen Erbes (»kulturel-les Gedächtnis«) entstanden, z.B. auch durch Multimedia-Nutzung sowie digitaleBearbeitungstechniken.

> Alltagskur und die Arbeitswelt werden verändert, da durch das Netz Inhalte,Strukturen und Abläufe in Erwerbsarbeit wie Freizeit tangiert werden. Dasgleiche gilt für Lebensstile, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen.

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4. NETZBASIERTE KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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> Schließlich führt die Nutzung des Internets zur »Einübung« neuer, netzbasierterKulturtechniken (etwa durch die Gleichstellung von eigenhändiger Unterschriftund digitaler Signatur) und kann zum »Verlust« tradierter Kulturtechnikenführen (z.B. durch die so genannte »neue Oralität«).

Diese kulturellen Wandlungsprozesse haben erst vor relativ kurzer Zeit begonnen,werden aber aller Voraussicht nach lebensweltliche, alltägliche Kommunikations-und Handlungszusammenhänge weiter verändern. Viele Auswirkungen, die dietechnische Differenz zwischen Offline- und Onlinebereich hat, sind nur als Frageoder Vermutung formulierbar, vor allem, was generalisierte, stark verallgemeinerteAussagen betrifft. Weitreichende Potenziale und Auswirkungen netzbasierterKommunikation werden angenommen hinsichtlich

> neuer Formen der politischen und kulturellen Kommunikation, Interaktion undKooperation;

> neuer Möglichkeiten des Erlangens, des Austauschs und der Archivierung vonWissen;

> der Rolle der Massenmedien und der Strukturen politischer Öffentlichkeit sowie> der Möglichkeiten kultureller Vernetzung, des interkulturellen Dialogs und

transnationaler Kommunikation.

Zu den möglichen gesellschaftlichen Folgen der Entwicklung finden sich in der wis-senschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion oft recht weitgehende positive wienegative Vorstellungen bis hin zu utopischen und dystopischen Zukunftsprognosen.Solche Vorstellungen beruhen vielfach auf Extrapolationen auf der Basis technischerEntwicklungstrends und unterschätzen das soziale wie kulturelle Beharrungsver-mögen bzw. die Möglichkeiten steuernder Einflussnahme auf die gesellschaftlicheImplementierung der technischen Potenziale (etwa über politische und ökonomische»Rahmungen«, Lernprozesse, Folgenabschätzungen usw.).

In den folgenden Abschnitten wird nun kurz auf einige – auch politisch – relevanteAspekte des kulturellen Wandels unter Einfluss des Internets eingegangen. DieseAusführungen dienen als Hintergrund der anschließenden Analyse der Potenzialeund Entwicklungen im Bereich der politischen Internetnutzung.

KULTUR UND TECHNIK

Bei der inhaltlichen Bestimmung dessen, was unter »Kultur« zu verstehen sei, istman – auch in der Diskussion über das Internet – mit der historischen wie aktuellenVielfalt von Kulturverständnissen konfrontiert (TAB 2001). Diese Konzepte sindinsgesamt nicht »restlos« ineinander überführbar – es »gibt daher weder ‘das’ all-gemein akzeptierte Verständnis von Kultur noch ‘die’ Kulturtheorie« (Panther/Nut-

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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zinger 2004, S. 289). Die vielfältigen Facetten der Debatte über Kultur und Kultur-theorien können hier nicht nachgezeichnet werden (s.a. TAB 2001; Siedschlag2004). Für die Zwecke dieser Untersuchung reicht es aus, von einem hinreichendbreiten und weitgehend akzeptierten Kulturverständnis auszugehen.

Kultur kann als das Ergebnis menschlicher Lebens- und Daseinsbewältigung in einerHandlungs- und Kommunikationsgemeinschaft angesehen werden: Unter Kulturwird dann z.B. »die Gesamtheit der bewussten und unbewussten Denk-, Wahrneh-mungs- und Handlungsmuster sowie deren Vergegenständlichung verstanden, dievon Menschen als Mitglieder einer Gemeinschaft sozial erworben und tradiert wer-den und eine spezifische, abgrenzbare Eigenschaft dieser Gemeinschaft bilden«(Hermeking 2001, S. 18). Allerdings sollte Kultur dabei nicht – wie noch vor einigenJahrzehnten weithin üblich – als latente Systemstruktur oder als normativer Kon-text des Handelns aufgefasst werden, sondern als Ausdruck des ständigen Wandelsder Alltagswelt (Siedschlag 2004). Die neuere Kulturtheorie betont mehrheitlich dasMoment des Wandels und hat sich auch verstärkt kulturellen Differenzen innerhalbvon Nationalkulturen oder übergeordneten »Kulturkreisen« zugewandt (TAB2001), unter besonderer Berücksichtigung neuer Formen kultureller Vergemein-schaftung und Assoziation, die zum Teil – wie z.B. einige Jugendkulturen – eherflüchtige Gebilde darstellen können.

Kulturelle Gemeinschaften können somit auf verschiedenen Ebenen bestehen: auftransnationaler, nationaler oder regionaler Ebene, aber auch innerhalb bestimmterTeilbereiche der Gesellschaft (z.B. politische Kultur), bestimmter Bevölkerungsgrup-pen (z.B. historische Arbeiterkulturen und Jugendkulturen), innerhalb bestimmterOrganisationen (z.B. Unternehmenskulturen) oder auch bezogen auf spezifischekulturelle Praktiken (z.B. Fankulturen). Zum Teil können diese Kulturen hierar-chisch und geographisch geordnet werden – wie z.B. die deutsche Kultur als Teil der»abendländischen« Kultur, die deutsche politische Kultur als Teil der deutschenKultur oder Regionalkulturen als Teil der nationalen Kultur. Auch die Kulturen(oder in älterer Terminologie: »Subkulturen«) bestimmter Bevölkerungsgruppenkönnen als Teile übergeordneter kultureller Gemeinschaften begriffen werden. Da-gegen sind einige traditionelle Kulturen (z.B. sorbische Kultur in Deutschland) und– insbesondere durch die Medienentwicklung befördert – viele neuartige Kulturen(z.B. zahlreiche Jugendkulturen) transnational ausgerichtet und entziehen sich da-her herkömmlichen, an der Geographie und Staatsgrenzen orientierten Versuchenkulturtheoretischer Klassifizierung. Kulturelle Traditionen und Entwicklungen dieserArt sind – zusammen mit den durch Migration entstandenen neuen Diaspora- undHybridkulturen (z.B. Kultur türkischstämmiger Menschen, die in Deutschland ge-boren sind) – wichtige empirische Bezugspunkte neuerer Kulturtheorien, in denenältere Konzepte einer im Kern unveränderlichen (nationalen) Kultur kritisiert wer-den. Eine wichtige Strömung innerhalb dieser neuen Kulturtheorien (vor allem in

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4. NETZBASIERTE KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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den »Cultural Studies«) betont dabei stark die Bedeutung der individuellen Aneig-nungsweisen von Kultur und neuer Möglichkeiten der Individuen zur Schaffungihrer kulturellen Identität bzw. Identitäten (z.B. Winter 2001; s.a. TAB 2001 u.kritisch Siedschlag 2004). Auch wenn hier zwischen den verschiedenen wissen-schaftlichen Disziplinen Unterschiede bestehen, kann eine starke Tendenz zur kul-turtheoretischen Wiederbesinnung auf die Rolle des Individuums konstatiert werden– wobei aber dessen Sozialität keineswegs ausgeblendet wird.

Ungeachtet der Frage der Kultur tragenden Akteure kann Kultur aufgefasst werdenals die Gesamtheit habitualisierter, alltäglicher Handlungsrepertoires und -strategien(einschließlich der Kommunikationspraktiken) sowie der vergegenständlichtenArtefakte (dazu schon Kroeber/Kluckhohn 1952) – etwa in Form technischer Sach-systeme, mit denen das Leben gestaltet wird. Unterstellt wird hier eine immanenteWechselwirkung zwischen der Habitualisierung von Handlungsrepertoires undStrategien einerseits und der Vergegenständlichung von technischen Sachsystemenandererseits (s.a. Schönberger 2004a): Die von gesellschaftlichen Akteuren ent-wickelten und praktizierten Kommunikationsformen werden durch neue technischeAngebote in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext erprobt, restrukturiert und modi-fiziert; diese wiederum wirken auf Generierung, Design und Diffusion technischerAngebote zurück. Auch im Zusammenhang mit Computernetzen ist es sinnvoll, vonsoziotechnischen Systemen zu sprechen: Die Nutzer »konstruieren« durch ihrehabitualisierten und tradierten Weisen des Mediengebrauchs das, was ein Mediumjeweils tatsächlich (und nicht nur der Möglichkeit nach) ist und wie es in den Alltageingebunden wird. So wird E-Mail gleichsam auch als »beschleunigter Brief«genutzt, bei dem räumlich getrennte Arbeitschritte (wie z.B. der Gang zur Post)durch Aktivitäten am Computer ersetzt werden, wobei dann aber auch der eigene»virtuelle Briefkasten« oft mit Werbung (»Spam«) verstopft ist.

Neue Medien werden durch die gegenwärtige Kultur geformt. Die sozialen Bedin-gungen beeinflussen die Gestaltung, die Einführung und den Gebrauch der neuenTechnologien. Umgekehrt wirken die technischen Gegebenheiten ihrerseits auf diekulturellen Handlungs- und Nutzungsmuster und verändern sie. Keine Technologiehat also (nur) universelle, (nur) ihr inhärente Effekte. Die sozialkulturellen Rahmen-bedingungen wirken auf die Ergebnisse an einem bestimmten Ort, zu einer bestimm-ten Zeit. Auch wenn davon gesprochen wird, dass sich im weltweiten Fluss vonInformationen Raum- und Zeitgrenzen verflüssigen (TAB 2001), so sind diese dochweiterhin von Bedeutung: Menschen interpretieren die »globalen Botschaften« vordem Hintergrund ihres soziohistorischen und -kulturellen Kontextes. Lokale Bedin-gungen bleiben somit, auch wo sie sich durch Globalisierungsprozesse rapide ver-ändern, relevant für die Wahrnehmungs-, Interpretations- und Handlungsmustervon Individuen und kulturellen Gemeinschaften »vor Ort«.

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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Es sind folglich nicht nur finanzielle, sondern auch kulturelle Barrieren, die die un-eingeschränkte Teilnahme vieler Personen an den neuen Kommunikationstechno-logien be- bzw. verhindern können. Die Realisierung von Strukturen und Verfahrender »E-Demokratie« (Kap. III u. IV) z.B. ist deshalb nicht nur abhängig vom tech-nologischen Fortschritt, sondern auch von einem tief greifenden kulturellen Wandel:Dem einzelnen Bürger muss ganz bewusst eine aktive Rolle in politischen Prozessenzugewiesen werden – auch im digitalen Raum. Auch die politische Kultur, wie siesich in den Institutionen niederschlägt, bedarf der Veränderung, wenn eine Belebungder Demokratie durch netzbasierte Kommunikation gelingen soll.

Bei den in diesem Bericht interessierenden Veränderungen in der politischen Kom-munikation handelt es sich also nicht um unmittelbar technisch bewirkte Wand-lungsprozesse, sondern um Prozesse, die Potenziale für ein verändertes Handelnund Kommunizieren der Menschen, für veränderte soziale und kulturelle Praxenherstellen und damit insgesamt eine andere Konstitution sozialer und kulturellerWirklichkeit in Gang setzen (können). Nachzugehen ist den Fragen, (a) wie sich inden unterschiedlichen Internetangeboten sowohl neue als auch traditionelle Hand-lungsmuster verbinden, und (b) wo und wie sich ganz neue kulturelle oder sozialePraktiken finden, die tendenziell erweiterte Partizipations- und Gestaltungsmög-lichkeiten oder ganz neue Formen politischer Öffentlichkeit erlauben.

NETZNUTZUNG ZWISCHEN BESTÄNDIGKEIT UND WANDEL

Als Ausgangspunkt dient hier die These, dass die neuen Kommunikationstechnolo-gien des Internets nicht nur zur Bildung neuer Kommunikationsformen, kulturellerMuster, sozialer Beziehungen und Netzwerke führen werden, sondern vorhandenesoziale und kulturelle Verhältnisse auch ergänzen, unterstützen und transformieren(hierzu und zum Folgenden Schönberger 2004a). Der sich vollziehende Wandelschließt sowohl die Anpassung bestehender kultureller und sozialer Praktiken alsauch deren Intensivierung und Erweiterung im und mittels des Internets ein. Auchfür das Internet gilt, dass sich die Nutzungsformen neuer Technologien nur bedingtprognostizieren oder gar planen lassen: Gerade beim auf vielfältige Weise nutzba-ren Internet werden die Nutzungsformen und damit die gesellschaftlichen Auswir-kungen wesentlich durch die konkrete Praxis der Anwendungen mitgeprägt. ImGebrauch von netzbasierter Kommunikationstechnik ist von zwei die Integrationtechnischer Möglichkeiten in die Alltagspraxis bestimmenden Handlungsmusternauszugehen: Beharrung und Beständigkeit (Persistenz) einerseits und Weiterent-wicklung und Wandel andererseits.

Von Beständigkeit oder Persistenz kann dann gesprochen werden, wenn sich diedominanten Gebrauchsweisen entlang bekannter und offline eingeübter Kommuni-

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4. NETZBASIERTE KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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kations- und Handlungsmuster vollziehen (Schönberger 2004a). NetzbasierteKommunikation geht in diesen – mitunter sehr differenzierten Nutzergruppen – mitder Übernahme, Reproduktion und Verdoppelung von Verhaltensweisen aus dem»real life« einher. Deshalb bedeutet beispielsweise die (technische) Möglichkeit, an-dere Personen und Inhalte mittels netzbasierter Kommunikation kennen zu lernen,nicht, dass sich dies in allen gesellschaftlichen Nutzergruppen zu einem ubiquitärenKommunikations- und Handlungsmuster verdichtet.

Dies verweist darauf, dass ein neues medientechnisches Artefakt nicht automatischeine veränderte Alltagspraxis oder eine Erweiterung des sozialen Nahbereichs »be-wirkt«, auch wenn seine technische Struktur ein anderes Handeln nahe legt. Hierzeigt sich vielmehr ein »cultural lag« zwischen dem softwaretechnisch gegebenen(sozialen) Potenzial und der tatsächlichen Nutzung. Dieser »cultural lag« ist dabeinur zu einem Teil eine Folge von geringer technischer Medienkompetenz. Entschei-dend für die Art des Gebrauchs netzbasierter Kommunikation, also beispielsweisedafür, ob die lokale bzw. persönliche Offlinelebenswelt erweitert oder überschrittenwird, sind nicht nur sozialstrukturelle Faktoren. Mindestens genauso wichtig sinddie (Selbst-)Positionierung von Nutzern in bestehenden sozialen Netzwerken sowieLebensstile und sozialer Habitus, die eine entsprechende Nutzung netzbasierterKommunikation als subjektiv sinnvoll erscheinen lassen. Hierbei kommt es insbe-sondere auf die jeweilige Bedeutung von Arbeit, Freizeit, Partnerschaft und Familiefür die personale Identität und Lebensführung an.

Der Blick auf die Rezeption der Medieninhalte im Internet ergibt starke Indizien fürTendenzen der Beharrung von bestehenden Kommunikations- und Handlungsmus-tern. Die Verfügbarkeit von Informationen hat sich zwar prinzipiell erheblich er-weitert, doch bedarf es zu deren Nutzung angemessener Strategien des Wissens-managements, die ein Mindestmaß an Begriffsbildung, Abstraktionsvermögen undan kommunikativen Kompetenzen erfordern, die (noch) nicht als etablierte Kultur-techniken vorausgesetzt werden können. Das Netz bietet eine solche Fülle an In-formationen, dass das Sichten, Gewichten und Filtern von Informationen als basaleKulturtechniken immer größere Bedeutung gewinnen werden.

Das Internet eröffnet zwar medientechnisch einen neuen Horizont. Eine Vielfalt anInformationsquellen und Kommunikationsmöglichkeiten ist erschließbar. Eine sol-che Horizonterweiterung setzt aber mehr als die Verfügbarkeit technischer Medienvoraus. Erst wenn sich wesentliche soziale und kulturelle Rahmenbedingungen einesNutzers ändern (vom verfügbaren Zeitbudget über das soziale Umfeld bis hin zuLebensstilen und Identitäten) steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch diehabitualisierten Formen der Medienwahl und Mediennutzung ändern.

Die Analyse gegenwärtiger Nutzungsweisen des Internets zeigt, dass die anfäng-lichen Erwartungen hinsichtlich sich rasch und umfassend wandelnder kommuni-

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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kativer Praxen überzogen waren. Genauso wenig ist es aber zutreffend, keinen Wan-del anzunehmen. Das Neue besteht vor allem darin, dass Information, Kommuni-kation und Partizipation vielfach einfacher, schneller und kostengünstiger möglichsind. Auch wenn es sich hier zunächst vor allem »nur um quantitative Größen han-delt, so ist doch davon auszugehen, dass die Zunahme dieser Quantitäten in eineneue Qualität umschlagen kann. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, dass die Ver-netzung von Personen im Sinne von Gemeinschaft nicht nur – wie bislang – dort er-folgt, wo diese real zusammenkommen, sondern überall dort möglich ist, wo sie sich»einloggen« bzw. dort, wo sie Nachrichten empfangen bzw. senden können.

So haben etwa der gegenseitige Austausch und die Unterstützung in gesundheitlichenSelbsthilfegruppen über das Internet großen Auftrieb erhalten, da sich neuartigeKommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten bieten. Die netzbasierte Kom-munikation trägt hier zur Bildung einer Gemeinschaft bei, in der Rat- oder Hilfe-suchende Anschluss finden können. Die in solchen Selbsthilfe-Websites verfügbarenInformationen über Beratungsangebote und Behandlungsmöglichkeiten gibt es fürdie meisten Nutzer außerhalb des Netzes in ihrer unmittelbaren sozialen Umgebungzunächst nicht. Hier konstituiert sich eine soziale Praxis auf der Grundlage desInternets tatsächlich neu.

POTENZIALE UND REALITÄT DER INTERNETNUTZUNG 5.

Zum Abschluss dieses Kapitels sei auf einige Aspekte der Internetnutzung hinge-wiesen, die hinsichtlich der Bewertung der politischen Bedeutung netzbasierterKommunikation besonders relevant erscheinen:

> Über die den traditionellen Medien entsprechenden Formen der One-to-many-Kommunikation und der One-to-one-Kommunikation hinaus eröffnet die Inter-netkommunikation Interaktionsmöglichkeiten in der Weise, dass auch von derherkömmlichen Nachfrager- oder Rezipientenseite aus Inhalte und Informationenbereit gestellt werden können. Über diese beiden traditionellen Modelle hinaus-gehend ermöglicht das Internet die allseitige öffentliche Kommunikation mehre-rer Partner (many to many) in großem Umfang. In diesem Zusammenhang sinddie unterschiedlichen Spezifika der verschiedenen Internetdienste und -anwen-dungen zu berücksichtigen.

> Die Nutzungspraxis zeigt, dass computervermittelte Kommunikation durchausanspruchsvoll und voraussetzungsreich ist. Insofern ist es wichtig, nicht nur dieMöglichkeiten netzbasierter Kommunikation, sondern auch deren Grenzen, dieBedingungen ihrer Nutzung sowie die Spezifika der verschiedenen Nutzergrup-pen zu kennen. Ein genereller, durchgängiger Wandel der Kommunikationsmus-

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5. POTENZIALE UND REALITÄT DER INTERNETNUTZUNG

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ter durch netzbasierte Kommunikation kann nicht festgestellt werden, vieles ver-bleibt nach wie vor in den tradierten Strukturen: »Mehr als die Hälfte aller Inter-netnutzer weist ein sehr eingeschränktes Nutzungsspektrum auf, was […] auchauf die bewusste Distanz zu dem Medium zurückzuführen ist. Die technisch Ver-sierten, die das Internet in vollem Umfang nutzen, stellen innerhalb der Internet-community eine zwar meinungsstarke Gruppe, aber doch eine Minderheit dar«(van Eimeren et al. 2004, S. 369).

> Netzbasierte Kommunikation als technische Neuerung kann nicht losgelöst vonder umfassenden Kulturentwicklung gesehen werden. Die Veränderungen dermodernen Lebensführung sind vielfältig. Sie haben ihre Ursache nicht in der Ent-stehung neuer technischer Artefakte. Vielmehr ist es ein komplexer Mix aus so-zialen, kulturellen und technischen Faktoren, der jeweils Veränderungen bewirktoder verhindert, auch im politischen Bereich. Netzbasierte Kommunikation istsomit nur ein Faden im »Gewebe« Kultur.

> Gleichwohl werden vom Internet gemeinhin (und seit langem auch seitens derPolitik) einige weitreichende Veränderungen der Kulturentwicklung erwartet. ImKern steht dabei die Vorstellung, dass durch das Netz eine weltumspannendeInfrastruktur für den schnellen Informationsaustausch und die Kommunikationüber alle Grenzen hinweg entsteht. Daran werden auch Hoffnungen auf einenneuen Kosmopolitismus festgemacht (vgl. Winter/Groinig 2004). Tatsächlichwiesen Forschungsergebnisse darauf hin, dass neben der Migration und imRahmen der allgemeinen Medienentwicklung dem Netz eine wichtige Rolle inkulturellen Globalisierungsprozessen zukommt (vgl. TAB 2001; Winter/Groinig2004): Kontrovers diskutiert werden hier u.a. Tendenzen kultureller Homogeni-sierung, Diversifizierung und Hybridisierung. Zumindest potenziell ist das Netzauch von großer Bedeutung für politische Globalisierungsprozesse, z.B. hin-sichtlich der Schaffung transnationaler Öffentlichkeiten (wie der auf EU-Ebeneangestrebten »europäischen Öffentlichkeit«).

> Kulturelle Veränderungen ergeben sich nicht automatisch durch neue technischeMöglichkeiten, sondern sind von den Kompetenzen und dem Sinnverständnis derNutzer abhängig. Wesentliche soziale und kulturelle Wirkungszusammenhängedes Internets rühren weniger von seinen technischen Eigenschaften her, sondernvon der Tatsache, dass Menschen es zu einem alltäglichen sozialen Interaktions-raum machen. Umstritten ist hier z.B., ob netzbasierte Kommunikation zu einerZunahme kommunikativen Aktivitäten insgesamt führt (Mobilisierungsthese)oder ob sich durch die Nutzung des Internets vor allem die kommunikativenAktivitäten derjenigen vermehren, die in ihrem Kommunikationsverhalten schonzuvor aktiver waren als andere (Verstärkungsthese).

> Das Internet verstärkt die Tendenz einer Differenzierung der Gesellschaft und derKultur. Einzelne Gruppen oder Gemeinschaften bilden eigene Kommunikations-und Informationsweisen oder Codes aus. Dabei ist anzunehmen, dass eine – wie

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II. FORMEN NETZBASIERTER KOMMUNIKATION UND KULTURELLER WANDEL

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auch immer geartete – Ausbildung von neuen Kommunikationsweisen undkulturellen Mustern an vorhandene Formen von Kommunikation »andockt«.Der Zusammenhang von Internettechnik und kulturellem Wandel lässt sich alslängerfristiger Restrukturierungs- oder soziokultureller Lernprozess verstehen.Erst im Zeitverlauf stellt sich heraus, welche Kommunikationsweisen und d.h.auch Nutzungsweisen des Netzes sich für welche Gruppierungen oder Teil-öffentlichkeiten als neue kulturelle Muster festschreiben.

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5. POTENZIALE UND REALITÄT DER INTERNETNUTZUNG

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DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STANDDER DISKUSSION III.

Demokratie lebt von gelingender Kommunikation. Kommunikationsbeziehungenzwischen politischen Funktionsträgern und Bürgern, zwischen Bürgern untereinan-der oder zwischen Funktionsträgern und der (organisierten) Öffentlichkeit gehörenzu den kulturellen Grundlagen der Demokratie. Wenn technische EntwicklungenAuswirkungen auf gesellschaftliche Kommunikationskulturen haben, sind sie dahervon unmittelbarer Bedeutung für die Demokratie. Das Internet ist ohne Zweifel eineder gegenwärtig wichtigsten technischen Entwicklungen mit dem Potenzial zurVeränderung der kulturellen Grundlagen demokratischer Politik.

Die Funktion des vorliegenden Kapitels im Gesamtzusammenhang dieser Studiebesteht darin, die »großen Linien« und die Themen der wissenschaftlichen und derpolitischen Diskussion zum Verhältnis von Demokratie und Internet nachzuzeichnen.Damit wird das theoretische Feld abgesteckt und sichtbar gemacht, das den Hinter-grund für die folgenden vertieften – und zum Teil empirischen – Untersuchungen bil-det. Insbesondere wird der normative Hintergrund der weitreichenden Erwartun-gen an eine positive Rolle des Internets in der Demokratie dargestellt. Dieser lässtsich in weiten Teilen als Wunsch nach einer stärker deliberativen Demokratiebeschreiben, zu deren Realisierung vom Internet wesentliche Beiträge erwartetwurden (und teils noch werden). Das Leitbild der deliberativen Demokratie ist einer-seits durch demokratietheoretische Arbeiten motiviert (vor allem von Jürgen Haber-mas; vgl. z.B. Habermas 1992a); andererseits finden sich auch in vielen nationalenund internationalen politischen Dokumenten entsprechende Ansätze (Kap. IV).

Durch das vorliegende Kapitel werden also auf einer theoretischen Basis die Fragenpräzisiert, die in den folgenden Kapiteln beantwortet werden sollen – so generell dieFrage, ob, inwieweit und unter welchen Bedingungen die Hoffnungen auf Demo-kratiepotenziale des Internets in der gesellschaftlichen Praxis anschlussfähig sindund sich reale Auswirkungen zeigen.

INTERNET UND POLITIK – ZWISCHEN AUFBRUCHSTIMMUNGUND ERNÜCHTERUNG 1.

Die Bedeutung jeweils neuer Medien für politische Prozesse und öffentliche Kom-munikation ist aus historischen Abläufen bekannt. Die Rolle, die Zeitungen alsMassenmedien in der Ausbildung öffentlicher Meinung im 19. Jahrhundert über-

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nahmen, die Funktion des Rundfunks in der politischen Propaganda (vor allem desDritten Reichs) und die Entwicklung des Fernsehens zu »dem« gesellschaftlichenMassenmedium in den 1960er und 1970er Jahren (so dass die Rede von der »Fern-seh-Demokratie« aufkam) – noch einmal verstärkt durch die Einführung des Privat-fernsehens in den 1980er Jahren – zeigen deutlich die Auswirkungen neuer Medien-techniken auf politische Öffentlichkeit und Kultur. Dabei wurden jeweils auch hoheErwartungen hinsichtlich der Potenziale dieser Technologien für eine informierte,emanzipierte und aufgeklärte Demokratie gehegt, oftmals mit direktdemokratischenZielsetzungen. Die Beispiele reichen hier von Bertolt Brechts Radiotheorie über dieHoffnungen auf eine Nutzung des Fernsehens und anderer neuer und alter Medien-technologien für eine Stärkung bürgerschaftlicher Partizipation und direktdemo-kratischer Elemente bis hin zu frühen Hoffnungen auf eine »Computerdemokratie«(hierzu und zum Folgenden Siedschlag 2004).

In Zeiten, in denen das demokratische Regierungssystem in den westlichen Ländernso selbstverständlich geworden ist, dass darum nicht mehr gerungen werden muss,sondern in denen Stichworte wie Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit Sorgeneiner Aushöhlung der Demokratie »von innen« artikulieren, scheint das Internetdem demokratischen System neue Chancen zu eröffnen. Angesichts der vielfachenDiagnose, dass das Interesse der Bürger an politischen Themen zwar groß, an staat-licher Politik und Parteien dagegen eher gering ist, liegt es nahe, Hoffnungen auf dasInternet mit seinen neuen kommunikativen und interaktiven Potenzialen zu setzen.Hinsichtlich des Ziels einer Revitalisierung der Demokratie wurden schon in den1990er Jahren (und werden noch) von internetgestützter Kommunikation prak-tische Antworten auf reale Probleme demokratischer Politik erwartet, sowohl aufnationaler Ebene (Kap. III.2) als auch im transnationalen Bereich (Kap. III.4).

Die Erwartung, dass das Internet zu neuen Formen eines basisdemokratischen poli-tischen Aktivismus motiviere und den Austausch von Ideen erleichtere (z.B. Rhein-gold 1993), wird als Mobilisierungsthese bezeichnet. Der leichter mögliche Informa-tionszugang, vor allem aber die einfache und preisgünstige Interaktionsmöglichkeitvon Bürgern mit der Regierung (citizen to government [C2G] und government tocitizen [G2C]) und Bürgern untereinander (citizen to citizen [C2C]) sollte danacheinen Mobilisierungsschub der Bürger in Fragen der politischen Meinungsbildungund Partizipation auslösen. Darüber hinaus wurde, vor allem in der amerikanischenDiskussion, durch das Internet (mit dem Fokus auf der C2C-Kommunikation) einwesentlicher Beitrag zur Stärkung gemeinschaftlicher Belange erwartet, um den an-haltenden Tendenzen zur gesellschaftlichen Zersplitterung entgegen zu wirken.

Die Vision einer neuen »Agora«, auf der die Bürger direkt und gemeinsam ihre Be-lange regeln könnten, wurde rasch auf das Internet übertragen, insbesondere durchden ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore. Auch von einem weltweiten Umschlag-

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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platz für Ideen, dem »globalen Dorf«, von dem in den 1960er Jahren bereitsMarshall McLuhan gesprochen hatte, und anderen Visionen einer medientechno-logisch vermittelten Weltgesellschaft war oft die Rede (Coenen 2005; TAB 2001).Ein radikaler Institutionenwandel der Gesamtgesellschaft könne die Folge dieserEntwicklungen sein. In der »virtuellen Gesellschaft« mit der grenzenlosen Chanceder Vernetzung könnte demnach z.B. der traditionelle Nationalstaat zunehmendseine Machtmittel verlieren (Bühl 1997), Staaten würden praktisch überflüssig(Dyson 1999).

Diese ursprünglichen Erwartungen sehr weitreichender Folgen der Internetnutzungfür politische Kommunikation und Institutionen werden gegenwärtig kaum nochgeteilt (Siedschlag 2004; Schönberger 2004a). Stattdessen wird betont, dass die neueTechnik Internet nicht von sich aus neue demokratische Verhältnisse mit sich bringe,also von einem Technikdeterminismus auch hier nicht auszugehen sei. Das Internetmüsse vielmehr allmählich gesellschaftlich »erobert« werden, und in diesem Aneig-nungsprozess würden traditionelle gesellschaftliche Strukturen (Machtverhältnisse,Bildung, Wohlstandsgefälle) eine bedeutende Rolle spielen (Castells 2001a). DerMobilisierungsthese wurde die These entgegengesetzt, dass das Internet nicht diepolitischen und staatsbürgerlichen Defizite behebe, sondern eher die in Staat undGesellschaft bereits angelegten Tendenzen, Strukturen und Motivationen verstärke(Verstärkungsthese bzw. Reinforcement; vgl. Siedschlag 2004). Wer bereits ohneInternet überdurchschnittlich gut sozial vernetzt, politisch engagiert und aktiv ist,schöpft demnach auch die neuen Möglichkeiten des Internets aus; wer aber nichtpolitisch interessiert ist, wird es auch durch das Internet nicht. Dem entspricht inder allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion eine – z.B. als »Reproduktionstheo-rem« (Schaper-Rinkel 2003) bezeichnete – Position, die das Netz als das »virtuelleAbbild der Realwelt« sieht. Dementsprechend schaffe das Internet unmittelbarweder neue Bürger noch eine lebendigere Demokratie. Wenn das Internet überhaupttief greifende Auswirkungen auf politische Kulturen habe, dann nur vermittelt undallmählich. Ursprüngliche Hoffnungen auf das Entstehen neuer, dezentraler undhorizontaler Formen politischer Selbstorganisation und -steuerung durch Internet-kommunikation gelten seit einigen Jahren als enttäuschte Utopien (z.B. Margolis/Resnick 2001; Schmalz-Bruns 2001). Betont werden Potenziale für die Moder-nisierung und Weiterentwicklung repräsentativer Demokratie – im Gegensatz zueinem fundamentalen Wandel (z.B. Gibson et al. 2004b). Es wird auch davorgewarnt, die ersten Ansätze zur Onlinediskussion zwischen Politik und Bürgerdurch zu weitreichende Partizipationsansprüche zu gefährden (Welz 2002).

Eine Reaktion auf die skizzierte Entwicklung war in Deutschland, bei der Diskus-sion über politische Potenziale der Internetnutzung die Funktion der Informations-vermittlung zu fokussieren (Kap. III.2.2). Paradigmatisch für diesen Ansatz ist dieum das E-Government zentrierte Diskussion über netzbasierte Kommunikation als

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1. INTERNET UND POLITIK

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»Königsweg« zum modernen Staat (z.B. Priddat/Jansen 2001). Gedanken zur Re-vitalisierung der Demokratie spielen hier – wie auch in der E-Government-Politikselbst (Kap. IV) – keine größere Rolle (z.B. Initiative D21 2002). Im Vordergrundsteht – hinsichtlich der G2C- und C2G-Kommunikation – die Effizienzsteigerungdes repräsentativen Demokratiemodells und seiner konkreten Institutionen und Pro-zesse durch Internetnutzung. Seit längerem werden zudem mögliche Risiken einerInternetnutzung für politische Kommunikation diskutiert (Kap. III.2.3), wie sie vorallem in den Stichworten der digitalen Spaltung(en) und der Exklusion Eingang indie wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion gefunden haben (Bechmannet al. 2003). Sie markieren in deutlicher Weise den Umschlag der Debatte von einerauf utopische Ideale ausgerichteten Aufbruchstimmung hin zu einer abwägenden undauf konkrete Aspekte des Internets und seiner Nutzung abstellenden Einschätzung.

Ein deutlicher Unterschied in der Beurteilung der politischen Potenziale des Internetszeigt sich zwischen den USA und Deutschland. Die in den USA vertretenen Modelleinternetgestützter Demokratie reflektieren Zustände und Defizite der eigenen poli-tischen Kultur und suchen Anschluss an allgemeine Konzepte der bürgerschaftlichenBelebung der Demokratie. Sie lassen sich jeweils selber als Ausdruck einer bestimm-ten politischen Kultur interpretieren (Siedschlag 2004; vgl. Kap. III.2.1). Die Nähezu laufenden Debatten über die Reform des politischen Systems und den Wandel derpolitischen Kultur erlaubte, schnell den Bogen zu theoretischen und staatsphilo-sophischen Konzepten und Positionen zu schlagen, insbesondere zum Kommunita-rismus und seiner Forderung nach einer Revitalisierung der Zivilgesellschaft. Diewichtigste kulturelle Grundlage der Demokratie ist in amerikanischen Augen zu-meist die gefühlsmäßige Verbundenheit der Bürger mit den gemeinsamen Idealen,die Liebe zur Gemeinschaft als Voraussetzung und Vollendung des individuellenStrebens nach Glück. Um diese »Zivilreligion« zu stärken, werden dem Internetwichtige Funktionen zugeschrieben: die Bürger untereinander zu binden, Verant-wortungsgemeinschaften zu schaffen und schließlich die emotionale Verankerungder gemeinsamen Verfassungsinstitutionen und ihrer Grundideen zu stärken. Wennder spannungsreiche Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft schon alsdurch die Art der Technik konstruktiv überbrückt gedacht wird, repräsentiert dasNetz beinahe das »kollektive Unbewusste« der Gesellschaft – ähnlich wie das JamesMadison 1788 in den Federalist Papers Nr. 49 geschrieben hat: »Die Vernunft desMenschen, der Mensch überhaupt ist furchtsam und vorsichtig, wenn er sich alleingelassen fühlt, und er wird kräftiger und zuversichtlicher, in dem Maße in dem erglaubt, dass viele andere auch so denken wie er« (nach Siedschlag 2004). Das Netzwird daher in den USA auch als probates Mittel gesehen, um ein bürgerschaftlichesGegengewicht zu immer stärker auftretenden demokratisch nicht legitimiertenPolitikakteuren (Konzerne, Verbände, Medien) zu bilden. Dementsprechend frühwurden dort neue Formen netzbasierter Kommunikation insbesondere für lokale

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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Politik (z.B. Kubicek et al. 1995; TAB 1995; Toffler 1980) genutzt und auch injüngerer Zeit sind Angebote zur E-Partizipation auf starke Resonanz gestoßen(Needham 2004).

In Deutschland ist die Situation – trotz ähnlicher Probleme mit der Demokratie-müdigkeit der Bürger – aufgrund der unterschiedlichen politischen Kulturen, Ent-scheidungs- und Mediensysteme anders (Kleinsteuber/Hagen 1998, Pfetsch 2001).Orientierte sich die deutsche Politik zu sehr an amerikanischen Modellen, würde dasNetz daher zur Stärkung von demokratischen Funktionen genutzt, die hier kaumbeeinträchtigt sind (Siedschlag 2004): So macht es z.B. die nur lockere Organisa-tion der Parteien im präsidialen Regierungssystem der USA für die Kandidaten zueiner attraktiven Option, im Netz stark präsent zu sein. Dementsprechend hat dasInternet dort bereits große Bedeutung für die Mobilisierung von Unterstützern undfinanziellen Ressourcen. Deutschland jedoch ist eine parlamentarische Parteien-demokratie. Dies hat Konsequenzen wie z.B. den so genannten »Fraktionszwang«und einen in der Regel auf Parteien und deren Führungselite, nicht aber auf einzelneKandidaten ausgerichteten Wahlkampf. Es gibt in Deutschland also wenigerMotivationen für eine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit im Netz vor allem der-jenigen Abgeordneten, die nicht ihren eigenen Wahlkreis haben (s.a. Zittel 2004;Kap. IV.3.1), was verdeutlicht, dass politische Kulturen und Traditionen auch fürdie politische Nutzung des Internets eine wichtige Rolle spielen.

VISIONEN, POTENZIALE UND BEFÜRCHTUNGEN 2.

Wenn man in Überlegungen zu den politischen Potenzialen des Internets zwischender Informations-, der Kommunikations- und Beteiligungsfunktion des Internetsunterscheidet, rücken zum einen Aspekte der Effizienzsteigerung demokratischerPolitik durch Verbesserung der Informationsversorgung (Kap. III.2.1), zum anderenneue Möglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements und die Belebung und Erneue-rung der Demokratie (durch verbesserte Mobilisierung, Partizipation, Interaktionetc.) in den Mittelpunkt (Kap. III.2.2). Neben den Hoffnungen und optimistischenErwartungen spielen aber auch Befürchtungen hinsichtlich der politischen Internet-nutzung eine gewisse Rolle (Kap. III.2.3). Neuere Modelle digitaler Demokratie(Kap. III.2.4) führen den gegenwärtigen Diskussionsstand konzeptionell zusammenund überwinden dabei die alte Polarisierung zwischen utopischen Hoffnungen undweitreichenden Ängsten (hierzu und zum Folgenden Siedschlag 2004).

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2. VISIONEN, POTENZIALE UND BEFÜRCHTUNGEN

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EFFIZIENZSTEIGERUNG DEMOKRATISCHER PROZESSE UND INSTITUTIONEN 2.1

Die technischen Kapazitäten des Internets können von den Verfassungsorganen undder Administration genutzt werden, um ihre Funktionen effizienter wahrzunehmenund ihre Arbeit insgesamt auf eine verbesserte Informationsgrundlage zu stellen.Das seit einiger Zeit wichtigste Stichwort in der Nutzung des Internets zur Effizienz-steigerung des politischen Systems ist E-Government im Sinne der E-Administration(Kaiser 2001; Siedschlag et al. 2001). Dieser Ansatz hat mit den oben genanntenHoffnungen auf eine Belebung der Demokratie durch Interaktivität und Beteiligungdirekt nichts zu tun, sondern zielt in erster Linie auf das internetgestützte Abwickelninterner wie externer administrativer Vorgänge mit größerer Geschwindigkeit undInteraktivität. Im Gegensatz zur Cyberdemokratie oder zum Konzept »E-Gover-nance« (dazu vgl. Kap. III.2.2) stehen hier nicht politische Meinungsbildungspro-zesse, sondern Verwaltungsabläufe und ihre Innen- wie Außenseite im Mittelpunkt.Dem E-Government liegt das Staatsverständnis einer Verbraucherdemokratie zu-grunde (Hoff et al. 2000), deren Bürger das Ausmaß an administrativer Einschrän-kung möglichst gering halten wollen und die daher vor allem an bürgerfreundlichenLeistungen der Verwaltung interessiert sind (z.B. für die Möglichkeit der Onlineab-wicklung von behördlichen Vorgängen wie Kfz-Zulassung oder An- und Abmel-dung eines Wohnsitzes). Als wesentliche Leistung des Netzes wird die Möglichkeitaufgefasst, politische und soziale Probleme zunehmend dezentral zu bearbeiten undzu lösen: näher an ihrem Entstehungsort, also auf der lokalen und kommunalenEbene.

E-Government ist bereits in vielfältiger Hinsicht realisiert, so vor allem im lokalenund kommunalen Bereich (Bechmann et al. 2003). Dabei zeigt sich, dass die Imple-mentierung entsprechender Anwendungen häufig nicht nur eine gesteigerte Effekti-vität, sondern auch größere Bürgerfreundlichkeit und Transparenz mit sich bringenund damit indirekt durchaus auch zur Qualität der Demokratie beitragen kann.

Deutsche Regierungskonzepte verbinden das E-Government-Modell (vgl. Kubicek/Wind 2005) zum Teil auch mit der »virtuellen« Einbindung von Bürgern undexternen Sachverständigen in den Verwaltungsprozess, mit dem Ziel, eine bürger-nahe, interaktive Verwaltung zu schaffen (siehe die Initiativen www.bund.de;www.deutschland-direkt.de; www.staat-modern.de). Die Hauptaufmerksamkeit inDeutschland gilt jedoch nach wie vor dem E-Government in Verwaltungsverfahren,viel weniger seiner Nutzung als technische Basis für internetgestützte Demokratie(vgl. dazu kritisch z.B. Fühles-Ubach 2005a).

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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BELEBUNG DER DEMOKRATIE 2.2

Angesichts von mittlerweile zu Gemeinplätzen gewordenen Diagnosen des Zustan-des westlicher Demokratien – Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und Legitima-tionsprobleme – richten sich die Erwartungen an das Internet auch auf eine Revi-talisierung der Demokratie (Schönberger 2004a). In diesem Zusammenhang sindvor allem die Leitbilder eines »aktivierenden Staates«, eines offenen und transpa-renten »guten Regierens« (»good governance«), einer »partizipativen Demokratie«,»interaktiver Politikgestaltung« und einer »aktiven Bürgergesellschaft« relevant(Kap. IV). Anvisiert werden eine neue Rolle des Staates sowie ein verstärktes bürger-schaftliches und politisches Engagement gut informierter Bürger unter intensiverNutzung des Internets. Hierzu ist eine Reihe von Modellen entwickelt worden, diezum Teil Vorläufer in den Diskussionen über ältere Medientechnologien haben (zumFolgenden Hagen 1999; Siedschlag 2004).

Am Anfang der politikwissenschaftlichen Internetforschung stand vor allem dieIdee, mit neuen technischen Möglichkeiten eine »strong democracy« (im Sinne vonBarber 1984) zu verwirklichen und der repräsentativen Demokratie eine digitalvermittelte neue Lebendigkeit oder eine neue Demokratie als Lebensart gegenüber-zustellen. Untersuchungen, die großes Interesse der Bürger an politischen Themenund neuen Möglichkeiten politischen Engagements, aber nur ein geringes an denkonkreten Prozessen des politischen Systems zeigen (z.B. Bertelsmann-Stiftung2004), deuten auf Unzulänglichkeiten bisheriger Kommunikationsformen zwischenBürgern und Politik als Ursache der Probleme hin. Das Internet scheint hier durchdie Senkung der Zugangsschwelle für Informationen, die Vergrößerung der Raum-und Zeitunabhängigkeit von Kommunikation und die Ermöglichung interaktiverKommunikation Abhilfe zu versprechen. Derzeit ist dieses Konzept einer Erneue-rung repräsentativer Demokratie durch das Internet (»digitale Demokratie«) in derDiskussion über die demokratiefördernden Potenziale des Netzes vorherrschend.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, dass Art und Weise der Poli-tikvermittlung Einfluss auf die politische Beteiligung haben (z.B. Sarcinelli 1987).Bereits von älteren Medientechnologien wurde erwartet (z.B. im Konzept der Tele-democracy; Arterton 1987), dass neue Kommunikationstechniken auch neue For-men direkter politischer Beteiligung ermöglichen – oder zumindest einen direkterenAustausch zwischen Wählern und Politikern. Basis war hier oft die These, dassgrößere Vielfalt in der politischen Kommunikation unmittelbar zu »empowerment«führe: mehr Vielfalt mache die Demokratie vitaler. Insbesondere vom Fernsehen, inder Regel in Kombination mit anderen Medien (Telefon, Computer) wurde erwar-tet, dass intermediäre Institutionen, vor allem die Parteien, an Bedeutung verlierenwürden und neue direktdemokratische Elemente zu einer Effizienzsteigerung und

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2. VISIONEN, POTENZIALE UND BEFÜRCHTUNGEN

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Stärkung der Demokratie – durch medienvermittelte Partizipation kompetenter Bür-ger – beitragen könnten (z.B. Arterton 1987; Krauch 1972; Toffler 1980; Vowe/Wersig 1983). Bereits damals zeigten sich jedoch Probleme (s.a. Kleinsteuber/Hagen 1998), die auch die Nutzung ähnlicher Internetpotenziale betreffen, z.B. dieFrage gleicher Zugangschancen für alle, das Problem der Manipulation sowie dieSchwierigkeit, sachbezogene Argumentation zu erreichen (Arterton 1987).

Das Konzept der Cyberdemokratie (cyberdemocracy, z.B. Dyson 1999) steht hin-gegen in der Tradition der Gegenkultur-Bewegung in den USA der 1970er und1980er Jahre mit ihren alternativen und unkonventionellen Kommunikations-formen und Themen. Vor allem die chaotischen, ungeregelten und subversivenMöglichkeiten des Internets werden als Chance gesehen. Es geht um die Idee, dietechnisch möglich gewordene Many-to-many-Kommunikation (C2C) und denentsprechenden Abbau von Kommunikationshierarchien zum Aufbau einer neuengemeinsamen Verständigungspraxis zu nutzen, aus der eine spezifische neueIntegrationskraft des Gemeinwesens wachsen sollte. Das Internet soll als demo-kratischer Marktplatz und eigener politischer Raum dienen, in dem unmittelbarerKontakt zwischen Bürgern und dem politischen System sowie zwischen den Bürgernuntereinander stattfindet. Bereits die bloße Verfügbarkeit internetgestützter Infor-mations- und Kommunikationsmöglichkeiten steigere das politische Bewusstseinder Bevölkerung, was wiederum zu einer verstärkten Teilnahme am politischenProzess führe (Net Empowerment, z.B. Leggewie/Maar 1998) und eine aktivedemokratische Gestaltung des virtuellen Raums (Rheingold 1993) initiiere. Miteiner massiven Partizipation auf der Ebene von Kommunen und der Verknüpfungähnlicher kommunaler Projekte über große räumliche Entfernungen hinweg würdeaus der repräsentativen Demokratie mehr und mehr eine direkte Demokratie bzw.eine Basisdemokratie mit verschiedenen räumlichen Maßstäben. In dieser Sichtweisefördert das Internet gewissermaßen automatisch die demokratischen Bürgertugen-den. Endzustand einer konsequent umgesetzten Cyberdemokratie wäre eine direkt-demokratische, über den elektronischen Diskurs selbst organisierte virtuelleGemeinschaft mit größerem politischem Einfluss des Einzelnen, einem geschärftendemokratischen Bewusstsein und einem intensivierten staatsbürgerlichen Engage-ment.

In Konzepten der staatlichen E-Democracy werden hingegen Bürger oft auch alseine Art »Kunden« des politischen Systems betrachtet, ähnlich wie in den E-Govern-ment-Ansätzen. Politik müsse demnach ein Interesse daran haben, seine »Kunden«möglichst zufrieden zu stellen. Um diese besser als bislang zu erreichen, biete dasInternet den Volksvertretern neue Möglichkeiten, ihr Wissen über die Interessenihrer Wählerschaft zu verbessern und in ihren Entscheidungen stärker zu berück-sichtigen, was die Responsivität von Politik steigere: Responsivität bedeutet diekontinuierliche Rückkopplung des Handelns der Volksvertreter an die Interessen

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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und Bedürfnisse der Bevölkerung. Hier wird eine strukturelle Verwandtschaft zuMarktverhältnissen hergestellt, in denen die Anbieter wissen müssen, was die Kon-sumenten wollen. Dies ist auch am Einzug von E-Business-Modellen wie desCustomer Relationship Management (CRM) (Bill et al. 2001) in die Politik erkenn-bar. Demnach ist durch das Internet ein direkter Kontakt der Politik zum »Kunden«bzw. »Endverbraucher« möglich geworden, und die Politik kann ihre »Produkte«auch im Internet bewerben. Möglicherweise kann der politische »Kunde« sogar miteinem maßgeschneiderten Angebot besonders aktiv eingebunden werden. Im Ge-genzug erhält der politische »Anbieter« die Unterstützung des »Kunden« (Wähler-stimme, Spende, Mitgliedschaft oder ideeller Einsatz). Um sein Angebot zu optimie-ren, muss der politische Anbieter sein Wissen über den potenziellen Kundenstammvertiefen, damit er seine Inhalte nicht an den Kundeninteressen vorbei ausrichtet.Abgeordnete könnten ohne physische Anwesenheit den Dialog mit ihrer Wähler-schaft pflegen und zum anderen durch CRM über wirksamere Werkzeuge zur indi-vidualisierten, auf ihre persönlichen Sach- und Karriereinteressen zugeschnittenenPolitikvermittlung verfügen (Bill 2002) – wodurch allerdings das politische Mandatauch imperativer würde. In den USA wird mit großem Erfolg etwa unter www.vote-smart.org oder www.calvoter.org Politikbeobachtung betrieben und eine Artpolitischer »Verbraucherschutz« realisiert, bei dem das Internet hilft, die Bürgerschnell und flächendeckend über das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten imVergleich zu ihren Versprechungen in Kenntnis zu setzen.

Im Konzept der E-Governance sollen netzwerkartig organisierte politische Steue-rung und themenbezogene virtuelle Bürgergemeinschaften Möglichkeiten für eine»entstaatlichte« und pragmatische Problembearbeitung auf kommunaler Ebene er-öffnen (von Bismarck et al. 2003). Die konkrete Beteiligung von Bürgern an politi-schen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen steht vor allem im Hinblickauf die Themensetzung der institutionalisierten Politik im Mittelpunkt. PolitischeKommunikation im Internet solle hauptsächlich der Artikulierung von allgemeininteressierenden politischen Themen dienen, mit denen sich Regierung und Parlamentdann auseinander setzen sollen (Snider 1994). Dadurch soll erreicht werden, dassGemeinschaftsfragen auf breiter Bevölkerungsbasis und nicht von vornhereingemäß den Interessen einzelner Parteiungen thematisiert werden. Das steht im Rah-men einer größeren Diskussion um die Methoden, mit denen die Bürgerkompetenz(»citizen competence« und »civic skills«) zu öffentlicher Rede (»public talk«) ver-bessert und die traditionellen Institutionen der Demokratie mit gesellschaftlichemLeben (statt mit mächtigen Einzelinteressen) gefüllt werden können (Elkin/Soltan 1999). Gedacht ist beispielsweise an eine orientierende Diskussion anstehen-der Probleme mit Betroffenen und an eine Dehierarchisierung der Verwaltungs-organisation in Richtung auf den »Netzwerkstaat« (Bilgeri/Siedschlag 2003). DasEffektivitäts- und das Partizipationspotenzial des Internets sollen gemeinsam ge-

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2. VISIONEN, POTENZIALE UND BEFÜRCHTUNGEN

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nutzt werden, um die Lücke zwischen Bürgern und Politik zu schließen, vor allemim lokalen und kommunalen Bereich.

BEFÜRCHTUNGEN UND SORGEN 2.3

Neben positiven Demokratiepotenzialen des Internets wurden und werden auchmögliche negative Folgen diskutiert, wenngleich die positiven Erwartungen klarüberwiegen. Diese negativen Erwartungen sind zum Teil in ähnlicher Weise ange-sichts früherer Medieninnovationen geäußert worden.

Hier ist zunächst die Frage nach den Folgen des Internets für das Funktionierendemokratischer Institutionen von Belang. Eine Sorge ist, dass die Internetnutzungzur Erosion der traditionellen demokratischen Institutionen führen könnte. Politikund die öffentliche Diskussion über Politik fänden dann immer weniger in den Ein-richtungen statt, die unsere Verfassungsordnung (als Ergebnis jahrhundertelangerÜberlegungen in der abendländischen Geistesgeschichte ebenso wie infolge histori-scher Erfahrungen) dafür vorsieht. Das kann auf längere Sicht einen Legitimitäts-verlust derjenigen Institutionen bedeuten, die das Funktionieren der Demokratiesichern (vor allem der Parlamente). Onlinewahlen könnten die für die moderneDemokratie fundamentale Bedeutung der symbolischen Dimension des Wählensabschwächen (Neymanns 2002). Zu weitreichende, die Grundlagen repräsentativerDemokratie berührende Ansätze zur Onlinepartizipation könnten die Weiterent-wicklung digitaler Demokratie gefährden (Welz 2002).

Auch könnten traditionelle Formen der Öffentlichkeit durch eine durch das Inter-net beschleunigte gesellschaftliche Zersplitterung gefährdet werden. Eine Fülle vonuntereinander intransparenten und von außen kaum in ihrer gesellschaftlichen Ein-dringtiefe einschätzbaren virtuellen Teilöffentlichkeiten würde die allgemeineÖffentlichkeit aushöhlen: »[...] die Onlinepolitik [könnte] die Individualisierung derPolitik und der Gesellschaft weiter vorantreiben. Dabei könnte ein Punkt erreichtwerden, an dem es in gefährlicher Weise schwierig würde, Integration, Konsens undden Aufbau von Institutionen zu bewerkstelligen« (Castells 2002, S. 373). Be-fürchtungen bestehen auch hinsichtlich der Auswirkungen des Internets auf dasZeitungswesen, dass nämlich die Onlineangebote der etablierten Medienanbieter indiesem Bereich die Krise der Branche eher verschärfen als abmildern helfen (z.B.Patalong 2005a u. b). Durch die immer noch geringe Bereitschaft vieler Onlineleser,Werbung oder zahlungspflichtige Angebote zu akzeptieren, können Zuwächse imOnlinebereich Verluste im Printbereich anscheinend oftmals nicht ausgleichen.Demnach droht eine »Selbstkannibalisierung« der Qualitätszeitungen durch ihreWebpräsenzen, die dann weitreichende Auswirkungen auf die politische Öffent-

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lichkeit hätte, für die Zeitungen eine wichtige Rolle spielen (vgl. auch Glotz/Meyer-Lucht 2004).

Zudem könnte die oft beklagte Informationsüberflutung durch das Internet zuÜberforderungssituationen führen. Bürger wie Politiker würden mit Orientierungs-problemen bei der Trennung relevanter von irrelevanter Information konfrontiert.Aufgrund des Fehlens von Qualitätsprüfungen im Internet seien die Nutzer oft da-mit überfordert, selbständig die Vertrauenswürdigkeit von Information zu beur-teilen. Die Abhängigkeit von technischen Hilfen wie z.B. Suchmaschinen und dereneigenen Mechanismen der Auswahl und Priorisierung könnte zunehmen. Die Über-schwemmung von Politikern mit Kommunikationswünschen (vor allem per E-Mail)führe womöglich zur Abstumpfung und mache damit gerade die erhofften Interak-tionspotenziale des Internets zunichte. Auch in anderer Hinsicht beständen Risikenfür die politischen Institutionen: Deliberative Formen der Meinungsbildung könn-ten zu unabschließbar langen Beratungsprozessen von geringer Effizienz – und Ent-scheidungen dadurch verlangsamt – werden oder politische Institutionen in der Be-wältigung der inhaltlichen Komplexität umfangreicher und stark kontroverserInternetkommunikation scheitern.

Das »digitale Ohr« am Bürger würde eventuell auch bei den Repräsentanten denHang zu politischem Aktivismus verstärken, nach dem Motto, dass schnelle und füralle sichtbare inhaltliche Reaktion im Internet wichtiger ist als sorgfältige undfundierte Sachüberlegung. Es könne so die Gefahr des Realitätsverlustes und derVerwechslung virtueller mit »realen« Realitäten und einer daraus resultierendenVirtualisierung der Politik bestehen. Das Internet werte potenziell auch die Nahum-gebung ab, da sich die »Cyberbürger« täglich überwiegend in virtuellen Weltenbewegen würden, wobei zu erwarten sei, dass ihr Interesse am sozialen Geschehenin ihrer unmittelbaren Umwelt abnimmt.

Die weithin als zentrales Problem angesehenen Formen digitaler Spaltung (z.B.Bechmann et al. 2003; Norris 2001) beeinträchtigen alle genannten positivenDemokratiepotenziale des Internets. Fortdauernde digitale Spaltungen hätten beieiner weitgehenden Realisierung digitaler Demokratie den Ausschluss ganzerBevölkerungsschichten von wichtigen Formen der politischen Information, Kom-munikation und Partizipation zur Folge.

Die Mehrzahl der genannten Sorgen betrifft Fragen des Wissensmanagements – inBezug vor allem auf den Zugang zum Wissen, der Verteilung und der Bewertung desWissens unter Relevanzaspekten. Aus den Befürchtungen ist daher zumindest zulernen, dass neue Kompetenzen eines jeden Bürgers zur Medien- und Informations-selektion und -bewertung umso dringender sind, je mehr neue Medien das politischeInformations- und Interaktionspotenzial erhöhen (Mandel et al. 1998). Weiterhin

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2. VISIONEN, POTENZIALE UND BEFÜRCHTUNGEN

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müssen Strategien zur Internetnutzung im politischen Raum sich im Einzelfall mitdiesen Bedenken auseinander setzen und ggf. Vorkehrungen treffen.

AKTUELLE ANSÄTZE 2.4

Die aktuelle Diskussion zeichnet sich durch differenzierte Sichtweisen aus, die sichnicht mehr auf die Konfrontation »Mobilisierungs- gegen Verstärkungsthese« be-schränken. Das Internet ist, so der aktuelle Stand der Diskussion, weder ein eigenerpolitischer Raum, noch hat es dazu geführt, die Politik an grundlegend neuen Krite-rien zivilgesellschaftlicher oder basisdemokratischer Politikgestaltung zu messen.Wie sich die Demokratie weiterentwickelt und welche politische Kraft ihr zukommt,hängt nicht von der Qualität und der Form der Technologie ab, sondern von derGüte der jeweiligen politischen Institutionen und dem Naturell der jeweiligen Bür-gerschaft (Barber 2001a). Die Beständigkeit kultureller Traditionen ver- oder be-hindere die (rasche) Realisierung der Potenziale des Internets (Kap. II): Ein neueskommunikationstechnisches Artefakt bewirkt dennoch nicht automatisch eineveränderte Alltagspraxis in der politischen Kommunikation. Vielmehr bedarf esnicht nur medientechnischer, sondern auch soziokultureller Innovationen, damit ausPotenzialen des Internets Realität wird (Schönberger 2004a). Statt der anfänglichenGratwanderung zwischen euphorischer Überschätzung des Neuen einerseits undUnterbewertung der für neue Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeitenkonstitutiven Wirkung des Internets andererseits geraten stärker Fragen der Praxisin den Blick, z.B. nach hemmenden oder fördernden Faktoren für die Nutzung derdemokratischen Potenziale des Internets. Als Chiffre für aktuelle Ansätze derModernisierung der repräsentativen Demokratie (nicht ihrer Ablösung) durchInternetkommunikation werden im Folgenden die Begriffe »digitale Demokratie«(Siedschlag 2004) und – bezogen auf staatliche Aktivitäten – »E-Demokratie« ver-wendet.

Ein zeitnahes Bild des deutschen Diskussionsstandes zu Modellen internetgestützterDemokratie liefert eine nach der Delphi-Methode durchgeführte Prognosestudieüber die deliberativen Potenziale politischer Internetforen (Kaletka 2003): Danachwerden Politikforen im Internet zunehmend zu Informationsdienstleistern in Bezugauf komplexe Themen werden. Die Bedeutung des Moderators als Bindeglied zwi-schen den Nutzern des Forums und den Politikern wird weiter wachsen. Durchthemenzentrierte Angebote können Foren Parteipositionen polarisieren und diver-gierende Positionen der Parteien bei komplexen Themen herausarbeiten. DieseForen werden allerdings bisher politisch Uninteressierte nicht zu Partizipationmotivieren, sie werden den politischen Diskurs zu bereits bestehenden Themen nichtradikalisieren und bei den Nutzern keinen großen Einfluss auf die Akzeptanz

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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politischer Entscheidungen haben, es sei denn, das Forum wurde bereits vorher anden Politikprozess gekoppelt. Sie werden aber vermehrt virtuelle (rein in der Netz-diskussion entstandene) politische Themen produzieren und dadurch die Parla-mentsagenda beeinflussen. Eine Schwächung der gesellschaftlichen Stellung vonParteien durch themenzentrierte Politikforen ist nicht zu erwarten.

Diese Einschätzungen werden beim Blick auf die Praxis der Nutzung von Online-foren durch staatliche Akteure zum Teil bestätigt (Kap. IV). Sie weisen auch daraufhin, dass das Internet aller Voraussicht nach nicht folgenlos für politische Kommu-nikationskulturen bleiben wird. Hier setzen das Modell der digitalen Demokratie(Siedschlag 2004) und andere aktuelle Konzepte an (z.B. ITA 2005; Trénel 2004).Sie nehmen keine direkte Einwirkung der Internettechnologie auf die Politik an, son-dern fordern, die Folgen der Internetnutzung in Abhängigkeit von der Struktur undder politischen Kultur des betreffenden politischen Systems zu konzeptualisierenund zu untersuchen (Siedschlag et al. 2002; Kap. IV). Die Wirkung internetgestützterDemokratie ist danach nicht durch die »Technik Internet« determiniert, sondernhängt von regionalen Kulturen, Geschichten und Werten ab (Noveck 2001). Des-halb erscheint es nicht sinnvoll, auf der Grundlage der technisch gegebenen digitalenMöglichkeiten eine vermeintliche Universalversion von internetgestützter Demokra-tie zu verfolgen. Es kann nur darum gehen, allgemeine demokratische Entscheidungs-regeln zu entwickeln, die Raum für kultur- und traditionsabhängige institutionelleVariationen lassen. Eine digitale Demokratie hat keinen technikdeterminierten»Bauplan«, sondern muss sich pragmatisch erst entwickeln bzw. gestaltet werden(Holznagel/Hanßmann 2001).

Digitale Demokratie in diesem Sinn zielt nicht in Richtung direkte Demokratie,sondern auf mehr Kommunikation zwischen Repräsentanten und Repräsentiertenund eine Verringerung der Distanz zwischen Politik und Bürgerschaft. Dabeikönnten sich neue Wege und Formen der Bürgerbeteiligung ergeben, bei denenOnline- wie Offlinekommunikation dazu genutzt wird, sachorientierte, deliberati-ve Diskussionen zu politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen aufunterschiedlichsten Ebenen zu ermöglichen oder zu fördern.

POLITISCHE ÖFFENTLICHKEIT UND DAS INTERNET 3.

Die Herausbildung einer politischen Öffentlichkeit ist demokratiepolitisch vonhöchster Relevanz, wenngleich sie nicht der alleinige Garant von Demokratie ist.Öffentlichkeit kann als Netzwerk beschrieben werden, das dazu dient, Informatio-nen und Sichtweisen auszutauschen (Habermas 1996). Sie ist durch unterschiedlicheFormen des Engagements der Bürger gekennzeichnet. Manche wollen sich nur in-

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3. POLITISCHE ÖFFENTLICHKEIT UND DAS INTERNET

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formieren, andere wollen am eigenen Interesse orientierte Wissensbestände auf-bauen und pflegen, wieder andere wollen andere informieren oder überzeugen.Bürger beteiligen sich an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen in derDemokratie vor allem deshalb, weil die politischen Entscheidungen letztlich sieselbst betreffen. Folgen des Internets für die politische Öffentlichkeit oder die Aus-bildung einer eigenen politischen Internetöffentlichkeit sind eng mit dem inter-aktiven Charakter des Internets verbunden (Kap. III.3.1). Es bietet Raum für Teil-und Gegenöffentlichkeiten (Kap. III.3.2) sowie Potenziale für stärker deliberativeKommunikationsformen (Kap. III.3.3).

ÖFFENTLICHKEIT UND INTERAKTIVITÄT 3.1

Öffentlichkeit ist ein durch Kommunikation erzeugter sozialer Raum. Sie stelltTransparenz von demokratischer Politik im Sinne der Veröffentlichung getroffenerEntscheidungen her und ermöglicht es politischen Akteuren, um Alternativenzukünftigen politischen Handelns zu streiten (Rogg 2003b). Öffentlichkeit dientauch der Rückbindung der Repräsentierenden an die Repräsentierten und zum Aus-tausch zwischen Regierenden und Regierten. Die politische Öffentlichkeit kann ihreFunktion, gesamtgesellschaftliche Probleme wahrzunehmen und zu thematisieren,freilich nur in dem Maße erfüllen, wie sie sich aus den Kommunikationszusam-menhängen der potenziell Betroffenen bildet (Habermas 1992b). Wesentlich für einedemokratische Öffentlichkeit sind dabei die Forderungen nach

> Chancengleichheit in der Teilhabe (niemand darf ausgeschlossen werden),> thematische Offenheit (kein Thema darf von vornherein ausgeschlossen werden),> Ergebnisoffenheit (kein möglicher Lösungsweg darf von vornherein ausgeschlos-

sen werden).

Gefundene Lösungen sollen auf geteilten Überzeugungen beruhen, und Kritik dereigenen als auch anderer Meinungen soll jederzeit möglich sein. Basis ist die Aner-kennung des Anderen als gleichberechtigten Gesprächspartner. Die Qualität eineröffentlichen Debatte hängt vom Grad ab, in welchem es den Teilnehmern gelingt,eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden. Funktionen von politischer Öffentlich-keit sind (Neidhardt 1994):

> Transparenzfunktion: Öffentlichkeit habe die möglichst allgemeine und um-fassende Wahrnehmung von den in einer Gesellschaft vertretenen Themen undMeinungen zu gewährleisten.

> Validierungsfunktion: Die Konfrontation mit Meinungen und Themen der an-deren soll die Revision der eigenen Position erlauben – zumindest wenn dieArgumente der anderen überzeugender sind.

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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> Orientierungsfunktion: Im Rahmen der Begegnung verschiedener Standpunktebilden sich so genannte »öffentliche Meinungen« heraus. Diese fungieren vorallem als Handlungsorientierung für diejenigen, die beauftragt sind, allgemeinverbindliche Beschlüsse zu treffen.

Diese Funktionsbestimmungen zeigen auch die herausragende Bedeutung, die inter-aktiven Kommunikationsformen in der Ausbildung einer lebendigen politischenÖffentlichkeit zukommt. Klassische Massenkommunikation stellt dagegen einenpolitischen Kommunikationsstil dar, in welchem Großorganisationen und Medienals Sender einseitig auf das relativ homogen gedachte Massenpublikum einwirken,das man als passiven Empfänger betrachtete. Paradigma dieses Verständnisses vonMassenkommunikation war die »Zuschauerdemokratie« angesichts der »großenFernsehöffentlichkeit« (Luhmann 1996). Die Realisierung der für die Demokratiewichtigen interaktiven Kommunikation blieb – abgesehen von einigen Experimen-ten mit den interaktiven Möglichkeiten des Fernsehens (Kap. III.2) – vor der Zeitdes Internets auf direkte Face-to-face-Kommunikation und das Telefon beschränkt.Bürgerversammlungen, Parteitage und weitere Veranstaltungstypen dienten unddienen diesem Zweck. Allein durch die begrenzte Teilnehmerzahl sind diese Formenjedoch in ihrer Breitenwirkung begrenzt, während das Internet hier ganz neue Mög-lichkeiten eröffnet.

Interaktive digitale Politikprozesse können dabei den kommunikativen Austauschzwischen den (etablierten) Akteuren des politischen Systems und den (engagierten)Akteuren der Zivilgesellschaft fördern, seien es Interessengruppen, Initiativen, Ver-eine oder auch einzelne »sachkundige Bürger« (Kap. IV u. V). Die wechselseitigeKommunikation politischer Interessen und Argumente über neue Medien erhält soihre wesentliche Qualität in der Ermöglichung qualifizierter Rückkopplungen. Inder Einrichtung von Rückkanälen an unterschiedlichen, aber essenziellen Stelleninnerhalb des politischen Systems liegen die Anknüpfungspunkte für eine Moderni-sierung demokratischer Prozesse und die Ausbildung interaktiver politischer Öffent-lichkeit auf Basis der Internetkommunikation.

TEIL- UND GEGENÖFFENTLICHKEITEN 3.2

Das Konzept der allgemeinen Öffentlichkeit wird ergänzt durch die Konzeptualisie-rung von Teilöffentlichkeiten, die sich z.B. um ein Einzelthema, einen Regionalbezugoder eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe konstituieren. Das Internet bietet viel-fältige Möglichkeiten, durch Informationsverbreitung und Kommunikation inner-halb bestimmter Gemeinschaften eine intensive Diskussion zu führen und dadurchzur Gemeinschaftsbildung beizutragen. In dieser Hinsicht fördert das Internet (z.B.über Mailinglisten) die Vernetzung innerhalb solcher Teilöffentlichkeiten, kann aber

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3. POLITISCHE ÖFFENTLICHKEIT UND DAS INTERNET

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dadurch auch zu einer weiteren Fragmentierung der allgemeinen Öffentlichkeit bei-tragen, da Teilöffentlichkeiten von außen oft kaum wahrnehmbar sind (Kap. V).

Als Reaktion auf wahrgenommene Defizite der massenmedial vermittelten allge-meinen Öffentlichkeit wurde der Begriff der Gegenöffentlichkeit geprägt: »Gegen-öffentlichkeit bezeichnet Aktivitäten zur Verbreitung von Informationen und Mei-nungen, die [...] die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf weitgehend unbeachtete,nichtsdestoweniger für die Allgemeinheit als bedeutsam angesehene Themen zurichten versuchen« (Plake et al. 2001, S. 25; zitiert nach Winter/Groinig 2004).Gegenöffentlichkeiten formieren sich als Antwort darauf, dass sie aus den vorherr-schenden, massenmedial strukturierten gesellschaftlichen Debatten ausgeschlossensind. Sie können sich entweder durch eigene Medien Gehör verschaffen (z.B. durcheine eigene Website und »virtuelle« Netzwerke) oder sie veranlassen traditionelleMedien durch Inszenierungen (z.B. Kampagnen), auf sie hinzuweisen und das übli-che Inhaltsspektrum zu übersteigen (nach Winter/Groinig 2004). Öffentlichkeit istnicht monolithisch, sondern ein vielschichtiges, dezentrales Phänomen, ein offenesund inklusives Netzwerk mit fließenden zeitlichen, sozialen und sachlichen Grenzen(Plake et al. 2001). Dominante Öffentlichkeiten existieren neben Teilöffentlichkei-ten und Gegenöffentlichkeiten, die wiederum oft füreinander kaum einsehbar sind.Das Netz bietet den Teil- und Gegenöffentlichkeiten in dieser komplexen Situationzusätzliche öffentliche Bühnen an.

Auch im digitalen Raum sind zwei Dimensionen von Öffentlichkeit zu erkennen(Plake et al. 2001): einer zivilgesellschaftlichen, durch Bürgerinteressen konstituier-ten Dimension, die initiativ Themen, Argumente und Positionen aufbringt, steht dieDimension der »Rechtfertigung« bereits getroffener Entscheidungen gegenüber:Einerseits verfolgen zivilgesellschaftliche Organisationen häufig das Ziel, durchoffene Kommunikation und teils unorthodoxe Methoden politischer Artikulationsowie durch die Bereitstellung ansonsten schlecht erreichbarer Informationen neueErkenntnisse und Urteile auf Seiten der Bürger zu ermöglichen, welche in der Folgezu aktivem Handeln motivieren und zur Themensetzung für die politische Ebenebeitragen sollen. Andererseits dienen viele Websites vor allem für repräsentativeZwecke und zur Eigenwerbung.

Die Netzöffentlichkeit ist nicht von anderen Öffentlichkeiten abgeschottet: »DieVorstellung von einer Alternativität massenmedialer Öffentlichkeit auf der einenund Internetöffentlichkeit auf der anderen Seite entspricht nicht den tatsächlichenEntwicklungen. Es lassen sich Verflechtungen aufzeigen« (Marschall 1998, S. 51).So agieren etablierte Medienanbieter im Netz und nutzen es zur Recherche für dieeigene journalistische Arbeit. Die Öffentlichkeiten im Internet und massenmedialeÖffentlichkeiten grenzen einander nicht aus, sondern sind Bestandteil eines komple-xen Systems, in dem die Bürger an verschiedenen Teilöffentlichkeiten partizipieren.

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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DELIBERATIVE DEMOKRATIE 3.3

Das Internet weist durch seine interaktive und offene Struktur eine Affinität zudeliberativen Vorstellungen von Politik auf (Kettner 2004). Diese Sicht war prägendfür die Diskussion um die demokratietheoretischen Potenziale des Internets in den1990er Jahren (Kap. III.2.2). Meist finden im öffentlichen Raum lediglich »Debat-ten« statt, welche häufig im bloßen Schlagabtausch von Positionen und Meinungen,in emotionaler Auseinandersetzung oder zuweilen auch in Polemik bestehen. Demo-kratietheoretisch ist jedoch die Öffentlichkeit normativ auch dadurch charakteri-siert, dass argumentationsgeleitete Beratungen (Deliberationen) stattfinden sollen,um ihre demokratischen Funktionen erfüllen zu können. Die Beteiligung an solchenDiskursen verlangt vom einzelnen Bürger Reflexion, wohldurchdachte Kommuni-kationsbeiträge und ein Eingehen auf oppositionelle Meinungen, um Konsensmög-lichkeiten auszuloten und verbleibende Dissense isolieren zu können. Sie unterstelltdie Fähigkeit der Bürger, ihre Standpunkte rational zu begründen, sich mit anderenBürgern über differente Standpunkte argumentativ auszutauschen und zu Klärun-gen – wenn auch nicht notwendigerweise zur Ausräumung der Differenzen – zukommen (Kettner 2004). Die Ausrichtung politischer Themenfindungs-, Meinungs-bildungs- und Entscheidungsprozesse an öffentlichen Diskursen unter diesem An-spruch charakterisiert deliberative Demokratie (Leggewie 2004).

In der deliberativen Demokratie wird »[...] der demokratische Raum [...] als relativherrschaftsfreier Diskursraum gedacht, in welchem Autorität vor allem durch dieGültigkeit, Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft von Argumenten erlangt wirdund der Zwang besteht, im öffentlichem Gespräch Positionen zu vertreten, die sicham Gemeinwohl orientieren müssen, damit sie breite Zustimmung gewinnen«(Leggewie 2002/2003, S. 102 f.). Als deliberativ werden jene Aspekte des politischenProzesses bezeichnet, die Entscheidungen vor- und nachgelagert sind: diskursive, imIdeal mehrstufige und entscheidungsorientierte Erörterungen öffentlicher An-gelegenheiten in der Öffentlichkeit. Sprache ist dabei das wesentliche Medium. DieHoffnung ist, dass öffentliche Deliberation ein geeignetes Meinungsbildungs- undBeratungsverfahren auch (und gerade) für Entscheidungsalternativen ist, die durcheinen tiefen, gerechtfertigten und unvermeidbaren normativen (häufig moralischen)Dissens gekennzeichnet sind (Gimmler 2000). Individuelle Präferenzen werden inder öffentlichen Deliberation offen gelegt und öffentlich ausgetauscht. Dadurch,dass hier nicht nur Experten und Politiker, sondern auch die Betroffenen (argumen-tativ) zu Wort kommen, wird erwartet, dass die Ergebnisse von Politik (Kettner2004):

> für sich die Vermutung moralischer Integrität in Anspruch nehmen können,> durchsichtiger hinsichtlich ihres Grades an Gemeinwohlorientierung sind,

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> mehr Ansatzpunkte für die Wahrnehmung von Problemen aufweisen und fürSelbstkorrekturen offener sind,

> Chancen für die Bildung politischer Urteilskraft bieten und> die wechselseitige Achtung der Bürger als Freie und Gleiche besser zum Ausdruck

bringen.

Unter bestimmten Voraussetzungen und für bestimmte Fragen verbessere daherDeliberation sowohl die Qualität der Politikergebnisse als auch ihre Legitimation.Sie sei die bessere Methode im Vergleich zu traditionellen Entscheidungsverfahren,indem sie die Betroffenen zu Wort kommen lässt, Frustration abbaut, mehr Argu-mente versammelt und dadurch die Qualität der Entscheidung verbessert, also eine»bessere Politik« ermöglicht.

Demgegenüber werden jedoch auch Bedenken erhoben, dass dieses Konzept zu idea-listisch sei. Es könnte sein, dass »[...] die Erörterung öffentlicher Angelegenheitenrasch an Grenzen [stößt], die durch die anspruchsvolle Qualität der Kommunikationund den gewollten oder ungewollten Ausschluss kommunikationsunwilliger Privat-leute gezogen sind« (Leggewie 2002/2003, S. 103). Es fehlt manchmal nicht nur ander Bereitschaft für die Teilnahme an deliberativen Prozessen, sondern auch an dennötigen informationellen und kommunikativen Voraussetzungen. Die »starken Kri-terien« der Reziprozität deliberativer Kommunikation, wonach einzig die Kraft dervorgetragenen Argumente in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen zählensolle, sind in der Regel nicht erfüllt. Die Verpflichtung auf das »Gemeinwohl« kanneinerseits eine ideologische Verschleierung von partikularen Interessen und Elite-Entscheidungen sein (Dahl 1989), andererseits kann die Artikulation von Eigen-interessen in Deliberationsprozessen durchaus legitim und angebracht sein. Auchwird die gelegentlich geforderte Konsensorientierung der deliberativen Demokratieals überzogen betrachtet. Deliberation kann, muss aber nicht notwendig auf volleÜbereinstimmung hinauslaufen. Es kann ebenso legitim und wertvoll sein, wenn einKonflikt nicht gelöst, wohl aber geklärt und womöglich dadurch sogar verschärftwird.

Onlinemedien bieten die Möglichkeit, Diskurse zwischen entfernten und zeitversetztkommunizierenden Teilnehmern zu organisieren. Bürgerversammlungen, Media-tionsverfahren, Bürgerforen und Expertenanhörungen können auch online veran-staltet werden. Die Frage, durch welche spezifischen Funktionen und Mechanismendas Internet es fördern kann, dass sich politische Positionen deliberativ einanderannähern, gilt in der deutschen Debatte aber nach wie vor als ungeklärt (Heim etal. 2003). In Deutschland wurde die Frage, wie sich das Internet auf die Delibera-tionsfähigkeit demokratischer Öffentlichkeit auswirkt, bislang vor allem mit Blickauf internetbasierte innerparteiliche Mitbestimmung (z.B. »virtueller Parteitag«)untersucht (z.B. Bubeck/Fuchs 2001; Rogg 2001).

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Auch die lokale Nutzung des Netzes für politische Kommunikation und bürger-schaftliches Engagement zur Fortentwicklung digitaler Demokratie sind von wach-sender Bedeutung: Viele der in den letzten Jahren entstandenen Informations-,Kommunikations- und Aktionsplattformen im Internet sind Produkte bürgerschaft-lichen Engagements (s.a. Kap. IV.2.2). Betreiber, Programmierer, Autoren undTechniker erbringen den größten Teil ihrer Leistungen für politische Projekte imInternet auf ehrenamtlicher Basis. Auch in konkreten politischen Entscheidungenbestehen Möglichkeiten zur deliberativen Bürgerbeteiligung durch neue Medien. Hierist die Nutzung bürgerschaftlicher Expertise für Planungs-, Mediations- oder Ge-setzgebungsverfahren zu nennen. Weitere Akteure sind die mittlerweile zahlreichenregionalen »Bürgernetze«, die sich um die kleinräumige »Verkabelung« von Land-kreisen, Kommunen oder Stadtvierteln kümmern (seit neuerem auch auf W-LAN-Basis) und einen großen Beitrag zur Verbreitung digitaler Medienkompetenz leisten.Nicht selten unterstützen diese nicht kommerziellen Internetprojekte bestehendeAngebote öffentlicher Informationsdienstleister, fügen deren Leistungsspektrumneue Facetten hinzu und dienen politischen Akteuren als Beispielgeber.

Experimente mit deliberativen Meinungsumfragen, digitalen Planungszellen undvirtueller Konfliktmediation zeigen, dass Onlinekommunikation bei entsprechenderModeration ausgezeichnete Ergebnisse zeitigen kann. Dies verdeutlicht sowohl dasPotenzial des Internets in einer deliberativen Demokratie als auch die Tatsache, dassbestimmte Bedingungen erfüllt werden müssen, um das Potenzial zu realisieren.

Diese Bedingungen – hierzu gehören neben der erwähnten Moderation auch einegute Vor- und Nachbereitung sowie eine adressatenentsprechende Informationsbe-reitstellung und -aufbereitung – scheinen auf den ersten Blick einfacher zu erfüllenzu sein, wenn deliberative Verfahren auf lokale Fragestellungen beschränkt werden,also auf Gegenstände, die eine abgegrenzte Region und eine überschaubare Zahlvon Beteiligten betreffen. Weitgehend Übereinstimmung in Politik und Wissen-schaften besteht daher darüber, dass der kommunalen Ebene besondere Bedeutunghinsichtlich der digitalen Demokratie beizumessen ist. Dies hat sich sowohl in denpolitischen Förderaktivitäten (Kap. IV) als auch in der empirischen Forschung(Holtkamp 2002; Westholm 2002) niedergeschlagen. Auch hinsichtlich der demo-kratietheoretischen Implikationen der verstärkten staatlichen Nutzung des Internetsfür bürgerschaftliche Partizipation wird der kommunalen Ebene – als dem »Haupt-experimentierfeld« für internetgestützte Partizipation – oft besondere Beachtunggeschenkt. Ein nahe liegendes Feld für Bürgerbeteiligung ist sie, weil bei lokalenAngelegenheiten das Interesse und die Kompetenz von Bürgern als besonders hocheingeschätzt werden. Allerdings wird dabei oft eine bislang suboptimale Aus-schöpfung der Potenziale netzbasierter Kommunikation festgestellt (Hart/Pflüger2004; Initiative eParticipation 2004), oder es wird die eigentliche Stärke des Inter-nets in diesem Bereich eher in begleitenden Informationsangeboten zu herkömm-

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lichen Partizipationsverfahren gesehen denn in der Ermöglichung neuer Partizi-pationsverfahren (Holtkamp 2002). Anhand der Erfahrungen auf kommunalerEbene (vgl. Hart/Pflüger 2004) lassen sich auch die bekannten und zentralenProbleme der digitalen Demokratie beleuchten. Hierzu gehören vor allem sozialeSchieflagen bei der Zusammensetzung der Teilnehmer (z.B. Trénel et al. 2001) unddie Tatsache, dass – wie etwa viele Themen der »lokalen Agenda 21« eindrucksvollgezeigt haben – scheinbar auf lokale Dimensionen und Akteure begrenzte Fragenhäufig weit ausgreifende, nicht selten globale Konsequenzen haben, die nicht un-berücksichtigt bleiben dürfen, und die die Bearbeitung lokaler Fragestellungenerheblich erschweren.

TRANSNATIONALE DEMOKRATIEPOTENZIALEDES INTERNETS 4.

Fragen der Art, was Demokratie auszeichnet, in welcher Weise von einer demokra-tischen Öffentlichkeit gesprochen werden kann, und welche Rolle hierbei das Inter-net spielen kann, stellen sich im transnationalen Bereich in deutlich anderer Weiseals im innerstaatlichen Bereich (hierzu und zum Folgenden Winter/Groinig 2004).

GLOBALISIERUNG, TRANSNATIONALE POLITIK UNDDAS INTERNET 4.1

Die immer stärker global agierende Wirtschaft, zunehmende Migration und Mobi-lität in Beruf und Freizeit, globale Umweltveränderungen, international vernetzterTerrorismus und zahlreiche andere Phänomene werden heute unter dem Begriff derGlobalisierung zusammengefasst. Damit verbunden ist häufig die Einschätzung, dassnationale Politiken an Gestaltungsspielraum verlieren, zumindest aber stärker dietransnationalen Entwicklungen einbeziehen müssen. In der globalen Netzwerkge-sellschaft (Castells 2001a) muss die Frage nach der Rolle der traditionellen Natio-nalstaaten neu beantwortet werden. Ansätze zu einer »global governance« sindAntworten auf diese Veränderungsprozesse, die sich auch als »Glokalisierung« be-greifen lassen, in der das Lokale – vor dem Hintergrund der Globalisierung – wiederstärkeres Gewicht bekommt. Auch konkrete internationale Strategien der Problem-diagnose und Problemlösung wie etwa der IPCC-Prozess (Intergovernmental Panelon Climate Change) und die Kyoto-Folgeverhandlungen in der internationalenKlimapolitik oder der Internationale Währungsfonds (IWF) stellen Reaktionen aufbestimmte Aspekte der Globalisierung dar. Unterschiedliche politische Kulturenmüssen in derartigen Institutionen und Prozessen beachtet werden, wozu in erheb-

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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lichem Umfang transnationale Kommunikation erforderlich ist. Globalisierungs-skeptiker sind sich mit den Optimisten darin einig, dass der Grad der Vernetztheitzwischen Kontinenten, Staaten und Individuen steigt und weiter steigen wird. DerBedarf nach einer transnationalen demokratischen Öffentlichkeit steigt in gleichemMaße.

Die Globalisierung hat auch erhebliche kulturelle Implikationen: »Das Internet istMedium und Gegenstand einer ‘Globalisierung’, die nicht auf wirtschaftliche Vor-gänge beschränkt ist, sondern eine kulturelle Kerndimension aufweist und den poli-tischen Prozess in all seinen Aspekten ergriffen hat« (Leggewie 2003, S. 119). Indi-viduen müssen sich in einem globalen Bedeutungssystem zurechtfinden und ihreIdentitäten und Standpunkte darin verorten. Graduell verlieren klassische räumlicheBezüge (lokal/regional/national) an Bedeutung (»Deterritorialisierung«; TAB 2001);stattdessen müssen die eigenen kulturellen Kategorien und Bedeutungsmuster ver-mehrt in Beziehung zu anderen kulturellen Bedeutungssystemen gesetzt werden.Individuelle Identität und die kollektiven Identitäten von staatlichen, regionalenoder institutionellen Zusammenschlüssen werden im Spannungsfeld zwischen dentraditionellen lokalen Bezügen und den neuen globalen Kontexten gebildet, mitmöglicherweise weitreichenden kulturellen Folgen.

Die Globalisierung ist ohne moderne Informations- und Kommunikationstechnik,vor allem EDV, Mobilfunk und Internet, nicht denkbar. Auch die internationalePolitik und transnational arbeitende Organisationen sind auf diese Medien ange-wiesen. Hier ergibt sich die Frage, inwieweit die neuen Medien, insbesondere dasInternet, auch zur Ausbildung einer transnationalen demokratischen Öffentlichkeitbeitragen können oder bereits beigetragen haben. Zumeist werden hier die Mög-lichkeiten der kostengünstigen, entfernungsunabhängigen und schnellen Informa-tionsverbreitung und die Interaktivität als förderliche Faktoren genannt, aber auchdie mangelnde Regulierbarkeit und damit ein gewisser »subversiver« Charakter desInternets. Mit den neuen Medien ist auch die Hoffnung verbunden, dass infra-strukturell benachteiligte und kaum an die Trends in den globalen Metropolenangebundene Regionen stärker integriert werden.

Die Fragen nach den Potenzialen des Internets zur Herausbildung von globalen Öf-fentlichkeiten wird in den wissenschaftlichen Diskussionen zum großen Teil unterdem begrifflichen Dach der »Zivilgesellschaft« geführt, wie sie seit dem Weltgipfelvon Rio (1992) auch Bestandteil des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung ist(Kopfmüller et al. 2001). Die Idee einer globalen Zivilgesellschaft bezieht sich aufsoziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Netzwerke vonBürgern, die über nationale Grenzen hinweg unter gemeinsamen Zielsetzungenoperieren (Kaldor 2003). NGOs erzeugen Bausteine einer transnationalen öffentli-chen Sphäre, in der sie Mitglieder aus verschiedenen Ländern für ihre Anliegen

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4. TRANSNATIONALE DEMOKRATIEPOTENZIALE DES INTERNETS

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mobilisieren können. Dabei haben sie es in gewisser Weise leichter als Regierungen.Denn sie können sich auf bestimmte Themen (»issues«) fokussieren und territorialeFragen außen vor lassen, während politische Akteure einerseits ihren Wählern ge-genüber verpflichtet und deshalb an räumliche Bezüge gebunden bleiben (Wahl-kreise, Staatsgebiete) und andererseits einzelne Maßnahmen und Themen stets imKontext des Ganzen sehen müssen.

Das Internet hingegen ist bereits in seiner Struktur darauf ausgelegt, dass staatlicheGrenzen keine Rolle spielen. Prinzipiell sind beliebige globale Informations-, Kom-munikations- und Deliberationsvorgänge möglich. Diese technischen Gegebenheitenhaben zu vielerlei Hoffnungen geführt, dass das Internet zu einem neuen Kosmo-politismus beitragen könne und dass sich die Teilung in Zentrum und Peripherie auf-lösen könnte, weil im Netz alle Orte gleichberechtigt seien und dass dadurch globaldie Ausrichtung am Gemeinwohl und an einer demokratischen Konsensfindunggefördert werden könnte (Winter/Groinig 2004).

Der Realisierung dieses Potenzials stehen jedoch erhebliche Hindernisse entgegen.Ein ganz entscheidendes Hindernis ist, dass die Zugangschancen zum Internet dra-matisch ungleich verteilt sind. So gibt es zum einen nicht die nötige globale Infra-struktur. Bestimmte kulturelle Räume sind in das digitale Netzwerk weitaus wenigereingebunden als die klassischen industrialisierten Länder (Nordamerika, Europa,Teile von Asien). Von einem weltumspannenden transnationalen digitalen Raumkann daher nicht gesprochen werden. Regionen, die nicht an das Netz angeschlos-sen sind, sind sozusagen digital nicht existent und bilden damit auch in ökonomi-scher Hinsicht »schwarze Löcher des informationellen Kapitalismus« (Castells 2002,S. 396). Vor allem der afrikanische Kontinent ist auf dem Internetglobus kaum prä-sent. Im Gegensatz dazu weisen globale Metropolen Hyperkonzentrationen voninformationeller Infrastruktur mit entsprechenden Ressourcen auf. Es existierengeographische Kommunikationsverdichtungen. Zum anderen sind selbst dort, wodie technischen Voraussetzungen erfüllt sind, die Zugangschancen innerhalb derjeweiligen Bevölkerungen ungleich verteilt. Transnationale Internetkommunikationkönnte damit sogar desintegrative Effekte durch die Vertiefung der digitalen ebensowie der zivilisatorischen Spaltung haben (Siedschlag 2004).

Eine weitere Differenz zur Situation innerhalb eines demokratischen Staates inBezug auf den Aufbau einer demokratischen Öffentlichkeit besteht transnationaldarin, dass auf globaler Ebene nur relativ wenige Staaten den basalen Kriterien einerDemokratie entsprechen, geschweige denn, dass sie ein Interesse an oder die Mög-lichkeit zu deliberativer Onlinedemokratie haben. In Bezug auf undemokratischeSysteme gibt es Hoffnungen, dass die schlechte Regulierbarkeit und die Offenheitdes Internets in einem »guten Sinne« subversiv wirken, den demokratischen Kräf-ten Gelegenheiten zur Vernetzung mit internationalen Gruppen geben und das In-

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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formationsmonopol diktatorischer Systeme unterlaufen könnte. Diese Hoffnungenhaben sich in Teilen bereits andeutungsweise erfüllt (z.B. im Nahen Osten). DieInternetnutzung ist jedoch in vielen Diktaturen (z.B. in China) stark beschränkt. Inder Regel ist jedoch durch das Internet jede Form von Geheimhaltung schwierigergeworden. Auf der anderen Seite ist auch zu beachten, dass der in obigem Sinnepotenziell subversive Charakter des Internets eine Kehrseite hat: Auch terroristischeGruppen wie Al-Kaida können es zur weltweiten Vernetzung und zur Informations-und Ideenverbreitung nutzen.

TRANSNATIONALE INTERNETÖFFENTLICHKEITEN 4.2

Netzgestützte Kommunikation kann zur Konstituierung transnationaler Öffent-lichkeit besonders dann beitragen, wenn gemeinsam interessierende Themen vonräumlich getrennten Kommunikationsgemeinschaften behandelt werden müssen.Dies ist in der Europäischen Union der Fall (Kap. IV.1). EU-weite Themen (z.B. dieBewältigung der EU-Erweiterung, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik,bioethische Konflikte oder die Chemikalienregulierung) sind relevant auch über dieGrenzen der Mitgliedstaaten hinweg. Die Diskussion solcher Themen kann immerweniger durch räumlich (regional oder national) zusammenhängende Kommunika-tionsgemeinschaften erfolgen, sondern bedarf themen- oder politikfeldbezogenereuropäischer Teilöffentlichkeiten als demokratische Unterstützung für europäischeGesetzgebung und europäisches Regieren.

Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass die europäischen Parteien sich vorallem auch dank ihrer Webpräsenzen aus dem Schlaglicht der nationalen Parteienzu lösen beginnen und eigene Perspektiven auf Europa mit gesteigerter Breitenwir-kung vertreten (Siedschlag 2004). Wenn diese Entwicklung dazu führt, dass Bürgerin nationalen Öffentlichkeiten netzbasiert über die gleichen europäischen Problemesprechen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch grenzüberschreitend mit ihreneuropäischen Mitbürgern über diese grenzüberschreitenden Probleme sprechen(Clemens 2001, S. 242). Da es bislang keine eigentliche »europäische« Öffentlich-keit gibt, die ähnlich weit entwickelt wäre wie die nationalen Öffentlichkeiten, wirddem Internet hier oft eine wichtige Rolle zugesprochen. Inwieweit das Netz dieseRolle aktuell und in Zukunft spielen kann, wird in letzter Zeit wissenschaftlich ver-stärkt untersucht. Da dieser vermutete Effekt sich jedoch höchstwahrscheinlich aufspezifische Themen oder Politikfelder und somit auf Fachöffentlichkeiten beschrän-ken würde, wäre er für die grenzüberschreitende Integration von ganzen Kommuni-kationsgemeinschaften (für »die« europäische Öffentlichkeit) nur ein erster Schritt.Eine größer angelegte empirische Untersuchung (Koopmans/Zimmermann 2003)kam zu dem Ergebnis, dass durch das Internet, zumindest wenn Suchmaschinen

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4. TRANSNATIONALE DEMOKRATIEPOTENZIALE DES INTERNETS

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verwendet werden, ähnlich wie bei traditionellen Printmedien vor allem nationaleAkteure und Themen öffentliche Sichtbarkeit erlangen.

Im globalen Rahmen entfalten sich die genannten Potenziale des Internets ambesten; hier stellen sich aber auch – vor allem aufgrund der digitalen Spaltung zwi-schen reicheren und ärmeren Ländern – die größten Hindernisse. Zwar zeigen dieStaaten der »Dritten Welt« deutliches Interesse daran, am Entstehen einer globalenInformationsgesellschaft beteiligt zu werden, was sich z.B. anlässlich des zweitei-ligen Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS) gezeigt hat, dessen zweites»Segment« im November 2005 in Tunis stattfinden wird (s.a. Siedschlag 2004).7

Und auch verschiedene NGOs aus »dem Süden« und entwicklungspolitische Orga-nisationen setzen große Hoffnungen in die Internetkommunikation und nutzen dasNetz bereits in vielfältiger Weise für ihre Zwecke. Angesichts des aktuellen Ent-wicklungsstands in diesem Bereich kann jedoch von der Existenz einer (realen odervirtuellen) Weltöffentlichkeit keine Rede sein (Tobler 2001).

Jedoch gibt es vor dem Hintergrund politischer, wirtschaftlicher und kulturellerBedrohungen durchaus spezifische und auf konkrete Themen bezogene transnatio-nale Öffentlichkeitssphären, die Aufmerksamkeit über die eigenen nationalen Inte-ressen hinaus erzeugen (Beck 2003). Hierfür liefert das Internet die adäquaten tech-nischen Möglichkeiten der Mobilisierung von Aufmerksamkeit und der Verbreitungvon Informationen (vgl. das Beispiel der mexikanischen Zapatisten in Kap. V). An-lassbezogene transnationale Netzöffentlichkeiten bilden sich auch zur zivilgesell-schaftlichen Teilnahme an Gipfelveranstaltungen wie dem WSIS oder in der Koor-dination von internationalen Protestbewegungen zu solchen Veranstaltungen. Vonden Aktivisten wird aber nicht selten beklagt, dass sich dabei die digitale Spaltungzwischen »Nord und Süd« fortschreibt, da die NGOs aus den ärmeren Ländernzumeist über deutlich weniger Ressourcen und Kapazitäten für die netzbasierteKommunikation verfügen als die Aktivisten aus »dem Norden«.

Allerdings versorgt stetiges Engagement insbesondere von NGOs interessierte Teil-öffentlichkeiten – häufig konstituiert durch individuelle und nur informell oder garnicht vernetzte Bürger – mit Informationen zu globalen Problemlagen und Missstän-den. Diese können sich potenziell entweder aktiv an der Konstruktion von politi-scher Netzöffentlichkeit beteiligen oder die politischen Angebote einfach rezipierenund sie in ihrer individuellen Identitätsbildung und politischen Meinungsbildungberücksichtigen. Während nationalstaatliche Akteure auf dem internationalen Par-kett üblicherweise mit Blick auf ihr nationales Publikum agieren, ist es transnatio-

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

7 Das TAB wurde vom Deutschen Bundestag beauftragt, im Jahr 2006 einen Bericht zum Thema»Internetkommunikation in und mit Entwicklungsländern. Chancen für die Entwicklungszu-sammenarbeit am Beispiel Afrika« vorzulegen. Im Rahmen dieses TA-Projekts wird auch derWSIS-Prozess untersucht.

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nalen NGOs auf diese Weise gelungen, Ansätze zu einer globalen Öffentlichkeit zuschaffen. Da zivilgesellschaftliche Akteure keine exekutiven Vollmachten haben, hat eine entsprechende transnationale (virtuelle Netz-)Öffentlichkeit aber vor allemdie Aufgabe der Themenfindung und der koordinierten Themenartikulation (s.a.Kap. V).

POLITISCHE POTENZIALE NETZBASIERTER KOMMUNIKATIONUND ANSÄTZE ZU IHRER REALISIERUNG 5.

Die wissenschaftliche Analyse hat zunächst klar die positiven Potenziale der Inter-netnutzung für die politische Kultur in den Vordergrund gestellt. Angesichts un-befriedigender Entwicklungen in den westlichen Demokratien (wie »Politikver-drossenheit«, Wahlmüdigkeit und der Legitimationsprobleme des repräsentativenDemokratiemodells in zunehmend weniger hierarchisch strukturierten Gesellschaf-ten) erschien in der wissenschaftlichen, aber auch der politischen Diskussion – inder diese Phase immer noch stark nachwirkt (Kap. IV) – das Internet oft als Königs-weg der Problemlösung. Neue interaktive Kommunikations-, Deliberations- undPartizipationsmöglichkeiten wurden als Chancen zur Wiederbelebung der Demo-kratie gesehen.

Im Zuge weiterer Analysen und erster empirischer Forschungsergebnisse zur politi-schen Nutzung des Netzes folgte jedoch Ernüchterung. Der Technikdeterminismus,nach dem bereits das Angebot neuer Technik ausreichen würde, um neue Formenpolitischer Kultur zu begründen, erwies sich als eindimensional und naiv. Denn dieRealisierung der Potenziale des Internets stellt sich nicht von selbst ein, sondern be-darf eines expliziten Gestaltungsprozesses. Nicht Technik löst die Probleme derDemokratie, sondern Technik kann von gesellschaftlichen Akteuren eingesetzt wer-den, um die Probleme zu lösen. Auch ist das Internet nicht nur Problemlöser,sondern auch Verstärker vorhandener oder Verursacher neuer Probleme (z.B. vonZugangsproblemen).

Aktuelle Konzepte – z.B. die »digitale Demokratie« – betonen die Möglichkeit derIntensivierung der Kommunikation zwischen Bürgern untereinander und Bürgernund dem politischen System, ohne dabei gleich die Lösung der großen Probleme derDemokratien zu erwarten. Sie setzen auf mittel- und längerfristige Entwicklungenstärkerer gesellschaftlicher Interaktivität, Responsivität und Deliberation unterEinschluss der Möglichkeiten des Internets zur Effizienzsteigerung von Kommunika-tion und Informationsversorgung.

Das Internet eröffnet als interaktives »Hybridmedium« (Kap. II) grundlegendeKommunikationsmöglichkeiten neu und ist damit auch demokratietheoretisch rele-

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5. POLITISCHE POTENZIALE UND ANSÄTZE ZU IHRER REALISIERUNG

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vant. Dies betrifft vor allem die Konstituierung von Öffentlichkeit und Gegen-öffentlichkeiten, sowie darüber hinaus die Möglichkeiten der Information, Delibe-ration und Partizipation. Auch hier zeigt sich, dass Potenziale nicht von selbst realwerden, sondern dass ihre Realisierung entsprechender gesellschaftlicher Resonanzund Rahmenbedingungen sowie teils auch gezielter politischer Gestaltung bedarf.

Im transnationalen Bereich deuten sich Entwicklungen an, die es rechtfertigen, auchvon einem transnationalen Demokratiepotenzial des Internets zu sprechen. Sinddiesbezüglich im europäischen Bereich, wenigstens in Teilöffentlichkeiten und eini-gen Eliten, bereits konkrete Vernetzungsaktivitäten und Onlinedeliberationen zu be-obachten, so wird das Internet im internationalen Bereich bislang vor allem in sin-gulären Situationen genutzt, um Proteste zu mobilisieren und zu koordinieren,transnationale Solidarisierungsaktionen in Gang zu setzen oder auf internationaleOrganisationen direkt einzuwirken. Zivilgesellschaftliche Akteure sind in der Regeldie Vorreiter in diesen Prozessen. Nationalstaatliche und übergeordnete demokra-tische Akteure stehen dadurch unter dem Druck, sich ebenfalls an diesen Teilöffent-lichkeiten zu beteiligen.

Die in diesem Kapitel skizzierten wissenschaftlichen Diskussionen und politischenDebatten haben verschiedene Leistungen des Internets für die Demokratie themati-siert – vor allem als wünschenswerte Beiträge zu einer stärker deliberativen Demo-kratie. Diese vor einem normativen Hintergrund formulierten Potenziale lassen sich– mit aufsteigender demokratietheoretischer Relevanz – nach den SchlagwortenInformation, Kommunikation und Partizipation gruppieren und führen damit in das Feld der in den folgenden Kapiteln dargestellten vertiefenden Untersuchungenhinein.

(1) Information: Das Internet erhöht ohne Zweifel die Informationsbeschaffungs-und -verbreitungsmöglichkeiten für Akteure auf allen Ebenen. Information als Vor-aussetzung einer freien Meinungsbildung des Bürgers wird national und interna-tional leichter verfügbar. Ist dies zunächst nur ein quantitativer Effekt, so kann erjedoch angesichts der Dimensionen, in denen Information weltweit schnell verfüg-bar geworden ist, in einen qualitativen Effekt umschlagen – mit erheblichen Folgenfür demokratische Politik und deren kulturellen Grundlagen. Dies kann an denStichworten der Transparenz und der Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, ver-deutlicht werden. So kann z.B. heute prinzipiell über das Internet ein Gesetz-gebungsverfahren unter Einbezug aller Expertisen und Beratungsschritte völligtransparent erfolgen und zwar auf eine Weise, in der sich die Bürger zeitnah in jedemStadium des Verfahrens über den Stand der Dinge informieren, entsprechendeDokumente einsehen und sich dazu fundiert ihre eigene Meinung bilden können.Weiterhin senkt, als ein völlig anderer Effekt, das Internet die Schwelle, sich mitunkonventioneller Information an etablierten Medien vorbei Gehör zu verschaffen

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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– oder zumindest die Voraussetzung zu schaffen, um Gehör zu finden, nämlich ent-sprechende Information an allgemein zugänglicher Stelle im Internet zu platzieren.Sowohl Informationsverbreitung und -beschaffung können vom Bürger direkt vor-genommen werden. Auf diese Weise stellt der Informationsaspekt eine Voraus-setzung aller weitergehenden demokratietheoretischen Hoffnungen in Bezug auf dasInternet dar. Allerdings ist zu beachten, dass die Nutzung entsprechender Potenzialenur unter der Voraussetzung eines entsprechend internetkundigen und medien-kompetenten Bürgers möglich ist, und dass zur Internetkundigkeit nicht nur gehört,Suchmaschinen effizient bedienen, sondern auch mit den erlangten Informationenkompetent umgehen zu können.

(2) Kommunikation: Über den reinen Informationsaustausch hinaus ermöglicht dasInternet auch die Kommunikation entfernter und möglicherweise zeitversetzt ar-beitender Akteure. Interaktive Angebote können auch das Kommunikationsdefizitzwischen Politik und Bürgern abbauen. Ansätze zur Realisierung der Potenziale desInternets zeigen sich bei der Netznutzung durch NGOs und soziale Bewegungensowie, in gewisser Weise komplementär dazu, in der Förderung deliberativer For-men der Demokratie. Im Internet findet mittlerweile eine unüberschaubare Fülle vonMobilisierungen, Protesten und Aktionen statt (Kap. V). Die Nutzung des Internetsdurch politische Institutionen (Kap. IV) kann, so die demokratietheoretische Hoff-nung, zu einem eher deliberativen Politikstil beitragen, auch wenn sich die Praxisstaatlicher Akteure in diesem Bereich vielfach noch in der Experimentierphasebefindet.

(3) Partizipation: Über die Deliberation im Vorfeld von Themenfindung (»Agenda-Setting«) und Entscheidungsprozessen hinaus stellt Partizipation einen Schlüsselbe-griff in der demokratietheoretischen Diskussion der letzten Jahrzehnte dar. Partizi-pation bezeichnet die Teilnahme an politischer Kommunikation, um – eingebettetin politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse – gezielt politischeSach- und Personalentscheidungen zu beeinflussen oder unmittelbar an solchenEntscheidungen mitzuwirken (Siedschlag et al. 2002). Durch das Internet wird eineErleichterung der Partizipation am politischen Alltag erwartet, da Bürger nun weithäufiger sowohl Empfänger als auch Sender von politischen Botschaften seinkönnen (Interaktivität). Die Bedeutung der digitalen politischen Öffentlichkeiten inBezug auf Partizipation wird gegenwärtig vor allem darin gesehen, dass in ihnen dieThemen ausgehandelt werden, mit denen sich dann Politik und Experten näherbefassen sollen. Experten liefern dann – möglicherweise rückgekoppelt mit derdigitalen Öffentlichkeit über Onlinediskurse – die wissenschaftliche Basis für diepolitische Entscheidungsfindung. Die Netzöffentlichkeit kann demnach ein Platzsein, an dem politische Partizipation durch die Einbindung von Bürgern in Online-diskurse stattfindet und sich vor allem in der Mitgestaltung der öffentlichen Agendaund der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung äußert.

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5. POLITISCHE POTENZIALE UND ANSÄTZE ZU IHRER REALISIERUNG

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Die Kapitel IV und V greifen diese potenziellen Funktionen des Netzes für einelebendige Demokratie auf. Vor dem Hintergrund des normativen Modells delibe-rativer Demokratie (Kap. III.3.3) wird analysiert, inwieweit die Praxis politischerInternetkommunikation verschiedener Akteure bereits den bestehenden Erwar-tungen entspricht. Dabei wird auch untersucht, welche hemmenden und förderndenFaktoren die Realisierung der Potenziale der netzbasierten Kommunikation beein-flussen. Diese Ursachenanalyse – soweit sie sich angesichts einer beschränktenDatenlage schon durchführen lässt – ist sodann der Ausgangspunkt zur Erarbeitungvon politischen Handlungsmöglichkeiten.

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III. DEMOKRATIE UND INTERNET – ZUM STAND DER DISKUSSION

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POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT – AUF DEM WEGIN DIE DIGITALE DEMOKRATIE? IV.

Durch das Internet sind neue Möglichkeiten der politischen Kommunikation zwi-schen Politik und Bürgern entstanden. Unterscheiden lassen sich »Government-to-citizen (G2C)«-Kommunikation, »Citizen-to-government (C2G)«-Kommunikationund »Onlinedialog«: Bei der G2C-Kommunikation handelt es sich um ein neuesElement politischer Information und Öffentlichkeitsarbeit. C2G-Kommunikationeröffnet Bürgern neue Möglichkeiten zur politischen Artikulation gegenüber staat-lichen Akteuren. Und beim Onlinedialog (C2G plus G2C) kommt es zu einem Aus-tausch zwischen Politik und Bürgern. Diese Nutzungsweisen des Internets gehenüber die horizontale Kommunikation zwischen Bürgern (»Citizen-to-citizen«- bzw.»C2C«-Kommunikation) hinaus und leisten damit einen spezifischen Beitrag zurpolitischen Netzöffentlichkeit. Auf staatlichen Websites können alle vier genanntenKommunikationen stattfinden.

Die Bedeutung staatlicher Akteure für die Gestaltung der politischen Netzöffent-lichkeit erschöpft sich allerdings nicht in eigenen Angeboten zur Onlinekommuni-kation, sondern umfasst zudem deren Regulierung und Förderung. Zu nennen sindhier vor allem die Setzung rechtlicher Rahmenbedingungen der Internetnutzung so-wie die finanzielle Förderung (Kap. IV.2.2) oder sonstige Unterstützung von privatenBeiträgen zur Netzöffentlichkeit (wie z.B. durch die Bereitstellung von politischerInformation, die Verlinkung eigener Webangebote mit denen Dritter sowie die Teil-nahme von Politikern an Foren, Chats etc. privater Anbieter).

In diesem Kapitel steht jedoch die netzöffentliche politische Kommunikation aufstaatlichen Websites im Mittelpunkt und dabei speziell die Onlinediskussion (im Ge-gensatz z.B. zu Onlineumfragen und zur E-Mail-Einreichung von Stellungnahmenzu Konsultationsthemen). Gefragt wird zum einen nach den Erfolgsbedingungenund Qualitäten der Onlinediskussionen und zum anderen nach deren Bedeutung imRahmen der E-Demokratie-Strategien ausgesuchter Akteure (in Deutschland,Großbritannien und auf EU-Ebene). Zu beachten ist dabei, dass staatliche Online-diskussionsangebote (und insbesondere solche mit einem starken partizipatorischenAnspruch) zumindest in Europa immer noch selten sind (OECD 2003; van Auden-hove et al. 2005) und dass zum Teil große Unterschiede zwischen den Herange-hensweisen und den politischen Systemen bestehen. Für eine vertiefte Analyse derPerspektiven digitaler Demokratie wird hier daher der Schwerpunkt auf eine Gegen-überstellung der Entwicklung in Deutschland und Großbritannien (Kap. IV.2 u.

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IV.3) gelegt. Das Vereinigte Königreich bietet sich dafür zum einen an, weil dort be-reits eine ganze Reihe interessanter Erfahrungen mit digitaler Demokratie gemachtwurde. Zum anderen handelt es sich bei Deutschland und Großbritannien umLänder, die in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten – aber auch relevante Differenzen inden politischen Systemen – aufweisen. Zumindest ansatzweise soll also vergleichenddargestellt und analysiert werden, wie sich in beiden Ländern die digitale Demo-kratie seit den 1990er Jahren entwickelt hat. Eingeleitet wird das Kapitel durcheinen Blick auf die internationale politische Diskussion und die Aktivitäten der EUzur digitalen Demokratie (Kap. IV.1), wodurch auch supra- und transnationaleAspekte der Thematik aufgegriffen werden.

Wesentliche Teile der Ausführungen und Einschätzungen in diesem Kapitel basierenauf Gutachten für dieses Projekt (Bieber 2004; IZT 2005; Neuberger et al. 2004;Schönberger 2004a; Siedschlag 2004; Trénel 2004; Winter/Groinig 2004) sowie aufanderer einschlägiger Forschung (wie z.B. ITA 2005).

DIGITALE DEMOKRATIE AUF EUROPÄISCHER EBENE 1.

Mittlerweile besteht in demokratischen Staaten weitgehend Konsens darüber, dasInternet und neue Medien auf allen Ebenen auch für einen intensiveren Dialog zwi-schen Politik und Bürgern nutzen zu wollen. Durch netzbasierte Kommunikationsollen die politischen Institutionen verstärkt die Anregungen und Interessen vonUnternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen sowie einzelnenBürgern berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang sind u.a. die Leitbilder eines »aktivierenden Staates«,offenen und transparenten »guten Regierens« (»good governance«), einer »partizi-pativen Demokratie«, »interaktiven Politikgestaltung« und »aktiven Bürgergesell-schaft« relevant (z.B. BMI 2004; Bundesregierung 1999 u. 2005b; EU-Kommission2001b). Anvisiert werden durch sie eine neue Rolle des Staates, ein verstärktes bür-gerschaftliches Engagement sowie ein intensiverer Austausch zwischen Politik undBürgern. Hinsichtlich des zuletzt genannten Punkts wird zum einen die Einbezie-hung von Bürgern in die Politikgestaltung angestrebt, mit dem Ziel, dabei bisherbrachliegende gesellschaftliche Wissensressourcen zu aktivieren. Zum anderen be-steht die Hoffnung, durch neue Medien auch die politische Information und Teil-habe bestimmter Gruppen der Bevölkerung (z.B. Jugendliche) zu verbessern. Diegenannten Leitbilder, übergreifenden Handlungsziele und Ideale haben gemein, dasssich in ihnen ein neues Verständnis des Verhältnisses von Gesellschaft und poli-tischem System ausdrückt, bei dem die Politik zum einen auf die Stimulierung undErmöglichung bürgerschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Engagements setzenund zum anderen Ergebnisse dieses Engagements in den eigenen Meinungsbildungs-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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und Entscheidungsprozessen aufgreifen soll. Bürgerbeteiligung und eine vitale Zivil-gesellschaft sollen zudem eine wichtige Rolle bei der Schaffung einer »EuropäischenÖffentlichkeit« spielen.

Auch auf internationaler politischer Ebene werden die Chancen betont, die sichdurch das Internet für eine Intensivierung der Kommunikation zwischen Politik undBürgern ergeben. Dies hat sich z.B. in Aktivitäten und Positionsbestimmungen derG8, der OECD und des Europarates niedergeschlagen (vgl. Europarat Minister-komitee 2004; G8 Government On-Line 1999; OECD 2001 u. 2003; UN 2003 u.2004). Eine viel zitierte Studie der OECD nennt als Beweggründe für eine verstärkteEinbindung von Bürgern sinkende Wahlbeteiligungen und Mitgliederzahlen vonParteien sowie Anzeichen für einen Vertrauensverlust zentraler öffentlicher Institu-tionen (OECD 2001). Die Information, Konsultation sowie das Engagement und diePartizipation von Bürgern bewertet die Studie als Kernelemente guten Regierens undMittel zur Förderung von Offenheit und Transparenz. Regierungen könnten sich soneue Informationen und Ressourcen erschließen sowie das Vertrauen der Bevölke-rungen, deren bürgerschaftliche Kompetenz und die Qualität der Demokratie er-höhen. Auch der Europarat spricht sich dafür aus, neue Medien und Informations-und Kommunikationstechnologien – und insbesondere das Internet – zur Stärkungund Weiterentwicklung der Demokratie in seinen Mitgliedstaaten zu nutzen. Erhofftwerden von »E-Governance« Verbesserungen der bürgerschaftlichen Partizipationauf allen politischen Ebenen, der Transparenz demokratischer Entscheidungspro-zesse, der Responsivität öffentlicher Institutionen sowie der öffentlichen Delibera-tion politischer Themen. Der Europarat empfiehlt zudem Maßnahmen zur Bekannt-machung, fortlaufenden Evaluation und zur kompetenten bürgerschaftlichenNutzung von staatlichen Onlinedialogangeboten zu ergreifen (Europarat Minister-komitee 2004).

Neue Medien werden in der internationalen politischen Diskussion also vor allemin einem zweifachen Sinn als wichtige Instrumente für ein besseres Regieren ange-sehen: Zum einen erhalten die Bürger neue Möglichkeiten der Information überpolitische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse sowie erweiterte, technischmodernisierte Optionen, sich in diese einzubringen. Zum anderen kann die Politikdavon einen Zuwachs an Vertrauen seitens der Bürger erhoffen, einen besserenZugang zu gesellschaftlichen Wissensressourcen sowie größere Kenntnisse der viel-fältigen politischen Interessenlagen.8

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1. DIGITALE DEMOKRATIE AUF EUROPÄISCHER EBENE

8 Gewarnt wird dabei aber oft auch davor, das Internet direktdemokratisch einzusetzen und da-durch die Parlamente zu schwächen. So hat z.B. die Interparlamentarische Union (IPU) zwarbereits im Jahr 2000 den Einsatz von Onlineforen, Mailinglisten und Internetumfragen vorge-schlagen und betont, dass es in der Natur von Parlamenten liege, offen für die Interaktion mitBürgern zu sein. Es sei aber Vorsicht bei der Implementierung angebracht, um zu verhindern,dass sich die Webpräsenz störend auf die normale Funktionsweise der Institutionen auswirkt.

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Die genannten weitreichenden Erwartungen prägen auch die Programmatik der EUund nationaler Regierungen zu diesem Thema. Da diese Akteure aber zudem prak-tische Aktivitäten zur Onlinekommunikation zwischen Politik und Bürgern durch-führen, die – gemessen an den programmatischen Ansprüchen – oft suboptimal sind,hat sich eine bedenkliche Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit geöffnet, die als einDilemma digitaler Demokratie aufgefasst werden kann: Die politischen Akteurehalten an den – in den Jahren der Interneteuphorie erklärten – weitreichendenZielen im Kern fest oder erweitern sie sogar noch, versäumen es in der Praxis aberoft, die kleinen Schritte in Richtung dieser Ziele kontinuierlich und mit Bedacht zutun. Gewachsene Partizipationsansprüche (insbesondere gut informierter, technik-affiner und junger Bürger) sowie eine weit verbreitete Kritik an der Performanzdemokratischer Institutionen stoßen hier auf staatliche Akteure, deren diesbezüg-liches Handeln zwar auch durch die allgemeine Wahrnehmung eines Reformbedarfs,vor allem aber durch institutionelle Beharrungskräfte, gewachsene politischeKulturen, unklare Kompetenzverteilungen, budgetäre Restriktionen und unter-schiedliche Demokratieverständnisse bestimmt wird. Welche Ausprägung dasDilemma in der E-Demokratie-Politik der verschiedenen Akteure hat und wie sie mitdiesem umgehen, wird im Folgenden zunächst für die EU dargestellt.

Die Aktivitäten der Europäischen Union (EU) zur digitalen Demokratie entwickel-ten sich in diesem Jahrzehnt – abgesehen von der Ebene der Projektförderung (s.a.Liikaanen 2004) – vor allem im Rahmen der Bemühungen (vgl. EU-Kommission2001a u. b, 2002b u. c, 2004) um

> eine verbesserte Informations- und Kommunikationsstrategie der EU (insbeson-dere vor dem Hintergrund der Erarbeitung des EU-Verfassungsvertrags und derErweiterung der Union),

> eine Reform der Arbeit der EU-Kommission (und dabei insbesondere im Zuge derInitiative »e-Commission«, die sich auch auf den Aktionsplan »eEurope 2005«bezog) sowie

> neue Formen von »European Governance« (und dabei vor allem im Kontext derArbeiten an dem Weißbuch »Europäisches Regieren«).

Waren die 1990er Jahre in diesem Zusammenhang noch geprägt durch die ver-stärkte Einbeziehung von Unternehmen und (zunehmend auch) zivilgesellschaftli-chen Organisationen in Prozesse der EU-Politikgestaltung, hat in der neuen Dekade– zumindest auf Verlautbarungsebene – auch der Onlinedialog zwischen Politik undEinzelbürger an Bedeutung gewonnen.

Von besonderem Interesse ist die EU-spezifische Ausprägung des Dilemmas digita-ler Demokratie deshalb, weil die EU eigene Legitimationsdefizite nicht nur offenbekundet hat, sondern zudem – erklärtermaßen und objektiv – unter solchen ineinem sehr hohen Maß leidet: »Ebenso wie die Mitgliedstaaten bekommt die Euro-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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päische Union das allgemeine Desinteresse an der Politik voll zu spüren. Diese Kriseder repräsentativen Demokratie tritt auf europäischer Ebene noch deutlicher zutage,da die Legitimität der europäischen Institutionen für die Bürger nicht deutlicherkennbar ist. Die gegenwärtigen Umstände mit ihren neuen Herausforderungen fürdie Union tragen nicht zur Klärung der Verhältnisse bei, wie die jüngsten Referen-den oder Wahlen zeigen« (EU-Kommission 2002c; s.a. Notre Europe 2002). DieseEinschätzung der Kommission aus dem Jahr 2002, die sie mit Blick auf die bevor-stehende Verhandlungen zur EU-Erweiterung und zum Verfassungsvertrag traf,wurde in den letzten Jahren durch mehrere Umfragen bestätigt und dementspre-chend durch die Kommission und das Parlament auch mehrmals bekräftigt.

Im Folgenden sollen nun die thematisch relevanten programmatischen Zielsetzun-gen und Festlegungen, das in diesem Zusammenhang zentrale Webangebot »YourVoice in Europe« und aktuelle Entwicklungen im Bereich der Informations- undKommunikationsstrategie der EU skizziert werden.

ONLINEKOMMUNIKATION UND »PARTIZIPATIVE DEMOKRATIE« 1.1

Im Europäischen Verfassungsvertrag von 2004 heißt es zum »Grundsatz der reprä-sentativen Demokratie« (Artikel I-46), dass alle Entscheidungen so offen und bür-gernah wie möglich getroffen werden. In einem eigenen Artikel (I-47) wird der»Grundsatz der partizipativen Demokratie« festgeschrieben, der u.a. einen »offenen,transparenten und regelmäßigen Dialog« mit der Zivilgesellschaft und »umfang-reiche Anhörungen von Betroffenen« beinhaltet.

In den Jahren vor Abschluss der Arbeiten an dem Verfassungsvertrag erfolgte eineintensive Auseinandersetzung mit Fragen der Informations- und Kommunikations-strategie der EU und den Möglichkeiten verstärkter organisiert-zivilgesellschaftlicher(EU-Kommission 2002a u. b) und bürgerschaftlicher Partizipation. Dabei spielte dasInternet zum einen eine zentrale Rolle bei den konzeptionellen Überlegungen undprogrammatischen Aktivitäten – insbesondere in der Phase der Interneteuphorie.Zum anderen wurde das Internet in das Anhörungswesen der EU integriert und kamauch als Infrastruktur für politische Diskussion zum Einsatz – insbesondere zurArbeit an dem europäischen Verfassungsvertrag, zur Erweiterung der EU sowieallgemein zur Zukunft Europas.

Während in den 1990er Jahren die wenigen konzeptionellen und praktischen Akti-vitäten zur Partizipation (Chadwick/May 2003) auf Unternehmen und – in geringe-rem, im neuen Jahrzehnt aber rasch zunehmendem Umfang – auf zivilgesellschaft-liche Organisationen konzentriert waren, rückte am Anfang des neuen Jahrzehntsalso auch der einzelne Bürger in den Mittelpunkt des Interesses. Das erklärte Ziel

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1. DIGITALE DEMOKRATIE AUF EUROPÄISCHER EBENE

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war die Einbeziehung von Bürgern in den gesamten Prozess der Politikgestaltung –mittels Nutzung verschiedener Möglichkeiten netzbasierter Kommunikation für denDialog zwischen Bürgern und der Verwaltung der Kommission (EU-Kommission2001a). Durch Nutzung dieser Angebote sollten die Bürger ein wirkliches Mitspra-cherecht (»a real say«) erlangen. Entsprechend dem Zeitgeist dieser – durch dieInterneteuphorie geprägten – Jahre wurde den Websites der EU eine zentrale Rollefür die Einbeziehung von Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen undBürgern in Prozesse der Politikgestaltung zugesprochen. Insbesondere Onlineforenseien auf ihren Nutzen für die Politikgestaltung zu untersuchen. Moderierte Online-foren wurden als ein mögliches Mittel dazu angesehen, spezielles Feedback zu kon-kreten Themen von relevanten »e-Communities« einzuholen sowie deren Meinun-gen und Positionen zu diesen Themen zu beeinflussen. Seit Februar 2000 wurdenim Rahmen des so genannten »Dialogs über Europa« (EU-Kommission 2001c),einer Initiative der Kommission, praktische Erfahrungen mit der Nutzung von Forenund Chats für die Onlinekommunikation zwischen Politik und Bürgern gesammelt.

Im Prozess der Vorbereitung des Weißbuchs »Europäisches Regieren« (EU-Kom-mission 2001b) erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit Aspekten digitalerDemokratie – mit Blick auf die Überwindung wahrgenommener Demokratiedefizitesowie auf Herausforderungen, die sich bei der Schaffung einer europäischen Öffent-lichkeit ergeben. Auch in den Folgejahren förderte die Kommission verschiedenewissenschaftliche Aktivitäten zum Thema. In dem Weißbuch selbst wurde – alserster konkreter Punkt überhaupt – angekündigt, dass die Kommission »onlinelaufend aktualisierte Informationen über alle Phasen der Entschlussfindung bereit-stellen« (EU-Kommission 2001b, S. 3) wird. Der Begriff »Governance« steht in demWeißbuch für »die Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen, die die Art und Weise,wie auf europäischer Ebene Befugnisse ausgeübt werden, kennzeichnen, und zwarinsbesondere in Bezug auf Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Wirksam-keit und Kohärenz« (EU-Kommission 2001b, S. 10, FN 1). Zum Grundsatz der»Partizipation« heißt es u.a.: »Wie gut, sachgemäß und wirksam die Politik derUnion ist, hängt davon ab, inwieweit die Akteure in den Politikgestaltungsprozess– von der Konzipierung bis zur Durchführung – einbezogen werden. Verstärkte Teil-habe bewirkt größeres Vertrauen in das Endergebnis und die Politik der Institu-tionen« (EU-Kommission 2001b, S. 13). Partizipation bedeute »nicht Institutiona-lisierung von Protest«, sondern vielmehr »wirkungsvollere Politikgestaltung auf derGrundlage frühzeitiger Konsultationen und Erfahrungen der Vergangenheit« (EU-Kommission 2001b, S. 21). Anschließend an eine Bemerkung zur zentralen EU-Website wird festgestellt: »Mehr Information und eine effizientere Kommunikationsind Vorbedingungen dafür, dass ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa entsteht.Ziel sollte dabei sein, einen transnationalen ‘Raum’ zu schaffen, in dem Bürger ver-schiedener Länder über das diskutieren können, was in ihren Augen die wichtigen

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Aufgaben der Union sind« (EU-Kommission 2001b, S. 15). Effektivere und trans-parente Konsultationen werden als »Herzstück der EU-Politikgestaltung« bezeich-net, wobei Onlinekonsultationen und »interaktive Politikgestaltung« Erwähnungfinden. Gefordert wird eine neue »Konsultations- und Dialogkultur«, unter Ein-beziehung des Europäischen Parlaments, das verstärkt öffentliche Anhörungendurchführen solle.

Im Frühjahr 2001 wurden im Rahmen der Reform der Kommission und speziell derInitiative »e-Commission« die Grundzüge der »Interactive Policy Making (IPM)«-Initiative9 der Öffentlichkeit vorgestellt. Insgesamt gesehen dient IPM aus Sicht derKommission

> der Einschätzung der Auswirkungen ihrer Politik vor Ort,> der Bewertung von Vorschlägen für einzelne Maßnahmen,> zur schnellen Reaktion auf neu auftretende Probleme und dafür,> besser die Verantwortung für eigene Maßnahmen tragen zu können.

Im Rahmen der IPM-Initiative entstand auch das Internetportal »Ihre Stimme inEuropa« (»Your Voice in Europe«).10 In ihm sind Links und Informationen zu denwichtigsten Maßnahmen und Angeboten der EU zur »partizipativen Demokratie«integriert. Dieses Portal und die mit ihm verbundenen Angebote werden im Folgen-den näher betrachtet.

»IHRE STIMME IN EUROPA«: EIN BEISPIEL FÜR INTERAKTIVE POLITIKGESTALTUNG? 1.2

Mit »Ihre Stimme in Europa« – im Folgenden »ISE« abgekürzt – wurde versucht,die zentralen Ziele zur E-Partizipation und Onlinekonsultation von Bürgern undorganisierter Zivilgesellschaft praktisch umzusetzen. Es wurde im Oktober 2001eingerichtet und ermöglichte u.a. den Zugang zu Onlinekonsultationen, E-Mail-Kontaktadressen, Onlineforen und Chats. Neben dem Zugang zu den Onlinekon-sultationen erhielt man über ISE u.a. auch Zugang zu dem interinstitutionellen An-gebot »Futurum«, das zur Diskussion über die Zukunft Europas und die Reformder EU-Verträge dienen sollte. Im Januar 2003 erfolgte ein Relaunch von ISE, beidem vor allem das Sprachenangebot erweitert und das Angebot zu den Konsulta-tionen verbessert wurde. Bürgern und Unternehmen sollte es erklärtermaßen durch

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1. DIGITALE DEMOKRATIE AUF EUROPÄISCHER EBENE

9 Für einen Überblick über die wichtigsten Aktivitäten im Rahmen dieser Initiative (bis Oktober2004) siehe http://europa.eu.int/yourvoice/ipm/timeline/index_en.htm#2000.

10 http://europa.eu.int/yourvoice/index.htm

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ISE so einfach wie möglich gemacht werden, den politisch Verantwortlichen auf EU-Ebene ihre Meinung mitzuteilen.

Die Indexseite von ISE verweist auf vier Hauptelemente des Angebots: Konsulta-tionen, Diskussionen, Möglichkeiten zur direkten Beratung und eine Linkliste. ImKontext des vorliegenden Berichts sind die Konsultationen und vor allem die Dis-kussionen von besonderem Interesse.

DAS ANGEBOT »KONSULTATIONEN« 1.2.1

Mit dem Angebot wurde einer der 2002 beschlossenen Grundsätze und Mindest-standards für Anhörungen (EU-Kommission 2002a) verwirklicht, nämlich die Ein-richtung einer einzigen Anlaufstelle für Konsultationen der EU. (Zudem wurde dieInternetdatenbank »Consultation, the European Commission and Civil Society«[CONECCS] eingerichtet.) Auf der Startseite erhält man Zugang zu laufenden so-wie zu den Archiven abgeschlossener Konsultationen, die nach Einschätzung derVerantwortlichen für eine breitere Öffentlichkeit von Interesse sind. Des Weiterenkann man mit Hilfe einer Themenliste weitere Seiten (zu spezifischen Politikfeldern)auffinden. Bei einigen Konsultationen werden Links sowohl zu Onlineumfragen alsauch zu Seiten mit weiterführenden Informationen sowie Brief- und E-Mail-Kon-taktadressen (für die Einreichung schriftlicher Beiträge) bereitgestellt. Zu anderenKonsultationen finden sich lediglich Links zu Onlineumfragen (zum Teil mit Frei-feldern). Die Ergebnisse der abgeschlossenen Konsultationen werden in Form vonknappen Resümees, durch die Bereitstellung der Umfrageergebnisse oder mittelseines ausführlichen Ergebnisberichts veröffentlicht.

Eine aktuelle Studie zu ISE (ITA 2005) kam – auf Basis von sechs Experteninter-views – bezüglich der Relevanz des Angebots für die Politikgestaltung der EU zufolgenden Ergebnissen:

> Die Onlinekonsultationen sind keine geeigneten Beteiligungsinstrumente fürbreite Beratschlagungsprozesse, da der Zugang zu ihnen sowohl eine hohe Sach-kompetenz als auch eine Einbindung in bestimmte Netzwerke voraussetzt. DasAngebot ist in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt.

> Sie können gleichwohl eine wichtige Funktion bei der Generierung und Nutzungvon Expertennetzwerken spielen.

> Die Vertrauensbeziehungen zwischen den Teilnehmern und den EU-Repräsen-tanten werden gestärkt.

> Die Beiträge weisen ein hohes Maß an Sachkompetenz aus und bieten wertvolleInputs für die Politikgestaltung.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Onlinekonsultationen kämen aber nur als ergänzende Maßnahmen zu anderenBeteiligungsformen in Frage. Ihr Vorteil liege vor allem darin, dass durch Online-befragungen schnell eine relativ große Zahl von europäischen »Stakeholdern« ein-bezogen werden kann. Das vorrangige Problem sei die mangelnde Transparenz beimUmgang mit den Ergebnissen und beim Feedback zu deren Relevanz für die Ent-scheidungsprozesse. Zudem wird von den befragten Experten die fehlende rechtli-che Einbettung von Onlinekonsultationen bemängelt. Durch diese Probleme seienihr Zweck und Mehrwert fraglich. Im Rahmen der Konsultationen bestanden keineMöglichkeiten zur Onlinediskussion.

DAS ANGEBOT »DISKUSSIONEN« 1.2.2

Das inzwischen weitgehend inaktive Angebot zu Diskussionen ist in drei Rubrikenunterteilt: Debatten, Chats und Spezifische Foren. Der derzeitige Zustand und Auf-bau spiegeln zwar noch die ursprünglichen, ambitionierten Absichten wider, wirkenaber mittlerweile wie ein nicht gepflegtes, historisches Anhängsel zu den anderenTeilen von ISE. Die zuletzt genannte Rubrik enthält fast nur Links zu nicht mehrvorhandenen (und dabei nicht archivierten) Angeboten. Die einzige Ausnahme, eineMailingliste zu Fragen der öffentlichen Beschaffung, hat einen geringen Umfang unddient vor allem der Verbreitung aktueller Informationen. Die Rubrik Chats enthältzwei Links, einen zu einem einzelnen Chat vom Oktober 2003 und einen zweitenzu dem Angebot »Europa Chats«. Dort fanden sich im April 2005 keine Hinweiseauf kommende Chats, aber eine Liste mit den Transkripten von 28 Chats (aus denJahren 1998 bis 2004) mit Politikern der Kommission, wobei jeweils nur ein Chataus den Jahren 2003 und 2004 aufzufinden war. Die Transkripte werden zum Teilin verschiedenen Sprachen angeboten. Einige liegen lediglich als (schwer zugäng-liche) Rohfassungen vor, andere sind nach Fragen und Antworten – oder zudemnoch nach Themenbereichen – geordnet.

Die Rubrik Debatten besteht ausschließlich aus einem Link zum interinstitutionel-len Angebot »Futurum«11 der EU, das nach Beendigung der Arbeiten am Europäi-schen Verfassungsvertrag eingestellt wurde. Ein Archiv der »Diskussionsecke« istvorhanden, mit einer Vielzahl von Foren zu verschiedenen Themen rund um die Ar-beit an der Europäischen Verfassung und andere Themen zur Zukunft der EU. »Fu-turum« war als ein Informations- und Dialogangebot konzipiert und sollte ur-sprünglich eine zentrale Rolle in der Debatte über die »Zukunft Europas« spielen(EU-Kommission 2001c).

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1. DIGITALE DEMOKRATIE AUF EUROPÄISCHER EBENE

11 Siehe http://europa.eu.int/constitution/futurum/index_en.htm. In dem Angebot ging das vorhe-rige Onlineangebot zum »Dialog über Europa« (2000) auf.

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ZUR ANALYSE UND EINSCHÄTZUNG DES DISKUSSIONSANGEBOTSAUF »FUTURUM« (2001–2004) 1.2.3

In der bereits erwähnten aktuellen Studie des österreichischen Instituts für Technik-folgen-Abschätzung (ITA 2005), durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Zentrumfür Soziale Innovation, wurde auch untersucht, inwieweit die Foren auf »Futurum«Orte öffentlicher Deliberation waren (zum Folgenden auch Hart/Pflüger 2004;Winkler/Kozeluh 2005; Winter/Groinig 2004; Wodak/Wright 2005a u. b; Wright2005a u. b).

Das dabei zugrunde gelegte Verständnis von Deliberation entspricht der Konzep-tion einer partizipativ und deliberativ ausgerichteten repräsentativen Demokratie(Kap. III und Kettner 2004), in der einer aktiven politischen Öffentlichkeit und demAustausch rationaler Argumente zentrale Bedeutung beigemessen wird. Dement-sprechend wurde in der quantitativen Inhaltsanalyse (626 Beiträge von 225 Per-sonen aus 702 Unterthemen zweier Einzelforen) die deliberative Qualität derDiskussionen auf »Futurum« anhand der Kernvariablen »Interaktivität« und»Rationalität« untersucht.

Zu den Rahmenbedingungen ist zu erwähnen, dass die Teilnehmer die Diskussions-themen zur Zukunft Europas frei wählen konnten, sich dabei aber an den Themender Erklärung von Laeken orientieren sollten. Verboten waren strafbare, diskrimi-nierende, beleidigende, nazistische, proterroristische und andere extreme politischeÄußerungen. Allerdings soll nach Auskunft eines Verantwortlichen nur ein kleinerTeil der Beiträge tatsächlich inhaltlich geprüft worden sein (Wodak/Wright 2005a).

Wie in Internetdiskussionen (Winkler, Kozeluh 2005) und Diskussionen überhaupt(Trénel 2004) üblich, verteilten sich die Beiträge sehr unterschiedlich auf die Teil-nehmer: Ungefähr ein Zehntel der Diskutanten steuerte ca. die Hälfte aller unter-suchten Beiträge bei. In 95 % der Fälle war Englisch die vorherrschende Sprache,wobei einige Teilnehmer – zumeist ohne Erfolg – versuchten, in ihrer jeweiligenMuttersprache zu diskutieren.

Zur Interaktivität wurde festgestellt, dass in 89 % der untersuchten Beiträge inhalt-lich auf andere Beiträge Bezug genommen wurde. Dieses Ergebnis lässt auf ein hohesInteresse der Teilnehmer an einem kommunikativen Austausch schließen (s.a.Wright 2005b). Allerdings fand fast ein Drittel der erfassten Grundgesamtheit vonUnterthemen keinen Anklang bei anderen Nutzern.

Zur Rationalität der Diskussionen wurde in der Untersuchung des ITA festgestellt,dass mehr als zwei Drittel der Beiträge sehr gut nachvollziehbare Argumentationenaufwiesen. Die Untersuchungsergebnisse insgesamt ließen den Schluss zu, dass einedeutliche Mehrheit der Diskutanten ein starkes Interesse an ernsthafter Diskussion

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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hatte: Konfrontativ angelegte Beiträge – bei denen eindeutig eine zustimmende oderablehnende Haltung zum Standpunkt eines anderen Teilnehmers eingenommenwurde – machen demnach nur etwas mehr als ein Zehntel der gesamten untersuch-ten Beiträge aus. In ungefähr einem Drittel aller Beiträge war die Darstellung ver-schiedener Positionen zum Thema »sehr ausgewogen« – unterschiedliche Positionenwurden sachlich wiedergegeben. Etwa 40 % aller Beiträge wiesen eine gute Argu-mentation (im Sinne der Unterlegung der eigenen Meinung mit fundierten Gründen)auf. Emotionalität und Ironie, deren Abträglichkeit für Deliberation in der For-schung kontrovers diskutiert wird, spielten in den untersuchten Diskussionen keinegroße Rolle.

Die Studie (ITA 2005) kommt zu dem Schluss, dass auf »Futurum« – im Gegensatzzu anderen Internetforen – sehr rationale Diskussionen geführt wurden. Des Weite-ren lasse die Themenauswahl den Schluss zu, dass es sich zumindest bei den beson-ders aktiven Teilnehmern um einen Personenkreis mit weitreichenden Kenntnissenzur Politik der EU handelte (s.a. Wright 2005b). Dieser Personenkreis hatte auchdas stärkste Interesse an einem intensiven kommunikativen Austausch. Die Unter-suchungsergebnisse zeigten also, dass die Foren auf »Futurum« als Orte politischerDeliberation genutzt – und wie aus einigen Beiträgen deutlich wird (Winkler/Koze-luh 2005) – auch geschätzt wurden.

Andere Studien zu »Futurum« und dem Onlinedialogangebot der EU (Wodak/Wright 2005a u. b) weisen darauf hin, dass von einer deutlichen männlichen Domi-nanz in den »Futurum»foren auszugehen ist und zudem von der Nutzung der eng-lischen Sprache als Lingua Franca (mit ca. 80 % aller Beiträge) – während nurknapp zwei Prozent in Deutsch waren. Einige Nutzer stellten allerdings selbstmehrsprachige Beiträge ein. Eine Dominanz weniger Länder konnte nicht festgestelltwerden. Die qualitative Inhaltsanalyse zu einer Einzeldiskussion (Wodak/Wright2005a u. b) ergab, dass bei dieser eine transnationale politische Onlinedeliberationstattgefunden hatte – indem eine anfangs polemische, an nationalen Unterschiedenfestgemachte Debatte sich in einen konstruktiven und respektvollen Austausch überSachfragen verwandelte.

Von Seiten der EU wurde keine wissenschaftliche oder politische Nachbetrachtungzur Nutzung des Forenangebots auf »Futurum« und seiner Resultate veröffentlicht.Unbekannt ist, ob – wie angekündigt – Ergebnisse der Diskussionen in Prozesse derEU-Politikgestaltung eingeflossen sind. Ein mit dem Forum befasster EU-Mitarbei-ter äußerte jedoch (Wodak/Wright 2005a), dass die Diskussionen in keiner Weisepolitisch analysiert oder genutzt wurden und zudem als ein nur peripherer Teil derbreiteren öffentlichen Debatte zur Zukunft der EU angesehen worden seien. Zu-sammenfassungen der Beiträge wurden – entgegen den ursprünglichen Intentionen

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(EU-Kommission 2001c) – nicht angefertigt – erklärtermaßen aufgrund mangelnderRessourcen und aus Gründen politischer Neutralität (Hart/Pflüger 2004).

Es nahmen aber u.a. drei EU-Spitzenpolitiker (ein amtierender Ratspräsident, einKommissar und die Parlamentspräsidentin) zu ausgesuchten Nutzerbeiträgen Stel-lung. Dies erfolgte in drei Einzelforen, die von »Mitteilungen« dieser Politiker zubestimmten Themen eingeleitet wurden. Die EU-Spitzenpolitiker antworteten in Ich-Form – bzw. ließen von Mitarbeitern entsprechende Beiträge verfassen –, wobei sichjeweils auf eine Reihe von Nutzerbeiträgen bezogen wurde. Solche »Reaktionen«geschahen ein- oder dreimal im Verlauf des Forums und jeweils noch einmal ineinem Fazit zum Abschluss.

Während also vieles dafür spricht, dass es sich bei den »Futurum«-Diskussionen umein bemerkenswertes Beispiel für eine transnationale bürgerschaftliche Debatte überEuropa handelt, ist – trotz gewisser Ansätze in dieser Richtung – fraglich, ob dasAngebot einen politischen Austausch zwischen der EU und einzelnen Bürgern odergenerell eine Bürgerbeteiligung ermöglichte, die für den Prozess der EU-Politik-gestaltung von Belang waren.

Im Rückblick bewertet die Kommission »Futurum« (EU-Kommission 2004) durch-aus positiv und verweist dabei auf die Zahl von 170 Organisationen, die Vorschlägezum Verfassungsentwurf einreichten, und die ca. 16.000 – bzw. nach einer anderenQuelle über 18.700 (Wodak/Wright 2005a) – Beiträge, die in den Diskussionsforenauf »Futurum« zwischen 2002 und 2004 gemacht wurden. Nimmt man die Ab-sichtserklärungen im Weißbuch zum Maßstab, erscheint das »Futurum«-Angebotallerdings als ein singuläres Beispiel für (überwiegend) »gute Praxis«, weshalb sichfesthalten lässt, dass während der Amtszeit der letzten Kommission die anfangs an-visierten Ziele zur Nutzung des Internets für den Dialog mit Bürgern nicht erreichtworden sind.

»IHRE STIMME IN EUROPA« ALS BEISPIEL FÜR »INTERAKTIVEPOLITIKGESTALTUNG«? 1.2.4

Das Angebot ISE entspricht den programmatischen Anstrengungen der EU zurStärkung der »partizipativen Demokratie« nur sehr bedingt.

Durch die Einrichtung des zentralen Portals zu den Konsultationen der EU wurdeeine der Voraussetzungen des Konzepts »interaktive Politikgestaltung« erfüllt. DasAngebot erfüllt jedoch im Wesentlichen den Zweck, Fachöffentlichkeiten besser indie Politikgestaltung der EU einzubeziehen, und nutzt dabei keine öffentlichenOnlinediskussionen. Gleichwohl erhöht die – allerdings uneinheitliche – Praxis derVeröffentlichung der Anhörungsergebnisse die Transparenz dieser Verfahren sowie

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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der Arbeit von Expertennetzwerken. Dadurch wird ein Beitrag zur politischenNetzöffentlichkeit geleistet.

Das Chatangebot, das über ISE zu erreichen ist, hatte seinen Höhepunkt in denJahren 2000 bis 2002. Andere Links, z.B. zu Mailinglisten, funktionieren nicht mehroder führen zu offensichtlich seit längerem nicht mehr genutzten Angeboten. DieOnlineforen des interinstitutionellen Angebots »Futurum«, auf das von ISE ausverwiesen wurde, sind ebenfalls nicht mehr aktiv. Die angekündigte Integration vonDiskussionsforen in das Nachfolgeangebot zu »Futurum« (z.B. Hart/Pflüger 2004),einer Website zum Verfassungsvertrag, hat bisher nicht stattgefunden.

Während man hinsichtlich der Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaftdurch das Internet ein kontinuierliches und im Großen und Ganzen konsequentespolitisches Handeln konstatieren kann, waren die bisherigen Aktivitäten zumOnlinedialog mit den Bürgern peripher, für die Politikgestaltung irrelevant unddiskontinuierlich. Nimmt man ISE zum Maßstab, stellt sich somit das Verhältnisvon Anspruch und Wirklichkeit der »partizipativen Demokratie« auf EU-Ebene alsambivalent dar. (Von nicht nur wissenschaftlichem Interesse wäre eine Nutzer- undWirkungsanalyse des Gesamtangebots und speziell der Foren auf »Futurum«.) Esbleibt abzuwarten, ob an die durchaus vorhandenen positiven Erfahrungen mit denverschiedenen Instrumenten des Onlinedialogs in der Zukunft angeknüpft wird, undob es dabei – von Seiten der Politik und der Verwaltung – auch zu verstärktenBemühungen in Richtung eines Austauschs mit den Bürgern kommt. Allerdingsbestehen derzeit offenkundig keine Pläne für eine Wiederaufnahme der Politik zurFörderung von Onlinedeliberation im zentralen Webangebot der EU.

EIN NEUER TREND IN DER INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSSTRATEGIE DER EU? 1.3

In jüngster Zeit ist die Informations- und Kommunikationsstrategie der EU nochweiter in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, bedingt wahrscheinlich durch diesich abzeichnenden Akzeptanzprobleme des Verfassungsvertrags und neuer Erwei-terungsrunden: Die vormalige Umweltkommissarin Margaret Wallström bekleidetin der Kommission seit Spätsommer 2004 das neu eingerichtete Amt des Kom-missars für »Institutionelle Beziehungen und Kommunikationsstrategie« und istzugleich Vizepräsidentin der Kommission. Mit der Einrichtung des Amts wurdeauch auf die wachsende Kritik innerhalb der EU-Institutionen an der Öffentlich-keitsarbeit der Kommission reagiert. Insbesondere vom Parlament wird daraufgedrängt, die Probleme im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit zügig anzugehen,wobei es im Internetbereich vor allem darauf ankomme, dessen sprachliche Vielfalt

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zu vergrößern. Für Juni 2005 wurde eine Mitteilung der Kommission über eineerneuerte Informations- und Kommunikationsstrategie angekündigt.

Wallström betonte im Rahmen der öffentlichen Anhörung der designierten Kom-missare im Europaparlament (30.09.2004), dass sie sich dem Ziel einer »wahrhaftpartizipatorischen Demokratie« verpflichtet fühle. Es sei essenziell, weniger zu undmehr mit den Bürgern zu sprechen. Man müsse sich stärker auf einen Dialog ein-lassen, die Beziehungen zu den Bürgern wieder stärken (»reconnect to people«) unddiesen zuhören. Die neue Kommunikationsstrategie sei darauf ausgerichtet, früh-zeitige Bürgerbeteiligung bei der Arbeit an Vorschlägen der Kommission zu ermög-lichen. Des Weiteren solle die organisierte europäische Zivilgesellschaft noch besserunterstützt werden und am Prozess der Schaffung einer europäischen Öffentlichkeitstärker beteiligt werden. Eine Voraussetzung für eine »wahrhaft partizipatorischeDemokratie« der EU sei der Ausbau der »demokratischen Infrastruktur«, insbe-sondere durch die Förderung transeuropäischer Netzwerke für eine Diskussion»von unten nach oben«.

In der Debatte über die Informations- und Kommunikationsstrategie spielt dieWebpräsenz jedoch keine zentrale Rolle und Onlinediskussionsangebote werden nurvereinzelt erwähnt. Auf die weitreichenden Hoffnungen in Bezug auf die inter-aktiven Möglichkeiten netzbasierter Kommunikation wird zwar gelegentlich nochverwiesen, die anvisierten Ziele (wie insbesondere die Ansprache bestimmter Ziel-gruppen) sind aber eher vage formuliert. Als Gründe für die langsame Entwicklungbei den Webangeboten werden in der Diskussion vor allem eine unzureichendeMittelbereitstellung durch die verschiedenen Generaldirektionen sowie fehlendesEngagement der Mitgliedstaaten genannt.

Eine Ausnahme bilden in diesem Zusammenhang lediglich Aktivitäten der zustän-digen Kommissarin selbst, auf die allerdings auf dem zentralen Portal »Your Voicein Europe« nicht verwiesen wird: Margot Wallström hat sich nicht nur an Chats mitJugendlichen beteiligt, sondern bemerkenswerter Weise auch ein eigenes Weblog12

einrichten lassen.

Das Anfang 2005 gestartete Weblog soll über die gesamte Amtszeit der Kommissarinlang bestehen bleiben und einen Einblick in ihre Arbeit und eine Innensicht der EUbieten. Das Blog ist mit bisher wöchentlich mindestens einem Beitrag recht aktuell,zum Teil auch betont persönlich gehalten (z.B. mit Aussagen zum nicht realisiertenKinderwunsch der Kommissarin und zu ihren Figurproblemen) und bietet denLesern die Möglichkeit der Kommentierung. Wallström legt dabei Wert auf die Fest-stellung, dass sie alle ihre Beiträge selbst verfasst, was das Angebot von vielen ande-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

12 http://weblog.jrc.cec.eu.int/page/wallstrom

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ren Politiker-Weblogs unterscheide. Angesichts dessen ist es bemerkenswert, dass inihren Beiträgen zum Teil sehr explizit zu politischen Fragen Stellung genommenwird wie z.B. in einer Passage, in der sie ihre Abneigung gegen den derzeitigen US-Präsidenten deutlich macht.13 Bemerkenswert an dem Weblog ist zudem, dass

> mit ihm ein Angebot gemacht wurde, das sich explizit auch an die politischeBloggerszene richtet,

> in ihm zum ersten Mal zu den um die Jahrhundertwende anvisierten politischenDiskussionen zwischen EU-Verwaltungsmitarbeitern und Bürgern gekommen ist,

> in den Beiträgen Wallströms auf Teilnehmerbeiträge immerhin vereinzelt reagiertwurde,

> diese Ansätze zu einem Onlinedialog zwischen EU und einzelnen Bürgern durcheine – von beiden Seiten (einschließlich der Moderation) – überwiegend starkkonfrontativ bis polemisch geführte Auseinandersetzung geprägt sind, undschließlich

> sich im Kommentarbereich eine Art »Onlinecommunity« gebildet hat, die an-scheinend zu einem großen Teil von (vor allem britischen) »EU-Skeptikern« und-Gegnern gebildet wird.

Aussagen der Kommissarin und des Sprechers der Kommission bieten Anhalts-punkte für die Annahme, dass das Weblog gleichsam ein Testballon für eine neueInformations- und Kommunikationsstrategie ist, bei der auf »Human Touch« ge-setzt wird, auf eine Personalisierung der Politik der EU, die von vielen Bürgern alsanonyme, unbekannte Macht angesehen wird.

Unzweifelhaft handelt es sich bei einem einzelnen, unaufwändig zu betreibendenWeblog aber nicht um ein Angebot, das den am Anfang des Jahrzehnts proklamier-ten Zielen einer umfassenden Stimulierung bürgerschaftlicher Onlinedeliberationund eines intensiven Onlinedialogs zwischen Kommission und Bürgern Genüge tut.Zum derzeitigen Zeitpunkt ist somit nicht abzusehen, wie mit dem offensichtlichenAuseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit in diesem Bereich in Zukunftumgegangen werden soll. Es hat allerdings den Anschein, dass der Weg bevorzugtwird, die Kluft durch eine Relativierung der weitreichenden Zielsetzungen zu re-duzieren. Wenn der – früher fast als »Allheilmittel« geltende – Onlinedialog aberkeine wichtige Rolle mehr spielen soll, stellt sich die Frage, wie dann die Entwick-lung einer »partizipativen Demokratie« und europäischer Öffentlichkeit voranzu-treiben wäre.

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1. DIGITALE DEMOKRATIE AUF EUROPÄISCHER EBENE

13 Im Beitrag heißt es: »For those leaders who believe they act on a call ‘from beyond the stars’ Irecall a prayer with a sentence like this: ‘I also pray for those that I don’t like [...]’. The worstis that so many of those who talk about God are so distanced from the message of love.« Siehedazu die Ansprache George W. Bushs unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2005/01/20050119-15.html.

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DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UNDGROßBRITANNIEN 2.

Regierungsaktivitäten zur digitalen Demokratie stehen oft im Kontext umfassenderE-Government-Initiativen, bei denen E-Demokratie nur ein untergeordneter oderrandständiger Aspekt ist.14 Dennoch sind Regierungen in der Regel die staatlichenHauptakteure der E-Demokratie-Politik und prägen diese in stärkerem Maße alsParlamente. Um die spezifischen Beiträge von Parlamenten zur digitalen Demokratiezu bezeichnen, bietet sich der – allerdings noch nicht etablierte – Begriff »E-Parla-ment« (Fühles-Ubach 2005a) an.

In Großbritannien und Deutschland sind die Aktivitäten im Bereich E-Parlament be-reits relativ weit fortgeschritten. Das gleiche gilt für den Bereich des E-Government,wobei in Bezug auf die deutschen Regierungsangebote oft ein Schwerpunkt auf denadministrativen Elementen des E-Government (»E-Administration«) und eine Ver-nachlässigung der E-Demokratie konstatiert werden.15 Internationale Vergleichs-studien kommen z.B. zu dem Ergebnis, dass Großbritannien seine insgesamtführende Position im Bereich E-Government auch seinen Angeboten zur bürger-schaftlichen E-Partizipation verdanke, Deutschland hingegen hier abfalle (UN 2003u. 2004).

In einer neueren Studie (Fühles-Ubach 2005a) wird dementsprechend geurteilt, dassin Deutschland keine strategische Grundlinie in Bezug auf E-Demokratie zu erkennensei, was sowohl die Angebote der Bundesregierung als auch die des DeutschenBundestages betreffe. Im Gegensatz dazu hätten Regierung und Parlament im Ver-einigten Königreich durch den Ausbau von Onlineanhörungen eine klare Schwer-punktsetzung im Bereich E-Demokratie vorgenommen und dadurch diese auf natio-naler Ebene etabliert. Hinzu kämen Unterschiede bei der Internetnutzung durcheinzelne Parlamentarier (Kap. IV.3.1) und bei bürgerschaftlichen Initiativen zumThema E-Parlament (Kap. IV.2.2).

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

14 Im Folgenden wird – entsprechend der in den Dokumenten vorherrschenden Terminologie – derAusdruck »E-Demokratie« zur Bezeichnung des staatlichen Angebots zur bürgerschaftlichen E-Partizipation verwendet. Mit dem Ausdruck »digitale Demokratie« (Kap. III) wird hingegenauch auf die politische Internetnutzung durch nicht staatliche Akteure abgezielt. Als »E-Govern-ment« wird allgemein die Internetnutzung durch die Exekutive bezeichnet.

15 Angesichts dieser Schwerpunktsetzung wurde von der Bertelsmann-Stiftung das Konzept des»Balanced E-Government« vorgeschlagen: Neue Technologien sollen demnach nicht nur zurSteigerung der Effizienz und Erhöhung der Servicequalität genutzt werden, sondern auch zurVerbesserung des Zusammenspiels zwischen Bürger und Staat im Dienste einer neuen Bürgerge-sellschaft. Bei derartigen Unterscheidungen tritt in den Hintergrund, dass Onlinediskussionen(z.B. in Expertenforen) gerade auch mit dem Ziel der Effizienzsteigerung eingesetzt werden.

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Der Diagnose, dass in Großbritannien – durch die Schwerpunktsetzung auf dasAnhörungswesen – ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der E-Demokratie geleis-tet wurde, ist im Kern zuzustimmen. Im Folgenden soll aber aufgezeigt werden, dasssich die Situation in Deutschland differenzierter darstellt, als es die bündigeEinschätzung in dem erwähnten Aufsatz nahe legt. Im Rahmen dieses Kapitels kannjedoch die staatliche E-Demokratie-Politik (oder gar die digitale Demokratie insge-samt) in beiden Ländern nicht systematisch verglichen werden. Die Ausführungensollen lediglich dazu dienen, durch eine Gegenüberstellung von Programmen,Akteuren und Praxisbeispielen zu vertieften Erkenntnissen zur Thematik und zuspezifischen Anregungen in Bezug auf die Rolle des Deutschen Bundestages in derdigitalen Demokratie zu kommen. Dabei ist zu beachten, dass – ähnlich wie auf EU-Ebene – in Großbritannien die politisch-öffentliche Diskussion über Defizite derparlamentarischen repräsentativen Demokratie intensiver als in Deutschland ge-führt wird. Ebenfalls ein Unterschied zu Deutschland ist die Tatsache, dass die neu-en britischen Parlamente (und insbesondere das schottische Parlament) in gewisserHinsicht als Avantgarde der E-Demokratie agieren. Ein gemeinsamer Hintergrundder hiesigen und dortigen Aktivitäten ist der Umschlag von Interneteuphorie inErnüchterung – und bisweilen überzogenem Pessimismus –, im Anschluss an dieKrise der Internetwirtschaft. In beiden Ländern gibt es auch eine Reihe von Wechsel-wirkungen und Überschneidungsbereichen zwischen gesellschaftlichen Initiativenzur digitalen Demokratie und staatlicher Politik (Kap. IV.2.2).

REGIERUNGSPROGRAMME UND -AKTIVITÄTEN 2.1

Sowohl die britische als auch die deutsche E-Demokratie-Strategie orientiert sich anden Leitbildern eines »aktivierenden Staats« und einer »aktiven Zivilgesellschaft«.Einem wirtschafts- und sozialpolitisch »schlankeren« Staat wurde die Aufgabe zu-gewiesen, verstärkt als Mediator in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aufzu-treten, auf die Bürgerschaft aktivierend und befähigend (»enabling«) einzuwirkensowie Anregungen zivilgesellschaftlicher Gruppen und der Bürger in der Politik-gestaltung aufzunehmen. E-Demokratie wurde dementsprechend vor allem als einElement moderner »Governance« betrachtet. Andere europäische Regierungenhaben in den letzten zehn Jahren ähnliche Auffassungen vertreten, legten denSchwerpunkt ihrer E-Demokratie-Politik zum Teil aber – wie z.B. im Fall der italie-nischen Regierung Berlusconi und der spanischen Regierung Aznar – explizit stär-ker auf E-Partizipation unterhalb der nationalen Ebene, also auf deren Einsatz zurStärkung von Regionen und Kommunen gegenüber der Zentralregierung. Zu-mindest de facto ist aber in Europa – und darüber hinaus – die lokale Ebene ein zen-trales Handlungsfeld staatlicher Förderung digitaler Demokratie und die Netznut-

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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zung für ein verstärktes bürgerschaftliches Engagement erklärtermaßen ein zentra-les Anliegen.

Die augenfälligsten Unterschiede in den programmatischen Aktivitäten der britischenund der deutschen Regierung zur E-Demokratie sind der weit größere Umfang die-ser Aktivitäten in Großbritannien und deren aktivere Vermittlung in der Öffent-lichkeit. Die Gründe dafür dürften – neben den Besonderheiten in der allgemeinenInternetpolitik – vor allem auch in Spezifika des politischen Systems zu suchen sein:Die Regierung hat in Großbritannien eine relativ gesehen sehr starke Stellung ge-genüber dem Parlament. Sie übt (insbesondere über das Amt des »Leader of theHouse«) Einfluss auf dessen Tagesordnung aus und dominiert den Gesetzgebungs-prozess. In Großbritannien – einem typischen Mehrheits- und Konkurrenzdemo-kratie parlamentarischen und (zumindest bis vor kurzem) zentralistischen Typs –bieten sich der parlamentarischen Opposition und regionalpolitischen Akteurenrelativ wenige Möglichkeiten zur Mitgestaltung der nationalen Politik. Das Parla-ment als Ganzes gesehen erscheint oft als bloßer Erfüllungsgehilfe bei der Durch-setzung der Regierungspolitik. Positiv betrachtet kann in Großbritannien die Regie-rung ihre politische Agenda weitgehend unverwässert durch verhandlungsdemokra-tische Elemente durchsetzen, was die Transparenz politischer Verantwortlichkeitenund die Durchsetzungschancen von Regierungsinitiativen erhöht. In der Ausarbei-tung und Bekanntmachung der nationalen E-Demokratie-Strategie spielte dieseKonstellation eine wichtige Rolle.

BRITISCHE REGIERUNG 2.1.1

Bereits in der Endphase der konservativen Major-Regierung gab es im VereinigtenKönigreich international vorbildhafte Angebote zur bürgerschaftlichen Beteiligungan Onlineanhörungen und zur Onlinedeliberation (Coleman 1999; Needham2004). Des Weiteren wurde durch die neue Praxis der Veröffentlichung von Gesetzes-entwürfen der Regierung – mit dem Zweck sie vom Parlament vorab prüfen zulassen (»pre-legislative scrutiny«) – auch die Möglichkeit eröffnet, dass das Parla-ment Bürger an dieser Prüfung beteiligt.

Die Blair-Regierung bekundete von Anfang ihrer Regierungszeit an (Mai 1997)großes Interesse an dem Thema »e-democracy« und verfolgt ein ambitioniertes E-Demokratie-Programm, von dem wichtige, auch international wirksame Impulsefür die Weiterentwicklung digitaler Demokratie ausgingen. Experimente mit netz-öffentlicher C2G-Kommunikation erfolgten z.B. im Dezember 1997 (durch einOnlineforum) in einer Konsultation zu einem Regierungsentwurf für ein Informa-tionsfreiheitsgesetz (Needham 2004) und (in Form von Onlineforen zu speziellenThemen und einer »Speaker’s Corner« für allgemeine Meinungsbekundungen; vgl.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Wright 2005a) auf der Website des Regierungschefs (www.number-10.gov.uk).Trotz anderslautender Absichtsbekundungen spielte die Nutzung von Onlineforenaber eine periphere Rolle im Rahmen des zügig ausgebauten Angebots zu Online-konsultationen (Needham 2004) und das viel genutzte Diskussionsangebot auf derSeite des Premierministers litt unter umstrittenen Moderationsmaßnahmen undeiner großen Zahl inakzeptabler Beiträge (Wright 2005a).

Das E-Demokratie-Programm insgesamt wurde im Rahmen einer umfassendennationalen Internetinitiative entwickelt. Diese Initiative ging von der Feststellungeines erheblichen Nachholbedarfs des Königreichs in diesem Bereich aus und führteu.a. zur Einrichtung neuer Regierungsämter zur Förderung von E-Government, E-Commerce und der Internetnutzung allgemein (wie z.B. das Amt des e-Envoy,einem Internetbeauftragten). Im September 2003 wurden die Kompetenzen imBereich der staatlichen Internetnutzung in einer »e-Government Unit« gebündelt.Diese Einrichtung übernahm im Jahr 2004 auch die Kompetenzen des Amts des »e-Envoy«. Der Förderung der E-Demokratie wurde durchgängig – auch nach demEnde der »Interneteuphorie« – eine wichtige Rolle im Rahmen der nationalen E-Government-Strategie zugesprochen.

Ausgangspunkt war die Feststellung eines Demokratiedefizits, festgemacht an nied-rigen Wahlbeteiligungen und sinkenden Mitgliederzahlen politischer Parteien (Ale-xander 2001; Waller et al. 2001): Angesichts dieses Defizits sollten neue Kanäle fürdie Beziehungen zwischen Regierung, Parlamentariern und Bürgern eröffnet werdenund letztere über den Wahlakt hinaus vielfältige Möglichkeiten der politischen Par-tizipation erhalten.

Einen starken Schub erhielt die britische E-Demokratie-Politik durch das Entsetzenüber das hohe Maß an Wahlabstinenz junger Menschen bei den nationalen Wahlen2001 sowie durch die Ernennung des vormaligen Außenministers Robin Cook zum»Leader of the House«, der sich das Thema E-Demokratie stark zu eigen machte(Needham 2004). Der »Leader of the House« ist Kabinettsmitglied und dabei zu-ständig für die Organisation der parlamentarischen Befassung mit Regierungsange-legenheiten, wie vor allem von der Regierung eingebrachte Gesetzesentwürfe undministerielle Erklärungen. Diese Regierungsangelegenheiten beanspruchen einengroßen Teil der Arbeitszeit des Parlaments. Cook war auch Vorsitzender des »SelectCommittee on Modernisation of the House of Commons«, eines Modernisierungs-ausschusses des Unterhauses, sowie des »Cabinet Committee on e-democracy«,eines Regierungsausschusses für E-Demokratie, der im November 2001 vomPremierminister eingerichtet wurde. Durch diese Konstellation wurde es erleichtert,die nationale Strategie zur E-Demokratie koordiniert weiter zu entwickeln.

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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»IN THE SERVICE OF DEMOCRACY«

Im Juli 2002 veröffentlichte die Regierung das Papier »In the Service of Demo-cracy« (Office of the e-Envoy 2002), in dem sie ihre programmatischen Vorstellun-gen und Umsetzungsideen zur E-Demokratie noch einmal bekräftigte und ausführ-lich darlegte. Die Veröffentlichung war verbunden mit einer Anhörung zu diesemProgramm (einschließlich eines Onlinediskussionsforums mit sehr aktiver Modera-tion; vgl. Wright 2005a), die bis Oktober 2002 lief und in der interessierte Bürgerauch auf eine Reihe von Anhörungsfragen reagieren konnten, die in dem Papieraufgelistet waren. Des Weiteren ließ die Regierung das bis heute bestehende Online-angebot www.edemocracy.gov.uk einrichten.

In Bezug auf die Interaktion zwischen Bürgern und Regierung werden in demPapier – unter Hinweis auf britische und ausländische Projekte sowie auf Posi-tionen der EU – u.a. folgende Auffassungen vertreten:

> Durch Internetnutzung sollten relevante Informationen leichter zugänglich undzudem Anhörungen interaktiver werden. Die Regierung solle nicht erst nachErhalt und Auswertung aller Beiträge reagieren, sondern fallweise durch diezuständigen Mitarbeiter schon vorher.

> Die Kultur von Anhörungen müsse verändert werden, weg von der fast aus-schließlichen Nutzung durch Experten und Interessengruppen, hin zur stärkerenEinbeziehung der allgemeinen Öffentlichkeit und insbesondere von bisher unter-repräsentierten oder absenten Gruppen (und vor allem der überdurchschnittlichstark das Internet nutzenden Jugend).

> Bürger seien an Partizipation nur interessiert, wenn ihre Meinung zählt (im Sinneeiner Kenntnisnahme, Veröffentlichung und Kommentierung). Mindestvoraus-setzung einer Onlineanhörung sei daher, dass alle Beiträge veröffentlicht unddabei durch andere Teilnehmer kommentierbar würden. Ein nächster Schrittwäre die Integration von Onlinediskussionen zwischen Bürgern und den politischVerantwortlichen.

Des Weiteren wird eine Reihe von Einzelmaßnahmen zur Verbesserung des Aus-tauschs zwischen Bürgerschaft und Regierung vorgeschlagen. Demnach sollten z.B.alle Regierungsanhörungen über eine zentrale Website online erreichbar sein (reali-siert im Angebot www.consultations.gov.uk), alle Anhörungen zu Grün- oderWeißbüchern – also zu Gesetzesentwürfen, die noch nicht in den parlamentarischenProzess eingespeist sind – ein moderiertes Diskussionsforum aufweisen, bei allenAnhörungen relevante – und insbesondere auf traditionelle Weise schwer erreich-bare – Gruppen via Internet einbezogen werden, die Angebote von »Citizen Space«neu aufgelegt werden und sich langfristig zu einer weithin bekannten Anlaufstellefür die Partizipation an Politikprozessen entwickeln, Pilotprojekte zum Online-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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dialog zwischen Politik, Bürgern und Unternehmen gestartet und alle relevantenErgebnisse von Anhörungen online veröffentlicht werden.

Zudem wird in dem Papier angeboten, dass die Regierung das Parlament dabeiunterstützt, Gesetzesentwürfe der Regierung verstärkt auch mit Hilfe von Online-anhörungen vorab zu prüfen, unter Einbeziehung der interessierten Öffentlichkeit(»online pre-legislative scrutiny«). Zu diesem Zweck würden mehr Gesetzesent-würfe online zur Verfügung gestellt. Es wird die Hoffnung geäußert, dass Online-konsultationen im Rahmen der Vorabprüfung von Gesetzesentwürfen – sollten siesich als nützlich erweisen – zu einer Standardpraxis parlamentarischer Arbeitwerden. In dem Dokument werden zudem Kriterien für die erfolgreiche Durch-führung von Onlineanhörungen benannt.

Auch wenn einige Ziele dieses Programms – wie vor allem die verstärkte Nutzungvon Onlinediskussionen – bisher nicht oder nur ansatzweise verwirklicht sind, kannfestgehalten werden, dass es sich um einen bemerkenswerten Entwurf einer natio-nalen E-Demokratie-Politik handelt, der für die einschlägige nationale und inter-nationale Debatte eine wichtige Rolle gespielt hat.

AKTUELLE ENTWICKLUNGEN

In der neueren Entwicklung der britischen Regierungsaktivitäten zur E-Partizipationzeichnet sich eine Konzentration auf die lokale Ebene ab. Im Mittelpunkt der laufen-den Arbeit zur E-Demokratie stehen die im September 2003 eingerichtete »Inter-departmental group on e-participation« (IGEP) der Regierung und das neue»National project on local e-democracy«, das nationale Projekt zur Förderung loka-ler E-Demokratie. Das Programm soll für das kommende Jahr mit 500.000 britischenPfund von der Regierung gefördert werden. Der weitere Ausbau der E-Demokratieauf nationaler Ebene ist hingegen etwas in den Hintergrund gerückt, was anschei-nend mit einem relativ hohen Maß an Zufriedenheit mit dem bisher Erreichten zu-sammenhängt. Die Zielsetzungen wirken bescheidener als früher und beschränkensich im Wesentlichen auf die Fortführung und Verbesserung der Onlineanhörungenauf www.consultations.gov.uk, die Intensivierung des interinstitutionellen Erfah-rungsaustauschs, verstärkte Bemühungen um eine Einbeziehung nicht staatlicherAkteure, Überlegungen zur Nutzung partizipativer Möglichkeiten auf dem zentralenAngebot www.direct.gov.uk und die Förderung der Diffusion von E-Partizipations-instrumenten (vgl. auch Waller 2004). Andere Akteure – wie das Parlament, NGOs,Bürgerschaft und Medienorganisationen – hätten wichtige Rollen in der digitalenDemokratie zu spielen und dürften nicht durch Regierungsaktivitäten an den Randgedrängt werden.

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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Onlinediskussionsangebote der Regierung wurden in letzter Zeit vorwiegend imRahmen von Onlinekonsultationen gemacht, u.a. zur EU-Verfassung, zu genetischveränderten Lebensmitteln, zur Rentenpolitik und zu Afrika. Überdies verweist dieRegierung auf Diskussionsangebote Dritter wie z.B. auf www.thesite.org, das sichan Jugendliche richtet. Zum eigenen Diskussionsangebot besteht, soweit ersichtlich,auf keiner der Websites ein zentraler Zugang.

BUNDESREGIERUNG 2.1.2

Trotz durchaus – auch im internationalen Vergleich – beachtenswerter Entwick-lungen in den Bereichen E-Demokratie-Dienstleistungen, Aktivismus und Forschung(Bieber 2004) spielt das Thema E-Demokratie in Deutschland keine zentrale Rolleim politischen Diskurs. Zudem hat sich hier der Umschlag von der Interneteuphoriezur Ernüchterung anscheinend sehr stark ausgewirkt.

In der Zeit um die Jahrhundertwende wurden vom Bundeskanzler (z.B. in seinerRegierungserklärung 1998), weiteren hochrangigen Regierungsvertretern sowiezahlreichen anderen Politikern dem Internet allgemein – und auch der bürgerschaft-lichen E-Partizipation im Besonderen – oft und öffentlichkeitswirksam hohe Be-deutung zugesprochen (Coenen 2000). Das Thema Internet dürfe – so eine Vielzahlvon einflussreichen Akteuren – nicht auf ökonomische Aspekte wie E-Commercereduziert werden, sondern es müssten vor allem auch kulturelle Wandlungsprozessesowie die Chancen für neue Formen bürgerschaftlicher politischer Partizipationverstärkte Beachtung finden.

Die Entwicklung ab 2001 legt gleichwohl die Vermutung nahe, dass die Auswir-kungen der Krise der »New Economy« auch auf den politischen Diskurs über digi-tale Demokratie abgefärbt haben. Vorherrschender Tenor in den selten gewordenenpolitischen Äußerungen zur Thematik war es, die Interneteuphorie zu kritisierenund sich dabei ggf. auch von weitreichenden demokratiepolitischen Hoffnungen zudistanzieren wie sie in den frühen Diskussionen über die politische Internetnutzungverbreitet waren (Kap. III).

Während aber in den Wissenschaften starke Veränderungen in der Ausrichtung desForschungs-Mainstreams den Vorteil haben können, Erkenntnisgewinne in Bezugauf vormals vernachlässigte Fragen zu ermöglichen – ohne dass dabei andere Fragenirrelevant würden –, verursacht eine starke Beeinflussung durch Themenkonjunk-turen im politischen Bereich oft problematische Entwicklungen: Gerade wenn – wiein Deutschland im Fall der E-Demokratie – eine strategisch als relevant einge-schätzte politische Aufgabe in den konkreten politischen Aktivitäten – in diesem Fallder E-Government-Politik – noch nicht verankert ist, kann in Folge einer solchenEntwicklung eine bedenkliche Kluft zwischen politischen Leitbildern und dem

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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praktischen politischen Handeln entstehen.16 Die deutsche Ausprägung diesesDilemmas digitaler Demokratie ist relativ stark, da bisher weder durch Online-konsultationen noch durch ein zentrales Angebot zur Onlinediskussion eine Schwer-punktsetzung erfolgt ist.

So entwickelten sich zwar die Regierungsaktivitäten in diesem Bereich durchausfort – vor allem bei der Förderung kommunaler und nicht staatlicher Projekte(Kap. IV.2.2), aber auch durch die relativ weite Verbreitung von Chats mit Regie-rungspolitikern und die eigene Nutzung von Onlineforen (Kap. IV.2.3), die Kom-munikation der Regierung mit der speziell interessierten Öffentlichkeit (Fachkon-ferenzen, Messen u.ä.) sowie durch die Förderung von Forschungsprojekten (z.B.Wienhöfer et al. 2002). Insgesamt gesehen erweckte die Regierungspolitik zur För-derung der E-Partizipation aber den Eindruck, sie sei nicht nur unzureichend koor-diniert und finanziert, sondern zudem ein äußerst randständiger Bereich politischenHandelns. Im Gegensatz zu den weitreichenden Bekenntnissen zur E-Demokratieund speziell zur Nutzung von Onlineforen, die in verschiedenen Dokumenten ge-macht wurden, stand die geringe Bedeutung, die dem Thema in öffentlichkeitswirk-samen Äußerungen und Aktivitäten von Regierungspolitikern sowie in der Öffent-lichkeitsarbeit der Regierung zukam. Dadurch unterblieb – mit Ausnahme der Chats– auch die in einem (anscheinend chronisch) unterfinanzierten Bereich besonderswichtige Stimulierung zivilgesellschaftlichen und bürgerschaftlichen Engagementssowie des Interesses potenzieller Sponsoren.

Bemerkenswert ist hier die Tatsache, dass die Bundesregierung – im Gegensatz zurEU-Kommission und zur britischen Regierung – die programmatischen Ziel-setzungen in Bezug auf die E-Demokratie nach dem Ende der Interneteuphorie nocheinmal ausgeweitet hat. In dem im Herbst 2003 vorgestellten Aktionsprogramm»Informationsgesellschaft Deutschland 2006« heißt es unter der Überschrift»Partizipation stärken«, dass – parallel zum Ausbau des E-Government – durch»eDemocracy« die »demokratische Beteiligung« verbessert werde: Dem Staat er-öffneten sich hier »neue Wege und Möglichkeiten, Bürgerinnen und Bürger umfas-send zu informieren, mit ihnen zu diskutieren und sie in die Gestaltung von politi-schen Entscheidungen mit einzubeziehen« (BMWA/BMBF 2003, S. 59). Zuwächsean Transparenz, Vertrauen und Akzeptanz seien die Folge, weshalb E-Partizipationals »eine sinnvolle Ergänzung des Systems der repräsentativen Demokratie« geltenkönne.

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

16 Zum Umgang mit Themenkonjunkturen in der – parlamentarischen – Technikfolgen-Abschät-zung zu neuen Medien und Informations- und Kommunikationstechnologien s.a. Coenen(2005).

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Konkretisiert wurde dies in einer Reihe von Ankündigungen. Angestrebt wurdenu.a. (BMWA/BMBF 2003, S. 59 f.):

> eine zentrale Anlaufstelle im Netz für Bürger und Experten, die an Onlineforenund Onlinekonsultationen der Bundesregierung interessiert sind;

> mittelfristig eine Ausweitung der E-Partizipationsangebote;> die Nutzung von Onlineforen zur Diskussion von Gesetzesentwürfen mit Experten

und interessierten Bürgern;> die Onlinediskussion auch hoch kontroverser Themen (wie die Reformvorhaben

der »Agenda 2010«).

Im selben Jahr veröffentlichte das BMI – in Anknüpfung an Aktivitäten innerhalbder OECD (OECD 2003) – einen Leitfaden für die Nutzung von staatlichen Online-foren, in dessen Vorbereitung auch Onlineforen der Bundesverwaltung evaluiertwurden (BMI 2003; s.a. Kap. IV.2.3 u. VI.2).

Die Ankündigungen und Maßnahmen wurden allerdings gegenüber der Öffentlich-keit kaum kommuniziert und sind z.B. auch bei einigen mit dem Internetangebotbefassten Mitarbeitern der Bundesverwaltung nicht bekannt. Zum Hintergrund derAnkündigungen und Maßnahmen gehört ein Beschluss des Deutschen Bundestagesvom 14. März 2002 (zum Antrag »e-Demokratie: Onlinewahlen und weitere Parti-zipationspotenziale der Neuen Medien nutzen« der Regierungsfraktionen vom29. Januar 2002), in dem die Bundesregierung ermutigt wird, vermehrt eigeneErfahrungen mit den Partizipationspotenzialen neuer Medien zu machen, und auf-gefordert wird, einen Bericht zu diesen Potenzialen vorzulegen. Sie solle zudem dieeigenen Webangebote aufmerksam dahingehend beobachten und auswerten, ob diePotenziale in diesen genutzt werden und welche neuen Fragen und Probleme dabeiauftauchen.

AKTUELLE ENTWICKLUNGEN

Eine weitere Evaluation des Onlineforenangebots auf Bundesebene wurde im Früh-jahr 2005 im BMI vorbereitet. Laut Auskunft der Verantwortlichen ist geplant, denaktuellen Stand der Nutzung von Onlineforen in der Bundestagsverwaltung zu er-heben, auf ähnliche Weise wie bei der Evaluation im Jahr 2002. In dem dazu not-wendigen Abstimmungsprozess innerhalb der Bundesregierung werde auch dasVorhaben geprüft, ein zentrales Portal zur bürgerschaftlichen Teilhabe an den Pro-zessen der Modernisierung von Staat und Verwaltung einzurichten. Dieser zentralePunkt der E-Demokratie-Strategie der Bundesregierung wurde von der Bundesregie-rung auch anlässlich einer Antwort auf eine Große Anfrage der FDP-Bundestags-fraktion zum Thema »Umgang mit Bürgeranliegen und Stärkung des Petitionsrechts«von neuem betont. Dort heißt es zur Förderung der demokratischen Teilhabe, dassdiese eine Aufgabe sei, die über die Dauer einer einzigen Wahlperiode hinausweist.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Sie umfasse ein Spektrum, »das von Maßnahmen zur Förderung des Dialogs mit denBürgerinnen und Bürgern sowie der Weiterentwicklung einer bürgerfreundlichen,transparenten öffentlichen Verwaltung bis hin zur Stärkung und Ergänzung poli-tischer Beteiligungsrechte reicht« (Bundesregierung 2005b, S. 2). Bundesregierungund Deutscher Bundestag seien hier grundsätzlich gemeinsam gefordert. Ein Ansatz-punkt in der Bundesverwaltung seien dabei »Modelle und Instrumente zur Opti-mierung bürgerschaftlicher Beteiligung (e-Democracy)«. Des Weiteren fördere dieRegierung auch Internetplattformen zur Unterstützung bürgerschaftlichen Engage-ments. Zur bürgerschaftlichen Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessenheißt es: »Die Möglichkeiten, die das Internet für die Beteiligung der Bürger undBürgerinnen an Entscheidungsprozessen in Politik und Verwaltung bietet, könnennoch besser genutzt werden. Die Einrichtung von Onlineforen ist hierfür ein geeig-netes, effizientes und bürgernahes Instrument. Die Bundesregierung beabsichtigt,einen einheitlichen Internetzugang zu den Onlineforen der Bundesverwaltung zuschaffen. Dies macht die Möglichkeiten elektronischer Bürgerbeteiligung trans-parenter und erleichtert die Erreichbarkeit der Foren wesentlich« (Bundesregierung2005b, S. 5 f.). Onlinedialog und die Förderung netzbasierter Öffentlichkeit(Kap. IV.2.2) nehmen also weiterhin eine zentrale Rolle in der politischen Pro-grammatik der Bundesregierung zur bürgerschaftlichen Partizipation ein. Alswichtigstes Instrument des Onlinedialogs gelten Diskussionsforen.

ZUR EINSCHÄTZUNG DER E-DEMOKRATIE-STRATEGIEN 2.1.3

Beide Regierungen haben seit Ende der 1990er Jahre hohe Erwartungen an dieNutzung des Internets für bürgerschaftliche und zivilgesellschaftliche Partizipationformuliert. Die programmatische Entwicklung in Deutschland stellt sich aberinhaltlich kontinuierlicher dar und wirkt dabei zunehmend anspruchsvoll – wasauch die Kluft zwischen Angekündigtem und Erreichtem besonders breit erscheinenlässt. Die britische Regierung hat in letzter Zeit einige weitreichende Vorstellungenzur E-Demokratie auf nationaler Ebene implizit oder explizit relativiert. Mit demzentralen Webangebot zu ihren Onlineanhörungen ist aber auch ein zentralesElement digitaler Demokratie bereits realisiert. Die Bundesregierung setzt erklärter-maßen vor allem auf ein vielfältiges Angebot zur Onlinediskussion – und dabeiinsbesondere auf Foren – und plant, dieses durch ein eigenes Webportal zentralzugänglich zu machen. Das Forenangebot soll zudem durch eine umfassende Eva-luation und den Erfahrungsaustausch der diversen Anbieter innerhalb der Bundes-regierung verbessert werden.

Eine strategische Grundlinie der Bundesregierung zur E-Demokratie ist also auszu-machen: Sie setzt stärker als die britische Regierung darauf, dass durch bürger-schaftliche politische Onlinediskussionen allgemein die Politikgestaltung und -ver-

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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mittlung verbessert und zudem die netzöffentliche politische Deliberation undallgemein die öffentliche Meinungsbildung gefördert werden können.17 Aus diesemAnsatz ergeben sich Herausforderungen in Bezug auf die Gestaltung der Diskus-sionsangebote: Zur Vermeidung von Frustrationen bei den teilnehmenden Bürgernmuss der jeweilige Zweck der Angebote deutlich gemacht werden. Soweit sie nichtnur die Möglichkeit der Diskussion zwischen Bürgern bieten sollen, ist sicherzu-stellen, dass es zu einer effizienten Nutzung der Diskussionsergebnisse seitens derPolitik sowie zu einer Erfüllung legitimer Erwartungen der teilnehmenden Bürgerkommt.

In beiden Ländern wurden die erklärten Ziele zur Förderung bürgerschaftlicherpolitischer Onlinediskussion sowie zum Dialog zwischen Politik und Bürgern bishernur in begrenztem Maße realisiert. Im Vereinigten Königreich sind durch die On-linekonsultationen wichtige Möglichkeiten der bürgerschaftlichen und zivilgesell-schaftlichen E-Partizipation geschaffen worden. Sie betreffen aber – im Gegensatzzu einigen frühen, problembehafteten Onlinediskussionsangeboten der Regierung –zumeist sehr spezifische Themen und Zielgruppen. Das Diskussionsangebot derBundesregierung wird dadurch beeinträchtigt, dass die gerade erwähnten Heraus-forderungen bei der Durchführung solcher Angebote zum Teil nicht ausreichendangegangen worden sind (Kap. IV.3.2).

Zu beachten sind die Unterschiede im Verhältnis von Regierung und Parlament:Während durch die institutionellen Gegebenheiten des britischen Parlamentarismuseine enge Abstimmung zwischen den programmatischen Initiativen von Legislativeund Exekutive relativ einfach möglich war und damit auch die nationale Schwer-punktsetzung auf Onlineanhörungen erleichtert wurde, ist die Abstimmung zwischenBundesregierung und Deutschem Bundestag in Bezug auf die E-Demokratie eherpunktuell. Die neueren Aktivitäten der Bundesregierung weisen aber darauf hin,dass die Weiterentwicklung des eigenen Angebots in der durch das Parlament auf-gezeigten Richtung erfolgen soll.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

17 Dem entsprechen auch die vielfältigen Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung nichtstaatlicher Beiträge zur kulturellen und politischen Netzöffentlichkeit (Kap. IV.2.2).

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NICHT STAATLICHE INTERNETÖFFENTLICHKEIT, NETZKULTURUND DEREN FÖRDERUNG 2.2

Bei den Ausführungen in diesem Unterkapitel handelt es sich nur um eine schlag-lichtartige Beleuchtung von Ausschnitten des interessierenden Feldes. Der Schwer-punkt liegt bei den Ausführungen zu Großbritannien auf Entwicklungen, die für diepolitischen Akteure in Deutschland von besonderem Interesse sein könnten. Bei denAusführungen zu Deutschland wird insbesondere auf einige relevante Aktivitätender Bundesregierung hingewiesen.

Von nicht staatlichen Angeboten zu politischer Netzöffentlichkeit werden hier ins-besondere auch Beiträge von Akteuren berücksichtigt, die im Kontext allgemeiner»netzkultureller« Entwicklungen stehen. Die »Netzkultur« kann als eine globalekulturelle Strömung begriffen werden, die aus den geteilten netzbezogenen Prakti-ken, Verhaltensstandards, Wertvorstellungen und Erzeugungen von Internetnutzerngebildet wird, für die das Netz zu einer zentralen Informationsquelle und einemwichtigen Kommunikations- und Sozialraum geworden ist (Kap. II). Die Gemein-samkeiten zwischen den verschiedenen netzkulturell Aktiven bestehen allerdings aufeiner sehr allgemeinen Ebene und sind zudem auf das Thema Internet selbst be-schränkt. Angesichts der Vielfalt der Praxis der Häufignutzer des Internets – die z.B.von den bei Jugendlichen sehr beliebten Chats und Onlinespielen über Soft-wareweiterentwicklung bis hin zu Netzkunst reicht – ist es sinnvoller von »Netzkul-turen« – also im Plural – zu sprechen. Gleichwohl bestehen – über gewisse Verhal-tensstandards in der Internetkommunikation (z.B. die »Netiquette«) hinaus – auchübergreifende Charakteristika der Netzkultur: Sie ist dadurch gekennzeichnet, dasssie an Gepflogenheiten und Ideale der frühen Phasen der Internetnutzung anknüpftwie vor allem an der Vision des Internets als einem universalen, für jeden zugängli-chen Wissensspeicher und freiem Kommunikationsraum. Bei ihren konkreten Anlie-gen sind die netzkulturell Aktiven zum Teil bereits auf Resonanz in Massenmedienund Politik gestoßen, z.B. im Fall der »Open-source«-Bewegung, die die Offenlegungvon Softwarecodes und eine kollektive Weiterentwicklung der Programme pro-pagiert und praktiziert. Zudem ist mittlerweile unumstritten, dass möglichst vielestaatliche politische Informationen kostenlos im Netz verfügbar sein sollten, weiter-gehende Forderungen nach der kostenlosen Verfügbarkeit aller mit öffentlichenGeldern finanzierter Forschungsergebnisse (»Open Access«) sind dagegen bisherselten. Die »Open-content«-Bewegung hat sich allgemein zum Ziel gesetzt, daskostenlos zugängliche Information und Wissen im Internet zu erhalten und weiter-zuentwickeln. Kollaborative Internetprojekte (Kap. V.1) – wie die von den Nutzerngemeinsam erstellte Enzyklopädie Wikipedia – spielen dabei eine wichtige Rolle.Konflikte gibt es – angesichts von Kollisionen mit dem Urheberrecht – über die Peer-

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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to-Peer-Netzwerke, die eine zentrale Rolle beim Informationsaustausch innerhalbder Netzkultur spielen.

Wechselwirkungen zwischen politischer Kultur und Netzkultur sind offensichtlichvon grundlegender Bedeutung für den Bereich staatlicher Onlinediskussionsan-gebote, in dem die Politik mit den jeweils aktuellen Hervorbringungen aus der Netz-kultur experimentiert und sich zum Teil auch auf den Dialog mit den netzkulturellAktiven einlässt. Zudem tragen zahlreiche nicht staatliche Internetprojekte poli-tischer Natur zur Weiterentwicklung digitaler Demokratie bei. Die allgemeingewachsene Bedeutung der Netzkultur schlägt sich auch in staatlichen Aktivitätenzu deren Förderung nieder.

GROßBRITANNIEN 2.2.1

Hinsichtlich der Entwicklung digitaler parlamentarischer Demokratie in Großbri-tannien sind zahlreiche Webangebote im Überschneidungsbereich von Netzkulturund E-Demokratie relevant. Diese Angebote beruhen bislang größtenteils auf demfreiwilligen Engagement von politisch interessierten und medienkompetenten Bür-gern sowie der Arbeit von demokratiepolitischen Think-Tanks.

Beachtung verdienen z.B. die Aktivitäten im Umkreis des Projekts MySociety, dasim letzten Jahr erstmals 250.000 britische Pfund Förderung durch die Regierungerhielt. Zu nennen sind hier ein Angebot zur erleichterten schriftlichen Kontakt-aufnahme mit britischen Abgeordneten verschiedener Parlamente (Writetothem),ein Informationsdienst zu Presseerklärungen der Regierung (DowningStreetSays)sowie vor allem die beiden auf das Unterhaus bezogenen Projekte PublicWhip undTheyWorkForYou:

> PublicWhip (www.publicwhip.org.uk) bietet Möglichkeiten zur personen- undthemenbezogenen Recherche zu den Abstimmungen des Parlaments. Ergänztwird dies u.a. durch Diskussionsforen sowie durch die Möglichkeit, sich einenpersönlichen »Ideal-Abgeordneten« (»Dream MP«) zu schaffen, dessen Abstim-mungsverhalten vollständig den eigenen Präferenzen entspricht. Dabei wird auchausgewertet, in welchem Maße das Abstimmungsverhalten realer Abgeordnetermit den eigenen Präferenzen übereinstimmt.

> TheyWorkForYou (www.theyworkforyou.com) bietet exzellente personen- undthemenbezogene Möglichkeiten der Recherche in Plenarprotokollen. ZahlreicheBegriffe in den Plenarprotokollen sind mit weiterführenden Informationen (ausder Webpräsenz des Parlaments und von www.wikipedia.org) verlinkt. Es bestehtdie Möglichkeit, sich per E-Mail darüber informieren zu lassen, wenn einbestimmtes Thema im Parlament behandelt wird oder ein bestimmter Abgeord-neter spricht. Im Frühjahr 2005 wurde daran gearbeitet, auch die Transkripte der

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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parlamentarischen Ausschussverhandlungen in das Angebot zu integrieren.Bemerkenswert ist zudem, dass registrierte Nutzer die Möglichkeit haben,Kommentare zu Debattenbeiträgen, schriftlichen Anfragen an die Regierung, zuderen Antworten und zu schriftlichen Ministererklärungen abzugeben. DieseKommentare erscheinen auf derselben Seite wie die Beiträge, Erklärungen etc.,auf die sie sich beziehen, und können wiederum von anderen Nutzern kommen-tiert werden.

Von wachsender Bedeutung ist die britische politische Bloggerszene. PolitischeWeblogs sind in Großbritannien weiter verbreitet als in Deutschland. Zu den bis-herigen Erfolgen der »Weblog Lobby« – die u.a. von dem Think-Tank Voxpoliticsunterstützt wird – ist die Tatsache zu zählen, dass Blogs bereits seit 2003 die mas-senmediale Öffentlichkeit – und in geringem Umfang auch das Parlament – erreichthaben (Ferguson/Howell 2004). Einige Parlamentarier aus allen drei nationalenParlamentsparteien sind bereits selbst Blogger, des Weiteren einige Lokalpolitiker.Auch im nationalen Wahlkampf 2005 spielen Blogs eine Rolle. Die drei großenParteien haben eigene Blogs – bzw. (im Fall von Labour) ein Wahlkampf-Tagebuchdes Premierministers, das einem Blog ähnelt –, sie werben für die Weblogs ihrerParlamentarier und Kandidaten und sie unterstützen die Vernetzung mit ihnensympathisierender Blogger.

Einige Blog-Aktivisten verwenden radikalere Methoden in ihrem Bemühen, Blogszu popularisieren: Sie erstellen ungefragt Weblogs für Abgeordnete und bemühensich – mit Erfolg – darum, diese bei Google-Recherchen zu dem Namen der Parla-mentarier auf den Spitzenplätzen erscheinen zu lassen. Die Fake-Weblogs sind zu-meist als solche ausgewiesen. In einigen Fällen handelt es sich um Weblogs, die denAbgeordneten in einem schlechten Licht erscheinen lassen, in anderen Fällen umneutrale bis positive Darstellungen der Arbeit des Parlamentariers. Meistens ist esdas erklärte (und auch durch direkte Kontaktaufnahmen verfolgte) Ziel, den Ab-geordneten davon zu überzeugen, selbst ein Weblog mit Kommentarfunktion (oderein anderes Onlinedialogangebot) einzurichten. Es gibt aber auch Ausnahmen wiez.B. ein – anlässlich der nationalen Wahlen 2005 eingerichtetes – kritisch-satirischesFake-Weblog im Namen des konservativen Parteichefs.

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die demokratischen Potenziale des Internetswird auch durch das iCan-Projekt der BBC gefördert, das man direkt über dieHomepage der BBC erreicht. Es soll Bürgern vor allem dabei helfen, sich über sieinteressierende lokalpolitische – aber auch über andere politische – Themen zu in-formieren, mit anderen Interessierten zu vernetzen und Onlinekampagnen durch-zuführen. In iCan werden auch Informationen zu den parlamentarischen Online-anhörungen bereitgestellt. Die BBC berichtet zudem regelmäßig über Themen

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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digitaler Demokratie und insbesondere über staatliche Onlinedialogangebote.Ähnliches gilt für verschiedene Qualitätszeitungen.

Zudem trägt das Engagement einzelner Telekommunikations-, IT- und Informa-tionsdienstleistungs-Unternehmen (als Sponsoren von E-Demokratie-Forschungund Praxis) zur Aufrechterhaltung eines günstigen Umfelds auch für parlamenta-rische E-Demokratie bei.

ZUR ROLLE DER HANSARD SOCIETY

Eine Schlüsselrolle in der britischen E-Demokratie-Politik spielt seit Jahren die engmit dem Parlament verzahnte (und durch personelle Überschneidungen zudem engmit der Regierung vernetzte) Hansard Society. Sie kann auch als die treibende Krafthinter den parlamentarischen Onlineanhörungen gelten (Trénel 2004; Kap. IV.3.4).Als Reaktion auf zurückgehende Wahlbeteiligungen und das nachlassende Vertrau-en in Politiker hat die Gesellschaft seit den 1990er Jahren verstärkt nach Wegen ge-sucht, wie die Beziehungen zwischen Repräsentierten und Repräsentanten engergestaltet werden können. Dabei sah sie bereits frühzeitig besondere Chancen in derdigitalen Demokratie. Ihre Rolle wird in nahezu allen für die britische E-Demokra-tie-Strategie relevanten Dokumenten und in zahlreichen Reden von Politikern ge-würdigt. Sie hat z.B. in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die G8 beraten, war anden britischen Pilotprojekten dieser Zeit beteiligt, spielt eine wichtige Rolle in derinternationalen politischen Diskussion der Thematik (u.a. auf UN- und EU-Ebene)und Mitarbeiter der Gesellschaft haben an einer Reihe von national und internatio-nal politisch einflussreichen Publikationen zum Thema (wie z.B. Blumler/Coleman2001; Coleman/Goetze 2001; OECD 2003) mitgewirkt, in denen die Chancen aus-gelotet werden, die das Internet für die Stärkung repräsentativer Demokratie bietet.Zudem unterstützt die Gesellschaft die Arbeit der fraktionsübergreifenden Parla-mentariergruppe zur E-Demokratie.

Der Hansard Society kommt zugute, dass sie als politisch neutral wahrgenommenwird, zugleich aber auch gute Kontakte zur Regierung hat. Sie wurde 1944 mit demZiel gegründet, die parlamentarische repräsentative Demokratie zu fördern. Beach-tenswert ist die Organisationsstruktur: Präsident der Gesellschaft, die selbst nichtzum Parlament gehört, ist der »Speaker of the House«, der ähnliche Funktionen wiein Deutschland der Bundestagspräsident hat. Die Spitzen der im Parlament ver-tretenen Parteien bilden die Gruppe der Vizepräsidenten. Während dieser Aufbaueine parteiliche Vereinnahmung verhindert, wurde die Gesellschaft anscheinend zu-dem auch von den an den Onlineanhörungen teilnehmenden Bürgern als genügendunabhängig vom Parlament angesehen (Trénel 2004).

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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DEUTSCHLAND 2.2.2

Auch in Deutschland existieren Überschneidungsbereiche von Netzkultur und E-Demokratie sowie eine ausdifferenzierte Dienstleistungslandschaft im Bereich derpolitischen Internetnutzung. Es gibt zudem eine Reihe qualitativ hochwertiger, nichtstaatlicher Politikportale im Netz (z.B. www.politikerscreen.de), bei denen auch On-linediskussionen zwischen Bürgern (z.B. www.politikforum.de) und zusätzlich auchPolitikerchats (z.B. www.politik-digital.de; www.dol2day.com) integriert sind. Aufkommunaler Ebene wurden, zum Teil gefördert durch den Bund, bereits wichtigeErfahrungen mit digitaler Demokratie gesammelt (vgl. Hart/Pflüger 2004; Holt-kamp 2002; Initiative eParticipation 2004; Trénel et al. 2001; Westholm 2002).Auch für mehrere Stiftungen – wie z.B. die Bertelsmann-Stiftung (z.B. Hart/Pflüger2004) und die Alcatel-Stiftung (z.B. Klumpp et al. 2003) – ist die digitale Demo-kratie ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Ein auch im internationalen Vergleich bemer-kenswert erfolgreiches Beispiel für die Nutzung des Netzes zur Förderung politischerÖffentlichkeit sind die gesellschaftspolitischen Onlineumfragen der Initiative »Pers-pektive-Deutschland«, an denen seit Anfang des Jahrzehnts jedes Jahr hunderttau-sende Internetnutzerinnen und -nutzer teilgenommen haben.

Die wohl auffälligste Besonderheit der politischen Onlinediskussionskultur inDeutschland ist die weite Verbreitung von Chats. Private Anbieter – von speziellenE-Demokratie-Dienstleistern über Computermessen bis hin zu den etablierten Mas-senmedien – führen Politikerchats durch, wobei die Tradition in diesem Bereich bisin die erste Hälfte der 1990er Jahre zurückreicht. Chats haben sich – im Gegensatzzur Situation in anderen Ländern – zu einem festen Bestandteil der Öffentlichkeits-arbeit vieler politischer Akteure entwickelt, werden auch stark von den Parteiengenutzt (Bieber 2004) und spielten in den letzten fünf Jahren eine bemerkenswerteRolle in Wahlkämpfen. Vertreter der Bundesregierung nahmen ebenfalls häufiger anChats teil. Die politische Bloggerszene ist in Deutschland dagegen vergleichsweiseklein.

STAATLICHE FÖRDERUNG DER NETZÖFFENTLICHKEIT

Politische Netzöffentlichkeit und gesellschaftliche Beiträge zur digitalen Demokratiewerden in Deutschland an verschiedenen Stellen staatlich gefördert oder unterstützt– u.a. durch die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und der»Stiftung Mitarbeit«, die das Internetportal »Wegweiser Bürgergesellschaft« be-treibt (BMI 2002). Das Portal soll auf Bundesebene bürgerschaftliches Engagementdurch sein Informationsangebot unterstützen. Im Rahmen dessen werden auchInformationen zur E-Demokratie zur Verfügung gestellt, allerdings in geringemUmfang.

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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Staatlicherseits gefördert oder angeboten werden auch verschiedene Internetange-bote mit interaktiven Komponenten, die sich an Teilgruppen der Gesellschaft – wievor allem Jugendliche – richten. So betreibt die BpB z.B. die Website www.fluter. de,auf der Jugendliche zu politischen und kulturellen Themen Informationen einholenund diskutieren können. Das Angebot wird nach Angaben der Bundesregierungmonatlich von ca. 100.000 Personen genutzt, in den Diskussionsforen werden – beisteigender Tendenz – ca. 400 Beiträge gepostet und bei den Umfragen ca. 1.200Stimmen abgegeben (Bundesregierung 2005a, S. 41). Eine ähnliche Ausrichtung hatdie im Rahmen der »Bundesinitiative Jugend ans Netz« des BMFSFJ geförderteWebsite www.netzcheckers.de.

Internetprojekte spielen zudem eine wichtige Rolle in dem Programm Entimon undauch in den Programmen »Xenos« und »CIVITAS« der Bundesregierung, die auf-grund ihrer jugendpolitischen Ausrichtung ebenfalls in der Verantwortung desBMFSFJ liegen. Die Programme starteten 2002 und sollten zur Bekämpfung undEindämmung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus undGewalt dienen. Neben fünf (bzw. seit Anfang 2005 noch drei) direkt gefördertenreinen Internetprojekten wurden auch Projekte mit starker Onlinekomponente ge-fördert (hierzu und zum Folgenden Deutscher Bundestag 2005, S. 15147–15148).Über den Trägerverein »Tacheles Reden e.V.« wurde zudem die deutschsprachigejüdische Internetzeitung »haGalil« – ein in mehrerlei Hinsicht einzigartiges Online-informations- und Kommunikationsangebot – unterstützt, das auch zur Bekämpfungvon Antisemitismus – u.a. durch ein Online-»Meldeformular für nazistische Propa-gandadelikte« – beitragen will.18 In anderen, vom BMFSFJ auch 2005 noch geförder-ten Projekten wird ebenfalls gezielt gegen den Rechtsextremismus – insbesondereauch wo er sich im Internet äußert19 – gearbeitet. An der Förderung dieser Projektebeteiligen sich zum Teil auch die EU-Kommission und die BpB.

Ein weiteres aktuelles Beispiel für die Förderung kultureller und politischer Netzöf-fentlichkeit ist das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt www.signandsight.com, dessen Mutterprojekt www.perlentaucher.de seit längerem tagesak-tuelle Internetrundschauen zu Feuilletonartikeln aus deutschsprachigen Qualitäts-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

18 Seit Anfang 2005 erhält »haGalil« jedoch keine Mittel mehr aus der Projektförderung des Pro-gramms. Laut BMFSFJ konnten sich der Trägerverein und »haGalil« nicht über eine gemein-same Fortsetzung des Projekts einigen, eine weitere Förderung in diesem Jahr sei aufgrund derProgrammgrundsätze nicht möglich (BMFSFJ 2005). Die Redaktion von »haGalil« widersprichtdiesen Einschätzungen auf ihrer Website.

19 Die Entwicklung rechtsextremistischer Websites wird bereits seit längerem beobachtet, mit demZiel, diese zu schließen (z.B. http://www.jugendschutz.net/pdf/entimon2004.pdf; http://www.nazis-im-internet.de; http://www.naiin.org/de/). Dennoch kann weiterhin – durch den transna-tionalen Charakter des Internets, der die Durchsetzung des deutschen Verbots nazistischer Pro-paganda praktisch unmöglich macht, sowie durch Aktivitäten der rechtsextremistischen Szenein Deutschland - eine Vielzahl von Websites dieser Art relativ problemlos aufgefunden werden.

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zeitungen bereit stellt. Das englischsprachige »Signandsight« soll – so die Hoffnungder Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – zur Realisierungtransnationaler Potenziale der netzbasierten Kommunikation beitragen. Das deut-sche Feuilleton verdiene internationale Aufmerksamkeit u.a. deshalb, weil es in sei-ner Mischung aus kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Themen einzigartigsei. Mit dieser kulturpolitischen Maßnahme soll also explizit politische Netzöffent-lichkeit (auf europäischer und »transnationaler« Ebene) gefördert werden.

Das Angebot erlaubt dem Nutzer einen schnellen Zugriff auf eine Reihe von Ange-boten unterschiedlicher (und unterschiedlich politisch positionierter) Qualitätsme-dien. Bemerkenswert, wenn auch nicht innovativ, ist die Tatsache, dass mit Hilfe desNetzes die Wirkung von aktuellen Debatten in den Qualitäts-Printmedien verstärktwerden soll, durch ein Format, das an printmediale Traditionen (Presseschau) an-knüpft. »Signandsight« kann potenziell zur Förderung europäischer Öffentlichkeitdienen, dabei wird aber keine breite Öffentlichkeit angesprochen, sondern eineTeilöffentlichkeit mit fortgeschrittenen Englischkenntnissen und Interesse am Feuil-leton von Qualitätszeitungen.

Die Förderung von »Signandsight« durch die Kulturstiftung des Bundes ist eine An-schubfinanzierung in Höhe von 1,4 Mio. Euro. Das Angebot soll sich in Zukunftallein durch Werbeeinnahmen und Sponsoren tragen. Die Redaktion geht davonaus, dass sich Ende des Sommers 2005 beurteilen lassen werde, ob ein internationa-les Publikum den neuen Dienst überhaupt wahrnimmt und nutzt. Eine Evaluationdes Projekts und der Fördermaßnahmen könnte zu einem vertieften Verständnis derstaatlichen Handlungsmöglichkeiten und -bedingungen bei der Unterstützung vonNetzöffentlichkeit beitragen.

Auch andere von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekte sind hinsichtlichkultureller und politischer Netzöffentlichkeit relevant, wie z.B. »Wizards of OS«,eine international renommierte Konferenz »für freie Wissenskulturen im Internet«,die »Werkleitz-Biennale«, ein ostdeutsches Kunstfestival, das im Jahr 2004 dieaktuelle Copyrightdebatte zum Thema hatte, »Female HipHop«, ein Forschungs-projekt, in dessen Rahmen u.a. eine Internetplattform zum Thema Frauen undHipHop entwickelt wurde, oder ein Projekt im Rahmen der »Transmediale«, einer(ebenfalls international renommierten) Veranstaltung zur Netzkultur.

WEBSITES DER BUNDESREGIERUNG 2.3

In einem Gutachten für das Projekt (IZT 2005) wurde eine Bestandsaufnahme desaktuellen Webangebots der Bundesregierung vorgenommen, unter Einbeziehungonline archivierter Foren und Chats. Dabei erfolgte eine Schwerpunktsetzung aufAspekte der Nutzerfreundlichkeit und Sichtbarkeit. Da es sich bei diesen um

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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Grundvoraussetzungen auch für den Erfolg der Diskussionsangebote handelt,werden zunächst einige der Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt.20

Die Aufgabe, sich einen Überblick zu verschaffen, erwies sich als nicht einfach. Ins-gesamt konnten in den Recherchen zum Gutachten (IZT 2005) – u.a. durch Such-maschinen, Nutzung der internen Suchfunktionen und spezielle Software – 78 Auf-tritte identifiziert werden (November 2004 bis Januar 2005). In die Analyse ein-bezogen wurden davon 74 Sites, da vier Angebote erst nach Beginn der Analyseausfindig gemacht werden konnten. Diese 74 Websites wurden dann auf Basis aus-gewählter Bewertungskriterien analysiert. Dabei wurde lediglich die Identifikationbestimmter erheblicher Mängel und besonders dringlichen Verbesserungsbedarfsangestrebt. Wenn anhand der gewählten Indikatoren in einem Bereich (wie z.B.behindertengerechte Gestaltung oder Leistungsfähigkeit der Suchfunktion) keinMangel oder Verbesserungsbedarf festgestellt wurde, heißt dies also nicht, dass sichdie reale Nutzung der Angebote für den Nutzer problemlos gestalten muss.

Die Mehrzahl der Angebote weist jeweils Mängel oder Verbesserungsbedarf in denBereichen Impressum und sehbehindertengerechte Gestaltung sowie vor allem beiden Navigationsmöglichkeiten auf. Hier bestehen bei rund 90 % der Angebote Ver-besserungsbedarfe oder starke Mängel. Insgesamt betrachtet stellt sich die Situationam schlechtesten bei den Möglichkeiten zur Suche nach und in den Websites dar.Im Bereich Suchmaschinenoptimierung wurden 44 Angebote als mangelhaft ge-wertet und 29 Angebote bei der Leistungsfähigkeit der internen Suchfunktionen. (Imletztgenannten Bereich weist aber auch über die Hälfte der Angebote keine Auffäl-ligkeiten auf.) Zwischen den Angeboten bestehen deutliche Qualitätsunterschiede.

Fokussiert man die Angebote der Bundesregierung, die den Namen oder die Abkür-zung der Institutionen im Domain-Namen haben, ist das Bild erfreulicher. Insbe-sondere fehlen keine grundlegenden internen Suchfunktionen. Bei fast allen Ange-boten besteht ein gewisser Verbesserungsbedarf bei der Gestaltung der Navigationund bei einigen bei der Suchmaschinenoptimierung. Insgesamt gesehen hinterlassendiese 15 Angebote aber einen gepflegten und gut positionierten Eindruck. Als De-fizite fallen vor allem die fehlende Unterscheidung von benutzten und unbenutztenLinks sowie die unzureichende Positionierung in der Suchmaschine »Google« auf.Insbesondere der letzte Punkt ist hier – mit Blick auf die Bedeutung dieser Such-maschine – bemerkenswert.

In einer vertieften Untersuchung der Angebote werden – wie in den nächsten Ab-schnitten aufgezeigt wird – weitere Struktur- und Detailprobleme im Bereich der

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

20 In die Untersuchung einbezogen wurden diejenigen Angebote, die vom Presse- und Informations-amt der Bundesregierung (BPA) oder von den Bundesministerien direkt herausgegeben werden.

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Nutzerfreundlichkeit deutlich, die (insbesondere im Bereich der internen Navigationund der Vernetzung der Angebote untereinander) auf konkreten Handlungsbedarfhinweisen. Dieser Bedarf ergibt sich vor allem auch aus der Tatsache, dass dieNutzer von Onlineinformationsangeboten besonderen Wert auf gute Navigations-möglichkeiten legen (van Eimeren et al. 2004, S. 356). Zu beachten ist in diesemZusammenhang aber, dass die Pflege und Weiterentwicklung umfangreicher,historisch gewachsener Websites sehr aufwändig ist.

DAS DISKUSSIONSANGEBOT 2.3.1

In dem erwähnten Gutachten (IZT 2005) wurde auch untersucht, ob Websites derBundesregierung Onlinediskussionsangebote aufweisen. Die Ergebnisse der im No-vember 2004 durchgeführten Recherchen stimmen in zwei wesentlichen Punktenmit denen eigener Recherchen des TAB im Sommer 2004 überein: Zum einen warfestzustellen, dass die Angebote selbst bei aktiver Suche relativ schwer aufzufindensind. Zum anderen zeigte sich, dass die Zahl der Websites mit aktuellen oder archi-vierten Diskussionsangeboten (und insbesondere mit Foren) gering war: WährendChats von mindestens sieben Ministerien sowie dem BPA durchgeführt wurden,fand sich ein kontinuierliches Onlineforenangebot nur beim BMWA.

Die Mängel bei der Sichtbarkeit der Angebote verdienen Beachtung, weil durch siewichtige Mittel zur Popularisierung der Angebote ungenutzt bleiben. So lassen sichz.B. im zentralen Angebot www.bundesregierung.de Hinweise auf Foren nur müh-selig mittels der internen Suchfunktion finden. Einige Links mit Informationen zuabgeschlossenen Foren oder zu den Foren des BMWA bestehen auch auf den unterenEbenen, funktionieren aber zum Teil nicht oder führen in die Irre. Es fehlt eine engeVernetzung mit den Websites der Ministerien, die allerdings auch mit einigem Auf-wand verbunden wäre. Nachteilig ist zudem, dass Angebote der Bundesregierungin der Regel keinen der Rubrik »Dialog« auf www.bundestag.de (Kap. IV.3.5.) ver-gleichbaren Menüpunkt aufweisen. Auf vorhandene Onlinediskussionsangebotewird zumeist – aber nicht immer systematisch – in der Rubrik »Service« verwiesen,in der man solche Angebote nicht unbedingt vermutet.

Verbesserungsbedarf lässt sich auch hinsichtlich der Archivierung feststellen. Archivebeendeter Foren sind entweder online nicht vorhanden oder lassen sich nur schwerfinden. Ein wichtiger Vorteil der Netzöffentlichkeit wird somit suboptimal genutzt,nämlich die Möglichkeit, Informationen zum Verlauf einer gesellschaftlichen De-batte langfristig für jeden verfügbar zu halten (Gedächtnis- und Archivfunktion desInternets). Aufgrund dieser Schwierigkeiten wird beim folgenden Überblick nichtder Anspruch erhoben, dass alle oder auch nur alle aktuellen und online archivier-ten Angebote der letzten Jahre erfasst wurden. Durch ergänzende Recherchen – per

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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Anfrage bei zuständigen Mitarbeitern und durch Suchmaschinen – wurde aber ver-sucht, Informationen zu vergangenen, nicht archivierten Diskussionen zu erlangen.

CHATS

Angesichts der besonderen Eigenschaften von Chats sowie der relativ großen Be-deutung, die Chats mit Politikern in Deutschland haben (Kap. II), wurden in einemGutachten für das Projekt elf Chats mit Vertretern der Bundesregierung näher un-tersucht (IZT 2005). Zehn dieser Chats waren klassische Politikerchats mit Vertre-tern der Bundesregierung – in einem Chat (zum Thema Urheberrecht), veranstaltetvom BMJ, konnten sich hingegen die interessierten Bürger mit Experten des Minis-teriums austauschen.

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass im Gegensatz zu Onlineforenbei den Chats sichergestellt ist, dass die Bürger mit ihren Beiträgen nicht »unter sichbleiben«, da in den Chats durch Politiker oder Mitarbeiter Beiträge zu politischenThemen gemacht werden. Allerdings ist der Onlinedialog zwischen Politik undBürgern im Sinne eines Austauschs eher selten: Die Möglichkeit der Nachfrage vonBürgern zu den Antworten der Politiker und deren nochmalige Antwort ergibt sichaufgrund der zeitlichen Beschränkungen hier kaum. Ebenfalls selten möglich ist diebei Onlineforen häufig anzutreffende C2C-Kommunikation.

Die Chatangebote der Bundesregierung spiegeln deren erklärten Hauptzweck wider,nämlich den, Fragen von Bürgern zu beantworten. Die Antworten sind dabei durch-schnittlich ungefähr doppelt so lang wie die Fragen. Diskussionen mit den Bürgernentwickelten sich hingegen nur ansatzweise, das gleiche gilt für den Austausch zwi-schen Bürgern. Die Ergebnisse von Chats bleiben in der Regel online verfügbar, inForm von Zusammenfassungen oder Mitschnitten auf Seiten der Bundesregierung.Dies gilt auch für die nicht analysierten Chats wie z.B. den ersten Chat mit Bundes-kanzler Gerhard Schröder (auf www.bundeskanzler.de im März 2002). Bei denanalysierten Chats konnten jedoch keine Beispiele für eine über die Veröffentlichunghinausgehende Nachfolgekommunikation ermittelt werden. Die Diskussionsergeb-nisse dürften also nicht systematisch in der Politikgestaltung aufgegriffen wordensein.

Ein herausragendes Beispiel für die Nutzung von Chats auf Websites der Bundesre-gierung ist die Chatreihe im Rahmen des Angebots »Dialog Nachhaltigkeit«, die inzwei Staffeln in den Jahren 2002 und 2004 durchgeführt wurde. Bemerkenswert andieser ist, dass zu einem einzelnen – allerdings auch sehr vielfältigen – Thema relativviele Chats durchgeführt wurden, an denen sich regelmäßig Vertreter der Regierung(zumeist Staatssekretäre) beteiligten. Die Chats waren in einen Informationskontexteingebunden und als Diskussionsgrundlagen wurden ein Konsultationspapier und(in der zweiten Staffel) der Entwurf des Fortschrittsberichts zur Nachhaltigkeits-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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strategie angeboten. Ebenfalls ein längerfristiges Onlinediskussionsangebot, dasauch Chats beinhaltete, wurde vom Auswärtigen Amt in den Jahren 2002 und 2003gemacht. Dabei ging es um eine Diskussion über die EU – und insbesondere überdie Zukunft Europas und die Arbeit an dem Europäischen Verfassungsvertrag. Diesechs durchgeführten Chats werden von zuständigen Mitarbeiterinnen des Aus-wärtigen Amtes im Nachhinein jedoch als nicht so gut geeignetes Mittel für denOnlinedialog mit den Bürgern eingeschätzt: Ertrag und Aufwand hätten in einemungünstigen Verhältnis zueinander gestanden, auch wenn die Beteiligung – aufgrunddes Themas oder der Prominenz des teilnehmenden Politikers – in zwei Fällen zu-frieden stellend war. Die nochmalige Nutzung von Chats durch das Auswärtige Amtsei eher unwahrscheinlich.21

ONLINEFOREN

Für den Zweck der folgenden Ausführungen werden Experten-, Beratungs- undSelbsthilfeforen auf der einen Seite und allgemeine politische Diskussionsforen aufder anderen Seite unterschieden. Während die letztgenannten Angebote der Dis-kussion (und idealiter der Deliberation) im engeren Sinne politischer Themendienen, sollen die anderen Foren vorrangig andere Zwecke erfüllen, nämlich – imFall der Expertenforen – die Einholung bürgerschaftlichen (und insbesondere pro-fessionellen) Sachverstands zumeist für die Arbeit der Bundesverwaltung bzw. – imFall der Beratungs- und Selbsthilfeforen – die Information und den gegenseitigenErfahrungsaustausch von Bürgern mit einem konkreten Anliegen. Nachstehendwird – entsprechend den thematischen Schwerpunkten der vorliegenden Studie –lediglich auf die politischen Diskussionsforen ausführlicher eingegangen und ingeringerem Umfang auf Beratungs- und Selbsthilfeforen. Diese Schwerpunktsetzungbietet sich auch deshalb an, weil der Nutzen von Expertenforen prinzipiell unum-stritten ist.

Der Schwerpunkt bei den aktiven oder online archivierten Foren liegt – soweit er-sichtlich – bei Expertenforen und Beratungs- bzw. Selbsthilfeforen. Auch bei der be-reits erwähnten Evaluation der Onlineforen, die von der Projektgruppe »Internetund Demokratie« des BMI im Zeitraum Juli bis Dezember 2002 durchgeführt wur-de, wurden mit wenigen Ausnahmen keine allgemeinen Diskussionsforen berück-

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

21 Chats spielten auch eine wichtige Rolle bei dem niederländisch-deutschen Onlinediskussions-angebot zum Thema »Future of Food« (Herbst 2001; http://www.future-of-food.org/Winter2001/2002), das auf deutscher Seite vom BMVEL getragen wurde. In der bilateralen Dialog-initiative »Future of Food« wurden Offline- und Onlinekonsultationsinstrumente kombiniert,wobei der Schwerpunkt auf der »digitalen Diskussion« lag. Die Verantwortlichen zählten rund22.000 Besucher der Website, 2.000 Beiträge zu Chats und über 450 Diskussionsbeiträge inasynchroner Kommunikation. Letztere sind (größtenteils bilingual) archiviert. Die Zusammen-fassung der Dialogergebnisse ist auf der Website auch in Englisch und Französisch verfügbar.

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sichtigt.22 Die beiden Projektmitarbeiterinnen führen in ihrem Bericht u.a. folgendeEvaluationsergebnisse auf: Die befragten Veranstalter hätten den Nutzen der Forenfür die Erschließung relevanter Wissensressourcen und die Vor- und Nachbereitungvon Präsenztreffen betont. Von besonderer Relevanz seien Werbung im Vorfeld undZielgruppenansprache mit Hilfe verschiedener Medien. Aufmerksamkeit für Forenkönne auch durch die Kopplung an Offlineereignisse geschaffen werden. Methodender Moderation seien z.B. einleitende und abschließende Statements, provokanteNachfragen, Zusammenfassungen von Diskussionssträngen und -ergebnissen inregelmäßigen Abständen und zeitliche Orientierungspunkte wie Terminkalenderoder Visualisierungen gewesen. Der Zeitaufwand und die Kosten bei der Organisa-tion der Foren hätten sich generell in engen Grenzen gehalten und viele Foren voneiner Person im Rahmen der täglichen Arbeit mitbetreut werden können. Demvergleichsweise höheren Aufwand für Expertenforen stehe ein höherer politischerNutzen der Teilnehmerbeiträge gegenüber.

Politische Diskussionsforen für eine breitere Öffentlichkeit gab es, ausweislich derArchive auf den zentralen Websites der Bundesregierung, seit 2002 u.a. zu denThemen Nachhaltige Entwicklung (2002), mögliche politische Konsequenzen desAmoklaufs von Erfurt (2002), neue Themen der Legislaturperiode (2002) und demKyoto-Protokoll (2004/2005). Online nicht archivierte Foren fanden z.B. statt zur»Agenda 2010« (Titel »Mut zur Veränderung«) und – im Rahmen des bereits er-wähnten Angebots des AA in den Jahren 2002 und 2003 – zur Zukunft Europasund der Arbeit an dem Europäischen Verfassungsvertrag. Dieses Angebot stand imKontext EU-weiter Aktivitäten zur Förderung des Dialogs über diese Themen undwar mit Onlinediskussionsangeboten auf EU-Ebene und in anderen Mitgliedstaatenverlinkt (Kap. IV.1).

Die Diskussionen im Forum zur »Zukunft Europas« konnten – weil (zumindestonline) nicht archiviert – nicht untersucht werden. Nach Auskunft der Verantwort-lichen war die Beteiligung stark: Seit der Eröffnung im Mai 2002 seien über 4.000Beiträge eingegangen und mehr als 76.000 Bürgerinnen und Bürger hätten als Le-sende teilgenommen. Ergebnisse der Diskussionen seien zeitnah an das Sekretariatdes Konvents weitergeleitet wurden. Ob dieser bürgerschaftliche Beitrag zur Debattetatsächlich von den deutschen Mitgliedern des Konvents berücksichtigt wurde, istallerdings nicht bekannt. Ungewöhnlich für ein staatliches Onlinedialogangebot ist,dass die Beiträge sofort in dem Forum erschienen und dennoch zeitnah inhaltlich

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

22 Auf Nachfrage teilte das BMI mit, dass in der Evaluation insgesamt 14 Onlineforen berücksich-tigt wurden. Nur zwei davon waren politische Diskussionsforen für eine breitere Öffentlichkeit.Bei den ansonsten vorbildhaften Fragebögen (BMI 2003, Anhang, S. 25-30; Kap. VI.2) vermisstman lediglich Fragen zur Archivierung und Aufbereitung der Diskussionen.

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überprüft wurden, mittels E-Mail-Benachrichtigung der Moderation zum Volltextjedes neuen Beitrags. Eine solche Vorgehensweise kann als »beste Praxis« gelten.

Insgesamt betrachtet kann in Bezug auf das Forenangebot der Bundesregierung fest-gestellt werden, dass es in der Regel technisch sehr avanciert ist, der Aufwand fürdie inhaltliche Betreuung der Foren, die Zweckbestimmung sowie der Umgang mitzentralen Problemen der deliberativen Onlinekommunikation (wie die Frage derVorabprüfung von Teilnehmerbeiträgen und die Strukturierung und Stimulierungder Diskussionen) aber stark variieren. Erinnert sei bei dieser Einschätzung daran,dass sie lediglich auf der Sichtung jener Angebote besteht, die bei der skizziertenRecherchestrategie ermittelt werden konnten, wobei sich das oftmalige Fehlen vonOnlinearchiven negativ bemerkbar machte. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass esauch eine Reihe von kaum genutzten Foren gab, bei denen nur in Einzelfällen inErfahrung gebracht werden konnte, warum keine größere Resonanz zustande kam.Für den Misserfolg einiger Foren ist offenkundig auch fehlendes Interesse der fach-lich Zuständigen in den Ministerien mit verantwortlich, das es den jeweiligenRedaktionen erschwerte, den notwendigen inhaltlichen Input für die Foren zugenerieren. Zudem macht sich offensichtlich das mangelnde Engagement politischerEntscheidungsträger negativ bemerkbar.

DREI FORENANGEBOTE DER BUNDESREGIERUNG 2.3.2

Unter den im Frühjahr 2005 aktuellen Diskussionsangeboten ragen ein Forenan-gebot des BMJ zum Thema Urheberrecht und das BMWA-Forum heraus. DasUrheberrechtsforum, das überwiegend den Charakter eines politischen Diskussions-forums hat, ist hier auch deshalb von Interesse, weil bei diesem Thema hohe Erwar-tungen an staatliche Webangebote bestehen (pol-di.net e.V. 2004; Kap. V). DasBMWA-Forum ist das umfangsreichte Forenangebot der Bundesregierung zur Bera-tung von Bürgern und Förderung bürgerschaftlicher Selbsthilfe und sticht auch inmehrerlei Hinsicht qualitativ hervor. Eine detaillierte Fallanalyse erfolgt zu einemEinzelforum des »Kanzler Forums« (aus dem Jahr 2002).

DAS »BMWA-FORUM«

Das BMWA-Forum ist über die Rubrik »Service« auf der Homepage des Ministeri-ums zu erreichen23, wobei das wenig erfolgreiche Angebot zum Thema »Mobilfunk«aber nur schwer aufzufinden ist. Als aktuelles Angebot erscheinen Einzelforen zuden Themen »Ich-AG« und »Existenzgründung im Handwerk«. Am 08. April 2005verzeichnete das Forum zur »Existenzgründung im Handwerk« 506 Themenstränge

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

23 http://www.bmwa.bund.de/Navigation/Service/bmwa-forum.html

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und 2.036 Beiträge, das »Ich-AG«-Forum, das im Folgenden kurz beschrieben wird,140 Themenstränge und 858 Beiträge.

Das Einzelforum zum Thema »Ich-AG« ist gut navigierbar und bietet z.B. nebeneiner Suchfunktion auch die Möglichkeit, sich alle Beiträge eines Teilnehmers an-zeigen zu lassen. Die Redaktion spielt mit insgesamt 37 Beiträgen eine aktive Rolle.Neben der erklärten Hauptaufgabe – der Informationsvermittlung – äußerte sie sichu.a. zur technischen Gestaltung des Forums, nahm dabei auch Anregungen vonNutzern auf und erläuterte Moderationsmaßnahmen. In Nutzerbeiträgen wurden –bei insgesamt gesehen positiver Bewertung des BMWA-Forums – dessen mangelndeSichtbarkeit auf der Website des Ministeriums und vor allem die Tatsache kritisiert,dass es aufgrund der Vorabprüfung der Beiträge oft relativ lange (bis zu drei Tagen)dauert, bis die Beiträge der Nutzer erscheinen. Die Moderation sieht aber grundsätz-lich aus Sicherheitsgründen keine Möglichkeit, von einer Vorabprüfung abzusehen.Der Freischaltungsrhythmus habe »sich in anderen (Fach)foren der Bundesregierungund verschiedener Bundesbehörden bewährt«. Ehrenamtliche Moderatoren ausdem Teilnehmerkreis einzusetzen, lehnte die Redaktion ab. In einer ihrer Begrün-dungen für die Vorabprüfung von Beiträgen weist die Redaktion auch darauf hin,dass es im gesamten BMWA-Forum keine Probleme mit »unangemessenen Beiträ-gen« gab. Konkretisiert wurde dies auf telefonische Nachfrage von dem Moderator,der angab, sich an keine extremistischen Äußerungen zu erinnern und nur an sehrwenige Beiträge, bei denen einzelne Formulierungen zu beanstanden waren. SeinesWissens nach machten inakzeptable Beiträge generell in Experten- und Beratungs-foren keine nennenswerten Probleme. Diese Einschätzung wurde von anderenBefragten geteilt.

Auch wenn – entsprechend dem Forumszweck – in den Diskussionen praktischeProbleme thematisch überwiegen, wurden von Nutzern auch politische Diskussio-nen über das Konzept »Ich-AG«, dessen Umsetzung und andere wirtschafts- undsozialpolitische Fragen geführt. Die Redaktion beteiligte sich an diesen nicht. Inter-aktion zwischen den Nutzern fand relativ häufig statt, das Ziel der Stimulierung vonC2C-Kommunikation zu Selbsthilfezwecken wurde also erreicht. Auffallend ist derhohe Grad an Zufriedenheit und zum Teil sogar Identifikation mit dem Forum.Kritik, die an der Praxis der Vorabprüfung geäußert wird, ist eingebunden in vielLob. Es wird auch die Sorge geäußert, dass das Forum »einschlafen« könnte, undbeklagt, dass es zu wenig sichtbar sei.

FALLANALYSE ZU EINEM EINZELFORUM DES »KANZLER FORUMS«

Von den drei archivierten Foren des im Wahlkampfjahr 2002 existierenden »Kanz-ler-Forums« weist das Forum zu den politischen »Konsequenzen aus der Gewalttatvon Erfurt« die mit Abstand größte Zahl von Beiträgen (806) auf, was vermutlich

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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auf das starke Interesse von Sportschützen und Jägern einerseits und Computerspie-lern andererseits zurückzuführen ist. Die Themen der Einzelforen des Erfurt-Forums(mit der Zahl der Beiträge in Klammern) waren: »Verschärfung des Waffenrechts«(454), »Novellierung des Jugendschutzgesetzes« (144) und »Eindämmung vonGewaltdarstellungen in Medien« (205). Insgesamt registrierten sich 606 Bürger, fürdie Startseite wurden ca. 20.000 Zugriffe verzeichnet (Presse- und Informationsamtder Bundesregierung 2002). An einem begleitenden Onlinevoting beteiligten sich ca. 12.000 Personen.

Das Einzelforum »Eindämmung von Gewaltdarstellungen in Medien« bietet sichfür eine Fallanalyse an, weil hier exemplarisch Wechselwirkungen von politischerKultur, Massenmedien und Netzkulturen aufgezeigt werden können. Zudem hatzum Erfurt-Forum insgesamt das BPA eine Analyse in Auftrag gegeben (Presse- undInformationsamt der Bundesregierung 2002) und in einem Gutachten für das Pro-jekt (IZT 2005) wurde es ebenfalls vertieft analysiert.

Das Einzelforum wurde stark von Fans eines bestimmten Genres von Computer-spielen (Kap. II.3) geprägt, das in Deutschland oft als »Ego-Shooter« bezeichnetwird. Insbesondere handelte es sich um Fans des international beliebten Spiels»Counter Strike« (im Folgenden »CS« abgekürzt). Ego-Shooter sind Computer-spiele, bei denen der Blick in die dreidimensionale virtuelle Spielewelt (daher oft:»3D Shooter«) aus den Augen der Spielfigur erfolgt, in der Regel mit den Armenund der Waffe vor sich. Der Spielinhalt besteht zu einem großen Teil aus demreaktionsschnellen Schießen auf virtuelle Gegner. Wichtige Elemente sind auch dieOrientierung im virtuellen Raum und die schnelle und geschickte Bewegung derFigur in diesem (Funken/Löw 2002 u. 2003). Die meisten Ego-Shooter verfügenüber einen Modus, der es ermöglicht mit anderen entweder über das Internet(Onlinegames) oder über ein lokales Netzwerk (LAN) – privat oder auf öffentlichen»LAN-Parties« – zu spielen. Dadurch kommen kooperativ-taktische Elemente insSpiel. »CS« unterscheidet sich von vielen anderen »Ego-Shootern« dadurch, dassder Spielerfolg nicht notwendig von der Tötung virtueller Gegner abhängen mussund detaillierte, spektakuläre Gewaltdarstellungen eine relativ geringe Rolle spielen.Im Rahmen der »E-Sports«-Szene (Kap. II.3) kam es auch zur Bildung so genann-ter »Clans« durch »CS«-Spieler. Die Clans haben häufig Websites und zum Teileigene Server und die Mitglieder unterhalten oft auch außerhalb des Netzes sozialeBeziehungen zueinander. Ein weiteres (mehr oder weniger) geselliges Element sinddie »LAN-Parties«, bei denen die Spieler an einem Ort zusammenspielen. Beidesrechtfertigt es – zumindest aus Sicht vieler Spieler –, hier von einer eigenständigenJugend(netz)kultur zu sprechen.

Zum Hintergrund der starken Präsenz von »CS«-Spielern in dem Forum zählt, dassschon vor dem Amoklauf von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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(BPjM) über eine Indizierung des Spiels beraten wurde und im Anschluss an diesenberichtet wurde, dass der Amokläufer ein »CS«-Spieler gewesen sein soll. Der Kanz-lerkandidat der CDU/CSU forderte ein Verbot derartiger Spiele, und nachdem dieIndizierung von der BPjM – im Anschluss an eine Anhörung, an der auch Vertreterder Industrie und der Fanszene teilnahmen – abgelehnt worden war, äußerten derBundeskanzler und die damalige Bundesjugendministerin scharfe Kritik an der Ent-scheidung der Behörde. Die Massenmedien griffen – zum Teil mit geringen Kennt-nissen über das Spiel – das Thema auf und in zahlreichen Internetforen wurde dar-über diskutiert. Aus jugendschutzrechtlicher Sicht ist für die Bewertung einzelnerSpiele u.a. entscheidend, welche Relevanz detaillierte und spektakuläre Gewaltdar-stellungen für das Spielgeschehen haben und ob sich die Spielziele in der Tötung vongegnerischen Figuren erschöpfen. Die BPjM sprach sich aufgrund Erwägungendieser Art gegen eine Indizierung aus, zu einem Zeitpunkt als das Forum bereits lief.

Der Kontext des vom 09. bis 21. Mai 2005 laufenden Forums wurde dementspre-chend vor allem von zwei Elementen geprägt: Zum einen legte die Regierung einenSchwerpunkt auf die Frage der Indizierung von »CS«, sah sich dann aber mit einerBewertung des Spiels durch die BPjM konfrontiert, die den eigenen Absichten zu-widerlief. Zum anderen mobilisierte die »CS«-Szene, unterstützt von der Industrie,ihre Ressourcen zur Verhinderung der Indizierung und griff dabei, ihrem Charakterals Netzkultur entsprechend, auch stark auf das Internet zurück: durch E-Mails anPolitiker und die BPjM, die Beteiligung an Onlinediskussionen (z.B. auch in Forendes Deutschen Bundestages) sowie zur internen Abstimmung (u.a. durch eine Inter-netwahl der Personen, die die »CS«-Szene bei einer Anhörung durch die BPjM ver-treten sollten).

Der Diskussionsverlauf im Forum entspricht zunächst einem Muster, das in Online-themenforen häufiger anzutreffen ist, wird dann aber durch die Nachrichten zurStellungnahme der BPjM (16.05.2002) sowie der Kritik an dieser durch den Bundes-kanzler (17.05.2002) einschneidend verändert (IZT 2005): In der Anfangsphase,den ersten zwei Tagen, dominieren starke Meinungsäußerungen das Bild. Die Ein-dämmung von Gewaltdarstellungen in den Medien wird fast durchgängig abgelehnt.Der Kommunikationsstil ist überwiegend deskriptiv und es werden vor allem Infor-mationen zur Stützung der eigenen Position übermittelt. Zum Teil sind polemisch-agitative Beiträge festzustellen. Die zweite Phase – die Woche vor der Entscheidungder BPjM – macht den größten Teil der Diskussionen aus. Nach wie vor herrschtfast einhellig Konsens, dass keine zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen ergriffenwerden sollten, es sind jedoch etwas häufiger ambivalente Einstellungen zum The-ma und auch vereinzelt Gegenmeinungen festzustellen. Deutlich zu nimmt das Be-dürfnis nach Interaktivität – in Bezug auf andere Teilnehmer, den Bundeskanzlerund die Moderation. Die zahlreichen Beiträge, in denen der Bundeskanzler direktangesprochen wird, weisen darauf hin, dass die (ganz überwiegend jungen) Forums-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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teilnehmer hohe Erwartungen an einen Onlinedialog mit der Politik hegten. Es wirdDankbarkeit für die Einrichtung des Forums bekundet und die Diskussionsqualitätgelobt. Gleichzeitig zeichnet sich in der Selbstwahrnehmung vieler Diskutanten aberauch eine deutliche Frontstellung ab (Wir Computerspieler und Gegner von Zensurvs. populistische Massenmedien und Politiker). Aufgrund des fehlenden Feedbacksseitens der Politik und der Moderation kommt es am Ende dieser Phase zunehmendzu Unmutsäußerungen. Diese verstärken sich massiv in der dritten Phase des Forums:Bezogen auf die Stellungnahme des Bundeskanzlers häufen sich Beiträge, die in kri-tischer Form direkt an diesen gerichtet sind. Negativ-fatalistische Einschätzungen,Ironie und Sarkasmus, die zuvor keine Rolle spielten, treten auf: »Das Forum könnteman jetzt auch einfach schließen, bringt ja nix. Eines Gute hat die Sache natürlich.Ich weiß endlich wo ich mein Kreuz bei der Wahl machen werde. 100 % nicht dieSPD« (IZT 2005, S. 43). Vom Meinungsbild und der Beitragszahl her gesehen ähneltdie dritte Phase der zweiten, jedoch verschärft sich die Polemik und der Bundes-kanzler wird noch häufiger direkt angesprochen. Am vierten Tag nach dessenStellungnahme endet das Forum.

Bei diesem Forum spiegelt die Onlinediskussion in ihrem Verlauf also die massen-medial-öffentliche Diskussion. Bedingt durch die starke Präsenz von – durchausauch kritisch ihr eigenes Hobby reflektierenden – »CS«-Spielern sind jedoch Inhaltevorherrschend, die in der allgemeinen Öffentlichkeit nur am Rande – vor allem aufWebsites von Qualitätsmedien – vorkamen. Die Diskussionen sind (zumindest vordem 17. Mai 2002) durch einen überwiegend höflich-respektvollen Kommunika-tionsstil gekennzeichnet sowie durch ein hohes Maß an Interaktivität und zahlreicherational argumentierende, auf Informationen verweisende Beiträge. VerschiedeneAspekte des Themas wurden diskutiert, wobei auch Gegenpositionen zu den eige-nen Auffassungen oft berücksichtigt wurden. Die politische Relevanz des Forumsist schwer einzuschätzen. Offenkundig ist, dass eine traditionelle Partizipationsform– nämlich die Anhörung durch die BPjM, bei der neben Industrievertretern auchzwei Fans teilnahmen – eine wichtige Rolle spielte. Recherchen im Rahmen desProjekts legen die Annahme nahe, dass auch dieses Forum – trotz der Evaluationim Auftrag des BPA, die als »beste Praxis« gelten kann – im politischen Prozesskeine Rolle spielte. Ziele und Motive der Einführung des Forums wurden den Teil-nehmern so gut wie nicht vermittelt (IZT 2005). Als mögliche Motive kommen vorallem das Anregen einer öffentlichen Debatte und die Verbesserung der Kommuni-kation mit der Öffentlichkeit in Frage. Das Anliegen des ersten Punkts wurde um-gesetzt. Eine Recherche im September 2004 ergab zudem, dass sich in zahlreichenOnlineforenangeboten (von Unternehmen, gesellschaftlichen Organisationen undder »CS«-Szene) Hinweise und Links zu dem Forum finden lassen. Die Einbindungdes Forums in die interessierte Netzöffentlichkeit war dabei offenkundig derenEigenleistung. Der zweite Punkt, die Verbesserung der Kommunikation, wurde nicht

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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erreicht; offenkundig hat sich vielmehr das Verhältnis zu einer Teilöffentlichkeitverschlechtert.

Vermeidbar erscheinen – im Nachhinein – die Frustration und Demoralisierung dermeist jugendlichen Diskutanten. Fruchtbringender wäre möglicherweise die Einrich-tung eines Forums durch oder für die BPjM gewesen, womit auch die direkte An-bindung an einen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess ermöglicht wordenwäre. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass vor Einrichtung des Forums die Anbieternicht ahnten, dass es zu einem Zielpunkt der Mobilisierung der »CS«-Szene werdenwürde. Hier stellt sich die Frage, wie der Kenntnisstand der Politik über Netzöffent-lichkeiten und -kulturen erhöht und für die Konzeption und Positionierung eigenerDiskussionsangebote im Netz nutzbar gemacht werden kann. Neben einer sorgfäl-tigen Zielgruppenauswahl wären dabei auch vorbereitende Internetrecherchen zuerwägen.

DIE WEBSITE DES BMJ ZUR KAMPAGNE »KOPIEN BRAUCHEN ORIGINALE«

Die politische Debatte über das Urheberrecht wird auch durch intensive Diskussio-nen im Netz begleitet (Kap. V). Ausschlaggebend ist dafür offensichtlich, dass neueRegulierungsmaßnahmen in diesem Bereich insbesondere für viele starke Netznutzervon herausragendem Interesse sind: »Peer-to-Peer«-Netzwerke, die dem Austauschvon Inhalten verschiedener Art dienen und ein wichtiger Bestandteil der Netzkultursind, können auch zu Urheberrechtsverletzungen im großen Stil eingesetzt werden.Innerhalb der internationalen Kulturszene bestehen allerdings – z.B. bei der Initia-tive »Creative Commons« – Ansätze für neuartige Umgangsweisen mit der Veröf-fentlichung von eigenen Werken im Netz. Auch die Industrie hat inzwischen neueModelle entwickelt – wie z.B. das »Digital Rights Management«24 –, die aber aufzum Teil heftige Kritik von Nutzern und Aktivisten gestoßen sind. Die Auseinan-dersetzung ist allgemein stark emotionalisiert: Während die Industrie, die sich durchdie neuen Kopier- und Verbreitungsmöglichkeiten besonders betroffen fühlt, mitLobby-Arbeit und oft rüden sowie teilweise ethisch fragwürdigen25 Öffentlichkeits-kampagnen ihre Interessen durchzusetzen sucht, stellt der aktivistische und ebenfallslobbyistisch tätige Kern der Gegenseite diese Unternehmen als »sterbende In-dustrien« dar, die ihre Schwierigkeiten mit dem Internet durch politische Protektionlösen lassen wollten. Um den aktivistischen Kern, der auch außerhalb des Netzes»Gegenöffentlichkeit« zum Thema schafft, existiert eine relativ große Zahl von

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

24 Siehe zu diesem Thema z.B. http://www.indicare.org.25 In einem Werbespot der Kampagne »Raubkopierer sind Verbrecher«, die vor allem mit dem

Motiv langjähriger Haftstrafen für Urheberrechtsverletzer spielt, sieht sich der verurteilte»Raubkopierer« der Gefahr einer Vergewaltigung durch andere Gefängnisinsassen ausgesetzt.

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Gegnern der geplanten und bereits realisierten Urheberrechtsänderungen, die dasNetz und die Möglichkeiten der Onlinediskussion intensiv nutzt. Sie erwartet zugroßen Teilen vom Staat – und insbesondere vom BMJ – eine zur Versachlichungder Debatte beitragende Mediatorenrolle, auch durch Onlinediskussionsangebote(pol-di.net 2004; Kap. V).

In dem skizzierten Kontext steht die Initiative »Kopien brauchen Originale«26 (abjetzt »KbO«), die im Oktober 2004 vom BMJ gestartet wurde. Start und Inhalte derKampagne wurden online wie offline öffentlichkeitswirksam kommuniziert. BeiGoogle-Recherchen zum Thema und nach dem Ministerium fand sich (im April2005) die von einer studentischen Arbeitsgruppe konzipierte und gestaltete »KbO«-Website immer unter den oberen 20 Ergebnissen, zumeist unter den ersten zehn undzum Teil noch vor der zentralen Website des Ministeriums selbst. Das Angebot hatalso schnell eine wichtige Rolle für die Position des BMJ in der deutschsprachigenNetzöffentlichkeit gewonnen. Die Website weist zwei Schwerpunkte auf: die In-formation über die Gesetzgebung zum Urheberrecht und das Angebot zur Online-diskussion. Hinsichtlich des ersten Schwerpunkts ist bemerkenswert, dass hier aufweitgehende Weise ein Webangebot auf einen Gesetzgebungsprozess bezogen wird,u.a. mit Erläuterungen zum Konzept der »kooperativen Gesetzgebung« sowie Do-kumenten zu Ergebnissen der Arbeitsgruppen zur Erarbeitung des Referentenent-wurfs, in die nicht staatliche Akteure eingebunden waren. Unter dem Punkt »De-batte« in der Startseiten-Rubrik »Gesetzgebung« sollen nach Beginn der parlamen-tarischen Debatte Informationen zu dieser (Stellungnahmen der Ausschüsse, Presse-mitteilungen, Reden der Fraktionssprecher etc.) zur Verfügung gestellt werden.

Das am 27. Dezember 2004 gestartete Onlineforum erreicht man auf der »KbO«-Site über eine in der Menüleiste hoch positionierte Startseitenrubrik (»Forum«). Esist nutzerfreundlich gestaltet und verfügt über eher ungewöhnliche Optionen, wiez.B. die, dass Teilnehmer eigene »Umfragen« ins Forum einstellen können, unddass zu jedem Unterthema Angaben zu den Besuchszahlen (»Aufrufe«) zu erfahrensind. Eine Vorabprüfung von Beiträgen erfolgt nicht. Bei der letzten Sichtung(23.04.2005) fanden sich sieben Unterforen, die durchschnittlich 43 Unterthemenund 280 Beiträge aufwiesen. Das mit weitem Abstand am intensivsten genutzte Un-terforum (182 Unterthemen und 1.462 Beiträge) hat als Thema »Privatkopie undKopierschutz«. Die 20 aufgefundenen Beiträge der Moderation beschränken sichauf Hinweise zu Aktivitäten und Positionen der Regierung und auf Fragen zurOrganisation des Forums. Die Anbieter duzen die Teilnehmer. Eher an Chats mitEvent-Charakter erinnert der Schlusssatz eines Texts zur »Netiquette«: »Und jetzt:viel Spaß im Forum.«

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

26 http://www.kopien-brauchen-originale.de

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Das Forum wurde überwiegend von Kritikern der Gesetzesänderungen geprägt.Querverbindungen zu www.heise.de (Kap. V) sind zahlreich. Oft – und im Lauf derZeit zunehmend – wird von Teilnehmern vermutet, dass das Forum eigentlich keinAngebot zum Onlinedialog sei, sondern eine bloße Imagemaßnahme. Dem BMJwird häufig eine einseitige Parteinahme für die Industrie vorgeworfen.27 Der Gradder Interaktivität zwischen den Teilnehmern scheint hoch zu sein, was vermutlichauf deren Onlinediskussionserfahrenheit und das Fehlen der Vorabprüfung zurück-zuführen wäre. Die Umfragen stießen auf wenig Resonanz. Eine vertiefte Diskus-sionsanalyse war im Rahmen des Projekts nicht möglich, es fanden sich aber z.B.gut begründete Beiträge zu Detail- und Grundsatzfragen, undifferenzierte und zumTeil äußerst polemische Meinungsäußerungen, viele sarkastisch-ironische Beiträge,kritische Kommentare zu vulgären und anderen niveaulosen Teilnehmerbeiträgen,Forderungen nach einem Feedback der Anbieter sowie Fragen nach dem Sinn desForums selbst.

Eine besonders intensive Diskussion fand zu dem letztgenannten Punkt statt. Hiermachte sich wieder die Krux vieler staatlicher Diskussionsangebote im Netz deut-lich bemerkbar: Das Zusammenwirken von geringer Responsivität der Politik,mangelhafter Anbindung an politische Prozesse und hoher Erwartungen der Teil-nehmer. Die Folge dieses Zusammenwirkens ist, dass Teilnehmer – gerade wenn sieerhebliche Zeitressourcen für die Diskussionen aufwenden und diesen einen hohenWert beimessen – frustriert werden. Diese Frustration von Teilnehmern entlud sichim KbO-Forum in wütenden Stellungnahmen und sarkastischen Beiträgen, in denendie Glaubwürdigkeit der politischen Akteure in Frage gestellt wurde. Diejenigen, dievon Anfang an Zweifel am Sinn des Forums äußerten, fühlten sich in ihrer Skepsisbestätigt. Teilnehmer, die höhere Erwartungen an das Forum bekundet hatten, sahensich dem Vorwurf ausgesetzt, naiv zu sein. Für die Enttäuschten ist folgender Beitragexemplarisch: »[...] dieses Forum ist und bleibt eine ‘Nische’ ohne breite Öffent-lichkeit. Das BJM bestätigt zwar die Kenntnisnahme der Beiträge, aber irgendeineReaktion ist noch immer nicht erfolgt (wird wohl auch nicht!). [...] Es macht keinenSinn, diesen ‘Schuttabladeplatz der vom Rechtsstaat frustrierten’ weiterhin zubedienen [...].«

In der Pressemitteilung des BMJ zum Forumsstart (27.12.2004) wird die Ministerinwie folgt zitiert: »Das Onlineforum ist eine interaktive Form der kooperativen Ge-setzgebung. Ich hoffe auf eine rege Beteiligung.« Auf die Frage eines sehr aktivenForumsteilnehmers (in einem Chat am 15. März 2005), ob die Forumsbeiträge poli-tisch berücksichtigt werden, antwortete die Ministerin: »Die Forumsbeiträge und

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

27 Ein in den Foren mehrmals als positives Beispiel eingeschätztes Webangebot zum Urheberrechtist www.irights.info. Es wird vom BMVEL gefördert und informiert u.a. zu Details des neuenUrheberrechts und über alternative Ansätze wie z.B. das Konzept der »Creative Commons«.

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Mails, die uns erreichen, werden wirklich gelesen. Im Übrigen haben wir mit allenbeteiligten Interessengruppen – gerade auch den Verbraucherverbänden – bei derVorbereitung des Gesetzentwurfs ausführlich diskutiert. Es geht um einen Interes-senausgleich der Kreativen, der Industrie und der Verbraucher.« Das Forum wirktaber – im Vergleich zu den Aktivitäten zur Einbindung von Wirtschaft und organi-sierter Zivilgesellschaft – wie ein zu spät nachgeschobenes Diskussionsangebot.Angesichts des Fehlens eines Hinweises auf eine systematische Auswertung und derkurzen Zeitspanne (15 Tage), die zwischen dem Forumsstart und der Bekundungliegt, dessen Ergebnisse »sorgfältig ausgewertet« zu haben (BMJ 2005), ist einGlaubwürdigkeitsproblem nicht von der Hand zu weisen.

Der Grad der aktiven Beteiligung weist darauf hin, dass die Akzeptanz des Angebotsschnell sank. Die weit überwiegende Mehrzahl der Beiträge entstand kurz nachEröffnung des Forums. Während die Themen bis Mitte Januar 2005 mehrheitlichdie Hoffnung widerspiegeln, auf den Referentenentwurf des BMJ Einfluss nehmenzu können, verstärkte sich Mitte Januar – offenkundig in Folge der Nachricht, dassder Regierungsentwurf keine wesentlichen Veränderungen zum Referentenentwurfenthalten wird – die Kritik an dem Forum und der Verfahrensweise des BMJ insge-samt. Zwar hielten diese und andere Diskussionen noch einige Wochen an, aberinsgesamt gesehen ging die Aktivität stark zurück. Im April 2005 war das Forumnahezu inaktiv: Die Besucherzahlen waren massiv zurückgegangen und Diskussio-nen fanden keine mehr statt.

ERTRÄGE, HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN 2.3.3

Insgesamt gesehen machen sich das Fehlen eines zentralen Portals zu den Online-diskussionsangeboten und deren oft schlechte Sichtbarkeit in den einzelnen Web-sites negativ bemerkbar. Bei den ermittelten Angeboten fanden sich aber mehrereBeispiele für beste und gute Praxis, die aber – zum Teil auch bei ein und demselbenAngebot – mit erheblichem Verbesserungsbedarf einhergehen. Sinnvoll wären Maß-nahmen zum verstärkten Erfahrungsaustausch und zur engeren Kooperation zwi-schen den einzelnen Anbietern sowie eine bessere Ausstattung mit Ressourcen undderen effizienterer Einsatz. Dies betrifft vor allem die Vorbereitung (Timing in Be-zug auf die relevanten politischen Prozesse, Zielgruppenorientierung usw.) und dieBetreuung der Foren (Redaktion und Moderation). Von besonderer Bedeutung istauch die Frage des Engagements (oder »commitment«) von Entscheidungsträgern.Mindestvoraussetzungen für ein gutes Angebot sind eine transparente Zweckbe-stimmung und eine verlässliche und realistische Einschätzung des zu erwartendenFeedbacks der Politik.

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2. DIGITALE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND UND GROßBRITANNIEN

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Die Bundesregierung hat nach eigener Einschätzung mit Expertenforen sehr positiveErfahrungen gemacht. Offenkundig gute Ergebnisse werden zudem mit Foren fürdie Beratung, den gegenseitigen Erfahrungsaustausch und die Selbsthilfe von Bür-gern gemacht. Auch wenn es hier negative Beispiele gibt, bei denen das Angebot aufgeringe Resonanz stieß oder inhaltlich unzureichend betreut war, kann mit solchenAngeboten ein wichtiger Service für Bürger geleistet werden, der dann auch ent-sprechend positive Reaktionen bei diesen hervorruft. Eine wichtige Voraussetzungdafür ist eine aktive Moderation.

Ambivalent bis negativ stellt sich die Situation bei den politischen Diskussionsforendar: Während das technische Design dieser Foren in der Regel von hoher Qualitätist, sind (zum Teil gravierende) Mängel bei der Vorbereitung, Betreuung sowie derAnbindung der Foren an die politischen Prozesse festzustellen. Die relativ häufigeDurchführung von Chats kann diese Mängel nicht ausgleichen, da – wie die Bun-desregierung selbst feststellt – Foren die für den Zweck der Diskussion komplexerThemen weit besser geeigneten Instrumente sind. Bemerkenswert ist die Tatsache,dass die Bundesregierung bei politischen Diskussionsforen zu sehr umstrittenenThemen auf eine Vorabprüfung von Teilnehmerbeiträgen verzichtet hat. (Dies stehtim Gegensatz zur Praxis des Deutschen Bundestages in seinem Diskussionsforum(Kap. IV.3.5). Durch einen solchen Verzicht wird eine besondere Stärke von Online-foren voll genutzt, nämlich die gleichzeitige Ermöglichung von sehr lebendigen Dis-kussionen – durch schnellen Austausch der Teilnehmer (Interaktivität) – und vonwohl überlegtem, deliberativem Austausch (durch die Zeitversetzung). Als bestePraxis, mit der bei Angeboten der Bundesregierung bereits Erfahrungen gesammeltwurden, kann hier die zeitnahe nachträgliche Prüfung von Teilnehmerbeiträgengelten (z.B. durch E-Mail-Benachrichtigungen der Moderation über neue Beiträge).Wenn Restriktionen der Interaktionsmöglichkeiten der Teilnehmer als notwendigerachtet werden, sollte dies durch begleitende redaktionelle Informationen oder –wenn es zu diesbezüglicher Kritik von Teilnehmern kommt – durch die Moderationim Forum begründet werden. Das gleiche gilt in Bezug auf die Politikerbeteiligungim Forum und die Aufbereitung und politische Nutzung der Diskussionsergebnisse.An zwei Beispielen – dem Urheberrechtsforum des BMJ und dem Kanzlerforum –konnte zudem aufgezeigt werden, dass diese und andere Herausforderungen sich imbesonderen Maße dann stellen, wenn die Angebote stark von internetaffinen Per-sonengruppen mit hohen Erwartungen an den Onlinedialog genutzt werden. Hierkann es zu Kollisionen von politischer Kultur und Netzkultur(en) kommen unddadurch zu kontraproduktiven Folgen des Diskussionsangebots.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE 3.

Für den Deutschen Bundestag und das britische Parlament bestehen – trotz einigerÄhnlichkeiten – unterschiedliche Rahmenbedingungen in Bezug auf die digitaleDemokratie: Dies betrifft sowohl die Wechselwirkungen von Regierungspolitik undparlamentarischen Aktivitäten zur E-Demokratie als auch das gesellschaftlich-poli-tische Umfeld staatlicher Angebote zur E-Partizipation und zur Onlinediskussion.Hinzu kommt, dass sich in Großbritannien der Parlamentarismus seit den 1990erJahren relativ stark gewandelt hat – zum einen durch die neuen Parlamente inSchottland und Nordirland und die walisische Versammlung, zum anderen durchintensive Aktivitäten zur Reform des nationalen Parlamentarismus (Kap. IV.3.3).Unterschiede bestehen auch in der individuellen Nutzung des Internets durch Ab-geordnete (Kap. IV.3.1) und bei der Nutzung für das Petitionswesen (Kap. IV. 3.2).

INDIVIDUELLE WEBANGEBOTE VON PARLAMENTARIERN 3.1

Hinsichtlich der institutionellen parlamentarischen Angebote zur Onlinediskussionist als Hintergrund auch die individuelle politische Nutzung des Internets durch Ab-geordnete von besonderem Interesse: Zum einen rücken deren Erwartungshaltungenund Problemwahrnehmungen in Bezug auf das Netz ins Blickfeld, zum anderen kannder Status der institutionellen Angebote für die Arbeit der Parlamentarier klarerwerden. Mittlerweile liegt eine Reihe international vergleichender Studien zu diesemAspekt digitaler Demokratie vor (z.B. Hoff et al. 2004). Eine einschlägige Untersu-chung, bei der auch die Webpräsenzen deutscher Bundestagsabgeordneter analysiertwurden (Zittel 2004b), bildete die Basis für ein Gutachten, das im Rahmen des Pro-jekts an den für die Untersuchung verantwortlichen Wissenschaftler vergeben wur-de (Zittel 2004a) und auf das im Folgenden eingegangen wird.

MITGLIEDER DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES 3.1.1

Die empirische Grundlage des Gutachtens ist die auf den Deutschen Bundestag be-zogene Auswertung der Ergebnisse einer international vergleichenden Untersuchungzu den Ländern Deutschland, USA und Schweden, die der Gutachter zwischen 1998und 2004 durchgeführt hat. Bei dieser wurden alle privaten Websites von MdB inzwei Wellen (April 2000 und April 2004) analysiert, in den Jahren 1998 bis 2001explorative Interviews mit Mitgliedern nationaler Parlamente der genannten Staatengeführt sowie im Sommer 2004 (auf der Grundlage eines standardisierten Leit-

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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fadens) 55 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Parlamentarier (davon 28 MdB)befragt.

Im Vergleich zu den Abgeordneten der anderen Parlamente haben die MdB zu einemfrühen Zeitpunkt ein beachtliches Niveau in der Nutzung des Internets erreicht. DieZahl der MdB mit privaten Websites ist zudem seit den 1990er Jahren stark ange-stiegen: Lag der Anteil von MdB mit persönlicher Website im Juli 1998 noch bei8,3 %, hatten im April 2000 ein Drittel und im Juli 2001 fast die Hälfte (47,9 %)aller MdB eine eigene Website. Im April 2004 schließlich warben 532 von 603 Ab-geordneten (88,2 %) – per Hypertext-Verweis auf ihrer generischen Webpräsenz, dievon der Verwaltung des Deutschen Bundestages für jedes MdB eingerichtet wird –für eine persönliche Website.

Diese quantitative Zunahme ging auch mit einem Qualitätszuwachs hinsichtlich derKommunikation zwischen MdB und Bürgern einher. Dieser Qualitätszuwachs wirdvor allem im Bereich des Informationsangebots deutlich: Der Nutzer kann vermehrtauf solche Informationen zugreifen, durch die eine Positionierung des MdB oderseiner Partei in Sachthemen deutlich wird – u.a. durch eine größere Zahl von Mög-lichkeiten zum Abonnement eines Newsletter zum Abrufen von Positions- bzw.Themenpapieren der Partei und, seltener, eigenen Textangeboten der MdB sowievon aktuellen Presseerklärungen.

Deutlich langsamer haben sich hingegen die Onlinediskussionsangebote an die Bür-ger entwickelt: Gästebücher – die auch zur Kommunikation zwischen Besucherneiner Website genutzt werden können (Diekmannshenke 2000) – und Foren wiesenim April 2000 die Websites von 4,5 % und im April 2004 von 16,3 % aller MdBauf. Onlinebefragungen der Nutzer fanden sich im April 2000 auf keiner privatenWebsite eines MdB, während im April 2004 13 Abgeordnete (2,2 % aller MdB)solche auf ihren Websites anboten.

Zu den Gästebüchern wurde in einer älteren Studie (Döring 2003b) festgestellt, dassdas Interesse an diesen verschwindend gering sei: Ein Drittel der Gästebücher ent-halte nur ein bis zehn Einträge, mehr als hundert Einträge fanden sich auf 7 % derParlamentarier-Websites. Allerdings seien »selbst bei den zehn meistgenutztenGästebüchern« im Durchschnitt »nur etwa zwei bis drei Einträge pro Woche« ein-gegangen (Döring 2003b, S. 37; zitiert nach Neuberger et al. 2004). Außerdem han-dele es sich dabei zur Hälfte um »unterstützende« Beiträge eigener Anhänger, diezu Wahlerfolgen gratulierten, sich für Reden und Besuche bedankten oder diePolitiker ermutigten. Neben jeweils 15 % neutralen oder unpolitischen Einträgenund Hilfegesuchen fanden sich 20 % kritische Einträge. Die Responsivität, also dasöffentliche Beantworten der Anfragen durch die Politiker, falle sehr gering aus.Wenn die Zahl der Einträge groß und die Kritik stark wurde, habe die Neigungbestanden, Gästebücher zu schließen oder Websites abzuschalten.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Die Bedeutung der öffentlich-deliberativen Elemente der Websites von MdB er-scheint noch geringer, wenn man die Ergebnisse der 28 Leitfaden-Interviewsberücksichtigt, die in dem erwähnten Gutachten (Zittel 2004a) vorgestellt werden.Demnach werden die Nutzerbeiträge zu den Gästebüchern ausschließlich von Mit-arbeitern des MdB oder externer Webagenturen gelesen. Es wurden zudem keinesystematischen Verfahren zu ihrer Auswertung deutlich, und keiner der Befragtenkonnte ein Beispiel für konkrete Wirkungen dieser Kommunikationsform auf dieinterne Meinungsbildung nennen. In Bezug auf die vorhandenen Diskussionsforendominierten in den Gesprächen »Klagen hinsichtlich der geringen Aktivität imForum oder der fehlenden Qualität der Beiträge« (Zittel 2004a, S. 13). Überlegungenzur aktiven Gestaltung und Strukturierung der Foren – zur Steigerung der Quantitätund Qualität der Beteiligung – seien aus diesen Klagen jedoch nicht erfolgt. DiePraxis stelle sich aber als uneinheitlich dar: »Einige der Befragten beteiligen sichweder als Lesende noch als Schreibende an ihrem Forum. Mitunter übernehmennicht einmal Mitarbeiter diese Verantwortung, so dass manches Forum völlig unbe-achtet ‘dahinvegetiert’. Im Gegensatz hierzu stehen Fälle, in denen Abgeordnete denEinträgen in ihrem Forum durchaus Beachtung schenken und sich auch durchBeiträge aktiv beteiligen« (Zittel 2004a, S. 13).

MOTIVE, ERWARTUNGEN UND PROBLEMWAHRNEHMUNGEN DER MDB

Die generell positive Haltung zur Nutzung des Internets als Mittel »direkter perso-nalisierter Wählerkommunikation« ist durch vier Positionen gekennzeichnet:

> Insbesondere unter jüngeren MdB ist die Überzeugung vorherrschend, dass mandas Internet zwingend in allen Kommunikationszusammenhängen nutzen müsse,um nicht als rückständig zu gelten.

> Abgeordnete fühlen sich weniger abhängig von den Massenmedien hinsichtlichder Frage, welche ihrer Aktivitäten wie Öffentlichkeit erlangt.

> Verbreitet ist auch die Vorstellung, dass man Wähler nicht mehr über die etab-lierten Kommunikationskanäle wie etwa öffentliche Veranstaltungen, Parteiver-sammlungen oder Bürgersprechstunden erreichen könne. Das Internet gilt hier als eine neue Chance zur Wählerkommunikation angesichts einer Erosion dergewohnten Kanäle.

> Vom Internet erhofft man, dass gerade junge Wählerschichten erreicht werdenkönnen.

Internetkommunikation erscheint den befragten MdB also als ein modernes Mittelzu einem stärker selbst bestimmten sowie intensivierten Austausch mit dem Bürger– und insbesondere mit jungen Internetnutzern.

Der Zweck einer privaten Website wird von den Befragten deutlich unterschiedlichbestimmt: Während die einen ihre Website vor allem als Mittel der Öffentlichkeits-

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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arbeit und Informationsverbreitung – hauptsächlich in Wahlkampfzeiten – betrach-ten, erhoffen sich andere eine auf Dauer gestellte, intensivere Interaktion mit denBürgern – wobei Hoffnungen vor allem auf den Einsatz von Diskussionsforen zurOrganisation von Sachdebatten gesetzt werden.

Hinsichtlich der Probleme wurde von den Abgeordneten in den Interviews dreier-lei besonders betont:

> Potenziell drohe eine Kommunikationsüberlastung für MdB und ihre Mitarbeiter.Die Zeitbudgets würden z.B. durch eine ansteigende Zahl von zu beantwortendenE-Mails, durch die Produktion von Texten eigens für die Veröffentlichung imInternet oder durch die Pflege von Diskussionsforen sowie deren Nutzung imZuge der internen Meinungsbildung belastet.

> Die Ressourcenprobleme würden zudem durch inhärente Probleme des Internetsverschärft, insbesondere durch das Spamproblem. Die befragten MdB beziffernden Spamanteil an ihrem gesamten Maileingang auf bis zu 50 % und verwendeneinen beträchtlichen Teil der Arbeitskapazität ihrer Mitarbeiter auf das Filternund Löschen dieses »Kommunikationsmülls« (vgl. für Handlungsoptionen vander Meer 2004).

> Hinzu komme, dass der erhöhte Aufwand durch Netzangebote nur bedingt zurArbeitsreduktion in anderen Bereichen führe, da die Website nur eine Ergänzungzu anderen Formen der Wählerkommunikation ist: Angesichts der Charakteristikader Netznutzerschaft – überdurchschnittlich jung, gebildet, einkommensstarkund politisch interessiert – müsse der Kontakt zu anderen Bevölkerungsgruppenweiterhin durch andere Kommunikationsformen aufrechterhalten werden.

Als eine Hürde bei der Ausschöpfung des dialogischen Potenzials netzbasierterKommunikation kann auch das Selbstverständnis der MdB angesehen werden.Diese verstehen sich demnach oft in erster Linie als Vertreter einer Partei und steheneiner unabhängigen inhaltlichen Positionierung in bundespolitischen Fragen eherskeptisch gegenüber (Zittel 2004a): Die Beziehung zum Wähler wird aus dieser Sichtzum einen als Dienstleistungsbeziehung gedeutet, bei der es darum geht, persönlicheHilfeleistungen etwa im Umgang mit Behörden zu gewähren. Zum anderen wird diespezielle Verpflichtung gegenüber dem eigenen Wahlkreis betont. Angesichts derbegrenzten Ressourcen der MdB für die Einrichtung, technische Pflege und inhalt-liche Betreuung von Webpräsenzen regt der Gutachter an, dass die Aktivitäten derAbgeordneten in diesem Bereich seitens des Deutschen Bundestages verstärkt unter-stützt werden könnten.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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BRITISCHE ABGEORDNETE 3.1.2

In Großbritannien (zum Folgenden Gibson et al. 2004a) verfügten im Jahr 2004 ins-gesamt 42 % der Abgeordneten über eine funktionale – also regelmäßig gepflegte –Webpräsenz, die sie mit eigenen Ressourcen oder unterstützt durch standardisierteAngebote ihrer Parteien erstellt hatten. Etwa 25 % aller Abgeordneten nutzten daskostenlose Angebot von Epolitix, einem Projekt des Politik-Informationsdienst-leisters Parliamentary Communications Limited. (Epolitix bietet nicht nur Abge-ordneten die Möglichkeit an, innerhalb des eigenen Angebots eine Webpräsenz ein-zurichten, sondern auch eine Suchfunktion für alle Parlamentarier-Webpräsenzen.)Über Diskussionsangebote (Foren oder Chats) verfügten 6 % aller Webpräsenzen

Bemerkenswerte Entwicklungen der letzten Zeit waren u.a. ein in den Jahren 2003und 2004 von Epolitix durchgeführtes Pilotprojekt, bei dem drei Abgeordnete mitEpolitix-Webpräsenzen eine Reihe privater, auf ihren Wahlkreis bezogener »An-hörungen« – allerdings ohne die Möglichkeit der Kommunikation zwischen denBefragten – durchführten, sowie die Nutzung von Weblogs durch einige Parlamen-tarier aus allen drei großen Parteien.

Der erste und bisher erfolgreichste Parlamentarier-Blog hatte nach Auskunft des Ab-geordneten bisher durchschnittlich über 10.000 Besuche pro Monat, ein in dieserHinsicht weniger erfolgreicher z.B. knapp über 500. Erklärte Beweggründe derParlamentarier für die Einrichtung eines Blogs sind das Interesse Jugendlicher anOnlinediskussion, die Möglichkeit der Kommunikation interessierter Bürger unter-einander und der vertieften Diskussion politischer Fragen, die Frustration über dieMassenmedien und vor allem die Möglichkeit eines direkten Austauschs mit inter-essierten Bürgern. Der Zeitaufwand für das Verfassen der Beiträge halte sich inGrenzen; zudem könnten viele Texte gleichzeitig für Veröffentlichungen in Lokal-zeitungen und andere Zwecke verwendet werden. Für die gezielte Ansprache derBürgerschaft im eigenen Wahlkreis seien allerdings Werbemaßnahmen vonnöten.

Der Anteil der Abgeordneten, die Möglichkeiten zur netzöffentlichen C2G-Kom-munikation oder zum Onlinedialog (Chats, Foren, Weblogs, Befragungen) anbieten,liegt deutlich unter 10 %. Im Vergleich zu den Mitgliedern des Deutschen Bundes-tages, von denen im April 2004 16,3 % private Websites mit Foren und Gäste-büchern aufwiesen, hatten britische Abgeordnete im letzten Jahr auch relativwenige Diskussionsangebote auf ihren Webpräsenzen.

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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PETITIONSRECHT, BÜRGERBETEILIGUNG UNDNETZÖFFENTLICHE DISKUSSION 3.2

Die Bürger haben das Recht, sich mit Anliegen an die zuständigen Regierungsstel-len oder aber den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zu wenden. DiesesRecht wird in nicht unerheblichem Maße genutzt: In den Jahren 1991 bis 2003 ver-zeichnete der Ausschuss durchschnittlich jährlich über 18.000 Posteingänge. Hinzukamen jährlich mindestens 10.000 Nachträge, also weitere Schreiben der Petentenzu ihren Petitionen.

Onlineforen werden wiederum in nicht unerheblichem Maße von Bürgern dazugenutzt, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Soweit es sich dabei umkonkrete Anliegen handelt, bei denen ein vom Staat behebbarer Missstand angezeigtund Handeln der Politik eingefordert wird, sind die Forenbeiträge auch für dasPetitionswesen inhaltlich relevant. Daher stellt sich – zumindest in längerfristigerPerspektive – die Frage, welche Konsequenzen sich aus der parlamentarischenNutzung von Foren, Chats etc. für die Arbeit des Petitionsausschusses ergeben. Vonbesonderer Bedeutung sind hier Foren, die vorrangig der Beratung der Bürger (undzum Erfahrungsaustausch zwischen diesen) zu konkreten Anliegen und Problemendienen, und weniger allgemeine politische Diskussionsforen. Solche Beratungs- undSelbsthilfeforen wurden allerdings vom Deutschen Bundestag bisher kaum ange-boten, im Gegensatz z.B. zur Bundesregierung (Kap. IV.2.3).

Ein weiterer relevanter Aspekt ist das »E-Petitioning« selbst. International vorbild-haft ist hier das schottische Parlament, wo das entsprechende Angebot den Kernbe-reich der eigenen E-Demokratie-Aktivitäten ausmacht. Der schottische Ansatz zumE-Petitioning zeichnet sich dadurch aus, dass Petitionen nicht nur online erfolgenkönnen, sondern dabei netzöffentlich auf der Website des Parlaments erscheinenund von anderen unterzeichnet sowie diskutiert werden können. Auch der DeutscheBundestag gehört zu den Parlamenten, die sich vor Ort über das schottische Peti-tionssystem informierten. Er hat die dort eingesetzte Software erworben.

Als Hintergrund der deutschen Diskussion zu diesem Thema ist daran zu erinnern,dass die Regierungsparteien in ihrer Koalitionsvereinbarung im Jahr 2002 angekün-digt hatten, das »Petitionsrecht, über die Lösung individueller Anliegen hinaus, zueinem politischen Mitwirkungsrecht der Bürgerinnen und Bürger ausgestalten« zuwollen. Die Obleute der Fraktionen der Regierungsparteien haben dem Petitions-ausschuss zum Ende des Jahres 2004 erste Vorschläge zur Änderung des Petitions-wesens unterbreitet. Die Vorschläge sehen Folgendes vor:

> Ermöglichung von Petitionen per E-Mail;

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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> Ermöglichung der öffentlichen Anhörung des Petenten bei Massen- und Sammel-petitionen;

> Durchführung eines Modellversuchs zur Mitzeichnung von Petitionen im Internet.

Zum ersten Punkt ist anzumerken, dass zwar die Nutzer von www.bundestag.dedarauf hingewiesen werden, dass aus rechtlichen Gründen bisher keine Bearbeitungvon E-Mail-Eingaben erfolgen kann, sich die Praxis aber de facto bereits weiter-entwickelt hat. Die beim Deutschen Bundestag einlaufenden E-Mails werden zentralgesammelt und auch daraufhin ausgewertet, ob aus ihnen ein Anliegen im Sinne desPetitionsrechts entnommen werden kann. Wenn der Absender eine Postadresse inseiner E-Mail mitgeschickt hat, antwortet ihm der Ausschussdienst. Zum zweitenund dritten Punkt ist darauf hinzuweisen (vgl. auch Löwenstein 2004), dass hierBedenken seitens der Opposition bestehen: Von einer derartigen Weiterentwicklungprofitierten demnach vor allem gut organisierte NGOs, Verbände und Vereine. DieOnlinesignatur von Petitionen ist – als nicht diskursives partizipatives Element –allerdings für die Nutzung von E-Petitioning zur C2G-Kommunikation und zurbürgerschaftlichen Onlinediskussion über politische Themen auch nicht relevant.

Entscheidend in diesem Zusammenhang sind die Onlineveröffentlichung der Petitio-nen und die Möglichkeit für andere Bürger, diese zu kommentieren und mit ande-ren Bürgern über sie zu diskutieren. Diese Elemente des schottischen Systems sollenin dem Angebot des Deutschen Bundestages übernommen werden. In Schottlandwird die Möglichkeit zur Onlinediskussion von Petitionen durchaus genutzt, auchwenn die Zahl der Kommentare bei allen E-Petitionen (zumeist deutlich) unter derZahl der Onlinesignaturen liegt. Die 46 seit September 2003 dem Parlament vorge-legten Petitionen konnten in der Regel innerhalb eines Zeitraums von drei Wochenbis rund drei Monaten signiert oder kommentiert werden. In elf Fällen gingen mehrals 15 Kommentare ein. Besonders häufig kommentiert wurde eine Petition zur Ge-sundheitsakutversorgung in ländlichen Regionen (89 Kommentare) sowie eine Peti-tion, die sich – vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts – gegen die Einstufungeiner jüdischen Organisation als gemeinnützig richtete (135 Kommentare). Beimletzten Fall kam es (ausweislich des Onlinearchivs der Kommentare) zu redaktio-nellen Eingriffen, nämlich der Löschung mehrerer Beiträge unter Verweis auf dieNutzungsbedingungen.

Von potenziell großer Bedeutung für digitale Demokratie ist ein E-Petitioning nachschottischem Muster deshalb, weil Bürger dabei an einer herausgehobenen Stelle inder Netzöffentlichkeit Themen einbringen und diskutieren können – mit einer di-rekten Anbindung an die parlamentarische Arbeit. Ein derartiges E-Petitionswesenkönnte potenziell auch einen wichtigen Beitrag zur nachträglichen Onlinegesetzes-folgenbewertung leisten, da – bei entsprechender Bekanntheit des Angebots – dasParlament öfter frühzeitig negative Auswirkungen von Gesetzen erfahren würde

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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und betroffene Bürger über diese diskutieren könnten. Zudem ist der Aspekt derQualitätssicherung und inhaltlichen Kontrolle der Beiträge hier bereits verbindlichgeregelt: Die übliche Vorabprüfung von Eingaben, bei der ihre Eignung als Petitionüberprüft wird, soll auch bei den E-Petitionen stattfinden. Beleidigende, strafbare,extremistische und andere inakzeptable Beiträge werden somit nicht netzöffentlichgemacht, wobei bei bestimmten Themen auch eine Vorabprüfung von Onlinekom-mentaren zu den Petitionen zu erwägen wäre. Im Gegensatz zu anderen Formen derC2G-Kommunikation wäre bei E-Petitionen überdies eine Reaktion der Politik ge-währleistet. Vorteilhaft dürfte dabei sein, dass es sich bei den Abgeordneten desPetitionsausschusses und den Verwaltungsmitarbeitern um Experten im Dialog mitdem Bürger handelt, die – informell – bereits auch umfangreiche Erfahrungen spe-ziell im Onlinedialog gesammelt haben. Der Petitionsausschuss muss im Gegensatzzu anderen politischen Akteuren seine politische Kultur nicht ändern, um einHöchstmaß an Offenheit gegenüber den Anliegen von Bürgern zu erreichen. Durchdie Elemente der Netzöffentlichkeit von Petitionen und der bürgerschaftlichenOnlinediskussion eröffnet sich zudem die Möglichkeit zur bürgerschaftlichenDeliberation politischer Themen von zumeist konkreter Dringlichkeit.

PARLAMENTSREFORM UND E-DEMOKRATIEIN GROßBRITANNIEN 3.3

Lange Zeit und bis zu den 1970er Jahren waren das Parlament und die Abgeord-neten relativ wenig gefragte Ansprechpartner für Interessenverbände und gesell-schaftliche Gruppen (Norton 1994): In der neueren Geschichte der britischen par-lamentarischen Demokratie hatte sich eine Arbeitsteilung zwischen Regierung undParlament herausgebildet, die letzterem nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zurKontrolle der Regierung und zur Mitwirkung an der Politikgestaltung (und insbe-sondere am Gesetzgebungsprozess) bot.

Seit Mitte der 1970er Jahre setzte hier aber ein Wandel ein, der allerdings die diesbe-zügliche starke Dominanz der Exekutive nur abgemildert hat. Offenkundig führtedieser Wandel aber zu einer Reihe von relevanten Veränderungen der parlamenta-rischen Praxis, wobei ein intensiviertes Experimentieren mit neuen Regelungen seitdem Regierungswechsel 1997 zu beobachten ist.

Das britische Ausschusssystem unterscheidet zwischen Standing Committees undSelect Committees: Eine festgelegte Rolle im Gesetzgebungsprozess spielen im We-sentlichen lediglich die Standing Committees. Sie haben eine Ad-hoc-Mitgliedschaftund die Aufgabe, Gesetzesentwürfe im Detail zu diskutieren. Im Kontext der vor-liegenden Studie sind aber vor allem die Select Committees von Interesse, die in derRegel eine feste Mitgliedschaft über eine Legislaturperiode hinweg haben. Select

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Committees sind investigative Ausschüsse, deren Arbeit vor allem darin besteht, zueinem bestimmten Thema von Zeugen (»witnesses«) Aussagen aufzunehmen (»takeevidence«), also die Meinungen von Experten, Interessenvertretern und interessiertenBürgern einzuholen. Anhörungen sind dementsprechend ein zentrales Instrument inder Arbeit dieser Ausschüsse. (Neben der Petition ist dies die Hauptmöglichkeit derBürgerbeteiligung an der parlamentarischen Arbeit.) Die Select Committees untertei-len sich u.a. in Domestic Committees und Departmental Select Committees, wobeierstere zur Beratung zu Dienstleistungen für das Parlament dienen. Für die E-Demo-kratie-Politik waren von diesen vor allem der 1997 neu eingerichtete Ausschuss zur»Modernisation of the House of Commons« (Modernisierungsausschuss) sowie derInformationsausschuss von Bedeutung. Die Departmental Select Committees wurden1979 eingerichtet28 und ähneln in gewisser Hinsicht den Ausschüssen des DeutschenBundestages, da sie thematisch einzelnen Ministerien zugeordnet sind. Auch sie sindjedoch nicht fest in den Gesetzgebungsprozess eingebunden, sondern dienengrundsätzlich nur zur Untersuchung der Ausgaben, Verwaltung und Politik der je-weiligen Ministerien.

Bemerkenswert ist, dass es seit dem Regierungswechsel 1997 zu einer Aufweichungder bis dahin relativ strikten Trennung zwischen den Aufgaben von StandingCommittees und Select Committees kam. Während zuvor die genaue Prüfung(»scrutiny«) von Dokumenten nur von wenigen Select Committees mit speziellenAufgabenbereichen (z.B. Prüfung der EU-Gesetzgebung) durchgeführt wurden,wurden seit 1997 sowohl von Departmental Select Committees als auch von eigensfür diesen Zweck eingerichteten anderen Ausschüssen genaue Prüfungen von Ge-setzesentwürfen der Regierung durchgeführt.

Diese Entwicklung steht ebenfalls im Kontext der Anstrengungen zur Stärkung derRolle des Parlaments in der Politikgestaltung: Durch die genaue Vorabprüfung vonGesetzesentwürfen (»pre-legislative scrutiny«) eröffnen sich den Parlamentariernauch neue Optionen der Einflussnahme auf den Gesetzgebungsprozess, vor allemdurch das Recht, Vorschläge zur Ergänzung der Entwürfe zu machen. In diesemZusammenhang wird auch der Einbeziehung von Bürgern durch Onlineforen einewichtige Rolle beigemessen. Zudem werden Berichte von Select Committees in denneu eingeführten »Westminster Hall debates« diskutiert. Diese Innovation soll – u.a.durch die Sitzordnung – stärker konstruktive als konfrontative Debatten befördern

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

28 Dadurch wurde sowohl der wachsenden Bedeutung des Parlaments als Ansprechpartner vonInteressenverbänden und Bürgern (Norton 1994) Rechnung getragen als auch der gewachsenenBedeutung von Berufspolitikern (Sturm 2003). Relevant dürfte in diesem Zusammenhang diegrößere Distanz der neuen konservativen Thatcher-Regierung zu davor stark eingebundenenInteressenverbänden gewesen sein (Norton 1994).

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helfen, und bietet zudem »Hinterbänklern« (»backbenchers«)29 die Möglichkeit,eigene Debatten zu initiieren.

Allgemein kann hier festgehalten werden, dass sich der britische Parlamentarismusderzeit in einem Veränderungsprozess befindet, in dem sich sowohl die Möglichkei-ten des Parlaments im Gesetzgebungsprozess als auch tendenziell die Möglichkeitenbürgerschaftlicher Einflussnahme auf den Prozess der Politikgestaltung vergrößern.Dabei wird der Raum für die Mitwirkung organisierter Interessen und der Bürgerallgemein erweitert. In diesem Zusammenhang bieten sich ebenfalls Chancen füreinen Ausbau der E-Partizipation.

Die Aktivitäten zur Modernisierung des Unterhauses umfassen – neben einer Reiheanderer Aspekte (z.B. interne Organisation) – auch zahlreiche Veränderungen imVerhältnis von Parlament, politischer Öffentlichkeit und den Bürgern. Diese Ver-änderungen reichen von den skizzierten Wandlungsprozessen im Bereich des Aus-schusssystems und der Prüfung von Gesetzesentwürfen über die Einführung der»Westminster Hall« debates bis hin zu Maßnahmen zu historisch bedingten Eigen-heiten des britischen Parlamentarismus (wie z.B. der Beschluss, Besucher des Parla-ments in der Geschäftsordnung nicht mehr als »strangers«, also Fremde, zu be-zeichnen).

Die Schlüsselrolle für den gesamten Modernisierungsprozess spielt der 1997 neu ein-gerichtete Modernisierungsausschuss, dessen Vorsitz der Leader of the House hat,also ein Regierungsmitglied. Der Modernisierungsausschuss hat sich mit diversenAspekten der Internetnutzung u.a. in dem ersten Bericht der Periode 2003–2004auseinandergesetzt, in dem es um Verbesserungsmöglichkeiten der Beziehungenzwischen Parlament und Öffentlichkeit ging (HC 2004a): In Bezug auf die parla-mentarischen Websites verweist der Ausschuss darauf, dass diese – nach Ansicht vonExperten – schon jetzt zentrale Bedeutung für die Öffentlichkeitsarbeit des Parla-ments haben. Angesichts der voraussichtlich weiter wachsenden Bedeutung derparlamentarischen Webpräsenz erscheint dem Ausschuss die für die Neugestaltungim Jahr 2002 aufgewendete Summe von insgesamt 130.000 britische Pfund (fürbeide Kammern des Parlaments) als sehr bescheiden, ebenso wie die Zahl der haupt-amtlich für die Koordination der inhaltlichen Gestaltung zuständigen Mitarbeiter,nämlich zwei für beide Kammern. In diesem Zusammenhang wird in dem Berichtdie Auffassung geäußert, dass das Parlament nur schwerlich Einsparungen inanderen Bereichen machen könne, um sein Onlineangebot weiter zu verbessern: dasNetz werde Bibliotheken, Einladungen von Schülergruppen oder konventionelleAnhörungen nicht ersetzen. Gleichwohl bestehe dringender Verbesserungsbedarf bei

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

29 Als »backbenchers« werden alle Abgeordneten bezeichnet, die keine offizielle Funktion in derRegierung oder ihrer Fraktion ausüben.

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der Gestaltung des Webangebots: Die Suchfunktionen seien auf Experten undandere kenntnisreiche Nutzer zugeschnitten, ein gewöhnlicher Bürger, der an einemThema interessiert ist, habe es schwer. Die geschilderte Ressourcenproblematik undder Verbesserungsbedarf bei den Suchmöglichkeiten ähneln der Situation beim On-lineauftritt des Deutschen Bundestages (IZT 2005). Der Ausschuss nennt in diesemZusammenhang eine Reihe von Handlungsoptionen, u.a. die Ermöglichung vonSuchanfragen mit alltags- und umgangssprachlichen Begriffen, die Veranlassung vonForschung zu den besonderen Bedürfnissen und Interessen spezieller Bevölkerungs-gruppen (Jugendliche und ältere Menschen, ethnische Minderheiten, Behinderte)und die Nutzung der interaktiven Möglichkeiten des digitalen Fernsehens für dasParlamentsfernsehen. Eine bessere Ressourcenausstattung für den Onlinebereich seiauf jeden Fall notwendig. In der Untersuchung ließ der Ausschuss auch eine öffent-liche Onlineanhörung durchführen, deren Ergebnisse in einem eigenen Bericht zu-sammengefasst wurden (Hansard Society 2004; s.a. Trénel 2004 u. Kap. IV.3.4).

Hinsichtlich der parlamentarischen Aktivitäten zum Onlinedialog mit den Bürgernund zu den Onlineanhörungen ist zudem auf einen Bericht des Informationsaus-schusses aus dem Jahr 2002 (HC 2002a) hinzuweisen. Dieser Ausschuss beschäftigtsich für gewöhnlich mit Fragen der parlamentsinternen Nutzung neuer Informations-technologien für die Arbeit des Parlaments und dessen Ausstattung mit neuenMedien. Der Bericht thematisiert hingegen die Möglichkeiten, die sich aus digitalerKommunikation für den Austausch zwischen Parlament und Öffentlichkeit ergeben.Als Hintergrund der Untersuchung wurden das Nachlassen öffentlicher Partizipationam politischen Prozess und die Wahrnehmung der Öffentlichkeit sowie von Abge-ordneten genannt, dass das Parlament zuwenig mit der Öffentlichkeit kommuniziereund zudem die Regierung besser kontrollieren müsse. Im Rahmen der Untersuchungließ der Ausschuss im Jahr 2000 ebenfalls eine parlamentarische Onlineanhörungdurchführen. In dem Abschlussbericht des Ausschusses (HC 2002a) werden

> Empfehlungen für die Durchführung von Anhörungen gemacht (u.a. klare Zweck-bestimmung, themenangepasste Zielgruppenansprache, Zusammenfassung undInterpretation der Diskussionen durch eine unabhängige Einrichtung oder durchdie Verwaltung, Feedback an die Teilnehmer sowie quantitative und qualitative,zeitnah online veröffentlichte Evaluation),

> Überlegungen angestellt, ob und wie sich Onlineanhörungen institutionell undorganisatorisch im Parlament verankern lassen (anstatt vor allem auf Ressourcenund Know-how der Hansard Society zurückzugreifen), und

> die Ausweitung bürgerschaftlicher Partizipation sowie insbesondere die ver-besserte Integration von bisher weitgehend ausgeschlossenen Gruppen in denpolitischen Prozess als Ziele definiert.

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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Die skizzierten institutionellen Aktivitäten haben dazu beigetragen, dass sich seitEnde des vergangenen Jahrzehnts ein Kreis von Abgeordneten aus verschiedenenFraktionen gebildet hat, der das Thema E-Demokratie regelmäßig bearbeitet undauf der parlamentarischen Agenda hält. Einen institutionellen Niederschlag fanddies auch in der Bildung einer All-Party Parliamentary Group on »e-democracy«30,die u.a. mit einer parteiübergreifenden Parlamentariergruppe zum Thema Internet,der Hansard Society und wissenschaftlichen Experten zusammenarbeitet. Der Ein-fluss der an E-Demokratie stark interessierten Abgeordneten drückte sich z.B. in derTatsache aus, dass zwei auf Initiative eines einzelnen Abgeordneten angesetzteDebatten (»adjournment debates«) zur parlamentarischen E-Demokratie geführtwurden (HC 2002b, Spalten 863–868; HC 2004b, Spalten 1WH–24WH). DieDebattenbeiträge zeigen, dass in vielen Punkten ein parteiübergreifender Konsens –zumindest innerhalb der Parlamentarier-Gruppe zur E-Demokratie – besteht.

Einige Erwartungen und Einschätzungen, die von Parlamentariern in diesen De-batten geäußert wurden, seien im Folgenden erwähnt. Dabei ist darauf hinzuweisen,dass eine der Debatten speziell die bürgerschaftliche E-Partizipation bei Vorab-prüfungen von Gesetzesentwürfen (»online pre-legislative scrutiny«) behandelte.Die Abgeordneten machten folgende Aussagen:

> E-Partizipation könne den nachträglichen Korrekturbedarf bei Gesetzen reduzie-ren und die – zum Teil dramatischen – negativen Folgen schlechter Gesetzgebungvermeiden helfen. Onlinediskussionen seien in allen Phasen des legislativen Zykluseinsetzbar und sollten insbesondere auch für »post-legislative scrutiny« genutztwerden, also für die nachträgliche Prüfung von Gesetzesfolgen. Eine solche Ge-setzesfolgenbewertung könne wiederum neue Gesetzgebungsprozesse unterstüt-zen. Wünschenswert sei eine möglichst frühzeitige Einbeziehung von Parlamentund Öffentlichkeit in die ministerielle Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, wo-bei der für viele Bürger schwer zugängliche Stil dieser Texte aber ein Problem dar-stelle.

> Die Wertschätzung der Bürgerbeteiligung solle sich u.a. darin niederschlagen,dass möglichst viele Beiträge nicht nur veröffentlicht, sondern auch in den End-berichten berücksichtigt werden. Wer besonders hilfreiche Informationen oderÜberlegungen beisteuert, könne in den Veröffentlichungen persönlich gewürdigtwerden. Wenn Onlinedeliberationen hingegen staatlicherseits nur halbherzigdurchgeführt würden, trügen diese eher zu einer Zunahme denn zur Vermin-derung zynischer Auffassungen über »die Politik« bei. Bürger erwarteten vonparlamentarischen Anhörungen in der Regel nicht – so der initiierende Labour-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

30 »All-Party Parliamentary Groups« sind inoffizielle parteiübergreifende Parlamentariergruppen.Sie sind sehr zahlreich, konzentrieren sich auf eine bestimmte Weltregion oder ein bestimmtesThema und können in das Register der All-Party Groups des Parlaments aufgenommen werden.

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Abgeordnete –, dass ihre Vorschläge übernommen werden, wohl aber, dass siezur Kenntnis genommen und kommentiert werden.

> Der Rolle eines unabhängigen Mediators, die bisher von der Hansard Societyeingenommen wird, komme besondere Bedeutung zu. Ausschussmitgliedern seisehr damit geholfen, wenn sie – wie von der Hansard Society praktiziert – zeitnahschriftliche Zusammenfassungen der Bürgerbeiträge erhalten. Der Hauptnutzen,den bürgerschaftliche E-Partizipation für Parlamentarier habe, sei – so ein libera-ler Abgeordneter – die Möglichkeit, bürgerschaftliche Onlinedeliberation zu ver-folgen und an dieser teilzunehmen. Onlinemeinungsumfragen seien von deutlichgeringerem Nutzen, weil ihr Erkenntniswert geringer sei.

> Durch den Onlinedialog zwischen Parlament und Bürgern biete sich die Aussicht,dem Parlament gegenüber dem Wechselspiel von Regierung und Massenmedienwieder stärkeres Gewicht zu verleihen. Bei dieser Neugestaltung politischerMedienöffentlichkeit könne die BBC (durch Werbung und Information zu denAnhörungen) eine wichtige Rolle spielen.

> Die Arbeit von Mitgliedern des Unterhauses in ihren Wahlkreisen würde durchausvon den Bürgern geschätzt, das Imageproblem des Parlaments beruhe also aufeiner negativen Wahrnehmung der Arbeit in Westminster. Zur Verbesserungdieser Situation seien – so ein einflussreicher konservativer Abgeordneter – dieMöglichkeiten von E-Partizipation selektiv zu nutzen: Je nach Bedarf könntenOnlineumfragen, Foren zur Deliberation von Detailfragen und eher allgemeineOnlinediskussionen über grundsätzliche Fragen bevorzugt oder kombiniertwerden.

DIE ONLINEANHÖRUNGEN DES BRITISCHEN PARLAMENTS 3.4

Ausgangspunkt bei der Nutzung von Internetanhörungen durch das Parlament warnicht der Wunsch, ein Onlinedialogangebot an die allgemeine Öffentlichkeit zumachen (Coleman 2004): Im Vordergrund stand und steht vielmehr der Wunsch derAbgeordneten und des Parlaments, zu bestimmten politischen Themen Zugang zuExpertenwissen und spezifischen Erfahrungen in der Bevölkerung zu erlangen. Alsentscheidende Voraussetzungen für eine sinnvolle Nutzung der Ergebnisse wurdenderen unabhängige Auswertung und Zusammenfassung angesehen. Die übergeord-neten Ziele der parlamentarischen Onlineanhörungspraxis waren die Mobilisierungvon bürgerschaftlicher Expertise und Sachkenntnis für die Arbeit des Parlamentssowie die Einbeziehung von Bevölkerungsgruppen mit spezifischen Problemen in diefür sie relevanten Prozesse der Politikgestaltung.

In einem Gutachten für das Projekt (Trénel 2004), auf dem die Ausführungen indiesem Unterkapitel basieren, wurde ein Überblick über die parlamentarische

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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Praxis der Onlineanhörung erstellt und eine vertiefte Auseinandersetzung mit dreiAnhörungen unternommen, nämlich mit »Womenspeak« (zur häuslichen Gewaltgegen Frauen), »Commbill« (zu Regulierungsfragen im Telekommunikations- undMedienbereich) und »Connecting Parliament with the Public« (zu den Beziehungenvon Parlament und Öffentlichkeit) unternommen. Dabei wurden auch Interviewsmit sechs Verantwortlichen (einem Ausschussvorsitzenden, der ehemaligen Vor-sitzenden einer All-Party Parliamentary Group, einem Mitarbeiter des Leader of theHouse, zwei Moderatorinnen von der Hansard Society und einer Vertreterin einerbei der Organisation kooperierenden NGO) geführt. Auf diese Weise konnte – übereine allgemeine Bestandsaufnahme hinaus – auch auf Besonderheiten bestimmterForen eingegangen und vor allem weiterführende Hinweise zum politischen Nutzensowie zu praktischen Problemen gewonnen werden.

ÜBERBLICK: GESCHICHTE, AKTEURE UND TECHNISCHE ASPEKTE 3.4.1

Der parlamentarische Onlinedialog mit Bürgern in Großbritannien weist eine Reihevon beachtenswerten Merkmalen auf, nämlich die langjährige Erfahrung mit On-lineanhörungen, der relativ hohe Institutionalisierungsgrad, die zunehmend engeVerzahnung mit den Ausschüssen, die zahlreichen vorliegenden Evaluationsberichte(Trénel 2004, S. 5 u. 8 f.) sowie die erwähnten übergeordneten Ziele der Informa-tion des Parlaments und der Inklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen.31

Parlamentarische Onlineanhörungen werden bereits seit Ende der 1990er Jahredurchgeführt (Pearce 2001). Insgesamt fanden bisher 15 Anhörungen statt, mit einerPause im Jahr 2003. Während zwei der frühen Foren auf eingeladene Expertenbeschränkt waren, richteten sich die restlichen 13 Konsultationen (zumindest auch)an interessierte Bürger. Alle Onlineanhörungen bis auf einen Fall wurden öffentlichdurchgeführt: Nur in der Anhörung »Womenspeak«, in der Frauen, die Opferhäuslicher Gewalt geworden waren, konsultiert wurden, konnten die Beiträge derTeilnehmerinnen aus Gründen der Vertraulichkeit von der Öffentlichkeit nichtgelesen werden.

Initiiert wurden die Anhörungen elfmal von Select Committees, zweimal von partei-übergreifenden Parlamentariergruppen (Kap. IV.3.3) und zweimal vom »Parliamen-tary Office of Science and Technology (POST)«, dem britischen Pendant des TAB.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

31 Auf den zentralen Onlineangeboten des Parlaments (www.parliament.uk; www.explore.parlia-ment.uk) sind Hinweise auf die Anhörungen allerdings schwer auffindbar. Zugang und Infor-mationen zu allen laufenden und kürzlich abgeschlossenen Onlineanhörungen erhält man überwww.tellparliament.net, einer im Jahr 2004 von der Hansard Society eingerichteten Seite, undggf. auf den Seiten der initiierenden Ausschüsse – aber augenscheinlich auch dort in der Regelnicht auf der Startseite.

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Bei mehreren Anhörungen kooperierte das Parlament mit NGOs. So spielte z.B. bei»Womenspeak« die NGO »Women’s Aid« eine wichtige Rolle bei der Zielgruppen-ansprache, der inhaltlichen Vorbereitung sowie der Bereitstellung von Infrastruktur(in Frauenhäusern) und der Unterstützung der Teilnehmerinnen beim Umgang mitder Technik.

Während das POST vor allem eine wichtige Rolle dabei spielte, den Stein (mit derersten Onlineanhörung 1998) ins Rollen zu bringen, war und ist die Rolle der Han-sard Society noch weitaus bedeutsamer. Sie dürfte häufig die treibende Kraft für dieDurchführung der parlamentarischen Onlineanhörungen gewesen sein und die vonihr vertretenen Auffassungen haben offenkundig auch eine wichtige Rolle beimDesign der Onlineanhörungen gespielt (Trénel 2004): Die Anhörungen zeichnen sichdadurch aus, dass sie den Schwerpunkt auf zugleich deliberative und interaktiveElemente legen und nicht etwa auf Befragungen der interessierten Bürger durchOnlinefragebögen (»Onlinesurveys«) oder eine Beteiligung durch Chats. Ziele sinddie Entwicklung engerer kommunikativer Beziehungen zwischen Parlament undBürgern und eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Problemen, Sichtweisen undAnregungen von Bürgern. Die asynchrone, deliberative Kommunikation der Bürgeruntereinander sollte – als zusätzlicher Mehrwert – es diesen auch erlauben, vonein-ander zu lernen und sich für ihre Zwecke auszutauschen. Zudem sollten Parlamen-tarier die Gelegenheit haben, sich an Diskussionen zu beteiligen, die vom Formather mehr Möglichkeiten bieten als Chatdiskussionen.

Diese Ausrichtung schlug sich in der verwendeten Technik nieder: In den erstenJahren waren Mailinglisten die technische Grundlage für die Onlineanhörungen.Diese waren allerdings bereits mit dem WWW gekoppelt, da dort ein Archiv mit dergesamten Kommunikation der Mailingliste verfügbar war. Vom Jahre 2000 ändertesich das Verhältnis: Mailinglisten wurden nur noch für Ankündigungen verwendet,während die Kommunikation über ein Forum im WWW lief. Dieses Forum war eintypisches Onlinediskussionsforum, in dem also die Teilnehmer interagieren konnten.Ab 2004 setzte man auf ein neues, benutzerfreundlicheres Forum, das gegenüberdem alten die Besonderheit aufweist, dass alle Diskussionsbeiträge in voller Längeauf einer Webseite stehen. Auch bei der technischen Modernisierung der Anhörun-gen wurde mithin von Anfang an gezielt eine Stärkung der deliberativen Interaktionzwischen den interessierten Bürgern angestrebt.

MODERATION, DISKUSSIONSAUFBEREITUNG UND EINSPEISUNGIN DIE PARLAMENTARISCHE ARBEIT 3.4.2

Die Hansard Society hat in bisher allen parlamentarischen Onlineanhörungen dieRolle der Moderation übernommen. Zu dieser sehr aktiven Moderation gehörten

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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die Vorbereitung der Anhörungen (Einrichtung der Internetplattform, Ansprachevon Teilnehmern), die Strukturierung der Kommunikation (Formulierung vonFragen; Beobachtung der Teilnehmerbeiträge; Interventionen bei den seltenen un-sachlichen Beiträgen; Bereitstellung von Informationen; Zusammenfassung vonTeilnehmerbeiträgen) und die Dokumentation und Präsentation der Ergebnisse.Eine notwendige Voraussetzung erfolgreicher Moderation parlamentarischerOnlinediskussionsangebote, die politische Neutralität, wird der Hansard Societyoffensichtlich sowohl vom Parlament als auch den Teilnehmern zugesprochen.

Es fand keine Vorabprüfung der Beiträge statt. Die Strukturierung der Diskussionenerfolgte angepasst an die jeweiligen Besonderheiten des Forums und des Diskussions-verlaufs. Stimulierung der Diskussion und Ausrichtung auf die Informationsbe-dürfnisse gehörten zu den Moderationsaufgaben. Zudem wurden regelmäßig Zu-sammenfassungen der Beiträge während der Laufzeit des Forums verfasst und mitdiesem publiziert sowie zum Teil auch direkt an die Parlamentarier weitergereicht.Abschlussberichte zu den Anhörungen wurden sowohl an initiierende Ausschüssebzw. Parlamentariergruppen versendet als auch im Netz veröffentlicht. Dabeiwurden auch Befragungen der Teilnehmer zu ihren Erfahrungen mit dem Forumdurchgeführt.

INHALTLICHE ASPEKTE UND INTERAKTIVITÄT DER DISKUSSIONEN 3.4.3

Die Themenauswahl entspricht im Wesentlichen den übergeordneten Zielen der par-lamentarischen Onlineanhörungspraxis – also der Mobilisierung von bürgerschaft-licher Expertise und Sachkenntnis für die Arbeit des Parlaments und der Einbezie-hung von Bevölkerungsgruppen mit spezifischen Problemen in die für sie relevantenProzesse der Politikgestaltung. In diesem Zusammenhang bot es sich offenkundigan, Themen zu wählen, die für Internetnutzer von besonderem Interesse sind, sowiesolche, bei denen spezifische Vorteile netzbasierter Kommunikation zum Tragenkommen:

> In sechs von 13 Fällen32 wurde ein Weg beschritten, der zu einem hohen Grad an»Medien-Themen-Passung« führte: Drei Onlineanhörungen behandelten denEinsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien im Parlament unddabei auch den Einsatz von Onlineanhörungen selbst. Die »Commbill«-Anhö-rung behandelte Regulierungsfragen im Telekommunikationsbereich, ein Thema,bei dem ebenfalls von einem relativ hohen Interesse besonders aktiver Internet-nutzer auszugehen ist. Bei zwei weiteren Onlineanhörungen (»Womenspeak«

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

32 Die erste und die dritte Anhörung waren ausschließlich auf eingeladene Experten beschränkt,weshalb sie hier nicht berücksichtigt werden.

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und »Hate Crime«) ergab sich die besondere Medien-Themen-Passung aus demUmstand, dass durch netzbasierte Kommunikation eine anonyme und damit fürOpfer von Gewalt sicherere Teilnahme gewährleistet war. Zudem wurden dabei– zumindest im Fall von »Womenspeak« – auch Personen erfolgreich angespro-chen, die über wenig oder keine Kompetenzen beim Umgang mit digitalenMedien verfügten.

> In zwei weiteren Fällen – »Uspeak« (Sozialhilfeempfänger und Niedrigverdiener)und »Seniorspeak« (alte Menschen und Altenpfleger) – wurden Zielgruppen an-visiert, die unterdurchschnittliche Internetzugangsraten aufweisen. Im Fall von»Uspeak« wurden potenzielle Teilnehmer durch eine kostenlose Telefon-Helplinebei der Suche nach dem nächstgelegenen kostenlosen Internetzugang unterstützt(Pearce 2001). Trotz dieser Maßnahme waren die Ergebnisse des Experimentsambivalent. Bemerkenswert mit Blick auf das Problem der »digitalen Spaltung«ist, dass bei »Uspeak« eine sehr hohe Zahl an Registrierungen (395) vorlag – diezweithöchste überhaupt –, die Zahl der tatsächlichen Besucher der Website abernur 96 war, wovon jedoch 62 selbst einen Diskussionsbeitrag beisteuerten, waseine relativ hohe Quote darstellt. Eine mögliche Interpretation dieses Falls könntelauten: Die angesprochene Gruppe von Niedrigverdienern und Sozialhilfe-empfängern hatte ein überdurchschnittlich starkes Interesse an der Teilnahme,aber relativ hohe Hürden beim Zugang (aufgrund fehlender häuslicher Internet-zugänge). Der Anteil der aktiven Nutzer des Angebots unterstreicht das großeInteresse der Angesprochenen.

Der Grad der Interaktivität der Diskussionen wurde anscheinend vor allem durchThemenauswahl und Zielgruppenansprache bestimmt (s.a. Coleman 2004): Wäh-rend bei »Womenspeak«, das ja auch »Selbsthilfegruppen-Charakter« haben sollte,die Interaktivität sehr hoch war, wurde bei »Commbill« nur in 14 % der Fälle aufeinen anderen Beitrag explizit Bezug genommen.

BETEILIGUNG UND ZIELGRUPPENANSPRACHE 3.4.4

In der Regel wurden die Onlineanhörungen über die Dauer eines Monats abgehal-ten. Die Zahl der Beiträge pendelte mehrheitlich zwischen 100 und 400 Beiträgen(Ø = 291), wobei es auch einige Fälle mit deutlich mehr Beiträgen gab. Die beson-ders lebendigen Onlineanhörungen – mit jeweils mehr als 500 Beiträgen – hattenals Themen häusliche Gewalt gegen Frauen, Überschwemmungen sowie künstlicheBefruchtung/pränatale Diagnostik. Mit 960 Beiträgen ragt »Womenspeak« hervor.Anscheinend trugen die unmittelbare Betroffenheit der Opfer häuslicher Gewalt unddas große Bedürfnis an einem Erfahrungsaustausch im geschützten Raum dazu bei(Coleman 2004). Die meisten aktiven Teilnehmer, d.h. solche, die mindestens einenBeitrag schrieben, konnte die Onlineanhörung »Floodforum« für sich verbuchen,

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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nämlich 157. Dies hing vermutlich damit zusammen, dass es kurze Zeit davorÜberschwemmungen gab, und das Thema somit sehr aktuell war und es viele Be-troffene gab. In der Regel beteiligten sich im Schnitt 50 bis 100 Personen aktiv ander Diskussion (Ø = 68). Die Zahl der registrierten Teilnehmer lag aber in der Regelzwischen 100 und 350 Personen, war also durchschnittlich ungefähr dreimal sohoch wie die Zahl der aktiven Teilnehmer. Die Unterschiede in der Aktivität derTeilnehmer dürften vor allem auf die Auswahl des Themas und den Grad derBetroffenheit zurückzuführen sein.

In mehreren Fällen gelang die Zielgruppenansprache offensichtlich sehr gut: Bei»Womenspeak« waren zahlreiche Teilnehmerinnen politisch nicht aktiv und zudemim Umgang mit Computern unkundig. Bei »Commbill« waren die Teilnehmer poli-tisch überdurchschnittlich aktiv, fachlich kompetent und partizipierten auch in an-derer Weise an dem Gesetzgebungsprozess. Verbesserungsbedarf bestand bei meh-reren Anhörungen hinsichtlich der Werbung für das Angebot. Ein hilfreiches Mittelwar hier – neben der Kooperation mit NGOs – die Veröffentlichung vorgefertigterPressemitteilungen von Abgeordneten in ihren Wahlkreisen.

Eine Beteiligung von Abgeordneten an den Diskussionen fand nicht durchgängigstatt, bei den näher untersuchten Foren fanden sich z.B. insgesamt 31 Beiträge vonsechs Parlamentariern bei »Womenspeak«, zusammen acht Beiträge von vier Abge-ordneten bei »Commbill« und keine Beiträge bei »Connecting Parliament with thePublic«.

KOSTEN UND AUFWAND 3.4.5

In den drei näher untersuchten Anhörungen blieb der Aufwand für die Parlaments-verwaltung überschaubar, denn die Mitarbeiter des Parlaments waren nur an derAufbereitung der Diskussionsgrundlagen beteiligt. Der Großteil des Aufwandes ent-stand bei parlamentsexternen Einrichtungen: der Hansard Society und – im Fall von»Womenspeak« – auch bei der kooperierenden NGO Women’s Aid. Die Interviewsmit den Vertretern dieser Einrichtungen ergaben, dass nicht nur mit der Beschaf-fung, Einrichtung und Anpassung des Webforums Aufwand und Kosten verbundenwaren. Häufig unterschätzt wurde der personelle Aufwand, der für die Werbung derTeilnehmer, die Moderation der Diskussion und die Aufbereitung der Ergebnisseanfiel. Bei der Onlineanhörung »Womenspeak« wurden die Kosten für diese Dienst-leistungen zu einem Teil von Sponsoren übernommen, zu einem nicht unerheblichenTeil aber auch von der Hansard Society und Women’s Aid selbst getragen. Mit derZunahme der Häufigkeit von Onlineanhörungen nahm allerdings bei der HansardSociety – und gleichzeitig bei den Sponsoren – die Bereitschaft für finanziellesEngagement ab. Das Projekt »Combill« war das erste, in dem die Hansard Society

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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vom Parlament eine Aufwandsentschädigung von ca. 14.500 Euro erhielt, und auchdie Onlineanhörungen im Jahre 2004, darunter das Projekt »Connecting Parliamentwith the Public«, wurden mit dieser Summe vergütet. Nach Aussage einer Mitar-beiterin der Gesellschaft seien die Onlineanhörungen damit aber immer noch unter-finanziert.

Tatsächlich ist zu beobachten, dass in den Projekten des Jahres 2004 der Aufwandfür Teilnehmerwerbung und Ergebnisaufbereitung (bloße Sammlungen von Zitaten)auf ein Minimum reduziert wurde, was die Qualität der Onlineanhörungen beein-trächtigt hat. Die Hansard Society plant, zukünftig dem Parlament die realen Kostenfür die Durchführung von Onlineanhörungen in Rechnung zu stellen. Diese lägenzwischen ca. 28.500 Euro und 35.700 Euro pro Fall. Offen sei aber noch, ob dieseDienstleistung zukünftig nicht besser von der Parlamentsverwaltung oder einemprivaten Anbieter erbracht werden soll.

NUTZEN FÜR DAS PARLAMENT, DIE TEILNEHMENDEN BÜRGERUND POLITISCHE WIRKUNG 3.4.6

Durch die Einführung von Onlineanhörungen wurde die Anhörungspraxis nichtnur technisch verändert: Neu ist u.a. auch, dass Bürger direkt – also nicht nur ver-mittelt über Interessenverbände – gehört werden und dass Foren zur Erörterung undDiskussion der Ausschussthemen geschaffen werden. Zusammenfassend kann inBezug auf die Erfahrungen der Politik mit Onlineanhörungen festgestellt werden:

> Die Interviewpartner waren erklärtermaßen sehr zufrieden mit der Qualität undKonstruktivität der Diskussionen und sahen ein Potenzial für größere Teilneh-merzahlen. Die Onlineanhörungen sollten daher in Zukunft noch besser bekanntgemacht werden. Zu verbessern sei auch das Feedback an die Teilnehmer überdie Verwertung der Stellungnahmen.

> Die Onlineanhörungen hätten sich als ein effektives Mittel für die Abgeordnetenerwiesen, die eigene Politik noch besser zu überprüfen, zu illustrieren und formu-lieren sowie zu legitimieren. Der Gewinn neuer Informationen stand hingegen fürdie beteiligten Fachpolitiker eher im Hintergrund.

Von entscheidender Bedeutung war nach Auskunft mehrerer Beteiligter, dass dieDiskussionsergebnisse während und nach der Anhörung von der Hansard Societyzusammenfassend ausgewertet wurden. So wurden sie in eine Form gebracht, dieeine Einspeisung in die parlamentarische Arbeit ermöglichte.

Die Teilnehmer äußerten sich durchgängig mehrheitlich zufrieden mit dem Angebot.Angesichts dessen ist es bemerkenswert, dass sie gleichwohl weit überwiegend dieAuffassung vertraten, die verantwortlichen Politiker hätten sich nicht für ihre

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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Ansichten interessiert. Offenkundig war für die Zufriedenheit also der Erfahrungs-und Informationsaustausch zwischen den Bürgern entscheidend. (Im Fall von»Womenspeak« bildete sich z.B. eine Gruppenidentität, und die Teilnehmerinnenbekundeten den Willen, nach Ende des Forums weiter in Kontakt zu bleiben (s.a.Coleman 2004.)

Zur politischen Wirkung der Anhörungen lässt sich festhalten, dass »Womenspeak«in der internationalen wissenschaftlichen und politischen Diskussion zur digitalenDemokratie oft als »Best-practice«-Beispiel eingeschätzt wird. Die Vorsitzende derinitiierenden überfraktionellen Parlamentariergruppe bekundet, dass der Gesetzge-bungsprozess zum Thema maßgeblich durch die Anhörung stimuliert wurde, eineEinschätzung, die von anderen Beteiligten und von Dritten bestätigt wird. (Zu be-denken ist dabei allerdings, dass hier auch die überfraktionelle Zusammenarbeitpositiv gewirkt haben mag.) Auch wenn die Abgeordneten mit Expertise kaum et-was substanziell Neues gelernt hätten, sei es – durch die Teilnahme mit dem Themanicht vertrauter Parlamentarier – zu einem Zuwachs an Wissen im Parlament ge-kommen. Im Fall »Commbill« sah sich der Ausschussvorsitzende in seiner Hoffnungbestätigt, dass durch die Onlineanhörung Positionen in den Erörterungsprozess desAusschusses eingeführt werden würden, die Bürger überzeugender vortragen könnenals er oder andere Mitglieder des Ausschusses – wodurch das Ergebnis bürger-freundlicher ausgefallen sei. Der Ausschuss habe sozusagen die Urheberschaft desGesetzes auf das Forum übertragen. Mehrere Parlamentarier haben öffentlich be-kundet, dass durch die Anhörung die Qualität des Gesetzes deutlich verbessertwerden konnte. Ergebnisse aus der »Connecting Parliament with the Public« flossenin den Endbericht des Modernisierungsauschusses ein (s.a. Coleman 2004).

Auch andere parlamentarische Onlineanhörungen sowie die Praxis insgesamtwurden von einer Reihe von Abgeordneten und Regierungsvertretern als politischwirkungsvoll eingeschätzt, u.a. hinsichtlich des besseren Zugangs zu gesellschaftli-chen Wissensressourcen, der genaueren Kenntnis der öffentlichen Meinung und derErhöhung der Aufmerksamkeit für das Thema (im Parlament oder in den Massen-medien).

ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNGEN 3.4.7

Onlineanhörungen haben sich als Instrument der parlamentarischen Ausschussar-beit etabliert. Entsprechend der Empfehlung des Modernisierungsausschusses, dasInstrument regelmäßig in der Ausschussarbeit einzusetzen, kamen im Jahr 2004zwei Ausschüsse hinzu, die bisher keine Onlineanhörungen durchgeführt hatten.Zudem wurden Richtlinien für eine gute Praxis entwickelt. Das Parlament vergütetin gewissem Umfang die Durchführung der Anhörungen, und es gibt Bestrebungen,

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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die Abläufe von Onlineanhörungen zu vereinheitlichen und Routinen zu ent-wickeln. Die Gründe für diese Konsolidierungstendenzen lassen sich folgender-maßen zusammenfassen (Trénel 2004):

> Verbessertes Wissensmanagement: Auch wenn die Fachpolitiker nicht immer ausden Anhörungen konkrete neue Erkenntnisse gewinnen, bieten diese doch zu-mindest immer die Möglichkeit der Überprüfung der eigenen Positionen.

> Öffnung des politischen Systems hin zur Bürgerschaft: Hierbei sind insbesonderedie Chancen zur Einbeziehung sonst dem Parlament sehr fern stehender Bevölke-rungskreise attraktiv.

> Akzeptanz: Auch wenn viele teilnehmende Bürger skeptisch in Bezug auf diepolitische Wirkung ihrer Beiträge und unzufrieden mit dem Beteiligungsumfangder Parlamentarier waren, zeigte sich doch, dass die Angebote selbst positivwahrgenommen werden (s.a. Coleman 2004).

Die entscheidenden Erfolgsfaktoren waren eine gute Zielgruppenansprache, eineaktive Moderation sowie die Aufbereitung und Einspeisung der Ergebnisse in dieparlamentarische Arbeit. Verbesserungsbedarf ist beim Feedback an die Teilnehmer,der Werbung und der Einbindung der Abgeordneten in die Diskussionen festzustel-len. Die Qualität der Diskussionen war hoch und konstruktiv.

Der Modernisierungsausschuss des Parlaments kam bei seiner Bewertung der Praxiszu folgenden Schlüssen (HC 2004a): Eine verstärkte Nutzung von Onlineanhörungensei ein gut geeigneter Weg, die Ansichten einer weiteren Öffentlichkeit zu berück-sichtigen. Bemerkenswert sei, dass in den bisher durchgeführten Onlineanhörungenvon den Teilnehmern fast keine strafbaren oder beleidigenden Äußerungen gemachtwurden, im Gegensatz zu den Onlineanhörungen der Regierung, bei denen der An-teil solcher Äußerungen 20 bis 25 % ausgemacht habe. Der Ausschuss empfahl, dassTeilnehmer das Recht haben sollten, in den Foren anonym zu bleiben, zugleich aberverpflichtet sein sollten, sich zu registrieren, um von einem unabhängigen Drittenidentifizierbar zu sein. Die Onlineanhörungen seien insgesamt gesehen erfolgreichgewesen und hätten dazu beigetragen, die Öffentlichkeit an der parlamentarischenArbeit teilhaben zu lassen und sonst ausgeschlossenen Menschen eine Stimme impolitischen Prozess zu geben.

AKTIVITÄTEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES ZURDIGITALEN DEMOKRATIE 3.5

Der Deutsche Bundestag und einzelne Parlamentarier haben sich bereits in den1990er Jahren mehrmals – praktisch und konzeptionell – mit den Chancen undHerausforderungen auseinandergesetzt, die sich durch netzbasierte Kommunikation

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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für die Kommunikation mit Bürgern ergeben. Bereits seit Herbst 1996 existierenOnlinediskussionsangebote an die Bürger auf der Website des Deutschen Bundes-tages. Vorher schon hatten sich Abgeordnete aus allen Fraktionen an einem Pilot-projekt der Freien Universität Berlin beteiligt, bei dem der Onlinedialog zwischenParlamentariern und Internetnutzern erprobt wurde. In der Beratung des Parlamentsspielte das Thema ebenfalls bereits relativ frühzeitig eine Rolle. So wies ein Berichtdes TAB (TAB 1995; s.a. Petermann/Grunwald 2005) – anhand eines vom DeutschenBundestag in Auftrag gegebenen Gutachtens (Kubicek et al. 1995) – auf politisch-partizipatorische Potenziale von Multimedia und netzbasierter Kommunikation hin.Entwicklungen in den USA und innerhalb der internationalen Netzkultur wurdendabei – der Einschätzung des Gutachtens folgend – als mögliche Vorbilder fürDeutschland charakterisiert. Auch in dem Schlussbericht der Enquete-Kommissionzur Zukunft der Medien wurde an verschiedenen Stellen auf die Potenziale netz-basierter Kommunikation für den gesellschaftlich-politischen Dialog hingewiesen(EK 1998). Vorgeschlagen wurde u.a. ein Experimentieren »in kleinen Schritten«mit den neuen technischen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sowie die Beob-achtung und Analyse internationaler Entwicklungen in diesem Bereich – übrigensmit explizitem Bezug auf die E-Demokratie-Debatte in Großbritannien. Insgesamtgesehen kann hinsichtlich der digitalen Demokratie von einer Vorreiterrolle desParlaments innerhalb des politischen Systems gesprochen werden.

Eine wichtige Rolle spielten politische und kulturelle Aspekte netzbasierter Kom-munikation zudem in der parlamentarischen Auseinandersetzung mit dem Thema»Bürgerschaftliches Engagement«, das in der laufenden Legislaturperiode durcheinen eigenen Unterausschuss bearbeitet wird. In der Arbeit der zuvor bestehendenEnquete-Kommission zu diesem Thema erfolgte auch eine Auseinandersetzung mitden Potenzialen neuer Medien (EK 2002): Die Möglichkeiten des Zugangs zumEngagement und zur Vernetzung engagierter Bürger seien – so die Aussagen imSchlussbericht – durch das Internet enorm gewachsen, durch »e-democracy« ver-änderten und erweiterten sich zudem politische Zugangsmöglichkeiten. BesondereBedeutung hätte netzbasierte Kommunikation für NGOs und Protestbewegungen(Kap. III u. V). Gerade für ressourcenschwache Akteure biete sich das Internet alsMedium der Information, Diskussion, Organisation und Mobilisierung an. Sehrgute Möglichkeiten böten sich bei der Nutzung des Netzes im Bereich der bürger-schaftlichen Selbsthilfe.

ENTWICKLUNG DES ONLINEDISKUSSIONSANGEBOTS 3.5.1

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre definierte der Deutsche Bundestag eine Reihevon Zielen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Parlament und Bürgern (s. dazu Mambrey et al. 1999). Dabei ging es – entsprechend der damaligen Ent-

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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wicklung in anderen Ländern – vor allem darum, die elektronische Erreichbarkeitdes Parlaments und der MdB sowie das Onlineinformationsangebot des DeutschenBundestages zu verbessern. In der Realisierung der interaktiven Sektion der Websitewurden jedoch seit Oktober 1996 – im internationalen Vergleich also bemerkens-wert früh – auch Dialogangebote an die Bürger gemacht, nämlich die bis heuteexistierenden »Onlinekonferenzen«, ein dem Chat ähnelndes Format synchronerKommunikation.

Entwickelt vor allem für die Ausschussarbeit, bot die Software die Möglichkeit,dass zwei bis fünf Abgeordnete Fragen von Internetnutzern – die dafür nur einenBrowser benötigten – schriftlich beantworten konnten. Das neue Instrument derÖffentlichkeitsarbeit erwies sich als besonders erfolgreich im Vorfeld der Bundes-tagswahl 1998, in dem z.B. alle Fraktionsvorsitzenden mehrfach auf diese Weise mitinternetnutzenden Bürgern in Kontakt traten. Dies dürfte dadurch begünstigt wor-den sein, dass es sich bei den Onlinekonferenzen – ähnlich wie bei Chats – um einDialogangebot handelt, bei dem die Kommunikationsmöglichkeiten des teilneh-menden Bürgers deutlich eingeschränkter sind als die des Politikers. Ein Austauschzwischen dem einzelnen Bürger und dem teilnehmenden Politiker ist hier – aufgrundder oft großen, synchron nicht zu beantwortenden Zahl der Fragen33 – vielfach nichtmöglich.

Bemerkenswert hinsichtlich des Umgangs mit der damaligen Netzöffentlichkeit –die sich von der heutigen allerdings deutlich unterscheidet – ist die Tatsache, dassder Deutsche Bundestag bei der Werbung für die Onlinekonferenzen bewusst auchauf die Möglichkeiten des Internets und die Eigeninitiative der Netzkultur setzte:Neben der eigenen Mailingliste fanden die Onlinekonferenzen auch in anderenMailinglisten und Newsgroups (und zudem in den Onlineangeboten der etabliertenMedienanbieter) Beachtung. An andere Mailinglisten wurden Benachrichtigungengesendet. Diese Praxis wurde bis heute beibehalten und die Zahl der berücksichtig-ten Listen ist – wie allerdings die Netzöffentlichkeit auch – stark gewachsen. ZurFeier des dreijährigen Bestehens der Website des Deutschen Bundestages fand An-fang 1999 eine Onlinekonferenz mit dem Bundestagspräsidenten zum Thema»Demokratie Online: Neue Medien – Wege zur direkten Demokratie« statt. DerGeist dieser Jahre drückt sich in den Schlusssätzen eines Aufsatzes zur Webpräsenzdes Deutschen Bundestages in den 1990er Jahren aus, der auch in einem frühenStandardwerk zur Thematik (Coleman et al. 1999) erschienen ist: »Is the digital,interactive parliament the future for the citizen? Whether one agrees or not, theprinciples of visibility, interaction and responsiveness as guiding visions of a demo-cratic parliament can be enhanced by Internet technologies if this is desired bypolitics. Of course, it will not create the hyperactive political citizen but it enhances

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

33 Z.B. http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9803/9803083.html

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the mutual awareness of Parliament and citizens. Public relations for parliamentsshould be developed as a forum for public dialogue and not as a high-tech poll formeasuring the shifting currents of popular opinion« (Mambrey et al. 1999, S. 130).Im Jahr 1999 kam die Nutzung von Onlineforen hinzu, die in der Folgezeit zu-sammen mit den Onlinekonferenzen den Kern (des auch international beachteten)Angebots ausmachten.

International Beachtung fand zudem das vom Unterausschuss Neue Medien imJahr 2001 initiierte Projekt »Elektronische Demokratie«, bei dem im Rahmen eineswissenschaftlichen Forschungsprojekts die intensive deliberative Begleitung einespolitischen Entscheidungsprozesses – auf Beschluss des Ältestenrates zur Moderni-sierung des Informationsrechts – erprobt werden sollte. Neben den britischen On-lineanhörungen kann es immer noch als eines der fortgeschrittensten parlamenta-rischen Onlinedialog-Experimente in Europa gelten (van Audenhove et al. 2005).Diese Einschätzung ist u.a. deshalb gerechtfertigt, weil

> hier auf innovative Weise interessierte Politiker in das Forum einbezogen wurden(vor allem mittels einer »virtuellen Podiumsdiskussion«, in die sich das Publikummit »Zwischenrufen« einschalten konnte);

> eine engagierte Moderation stattfand, bei der vom Moderator nicht nur zahl-reiche aktuelle Informationen bereitgestellt wurden, sondern mehrmals auch aufkonstruktive Kritik an dem Forum selbst reagiert wurde;

> besonderer Wert auf die Ermöglichung von Interaktivität zwischen den Teilneh-mern und einer lebendigen Diskussion gelegt wurde – u.a. durch einen Verzichtauf die Vorabprüfung von Beiträgen – und

> eine enge Anbindung an einen laufenden politischen Entscheidungsprozess ange-strebt wurde.34

Das Projekt ruht aber seit Anfang 2002 und der Beschluss des Deutschen Bundes-tages vom 14. März 2002, es weiter zu entwickeln und auszubauen, wurde bislangnoch nicht umgesetzt. Das Archiv und der Abschlusstext des Moderators sind onlinearchiviert.35

Derzeit zeichnet sich ab, dass sich die Planungen zur Wiederaufnahme des Projektsbzw. der Einrichtung eines ähnlichen Angebots – unter dem neuen Titel »E-Parla-ment« – wieder intensivieren. In diesem Zusammenhang hat sich auch das Interessean den Chancen und Herausforderungen verstärkt, die sich aus bürgerschaftlicher

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

34 Beeinträchtigt wurde das Projekt durch technische Probleme. Diese konnten aber in Zusammen-arbeit mit dem die Software zur Verfügung stellenden Sponsor – und zum Teil basierend auf An-regungen von Teilnehmern – in einem Relaunch gelöst werden. Überschattet wurde das Projektvon den Anschlägen des 11. September 2001, in deren Folge auch die geplante Anbindung aneinen politischen Entscheidungsprozess verunmöglicht wurde.

35 http://www.bundestag.de/dialog/info_e_dem.html

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E-Partizipation für die Ausschussarbeit ergeben, an Möglichkeiten der diesbezüg-lichen Kooperation des Deutschen Bundestages mit anderen Akteuren sowie anthematisch einschlägigen britischen Erfahrungen (Kap. IV.3.2 u. IV.3.4).

Darüber hinaus sind neuerliche Maßnahmen zur Fortentwicklung des Onlinegesamt-angebots des Deutschen Bundestages geplant. Zu diesem Zweck wurde erstmalsauch eine gestufte Onlinebefragung durchgeführt (Fühles-Ubach 2005b): Dabei griffder Deutsche Bundestag auf ein in Großbritannien entwickeltes Instrument derOnlinekonsultation zurück, das zum einen eine relativ große Zahl von offenenAntwortkategorien anbietet und zum anderen die Möglichkeit, dass die Teilnehmerzu den zusammengefassten Ergebnissen der ersten Befragungsrunde noch einmalbefragt werden. Auf diese Weise können potenziell Anregungen durch die Befragtenbesser aufgenommen und differenzierte Meinungsbilder gewonnen werden. Zu denMeinungsäußerungen und Rankings erfolgte ein Feedback der Internetredaktion desDeutschen Bundestages (Fühles-Ubach 2005b, Anlage 2), bei dem u.a. Maßnahmenzur Verbesserung der Übersichtlichkeit des Angebots und der Suchfunktionen ange-kündigt wurden. Der Endbericht zu der Onlinebefragung findet sich in der Rubrik»Dialog« (Kap. IV.3.5.2) der Homepage des Deutschen Bundestages, unter demneuen Punkt »Onlinekonsultationen«.

AKTUELLE STRUKTUR DES ONLINEDISKUSSIONSANGEBOTS 3.5.2

Mit seinem Onlinediskussionsangebot kann der Deutsche Bundestag auch heute iminternationalen Vergleich als relativ weit fortgeschritten gelten (Trechsel et al. 2003;Trénel 2004; van Audenhove et al. 2005). Parlamentarische Websites verändern sichjedoch schnell, wodurch internationale Rankings und Benchmarkings nur kurz-fristig aussagekräftig sind. Tatsächlich zeigt sich, dass in letzter Zeit Parlamente, diebisher kein avanciertes Onlinediskussionsangebot hatten, verstärkt mit den diesbe-züglichen Möglichkeiten netzbasierter Kommunikation experimentieren.36

Das Angebot des Deutschen Bundestages erreicht man über die Rubrik »Dialog« aufder Homepage, also nicht – wie bei den meisten Regierungsangeboten – über denPunkt »Service«. Die Unterpunkte der Rubrik »Dialog« sind (Ende Mai 2005)»Newsletter« (mit Informationen und Links zu den vier E-Mail-Informationsdiens-ten), »Onlinekonferenzen«, »Diskussionsforum« (ein Link zum Onlineforenange-bot), »E-Parlament« (mit Informationen zu dem abgeschlossenen Pilotprojekt»Elektronische Demokratie« und einem Link zum Archiv), »Onlinekonsultationen«

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

36 So hat z.B. das portugiesische Parlament im Jahr 2004 ein groß angelegtes, von mehreren Parla-mentariern genutztes Weblogprojekt gestartet, bei dem Bürger die Beiträge der Abgeordneten zuunterschiedlichsten Themen netzöffentlich kommentieren können (s. http://blogs.parlamento.pt/indice).

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(ein Link zum Ergebnisbericht der gestuften Onlinebefragung zur Zukunft des Inter-netprogramms des Deutschen Bundestages), je ein Link zu den Angeboten desPetitionsausschusses und des Wehrbeauftragten sowie eine Reihe von Angeboten anJugendliche.

Im Folgenden wird nun zunächst kurz auf die archivierten Onlinekonferenzen, imAnschluss daran etwas ausführlicher auf das »Diskussionsforum« und ergänzendauf das Diskussionsangebot der im Jahr 2004 eingerichteten jugendspezifischenWebsite des Deutschen Bundestages (www.mitmischen.de) eingegangen. Währenddie einem Chat ähnelnden und dementsprechend an einem Tag stattfindenden On-linekonferenzen bei Bedarf von Ausschüssen, Enquete-Kommissionen oder anderenparlamentarischen Einrichtungen für ihre Arbeit eingesetzt werden, ist das »Diskus-sionsforum« ein kontinuierliches Angebot mit wechselnden Themen, bei dem dasjeweils aktuelle Forum zum Teil über Monate hinweg läuft.

ONLINEKONFERENZEN

Das Archiv der Onlinekonferenzen reicht bis ins Jahr 2003 zurück. Insgesamt fandensich Anfang 2005 fünf archivierte Konferenzen aus den Jahren 2003 und 2004.37

Onlinekonferenzen wurden demnach von drei Ausschüssen durchgeführt. Dabeiwurde in einem Fall an die Diskussionen in einer öffentlichen Anhörung zum Thema»Islamisches Recht und Menschenrechte« angeknüpft, in einem anderen wurden –im Vorfeld der Europawahlen – EU-Themen (und insbesondere auch die Arbeit ander Verfassung) behandelt und im dritten Fall fand ein Austausch über das Themader Ganztagsbetreuung für Kinder statt. Ein Unterausschuss, die Kommission zurWahrnehmung der Belange der Kinder (»Kinderkommission«), veranstaltete eineKonferenz zu den gesellschaftlichen Teilhaberechten und -möglichkeiten von Kin-dern. Die fünfte archivierte Konferenz wurde anbieterseitig allein von dem Vertreterdes Deutschen Bundestages im EU-Konvent bestritten und diente der Diskussion desEuropäischen Verfassungsvertrags. Die thematische Ausrichtung der archiviertenForen entspricht damit – mit einer Ausnahme (»Islamisches Recht und Menschen-rechte«) – dem Mainstream europäischer Aktivitäten zum Onlinedialog mit demBürger: Jugend- und EU-Themen (und insbesondere die Verfassung) waren und sindSchwerpunkte offizieller Onlinediskussionsangebote. Bemerkenswert ist die Tat-sache, dass die Onlinekonferenzen von parlamentarischen Ausschüssen genutzt wur-den, wodurch zumindest ansatzweise eine Anbindung von Diskussionsangeboten ankonkrete politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse erfolgte. Eineweitere neuere Onlinekonferenz wurde von der Enquete-Kommission »Ethik und

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

37 Nicht nur aufgrund des zeitgeschichtlichen Interesses dieser Angebote, sondern auch im Kontextnationaler wie internationaler Aktivitäten zur Nutzung des Internets als »kulturelles Gedächt-nis« wäre es sinnvoll, die Archive von Konferenzen und Foren früherer Jahre online zu stellen.

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Recht der modernen Medizin« am 10. November 2004 zum Thema »Patientenver-fügungen« durchgeführt. Die Kommission hatte im Jahr 2001 bereits zwei Online-foren angeboten (IZT 2005).

DAS FORENANGEBOT

Auf der Startseite des »Diskussionsforums«, dem Forenangebot, heißt es im Be-grüßungstext: »Hier bieten wir Ihnen den Platz, Meinungen zu ausgewähltenThemen auszutauschen. Dann ist Ihre Meinung gefragt! Sie können aber auch mitanderen Teilnehmern allgemein über das Thema diskutieren.« In dem Begrüßungs-text werden die Foren zudem als moderierte Foren ausgewiesen, was bedeute, dassdie Beiträge nicht sofort sichtbar sind, sondern erst nachdem sie die Moderatorender Onlineforen freigegeben haben. Das geschehe spätestens innerhalb von zweiArbeitstagen.

Unterhalb des Begrüßungstexts finden sich Links zu den jeweils aktuellen Forenund das Archiv der abgeschlossenen Foren. Angaben über die geplante Dauer derlaufenden Foren fanden sich im Untersuchungszeitraum nicht. Der Archivbereichunterteilt sich in drei Einzelarchive:

> Das Archiv des »Onlineforums« des Deutschen Bundestages, in dem 22 Archivevon Einzelforen (von Anfang 2002 bis Februar 2005) enthalten sind.

> Das Archiv des »Onlineforums« des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauenund Jugend enthält die Archive dreier Einzelforen aus den Jahren 2001 und 2002.

> Zudem findet sich das Archiv des Onlineforums der Enquete-Kommission»Recht und Ethik der modernen Medizin« mit zwei Einzelforen aus dem Jahr2001 (IZT 2005).

Wie die Onlinekonferenzen sind auch die Foren des Deutschen Bundestages auf dieBedürfnisse der Fraktionen zugeschnitten. Neben einem kurzen Einleitungstextexistieren auf der Startseite Links zu den Beiträgen, die (in der Regel) von je einemMdB pro Fraktion bereitgestellt werden. Die Teilnehmer können dann wählen,unter dem Text welches Abgeordneten ihr Beitrag erscheinen soll. Zusätzlich bestehtauf den Startseiten der Einzelforen ein mit »Allgemeine Beiträge« bezeichneter Link.Dadurch existiert die Möglichkeit, sich auch ohne ausschließlichen Bezug zu einemder Texte der Fraktionen äußern zu können. Diese Option wird häufig genutzt: DerAnteil der allgemeinen Beiträge liegt bei den letzten zwölf archivierten Foren seit derBundestagswahl 2002 (bis Februar 2005) bei ca. 45 % aller Teilnehmerbeiträge.

Die von Anbieterseite eingestellten Beiträge – bis auf die sehr seltenen Postings derModeration – sind inhaltsgleich mit Beiträgen zur Parlamentszeitschrift »Blick-punkt Bundestag«. Sie erscheinen dort ebenfalls im Namen der Abgeordneten, sindin der Regel aber zugleich als »Stellungnahmen der Fraktionen« ausgewiesen. In den

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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Foren existieren Links zu den Artikeln in der Onlineausgabe, der umgekehrte Wegwird aber – bei vier überprüften Fällen – nicht beschritten: Weder in der Online-version noch in der Zeitschrift selbst finden sich auf den Themenseiten Hinweise aufdas Forum. Das inhaltliche Angebot, für das im »Blickpunkt Bundestag« selbstkeine Publizität geschaffen wird, basiert also anscheinend auf einer Zweitverwer-tung. Mögliche Synergieeffekte der verschiedenen Medienangebote werden somitsuboptimal genutzt.

In der Nutzerfreundlichkeit fällt das Forenangebot des Deutschen Bundestages z.B.deutlich gegenüber allen im Rahmen der Untersuchung näher betrachteten Foren-angebote der Bundesregierung ab. Dies liegt nicht nur am Fehlen einer Suchfunk-tion für die Diskussionen und anderer technischer Optionen, sondern auch an derUnterteilung in allgemeine Beiträge und Beiträge zu Fraktionstexten. Beim durch-schnittlich eher geringen Umfang der Gesamtbeitragszahlen dürfte diese Untertei-lung eher dazu beitragen, Interaktivität zwischen den Teilnehmern zu verhindern,als dazu, die Diskussion sinnvoll zu strukturieren. Ein im Rahmen des Projektsuntersuchtes Forum der Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernenMedizin« (im Jahr 2001) zum Thema Präimplantationsdiagnostik (PID) zeigt aber,dass unter bestimmten Voraussetzungen auch bei der gegebenen Struktur undOrganisation des Forenangebots des Deutschen Bundestages eine durch ein hohesMaß an Interaktivität und diskursiver Qualität gekennzeichnete Debatte geführtwerden kann (IZT 2005). Die Teilnehmerbeiträge konnten ausschließlich untereinem Positionspapier verortet werden, die Option »Allgemeine Beiträge« fehlte.Bemerkenswert ist, dass hier in einem größtenteils sehr höflichen Tonfall und beieinem hohen Grad an Sachlichkeit, Reflektiertheit und Überlegtheit extrem gegen-sätzliche Positionen vertreten wurden, was von mehreren Teilnehmern als eine unge-wöhnliche Erfahrung beschrieben wurde. Positive und negative Positionen hieltensich ungefähr die Waage und dominierten gemeinsam die Diskussion. Das Forumkann auch als ein weiterer Beleg dafür gesehen werden, dass bei gewissen Themenein niveauvoller und lebendiger Austausch als Eigenleistung der Bürger entsteht,unabhängig von den gegebenen Rahmenbedingungen. Angesichts des spezifischenAuftrags an die Kommission, die öffentliche Diskussion zu fördern, wäre eine überdie Bereitstellung der Positionspapiere hinausgehende Beteiligung an dem Forumsinnvoll gewesen.

Die inhaltliche Moderation der Onlineforen ist sehr schwach ausgeprägt, die Regelnder administrativen Moderation sehen vor, dass alle Beiträge vor Veröffentlichungvon Mitarbeitern der Internetredaktion gelesen werden. Die interne Richtlinie isthier »so wenig Eingriffe wie möglich« (IZT 2005). Aussortiert wurden vereinzeltbeleidigende und vulgäre Beiträge sowie solche, die von Sekten eingesendet wurden.Positiv zu vermerken ist in punkto Nutzerfreundlichkeit die Auflistung aller Namenund (veröffentlichten) persönlichen Angaben der Teilnehmer sowie des Datums der

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Beiträge auf den Startseiten der Foren, was einen schnellen Überblick erlaubt – aller-dings fehlen hier Links direkt zu den Teilnehmerbeiträgen.

Die einzelnen Forenangebote stoßen auf stark unterschiedliche Resonanz. EineUntersuchung aus dem April 2003 (Filzmaier/Winkel 2003) kommt zu der allge-meinen Einschätzung, dass bei den – zu diesem Zeitpunkt aktiven oder onlinearchivierten – Foren des Deutschen Bundestages enger eingegrenzte Themen in derRegel einen deutlich höheren Zuspruch hatten als weit gefasste. Eine Regelmäßig-keit dieser Art lässt sich für die zwölf Foren, die seit der Bundestagswahl bis Ende2004 gestartet wurden, nicht erkennen. Bei diesen Foren wurde durchschnittlichungefähr ein Beitrag pro Tag verfasst. Insgesamt wurden in dem gesamten Zeitraumknapp 650 Beiträge eingestellt. Die beiden Foren, die mehr als 100 Beiträge auf-weisen, hatten als Themen Rentenpolitik und Krankenkassen. Foren, die keinewirtschafts-, sozial- oder gesundheitspolitischen Themen hatten, stießen mit einerAusnahme (Auslandseinsätze der Bundeswehr) auf fast keine Resonanz.

In der genannten Studie (Filzmaier/Winkel 2003) wird in Bezug auf die damalsarchivierten und laufenden Foren festgestellt, dass die Diskussionen vorwiegend vonFachleuten geprägt wurden. Hinsichtlich der neueren Foren kommt man zu einemanderen Eindruck: Die Zahl der sich als Fachleute ausweisenden Teilnehmer istgering, und in den Diskussionen stellt man – insbesondere in letzter Zeit – eineHäufung von Beiträgen fest, in denen die Autoren aus der Position (oder Pose) desbesorgten, empörten oder verzweifelten »einfachen Bürgers« Vorschläge machenbzw. Appelle und Kritik an die Politiker richten.

Wie in anderen Foren auch wird von Teilnehmern die mangelnde Präsenz von Politi-kern im Forum beklagt, nicht selten einhergehend mit – zum Teil stark polemischen– Vorwürfen, die Politiker ignorierten die Interessen der Bürger und genössen in un-gerechtfertigter Weise Privilegien. Der Stil vieler Beiträge wirkt eher förmlich undsteif, was untypisch für Onlinediskussionen ist. Eine besondere Internetaffinität derTeilnehmer ist nur selten festzustellen. Interaktion zwischen den Teilnehmern findetsich vor allem im Bereich »Allgemeine Beiträge«, in Form sachlichen Austauschs,gegenseitiger Bestätigung hinsichtlich der Kritik an Politikern und Staat oder alspolarisierte Debatte über wirtschafts- und sozialpolitische Themen. Feste Ansprech-partner für die Bürger, z.B. in Form einer in den Diskussionen aktiven Moderation,fehlen.

Insgesamt gesehen wirkt dieser Teil des Onlinedialogangebots des Deutschen Bun-destages vernachlässigt, was offenkundig auch zu Frustrationen bei teilnehmendenBürgern geführt hat. Ob mit dem aktuell laufenden Forum zum Entwurf des Infor-mationsfreiheitsgesetzes (IFG) eine Verbesserung erreicht werden kann, ist nochnicht abzusehen. Bemerkenswert ist, dass zu dem Gesetzgebungsverfahren ein – mitdem Innenausschuss abgestimmtes und auf der Website des Deutschen Bundestages

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3. PARLAMENT UND DIGITALE DEMOKRATIE

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intensiv beworbenes – Informationsangebot besteht, in dem auch Verweise aufbestehende und geplante Beteiligungsangebote sowie auf die gesamte Palette derInformationsmöglichkeiten (Web-TV, öffentliche Anhörungen etc.) enthalten sind.Verbunden ist dies mit der Aufforderung, seine Meinungen in das Gesetzgebungs-verfahren einzubringen. Offensichtlich ist man hier um eine engere Anbindung desDiskussionsangebots an politische Prozesse und eine Bündelung der Informations-und Diskussionsmöglichkeiten zu diesem Zweck bemüht. Die Initiative hat aberzunächst keine belebende Wirkung auf das »Diskussionsforum« gezeitigt: Nachdemin den zwei Tagen nach Start des IFG-Forums am 12. April 2005 24 Beiträge vonBefürwortern eines IFG eingingen, kamen bis Mitte Mai nur zwei themenbezogeneBeiträge hinzu.

DAS JUGENDSPEZIFISCHE ONLINEDISKUSSIONSANGEBOT

Genauer untersucht wurde in einem Gutachten für das Projekt (IZT 2005) auch dasDiskussionsangebot auf www.mitmischen.de (Startseitenrubrik »Mitreden«), derseit Juni 2004 bestehenden jugendspezifischen Website des Deutschen Bundestages.Die Gutachterinnen kamen zu der Einschätzung, dass es sich hier um ein gutgelungenes Angebot handelt, mit dem einer in der (nationalen wie internationalen)Diskussion über digitale Demokratie zentralen Forderung entsprochen wurde – derNutzung des Internets für die verstärkte Einbeziehung von Jugendlichen in das poli-tische Leben. Die Diskussionen und zugehörigen Informationsangebote sind voll-ständig archiviert, zusammen mit Ergebnisberichten zu den Diskussionen. Die EndeApril 2005 laufenden Foren hatten als Themen »Genfood«, »Kinderwahlrecht«,»Jugendkriminalität« (mit einem Chat zugleich mit MdB und jugendlichen Straf-tätern) und »Rechtsextremismus«.

Links zum Angebot sind mittlerweile auch auf www.bundestag.de gut positioniert,und es stellt auch einen Schwerpunkt bei der externen Werbung im Netz dar. Wäh-rend bisher die Werbung vor allem über die ca. 200 auf der Website registriertenSchulen lief, soll in Zukunft auch eine mehrere zehntausend Schulen umfassendeMailingliste genutzt werden und eine engere Vernetzung mit dem Jugendmagazin»Glasklar« des Deutschen Bundestages erfolgen. Auch verstärkte Werbung in derpopulären Jugendpresse ist vorgesehen. Das Angebot ist zudem mit jugendspezifi-schen Angeboten der Bundeszentrale für politische Bildung, der Bundesregierungund anderer Akteure (Kap. IV.2.2) verlinkt. Bisher haben sich auf der Website knapp2.000 Personen registrieren lassen.

Die ins Thema einführenden Informationstexte zu jedem Forum werden hier – inAbsprache mit den zuständigen Parlamentariern – von der Internetredaktion erstellt.Das Urheberrechtsforum hatte beispielsweise einen mit insgesamt acht Seiten relativumfangreichen Hintergrundtext zum Thema. Er ist in einem lockeren Stil formuliert,

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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blendet die zentralen Konfliktlinien in diesem Feld nicht aus und ist auch von einempädagogischen Bemühen gekennzeichnet, illegale Aspekte der digitalen Kopierpraxiszu verdeutlichen.

Die Foren sind nutzerfreundlich und interaktionsförderlich gestaltet, ein gewisserVerbesserungsbedarf besteht nur bei den Such- und Navigationsmöglichkeiten. ImGegensatz zum »Onlineforum« des Deutschen Bundestages gibt es hier z.B. eineZitatfunktion, mit der die Interaktion zwischen den Teilnehmern erleichtert wird,und die Möglichkeit für die Teilnehmer, eigene Themenstränge zu beginnen. Esbesteht auch die – gerade für Jugendliche vermutlich attraktive und aus der neue-ren Onlinediskussionskultur bekannte – Möglichkeit, ein persönlich ausgewähltesBild für die eigenen Beiträge zu nutzen.

In der so genannten »Fraktion Mitmischen« waren Mitte Mai 2005 insgesamt 46MdB aufgeführt, die auch die Ergebnisberichte der Diskussionen erhalten. Einigeleisten aktive Beiträge zu den Foren und es finden weiterhin Chats mit ihnen statt.Das Forum hat den Anspruch, zu einem Onlinedialog zwischen Politik und Jugend-lichen beizutragen, wie z.B. der folgende Abschlusstext zum Thema Urheberrechtzeigt: »Das Forum zum Urheberrecht ist geschlossen – ihr habt diskutiert, geant-wortet und eigene Threads gestartet. Danke an alle, die mitgemischt haben! EineQuintessenz eurer Gedanken gibt’s hier. Wie immer sind nun die Abgeordneten ander Reihe! Sobald es ein Feedback gibt, ist das Forum wieder geöffnet! Natürlichkönnt ihr das geschlossene Forum bis dahin weiter einsehen« (zitiert nach IZT2005, S. 65).

ZUR EINSCHÄTZUNG DES ENTWICKLUNGSSTANDSDIGITALER DEMOKRATIE 4.

Insgesamt gesehen wird die britische E-Demokratie-Strategie besser öffentlich ver-mittelt als die vergleichbaren Aktivitäten der deutschen Politik. Gründe dafür dürftenu.a. die unterschiedlichen Problemwahrnehmungen in Bezug auf bedenkliche Ent-wicklungen der repräsentativen Demokratie sein sowie Spezifika der beiden politi-schen Systeme. Im Rahmen ihrer umfassenden Internetstrategie und begünstigt durchihre starke Position in Bezug auf das Parlament ist es der britischen Regierung ge-lungen, das Thema E-Demokratie relativ weit oben auf der politischen Agenda zuhalten. Dabei hat sie mit zum Teil geringen Mitteln die öffentliche Aufmerksamkeitfür das Thema gefördert. Im Gegensatz zur Politik der Exekutiven in Deutschlandund auf EU-Ebene erscheint die britische E-Demokratie-Politik daher als wenigerabhängig von Themenkonjunkturen. Das nationale britische wie auch das schottische

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4. ZUR EINSCHÄTZUNG DES ENTWICKLUNGSSTANDS DIGITALER DEMOKRATIE

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Parlament spielen zentrale Rollen sowohl in der nationalen als auch in der interna-tionalen Weiterentwicklung digitaler Demokratie. Die Bundesregierung engagiertsich an verschiedenen Stellen für die Weiterentwicklung der Netzöffentlichkeit undbetont sehr stark die Relevanz politischer Kommunikation zwischen Bürgern.

Bei den staatlichen Onlinediskussionsangeboten auf nationaler Ebene ist der we-sentliche Unterschied zwischen Deutschland und Großbritannien die Tatsache, dassim Vereinigten Königreich Onlinekonsultationen eine herausragende Bedeutungbesitzen und zwar sowohl Anhörungen der Regierung als auch des Parlaments. Da-bei spielen Onlinediskussionen im Fall des Parlaments eine zentrale Rolle, im Fallder Regierung eine periphere. Bemerkenswert ist, dass mit dieser Schwerpunktset-zung konsequent eine vergleichsweise enge Anbindung der Angebote an politischeBeratungsprozesse verwirklicht wurde. In Deutschland hat die Bundesregierungeine Reihe von Expertenforen durchgeführt, mit erklärtermaßen guten Ergebnissen.Diese waren allerdings öffentlich kaum sichtbar. Gute Erfahrungen werden auch mitForen gemacht, die zur Beratung von Bürgern und zur gegenseitigen bürgerschaft-lichen Selbsthilfe dienen, also Zielen, die auch in einigen britischen Online-anhörungen vorrangig waren. Im Vergleich zu ihren britischen Pendants machenBundesregierung und Deutscher Bundestag zudem eine große Zahl von allgemeinenOnlinediskussionsangeboten an die Bürger, wobei auch Chats eine wichtige Rollespielten. Diese Diskussionen haben allerdings bisher überwiegend keine oder nureine minimale Anbindung an politische Entscheidungsprozesse.

Zu den Angeboten des Deutschen Bundestages – die eine besonders lange Traditionhaben – ist festzuhalten, dass sie in letzter Zeit – mit Ausnahme der bemerkenswer-ten jugendspezifischen Angebote – eher spärlich sind. Insgesamt gesehen setzt derDeutsche Bundestag – im Vergleich zum britischen Parlament – eher auf eine Vielfaltvon allgemeinen politischen Diskussionsangeboten, die in der Regel ohne konkretenZielgruppenbezug und nicht angebunden an politische Meinungsbildungs- und Ent-scheidungsprozesse sind. Durch die erstmalige Durchführung einer gestuften On-linebefragung, deren Ergebnisbericht zudem auf der Homepage unter dem neuenPunkt »Onlinekonsultationen« geführt wird, wurden aber auch Erfahrungen ge-sammelt, die für einen Einsatz dieses Instruments für Anhörungen genutzt werdenkönnten. Der Deutsche Bundestag hat für den Einsatz von Onlineforen zur Moder-nisierung des parlamentarischen Anhörungswesens auf jeden Fall sehr gute Voraus-setzungen: Zum einen wurden mit dem Projekt »Elektronische Demokratie« imJahr 2002 Erfahrungen gemacht, die den britischen entsprechen und zum Teil überdiese hinausgehen, zum anderen hat der Deutsche Bundestag eine sehr lange Tradi-tion der Nutzung von Onlinediskussionsangeboten und dementsprechend Routinenin diesem Bereich ausgebildet. Einen wichtigen Beitrag zur digitalen Demokratiewürde auch die geplante Nutzung einer modifizierten Version der im schottischenE-Petitionswesen eingesetzten Software durch den Deutschen Bundestag darstellen.

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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Das Diskussionsangebot der Bundesregierung ist durchaus vielfältig und dabeischwer zu überschauen. Seine Entwicklung verlief in den letzten Jahren – mit we-nigen Ausnahmen – eher sprunghaft und zudem nicht koordiniert. Die Einrichtungeines zentralen Portals für die Onlineforenangebote ist allerdings geplant. Nebenmehreren Beispielen für beste Praxis – vor allem beim technischen Design und beider Durchführung von Beratungs- und Selbsthilfeforen – sind auch Mängel bei derinhaltlichen Betreuung insbesondere von allgemeinen politischen Diskussionsforenfestzustellen.

Der Einschätzung (Fühles-Ubach 2005a), dass in Deutschland – im Gegensatz zuGroßbritannien – die digitale Demokratie auf nationaler Ebene noch nicht weitvorangeschritten ist, kann in gewisser Weise zugestimmt werden: Tatsächlich ist imVereinigten Königreich mit den Onlineanhörungen ein zentrales Element partizipa-tiver E-Demokratie erfolgreich in das politische System integriert worden. Auch inDeutschland haben sich aber die zentralen Akteure zur Netzöffentlichkeit hin ge-öffnet und zwar vornehmlich mit politischen Onlinediskussionsangeboten eher un-verbindlicher Natur. Es spricht zudem einiges dafür, dass auch die – in vielerleiHinsicht durchaus beispielhaften – britischen Onlineanhörungen unter ähnlichenProblemen leiden wie andere Diskussionsangebote (und vor allem unter der gerin-gen Responsivität der Politik).

Allgemein ist zur Nutzung von staatlichen Onlinediskussionsangeboten festzu-stellen, dass viele dieser Angebote von Bürgern angenommen und überwiegendkonstruktiv genutzt werden. Die Krux vieler Diskussionsangebote sind unzu-reichende Möglichkeiten zum Austausch mit Politikern oder Mitarbeitern und diemangelhafte Anbindung der Diskussionen an politische Meinungsbildungs- undEntscheidungsprozesse. Hinzu kommt gelegentlich fehlendes Gespür für dieemotionalen Befindlichkeiten und Selbstwahrnehmungen der teilnehmenden Bürgerund infolgedessen ein problematisches Kommunikationsverhalten diesen gegenüber.Immer noch oft wird das Internet nicht als ein Instrument zur politischen Deli-beration und bürgerschaftlichen Partizipation ernst genommen, sondern als einunverbindliches Zusatzelement der Öffentlichkeitsarbeit angesehen, das vor allemEntertainment-Qualitäten aufweist.

Die bisherige Entwicklung digitaler Demokratie hat sich, nimmt man die Erfah-rungen in Deutschland, Großbritannien und der EU zum Maßstab, in einem spezi-fischen Spannungsfeld entwickelt. Es ist gekennzeichnet durch vielfältige Wechsel-wirkungen zwischen den Beharrungskräften politischer Kultur, Anstrengungen zurModernisierung des politischen Systems, gewachsenen Partizipationsansprüchen,gestiegenem politischen Interesse (Bertelsmann-Stiftung 2004) und Protesthaltungenvieler Bürger sowie den Spezifika der Internetkommunikation und Netzkultur. ZuInnovationen, aber auch zu Interessenkollisionen kommt es zum einen durch Unter-

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4. ZUR EINSCHÄTZUNG DES ENTWICKLUNGSSTANDS DIGITALER DEMOKRATIE

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schiede zwischen politischer Kultur und Netzkultur (z.B. in Bezug auf die Aspekteder Transparenz und kommunikativen Interaktivität), zum anderen durch grund-legende Veränderungen im Verhältnis von Staat und Bürger. Was sich z.B. in denAkzeptanzproblemen bei staatlichen Onlinediskussionsangeboten äußert, ist oftnicht netzspezifisch, sondern Ausdruck einer allgemeinen Vertrauenskrise, bei derBürger Unmut über eine angeblich »abgehobene politische Klasse« äußern. Insbe-sondere seitens der EU, aber auch in Großbritannien – und in gewissem Umfangauch in Deutschland – ist diese Vertrauenskrise erklärtermaßen ein zentraler Beweg-grund für die Nutzung des Netzes zur politischen Diskussion und Partizipation.

Zu konstatieren ist derzeit ein Dilemma digitaler Demokratie. Es ist das Resultatzweier Entwicklungen: Ende der 1990er Jahre rückten zum einen bedenklicheTendenzen im Verhältnis von politischem System und Bürgern auf der politischenAgenda nach oben – eine Entwicklung, die in der Diagnose einer »Krise der Demo-kratie« kulminierte. Zum anderen wandte sich die Politik vor dem Hintergrund derallgemeinen Interneteuphorie – im Vergleich zu anderen Akteuren also relativ spät,dann jedoch in großem Umfang – den weitreichenden demokratiepolitischen Poten-zialen netzbasierter Kommunikation zu. Ergebnis des Zusammentreffens dieser bei-den Entwicklungen war eine Festschreibung sehr ambitionierter Ziele zur Nutzungdes Internets für die Modernisierung und Intensivierung der Beziehungen zwischenPolitik und Bürgerschaft. Es wurde jedoch versäumt, diese Ziele auf angemesseneWeise in der Politikgestaltung zu verankern und die ausreichende Ausstattung mitRessourcen auf Dauer sicherzustellen. Aktuell wird das Bild daher – mit einigenbemerkenswerten Ausnahmen – bestimmt durch mangelhaft koordiniertes unddiskontinuierliches Experimentieren mit Onlinediskussionen und das Vertrauen aufdie überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft thematisch stark interessierter Mit-arbeiter oder NGOs. Dadurch dass die ambitionierten Ziele aufrechterhaltenwerden, gleichzeitig aber die konkrete Weiterentwicklung digitaler Demokratie nurschleppend oder sprunghaft vonstatten geht, können zentrale Herausforderungenoft nicht angemessen angegangen werden. Die Sorge, dass dies zu Enttäuschungenführen kann (Welz 2002), hat sich als berechtigt erwiesen.

In den letzten Jahren zeichnen sich aber auch Wege zur Überwindung des Dilem-mas ab: Zum einen öffnet sich die Politik hin zur Netzkultur und zu all jenen Bür-gern, die das Netz als Kommunikationsmittel schätzen. Durch Fördermaßnahmen,Vernetzung der eigenen Angebote mit denen anderer Akteure, das Experimentierenmit den Möglichkeiten der Onlinekommunikation und die Bereitstellung von Infor-mationen im Internet spielt die Politik mittlerweile eine wichtigere Rolle in derNetzöffentlichkeit. Zum anderen werden von politisch und netzkulturell interessier-ten Bürgern vielfältige Aktivitäten zum Ausbau digitaler Demokratie entfaltet. Vonzentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung wird daher die Frage sein, wie sichjeweils die Logik, Kultur und das Zeitregime der Politik mit den (oft netzkulturell

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IV. POLITISCHE INSTITUTIONEN UND NETZÖFFENTLICHKEIT

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grundierten) Erwartungshaltungen stark kommunikationswilliger, an Partizipationinteressierter Bürger in Einklang bringen lassen. Weder politische Kulturen nochNetzkulturen oder die Kultur bürgerschaftlichen Engagements allgemein sind starreGebilde: Allein durch die zunehmende Durchdringung vieler Lebensbereiche durchdas Internet werden bestehende Unvereinbarkeiten und Reibungsflächen an Be-deutung verlieren. Von Seiten der Politik wäre die fortlaufende Untersuchung derErträge, Chancen und Herausforderungen (Kap. VI) anzustreben, die sich durch dasNetz für die politische Diskussion mit und zwischen Bürgern ergeben, sowie einesystematische Realisierung der bestehenden Potenziale – ohne überschießendeErwartungen, aber auch ohne Kleinmut hinsichtlich der manchmal immer nochfremd wirkenden »Welt« des Netzes.

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4. ZUR EINSCHÄTZUNG DES ENTWICKLUNGSSTANDS DIGITALER DEMOKRATIE

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NETZÖFFENTLICHKEIT – DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION V.

Die meisten der in der Debatte um die Bedeutung netzbasierter Kommunikation fürdie Demokratie behandelten Probleme und vertretenen Thesen berühren die Frage,ob und inwieweit das Internet eine neue virtuelle politische Agora darstellt bzw. dasNetz ein Potenzial zur Revitalisierung der Demokratie aufweist. Neben der Fragenach verbesserten Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Bürgern und Staatgehören zu diesem Komplex Fragen

> nach verbesserten Möglichkeiten politischer Teilhabe der einzelnen Staatsbürger/-innen hinsichtlich politischer Information wie auch hinsichtlich der öffentlichenArtikulation ihrer Interessen,

> nach veränderten Möglichkeiten der Konstituierung von Gegenöffentlichkeitoder politischen Teilöffentlichkeiten im Netz

> sowie nach dem deliberativen Potenzial politischer Netzkommunikation, d.h.ihrem Beitrag zur Gestaltung des politischen Prozesses als öffentliche, an Stan-dards argumentativer Rationalität orientierte Beratung von im allgemeinen Inte-resse liegenden Fragen (s.a. Kap. III.3).

Verglichen mit den weitreichenden Thesen, die die nunmehr ca. 15-jährige Debatteum die politische Bedeutung des Internets (Kap. III) hervorgebracht hat, ist die em-pirische Forschung zur politischen Nutzung des Netzes durch politische Akteureund politisch interessierte Bürger, zum Entstehen, zum Charakter und zur Bedeu-tung politischer Debatten im Netz oder auch zu den Erfahrungen mit der Nutzungder interaktiven Möglichkeiten der Netzkommunikation für politische Deliberationnoch durch zahlreiche offene Fragen geprägt. Im Folgenden werden – vor allem aufBasis der für das Projekt erstellten Gutachten (Neuberger et al. 2004; pol-di.net2004; Rucht et al 2004; Schönberger 2004a u. b; Winter/Groinig 2004) – folgendeFragen eingehender diskutiert:

> Inwiefern ergeben sich aus der Perspektive des Bürgers als Internetnutzer neueMöglichkeiten der politischen Meinungsbildung, der politischen Artikulation unddes Zugangs zu politischer Öffentlichkeit?

> Wie nutzen NGOs und soziale Bewegungen das Internet für ihre Zwecke undwelche Bedeutung kommt dabei der Herstellung von Netz(gegen)öffentlichkeitzu?

> Was lässt sich mit Blick auf spezifische Debatten (Copyright und »Genfood«) zurBedeutung des Internets für politische Öffentlichkeit feststellen?

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Dabei wird nicht der Anspruch erhoben, diese Fragen vollständig und umfassendzu beantworten. Es werden vielmehr – auf der Ebene der individuellen Nutzung desNetzes, der Ebene politischer Organisation und auf der Ebene politischer Öffent-lichkeit(en) – solche Aspekte und Tendenzen angesprochen, die hinsichtlich derLeitfragen der Studie von besonderem Interesse sind. Gefragt wird nach möglichenAuswirkungen spezifischer politischer Nutzungsweisen des Netzes auf die Grund-lagen demokratischer Gesellschaften und insbesondere auf politische Öffentlichkeit,eine in Deutschland bisher kaum in wissenschaftlicher Politikberatung behandelteThematik.

Das Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: Der erste Teil (Kap. V.1) thematisiert aufder Basis verfügbarer Untersuchungen die Bedeutung von »Politik im Netz« aus derPerspektive des individuellen Nutzers. Dabei spielt zum einen die Bedeutung vonPolitik als Inhalt der Netzkommunikation eine Rolle: Ist das Netz als Mediumpolitischer Information und Meinungsbildung relevant? Zum anderen geht es umdie Frage, in welcher Weise das Netz den Individuen Möglichkeiten eröffnet, sichpolitisch als Sprecher oder Autor zu betätigen. Das Augenmerk wird dabei insbe-sondere auch auf die relativ neue Tendenz der Weblognutzung gerichtet. Im zwei-ten Teil (Kap. V.2) geht es um den Aspekt der politischen Internetnutzung durchNGOs und soziale Bewegungen. Dabei stehen globalisierungskritische Organisatio-nen sowie entwicklungspolitische Initiativen im Mittelpunkt. Gefragt wird auch, obTendenzen einer Transnationalisierung politischer Kommunikation und Interaktionfestzustellen sind, die durch das Netz befördert werden. Im dritten Teil (Kap. V.3)werden die Ergebnisse zweier in Auftrag gegebener Gutachten zusammengefasst, indenen die Relevanz von Netzöffentlichkeit für die politische Debatten über das Ur-heberrecht und Copyright (pol-di.net 2004) sowie über »Genfood« (Rucht et al.2004) empirisch untersucht wurden. Es soll schlaglichtartig und beispielhaft einge-fangen werden, wie politische Themen im Internet repräsentiert sind. Im Fall der»Genfood«-Debatte geht es um die Perspektive von Internetnutzern, die mit Hilfeeinfacher, unaufwändiger Suchmaschinenrecherchen Informationen erlangen wollen,also nicht gezielt einschlägige Websites oder die Onlineangebote etablierter Mas-senmedien aufsuchen. Im Gegensatz dazu werden im Fall der Urheberrechtsdebatteeinschlägige Websites und an dem Thema stark interessierte Internetnutzer fokussiert.

DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR 1.

Ursprünglich war das Internet ein von seinen Nutzern inhaltlich selbst organisiertesMedium der Kommunikation und Information. Die einzelnen Nutzer, die in ihrerMehrheit versiert im Umgang mit Computer und Software waren, fungierten sozu-sagen gleichzeitig als Rezipienten und Autoren (Sender und Empfänger). Vorberei-

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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tet schon in den Newsgroups des Usenet (Rössler 1998; s.a. Kap. II) und dann mitder massenhaften Durchsetzung des Internets als alltägliches Kommunikations-medium, der Vereinfachung vieler Nutzungsaspekte (vor allem durch das WWW,Kap. II) und mit der Kommerzialisierung und Massenmedialisierung des Angebotsbegnügte sich aber bald die Mehrheit der Nutzer mit den Rollen des passiven Rezi-pienten und Kunden. Politische und anspruchsvolle kulturelle Inhalte machen allemAnschein nach nur einen eher geringen Anteil des – allerdings unüberschaubaren –Gesamtangebots des Internets aus, eine Situation, die auch schon für das Usenet inder zweiten Hälfte der 1990er Jahre festgestellt wurde (Rössler 1998).

Vor diesem Hintergrund wirkt es vermessen, wenn von einem politisch aktivierendenPotenzial der Netzkommunikation gesprochen wird, oder davon, dass die Netz-kommunikation Bürgerinnen und Bürgern neue Ressourcen politischer Meinungs-bildung und politischen Handelns erschließe. Wenn man auch bisher tatsächlichnicht von einer dramatischen Ausweitung des Spektrums politischer Kommunikationhinsichtlich der Themen und beteiligten Akteure sprechen kann, so eröffnen sichaber dennoch – wie im Folgenden gezeigt wird – im öffentlichen Raum Internet neueMöglichkeiten bürgerschaftlicher Teilhabe an Öffentlichkeit, vor allem durch dieinteraktiven Möglichkeiten der Kommunikation und das hierdurch bedingte Weg-fallen von Filterfunktionen der Massenmedien: Im politischen Raum des Internetskann jeder an zahlreichen Stellen als Sprecher auftreten und ist jede Wortmeldungim Prinzip für jeden Nutzer direkt zugänglich.

NETZBASIERTE POLITISCHE INFORMATIONUND MEINUNGSBILDUNG 1.1

Durch den Umstand, dass mittlerweile kaum ein relevanter Akteur oder eine rele-vante Institution aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur auf einen Auftrittim Netz verzichtet, und dadurch, dass von allen wichtigen gesellschaftlichenAkteuren Informationen – Selbstdarstellungen, Berichte über Ziele und inner-organisatorische Vorgänge etc. – der »Netzöffentlichkeit« zugänglich gemachtwerden, bildet das Internet ein umfangreiches politisches Informations- undWissensreservoir.

Empirische Untersuchungen zum Informationsverhalten und zum Medienkonsum(s.a. Kap. II.3) geben Hinweise darauf, dass das Internet sich dadurch mittlerweilezu einer ernsthaften Konkurrenz für die klassischen Massenmedien entwickelt hat.Bei einer Umfrage von Allensbach (Köcher 2004) aus dem Jahre 2004 gaben 8,5 %der Befragten an, aktuelle politische Informationen häufiger aus dem Netz zu be-ziehen. Hinzu kamen gut 12 %, die angaben, das Internet »ab und zu« zur Infor-mation über das tagespolitische Geschehen zu nutzen. 15,5 %, der Befragten gaben

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1. DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR

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an, das Internetangebot nur »ganz selten« zu diesem Zweck zu nutzen. Immerhin37 % der Befragten gaben an, auch oder nur im Internet zu suchen, wenn sie sich»über ein Thema näher informieren möchten« (im Vergleich zu 9 % im Jahr 1999).73 % nannten Berichte im TV, 60 % in Zeitungen, 43 % in Zeitschriften und 34 %im Radio. Bei den jüngeren Befragten hat das Internet in seiner Bedeutung als In-formationsmedium bereits Presse und Radio überholt. Bei den 20- bis 29-Jährigennennen als Medium zur näheren Information über ein Thema 67 % das Fernsehen,62 % das Netz, 50 % Zeitungen, 45 % Zeitschriften und 29 % das Radio. Die re-lativ geringe Rolle, die Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre mittlerweile im Medien-konsum Jugendlicher spielt, schürt Befürchtungen, dass das Netz Krisentendenzenim Printmedienbereich verschärft (z.B. Patalong 2005a u. b).

Der Anteil an politischer Information im Netz ist zwar im Vergleich zu kommer-ziellen Angeboten gering, dennoch ist die Nutzung des Internets zur politischenInformation von nicht unerheblicher Bedeutung. Bei der genannten Umfrage vonAllensbach gaben 60 % der befragten Internetnutzer an, Informationen zum poli-tischen Geschehen aus dem Netz zu beziehen (zum Vergleich: 73 % Reiseziele; 71 %Informationen für Schule, Ausbildung; 69 % Nachschlagewerke; 66 % Produktin-formationen; 66 % Wetterberichte; 66 % Fahr- und Flugpläne; 51 % Computer-themen; 48 % Wirtschaftsmeldungen; 45 % Sportnachrichten; 41 % Zeitungs- undZeitschriftenarchive; 27 % Börsenkurse). Bei den Internetnutzern dominieren alsodurchaus nicht die Interessen Unterhaltung, Spiele und Shopping.

Die »ARD/ZDF Onlinestudie 2004« sieht bei der Nutzung der Internetinhalte dietagesaktuelle Information an der Spitze. 46 % der Nutzer greifen mehr oder wenigerregelmäßig darauf zu – vor Freizeit-, Produkt- und Ratgeberinformationen. »Bei denNachrichten aus dem Netz kann das World Wide Web seine Stärken voll aus-schöpfen: schnelle Verfügbarkeit und Aktualität, die nach Meinung vieler Nutzerdurch kein anderes Medium erreicht wird. Dadurch entsteht der Eindruck, direktam Weltgeschehen teilzuhaben und zeitsouverän auf einen unvergleichlich großenNachrichtenpool zugreifen zu können. [...] Themenauswahl und Themenbreite sindnutzerspezifisch wählbar« (ARD/ZDF Onlinestudie 2004, S. 356). Im Jahr 2003gaben zudem 45 % der Internetnutzer an, »Denkanstöße« aus dem Internet erhaltenzu haben und nur noch jeweils 22 % aus Tageszeitungen und Fernsehen sowie 11 %aus dem Radio (vgl. Oehmichen/Schröter 2003).

Das Angebot an tagesaktuellen Informationen ist weitgehend auch im Internetdurch die Webportale der Massenmedien bestimmt und unterscheidet sich somitnicht wesentlich von den Angeboten aus Presse und Rundfunk. Es kann aber davonausgegangen werden, dass interessierte Nutzer auch den erweiterten Zugang zuInformationen aus »erster Hand«, d.h. direkt bei den Angeboten politischer Akteure(unter Umgehung des Selektionsfilters Massenmedien) nutzen. So zeigen Untersu-

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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chungen, die sich um die Identifikation unterschiedlicher Nutzungsweisen und Nut-zertypen bemühen (Kap. II.2), dass die mit Abstand größte Nutzergruppe in der Tatvon den so genannten »Info-Suchenden« gebildet wird, die am Internet vor allemals Wissensarchiv interessiert sind. Diese Gruppe, bei der auch am ehesten eineWahrnehmung politischer Informations- und Kommunikationsangebote im Netz zuvermuten ist, besteht überwiegend aus »professionellen« Nutzern mit hohem for-malen Bildungsgrad und vergleichsweise hohem Einkommen (Sevenone Interactive2003). Für Journalisten selbst dürfte das Netz mittlerweile eine der wichtigstenQuellen für Recherchen darstellen.

Das Verhältnis von Potenzialen und Realität der Nutzung des Netzes als politischeInformationsquelle stellt sich ambivalent dar: Einerseits bringen die Kommerziali-sierung des Netzes und der wachsende Einfluss der massenmedialen Anbieter mitsich, dass die inhaltlichen Angebote auf den besonders populären Websites zumeistim Wesentlichen die gleichen sind wie in der Offlinewelt. Zudem ist davon auszu-gehen, dass das inhaltliche Interesse von Internetnutzern bestimmt ist von den auchoffline vorherrschenden Interessen. Andererseits werden durch das Internet sozusa-gen die Quellen politischer Information selbst ohne Dazwischentreten journalisti-scher Auswahl und Bearbeitung für jeden Nutzer selbst erreichbar. Der Nutzer musssich zwar der Mühe unterziehen, das bestehende Angebot zu erschließen, aber diesesist durch die Präsenz eines breiten Spektrums politischer Akteure und Kommunika-toren im Netz weit vielfältiger als in den Massenmedien.

Insgesamt gesehen ist das Netz ein unvergleichlich umfangreicher und mit ver-gleichsweise geringem materiellem und zeitlichem Aufwand erschließ- und nutz-barer Informationsspeicher und Kommunikationsraum. Das bestehende Angebotbietet interessierten, und mit entsprechenden Medienkompetenzen ausgestattetenNutzergruppen eine vorher nicht erreichbare Vielfalt und Fülle von Informationen,die unabhängig von den Filtern massenmedialer »gatekeepers« zugänglich sind. Essind aber eben vor allem die bereits politisch Interessierten und Aktiven, die diesesAngebot wahrnehmen, auch weil sie die nötigen Kompetenzen für die Recherche,Bewertung und Verarbeitung von Informationen mitbringen, d.h. das bestehendeAngebot für sich sinnvoll zu erschließen in der Lage sind. In der ungleich verteiltenKompetenz zur Nutzung des Angebots an politischer Information und Kommuni-kation im Netz ist langfristig (zumindest bezogen auf die westlichen Industrieländer)die größere Gefahr eines »Digital Divide« zu sehen als in der Ungleichverteilung destechnischen Zugangs. »Wer bereits politisch interessiert, motiviert und aktiv ist, derschöpft auch die neuen Potenziale des Internets aus; wer aber bislang politisch un-beteiligt war, den vermag die neue Technik allein weder zu motivieren noch zumobilisieren.« (Hoecker 2002, S. 43; nach Schönberger 2004a, S. 185).

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1. DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR

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POLITISCHE ARTIKULATION IM NETZ 1.2

Die Tatsache, dass im Netz jeder Nutzer technisch im Prinzip jederzeit in der Lageist, als Sprecher in die laufende Kommunikation einzugreifen, eröffnet nicht alleinressourcenstarken Institutionen und Gruppen (die auch einen vergleichsweise gutenZugang zur massenmedialen Öffentlichkeit haben), sondern auch relativ schwachorganisierten Gruppen deutlich bessere Chancen, ihr Anliegen zu kommunizieren(Kap. V.2 u. V.3). Dieser relative Vorteil gilt auch für den individuellen Nutzer.Diesem steht nicht allein die E-Mail-Funktion zur privaten Kommunikation zurVerfügung, sondern er ist in der Lage, im Netz selbst als Autor von für potenzielljeden anderen Nutzer rezipierbaren Äußerungen aufzutreten. Die Möglichkeit hier-zu eröffnen die im Netz vielfältig von unterschiedlichen Anbietern bereitgestellteninteraktiven Dienste und Anwendungen. Zu deren Nutzung in der politischenKommunikation sind verlässliche Daten nicht verfügbar. Bekannt ist die Beliebtheitvon Chats gerade bei jüngeren Nutzern, wobei aber politische Themen wohl kaumeine herausragende Rolle spielen dürften. Andererseits gehören interaktive Angebo-te wie Chats und Foren zu politischen Themen mittlerweile oft zum Onlineangebotder Websites von etablierten Medienanbietern, politischen Organisationen, Parteienund politischen Institutionen (Kap. IV).

Den Ergebnissen einer repräsentativen Nutzerbefragung des »Pew Internet & Ame-rican Life Project« im Frühjahr 2003 in den USA zufolge, werden die Möglichkeiten,sich selbst im Netz zu präsentieren und zu artikulieren, durchaus vielfach genutzt(Lenhart et al. 2003, nach Neuberger et al. 2004). Danach haben 17 % der NutzerTexte im Internet veröffentlicht. 13 % besaßen eine eigene Website und 2 % einWeblog. Ein Fünftel hat Newsgroups besucht (20 %); von diesen wiederum hat dieHälfte (51 %) Kommentare gepostet. 11 % haben Onlinetagebücher oder Weblogsgenutzt; dort hat ein Drittel (34 %) Geschriebenes oder sonstiges Material hinter-lassen. Hieraus lässt sich generell ersehen, dass das Internet tatsächlich auch inseinen interaktiven Facetten und nicht nur rezipierend genutzt wird.

Hinsichtlich der politischen Artikulation im Netz sind Ergebnisse einer anderenrepräsentativen Untersuchung (Rainie et al. 2005) von Interesse, die im November2004 zur bürgerschaftlichen Nutzung des Internets im US-Präsidentschaftswahl-kampf durchgeführt wurde. Demnach nimmt nicht nur die Nutzung des Netzes alspolitische Informationsquelle während Wahlkämpfen zu, sondern es werden auchvermehrt andere politische Onlineaktivitäten unternommen. Beides vollzog sich vordem Hintergrund sinkenden Vertrauens in die etablierten Massenmedien. So seivon den nationalen Wahlen 1996 bis zu den nationalen Wahlen 2004 die Zahl derTeilnehmer an Onlinewahlumfragen von 2 auf 18 Millionen gestiegen. Von dervorletzten zur letzten Präsidentschaftswahl betrug der Zuwachs 6 Millionen. Die

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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Zahl derjenigen, die an politischen Onlinediskussionen aktiv teilnahmen, hat sichdemnach von 2 Millionen (1996) auf 6 Millionen (2004) erhöht. Letzteres ist eineVerdopplung der Zahlen im Vergleich zu den letzten Präsidentschaftswahlen. 17Millionen Nutzer sendeten als Teilnehmer an Mailinglisten oder DiskussionsforenE-Mails zum Wahlkampf an Familienmitglieder oder Freunde. 32 Millionen ver-sendeten oder erhielten E-Mails mit Witzen zur Wahl.

Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang die interaktiven Möglichkeiten derNetzkommunikation genutzt werden, stellt sich die Frage, inwieweit politischeInternetnutzung deutlich sichtbare Auswirkungen auf die politische Öffentlichkeitzeitigen kann: Können – wie es eine seit langem bekannte These aus der Internet-forschung nahe legt (Kap. III.2.2) – durch das Netz einzelne, unorganisierte Bürgerverstärkt auf die politische Öffentlichkeit und das politische System einwirken?Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Möglichkeiten, im Netz Aufmerksamkeit fürpolitische Anliegen zu erzeugen, und der Möglichkeit, über das Netz Einfluss aufdie Agenda der massenmedial vermittelten Öffentlichkeit zu nehmen. Die durch diePräsenz im Netz gegebene Reichweite eines Autors oder Sprechers ist nicht mit derdurch die Präsenz in den Massenmedien gegebenen vergleichbar: Präsenz im Netzbedeutet – anders als Präsenz in den Massenmedien – noch nicht Sichtbarkeit füreine breite Öffentlichkeit. Es steht außer Frage, dass nach wie vor politische Öffent-lichkeit in modernen Demokratien massenmedial vermittelt ist und dass das Inter-net weit davon entfernt ist, diese in ihrer Funktion zu ersetzen. In der Regel ist auch– schon über die starke Präsenz von Massenmedien im Netz – die Agenda des poli-tischen Raums im Internet im Wesentlichen bestimmt von den Themen der massen-medialen Berichterstattung.

Dennoch ist mittlerweile auch in Deutschland ein umgekehrter Einfluss zu verzeich-nen. So hat das Netz z.B. im Verlauf zweier politischer Skandale eine wichtige Rollegespielt (zum Folgenden Schönberger 2004a u. b, 2005b): In der Affäre um denBundestagsabgeordneten Martin Hohmann fand dessen im Oktober 2003 in Neuhof(bei Fulda) gehaltene Skandalrede – in der er unter Bezug auf antisemitische Quellendie Frage aufwarf, ob es sich bei den Juden im ersten Drittel des 20. Jahrhundertsum ein »Tätervolk« gehandelt habe – zunächst in der Öffentlichkeit keinen Wider-hall. Da die Rede aber auf der Website des CDU-Gemeindeverbands Neuhof abruf-bar war, stießen verschiedene Netznutzer auf den Text. Nach den ersten Reaktionenin der massenmedialen Öffentlichkeit wurde die Rede ersatzlos von der NeuhoferCDU-Website gelöscht bzw. die Website einige Zeit ganz vom Netz genommen.Doch die ARD-Tagesschau und andere Anbieter dokumentierten die Rede auf ihrenWebsites gemäß dem Zustand der lokalen CDU-Website vom 30. Oktober 2003.Die allgemeine Verfügbarkeit und Zugänglichkeit über das WWW führte so dazu,dass eine weit abseits der politischen Schaltzentralen gehaltene Rede überregional,national und weltweit Aufmerksamkeit erregte. In der öffentlichen und partei-

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1. DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR

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internen Diskussion über die Rede spielten zudem Onlineforen eine wichtige Rolle.Ähnlich waren Entstehung und Verlauf der Affäre um die ehemalige Justizministe-rin Hertha Däubler-Gmelin und den von ihr getätigten Vergleich George W. Bushsmit Adolf Hitler. Sie hatte diesen Vergleich in ihrem Wahlkreis gezogen, bei einerRede vor Gewerkschaftern in einem Nebenzimmer einer Gaststätte in einem VorortTübingens. Über die Website des Schwäbischen Tagblatts wurde die Rede publik;schon kurz nach der Onlineveröffentlichung kamen – nach Auskunft einer Redak-teurin – erste Anrufe überregionaler Zeitungen. Allerdings hatte hier der Heraus-geber und Chefredakteur ganz bewusst einen ehemaligen Mitarbeiter der Lokal-zeitung und jetzigen Korrespondenten der Financial Times informiert, wobei dasInternet dazu diente, die Affäre zitierfähig zu machen. Für den Verlauf der Debattespielte das Netz dann keine so starke Rolle wie bei der Hohmann-Rede, obwohl esauch zu Diskussionen des Vergleichs in Onlineforen, Newsgroups etc. kam.

POLITISCHE WEBLOGS 1.3

Als relativ neue Form der Nutzung des Netzes zur individuellen politischen Artiku-lation können die so genannten Weblogs gelten (Kap. II), die mittlerweile – insbe-sondere in den USA – Einfluss auf die politische Öffentlichkeit erreicht haben.Hinweise auf den Bedeutungszuwachs von Weblogs (»Blogs«) sind das hohe Maßan massenmedialer Aufmerksamkeit für politische Blogs und die fortschreitendeIntegration dieses Internetformats in das Onlineangebot von politischen Akteurenund etablierten Medienanbietern.

Bedingt durch die aktuelle weltpolitische Bedeutung dieser Region haben Blogs ausdem Mittleren Osten weltweit Aufsehen erregt: Das bekannteste Beispiel ist hier»Salam Pax«, ein Blog aus dem Irak, der im Vorfeld und während des Irakkriegsinternational starke Beachtung gefunden hat. Insbesondere auch in Deutschland hatdieser Blog dazu beigetragen, dass über diese Internetanwendung in den Massen-medien berichtet wurde. In den Massenmedien ebenfalls relativ starke Beachtunghaben iranische Blogs gefunden, da sich dortige Oppositionelle sowie Exil-Iranerdieses Mittels bedienen, um ihre – der Ideologie des Regimes politisch oder kulturellkonträren – Auffassungen zu veröffentlichen. Es kam zu Repressionsmaßnahmen,aber auch zur Einrichtung von Blogs durch Vertreter des Regimes.

Im Zuge des Irakkriegs – und der Popularisierung des Formats allgemein – hat sich(vor allem in den USA) eine dezidiert politische »Bloggerszene« gebildet. Auch wennes den Anschein hat, dass die Betreiber politischer Blogs in der gesamten so genann-ten »Blogosphäre« deutlich in der Minderheit sind (Schönberger 2005a), haben siedoch ein erhebliches Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit erlangt. Die politischeBloggerszene in den USA wird dabei durch konkurrierende Strömungen dominiert,

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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einer (rechts)konservativen und einer (links)liberalen. In beiden Strömungen sind diebeteiligten Blogger nicht nur eng miteinander vernetzt, sondern es existieren Ansätzezur Organisation als kollektiver Netzwerkakteur. Die wachsende politische Aner-kennung des Phänomens zeigt sich z.B.

> in der Zulassung von Bloggern als Berichterstatter beim Konvent der US-Demo-kraten vor den letzten Präsidentschaftswahlen,

> in der Nutzung von Blogs durch US-Präsidentschaftskandidaten und den Präsi-denten selbst,

> in Ansätzen zur (partei)politischen Einflussnahme auf die »Blogosphäre« (unddamit die Netzöffentlichkeit), wie im Fall des »Blogswarm«-Projekts38 der US-Demokraten, mit dem vor allem die Vernetzung und netzöffentliche Sichtbarkeitvon Bloggern verbessert werden soll, die sich für die Demokraten engagieren, undschließlich

> in der Einrichtung von Politiker-Weblogs in vielen anderen Ländern wie z.B.Frankreich, Island, Iran, Großbritannien und auf EU-Ebene (Kap. IV), wobeiauch hohe Regierungspolitiker Blogs betreiben.

Vor allem wegen der wachsenden Zahl von »bloggenden« Journalisten, von Blogsin den Webpräsenzen traditioneller Medienanbieter sowie aufgrund der starkenRezeption von Blogs durch Journalisten kann vor allem für die USA davon gespro-chen werden, dass politische Weblogs mittlerweile als eine wichtige Schnittstellezwischen Netzöffentlichkeit und massenmedialer Öffentlichkeit fungieren (Drezner/Farrell 2004). Dabei verstehen sich die aktiven politischen Blogger als Protagonis-ten und Mediatoren einer neuen Form von Öffentlichkeit. Viele politische Bloggerbeziehen sich explizit oder implizit auf einige der prominentesten Hoffnungen derfrühen Cyberdemokratie-Enthusiasten (»Jeder kann Sender sein«, Demokratisierungder Medien, Gegenöffentlichkeit, das Netz als politisches, soziales und kulturellesWissensreservoir etc.), wobei aus ihrer Sicht die Netzöffentlichkeit als »fünfteGewalt« erscheint, die auch die – von ihnen als politisch nicht mehr unabhängigwahrgenommene – »vierte Gewalt«, also die Massenmedien, kritisiert und kon-trolliert.

Charakteristisch für Weblogs ist eine Mischung aus Links auf politische Informa-tionsangebote, deren pointierter Kommentierung und der Veröffentlichung persön-licher Ansichten und Erfahrungen, was in den traditionellen Medien noch amehesten in Glossen möglich war. Blogs sind oft vor allem eine Art Internet-»Reader’s

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1. DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR

38 Vgl. http://blogswarm.blogdrive.com/. Mit dem Ausdruck »blogswarm« (Blogschwarm, analogzu Schwärmen in der Tierwelt) werden koordinierte bzw. durch gleichzeitige intensive Vernet-zungs- und Publikationsaktivitäten gekennzeichnete Aktionen in der »Blogosphäre« bezeichnet,bei denen die Blogger ein bestimmtes Thema – z.B. ein angebliches Fehlverhalten von Politikernoder prominenten Journalisten – aufgreifen.

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

Digest«, erstellt durch das Sichten, Zusammentragen, Filtern und Kommentierenvon Fakten, Informationen und Daten im Internet (Burg 2003a). Der Einzelne wirdbei der Bearbeitung seines Weblogs zu einem kreativen und aktiven Rezipienten,zum Produzenten und – durch Kommentarfunktion oder E-Mail-Adresse – zumAnsprechpartner der Leser.

Eine wesentliche Leistung für die politische Netzöffentlichkeit erfüllen Blogs durchihre Funktion als Filter des – in seiner Gesamtheit unüberschaubaren – Nachrich-tenangebots im Web. Die als Blogger aktiven »Laienjournalisten« können somit ingewisser Hinsicht als funktionales Äquivalent zu den professionellen journalistischen»gatekeepers« der Massenmedien gelten (Neuberger 2003). Durch die interaktivenElemente der »Blogosphäre« – die intensive Verlinkung der Blogs untereinander unddie oft anzutreffende Option der öffentlichen Kommentierung der Beiträge durchdie Leser – entsteht zudem eine Art kollektiver Qualitätskontrolle der Inhalte.

Trotz der o.g. Beispiele eines politischen »impact« von Weblogs ist allerdings fest-zuhalten, dass diese Internetanwendung derzeit auch den meisten Netznutzern nochnicht bekannt ist und der Beweis nachhaltiger Anschlussfähigkeit der oft enthusias-tisch beschworenen »Blogosphäre« (z.B. Möller 2005) an die sonstige Welt nochaussteht. Umstritten ist auch, ob Weblogs tatsächlich so eng vernetzt sind, dass dies– wie oft behauptet – Auswirkungen auf ihr Google-Ranking hat (und damit auf dieChancen konzertierter Aktionen von Bloggern, im Internet Resonanz zu erzeugen).Vermutet wird des Weiteren, dass durch das Engagement traditioneller Medien-anbieter in diesem Bereich die »Blogosphäre« – analog zur Gesamtentwicklung desNetzes – einschneidend verändert wird und dass sich Politiker und andere Akteureauf diese neue Netzöffentlichkeit besser einstellen, wodurch die politische Durch-schlagskraft der Blog-Kommunikation vermindert würde (Drezner/Farrell 2004).Eher skeptische Einschätzungen werden zudem gerade an dem schnellen Erfolgdieser Internetanwendung festgemacht. So wird die Ansicht vertreten, dass die Zu-nahme der Weblogs »zwangsläufig ein Rauschen« bedinge, bei dem »die einzelnenin dieser Masse kaum noch zur Kenntnis genommen werden können. Hier offen-bart sich auch eine Krux der basisdemokratischen Sender-Vervielfältigungsutopienin der Praxis. Wenn jeder sendet, wer kann da noch zuhören oder zusehen?« (Schön-berger 2004a, S. 78 f.).

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PARTIZIPATORISCHER JOURNALISMUS UNDQUALITÄTSSICHERUNG 1.4

In den Weblogs sehen manche Beobachter eine neue Form von »partizipatorischemJournalismus« realisiert, bei dem aktive Laien einen Teil der Funktionen, die derJournalismus als »gatekeeper« in den Massenmedien übernimmt, für das Interneterfüllen (hierzu und zum Folgenden Neuberger 2003 u. Neuberger et al. 2004).Relevant erscheint hier vor allem die übergeordnete Fragestellung, wie ein »parti-zipatorischer Journalismus« mit dem Aspekt der Qualitätssicherung umgehen soll,bzw. ob solche Modelle kollektiven Publizierens äquivalent zu den professionellenjournalistischen Standards in den Massenmedien als Qualitätsfilter39 fungieren kön-nen, die relevante von irrelevanter, vertrauenswürdige von unseriöser Informationunterscheiden helfen.

Neben den Weblogs mit Kommentarfunktion existiert eine Reihe weiterer Möglich-keiten für partizipatorischen Journalismus, wobei sich – im Einzelfall jedoch oftnicht trennscharf – zwei Aspekte unterscheiden lassen:

> Kollaborativer bzw. kollektiver Journalismus, bei dem die Texte von einer be-stimmten Gruppe oder – wie beim kollektiven Publikationsprojekt der Internet-Enzyklopädie Wikipedia, die seit 2004 auch ein partizipativ-journalistischesProjekt namens Wikinews hat – von einer unbestimmten Zahl von Personen ge-meinsam fortlaufend erstellt werden.

> Journalistische bzw. quasi-journalistische Beiträge, die an dem Ort, wo sie ver-öffentlicht wurden, kommentiert werden können. Hierbei handelt es sich zwarzunächst nur um eine elektronische Spielart des Leserbriefs, durch die Möglich-keit der Interaktion zwischen Autor und Leser sowie zwischen Lesern tritt aberein neues Element hinzu.

Neben Wikipedia gibt es bereits seit längerem andere kollaborative Webangebote,die hinsichtlich politischer Netzöffentlichkeit und Onlinediskussion von Interessesind (z.B. slashdot.org und plastic.com). Im Prinzip kann hier jeder Netznutzer Bei-träge publizieren, wenn er sich registrieren lässt und bestimmte, oft an den traditio-nellen Journalismus angelehnte Regeln beachtet. Die Nutzer produzieren nicht nurdie Inhalte, sondern kontrollieren und bewerten auch gegenseitig die Qualität derBeiträge, beispielsweise durch Kommentare und Einstufungen auf einer Notenskala.Auf eine professionelle Redaktion wird weitgehend verzichtet, es gibt aber bemer-

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1. DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR

39 Über die Wirksamkeit professioneller journalistischer Standards in den Massenmedien selbstlässt sich angesichts der Boulevardisierung der Massenmedien selbstverständlich streiten. Zu-mindest für die so genannte Qualitätspresse und auch für die meisten politischen Redaktionenkann aber von einer Wirksamkeit solcher Standards als »regulativer Idee« ausgegangen werden.

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kenswerte Ausnahmen wie z.B. das südkoreanische Angebot ohmynews.com, dasfür die nationale politische Öffentlichkeit des Landes eine wichtige Bedeutungerlangt hat. Auch etablierte Medienanbieter experimentieren mit partizipatorischemJournalismus (z.B. shortnews.stern.de).

Die Funktion der journalistischen »gatekeepers« in der massenmedialen Öffent-lichkeit besteht – neben der Selektion von Inhalten nach Kriterien des Nachrichten-wertes – vor allem in der Validierung von Informationen und Meinungen. Mit demWegfallen dieser Gatekeeper-Funktion im Internet findet nun aber nicht – wie viel-fach vertreten – eine vollkommene »Disintermediation« statt: Die Nutzer sind auchjetzt nicht der Informationsvielfalt des Netzes vollkommen ohne unterstützendeSelektionsfilter ausgesetzt. Es existieren andere Wege, Hilfe bei der Orientierung inder Informationsvielfalt und der Trennung von Relevantem und Informationsmüllzu erlangen.

Während Suchmaschinen und andere Angebote zur Orientierung im Netz als In-strumente der thematischen Selektion fungieren, entstehen durch die Interaktivitätdes Internets Ansätze zu partizipativen Formen der Qualitätssicherung. Im Vergleichzum massenmedialen Journalismus – in dem die Qualitätssicherung durch dieEinhaltung journalistischer Standards im Wesentlichen als interne Angelegenheit -einer Profession organisiert ist und vor der Publikation erfolgt – besteht eineBesonderheit im partizipatorischen Journalismus auch darin, »dass die Prüfung vonInformationen und Meinungen erst nach der Publikation stattfindet: durch dieNutzer – sei es in einer offenen Diskussion auf einem Forum, sei es durch formali-sierte Bewertungsverfahren –, durch andere Anbieter im Internet oder in den tradi-tionellen Medien. Was veröffentlicht wird, gilt als vorläufig und unfertig, es sollöffentlich infrage gestellt und diskutiert werden« (Neuberger et al. 2004, S. 11).

POLITISCHE MOBILISIERUNG DURCH NETZBASIERTEKOMMUNIKATION? 1.5

Der direkte Zugang zu politischen Informationen im Netz, die Möglichkeit, selbstals Sprecher oder Autor im Netz zu agieren, sowie die Ansätze zu Formen vonLaienjournalismus im Netz lassen es als gerechtfertigt erscheinen, vom Internet alspolitischem Kommunikationsraum mit eigenen und von massenmedialer Kom-munikation unterscheidbaren Merkmalen zu sprechen. Damit ist aber über dieweiterreichende These der Mobilisierung und politischen Aktivierung der Bürger(Kap. III.2.2) noch wenig ausgesagt. Das Netz eröffnet zwar neue Möglichkeitenpolitischer Kommunikation und diese werden auch von politisch interessierten Nut-zern wahrgenommen. Inwiefern dies aber zu neuem staatsbürgerlichem Engagement

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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führt – ob im Netz oder in der Offlinewelt – ist wenig untersucht und auch nurschwer wissenschaftlich überprüfbar.

Eine der wenigen deutschen Untersuchungen, die bisher versucht hat, die Thesepolitisch aktivierender Effekte des Internets empirisch zu überprüfen, wurde zuAnfang des Jahrzehnts durchgeführt (auf Basis einer Befragung einer für Kassel undErfurt repräsentativen Stichprobe der deutschsprachigen Wohnbevölkerung). DieUntersuchung (Emmer/Vowe 2004) ermittelte Veränderungen im politischenKommunikationsverhalten von Internetnutzern und unterschied dabei drei Formen(im weitesten Sinne »partizipativer«) politischer Kommunikation: die rezeptive (z.B.TV-Nachrichten und Onlineanforderung von Informationsmaterialien), die inter-personale (z.B. politische Gespräche am Arbeitsplatz und E-Mails an Politiker)sowie die expressiv-öffentliche (z.B. Teilnahme an Demonstrationen und Einträgein Onlineforen). Die Autoren kamen zu folgenden Ergebnissen:

> Die Einrichtung eines Internetzugangs führe insgesamt gesehen nicht dazu, dassherkömmliche politische Aktivitäten signifikant zurückgehen. Lediglich eine Ab-nahme beim aktiven Auftreten auf politischen Versammlungen und eine geringereBereitschaft zur persönlichen Kontaktaufnahme mit Politikern seien zu konsta-tieren.

> Eine Substitution politischer Offlineaktivitäten durch entsprechende Onlineakti-vitäten bei Interneteinsteigern ließ sich nur im Bereich »Onlineleserbriefe/Foren-einträge« belegen. Die bei Interneteinsteigern beobachteten Aktivitäten gingenjedoch weit über reine Substitution hinaus, insbesondere bei der Informations-beschaffung und -rezeption sowie in der interpersonalen Kommunikation überpolitische Themen. Zudem tauschten sich die Interneteinsteiger nach einem Jahrinsgesamt deutlich öfter über politische Themen aus als Nichtnutzer. Auch bei deröffentlichen Meinungsäußerung, die herkömmlich fast nur über den klassischenLeserbrief möglich war, führte die Internetnutzung zu einem Zuwachs an poli-tischen Aktivitäten, vor allem durch die Nutzung jener Dienste, die auch sonstin der netzbasierten Kommunikation beliebt sind (wie E-Mail und Chat). DieNutzung einer eigenen Website spielte hingegen keine Rolle.

> Hinsichtlich der Mobilisierungsthese ergab sich ein differenziertes Bild: Effektedes Internets zeigten sich insbesondere bei der interpersonalen Kommunikationüber politische Themen (Mails zu politischen Themen an Bekannte, an Zeitungenoder Parteien). Expressiv-öffentliche Kommunikation wurde dagegen vom Inter-netzugang kaum beeinflusst, Onlineaktivitäten in diesem Bereich (Beiträge zuForen, Chats, Newsgroups) seien kaum messbar gewesen. Der Zuwachs anpolitischer Kommunikation zwischen Bürgern lasse sich aber durchaus als Folgeder Internetnutzung deuten.

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1. DER INTERNETNUTZER ALS REZIPIENT UND AUTOR

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> Insgesamt gesehen lasse sich feststellen, dass das Internet dazu beiträgt, dassbürgerschaftliches Engagement für mehr Bürger bei mehr Gelegenheiten anSelbstverständlichkeit gewinnt – was auch seine Schattenseiten für die politischenAkteure habe (»E-Mail-Flut«). Die Ergebnisse wiesen zudem darauf hin, dass imBereich der politischen Internetnutzung Bildung und sozialer Status eine wichtigeRolle spielen.

Zur Einordnung dieser Ergebnisse ist festzuhalten, dass in der Untersuchung knapp90 % der Befragten angaben, dass ihre politischen Internetaktivitäten weniger als5 % ihrer Onlinezeit ausmachten. Dennoch liefert die Studie aber Hinweise darauf,dass das Netz die interpersonale Kommunikation über politische Themen befördernkann. Es hängt jedoch von den individuellen Voraussetzungen ab, ob und wie dieneuen Möglichkeiten genutzt werden.

Eine neuere Untersuchung aus Großbritannien (Norris/Curtice 2004) kommt zudem Ergebnis, dass dort Internetnutzer häufiger (z.B. mittels Teilnahme anDemonstrationen, Unterschriftenlisten, Leserbriefen) themenorientiert politischaktiv werden – und zudem sich öfter bürgerschaftlich engagieren (z.B. durch ehren-amtliche Tätigkeiten) – als der Durchschnitt der Bevölkerung. Für ein starkesEngagement in Parteien sei hingegen die Bevorzugung der Zeitungslektüre aus-schlaggebend, und bei der Teilnahme an Wahlen deuten die Untersuchungsergeb-nisse eher daraufhin, dass Internetnutzer seltener wählen.

NUTZUNG DES INTERNETS DURCHZIVILGESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN 2.

Die Erwartung einer starken Belebung bürgerschaftlichen Engagements durch dasNetz hat sich nicht bestätigt, und auch die erweiterten Möglichkeiten politischerPartizipation sind bisher weitgehend Möglichkeiten (im Sinne von unausgeschöpf-ten technischen Potenzialen) geblieben. Was sich aber beobachten lässt, ist einestarke Präsenz unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppen im Netz und eineintensive Nutzung des Netzes durch diese Gruppen für die Kommunikation ihrerAnliegen. Für die politische Kommunikation von NGOs, Bürgerinitiativen, Selbst-hilfegruppen etc. ist das Netz bisher von größerer Bedeutung als für die Institutio-nen der repräsentativen Demokratie (van den Donk et al. 2004, Schönberger2004b). Es scheint, dass Thesen, die von einer Art Wahlverwandtschaft zwischender offenen Struktur des Internets und den Vernetzungsweisen und informellenStrukturen neuer sozialer Bewegungen ausgehen (z.B. Castells 2002) und hierausauf die Entstehung eines insbesondere von zivilgesellschaftlichen Organisationengenutzten neuen Feldes informeller Politik – Information, Mobilisierung, Kam-

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2. NUTZUNG DES INTERNETS DURCH ZIVILGESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN

pagnen – im Internet schließen, seit längerem nicht ohne Entsprechung in derRealität sind (z.B. Ludwig 1998; McCaughey/Ayers 2003). Das Netz bietet auchbisher nicht dagewesene Möglichkeiten, Gleichgesinnte oder an demselben ThemaInteressierte ausfindig zu machen und zu kontaktieren und mit diesen dann überweite Entfernungen hinweg schnell und relativ kostengünstig zu kommunizieren.

Die Nutzung der technischen Möglichkeiten des Netzes durch zivilgesellschaftlicheInitiativen und NGOs lässt sich in drei Dimensionen unterscheiden, an denen ent-lang im Folgenden Ergebnisse der Internetforschung zum Thema zusammengefasstwerden (hierzu und zum Folgenden Schönberger 2004b):

> Durch das Internet verändern sich die Möglichkeiten der Vermittlung von Infor-mation und Wissen innerhalb der eigenen Organisation und nach außen an eineinteressierte Öffentlichkeit. Hieran schließt sich die Frage nach der Entstehungneuer internetspezifischer Formen von Gegenöffentlichkeit an.

> Die erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten können für die Kommunikationinnerhalb und zwischen Bewegungen und Organisationen genutzt werden. Daranschließt sich die Frage an, inwiefern das Internet zu neuen Formen der Kommu-nikation und Kooperation sozialer Bewegungen führt.

> Schließlich ergeben sich neue Möglichkeiten der Mobilisierung und des Protestes.Dies betrifft zum einen die erweiterten Möglichkeiten der Vorbereitung politi-scher Aktionen in der »realen Welt« zum anderen aber auch neue Formen desNetzaktivismus.

NEUE FORMEN VON GEGENÖFFENTLICHKEIT 2.1

Die Nutzung des Internets durch gesellschaftliche Gruppen zur Verbreitung vonInformationen und Stellungnahmen, d.h. der Herstellung von (Gegen-)Öffentlich-keit für ihre Anliegen, weist für diese ersichtlich Vorteile gegenüber der Herstellungeigener Printmedien auf. Diese Vorteile betreffen – Verfügbarkeit von PC und Netz-anschluss vorausgesetzt – die vergleichsweise geringen Kosten und den vergleichs-weise geringen technischen Aufwand. Hinzu kommt der erhebliche Gewinn anAktualität und die enorme Erweiterung der Reichweite (potenziell weltweit). DiesenVorteilen auf Seiten des Senders entsprechen Vorteile auf Seiten der potenziellenAdressaten (interessierte Internetnutzer und Sympathisanten), die schnell und relativpreiswert Informationsangebote abrufen können. Von wesentlicher Bedeutungdürfte aber weniger der rein technisch-materielle Vorteil gegenüber anderen Mittelnder Informationsverbreitung sein, als vielmehr der Umstand, dass durch das Inter-net gesellschaftliche Gruppen nun zumindest potenziell eine breite Öffentlichkeiterreichen können, ohne die Filter der Massenmedien passieren zu müssen. Zwarbedeutet – wie bereits gesagt – die Präsenz im Netz noch nicht unmittelbar auch

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öffentliche Sichtbarkeit. Die Erreichbarkeit von entsprechenden Angeboten gesell-schaftlicher Gruppen durch interessierte Nutzer ist aber im Prinzip jederzeit gege-ben; und als Informationsquelle rangiert das Angebot relativ ressourcenschwacherGruppen im Netz gleichrangig neben dem Angebot einflussreicher Organisationenaus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.

Andererseits ist aber die These einer »Kolonialisierung der Online-Öffentlichkeitdurch reichweitenstarke und inhaltstiefe Websites etablierter Medienanbieter« (Leg-gewie 2003, S. 121 f.) nicht von der Hand zu weisen. Verglichen mit den Anfängendes Netzes und der Dominanz von selbst organisierten Newsgroups ist das Internetmittlerweile dominiert von kommerziellen Angeboten und – im Bereich Nachrich-ten, Politik, Information – von den Angeboten traditioneller Massenmedien (Presse,Fernsehen). Dennoch haben sich die oben angesprochenen Vorteile der Netzkom-munikation für vergleichsweise ressourcenschwache Organisationen in der Tat ineiner neuen Art von netzbasierter Gegen- oder Nebenöffentlichkeit niedergeschlagen.Einige Beispiele zeigen, dass via Internet das Veröffentlichungsmonopol der Massen-medien oder eine restriktive Veröffentlichungspolitik wirtschaftlicher oder staatli-cher Akteure durchbrochen werden kann, wie z.B. im Fall einer wissenschaftlichenStudie zur Geschichte der Firma Hugo Boss: Die von der Firma selbst in Auftraggegebene Studie wurde von dieser – wegen darin enthaltender Hinweise auf die Be-schäftigung von Zwangsarbeitern in der NS-Zeit – zurückgehalten, durch die Auto-rin aber im Internet publik gemacht. Das Internet kann auch – wie während desKosovo- und des Irakkriegs – ein wichtiges Kommunikationsmedium zivilgesell-schaftlicher Gruppen in Kriegs- und Krisenzeiten sein und ein Instrument, Publika-tionsmonopole und staatliche Zensur zu umgehen (Rötzer 1999). Außerdemkönnen sich im Netz größere Teilöffentlichkeiten bilden, die wiederum Resonanz inden Massenmedien finden (wie z.B. ansatzweise im Fall der politischen Weblogs).

Als Beispiel für die Möglichkeiten einer relativ kleinen und lokal agierenden Gruppefür ihr Anliegen globale Aufmerksamkeit zu erzielen, kann der Erfolg der mexikani-schen Zapatista-Bewegung gelten (Winter/Groinig 2004). Die Zapatisten insistiertenauf der kulturellen Identität der Indigenen und signalisierten mit ihrer Revolte ihreEmpörung über den Umgang der Regierung mit indigenen Dorfgemeinschaften an-gesichts einer geplanten Umsiedlung. Es gelang ihnen, über das Internet ein welt-weites Netzwerk von Solidaritätsgruppen zu organisieren. Dabei nutzten sie dasalternative Computernetzwerk La Neta, um sich mit den weltweiten Solidaritäts-gruppen zu vernetzen und Informationen zur Situation aus ihrer Perspektive zuverbreiten. Dieses internationale Unterstützungsnetzwerk machte es der mexikani-schen Regierung unmöglich, Repressionen im großen Stil auszuüben. Letztlichwilligte die Regierung in Verhandlungen ein. Den Zapatisten gelang es auf dieseWeise, Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zu gewinnen und die vonder Regierung geplanten Umsiedelungen zu verhindern (Castells 2002).

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Explizit kritisch gegenüber den Massenmedien und auf die Schaffung von Gegen-öffentlichkeit angelegt ist die Indymedia-Bewegung (s.a. Kidd 2003): Seit 1999 etab-lierte sich ein weltweites Netzwerk von Medianaktivisten, die so genannten Inde-pendent Media Centers (IMC), mit dem Ziel, eine – gegen die dominante Rolle derMassenmedien in der Öffentlichkeit gerichtete – authentische Berichterstattung»von unten« zu organisieren. Insofern versteht sich diese Bewegung als klassischeGegenöffentlichkeit (in der Tradition der Stadtteilzeitungen und unabhängigenRadiostationen). Im Jahr 2004 existierten ca. 160 lokale IMCs weltweit, zum Teilüber Spenden finanziert. Die Organisation ist ehrenamtlich und dezentral und dieKoordination zwischen den Zentren erfolgt über Mailinglisten. Die IMCs bündelndie Informationsarbeit unterschiedlicher lokaler Gruppen und bieten Initiativen undEinzelpersonen die Möglichkeit zur Veröffentlichung von Informationen undDiskussionsbeiträgen. In gewisser Weise wird die Berichterstattung über die Aktivi-tät der globalisierungskritischen Bewegung an den Massenmedien vorbei via Inter-net organisiert: Die »alternative« Berichterstattung über den Protest gegen denWTO-Gipfel in Seattle 1999 gilt als Geburtsstunde von Indymedia und auch heutestellt die Berichterstattung über globalisierungskritische Protestaktionen einenSchwerpunkt der Tätigkeit der IMC dar. Indymedia wird ein nicht unwesentlicherAnteil an der Formierung dieser übernationalen politischen Protestbewegung zu-geschrieben (Schönberger 2004a u. b): Erst durch die Selbstbeobachtung via Indy-media hätten sich isolierte Aktivisten als Teil einer globalen Massenbewegung erfah-ren können. Wenn auch die langfristige Bedeutung dieser alternativen Medien-bewegung derzeit nur schwer eingeschätzt werden könne, so seien hier doch Ansätzezum Aufbau von eigener Medienmacht durch Nutzung der technischen Mittel desInternets erkennbar, die zumindest das Potenzial besitzen, sich von einfachenWebsites zu alternativen »Informationsportalen« zu entwickeln (Barisic/Reinhardt2004).

KOMMUNIKATION UND KOOPERATION 2.2

Über den Einfluss der Internetnutzung auf die interne Organisation sozialer Be-wegungen und die Mobilisierung von Sympathisanten und Bürgern liegen bisher nurwenige aussagekräftige Studien vor. Soziale Bewegungen und globalisierungskriti-sche NGOs wie ATTAC nutzen aber z.B. das Netz zur Recherche, zum schnellenAustausch von Informationen innerhalb der Mitgliedschaft (E-Mail, Websites) wieauch zur Selbstdarstellung, worin sie sich zunächst nicht von anderen organisiertenpolitischen Gruppen und Parteien unterscheiden. In der wissenschaftlichen Dis-kussion werden aber die besonderen Möglichkeiten betont, die das Netz gerade für– aufgrund mangelnder Ressourcen und bestehender sozialer Barrieren – bisherpolitisch eher unterrepräsentierte Gruppen bietet, z.B. in Bezug auf Frauen und

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2. NUTZUNG DES INTERNETS DURCH ZIVILGESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN

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feministische Gruppen (Castells 2002; Sassen 2002). Konstatiert werden u.a.erweiterte Möglichkeiten der Ressourcenmobilisierung (finanzielle Unterstützung,Mobilisierung von Mitgliedschaft), die das Internet für soziale Bewegungen interes-sant machen.

Unbestritten ist, dass das Netz die Art und Weise verändert, in der soziale Bewe-gungen mit ihrer Umwelt interagieren. Der Einsatz netzbasierter Kommunikationverbessert die Möglichkeiten, kohärent und koordiniert politisch zu handeln, undmacht die Bewegungen bei der Verbreitung ihrer Botschaften weniger abhängig vonden etablierten Medien. Hiermit sind die Erwartungen verbunden, dass in Zukunftdie Handlungsfähigkeit sozialer Bewegungen und ressourcenschwacher Gruppenwachsen wird, Aktionen in kürzeren Zyklen aufeinander folgen können und dassdie Geschwindigkeit, mit der sich Argumente und auch Taktiken verbreiten, zu-nehmen wird (van den Donk et al. 2004, nach Schönberger 2004b).

Darüber, ob auch der in NGOs und sozialen Bewegungen i.d.R. dominierende In-formationsfluss von Oben nach Unten durch die Nutzung netzbasierter Kommuni-kation zugunsten eines Informationsflusses von der »Basis« zur Spitze verändertwird, können nur Vermutungen angestellt werden. Das meist »basisdemokratische«Selbstverständnis sozialer Bewegungen dürfte einer Nutzung des vorhandenen tech-nischen Potenzials in diese Richtung eher förderlich sein als in traditionellen politi-schen Organisationen. Die wenigen verfügbaren empirischen Untersuchungenweisen aber darauf hin, dass dieses Potenzial von NGOs und sozialen Bewegungenoft nicht ausgeschöpft wird: Technisch gesehen sind die meisten Websites von NGOseinfach gehalten und Angebote zur Many-to-many-Kommunikation eher die Aus-nahme. Bislang werden eher die Möglichkeiten des schnellen Zugriffs auf und desaktuellen Vermittelns von Informationen (z.B. durch Newsletter) und Selbstdar-stellung genutzt (van den Donk 2004a; Rosenkrands 2004). Die Erprobung neuerinteraktiver Formen der Kommunikation stellt auch für die ja auch hierarchischstrukturierten NGOs eine Herausforderung dar. Die intensive Nutzung des interak-tiven Potenzials könnte mit weitreichenden innerorganisatorischen Veränderungenverbunden sein.

Eine Fallstudie zur Organisation von ATTAC Frankreich brachte deutliche Hinweiseauf die zentrale Bedeutung des Internets für den Bestand und die Funktion dieserBewegung, gleichzeitig aber auch auf Grenzen bzw. Probleme einer Demokratisie-rung der innerorganisatorischen Strukturen (le Grignou/Patou 2004): Die Generie-rung und Mobilisierung von Expertenwissen gehört zu den Schlüsselfunktionen vonATTAC und ist prägend für das Selbstverständnis der Organisation. Die insbeson-dere über das Internetangebot organisierte Bereitstellung von Expertise verändertdie Wissensbasis der Aktivisten, die nun über dieselben Daten und Dokumente ver-fügen wie die Experten. Damit werde der Internetzugang aber zur entscheidenden

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Voraussetzung für die Mitarbeit bei ATTAC. Die Fülle der vorhandenen Informa-tion führe zu einer Spezialisierung und Fragmentierung der Bewegung in einzelnethematisch und/oder regional organisierte Gruppen. Gleichzeitig werde hierdurchaber auch die Voraussetzung für die Koordination und Kooperation zwischen deneinzelnen Gruppen und Themen geschaffen. Allerdings ergaben die von den Autorender Studie durchgeführten Interviews eine deutliche Wissenskluft zwischen sehraktiven Mitgliedern, die das Internet intensiv nutzen, und einfachen Mitgliedern.Auch hier zeige sich eine digitale Kluft (Schönberger 2004b).

Die Beschleunigung von Kommunikation und die enorme Vergrößerung der Reich-weite führen auch zu Erwartungen einer verbesserten Kooperation innerhalb undzwischen Organisationen. Mittels netzbasierter Kommunikation »lassen sich Protest-gruppennetze schnell über einen weiten geographischen Raum spannen, ohne dassfeste hierarchische Organisationsformen geschaffen werden müssen« (Scott/Street2002, S. 68, nach Schönberger 2004b). Hieraus erwächst dem Internet dann aucheine herausragende Bedeutung für die Entstehung transnationaler Netzwerke, dieKoordination von globalen Protestaktionen und die Entstehung transnationalersozialer Bewegungen. Die technischen Möglichkeiten der Internetkommunikationkönnen – parallel zur Bedeutung netzbasierter Kommunikation für die wirtschaft-liche Globalisierung – als konstitutiv für die Kommunikation transnationaler poli-tischer Anliegen und die Entstehung transnationaler Protestbewegungen gelten(Winter/Groinig 2004; Kap. III.4). Generell können NGOs, die sich mit Fragen einerinternational gerechten Entwicklung und globalen Umweltproblemen befassen, alspolitische Akteure gelten, die das Netz zur Herstellung globaler Teilöffentlichkeitenzu nutzen versuchen. Konkrete Beispiele transnationaler virtueller Portale sind APC(Association for Progressive Communication), FoEI (Friends of the Earth Interna-tional) und OneWorld (Winter/Groinig 2004): Während sich APC mit den Rechtender Bürger im digitalen Raum auseinandersetzt und als Hauptaktionsfeld die Unter-stützung von Entwicklungsländern und NGOs aus diesen Ländern festgelegt hat,beschäftigt sich FoEI allgemein mit umweltbezogenen und sozialen Themen. One-World versteht sich als informationspolitisches Metaportal für NGOs in den Be-reichen Menschenrechte, Demokratie und Entwicklungshilfe. APC, FoEI und One-World arbeiten an virtuellen Netzwerken, über die sie Einfluss auf politischeEntscheidungsprozesse gewinnen wollen. APC ist die einzige virtuelle Organisationunter diesen Beispielen, die zum Großteil auf einer dezentralisierten virtuellen Basisarbeitet. Bei APC, FoEI und OneWorld konzentrieren sich die Partnerorganisatio-nen hauptsächlich auf Europa und Nordamerika, während Afrika und Asien starkunterrepräsentiert sind. Diese virtuellen Netzwerke versuchen, eine Balance zwi-schen ihren transnationalen Interessen und den Interessen der lokalen Gruppen zufinden. Während die Grundlagen für eine transnationale Identität durch ein ge-meinsames virtuelles Metaportal geschaffen werden, gibt es Subdomänen, in denen

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2. NUTZUNG DES INTERNETS DURCH ZIVILGESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN

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sich die einzelnen Mitgliederorganisationen präsentieren. Bei OneWorld oder FoEIsind das beispielsweise die nationalen Websites der Partnerorganisationen.

NETZAKTIVISMUS 2.3

In dem Maße, in dem politische Kommunikation netzbasiert stattfindet, also poli-tische Akteure (von staatlichen Instanzen über Parteien bis hin zu Protestgruppen)das Internet zur internen Kommunikation und zur Selbstdarstellung nutzen, kannes als Mittel zur Mobilisierung für politische Aktionen und zur Koordination diesergenutzt werden, darüber hinaus aber auch selbst als Plattform für die Artikulationvon Protest und als Bühne für politische Aktionen oder als Ziel politisch motivier-ter Angriffe dienen.

Insbesondere die Möglichkeit gezielter Attacken auf Server staatlicher und wirt-schaftlicher Organisationen – mit dem Ziel, diese erheblich zu stören oder lahm zulegen – hat auch zu Diskussionen über so genannten »Cyberterrorismus« geführt.Solche technisch voraussetzungsreichen Aktionen sind für die meisten zivilgesell-schaftlichen Organisationen allerdings kaum realisierbar und hinsichtlich des vor-wiegenden Ziels der Mobilisierung von Unterstützung und der Herstellung vonÖffentlichkeit auch wenig interessant. Diesbezüglich scheinen symbolische Aktionenim Netz – analog den Protestformen des »real life«, wie Demonstrationen oderSitzblockaden – von größerer Bedeutung. In der Tat lassen sich Beispiele für dieNutzung solcher Formen des »Netzaktivismus« finden. Politische Aktionsformenaus der Offlinewelt werden in die Onlinewelt übertragen bzw. netzspezifisch adap-tiert und weiter entwickelt. Hierzu zählt z.B. die klassische Unterschriften-sammlung, die nun via E-Mail schnell und mit minimalem Aufwand durchgeführtwerden kann.

Eine weitere Aktionsform ist das so genannte »mail bombing«, bei dem in einemkurzen Zeitraum eine große Zahl von E-Mails an eine bestimmte Adresse gesendetwird, was zum Zusammenbruch des normalen Betriebs beim Protestziel führenkann. So wurde z.B. im Jahr 2001 das US-amerikanische Netzwerk der APC(Kap. V.2.2) auf Initiative zweier spanischer Tageszeitungen mit einer großen Zahlvon »Protest-E-Mails« überflutet, worauf die APC den »Protestmailern« vorwarf,»Cyberterrorismus« zu betreiben (Gimmler 2000). Auch der Deutsche Bundestagwar bereits Ziel einer solchen Aktion – am 15. März 2003 auf Initiative von ATTACDeutschland mit (laut ATTAC) rund 600.000 »Protestmails«. Mittlerweile sind abersolche »Mail-bombing«-Aktionen anscheinend seltener geworden. Zum einenkönnen sie technisch unterlaufen werden, und zum anderen ist der Mobilisierungs-effekt eher gering, da der Protest sozusagen »kostenlos« durch Mausklick erfolgt,was die Aktion politisch entwertet (Schönberger 2004b).

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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Eine weitere Aktionsform des Netzaktivismus stellen »netstrikes« dar, bei denendurch massenhaftes und gezieltes Aufrufen der Webseiten einer Organisation derenWebpräsenz (analog zur Sitzblockade) blockiert werden soll. Zur Unterstützung derbereits erwähnten Zapatistas wurde eigens eine Software entwickelt, die den Serverdes Protestziels (in diesem Fall die mexikanische Regierung) mit automatischen An-fragen überflutet. Der technische und wiederum der symbolische (mobilisierende)Erfolg solcher Aktionen blieb aber zweifelhaft. Neben Abwehrmaßnahmen derbetroffenen Organisationen ist es auch hier die Anonymität des Protestes, die unterdem Blickwinkel der Glaubwürdigkeit der Aktion und des Mobilisierungseffektesden politischen Wert dieser Form des Netzaktivismus begrenzt.

Eine Form der Nutzung des Netzes zur Herbeiführung eines Imageschadens für dasProtestziel sind unterschiedliche Ansätze, dessen Webpräsenz zu manipulieren, z.B.durch Nutzung einer Internetadresse, die der einer offiziellen Website des Protest-ziels ähnelt, oder durch Webangebote, die bei der Suchmaschinenrecherche nach demNamen des Protestziels auf einer hohen Position zu finden sind (z.B. Fake-Politiker-Weblogs; Kap. IV.2.2). So wurde z.B. 2003 von Gegnern des US-amerikanischenPräsidenten George W. Bush dessen offizielle biographische Website mit privatenWebsites in Verbindung mit der Wortkombination »miserable failure« verlinkt. Beider Eingabe dieser Wortkombination in die Suchmaschine Google tauchte dann dieWebsite des US-Präsidenten unter den Toptreffern auf.

Solche und andere Aktionen bleiben als Aktionen einer kleinen Gruppe technischversierter Aktivisten in ihrer Bedeutung begrenzt – insbesondere im Vergleich zurNutzung des Netzes zur Mobilisierung für politische Aktionen in der realen Welt.Sowohl hinsichtlich der öffentlichen Sichtbarkeit als auch hinsichtlich ihres symbo-lischen Wertes, den sie durch die – im Vergleich zu Internetprotesten – relativ hohenAnforderungen an das persönliche Engagement der Teilnehmer erhalten, bleibenFormen politischen Protestes in der realen Welt den bisher entwickelten Formen vonNetzaktivismus überlegen. Nach einer Phase der Experimentierlust mit technischenMöglichkeiten ist die Bedeutung des Netzaktivismus in letzter Zeit anscheinendauch wieder zurückgegangen (Schönberger 2004b).

ZUR BEDEUTUNG DER NETZKOMMUNIKATION FÜRZIVILGESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN 2.4

Insgesamt zeigt die – bisher nur in Ansätzen vorhandene und vielfach eher im-pressionistische – Forschung zur aktuellen Bedeutung der Netzkommunikation fürzivilgesellschaftliche Gruppen ein vielschichtiges Bild. Einerseits kommt der netz-basierten Kommunikation insbesondere für die Organisation transnationalenProtestes und transnationaler Solidarisierung offenbar eine wichtige Funktion zu.

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2. NUTZUNG DES INTERNETS DURCH ZIVILGESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN

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Andererseits zeigen Untersuchungen zu den Internetangeboten wichtiger auch trans-national agierender NGOs, dass die Angebote eher konventionell gehalten sind unddas der Technik inhärente Interaktionspotenzial nur wenig genutzt wird (Rosen-krands 2004). Auch bezüglich der Auswirkung netzbasierter Kommunikation aufdie innerorganisatorischen Strukturen sind die Erkenntnisse uneinheitlich. Für eherlose thematisch diversifizierte Netzwerke wie ATTAC scheint netzbasierte Kom-munikation eine conditio sine qua non ihres Funktionierens zu sein. Veränderungender innerorganisatorischen Kommunikationsstrukturen bei eher hierarchisch or-ganisierten NGOs sind aber auch durch die erweiterte Nutzung der Möglichkeitennetzbasierter Kommunikation nicht zu erwarten. Von wesentlicher Bedeutung fürdie Arbeit und die Selbstdarstellung zivilgesellschaftlicher Gruppen scheint dieSpeicherfunktion des Netzes zu sein und vor allem die Möglichkeit, Informationenzu sammeln und an Mitglieder und die interessierte Öffentlichkeit via Website undMailinglisten zu verbreiten. Über die tatsächliche Bedeutung der Präsenz im Inter-net für den Zugang zivilgesellschaftlicher Gruppen zur Öffentlichkeit lässt sich übereinzelne Beispiele – in denen das Netz erfolgreich für die Kommunikation eigenerpolitischer Anliegen genutzt werden konnte – hinaus zurzeit nichts sagen. Ob sichdurch die zweifelsohne gegebenen Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Gruppen,sich über das Netz direkt unter Umgehung der Massenmedien an Mitglieder undSympathisanten zu wenden, auf lange Sicht die Rahmenbedingungen von politischerÖffentlichkeit entscheidend verändern, bleibt abzuwarten.

POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ 3.

Dass die in der politikwissenschaftlichen Diskussion kursierenden Thesen zurBedeutung des Internets als öffentlicher politischer Raum bisher kaum mittels empi-rischer Untersuchungen überprüft worden sind, ist vor allem in der Struktur desGegenstandes Internet selbst begründet. So vielfältig und offen sich der Kommuni-kationsraum Internet darstellt, so unübersichtlich und schwer methodisch greifbarist er. Schon die Erfassung aller im Internet verfügbaren Quellen zu einem Themastellt ein unmögliches Unterfangen dar, und über die Repräsentativität erfassterTeilausschnitte lässt sich kaum etwas Gesichertes aussagen. Ist es schon schwierig,Aussagen über die Struktur des Angebots im Internet zu machen, oder über dieNutzungsweise oder die Präsenz von politischen Akteuren im Netz, so ist nahezuunmöglich den politischen Raum Internet insgesamt, mit seinen vielfältigen Ange-boten, Nutzern, Themen und den zwischen diesen bestehenden Verweisstrukturentransparent zu machen.

Im Rahmen der vorliegenden TA-Studie wurde aber der Versuch unternommen, zu-mindest schlaglichtartig einen methodisch geleiteten Blick in den politischen Raum

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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Internet zu werfen, um die Plausibilität zumindest einiger der diskutierten Thesenzur politischen Internetöffentlichkeit einzuschätzen. Hierzu sollten die Strukturen(Akteure, Themen, Positionen, Argumente) aktueller politischer Diskurse imInternet rekonstruiert werden.

Ausgewählt wurden zwei politische Debatten – die Diskussion um gentechnischveränderte Lebensmittel und um das Urheberrecht. Im Fall der »Genfood«-Debatteging es dabei um die Perspektive eines Internetnutzers, der – ohne auf etwaige Vor-kenntnisse zu der Thematik und zu den relevanten Akteuren zurückzugreifen – ein-fache Suchmaschinenrecherchen zu diesem viel diskutierten Thema vornimmt. ZumVergleich wurde auch die Behandlung des Themas in ausgesuchten Tageszeitungenherangezogen. Im Fall der Urheberrechtsdebatte wurde hingegen der Versuch unter-nommen, den Onlinediskurs anhand einschlägiger Websites und einer Befragung andem Thema stark interessierter Internetnutzer zu analysieren.

DAS INTERNET MIT SICH SELBST BEFASST – URHEBERRECHTUND COPYRIGHT 3.1

Mit dem politischen Diskurs zu Urheberrechtsfragen und Copyright wurde einThema als Gegenstand einer empirischen Untersuchung zur netzbasierten politi-schen Kommunikation gewählt, das sozusagen selbst »netzbasiert« ist. Die Fragenach der »Politik im Netz« verbindet sich hier mit Fragen der »Netzpolitik«, d.h.mit Fragen der politischen Regulierung der Nutzung der Kommunikationsmöglich-keiten des Internets. Es war davon auszugehen – und wurde durch ein Gutachtenfür das Projekt (pol-di.net 2004) bestätigt –, dass im Netz – weil die Internetnutzersich in ihren Rechten als Nutzer selbst betroffen sehen – zur rechtlichen Regelungdes Kopierens und Austauschens von Musik- und Filmdateien eine intensive Debattestattfindet (hierzu und zum Folgenden pol-di.net 2004).

COPYRIGHT UND INTERNET – DER UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

Durch die Entwicklung des Internets als Mittel des schnellen Austauschs von digi-talisierten Daten ist die Frage einer rechtlichen Neuordnung des Urheberrechts unddes Copyrights auf die politische Tagesordnung gesetzt worden. Insbesondere dieMöglichkeit der Kopie und des Austauschs von Musik- und Filmdateien via Internethat seit Ende der 1990er Jahre zu Klagen der Musikindustrie (und später auch derFilmindustrie) über einen massiven Rückgang der Umsätze durch den Handel mitdigitalen »Raubkopien« geführt. Nach einer vom »Bundesverband der DeutschenPhonoindustrie« in Auftrag gegebenen Studie der »Gesellschaft für Konsumfor-schung« (GfK) zufolge ging die Anzahl der verkauften CD-Alben von 198 Millio-

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

nen im Jahr 1999 auf 133,6 Millionen im Jahr 2003 zurück, während die illegalen»Downloads« sich in den beiden Referenzjahren 2000 und 2002 verdoppelten(Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2004).

Die Auseinandersetzung zwischen der Industrie auf der einen und Initiativen vonInternetnutzern auf der anderen Seite wird seit Jahren – nicht nur mit juristischenMitteln – intensiv geführt. Dies geht bis hin zu generellen Boykottaufrufen gegendie Musikindustrie (wie z.B. durch ATTAC, den Chaos Computer Club und weitereOrganisationen im April 2004). Von Seiten der Industrie werden Schadensersatz-forderungen gegen Nutzer von Tauschbörsen erhoben und recht drastische PR-Kampagnen (wie die von der Filmindustrie Juli 2004 gestartete Kampagne »Hartaber gerecht«) initiiert, in deren Rahmen sich beispielsweise Menschen in deutschenGroßstädten in eine öffentliche Gefängniszelle einsperren lassen konnten, um »fünfMinuten im Leben eines Raubkopierers« nachempfinden zu können. Mittlerweilekann man von zwei polarisierten Lagern sprechen, die mit juristischen und öffent-lichkeitswirksamen Kampagnen ihre Interessen zu vertreten versuchen.

Das Thema Urheberrecht ist auch insofern von politischer Aktualität, als im Septem-ber 2003 das »Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesell-schaft« in Kraft getreten ist, das z.B. die Herstellung und Nutzung von technischenMaßnahmen zur Umgehung des Kopierschutzes und die Herstellung von Privatko-pien von offensichtlich gesetzwidrig hergestellten Vorlagen verbietet. Zur Entschei-dung steht weiterhin der rund ein Jahr nach der Verabschiedung des Urheberrechts-gesetzes vom Justizministerium vorgelegte Entwurf zum so genannten 2. Korb desUrhebergesetzes an, in dem u.a. das neue urheberrechtliche Vergütungssystem unddie Privatkopie-Frage geregelt werden sollen. Nur wenige Stunden nach Veröffent-lichung der Vorschläge für den 2. Korb durch das Bundesjustizministerium am 09.September 2004 erschienen zahlreiche Pressemitteilungen von Interessenverbändenund Organisationen, die den Entwurf von verschiedener Seite stark kritisierten. Inder Offlinepresse fand das Thema zwar nur begrenzt Beachtung, bei Onlinemedienwie www.heise.de wurden allerdings innerhalb von wenigen Stunden hunderte vonKommentaren registriert.

METHODE

Das Ziel der von pol-di.net durchgeführten Untersuchung zur Urheberrechtsdebattewar es, soweit möglich diejenigen Internetangebote zu erfassen, die für den politi-schen Diskurs als relevant angesehen werden können bzw. durch Nutzer undAnbieter selbst als thematisch einschlägig und für die Netzkommunikation zentraleingeschätzt werden. Dabei wurden in mehreren Schritten (Recherchen mittelsSuchmaschinen, Durchsuchen identifizierter Websites nach relevanten Links zu und

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Verweisen auf andere Anbieter, Auswertung von Foren, Mailinglisten und News-lettern, gezielte Suche auf Portalen wichtiger Akteure und eine Nutzerbefragung)113 einschlägige Websites identifiziert und hinsichtlich ihrer Struktur und Inhaltebeschrieben. Aus diesen 113 Websites wurden sechs ausgewählt, die wegen ihrerAngebotsstruktur als Plattform für eine Nutzerbefragung besonders geeignet er-schienen. Die angesprochenen Betreiber der Websites erklärten sich bereit, einen vonpol-di.net entwickelten Nutzerfragebogen zum Thema »Copyright und Urheber-recht« auf ihren Websites online zu stellen und die Teilnahme an der Umfrage dortzu bewerben (siehe Kasten).

NUTZERBEFRAGUNG

BESCHREIBUNG DER KOOPERIERENDEN WEBSITES, ZEITRAUM, ÜBER DENDER FRAGEBOGEN AUF DER ENTSPRECHENDEN WEBSITE ANGEBOTENWURDE, UND FRAGEBOGENRÜCKLAUF

www.heise.de (02. August 2004 bis 23. August 2004; Rücklauf: 10.008 Frage-bögen)

Das Internetportal des Heise-Verlages konzentriert sich auf Berichterstattung,die sich vor allem mit Neuerungen in der Computerindustrie und dem Internetselbst beschäftigt. Ein mehrmals täglich aktualisierter Newsbereich stellt bis zu20 neue Nachrichten bereit. Ein umfangreich strukturiertes Forum enthälteinen Themenstrang »Peer-to-Peer«, in dem intensive Diskussionen stattfindenund rechtliche Fragestellungen zur Sprache kommen. Interessierte Nutzerfinden in den Foren Hintergrundinformationen und werden zu entsprechendenArtikeln auf »Heise Online« verwiesen. Die Kampagne »50 Cent und gut« istdas zentrale partizipatorische Element zum Thema Urheberrecht.

www.hartabergerecht.de (23. Juli 2004 bis 23. August 2004; Rücklauf: 288Fragebögen)

Die »Zukunft Kino Marketing GmbH« (ZKM) ist der Organisator derKampagne »Hart aber gerecht«, die im Auftrag »des Hauptverbandes deut-scher Filmtheater« (HDF), des »Multiplexverbandes Cineropa« und des»Verbands der Filmverleiher« (VdF) handelt. Es werden vor allemInformationen in Form von Erfolgsmeldungen der »Gesellschaft zurVerfolgung von Urheberrechtsverletzungen« (GVU) und Gesetzestexten ange-boten. Der Nutzer wird über den Verlauf der Offlinekampagne »Hart abergerecht« informiert. Die Website bietet als interaktives Tool eCards an.

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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www.ifpi.de (20. Juli 2004 bis 21. August 2004; Rücklauf: 381 Fragebögen)

Der »Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V.« und die »DeutscheLandesgruppe der International Federation of the Phonographic Industry« (IFPI)vertreten die Interessen von rund 1.000 Tonträgerherstellern in Deutschland.Der in Berlin ansässige Interessenverband bietet mit seiner Website eines derzentralen Informationsangebote für Nutzer, die sich für Urheberrechtsfragen imBereich Musik aus Sicht der Urheberrechtsinhaber interessieren. Die Websitenutzt so gut wie keine interaktiven Tools und legt einen Schwerpunkt auf dieBereitstellung von Informationsmaterial für Journalisten und Branchenkenner.

www.privatkopie.net (23. Juli 2004 bis 20. August 2004; Rücklauf: 168 Frage-bögen)

»Privatkopie.net« ist ein Zusammenschluss aus zahlreichen Vertretern der Zivil-gesellschaft, Bürgerinitiativen, Vereinen und politischen Organisationen. Be-standteil der Kampagne ist eine Petition, der sich mehr als 47.000 Personen an-geschlossen haben und die das Recht auf eine digitale Privatkopie im neuenUrheberrecht verankert sehen möchte. Zentrales Angebot der Website ist nebender Petition ein großer Pressespiegel zum Thema Privatkopie sowie ein Infor-mationsangebot für Aktivisten.

www.faires-urheberrecht.de (20. Juli 2004 bis 20. August 2004; Rücklauf: 34Fragebögen)

Der »Landesverband der Jungen Union Hessen« fordert eine Novellierung desUrheberrechts. Die Kampagne des in Wiesbaden ansässigen Landesverbandessetzt sich für das bestehende Recht auf Privatkopie ein und will im Gegenzug dasVerbot von Tauschbörsen und Kopien von kommerziellen Leihgaben. In ihrerStellungnahme machen sie eine pauschale Abgabe auf Rohlinge als Kompensa-tion für die Verwertungsgesellschaften von dem Recht der Privatkopie abhängig.Interessierte können die Unterschriftenaktion unterstützen, einen Eintrag imGästebuch hinterlassen oder Banner der Kampagne auf ihre Website setzen.

www.giga.de (22. Juli 2004 bis 23. August 2004; Rücklauf: 171 Fragebögen)

»GIGA« ist ein deutsches Fernsehprogramm des US-amerikanischen SendersNBC. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Düsseldorf, sendet seit 1998 und ver-steht sich als Schnittstelle zwischen TV-Programm und Internetportal. Die Ziel-gruppe sind männliche Teenager. Diese werden mit Informationen über Com-puterspiele, Computertechnik, Internet, Popkultur oder Politiker versorgt. DerBereich »Netzwelt« enthält Nachrichten zu Tauschbörsen und Urheberrecht.Die Artikel beinhalten eine Kommentarfunktion. Es gibt Umfragen und Foren,in denen Nutzer von Tauschbörsen diskutieren.

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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Ergänzt wurden die Websites-Analyse und die Nutzerbefragung durch Interviews mitden Verantwortlichen von vier einschlägigen Webangeboten. Es handelt sich dabeium die Websites www.ifpi.de (Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft),www.hartabergerecht.de (Zukunft Kino Marketing GmbH), www.privatkopie.net(Initiative von Netznutzern) und www.faires-urheberrecht.de (Junge Union Hessen).

WEBSITES-ANALYSE

Entscheidend für die Auswahl der in die Untersuchung einbezogenen 113 Websiteswar, dass nur solche Webangebote erfasst wurden, auf denen das Thema Copyrightnicht nur sporadisch behandelt wird, sondern kontinuierlich in Form von Informa-tionsangeboten oder auch in Form von Diskussionsangeboten (Chats etc.) präsentist. Aufgrund des aufwendigen, gestaffelten Suchprozesses konnte davon ausgegan-gen werden, dass die thematisch relevanten deutschsprachigen Websites annäherndvollständig erfasst wurden. Zu beachten ist jedoch, dass einige der Websites mittelseinfacher Suchstrategien nur relativ schwer zu finden sind. Charakteristisch für diebesondere Struktur der Debatte im Netz, die – wie noch zu zeigen sein wird – voneiner recht aktiven »Community« von intensiven Internetusern dominiert wird, undkennzeichnend auch für die Unübersichtlichkeit des Kommunikationsraums Inter-net ist, dass erst im Laufe der Untersuchung durch Hinweise von Nutzern die thema-tisch einschlägige Website »Savemusic« entdeckt wurde, die nach eigenen Angabentäglich mehrere Hundert Besucher zählt.

Eine Charakterisierung der Websites nach Anbietern zeigt eine Dominanz der Film-und Musikindustrie (Verbände und einzelne Unternehmen), die 38 der identifiziertenWebsites betreibt, danach folgen mit annähernd gleichen Anteilen Medienanbieterund Portale (24) und Einzelpersonen und Initiativen (26). Auf staatliche Institutionenund politische Parteien entfallen 13 der identifizierten Websites.

Etwa 70 % der ausgewählten Websites bieten mehr oder weniger ausführliche Hin-tergrundinformationen zum Thema an – so z.B. Artikel zur Geschichte des Urhe-berrechts, zum Stand der Gesetzgebung und zur politischen Debatte. Auf 46 % derWebsites finden sich aktuelle Nachrichten zum Thema Urheberrecht; ca. ein Fünftelder Websites hat in den drei Monaten vor der Erhebung täglich aktuelle Informa-tionen zum Thema Urheberrecht veröffentlicht.

Auf nahezu allen Websites wird die Möglichkeit angeboten, sich per E-Mail an dieBetreiber zu wenden. Abgesehen von Diskussionsforen, die auf ca. einem Drittel derWebsites angeboten werden, finden sich weitergehende Angebote zur Interaktionnur spärlich. Mailinglisten wie auch Weblogs wurden nur von knapp 10 % deruntersuchten Websites angeboten (Abb. 1), wobei bei den Weblogs eine nur gerin-ge Veröffentlichungsfrequenz (Zahl der Einträge und Kommentare) auffällig ist.

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

ABB. 1 KOMMUNIKATIONSANGEBOTE (IN %)

Quelle: pol-di.net 2004

Betrachtet man die Foren näher, zeigt sich, dass die meisten dieser Angebote aucheher spärlich genutzt werden. Von den insgesamt 36 identifizierten Internetforenwiesen nur acht in den letzten vier Wochen vor der Erhebung mehr als zehn The-menstränge auf und bei mehr als der Hälfte der Foren lag die Zahl der Beiträge imgleichen Zeitraum unter 50.

Von noch geringerer Bedeutung ist die Nutzung des Netzes für interaktive Partizi-pationsformen (wie E-Mail-Kampagnen, Unterschriftensammlungen und Petitionen).Eine Aufforderung zur Beteiligung an Abstimmungen oder Petitionen fand sich aufacht Websites. Unterschriftensammlungen wurden von drei Anbietern durchgeführt,darunter die Onlinekampagne »Privatkopie«, die dem Justizministerium über45.000 Unterschriften für die Sicherung eines Rechts auf Privatkopien von Musikund Filmdateien übergeben hat, und die Unterschriftenaktion für ein »faires Ur-heberrecht« auf der Website der Jungen Union Hessen.

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Eine Analyse der Zahl der auf die einzelnen Websites verweisenden, externen Linksbestätigt die Relevanz dieser Websites für den »Onlinediskurs« über das ThemaUrheberrecht: Nur rund ein Viertel der Websites weist weniger als 20 Links vonanderen Websites auf, knapp die Hälfte der Websites aber mehr als 100. Umsoerstaunlicher ist es, dass bei einer Suche mittels Google und dem Suchwort»Urheberrecht« 95 % der ausgewählten Websites nicht unter den ersten 100 Google-Treffern erscheinen. Unter den ersten 100 Google-Treffern dominieren die Angebotevon Medien und Portalen (38 %) und ein Viertel der Websites befasst sich aus juris-tischer Sicht mit dem Thema (Rechtsanwaltskanzleien, Universitäten).

Eine Liste mit Links zu anderen Webangeboten findet sich bei gut einem Drittel deruntersuchten Websites. Auffällig ist, dass sich ein solches Angebot, das dem Nutzersozusagen einen Leitfaden zur weiteren Information im Netz bietet (und ihn dabeioft an vom Anliegen oder auch der politischen Couleur her verwandte Anbieter ver-weist), bei 65 % der von Einzelpersonen oder privaten Initiativen/Kampagnen zumUrheberrecht findet. Auch auf den Websites der Interessenverbände der Film- undMusikindustrie werden Linklisten vergleichsweise häufig angeboten. Ein entspre-chendes Angebot findet sich aber bei keiner der von staatlichen Stellen und politi-schen Parteien betriebenen Websites. Dass Links zu anderen Webangeboten vor-wiegend von den meist urheberrechtskritischen Initiativen und Privatpersonenangeboten werden, ist ein erster Hinweis darauf, dass es sich hier um eine rechtaktive und relativ geschlossene Teilöffentlichkeit im Netz handelt.

NUTZERBEFRAGUNG

Die Ergebnisse der Nutzerbefragung erbrachten deutliche Indizien für die Existenzeiner größeren Teilöffentlichkeit, die im Netz aktiv Informationen suchend und auchdiskutierend mit dem Thema Urheberrecht befasst ist, außerhalb des Netzes abervergleichsweise wenig wahrgenommen wird. Das Thema Urheberrecht betrifftInternetnutzer unmittelbar, insbesondere wegen der Frage der Zulässigkeit privaterKopien von Film- und Musikdateien – wobei vor allem Häufignutzer des Netzesbetroffen sind.

Der Fragebogen umfasste insgesamt 25 Fragen zum vorhandenen und gewünschtenAngebot der besuchten Websites, zum Urheberrecht allgemein sowie zur Urheber-rechtsdebatte im Netz. Es wurde sowohl mit Antwortvorgaben als auch mit offenenFragen gearbeitet. Schon der enorme Rücklauf an Fragebögen dokumentiert diehohe Aufmerksamkeit, die das Thema Urheberrecht bei Internetnutzern genießt. Eskonnten 11.050 Fragebögen in die Untersuchung einbezogen werden. Dabei istallerdings zu bemerken (und zeigt die Bedeutung des Themas für »passionierte«Internetnutzer), dass allein 10.008 Fragebögen von Nutzern des vorwiegend auf an

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

Computer- und Kommunikationstechnik Interessierte zugeschnittenen Angebots desInternetportals www.heise.de stammt und sich der Rest auf die anderen fünfkooperierenden Anbieter verteilt.40

Bei über 95 % der Teilnehmer der Befragung handelt es sich um Männer, und knapp80 % der Befragten sind zwischen 20 und 39 Jahre alt. 96 % der Befragten gabenan, dass sie das Internet täglich nutzen. Die ausgewählte Gruppe kann somit inkeiner Weise als repräsentativ für die Gesamtheit der Nutzer des Internets bezeich-net werden, spiegelt aber in übermäßiger Form die Zusammensetzung der besondersaktiven Teile der Internetpopulation wider (vgl. Kap. II.3). Es kann davon ausge-gangen werden, dass durch die Befragung eben eine besondere, internetspezifischeTeilöffentlichkeit von am Netz stark interessierten – und damit in Bezug auf dieThemen Urheberrecht und Copyright besonders aufmerksamen – Nutzern erfasstist. Diese fühlen sich beim Thema Urheberrecht besonders in ihren »angestammtenRechten« als User betroffen und fühlten sich dadurch auch von der durch pol-di.net ins Netz gestellten Umfrage besonders angesprochen.

Bemerkenswert und kennzeichnend für die Bedeutung des Themas für die genann-te Teilöffentlichkeit ist die Tatsache, dass die Nutzerbefragung selbst zum Diskurs-thema im Netz wurde. Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft hatteam 26. Juli 2004 eine Pressemitteilung versendet, um die Kooperation mit pol-di.net bekannt zu geben und um über die verbandseigene Website www.ifpi.de auf diegestartete Umfrage hinzuweisen. Diese Meldung wurde in der Offlinewelt nicht auf-gegriffen, stieß aber im Netz – wohl auch deshalb, weil es sich um eine Unter-suchung im Auftrag des Deutschen Bundestages handelte – auf reges Interesse. Sowar sie Anlass für die Betreiber der Website www.savemusic.de, einen Diskussions-strang im Forum einzurichten, der das Studienvorhaben zum Thema hatte. Auch beidem Kooperationspartner www.heise.de führte die Platzierung des Umfragehin-weises auf der Homepage zu einer ausführlichen Diskussion über die Studie mit über250 Diskussionsbeiträgen in wenigen Tagen. Auf der Seite des Kooperations-partners www.giga.de startete ein Forumsmoderator zum Umfragebeginn einenDiskussionsstrang mit dem Titel »Raubkopierer in den Knast«, der zu einer leben-digen Diskussion des Themas mit mehr als 100 Einträgen führte. Die Qualität derEinträge auf den genannten Websites »variierte erheblich, zeigte aber vor allemeines: Das Thema Urheberrecht und Copyright ist Gegenstand eines vitalen Inter-netdiskurses [...]« (pol-di.net 2004, S. 39).

40 Das Antwortverhalten der Nutzer unterscheidet sich nicht signifikant zwischen den sechs Web-sites, auf denen die Umfrage eingestellt wurde. Da ohnehin über 90 % der Fragebögen von Nut-zern der Seite www.heise.de stammen, wird im Folgenden i.d.R. auf eine Differenzierung nachder Nutzerherkunft verzichtet.

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

Für die erfasste Teilöffentlichkeit ist – zumindest, was die Informationen zumThema Urheberrecht angeht – das Netz als Informationsquelle von ebenso großerBedeutung wie klassische Printmedien. Gefragt danach, woher die Befragten ihreInformationen zum Thema Urheberrecht beziehen, geben 80 % Zeitschriften undZeitungen als Quellen an. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass hier Com-puterzeitschriften eine wesentliche Rolle spielen. Das Internetportal www.heise.de– über das wie gesagt 95 % der Befragten auf die Umfrage gestoßen sind – wird vomHerausgeber einer der größten deutschen Computerzeitschriften betrieben. DasNetz hat sich aber für die erfasste Gruppe (zumindest beim Thema Urheberrecht)als gleichberechtigte Informationsquelle neben den Printmedien etabliert: Online-angebote werden von 78 % der Befragten als Informationsquelle genannt. Dass je-weils rund die Hälfte der Befragten Gespräche im beruflichen (45 %) beziehungs-weise privaten Umfeld (52 %) als wichtige Quellen für Informationen zum ThemaUrheberrecht nennt, unterstreicht weiter die Bedeutung des Themas für die erfassteGruppe.

ABB. 2 WOHER BEZIEHEN SIE IHRE INFORMATIONEN ZUM THEMA URHEBERRECHT? (IN %)

Quelle: pol-di.net 2004

Unter den Onlineangeboten, die als Quellen für Informationen über das Thema Ur-heberrecht genannt werden, rangieren die Internetangebote von Medien und Inter-netportalen wie www.heise.de an erster Stelle (57 %), gefolgt von den Angeboten

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

von Interessenverbänden der Film- und Musikwirtschaft (47 %) sowie den Ange-boten von Privatpersonen und Bürgerinitiativen (43 %). Die Internetangebote staat-licher Institutionen (32 %) und insbesondere von politischen Parteien (16 %) sinddagegen von vergleichsweise geringerer Relevanz; sie rangieren noch hinter denAngeboten aus dem Bereich Wissenschaft/Bildung (33 %) bzw. von Wirtschaft/Industrie (34 %).

ABB. 3 VON WELCHEN DER FOLGENDEN AKTEURE HABEN SIE INTERNETANGEBOTEZUM THEMA URHEBERRECHT WAHRGENOMMEN? (IN %)

Quelle: pol-di.net 2004

Als Motivation für den Besuch der Website, auf der der Fragebogen eingestellt war,gaben 57 % der Nutzer »privates Interesse an der Urheberrechtsdebatte« an (31 %nennen »Neugierde«). Auch dies zeigt, dass es sich bei den erfassten Nutzern über-wiegend um Internetuser, die sich in ihren Rechten durch die Bestrebungen, dasCopyright einzuschränken, bedroht sehen, und sich aus diesem Grund über dieRechtslage informieren. 89 % der Befragten ist bekannt, dass das Urheberrecht imSeptember 2003 geändert worden ist. Die erfasste Teilöffentlichkeit kann als über-durchschnittlich informiert zum Thema charakterisiert werden. 70 % der Befragtensehen das Angebot an Informationen zum Urheberrecht im Netz als ausreichend anund wünschen keine weiteren Informationsangebote. Eindeutig ist die skeptische biskritische oder gar – wie eine Vielzahl der offen formulierten Kommentare der

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Befragten zeigt – »aufgebrachte« Einstellung gegenüber den rechtlichen Ein-schränkungen der Kopiermöglichkeiten: 90 % der Befragten sind für ein Recht zumKopieren von Musik und Filmen für den Eigenbedarf, nur 1,7 % sprechen sichdagegen aus.

Bei den offenen Antworten zur Motivation des Aufsuchens der entsprechendenWebsite stand »sich über die Rechtslage informieren« – oft verbunden mit Invektivengegen die Musik und Filmindustrie – an erster Stelle. Ein starkes inhaltliches Inter-esse der Nutzer zeigte sich darin, dass »News« und »Artikel« von annähernd jeweils80 % der Befragten als gewünschtes Informationsangebot genannt wurden. Vorallem erwies sich die erfasste Teilöffentlichkeit als stark interessiert an Diskussions-angeboten zum Thema Urheberrecht: Über 60 % der Befragten wünschen sich On-lineforen zum Thema, gefolgt von knapp 20 %, die sich an Wikis, d.h. ebenfalls anAngeboten, die sich zur Organisation eines Diskussionsprozesses eignen, interessiertzeigen. Auf weniger Interesse stoßen Chats, Mailinglisten und andere interaktiveAngebote. Großes Interesse wird auch an Umfragen zum Thema geäußert (ca. 45 %der Befragten). Aus den offenen Antworten lässt sich schließen, dass ein Teil derBefragten die Umfrage des TAB als Möglichkeit wahrgenommen hat, ihre (nachihrer Ansicht ansonsten unterrepräsentierte) kritische Meinung zum Urheberrechtkundzutun und die Umfrage also fälschlich als eine Meinungsumfrage zum Pro undKontra des Urheberrechts auffasste.

Es besteht in der erfassten Teilöffentlichkeit ein erheblicher Unmut über die aus ihrerSicht unzureichende Berücksichtigung der Nutzerinteressen (auch von Seiten derPolitik), der eine starke Bereitschaft zur Wahrnehmung von Möglichkeiten, dereigenen Position Gehör zu verschaffen, entspricht. Die Kommunikationsangeboteder jeweiligen Website wurden von den Nutzern überwiegend als sehr gut bis gutbewertet (ca. 60 %). In der Bewertung deutlich unterdurchschnittlich schnitt hierdie Website »hartabergerecht.de« ab. Hier urteilten nur ca. 6 % der 288 über dieseWebsite an der Umfrage beteiligten Nutzer mit »gut« oder »sehr gut«. Wie aus denKommentaren der Nutzer zu den offenen Fragen des Fragebogens geschlossenwerden kann, äußerte sich allerdings hierin auch der spezielle Unmut der erfasstenNutzergruppe gegen diese von der Filmwirtschaft finanzierte Kampagne.

Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass die Diskussionen zum Thema Ur-heberrecht im Internet kontroverser geführt werde als in den Offlinemedien. 51 %fanden diese Aussage »zutreffend« und 28 % »teilweise zutreffend«. Diese Ein-schätzung spiegelt wahrscheinlich den Eindruck wider, dass die befragte Gruppe ihreurheberrechtskritische Position im Kommunikationsraum Internet eher wieder-findet als in der Berichterstattung der Massenmedien. Gleichzeitig wird die Diskus-sion auch als »emotionaler« als die Auseinandersetzung mit dem Thema in denMassenmedien angesehen (13 % »trifft zu«, 44 % »trifft teilweise zu«).

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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Ganz überwiegend bejaht wird die Aussage, dass – in Bezug auf das Urheberrecht –das Netz mehr Möglichkeiten zum Meinungsaustausch biete als andere Medien(67 % »trifft zu«, 16,7 % »trifft teilweise zu«). Dass die erfasste Gruppe darüberhinaus auch die interaktiven Möglichkeiten des Internets schätzt, zeigt die Ant-wortverteilung zur Frage nach den persönlichen Vorteilen, die die Befragten mitdessen Nutzung in diesem Zusammenhang verbunden sehen. So nennen hier z.B.rund 38 % der Befragten die Möglichkeit der Diskussion in Foren und Chats.

ABB. 4 WELCHE PERSÖNLICHEN VORTEILE HABEN SIE VON DER NUTZUNGDES INTERNETS BEI DER URHEBERRECHTSDEBATTE? (IN %)

Quelle: pol-di.net 2004

In den von den befragten Nutzern abgegebenen freien Antworten zu den Netzan-geboten verschiedener Akteure zeigen sich eine eher skeptische Haltung gegenüberOnlineforen und der Wunsch nach ausgewogener neutraler Information (insbeson-dere zu rechtlichen Fragen). Der häufig geäußerte Wunsch nach Onlinediskussions-angeboten auch unter Beteiligung von politischen Entscheidungsträgern ist oft ge-paart mit der Forderung nach verlässlichen Qualitätsstandards, die durch eine ent-

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

sprechende Moderation gewährleistet werden sollen. Bei vielen Nutzern scheintEnttäuschung über das niedrige Niveau und die ideologische Einseitigkeit vielerDiskussionen zum Thema Urheberrecht im Netz durch. Beklagt werden die Neigungzu so genanntem »flaming« – also die durch die Anonymität der Onlinediskussionbeförderte Verletzung der üblichen Standards von Höflichkeit und Sachlichkeit –und ein Mangel an diskursivem Austausch über konträre Positionen. Deutlich wirdin den Kommentaren der Wunsch nach neutralen, belastbaren Informationen, dieoffensichtlich im Netz vermisst werden. Der Verdacht der interessengefärbten, nichtneutralen Information trifft dabei – entsprechend der Motiv- und Interessenlage dererfassten Nutzergruppe – vorwiegend die Medienwirtschaft, aber auch die Angebotevon staatlichen Stellen und Parteien, denen oft unterstellt wird, »lobbynah« zu sein.Andererseits wird neben wissenschaftlichen Einrichtungen oft das Justizministeriumals Anbieter von Informationen zum Thema Urheberrecht gewünscht (s.a. zu neuerenWebangeboten des BMJ zum Thema Kap. IV.3.1). Trotz Kritik und Skepsis bestehtalso durchaus die Auffassung, dass der Staat die Aufgabe der »Qualitätssicherung«übernehmen solle.

Die skeptische Haltung gegenüber Onlinediskussionen wird von den befragtenBetreibern von Websites zum Thema Urheberrecht nur teilweise bestätigt – sie istabhängig von der Positionierung der Website zum Thema. Über negative Erfahrun-gen – wie Diffamierungen und Beleidigungen – berichteten insbesondere die Betrei-ber der Filmindustrie-Website Faires-urheberrecht.de, was zu einer Abschaltung desAngebots führte.

FAZIT

Das Thema Urheberrecht hat im Internet zu intensiven Diskussionen geführt, die inder Offlinewelt vergleichsweise wenig wahrgenommen werden. Dabei scheint dieDebatte im Wesentlichen von urheberrechtskritischen Nutzern bestimmt zu werden.Das Angebot an Informationen zum Thema im Netz ist groß. Angebote von Staatund Parteien sind allerdings kaum vorhanden bzw. sichtbar. Die Masse der angebo-tenen Informationen macht es allerdings für den einfachen Nutzer nahezu unmög-lich, sich einen eigenen Überblick über die Breite der vorhandenen Argumente undMeinungen zu verschaffen. Auch bei der erfassten Gruppe von Nutzern – denenüberdurchschnittliche Kompetenz im Umgang mit dem Medium zugesprochen wer-den kann – scheint (wohl insbesondere wegen der komplexen rechtlichen Fragen)ein ausgeprägter Bedarf nach zentraler, glaubwürdiger, verlässlicher und nichtinteressengeleiteter Information zu bestehen.

Widersprüchliches erbrachte die vorliegende Untersuchung zur Qualität der im Netzgeführten Debatten. Obwohl sich die Nutzer als recht gut informiert zum Thema

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

Urheberrecht zeigen und obwohl die meisten Nutzer gerade die interaktiven Mög-lichkeiten des Netzes und den Austausch mit anderen Nutzern in Onlinediskussionenschätzen, wird deren schlechte Qualität beklagt. Offensichtlich werden die Online-foren – inwieweit diese moderiert werden oder nicht, konnte nicht erhoben werden– dominiert von urheberrechtskritischen Nutzern, die sich in oft emotionalisierterArt und Weise in ihrer Position selbst bestärken. Anscheinend wird diese Formselbstreferenzieller Kommunikation von diesen selbst als unbefriedigend empfunden.Neben öffentlichen Foren zum Thema Urheberrecht finden sich auch teilöffentlicheFormate, die eher der internetgestützten Expertendiskussion dienen. Diese konntenim Rahmen der Studie aber nur am Rand betrachtet werden. Grundsätzlich für einebreite Öffentlichkeit zugänglich, scheinen die Einstiegsbarrieren dieser Angeboteallerdings sehr hoch zu sein. Das subjektiv wahrgenommene Niveau der Diskurseist weitaus höher als das in den öffentlichen Diskursräumen wahrgenommene.

Insgesamt stimmen viele befragte Nutzer und Experten überein, dass weitere Kom-munikationsangebote lohnend wären, wenn eine ausreichend qualitative Betreuungder Angebote gewährleistet werden könnte. Gewünscht wird dabei neben Neutralitätauch eine Möglichkeit, einen Austausch zwischen den verschiedenen Meinungenherzustellen, der nachvollziehbar und transparent ist.

Die Möglichkeit zur Mobilisierung und politischen Aktivierung durch kampagnen-artige Unterschriftensammlungen, Petitionen oder Umfragen zum Thema wirdvorwiegend von NGOs genutzt. Gerade hier wird die hohe Bereitschaft der urhe-berrechtskritischen Nutzer deutlich, sich an regierungs- und unterhaltungsindustrie-kritischen Kampagnen zu beteiligen.

Das insgesamt bemerkenswerteste Ergebnis der Untersuchung ist, dass deutlicheHinweise auf die Existenz einer eigenständigen, von massenmedialer Vermittlungweitgehend unabhängigen politischen Teilöffentlichkeit im Netz existieren. Wenndies auch im Wesentlichen der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass bei der The-matik »Urheberrecht und Privatkopie« das Internet selbst eine wichtige Rolle spielt,so ist dennoch nicht auszuschließen, dass sich solche Teilöffentlichkeiten bei ent-sprechender Betroffenheit aktiver Internetnutzer auch um andere politische Themenherum bilden. Auch wenn im vorliegenden Fall Kritik an der Qualität der im Netzstattfindenden Debatten geäußert wird, zeigt sich doch, dass zum einen die Mög-lichkeit verbesserter Selbstdarstellung und Artikulation für zivilgesellschaftlicheInitiativen und zum anderen die interaktiven Möglichkeiten des Netzes – obwohlnoch in vergleichsweise geringem Umfang genutzt – zur Formierung von Interessen-gemeinschaften und z.T. auch zur politischen Mobilisierung solcher Gemeinschaftenbeitragen können. Ein bereits bestehendes, von einem bestimmtem Publikum ge-nutztes und anerkanntes Informationsportal (wie in diesem Fall www.heise.de) magsolche Prozesse befördern. Erkennbar ist auch die durch die Struktur der Netz-

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kommunikation gegebene Möglichkeit oder Gefahr der Abschottung von Kommu-nikationsgemeinschaften bzw. der Fragmentierung einer allgemeinen Öffentlichkeitin kaum noch miteinander verbundene Teilöffentlichkeiten. Eine solche partielleAbschottung ist natürlich einerseits Bedingung der Möglichkeit der Ausbildung vonKommunikationsräumen für gruppenspezifische Anliegen. Andererseits wäre abereine – im vorliegenden Fall so nicht bestehende – vollständige Abkopplung vonmassenmedial vermittelten allgemein öffentlichen Diskursen nicht unproblematisch.Wie die Äußerungen von vielen der befragten Internetnutzer zeigen, wird das Fehlenvon »Links« zu staatlichen Institutionen und den dort ablaufenden Prozessen derMeinungsbildung und Entscheidungsfindung zum Thema Urheberrecht als Defizitwahrgenommen. Dies ließe sich auch als Hinweis darauf lesen, dass mit zunehmen-der Verbreitung von Netzkommunikation Regierung und Parlament vor die Her-ausforderung gestellt sein könnten, für sich eine aktive Rolle in verschiedenen poli-tischen Netzöffentlichkeiten als Förderer von Debatten, als Moderator (siehe denartikulierten Bedarf an Qualitätssicherung) wie auch als Teilnehmer zu finden (s.a.die neueren Webangebote des BMJ zum Thema; Kap. IV.3.1).

POLITISCHE ÖFFENTLICHKEIT IM INTERNET – DER DISKURSÜBER GENTECHNISCH VERÄNDERTE NAHRUNGSMITTEL 3.2

Im Fallbeispiel »Genfood« sollte – anders als für das Urheberrecht – der unüber-sichtliche Kommunikationsraum Internet aus der Perspektive eines Internetnutzersrekonstruiert werden, der sich mittels unaufwändiger Suchmaschinenrecherchen in-formieren möchte. Die Untersuchung, deren wesentliche Ergebnisse im Folgendenzusammengefasst werden, geht von folgenden Hypothesen aus (Rucht et al. 2004,S. 10):

> Diskurse im Internet zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine größere Bandbreitevon Sprechern bzw. Akteuren einschließen sowie einen höheren Anteil an kleinenund ressourcenschwachen Akteuren aufweisen. In diesem Sinne begünstigen sie– relativ zu Diskursen in Zeitungen – in stärkerem Maße die zivilgesellschaft-lichen Akteure der »politischen Peripherie«.

> Diskurse im Internet enthalten in ihrer Gesamtheit ein breiteres argumentativesSpektrum. Allerdings sind aufgrund weitgehend abwesender journalistischer Kri-terien und Kontrollen die einzelnen Texte stärker parteilich und repräsentierensomit auch weniger die Argumente der jeweiligen Gegenseite. Entsprechend ent-halten sie auch mehr auf Mobilisierungen ausgerichtete Elemente (z.B. Protest-aufrufe).

> Diskurse im Internet weisen eine stärker interaktive, verzweigte und dezentraleKommunikationsstruktur auf.

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

Das Thema »gentechnisch veränderte Nahrungsmittel« wurde ausgewählt, weil essich hierbei um ein seit vielen Jahren auf nationaler und internationaler Ebene kon-trovers diskutiertes Thema handelt, zu dem sich eine große Zahl von Akteuren vonRegierungsstellen und politische Parteien über wissenschaftliche Organisationen unddie Industrie bis hin zu NGOs und Bürgerinitiativen zu Wort melden. Es ist also einweit gefächertes Akteursspektrum vorhanden. Zudem hatte das Thema »Genfood«im Untersuchungszeitraum durch die Diskussion um eine Kennzeichnungspflicht fürgentechnisch veränderte Nahrungsmittel und die Umsetzung von EU-Vorgaben zurRegulierung des Anbaus gentechnisch veränderter Nahrungsmittel in deutschesRecht genügend Aktualität, die es erwarten ließ, in Presse und Netz auch ausreichendaktuelles Material in Form von Artikeln und Stellungnahmen zu finden.

METHODE

Zur Erfassung des Diskurses über »Genfood« wurden drei Analyseebenen gewählt.Es wurde zunächst eine Stichprobe thematisch relevanter Texte sowohl aus demInternet als auch aus der Presse inhaltsanalytisch untersucht. Zweitens wurde ver-sucht, die Kommunikationsstrukturen zum Thema »Genfood« im Netz durch dieVerknüpfung der aufgefundenen Internetangebote untereinander (Hyperlinks) nach-zuzeichnen. Drittens wurden schließlich ausgewählte Websites hinsichtlich der an-gebotenen kommunikativen Formate und insbesondere der angebotenen interak-tiven Kommunikationsmöglichkeiten bewertet.

INHALTSANALYSE VON TEXTEN IM INTERNET UND IN MASSENMEDIEN

Die Inhaltsanalyse von Texten in beiden Gattungen richtete sich in erster Linie aufeine Identifikation und Klassifizierung der Anbieter der Texte, der in den Texten alsHandelnde oder Sprecher erwähnten Akteure, der angesprochenen Themen sowieder vorgebrachten Forderungen, Positionen und Argumente. Hierzu wurden diethematisch einschlägigen Texte erfasst, die im Zeitraum vom 24. Mai bis zum 03.August 2004 in den folgenden Zeitungen bzw. Zeitschriften erschienen: Frankfur-ter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Tageszeitung, Die Welt, Bild,Der Spiegel, Focus und Die Zeit. Die Mehrzahl der zur Analyse herangezogenen148 Artikel erschien von Ende Mai bis Ende Juni. In diesen Zeitraum fielen folgendefür die öffentliche Diskussion des Themas »Genfood« relevanten Ereignisse:

> die Androhung einer Klage gegen die Regierung von Sachsen-Anhalt durchGreenpeace, um die Veröffentlichung von geheim gehaltenen Versuchsfeldernzum Anbau von gentechnisch verändertem Mais durchzusetzen (24. Mai),

> die Diskussion und Verabschiedung der Novelle des Gentechnikgesetzes durchden Deutschen Bundestag (18. Juni) sowie

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> die Entscheidung in einem Rechtsstreit über angebliche Bestandteile gentechnischveränderter Futtermittel in Produkten der Unternehmensgruppe Theo Müller(»Müller Milch«) zwischen besagtem Unternehmen und Greenpeace (zuunguns-ten der Klägerin Greenpeace) (23. Juni).

Während bei der Analyse der massenmedialen Texte eine Kompletterfassung der (inden berücksichtigten Zeitungen) publizierten Texte erfolgen konnte, war ein ent-sprechendes Vorgehen für die im Netz verfügbaren Texte zum Thema nicht möglich.

Hier wurde jeweils am 21. Juni 2004 und am 03. August 2004 eine Internetrecher-che mittels »Google« durchgeführt. Dabei wurden verschiedene für das Thema»Genfood« einschlägige Suchworte bzw. Suchwortkombinationen eingegeben undin den entsprechenden Suchergebnislisten nach einschlägigen Artikeln gesucht. Zielwar es, insgesamt 120 einschlägige Texte für die Analyse zu identifizieren. Um fürjede der sechs Suchwortkombinationen zehn einschlägige Texte zu erhalten, musste,beginnend mit dem ersten Eintrag der Suchergebnisliste, durchschnittlich bis zum15. Eintrag vorgegangen werden. Knapp 35 % der Suchergebnisbeiträge hatten kei-nen hinreichenden Bezug zum Thema »Genfood«. Insgesamt wurden so 119 Texteidentifiziert und in die Analyse einbezogen. Auf diese Weise sollte die Suchstrategieeines Internetnutzers simuliert werden, der sich der populärsten Suchmaschine intypischer Weise bedient, also nur Ergebnisse zur Kenntnis nimmt, die auf den vor-deren Plätzen stehen.

Damit wurden die Informationsmöglichkeiten zum Thema außen vorgelassen, diesich im Netz für Nutzer ergeben, die keine Suchmaschinen verwenden – und statt-dessen z.B. ihre Netznutzung auf einzelne Portale beschränken, auf Onlineangeboteetablierter Massenmedien zurückgreifen oder – insbesondere im Fall eines starkenInteresses an der Thematik – gezielt Informationen auf einschlägigen Seiten ihnenbekannter NGOs oder staatlicher Stellen suchen. Es wurde somit ein besonderesCharakteristikum der Informationsmöglichkeiten im Netz fokussiert, nämlich dieschnelle und unaufwändige Recherche mittels der populärsten Suchmaschine.

HYPERLINKANALYSE

Der öffentliche Raum im Internet wird auch durch die Verknüpfung verschiedenerAngebote und Texte durch so genannte Hyperlinks für den Nutzer strukturiert.Durch Links, die auf andere Texte bzw. andere Anbieter im Internet verweisen,werden sozusagen »Wegweiser« durch die Unübersichtlichkeit des Netzes angeboten.Die zentrale Fragestellung der Hyperlinkanalyse war: Welche Akteure (sog. Aus-gangsakteure) verweisen auf ihren Websites auf welche anderen Akteure (»Zielak-teure«) und treten somit, ähnlich wie Journalisten, die Akteure oder Informations-quellen direkt oder indirekt zitieren, als »gatekeepers« auf? Dazu wurden auf derBasis der Textanalyse zunächst relevante Anbieter von Informationen zum Thema

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

»Genfood« identifiziert. Als solche wurden diejenigen Akteure definiert, die bei denersten Suchläufen am 21. Mai 2004 unter den ersten fünf Treffern in der Ergebnis-liste der Suchmaschine auftauchten. Auf diese Weise wurden 17 Akteure identifiziert(siehe Liste, Tab. 7 am Ende des Kapitels), deren Websites nach Hyperlinks (Ver-weise auf externe Seiten, nicht auf andere Texte im selben Angebot) durchsucht wur-den. Aus der Gesamtzahl von über 300.000 identifizierten Links wurden diejenigenausgefiltert, auf die von mindestens drei Websites der Ausgangsakteure verwiesenwurde, und die einen engen Bezug zum Thema »Genfood« aufwiesen. Auf dieseWeise wurden 69 Akteure identifiziert, auf die 244 Hyperlinks entfielen. Weiterhinwurden die Verlinkungen zwischen den »Ausgangsakteuren« erfasst.41 Neben demGrad der kommunikativen Dichte und den Akteursallianzen können so auch domi-nante und periphere Positionen einzelner Akteure innerhalb eines allerdings kleinen(und aufgrund der dargelegten Suchstrategie: speziellen) Ausschnitts des Onlinedis-kurses identifiziert werden.

WEBSITES-ANALYSE

Um mögliche Auswirkungen auf die Gestaltungs- und Interaktionsmöglichkeitenvon Individuen und Gruppen wie auch auf die generelle Qualität des politischenDiskurses zu erfassen, wurden die Websites von 27 Akteuren, die auf der Basis derTextrecherche bzw. der Hyperlinkanalyse als besonders relevant erschienen, aufformale und inhaltliche Gestaltungsmerkmale untersucht. Bei der Analyse der Web-sites stand im Vordergrund, wer zu den zentralen Anbietern zum Thema »Genfood«zählt, welche Positionen diese Anbieter zu »Genfood« einnehmen und wo sie ver-ortet sind. Hier ließ sich zusätzlich zur Erfassung von Akteuren in der Textanalyseprüfen, ob im Netz zum Thema »Genfood« ein relativ breites Spektrum vonAkteuren und Positionen vorhanden war. Daneben waren aber vor allem dieFormate auf den untersuchten Websites von Interesse. Welchen Stellenwert habeninteraktive Formate, Selbstdarstellungen politischer Akteure oder solche Formate,die ein breiteres Publikum zu politischen Handlungen mobilisieren wollen? Sind imInternet tatsächlich andere Formen der politischen Kommunikation zu erkennen,die nicht den üblichen journalistischen Kriterien unterliegen?

41 Von den 17 Ausgangsakteuren wurden nur 13 in die Analyse einbezogen. Vier fielen heraus, daihr Angebot nicht auf einen der identifizierten Zielakteure (mit mindestens drei Links) verwiesoder sich die angebotenen Links als thematisch nicht einschlägig erwiesen.

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ERGEBNISSE

HYPOTHESE I: AKTEURSSPEKTRUM

Das Internet wird vielfach als ein Kommunikationsmedium bezeichnet, das zivilge-sellschaftlichen Akteuren neue Möglichkeiten der politischen Artikulation bietet.Wenn diese These (Kap. III) zutrifft, dann müssten die im Internet aufgefundenenWebsites und Textangebote sich gegenüber der Presseberichterstattung durch dieRepräsentanz einer größeren Bandbreite von Sprechern bzw. Akteuren bzw. einenhöheren Anteil an kleinen und ressourcenschwachen Akteuren auszeichnen. Dieslässt sich in Bezug auf die durchgeführte Textanalyse durch die Frage nach den inden untersuchten Internet- bzw. Pressetexten vorwiegend zu Wort kommendenAkteuren überprüfen. Hierbei ist nach dem Spektrum der Anbieter von Texten zufragen, aber auch nach dem Spektrum von Akteuren, auf die in den Texten verwie-sen wird bzw. die hier zu Wort kommen. Was die Anbieter von Texten angeht, sosind dies im Falle der Presseanalyse die Zeitungen selbst. Im Falle der Internetana-lyse bieten sich die Anbieter an, deren Texte von der führenden Suchmaschine»Google« hoch eingestuft werden. Ein direkter Vergleich zwischen massenmedialerund Internetöffentlichkeit ist also auf dieser Ebene nicht möglich. Aussagekräftig istsomit allein die Verteilung der Anbieter von Internettexten zum Thema »Genfood«(siehe Tab. 1).

TAB. 1 ANBIETER DER INTERNETTEXTE NACH AKTEURSKATEGORIEN

Häufigkeit in %

Staat und Parteien 23 19

sozioökonomische Interessengruppen 4 3

Zivilgesellschaft, non-profit 29 24

Medien 61 51

sonstige 2 2

gesamt 119 100

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 30

Auffällig ist zunächst die Dominanz der Akteurskategorie »Medien« auch im Inter-net. Die Mehrzahl der Texte (51 %) zum Thema »Gentechnisch veränderte Nah-rungsmittel« stammt auch im Internet (jedenfalls in dem durch die dargelegte Such-strategie eröffneten Teilbereich des Gesamtangebots) von Medienanbietern. Die

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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gerade in Bezug auf das Angebot politischer Inhalte im Netz vielfach vertreteneThese von der Dominanz der Massenmedien im Internet scheint sich also in diesemFall zu bestätigen. Die Dominanz der Massenmedien wird allerdings dadurch etwasrelativiert, dass 34,5 % der Texte, die der Anbieterkategorie »Medien« zugeordnetsind, tatsächlich von reinen Internetmedien – also Portalen, die nicht von Presse-oder TV-Unternehmen betrieben werden – stammen. Die Tatsache, dass die nachden Medien zweithäufigste vertretene Kategorie zivilgesellschaftliche Akteure undNon-Profit-Organisationen sind – noch vor etablierten politischen Institutionen undOrganisationen (Staat und Parteien), und deutlich vor Industrie und privatwirt-schaftlichen Organisationen (sozioökonomische Interessengruppen) – unterstütztallerdings die These, dass das Internet als politischer Raum gerade unterrepräsen-tierten Gruppen bessere Artikulationsmöglichkeiten verschafft. Relativierend istaber festzuhalten, dass es sich bei den identifizierten zivilgesellschaftlichen Akteu-ren z.T. ebenfalls um durchaus ressourcenstarke und organisierte Akteure wie z.B.Greenpeace handelt. Einzelpersonen oder lose organisierte Gruppen von Einzelper-sonen machen einen Anteil von 12 % der identifizierten Anbieter aus. Interessantist auch, dass zwar mit dem Bundesinstitut für Risikoforschung ein zentraler staat-licher Akteur prominent als Anbieter von mindesten drei Texten, die beim erstenDownload unter den ersten fünf Suchergebnissen erschienen, vertreten ist (Tab. 7am Ende des Kapitels). Bemerkenswerterweise sind aber weder die Bundesregierung(z.B. das BMVEL) noch einzelne Politiker oder Bundestagsabgeordnete mit ihrenWebauftritten in der Liste der Anbieter von durch Google identifizierten Texten ver-treten, obwohl doch in den Erhebungszeitraum eine intensive politische Debatte umdie Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht fällt.

Vergleicht man das Spektrum der in den Internettexten und den Pressetexten alsSprecher oder Handelnde erwähnten Akteure, zeigt sich kein signifikanter Unter-schied. Anders als bei den Anbietern spielen staatliche Akteure als Sprecher oderHandelnde auch im Internet eine deutlich wichtigere Rolle (d.h. sie kommen häufigervor) als zivilgesellschaftliche Akteure. Auch sozioökonomische Interessengruppen(Industrieverbände, Unternehmen) sind häufiger vertreten. ZivilgesellschaftlicheAkteure kommen in den Internet- und den Zeitungstexten annähernd gleich häufigvor. Allerdings ergibt eine Aufschlüsselung der zivilgesellschaftlichen Akteure, dassdas Spektrum der Akteure in den Internettexten breiter ist. Anders als in den Zei-tungen kommen im Netz auch Kirchen sowie Gesundheits- und Verbraucherschutz-verbände vor.

Die These, dass der politisch öffentliche Raum des Internets weitaus internationaler(globaler) sei als die massenmedial repräsentierte Öffentlichkeit, wird von der Ana-lyse der geografischen Verortung der erwähnten Akteure tendenziell bestätigt. Schonbei den durch die (deutschsprachige) Google-Recherche gefundenen Texten entfallenimmerhin rund 26 % auf Anbieter aus dem Ausland bzw. auf Akteure, die interna-

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tionalen Organisationen zuzurechnen sind (EU oder UN). Deutlicher – auch im Ver-gleich zur Presseberichterstattung – wird die internationale Ausrichtung des Internetsbei der Analyse der in den Texten angesprochenen Akteure. Während in der Zei-tungsberichterstattung die genannten Akteure deutlich überwiegend aus Deutschlandkommen (71,5 %), stellen solche in den Internettexten nur einen Anteil von 27,9 %.Im Internet sind es überwiegend ausländische und internationale Akteure, die ge-nannt werden. Den größten Anteil der Sprecher in den Internettexten machen Ak-teure aus dem Ausland aus (39,3 %; gegenüber 14,8 % in den Pressetexten). Danebenspielen insbesondere Akteure aus dem Kontext EU eine herausragende Rolle in denInternettexten (27,4 %; gegenüber 10,6 % in der Zeitungsberichterstattung).

TAB. 2 HYPERLINKSTRUKTUR NACH HERKUNFTSLÄNDERN (IN %)

Zielakteure

Ausgangs- AT BE CH DE UK USA Europa EU inter- gesamt gesamtakteure national* % N

DE 2 2 1 52 6 5 5 10 18 100 102

EU 0 25 0 0 0 25 0 25 25 100 4

AT 23 2 4 28 7 7 2 11 16 100 138

gesamt % 14 2 2 37 7 7 3 11 17 100

gesamt N 34 6 6 91 16 16 8 26 41 244

* Die Kategorie »international« bezieht sich auf alle internationalen Ebenen außerhalb Europas.

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 75

Die größere Bedeutung ausländischer und internationaler Akteure im Kommunika-tionsraum Internet bestätigt auch die Hyperlinkanalyse (s. Tab. 2). Knapp zwei Drit-tel der identifizierten Hyperlinks, die von insgesamt 13 bei der Textrecherche alszentral identifizierten Akteuren ausgehen (neun aus Deutschland, drei aus Öster-reich und eine EU-Organisation), verweisen auf Websites ausländischer Akteure.Von den Websites der neun deutschen Akteure, die als Ausgangspunkt der Link-analyse ausgewählt wurden, weisen immerhin 46 % der Links auf die Websites vonAkteuren aus dem nicht deutschsprachigen Ausland bzw. auf die Websites interna-tionaler Organisationen (z.B. EU). Auch wenn Hyperlinks zunächst nur ein Ange-bot zur Kommunikation und Information darstellen, ist dennoch deutlich, »[...] dassder kommunikative Raum, den zentrale Akteure in Bezug auf das Thema ‘Genfood’durch Hyperlinks zu anderen Akteuren bilden, durchaus Potenziale einer grenzüber-schreitenden Information und Kommunikation bietet« (Rucht et al. 2004, S. 79).

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HYPOTHESE II: SPEKTRUM DER REPRÄSENTIERTEN ARGUMENTEUND POSITIONEN

Verbunden mit der These der Repräsentanz eines breiteren Spektrums an politischenAkteuren im Netz ist die Erwartung, dass hier im Vergleich zu den Massenmedienauch ein breiteres Spektrum von Positionen und Argumenten vertreten ist. Das Netzsollte offener sein auch für randständige Themen und Positionen. Zudem wird er-wartet, dass auch ein breiteres Spektrum kommunikativer bzw. textlicher Formateim Internet vertreten ist. Zumindest bei umstrittenen Themen (wie »Genfood«) istzu vermuten, dass das Netz nicht allein als Plattform für »Information« und»Meinung« fungiert, sondern auch als Medium der »Mobilisierung« (Aufrufe zuAktionen).

Wie die Auswertung der in der Recherche zum Thema »Genfood« gefundenen Textezeigt, stehen dem Internetnutzer bei Wahl der dargelegten Suchstrategie in der TatTextformate wie Expertisen, Gesetzestexte und auch Selbstdarstellungen und Posi-tionspapiere von Akteuren zur Verfügung. Zumindest aber der Zugriff über eineSuchmaschine (s. Tab. 3) führt überwiegend zu Hintergrundartikeln und Nachrich-ten, also zu typischen journalistischen Textformen, während andere Formen zwarerscheinen, aber doch in einem vergleichsweise geringen Umfang. So führte dieSuchmaschinenrecherche nur zu zwei Treffern der Textsorte »Nutzerbeiträge«, al-so zu einem – dem Internet als Spezifikum zugeschriebenen – interaktiven Format.Immerhin machte die Textsorte »Positionspapier/Programmatik« noch 9,2 % dergefundenen Texte aus. Es wurde aber nur ein Text gefunden der dem Format »Pro-testaufruf« zuzuschreiben war. Auf der Ebene der Textanalyse lässt sich somit dieThese einer signifikanten Häufigkeit der Nutzung des Internets als Medium der po-litischen »Mobilisierung« nicht bestätigen (ein Eindruck, der durch die Websites-Analyse [s.u.] relativiert wird).

Festzuhalten ist die offensichtliche Bedeutung des Netzes als Raum der Selbstdar-stellung (Positionen, Organisationsformen, Arbeitsfelder und Arbeitsweise) ver-schiedener Akteure, die in dieser Form in der massenmedialen Kommunikationnicht möglich ist.

Eine Analyse der Formen politischer Stellungnahme oder politischen Handelns,über die in den Texten selbst berichtet wird, zeigt keine signifikanten Unterschiedezwischen Netzkommunikation und Presseberichterstattung. Verbale Stellungnahmen,d.h. Zitate oder Berichte über von verschiedenen Akteuren artikulierte Meinungen,Positionen etc. machen das Gros in beiden Medien aus, gefolgt von Berichten über»staatliche Entscheidungen«, etwa zur Kennzeichnungspflicht bei gentechnisch ver-änderten Lebensmitteln, oder zur Ausgestaltung der rechtlichen Regelung für dieFreisetzung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen in Deutschland – Themen, dieim Untersuchungszeitraum die politische Diskussion dominierten. Verweise auf

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

Protestformen wie Flugblatt, Besetzung, Blockade und Boykott fanden sich in denInternettexten keine, während solche Formen politischer Aktion in der Pressebe-richterstattung immerhin Erwähnung fanden.

TAB. 3 TEXTTYPEN IM INTERNET UND IN DEN ZEITUNGEN

Internet ZeitungenAnzahl in % Anzahl in %

Kommentar 2 1,7 18 12,2

Hintergrundartikel/Infomaterial 52 43,7 57 38,5

Nachrichten 34 28,6 46 31,1

Interview 4 2,7

Leserbriefe/Nutzerbeiträge 2 1,7 20 13,5

Positionspapier, Programmatik 11 9,2

Protestaufruf 1 0,8

Pressemitteilung 3 2,5

Forschung, Expertisen 2 1,7

Lehre 6 5,0

Gesetze und Verordnungen 3 2,5

Sonstige 3 2,5 3 2,0

gesamt 119 100 148 100

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 36

Deutliche Unterschiede fanden sich dagegen hinsichtlich der Unterthemen (oderKontexte), mit denen das Gesamtthema »Genfood« in Verbindung gebracht wurde.Sowohl bei den Internettexten wie bei den Zeitungstexten spielt in der Auseinan-dersetzung mit dem Thema der Aspekt »staatliche Regulierung« die wichtigste Rolle(39,1 % Internet, 37,2 % Zeitungen). Auch wenn der Aspekt Verbraucherschutz inder Presseberichterstattung (17 %) häufiger eine Rolle spielt als in den Internettex-ten, weist der Anteil von 22,1 % der Internettexte (versus 13,5 % der Presseartikel),die sich mit dem Thema Gesundheit, Ökologie und Soziales im Kontext der »Gen-food«-Debatte befassen, auf eine stärkere Betonung der genfoodkritischen Risiko-aspekte hin. Die wird auch durch eine Bewertung der in den Texten vorherrschendenTendenz bestätigt. Die untersuchten Texte im Internet beurteilen das Thema »Gen-food« wesentlich häufiger negativ (51 %) als die zum Vergleich herangezogenenZeitungsartikel (42 %). Gleichzeitig berichten die Zeitungsartikel häufiger positiv(24 %) und häufiger ambivalent (13 %) über das Thema als die Internettexte (18 %

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

bzw. 8 %). Keine oder eine neutrale Position vertrat in beiden Mediengattungenetwas mehr als ein Fünftel der Texte (Internet: 23 %, Zeitungen: 21 %).

Die weitere Analyse der in den einzelnen Texten jeweils vorkommenden Stellung-nahmen pro oder kontra »Genfood« zeigt dann deutlich, dass im Netz stärkerpolarisiert wird als in der Presseberichterstattung. Zwar wird auch die Pressebe-richterstattung stark von der Tendenz des jeweiligen Organs geprägt. So ist z.B. dieBerichterstattung zu »Genfood« in der »TAZ« überwiegend negativ und in der»Welt« überwiegend positiv. Innerhalb der jeweils in der Tendenz positiven odernegativen Artikel finden sich dann aber oft auch zur Tendenz des Artikels gegen-läufige Positionen oder Argumente wieder. Das journalistische Format sorgt also füreine, wenn nicht ausgewogene, so aber doch Pro- und Kontra-Argumente berück-sichtigende Berichterstattung. Dies trifft für die im Netz aufgefundenen Texte nichtim gleichen Maße zu.

Die Zahl gefundener positiv bzw. negativ gestimmter Texte hängt von der eingege-benen Suchwortkombination ab (s. Tab. 4): Bei Suchwortkombinationen mit »Gen-food« oder »genmanipuliert« werden deutlich mehr negativ gestimmte Texte (68 %)gefunden, bei Suchwortkombinationen mit »gentechnisch«, »genetisch« oder »gen-verändert« beträgt der Anteil negativer Texte 33 % und es überwiegen Texte, diegentechnisch veränderte Nahrungsmittel eher positiv beurteilen (40 %). DieSuchstrategie bestimmt also in diesem Fall, welche Tendenz das erschlossene Ange-bot aufweist. Personen, die mit dem eher abwertenden Suchbegriff »genmanipu-liert« recherchieren, eröffnet sich ein Informationsangebot, das offensichtlich vongentechnikkritischen Anbietern und Texten dominiert ist, während sich dem mitdem eher neutralen Begriff »genverändert« operierenden Nutzer ein – bezüglich derBewertung von »Genfood« – deutlich anderes Informationsangebot (eine »andereÖffentlichkeit«) erschließt.

Insgesamt entsteht so der Eindruck, dass die politische Kommunikation zum Thema»Genfood« im Internet sich doch deutlich entlang politischer Positionen strukturiert.Wenn auch nicht unbedingt davon gesprochen werden kann, dass auf den perSuchmaschine aufgefundenen Websites ein im Vergleich zur Presse eingeschränktesSpektrum von Positionen vertreten bzw. abgebildet ist, so hat es doch den Anschein,dass dort kritische Positionen stärker vertreten sind und weniger als in den journa-listisch geprägten Presseberichterstattungen Pro- und Kontra-Positionen nebenein-ander gestellt werden. Dies impliziert aber nicht unbedingt, dass im Vergleich zurPresse ein Verlust an argumentativer Qualität politischer Kommunikation zuguns-ten eines eher agitatorischen Stils vorherrschen würde. Eine Kategorisierung der inden einzelnen Texten aufgefundenen politischen Stellungnahmen danach, ob diesemit Gründen untermauert bzw. unbegründet wiedergegeben wurden, ergab keinensignifikanten Unterschied zum Medium »Zeitung« (s. Tab. 5).

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TAB. 4 TENDENZ DER UNTERTHEMEN NACH SUCHWORTKOMBINATIONEN UND ZEITUNGEN

positiv negativ ambi- neutral/ gesamtvalent keine

Tendenzin % in % in % in % Anzahl in %

Google-Suchen

»Genfood«, »genmanipulierte«, »genmanipulierte Lebensmittel« 22 68 3 7 357 100

»gentechnisch veränderte«, »genveränderte«, 40 33 9 18 277 100»genetisch veränderte«

gesamt 30 53 6 12 634 100

Zeitungen

FAZ 47 43 1 9 115 100

WELT 39 48 4 9 161 100

FR 31 54 4 11 54 100

SZ 36 54 2 8 101 100

TAZ 31 53 4 12 191 100

gesamt 37 51 3 10 622 100

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 45

TAB. 5 BEGRÜNDETE UND UNBEGRÜNDETE POLITISCHE STELLUNGNAHMEN

Internet ZeitungenAnzahl in % Anzahl in %

begründet 342 55,6 316 54,2

unbegründet 273 44,4 267 45,8

gültige gesamt 615 100 583 100

gesamt 634 635

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 48

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

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In gewisser Weise wird allerdings die These von der Segmentierung des öffentlichenRaums Internet durch dieses Ergebnis gestützt. Es ist ein breites Spektrum vonMeinungen und Positionen vertreten, die einzelnen Angebote sind aber für anderePositionen und Meinungen nur wenig durchlässig. Hinweise dafür gibt es auch ausder Hyperlinkanalyse (s. Tab. 6). Von den als Ausgangspunkt der Analyse gewähl-ten 13 Akteuren waren vier der Kategorie »staatliche Akteure«, vier der Kategorie»Zivilgesellschaft/NGO« und fünf der Kategorie »Medien« zuzuordnen. 56 % dervon diesen Akteuren ausgehenden Links verweisen auf die Websites staatlicher,27 % auf die Websites zivilgesellschaftlicher Gruppen und NGOs, nur 15 % auf dievon Medien (überwiegend Internetmedien). So gut wie nicht kommen Links zuAkteuren der Kategorie Wirtschaft/sozioökonomische Gruppen vor. Deutlich ist vorallem, dass es nur wenige Verbindungen zwischen den verschiedenen Akteurskate-gorien gibt. Staatliche Akteure verweisen vorwiegend auf staatliche Akteure, zivil-gesellschaftliche vorwiegend wiederum auf Akteure der gleichen Kategorie.

TAB. 6 HYPERLINKSTRUKTUR NACH AKTEURSKATEGORIEN (IN %)

Zielakteure

Ausgangsakteure staatliche Wirtschaft/ Zivilgesell- Medien gesamt % gesamt NAkteure/ sozioökon. schaft/Parteien Gruppen NGOs

staatliche Akteure 78 2 10 10 100 83

Zivilgesellschaft/NGOs 14 0 66 20 100 44

Medien 56 3 24 16 100 117

gesamt % 56 2 27 15 100

gesamt N 137 6 65 36 244

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 73

Das gleiche Bild eines eher segmentierten denn durchlässigen und offenen Kommu-nikationsraums zum Thema »Genfood« ergibt sich, wenn man die Quell- und Ziel-akteure der Links nach ihrer inhaltlichen Position unterscheidet. Von den (insgesamtsieben) Ausgangsakteuren, die negativ zu »Genfood« eingestellt sind, gehen 54 %der Links auf Websites von Akteuren, die selbst eine negative Haltung gegenübergentechnisch veränderten Nahrungsmitteln haben (nur 13 % auf Websites von po-sitiv eingestellten Akteuren). Von den Quellen, die der Kategorie »Zivilgesellschaft/

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3. POLITISCHE DEBATTEN IM NETZ

NGO« zugerechnet wurden, gehen 77 % der Links auf Websites von Akteuren mitnegativer Haltung zu »Genfood«.42

HYPOTHESE III: MODUS POLITISCHER KOMMUNIKATION

Bei der Textanalyse konnte die dem Internet oft zugeschriebene Qualität, Interakti-vität zu fördern, nicht bestätigt werden. Unter den aufgefundenen Textformatenspielten Wortmeldungen von Nutzern so gut wie keine Rolle. Weiteren Aufschlussin dieser Frage sollte die Analyse der Formate der aufgefundenen Webauftritte selbsterbringen (also nicht der durch die Suchmaschine aufgefundenen einzelnen Texte).Eine Einordnung der von den ausgewählten 27 Websites angebotenen Formate indie Kategorien Information, Selbstdarstellung, Mobilisierung und Diskussions-forum bestätigte den schon durch die Textanalyse gewonnenen Eindruck, dass derKommunikationsmodus Information überwiegt (25 der 27 Websites) und dassdaneben die Akteure das Netz vor allem zur Selbstdarstellung, d.h. zur Präsentationder eigenen Aktivitäten, Programme oder Positionen nutzen (19 der untersuchtenWebsites wiesen entsprechende Formate auf). Immerhin zehn Websites enthieltenInhalte, die der Kategorie »Mobilisierung« zuzuordnen sind, in denen also derNutzer zu einer Form politischer Aktivität (politische Stellungnahme oder politischesHandeln) aufgefordert wird. Dieses Format fand sich vorwiegend auf Websites vonzivilgesellschaftlichen Akteuren (unterschiedliche Gruppen von Greenpeace stelltenallein sechs dieser Websites). Das Angebot an Nutzer, selbst Beiträge als Autor aufder Website zu veröffentlichen, fand sich nur bei vier der ausgewählten Internet-angebote.

Die Besonderheit des Internets als Raum politischer Kommunikation wird oft anden Möglichkeiten der Many-to-many-Kommunikation festgemacht, da hier die inder massenmedialen Kommunikation bestehende Asymmetrie von wenigen Sendernund vielen Empfängern tendenziell aufgehoben ist. Dies ist z.B. dadurch gewährleis-tet, dass Nutzern die Möglichkeit eröffnet wird, Texte als Autoren auf einer Web-site zu publizieren. Entsprechende Angebote (wie Diskussionsforen, Weblogs undChats) fanden sich bei fünf der untersuchten Websites. Dabei handelte es sich in dreiFällen um Internetportale und in zwei Fällen um Portale zivilgesellschaftlicher Ak-teure. Häufiger fanden sich interaktive Many-to-one-Angebote, wie z.B. Formulare,mittels derer jeder Nutzer Fragen an den Anbieter der Website richten kann, oderauch Onlinepostkartenaktionen, bei denen Nutzer eine Mitteilung an politischeEntscheidungsträger verschicken können. Während sich bei sieben der neun zivil-gesellschaftlichen Akteure und fünf der sechs Internetportale interaktive Angebotedieser Art fanden, waren es bei den staatlichen Akteuren nur vier von elf.

42 Nur ein Akteur, der zu den 13 ausgewählten Quellen gehört, ist gegenüber Genfood positiveingestellt, daher können bezüglich dieser Kategorie keine validen Schlüsse gezogen werden.

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Die Möglichkeit, über das Internet direkt zu politischem Handeln aufzufordern(Mobilisierung), wie auch das interaktive Potenzial des Netzes als Plattform fürpolitische Diskussion werden also durchaus genutzt. In erster Linie geht es aber –ähnlich wie bei Zeitungen – auch bei den untersuchten Websites darum, einembreiten Nutzerkreis Informationen über das Thema »Genfood« anzubieten. Nebendiese Funktion tritt vor allem die Möglichkeit, die Arbeit und Ziele der eigenenOrganisation zu präsentieren. Auch eine Kategorisierung des »Stils« der Gesamt-Webpräsenzen erbrachte, dass die Mehrzahl der Websites, nämlich 15, durch einendeskriptiven oder verlautbarenden Kommunikationsstil geprägt ist. Weitere achtWebsites waren durch einen eher agitatorischen und polemisierenden Kommunika-tionsstil geprägt, während nur drei Websites als »diskursiv« eingestuft wurden.

Auch im Internet dominieren demnach also – bei den relativ leicht aufzufindendenWebsites – Interaktionen nach dem Muster »one to many«. Dennoch ist hier im Ver-gleich zu herkömmlichen Massenmedien die interaktive Qualität des Netzes deut-lich höher zu veranschlagen. Es besteht zumindest die Möglichkeit auch für die in-dividuellen Nutzer, ihre Positionen neben denen von organisationsstarken Akteurenzu platzieren: »Anders als in Zeitungen, die Themen und Sprecher rigoros filtern,stehen im Internet die Angebote großer und mächtiger Akteure gleichermaßen ne-ben denen von kleinen und schwachen Akteuren«, wenn auch eine deutlich höhereSichtbarkeit von auch in der Offlinekommunikation dominanten Akteuren gegebenist (Rucht et al. 2004, S. 94). Obwohl der Adressatenkreis, den große wie kleineAnbieter im Netz ansprechen, theoretisch eine riesige Zahl von Menschen ein-schließt, dürfte es – aufgrund des Selektionsmechanismus der Suchmaschinen undauch der Wahrnehmungsmuster der Nutzer – eher so sein, dass die Angebote ins-besondere der kleinen Akteure nur relativ wenige Adressaten erreichen.

FAZIT

Bei aller Vorsicht, die wegen der Begrenztheit des Ausschnitts aus der Internetkom-munikation, der durch die vorliegende Analyse erfasst wurde, geboten ist, lassensich doch einige Einsichten gewinnen, durch die gängige Annahmen zur politischenKommunikation im Netz teils bestätigt, teils relativiert werden. Ergebnisse der Text-und der Linkanalyse stützen die Annahme, dass sich im Netz ein breiteres Spektrumvon Akteuren breitenwirksam artikulieren kann als in der massenmedialen Öffent-lichkeit. Zwar dominieren »starke«, gut organisierte Akteure, aber neben solchenhaben doch auch Akteure, die kaum Zugang zur massenmedialen Öffentlichkeithaben, die Chance, im Netz wahrgenommen zu werden. Deutlich wird auch die imVergleich zur Presse ausgeprägte internationale oder grenzüberschreitende Aus-richtung der Netzkommunikation. Dem interessierten Nutzer wird durch Suchma-schinen und Hyperlinks (auch bei einer deutschsprachigen Suche) die Möglichkeit

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V. DAS INTERNET ALS RAUM POLITISCHER INFORMATION UND KOMMUNIKATION

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eröffnet, sich auch über die Positionen ausländischer und internationaler Akteuresowie auch zunehmend wichtiger transnationaler Regulierungsinstanzen (wie derEU) ein Bild zu machen.

Dass die Netzkommunikation von zivilgesellschaftlichen Akteuren dominiert wäre,lässt sich so hinsichtlich der untersuchten Websites nicht bestätigen. Deutlich istallerdings das Überwiegen eher kritischer Positionen zum Thema »Genfood«. Be-merkenswert ist auch, dass hier bei den Anbietern von Informationen zum Thema»Genfood« zivilgesellschaftliche Akteure durchaus eine Rolle spielen, während (ab-gesehen vom Bundesinstitut für Risikobewertung) Angebote der Bundesregierungoder von Parteien nicht aufgefunden wurden.

Bezüglich der argumentativen Qualität der recherchierten Texte ließ sich kein rele-vanter Unterschied zur Behandlung des Themas »Genfood« in der Presse feststel-len. Festhalten lässt sich, dass die Bandbreite von Texttypen und Formaten größerund das argumentative Spektrum zum Thema »Genfood« zumindest nicht enger istals in der Presseberichterstattung. Allerdings erschließt sich dieses Spektrum imInternet erst durch die Zusammenschau voneinander unabhängiger oder nur durchLinks verbundener Texte. Von vergleichsweise geringerer Bedeutung sind Texte, die,journalistischen Normen entsprechend, das Für und Wider von »Genfood« gegen-einander abwägen (wenngleich auch die klassischen journalistischen Formate dasGros der Texte ausmachen). Dagegen fanden sich bei der gewählten Suchstrategieim Internet eher Positionen zum Thema in authentischer Art und Weise – also vieleStellungnahmen, Dokumente etc. von Akteuren selbst und weniger Berichte übersolche Stellungnahmen. Das Internet erscheint hier demnach eher als ein Raum zurSelbstdarstellung und Verlautbarung als ein Mittel zur journalistischen Bericht-erstattung, wobei sich andererseits aber auch relativ wenige Texte finden ließen, dieausdrücklich zu politischem Handeln, zur Teilnahme an Kampagnen u.ä. aufriefen.Es lässt sich somit – im Sinne der Segmentierungsthese – durchaus vermuten, dasses netzbasierte Kommunikation stärker als die Rezeption der massenmedialenBerichterstattung erlaubt, nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem öffentlichenMeinungsspektrum wahrzunehmen bzw. (siehe den Effekt der Suchbegriffe) über-haupt erst aufzusuchen.

Es fällt auf der Basis der vorliegenden Untersuchung schwer, ein Urteil über dieBedeutung von interaktiven Angeboten, also eines neuen Modus politischer Kom-munikation im Netz zu fällen. Möglichkeiten von Many-to-one- und Many-to-many-Kommunikation wurden auf den untersuchten Websites durchaus aufgefun-den, sind aber offensichtlich auch bei ressourcenstarken NGOs und staatlichenAkteuren kein Standard. Um weitere Aussagen über die Bedeutung der interaktivenFormate machen zu können, wären Untersuchungen zur Intensität und Qualität derNutzung der aufgefundenen Angebote nötig, die im Rahmen dieser Studie nichtdurchgeführt werden konnten.

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TAB. 7 ANBIETER AUS DEM ERSTEN DOWNLOAD DER SUCHMASCHINENANALYSE*

höchster VorkommenRang N %

Biologische Bundesanstalt für Land- undForstwirtschaft 1 1 2Brainbows (Genfood.at) 1 3 5Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) 1 2 3Greenpeace Deutschland 1 2 3Paradisi.de 1 1 2Radio Eins Live (WDR) 1 2 3Bionet 2 1 2BIOPRO Baden-Württemberg GmbH 3 1 2FH Darmstadt, Studiengang Online-Journalismus 3 1 2Greenpeace, Gruppe Saar 3 1 2ORF Science 3 2 3Hauske, Thomas 4 1 2Bundesministerium für Gesundheit und Frauen(Österreich) 4 2 3Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. 4 2 3

Evangelischer Entwicklungsdienst 4 1 2Greenpeace, Koblenz 4 1 2Flensburg meint (Stadtbuch-Redaktion Flensbuch) 5 1 2Initiative zum Verbot genmanipulierter Nahrung 6 3 5Konrad-Adenauer-Stiftung 6 1 2Universität Mainz, DaF 6 1 2Vista Verde(Portal für Umwelt – Natur – Nachhaltigkeit) 6 2 3Bredtstedt im Internet 8 1 2FAZ 8 1 2

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz & Lebensmittelsicherheit 8 2 3NDR (Norddeutscher Rundfunk, Fernsehen) 8 2 3Telepolis – Magazin der Netzkultur 8 5 8Campaign to ban genetically engineered foods 9 3 5Wissenschaft.de 9 1 2TransGen – Transparenz für Gentechnikbei Lebensmittel 10 2 3

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WDR 10 2 3Scientificjournals (Portal für Fachzeitschriften) 11 1 2EUFIC, Europäisches Informationszentrumfür Lebensmittel 12 2 3Mannheimer Versicherung(Champ – Versicherungen für junge Leute) 12 1 2ZDF Heute 12 1 2MDR (Mitteldeutscher Rundfunk) 14 1 2Internationales Komitee der vierten Internationalen (World Socialist Website) 15 1 2Netzeitung.de 17 1 2www.gesundheit.de 21 1 2Kantonales Labor Zürich 22 1 2gesamt 61 100

* Alle Akteure, die innerhalb der Google-Ergebnisliste auf Rang 1 bis 5 vorkamen, sind grau unter-legt. Alle Akteure, die mindestens dreimal in der Textanalyse als Anbieter vorkamen, sind kursivgesetzt.

Quelle: Rucht et al. 2004, S. 59 f.

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SCHLUSSFOLGERUNGEN UNDHANDLUNGSOPTIONEN VI.

In der vorliegenden Untersuchung wurde die Bedeutung des Internets für demokra-tische Politik aus einer bestimmten normativen Perspektive heraus untersucht, diesich sowohl demokratietheoretisch begründen lässt (Kap. III) als auch dem interna-tionalen programmatischen Konsens zur »E-Demokratie« (Kap. IV) entspricht. Sieist in einem Konzept »digitaler Demokratie« enthalten, mit dem vor allem auf dieMöglichkeit abgestellt wird, die netzbasierte Kommunikation im Rahmen einerstärker responsiv und partizipativ ausgerichteten repräsentativen Demokratie zunutzen. Dieses Verständnis digitaler Demokratie ist vor allem durch die folgendenzwei Grundannahmen gekennzeichnet, nämlich dass

> durch das Internet eine Belebung bürgerschaftlichen Engagements und zivilge-sellschaftlicher politischer Beteiligung möglich ist, und

> das Internet erheblich dazu beitragen kann, einen engeren Austausch zwischenPolitik und Bürgern zu verwirklichen.

Anvisiert werden also zwar starke, aber eben nicht fundamentale Veränderungen derPolitik in demokratischen Gesellschaften, was im Gegensatz zu den Ambitionen derBefürworter direkter Demokratie steht. Kritisch hinterfragt wird aber auch die – seitdem Platzen der »New Economy«-Blase modisch gewordene – Einschätzung, dasInternet sei – nach einigen Turbulenzen in der Frühphase der Massenverbreitung –nahezu bruchlos in die bestehenden Strukturen politischer Öffentlichkeit integriertworden, habe politische Prozesse lediglich technisch modernisiert und werde auchin absehbarer Zukunft keine größeren Veränderungen in diesem Bereichen mit sichbringen.

Zwar ist tatsächlich kein fundamentaler Wandel im Sinne einer Systemveränderungfestzustellen. Auch weniger dramatische Prognosen waren offenkundig – zumindesthinsichtlich des Tempos vieler Entwicklungen – falsch. Im Wandel der kulturellenGrundlagen demokratischer Gesellschaften und politischer Öffentlichkeit, der zivil-gesellschaftlichen Nutzung des Internets wie auch im Bereich staatlicher Online-diskussionsangebote lassen sich aber Anzeichen dafür finden, dass Besonderheitennetzbasierter Kommunikation bereits Auswirkungen zeitigen und auch neue Fragenaufwerfen. Die sich – zum Teil rasant, zum Teil eher schleppend – vollziehende In-tegration des Internets in das politische Leben verläuft tatsächlich an vielen Stellenweder bruchlos noch unspektakulär. Kulturelle und politische Praktiken der Inter-netnutzung haben sich noch nicht verfestigt, viele Nutzungsweisen wirken vorläu-fig, unfertig oder dem Internet unangemessen. Die Veränderungen entsprechen aber

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keineswegs durchgängig den Hoffnungen, die mit dem Leitbild der »digitalen Demo-kratie« verbunden sind. Es überwiegen im Gegenteil – sowohl bei der praktischenRealisierung als auch grundsätzlich – offene Fragen und Anlässe zur Skepsis.

Durch die Nutzung massenmedial etablierter Formate in der netzbasierten Kommu-nikation und die – oft gewaltsam wirkende – Einpassung des Internets in bestehendeStrukturen und herkömmliche Verfahren hat das Netz selbst sich zweifellos starkverändert. In den diesbezüglichen Klagen z.B. vieler Internetpioniere und frühenNutzer wird aber die Komplexität des »hybriden Massenmediums« Internet ausge-blendet. Was für den Zeitzeugen, der die besonders experimentierfreudigen frühenJahre der Netzkultur miterlebt hat, wie eine irrelevante oder schlechte Kopie ver-gangener Praxis wirken mag, kann eben nicht nur für die Mehrzahl der heutigenNutzer etwas qualitativ Neues darstellen, sondern zudem auch (u.a. durch dieQuantität der Netzkommunikation im WWW) eine weit höhere politische undkulturelle Relevanz als frühe Experimente besitzen. Damit sollen Tendenzen derHabitualisierung in der individuellen Nutzung sowie der massenmedialen undkommerziellen Durchdringung der Inhalte nicht in Abrede gestellt werden. DieNetzöffentlichkeit hat sich aber auch in jüngerer Zeit nicht nur quantitativ fort-entwickelt – und dabei die Grenzen der alten Netzkultur tatsächlich weit über-schritten –, sondern auch an Traditionen aus den früheren Phasen angeknüpft oderin dieselbe Richtung zielende Innovationen hervorgebracht. Die Frage, inwieweitdiese netzkulturellen Traditionen und Neuerungen für die große Masse der Internet-nutzer relevant sind oder werden können, lässt sich pauschal nicht beantworten. Alsein übergreifendes und allgemeines Fazit dieser Untersuchung kann aber festge-halten werden, dass – aus der eingenommenen Perspektive digitaler Demokratieheraus – die Gesamtentwicklung weiterhin im Fluss und ergebnisoffen erscheint.Wohin sie führt, ist auch – und keineswegs zuletzt – eine Frage des politischenGestaltungswillens.

DAS INTERNET – EINE NEUE FORM POLITISCHERÖFFENTLICHKEIT? 1.

Zur Beschreibung und Bewertung des Internets als Raum politischer Kommunika-tion wird im Folgenden der Versuch unternommen, die allgemeinen Strukturen undMerkmale der durch das Internet konstituierten politischen Öffentlichkeit zu cha-rakterisieren. Dies erfolgt, soweit möglich, durch Verweise auf die oben referiertenErgebnisse der Forschung. Allerdings kann die eher theoretisch angeleitete Charak-terisierung nicht für sich in Anspruch nehmen, in allen Aspekten durch die oben imEinzelnen beschriebenen Befunde zur politischen Kommunikation im Netz gedecktzu sein, da die zur Verfügung stehende empirische Basis hierzu nicht ausreicht

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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Öffentlichkeit ist (und bleibt auf absehbare Zeit) in Massendemokratien im Wesent-lichen massenmedial vermittelte Öffentlichkeit. Schon die These eines Struktur-wandels der Öffentlichkeit (Habermas 1996) – nach der die Staatsbürger von aktivberatenden Teilnehmern am Politikprozess auf die Rolle eines zuschauenden undbloß akklamierenden Publikums reduziert werden – ist im Wesentlichen an dervermittelnden Rolle der Massenmedien festgemacht. Die hier angesprochenen»Verfallserscheinungen« setzen sich in der so genannten »Mediendemokratie« fort.Dabei wird in letzter Zeit auch verstärkt ein Bedeutungsverlust des nationalen Par-laments durch das Wechselspiel von Regierung, EU und Massenmedien konstatiert.

Trotz der unbestreitbaren zentralen Funktion der Massenmedien für die Herstellungvon Öffentlichkeit in modernen Demokratien und der damit verbundenen Konse-quenz einer Reduzierung von Öffentlichkeit auf die Vermittlung zwischen politi-schen Eliten hier und (akklamierendem) Publikum dort kann bezweifelt werden,dass Öffentlichkeit sich hierin erschöpft (Schmalz-Bruns 1995). Neben der massen-medial vermittelten Öffentlichkeit existieren durch zivilgesellschaftliche Gruppenkonstituierte Teilöffentlichkeiten, deren Bestreben es ist, ihre Themen und Anliegenauf der Agenda der allgemeinen politischen Öffentlichkeit zu platzieren, und diedurch Publikationen und Events selbst (teil)öffentliche Räume politischer Kommu-nikation schaffen (Schmalz-Bruns 1995). Öffentlichkeit lässt sich als komplexe,zwischen politischem System, Lebenswelt und spezialisierten Teilsystemen (Wirt-schaft, Wissenschaft etc.) vermittelnde Struktur bezeichnen, zu der episodische(Straßen-)Öffentlichkeit ebenso gehört wie veranstaltete Öffentlichkeit (von Partei-veranstaltungen oder Demonstrationen, Vereinsversammlungen etc.). Teil dieserStruktur ist eine Vielzahl zwar spezialisierter, aber füreinander durchlässiger unddem Laien durchaus prinzipiell zugänglicher Teilöffentlichkeiten (wie z.B. kirch-liche, künstlerische, feministische und sozial- oder wirtschaftspolitische) (Habermas1992b, Kettner 2004). Die massenmedial vermittelte Öffentlichkeit fungiert alsallgemeine Öffentlichkeit, auf die Akteure Einfluss zu nehmen versuchen, um ihreAnliegen als im allgemeinen Interesse liegend darstellen zu können. Dabei hängt esvon der Legitimität der Anliegen sowie den Machtressourcen der Akteure, aber auchvon den Selektionskriterien der Massenmedien – Nachrichtenwert von Ereignissen,vermutetes Publikumsinteresse etc. – ab, welche Akteure es als Sprecher und welcheAnliegen es als Thema auf die Bühne der allgemeinen Öffentlichkeit schaffen.

Das Internet hat bisher diese bestehenden Strukturen nicht wesentlich verändert.Nach wie vor und wohl auch weiterhin ist politische Öffentlichkeit ein durchMassenmedien vermittelter Raum politischer Kommunikation mit mehr oder weni-ger festgeschriebenen Rollen. Es ist aber darüber hinaus ein Potenzial des Internetszur Ergänzung dieser Strukturen, und in Ansätzen auch eine Realisierung diesesPotenzials zu erkennen. Befürchtungen bestehen hinsichtlich der Auswirkungen desInternets auf das Zeitungswesen: dass nämlich die Onlineangebote der etablierten

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1. DAS INTERNET – EINE NEUE FORM POLITISCHER ÖFFENTLICHKEIT?

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Medienanbieter in diesem Bereich die Krise der Branche eher noch verschärfen alsabmildern helfen.

Das Internet als Öffentlichkeit ist der massenmedial vermittelten Öffentlichkeit nurschwer vergleichbar, da es von seiner Struktur her eher »einem verschachteltenKommunikationsnetzwerk« (Siedschlag 2004, S. 55) entspricht als einem sozialenKommunikationsfeld oder einer öffentlichen Arena mit Sprecher- und Publikums-rollen und vermittelnden Kommunikatoren (Journalisten). Durch die im Internetprinzipiell gegebene Möglichkeit, zwischen den Rollen des Senders und des Emp-fängers zu wechseln, und der damit gegebenen unüberschaubaren Vielzahl an Sen-dern, sowie mit dem Fehlen von (professionellen) Kommunikatoren, die als Filtervon Informationen fungieren, ist eine eigene Struktur von Öffentlichkeit gegeben,die sich von der massenmedialen Öffentlichkeit unterscheidet.

ZUGANG ZUR ÖFFENTLICHKEIT

Während Massenmedien als Filter fungieren, die bestimmen, was aus der Vielfaltder Sprecher, Meinungen und Themen als öffentlich wahrnehmbar und damit alsöffentlich relevant erscheint, existieren solche Filter im Internet nicht oder nur inAnsätzen. Damit ist der Zugang zur Öffentlichkeit als Sprecher sowohl von dentechnischen als auch den sozialen Bedingungen her erleichtert. Jeder PC-Nutzer mitInternetanschluss ist im Prinzip in der Lage, sein politisches Anliegen »ins Netz zustellen«. Er muss nicht die durch bestehende Aufmerksamkeitsstrukturen und The-menkonjunkturen bestimmten Filter der Massenmedien passieren. Gerade hieranmachen sich Erwartungen einer neuen, für die Artikulation auch nicht organisierterInteressen zugänglichen politischen Internetöffentlichkeit fest. Diese Möglichkeitenwerden durchaus bereits genutzt: Für politisch Aktive und Interessierte kann dasNetz eine interessante Erweiterung der Möglichkeiten zur politischen Artikulationsein. Zivilgesellschaftliche Gruppen, deren Zugang zu den Massenmedien eherbeschränkt ist, nutzen das Netz zur Selbstdarstellung und zur direkten Kommuni-kation mit Mitgliedern und Sympathisanten. Wie sich u.a. an der Repräsentationdes Themas »Genfood« im Netz zeigen ließ, kann dadurch das im Netz auffindbareSpektrum an Meinungen und Positionen durchaus breiter sein als das in denMassenmedien verfügbare, auch für den zwar thematisch interessierten, aber nichtüber größere Vorkenntnisse und die Zeit für aufwändige Recherchen verfügendenNutzer. Zudem bieten sich den interessierten Bürgern vielfältige Möglichkeiten dernetzöffentlichen Artikulation auf eigenen Webpräsenzen oder in den Internetforen,Chats, Mailinglisten, Gästebüchern etc., die von politischen Organisationen undInstitutionen angeboten werden.

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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SICHTBARKEIT IM NETZ

Die Artikulation im Netz ist aber nicht im gleichen Sinne öffentlich wie die Artiku-lation als Sprecher in den Massenmedien. Während mit der Veröffentlichung inPresse, Rundfunk und Fernsehen öffentliche Aufmerksamkeit in gewissem Maßegegeben ist, muss Aufmerksamkeit für politische Anliegen im Internet erst herge-stellt werden. Erforderlich ist das mehr oder weniger gezielte Aufsuchen der ent-sprechenden Website durch die Nutzer. Die Bereitschaft hierzu ist in der Regel nichtbei einem allgemeinen Publikum vorhanden, sondern eher bei bereits organisiertenoder thematisch interessierten Minderheiten. Das Internet kann deshalb auch innoch stärkerem Maße – als dies mit der Diversifizierung der Massenmedien bereitsgegeben ist – als eine Ansammlung vieler von einander mehr oder weniger deutlichabgegrenzter Teilöffentlichkeiten verstanden werden. Solche Teilöffentlichkeitenkönnen bei vorhandener geteilter Betroffenheit bzw. starken geteilten politischenAnliegen – wie das Beispiel der Debatte zum Thema Urheberrecht zeigt – durchausrecht aktiv sein. Solche Teilöffentlichkeiten sind aber nur für die Interessiertensichtbar, die diese aktiv aufsuchen müssen.

DER AKTIVE REZIPIENT

De facto sind es für die große Mehrheit der Nutzer vorwiegend die bevorzugt ge-nutzten Portale sowie die Suchmaschinen, die eine Auswahl aus der Vielfalt der imNetz verfügbaren Informationen treffen. Fundstellen, die auf den Listen der Such-maschinen auf den ersten Plätzen erscheinen, haben eine größere Chance, vomRezipienten wahrgenommen zu werden. Zwar muss auch in der massenmedialdurch Presse, Funk und Fernsehen vermittelten Öffentlichkeit letztlich der Rezipi-ent aus dem Angebot eine Auswahl nach seinen Interessen und Relevanzkriterienvornehmen. Hier liegt allerdings das Angebot in relativ übersichtlicher, allen gleichverfügbarer Form (als Artikel, Sendung etc.) vor, so dass sich sozusagen ein objektivvorhandener öffentlicher politischer Raum zum Thema X zu einem bestimmtenZeitpunkt rekonstruieren lässt. Dieser besteht im Falle des Internets jeweils nur inder Gesamtheit der – von Institutionen und Organisationen aller Art sowie vonInitiativen und Einzelpersonen – »ins Netz gestellten« Angebote. Aus dieser nurpotenziell verfügbaren Gesamtheit kann sich jeder Nutzer seine eigene Auswahlzusammenstellen. Hierin ist die Chance größerer Unabhängigkeit und Freiheit derInformationsbeschaffung, aber auch die Gefahr des »information overload«begründet. Empirischen Untersuchungen zufolge ist der Anteil der aktiv nach neuenWebsites suchenden Internetnutzer mittlerweile relativ gering und im Wesentlichenauf »Informationseliten« und junge Netznutzer beschränkt.

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1. DAS INTERNET – EINE NEUE FORM POLITISCHER ÖFFENTLICHKEIT?

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INFORMATION AUS ERSTER HAND

Mit dem Wegfall von massenmedialen Filterfunktionen sind nutzerseitig enormverbesserte Zugangsmöglichkeiten zu Informationen entstanden. Da mittlerweilekaum ein relevanter politischer Akteur (staatliche Institutionen, öffentliche Einrich-tungen, Parteien, gesellschaftliche Gruppen, Wirtschaftsunternehmen etc.) auf einenmehr oder weniger umfangreichen Auftritt im Netz verzichtet, ist es dem kompe-tenten Nutzer prinzipiell möglich, sich unmittelbar bei den Quellen zu einem poli-tischen Thema umfangreiche Informationen von unterschiedlichen Seiten relativschnell und preiswert zu beschaffen. Auch wenn das Internet inhaltlich (von derQuantität her) dominiert wird von kommerziellen und Unterhaltungsangeboten, istes als Medium zur Information über das politische Tagesgeschehen durchaus (ins-besondere für Jüngere, für Journalisten und politisch stark interessierte Bürger) vonBedeutung. Politisch Interessierte nutzen die gegenüber der massenmedialen Bericht-erstattung bestehenden Vorteile der Information »aus erster Hand«. Die Nutzungder erheblichen Breite von Informationsmöglichkeiten setzt aber Medienkompetenzund ein gewisses Maß an politischer Bildung voraus.

QUALITÄT UND KRITIK

Mit dem Fehlen von »gatekeepers« gibt es im Internet auch keine vorab durch pro-fessionelle journalistische Standards gewährleistete Bewertung und Selektion von In-formationen nach Kriterien der Qualität, Seriosität, Relevanz und Validität. Es istdem Nutzer – quasi als Preis für den freien Zugang – selbst auferlegt zu selektieren.Dabei kann er nun zwar seine eigenen Relevanzkriterien in Anschlag bringen undist nicht von denen der Massenmedien abhängig. Dies setzt aber – wie gesagt – aucherhebliches (politisches) Wissen und Medienkompetenz voraus. Allerdings gibt esHinweise darauf, dass die interaktive und vernetzte Struktur der Kommunikationim Netz, entstehende Formate kollektiven Schreibens und die Möglichkeit zur wech-selseitigen Kommentierung von Texten die Funktion einer kollektiven Qualitäts-sicherung wenigstens ansatzweise erfüllen können. Im Internet sind Informations-angebote zwar keiner Vorauswahl, aber öffentlicher Kritik ausgesetzt. ErhöhteKritikfähigkeit des Nutzers als Teil der Medienkompetenz ist damit eine wesentlicheVoraussetzung für die Realisierung der Autonomie des Rezipienten.

INTERAKTION UND POLITISCHE STELLUNGNAHME

Das Internet bietet im Gegensatz zu den Massenmedien vielfältige Möglichkeitender Interaktivität. Dies impliziert nicht nur, dass jeder Nutzer auch zum Sender oderSprecher werden kann, sondern auch die Möglichkeiten des direkten Meinungs-austauschs, des Gespräches, der Debatte oder gar des anspruchsvollen Diskurses. Esbesteht offensichtlich bei politisch interessierten Nutzern durchaus ein Interesse an

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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politischen Chats und Foren. Allerdings werden die interaktiven Möglichkeiten derNetzkommunikation – auch z.B. von zivilgesellschaftlichen Gruppen – anscheinendbisher nur in vergleichsweise geringem Umfang genutzt. Das Netz scheint – wegendes fehlenden Engpasses massenmedialer Filter – eher als Medium der Selbstdar-stellung und der öffentlichen politischen Stellungnahme interessant zu sein denn alsMedium des Meinungsaustauschs oder Diskurses (Kap. V.3). Organisierte Diskursez.B. in staatlichen Onlineforen zeitigen aber durchaus positive Resultate und auchin professionellen Zusammenhängen (Forschung, Unternehmen etc.) haben Online-diskussionen an Bedeutung gewonnen.

NETZÖFFENTLICHKEIT UND POLITISCHES SYSTEM

Aus der Struktur von Internetöffentlichkeit ergibt sich eine im Vergleich zur massen-medialen Öffentlichkeit »mittelbare« Beziehung zum politischen System. Massen-mediale Öffentlichkeit kann als Ort der Beratung öffentlicher Angelegenheiten undals Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und politischem System zur Ausbildungeiner das politische System orientierenden (oder irritierenden) öffentlichen Meinungverstanden werden. Entscheidend ist dabei, dass Themen, Anliegen und Meinungendurch die Massenmedien eine erhöhte Chance erhalten, im politischen System wahr-genommen oder von diesem aufgegriffen zu werden. Schon indem ein ThemaGegenstand massenmedialer Berichterstattung wird, kann es in der »Mediendemo-kratie« mit politischer Aufmerksamkeit rechnen. Im Vergleich dazu sind die Schnitt-stellen zwischen Onlineöffentlichkeit und politischem System eher schwach. In derRegel müssen online generierte Themen die Aufmerksamkeit der Massenmedienwecken und von diesen aufgegriffen werden, um ihren Weg in das politische Systemzu finden.

INTERAKTION ZWISCHEN STAAT UND BÜRGERN

Allerdings bietet das Internet auch neue Möglichkeiten der Vermittlung von gesell-schaftlichen Anliegen in das politische System und des direkten Austauschs vonPolitik und Bürgern im Onlinedialog. Für die Frage nach der Qualität des Internetsals politische Öffentlichkeit sind dementsprechend insbesondere die erweitertenMöglichkeiten direkter Interaktion zwischen Staat (Parlament, Regierung undAdministration) auf der einen und Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seitevon Bedeutung – und hier insbesondere für das Parlament, dem im System re-präsentativer Demokratie die Rolle der Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit undRegierung zukommt. Die interaktiven Möglichkeiten werden sowohl von Regierun-gen als auch von Parlamenten mittlerweile vielfach genutzt. Zu unterscheiden istdabei u.a. zwischen offenen, unverbindlichen Diskussionsangeboten zu aktuellenpolitischen Fragen und Diskussionsangeboten zur Einbeziehung von Betroffenenund Interessierten in laufende Prozesse politischer Meinungsbildung und Entschei-

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dungsfindung. Eine konkrete Anbindung besteht dann, wenn die relevantenpolitischen Akteure regelmäßig über die inhaltlichen Beiträge der Bürger informiertwerden oder sich sogar an den Diskussionen beteiligen und – als Mindestvoraus-setzung – Auswertungen der Diskussionsergebnisse durchgeführt und netzöffentlichbereitgestellt werden. Ein weiteres Element mit Potenzial zur Stärkung der Schnitt-stelle zwischen Öffentlichkeit und Politik ist die Nutzung von Onlineforen zur Mo-dernisierung des Anhörungswesens. Wie vor allem die britischen parlamentarischenErfahrungen mit Onlinekonsultationen gezeigt haben, kann hier durch zielgruppen-spezifische Onlinediskussionen ein erheblicher Mehrwert gegenüber anderenMaßnahmen der E-Partizipation in diesem Bereich (Onlineumfragen, E-Mail-Ein-reichungen von Stellungnahmen, Web-TV etc.) erreicht werden. Das Internet spieltaber – z.B. in Großbritannien und auf EU-Ebene – auch eine wichtige Rolle in Bezugauf die nicht diskursiven Elemente von Anhörungen (z.B. durch die Möglichkeit,Stellungnahmen per E-Mail einzureichen, und die Durchführung von begleitendenOnlineumfragen zum Anhörungsthema).

E-DEMOKRATIE ALS HERAUSFORDERUNG

Insgesamt kann bisher aber, trotz des umfangreichen Angebots und einzelner gelun-gener Onlineforen, nicht von einer systematischen Nutzung von Onlinediskussionenals Beitrag zur Profilierung des von den meisten Regierungen propagierten Projekts»E-Demokratie« gesprochen werden. Die Angebote von Parlamenten und Regie-rungen stoßen aber durchaus auf Interesse bei Internetnutzern und auch in eherunverbindlichen Diskussionsangeboten für jedermann überwiegen die sachlichenBeiträge meist gegenüber der pauschalen Politikerschelte. Gerade weil Interesse undErwartungen bei (vor allem auch jüngeren) Nutzern in der Regel groß sind, werdendie mangelnde Klarheit bei der Zielsetzung der Diskussionsangebote und das in derRegel mangelnde Feedback der Politik zum Problem. Die Integration von Online-dialogangeboten in die bestehenden Strukturen der repräsentativen Demokratie stelltsowohl hinsichtlich materieller wie auch politisch-kultureller und institutionellerRahmenbedingungen eine Herausforderung dar, der man mit unkoordinierten, vonder Funktion her eher unklaren und nur minimal betreuten Angeboten nicht gerechtwird. Ebenfalls zu konstatieren ist, dass zentrale Anlaufstellen für die bürger-schaftliche E-Partizipation in Deutschland fehlen.

DELIBERATION UND NETZÖFFENTLICHKEIT

Aus den technisch gegebenen Möglichkeiten der Interaktion sowie der offenen Netz-struktur (Kap. I) speisen sich Erwartungen, dass politische Kommunikation im Netzden deliberativen Charakter von Demokratie unterstützen könne (Kap. III). Bei derEinschätzung der Realisierbarkeit und bisherigen Realisierung dieser Erwartungenist zunächst in Rechnung zu stellen, dass eine Voraussetzung von deliberativer

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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Demokratie – ein für alle gleichermaßen gewährleisteter Zugang zur politischenÖffentlichkeit – hinsichtlich des Netzes nicht besteht. Sicher bieten sich für (tenden-ziell wenige) Aktivbürger verbesserte Informations- und auch Kommunikations-möglichkeiten. Allgemein gilt dies jedoch allenfalls im Prinzip. Wegen fehlendertechnischer Voraussetzungen bzw. – langfristig wohl entscheidender – Medienkom-petenz bieten sich diese Möglichkeiten für viele Bürger in der Realität nicht (Kett-ner 2004). Wenn auch das Netz durch den prinzipiell möglichen Wechsel von derPublikumsrolle in die Sprecherrolle die Möglichkeit reziproker Kommunikation unddamit eine wesentliche Voraussetzung für politische Deliberation bereitstellt, sinddoch die Erfahrungen mit Onlineforen – schon gar solchen, die eine Verbindung vonDebatten im Netz und Willensbildungsprozessen in den Institutionen der repräsen-tativen Demokratie herstellen – zu spärlich, als dass man ihr Potenzial für eineRevitalisierung der Demokratie durch Deliberation einschätzen könnte.

SEGMENTIERTE ÖFFENTLICHKEIT

Wahrscheinlicher (und z.T. auch beobachtbar) ist eine Intensivierung politischerDebatten in motivierten Teilöffentlichkeiten, die dann auch Effekte auf die allge-meine Öffentlichkeit haben können. Das Netz ermöglicht es Gleichgesinnten oderGleichinteressierten relativ problemlos, Informationen und Meinungen auszutau-schen. Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass die schon für die massenmedialeKommunikation feststellbare Segmentierung von Öffentlichkeit gefördert wird, mitmöglichen negativen Folgen für die demokratische »Leistungsfähigkeit« politischerÖffentlichkeit allgemein. Eine positive Konsequenz ist aber die Erleichterung derSelbstorganisation der Gesellschaft und politisches Engagement (Marschall 1999),wovon allerdings auch Obskurantisten, rechtsradikale Gruppen und andere Gegnerder Demokratie profitieren können. Bei den politischen Akteuren wird aber in derRegel ein Interesse vorhanden sein, mit dem eigenen Anliegen Anschluss an dieallgemeine Öffentlichkeit zu finden, um hier um Unterstützung zu werben – womitsich die betroffene Teilöffentlichkeit der Kritik der Netzöffentlichkeit und der allge-meinen Öffentlichkeit stellt.

POLITIK UND LEBENSWELTLICHE KOMMUNIKATION

Nicht auszuschließen ist, dass die Möglichkeit direkten argumentativen Aus-tauschs im Netz die als »Two-step flow« der Medienwirkung bekannten Prozesseunterstützt: Medienberichterstattung wirkt demnach nicht direkt auf Einstellungenund Meinungen von Medienrezipienten ein, sondern die Berichterstattung vonMassenmedien bildet den Anlass für lebensweltliche Kommunikation in persön-lichen Netzwerken, und erst über diesen Verarbeitungsschritt kann von einerMedienwirkung gesprochen werden. Die interaktiven Möglichkeiten der Netz-kommunikation könnten nun diesen Verarbeitungsprozess der nach wie vor von

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Massenmedien dominierten politischen Berichterstattung unterstützen: »Nicht zu-letzt wegen des in netzbasierter Kommunikation erreichbaren, gegenüber All-tagskommunikation tendenziell höheren Informationsniveaus, modifiziert Netz-kommunikation den Two-Step-Flow so, dass aus Konversation leichter undhäufiger konversationelle Deliberation wird, als in einem nicht durch Netz-kommunikation erweiterten Two-Step-Flow Kommunikationsverhältnis.« (Kettner2004, S. 54).

TRANSNATIONALE ÖFFENTLICHKEITEN

Es kann trotz der schon mit der Verbreitung von Massenmedien einhergehendenRede vom »globalen Dorf« und trotz des grenzüberschreitenden Charakters netz-basierter Kommunikation bisher nicht von der Existenz einer – die nationalenÖffentlichkeiten überwölbenden – transnationalen Öffentlichkeit ausgegangenwerden (Kap. III.4 u. V.2). Politische Aufmerksamkeiten, Themen und die Bühnepolitischen Handelns insgesamt bleiben im Wesentlichen national bestimmt. Nichtzu verkennen sind dennoch die unter dem Begriff »Globalisierung« zusammen-gefassten Prozesse einer engeren wirtschaftlichen, aber auch kulturellen und poli-tischen Kopplung nationaler und regionaler Kontexte. Nationale Wirtschaft, Kulturund Politik sind nicht länger unabhängig und isoliert voneinander zu betrachten. Siesind vielmehr angebunden an und überwölbt von internationalen Wirtschafts-prozessen, politischen Regimes und kulturellen Entwicklungen. Zweifellos hatnetzbasierte Kommunikation einen erheblichen Anteil an diesen Prozessen. DieInternationalisierung von Finanz-, Waren- und auch Arbeitsmärkten setzt einegrenzüberschreitende Kommunikationsinfrastruktur voraus wie sie das Internetbietet. Ebenso unterstützt und beschleunigt netzbasierte Kommunikation die schondurch die Massenmedien beförderten Prozesse kultureller Globalisierung. Weit-gehend spekulativ müssen vorerst so weitreichende Thesen wie die eines durchnetzbasierte Kommunikation intensivierten Austauschs zwischen Kulturen oder garder Ausbildung eines netzbasierten Kosmopolitismus als dominierende politischeMentalität bleiben (Winter/Groinig 2004). Hinsichtlich politischer Kommunikationlässt sich allerdings feststellen, dass durch das Netz der internationale Austauschzwischen politischen Akteuren befördert wird und sich – zentriert um bestimmteglobale Themen wie Umwelt, wirtschaftliche Globalisierung und soziale Gerechtig-keit – international vernetzte Bewegungen ausbilden, die in dieser Form ohne dieMöglichkeiten netzbasierter Kommunikation kaum vorstellbar wären (Kap. VI.2).Hier – aber zum Teil auch bei gezielten Angeboten der Politik z.B. auf EU-Ebene(Kap. IV.1) – entwickeln sich ansatzweise transnationale Öffentlichkeiten, die aller-dings von verschiedenen Restriktionen – wie vor allem Sprachbarrieren und dem oftgeringen Kenntnisstand über andere Länder – beeinträchtigt werden. Beim Beispieldes Diskurses über »Genfood« (Kap. V.3) zeigte sich eine im Vergleich zur Presse

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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ausgeprägte internationale oder grenzüberschreitende Ausrichtung der Netz-kommunikation.

EIN NEUER STRUKTURWANDEL DER ÖFFENTLICHKEIT?

Insgesamt werden, gemessen am Ideal einer bürgerlichen Öffentlichkeit, alsDefizite zu kennzeichnende Merkmale der Mediendemokratie durch netzbasiertepolitische Kommunikation wohl kaum vollständig zu beseitigen sein. Hierzu zähltdie für Massendemokratien kennzeichnende thematische Fragmentierung vonÖffentlichkeit, nach der sich einerseits die politische Öffentlichkeit in eine Vielzahlvon thematisch spezialisierten Teilöffentlichkeiten aufspaltet und andererseits diepolitische Öffentlichkeit selbst auf eine Spezialöffentlichkeit wie viele andere re-duziert wird. Das technische Potenzial des Netzes trifft in der Mediendemokratieauf eine Teilung der Öffentlichkeit in Sprecher- und Adressatenrollen und auf einepolitische Kultur, in der (die massenmedialen Kanäle ergänzenden) Schnittstellenzwischen öffentlicher argumentativer Reflexion und politischer Entscheidungkaum ausgebildet sind. Dem vorhandenen Potenzial der netzbasierten Kommuni-kation, solche Schnittstellen technisch zu realisieren, müsste auf der Ebene politi-scher Kultur die Bereitschaft zum ergebnisoffenen (und deshalb riskanten) politi-schen Diskurs und auf institutioneller Ebene eine entsprechende Anbindung vonnetzbasierter politischer Kommunikation an Entscheidungsprozesse zur Seitegestellt werden.

Es ist nach einer Zeit weitreichender, teils euphorischer Thesen zur Bedeutung desInternets als Raum politischer Kommunikation mittlerweile geradezu en vogue,Netzkommunikation als politisch bedeutungsloses Rauschen zu betrachten. Auchdie Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stützen die weitreichenden Thesenvom Internet als neue demokratische Form politischer Öffentlichkeit nicht. Ebensowenig aber geben sie Anlass, die Rede von der politischen Belanglosigkeit des Inter-nets zu stützen. Das Internet »[...] als Medium der politischen Kommunikationbietet [...] vor allem denen Vorteile, die genau wissen, was sie suchen bzw. die einenbereits bestehenden Kreis von Kommunikationsteilnehmern ansprechen wollen.Jedoch steht nicht zu vermuten, dass das Internet die politische Kommunikationrevolutionieren und die relative Reichweite und Bedeutung herkömmlicher Medienreduzieren wird. Insofern stellt das Internet eine bedeutsame Erweiterung des poli-tischen Kommunikationsraums dar, die bestehende Asymmetrien etwas ab-schwächen, aber keinesfalls beseitigen kann. Insgesamt gilt es zu berücksichtigen,dass politische Kommunikation nur einen winzigen Bruchteil der webgestütztenKommunikation ausmacht und vor allem diejenigen einbezieht, die ohnehin poli-tisch interessiert und aktiv sind. Als Mittel der politischen Kommunikation bietetdas Internet einige Vorteile aus der Sicht interessierter Bürgerinnen und Bürger, wirdaber in seiner Bedeutung als Medium zur Aktivierung der Bürgerschaft und zur

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Demokratisierung von politischen Diskursen überschätzt« (Rucht et al. 2004, S. 90 f.).

HANDLUNGSOPTIONEN 2.

Es gibt mithin bisher keine Anzeichen dafür, dass – wie in den 1990er Jahren er-wartet – ein grundsätzlicher Wandel politischer Öffentlichkeit durch das Internetstattgefunden hätte. Weder lässt sich beobachten, dass die massenmedial vermittelteÖffentlichkeit als Medium der Selektion von Themen und Aufmerksamkeit undSystem der Vermittlung zwischen politischen Akteuren und Publikum an Bedeutungverliert. Noch hat sich durch das Internet der Grad der Aktivierung politischerBürgerschaft einschneidend verändert. Dennoch aber hat sich das Netz zum inte-gralen Bestandteil von Politikprozessen mit neuen Möglichkeiten der Informationund Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und der Kommunikation zwischenPolitik und Bürgern etabliert. Aus den in der vorliegenden Studie identifiziertendurch netzbasierte Kommunikation induzierten Veränderungen politischer Öffent-lichkeit lassen sich folgende Herausforderungen ableiten, auf die sich Parlament,Regierung und Administration einstellen müssen:

> Auf Seiten politischer Akteure wird das Netz als Medium politischer Kommuni-kation (Selbstdarstellung, Mobilisierung) und auf Seiten der Nutzer als Quellepolitischer Information an Bedeutung gewinnen.

> Ohne, dass die massenmediale Öffentlichkeit an Bedeutung verlieren würde,werden eine Reihe von politischen Prozessen im Internet stattfinden (politischeInformation, Meinungsbildung und Deliberation, Agenda Setting, Organisationund Mobilisierung) und in Form von Themen, Debatten, politischen Aktionenauf die massenmediale Öffentlichkeit ausstrahlen.

> Die Ausbildung virtueller politischer (Kommunikations-) Gemeinschaften (ent-lang von politischen Interessen, Befindlichkeiten, Themen, Weltanschauungen)wird durch das Internet erleichtert. Damit nimmt nicht nur die Vielfalt politischerKommunikation, sondern auch die Segmentierung von Öffentlichkeit zu.

> Die Ansprüche politisch interessierter und gut informierter Bürger hinsichtlichdes Zugangs zu politischen Informationen, der Transparenz politischer Prozesseund auch der Teilhabe an der Entscheidungsfindung über das Netz werdenwachsen.

> Für Nutzergruppen mit geringer Kompetenz im Umgang mit den Möglichkeitender (politischen) Kommunikation und Information im Netz (aufgrund von sozio-ökonomischem Status, Bildungsabschluss, Alter) kann das Internet als Quellepolitischer Information und Teilhabe verschlossen bleiben.

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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> Die Offenheit des Netzes impliziert als negative Begleiterscheinung auch einenMangel an Instanzen der Qualitätssicherung. Die Bewertung der Zuverlässigkeitund Seriosität der Vielfalt der im Netz verfügbaren Informationen und Quellenund entsprechende Selektionsprozesse könnten nicht nur für die letzt genanntenNutzergruppen zum Problem werden.

Unter dem Gesichtspunkt einer lebendigen »digitalen Demokratie« mit möglichstaktiven und gut informierten Bürgerinnen und Bürgern ist eine weitgehende Unter-stützung und Förderung derjenigen Strukturen und Prozesse wünschenswert, dieerweitertes bürgerschaftliches und politisches Engagement ermöglichen. Ebensowäre – soweit dies in der Macht von Regierung und Parlament liegt – negativenTendenzen (»Digital Divide«, Segmentierung, Nivellierung von Informationen,antidemokratische Aktivitäten im Netz) gegenzusteuern.

Politische Handlungsmöglichkeiten – mit unterschiedlicher Reichweite – ergebensich auf verschiedenen Ebenen, die im Folgenden kurz erläutert werden. Insbeson-dere für Parlamente eröffnen sich durch die Verbesserung der eigenen Webpräsenz,die Verlinkung mit Netzangeboten der Zivilgesellschaft sowie die stärkere Nutzungder interaktiven technischen Potenziale Möglichkeiten, auch im Zeitalter politischerNetzkommunikation ihre Doppelrolle als Forum politischer Debatten und alsScharnier zwischen Öffentlichkeit und politischem System wahrzunehmen.

FÖRDERUNG DER MEDIENKOMPETENZ UND ZUGANG ZUM NETZ

Das Thema »Digital Divide« ist lange Zeit vorwiegend unter dem Gesichtspunkt derVerfügung über den technischen Zugang zum Netz diskutiert worden. Die Gewähr-leistung eines Netzzugangs durch staatlich geförderte Initiativen auch für solcheGruppen, die aus ökonomischen und sozialen Gründen von der Netzkommuni-kation ausgeschlossen sind, wird auch weiter von Bedeutung sein. WeitergehendeForderungen zur Sicherung der informationellen Grundversorgung verlangen zu-dem die Garantie eines öffentlichen Zugangs zu Onlinediensten und daher eineverstärkte Bereitstellung von Netzzugängen in öffentlichen Einrichtungen sowie eineSubventionierung von Netzzugängen in Privathaushalten finanziell schwacherBevölkerungsgruppen (ähnlich dem System öffentlicher Bibliotheken und Sozial-tarifen bei Telefonanschlüssen) (Kuhlen 2002).

Für die Nutzung des Netzes zum Zwecke politischer Information und Artikulationsind aber inhaltliche Aspekte des »Digital Divide« von mindestens ebenso großerBedeutung. Aus den im Internet verfügbaren Informationen wird erst dadurchWissen, dass diese sinnvoll in die Deutungsmuster und Handlungszusammenhängeder Nutzer eingeordnet und das heißt zunächst hinsichtlich ihrer Bedeutung bewer-tet werden. Voraussetzung hierzu ist, bezogen auf das Internet als Raum politischer

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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Kommunikation, neben Kulturtechniken wie Lesen, Kategorien bilden und Klassi-fizieren, Filtern, Schreiben usw. vor allem ein gewisses Maß an politischer Bildung.

Hieraus ergäbe sich zum einen die Aufgabe, das Internet als politischen Raum in denCurricula der schulischen politischen Bildung noch stärker zu berücksichtigen. Eswäre darüber hinaus aber auch über Maßnahmen nachzudenken, wie über geeigneteWebangebote soziale Gruppen »abgeholt« werden können, um sie an die sinnvolleNutzung des Wissensspeichers und Kommunikationsraums Internet heranzuführen.Es wäre also nicht die Nutzung des Netzes an sich zu fördern, sondern es wärenmedienpädagogisch spezifische soziale und kulturelle Interessen aufzugreifen unddiese als Anknüpfungspunkte für Angebote im Internet zu nutzen (Iske et al. 2004;Schönberger 2004a). Ansätze hierzu sind z.B. von Seiten des Deutschen Bundestagesmit der Website »mitmischen.de« für Jugendliche bereits gemacht worden. Derweitere Ausbau gruppen- bzw. themenspezifischer Angebote auf den Websites ein-schlägiger staatlicher Akteure, die dann auch den angesprochenen Gruppen durchentsprechende Linklisten und Empfehlungen Hilfestellung zur Erschließung des imNetz vorhandenen Angebots bieten, erscheint sinnvoll. In der Regel bieten zumBeispiel Ressortforschungseinrichtungen und andere öffentlich finanzierte wissen-schaftliche Einrichtungen im Netz ein umfangreiches Angebot an Daten, Doku-menten, Publikationen etc., das für das jeweilige Fachpublikum von großem Wertist, sich aber dem interessierten Laiennutzer kaum erschließt.

Medienkompetenz ist die Voraussetzung dafür, sich die Informationsvielfalt desNetzes sinnvoll zu erschließen. Hierzu gehört insbesondere der kompetente Umgangmit den als Navigationshilfen fungierenden Suchmaschinen. Nicht nur müssen sinn-volle Suchwortkombinationen eingegeben werden, um die Informationsvielfaltentsprechend den Informationsbedürfnissen des Nutzers zu reduzieren. Die von denSuchmaschinen gelieferten Ergebnisse müssen auch hinsichtlich der Relevanz ein-geschätzt werden können, weshalb pointiert davon gesprochen wird, dass Bildungdie beste Suchmaschine sei (Barber 2001b; s.a. Banse et al. 2001; Barber 2002).

Suchmaschinen sind in letzter Zeit zunehmend in die Kritik geraten, wegen desMangels an Transparenz der beim Ranking der Suchergebnisse angelegten Kriterien,vermuteter Anfälligkeit für Manipulation der Suchergebnisse (z.B. durch gezielteVerlinkung von Webseiten) sowie der Frage, in welchem Umfang »Suchmaschinen«inhaltliche Kontrolle ausüben sollten, z.B. durch das Ausfiltern rechtsradikalerAngebote aus den Suchergebnissen. Suchmaschinen stellen im Netz Schaltstellen dar,die den freien Zugang zu Informationen einschränken oder lenken können. Inwelcher Weise hier durch die aktuelle Dominanz der Suchmaschine »Google«tatsächlich Probleme entstehen ist aber noch nicht klar. Auch sind die Durchführ-barkeit und die Wirksamkeit von Maßnahmen wie die vielfach geforderte Trans-parenz der Auswahlprozeduren umstritten. Transparenz von Auswahlkriterien

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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könnte die Manipulation der Ergebnisse durchaus erleichtern und widerspricht demGeschäftsinteresse der Suchmaschinenbetreiber. Die Politik hat sich der Problematikdurchaus bereits angenommen (z.B. die Förderung der Entwicklung von Such-maschinen für den Wissenschaftsbereich durch das BMBF und die einschlägigenAktivitäten des Unterausschusses »Neue Medien« des Deutschen Bundestages). Eineweitere Beobachtung der Entwicklung und eine systematische Untersuchung zurBedeutung und Wirkung von Suchmaschinen sowie zu den verfügbaren technischenund anderen Optionen zur Lösung der bestehenden Probleme ist angezeigt (s.a.Neuberger 2005).

EINWIRKUNG AUF DIE NETZÖFFENTLICHKEIT – VIELFALT UNDQUALITÄTSSICHERUNG

Wenn auch im Internet für jeden die Möglichkeit besteht, sich im Netz zu artiku-lieren, so sind dennoch die Chancen, dabei in der Öffentlichkeit wahrgenommen zuwerden, ungleich verteilt. Zudem bestehen Herausforderungen hinsichtlich derSicherung der Qualität politischer Information und durchaus auch die Gefahr einerweiteren Segmentierung von Öffentlichkeit in Teilöffentlichkeiten, die für einanderund für eine allgemeine Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind. Zur Gewährleis-tung bzw. Förderung der Vielfalt und Qualität des politischen Kommunikationsan-gebots im Netz bieten sich verschiedene Vorgehensweisen an:

> Zum einen kommt hier die zielgerichtete Unterstützung der Webpräsenz von ge-sellschaftlichen Gruppen in Frage, die ansonsten im Netz nicht präsent wären.

> Zum anderen besteht die Möglichkeit, privat oder öffentlich getragene politischeQualitätsangebote im Netz zu unterstützen, die durch Verlinkungen und Über-sichten auch als Orientierungshilfen in der Vielfalt des politischen Webangebotssowie als Knotenpunkte für verschiedene Teilöffentlichkeiten fungieren können.

> Zur Sicherung von Vielfalt und Chancengleichheit kann zudem die Subven-tionierung von unabhängigen Stiftungen dienen, die hochwertige Webangebotebereitstellen, z.B. zum Verbraucherschutz oder zu Themen wie Gesundheit,Umwelt etc.

Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch eine Ausweitung des Engagementsdes öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich der Internetkommunikation (Neu-berger et al. 2004; Schulz et al. 2002). Ziel eines öffentlich-rechtlichen Engagementsmüsste nach Maßgabe des Art. 5 GG die Gewährleistung der freien öffentlichen undindividuellen Meinungsbildung, die Sicherung der Meinungsvielfalt und der kom-munikativen Chancengleichheit sein (Hoffmann-Riem 2003). Gegen eine solche Aus-weitung des Auftrags öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten wird eingewandt,dass ein Mangel an Informationsvielfalt, der die Einrichtung eines öffentlich-recht-

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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lichen Angebots rechtfertigen könnte, im Internet gerade nicht besteht (Degenhart2001). Dieser Einwand ignoriert aber die Probleme des »information overload« unddes Informationsmülls. Der Zugang zum Internet bietet noch keine Gewähr dafür,dass der Nutzer auch die von ihm gesuchten Informationen erlangt. Es könnte »[...]ein durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gedecktes Ziel sein, Strukturen zu befördern, die esdem Bürger erlauben, sich angesichts der Vielzahl der Angebote zu orientieren undan bestimmte Informationen zu gelangen. Geht man davon aus, dass bestimmteInformationen für den Nutzer nur dann einen Wert haben, wenn sie von einerbestimmten Qualität sind, so kann diese Gewährleistung auch umfassen, dafür zusorgen, dass diese Qualität transparent wird« (Schulz et al. 2002, S. 60, nach Neu-berger et al. 2004).

Durch ein verstärktes Engagement der Öffentlich-Rechtlichen im Internet würdenin der Netzöffentlichkeit sehr gut positionierte und qualitativ hochwertige Angeboteweiter an Bedeutung gewinnen (Schulz et al. 2002). Es ließen sich auf diesem Wegemöglicherweise Qualitätsstandards setzen, die zu einer allgemeinen Qualitäts-steigerung der Netzkommunikation führen könnten.

Bei einer Ausweitung der Onlineangebote der öffentlich-rechtlichen Medien gälte esallerdings zu verhindern, dass es vorrangig zu einer bloßen Übertragung der Aus-drucksformen des traditionellen Rundfunks auf die neuen Onlinedienste kommtund somit das Potenzial des Internets nicht ausgeschöpft wird (Schulz et al. 2002).Öffentlich-rechtliche Anbieter sollten sich nicht auf den Bereich der redaktionellenVermittlung beschränken, sondern könnten auch partizipative Vermittlung einbin-den (Bardoel/d’Haenens 2004) wie es z.B. zum Teil bereits durch (gut betreute undrelativ stark genutzte) Onlinediskussionsangebote geschieht. Ein beachtenswertesBeispiel für die weitergehende Nutzung der Informations- und Kommunikations-potenziale des Netzes ist hier das »iCan-Projekt« (Kap. IV.2.2), eine von der BBCbereitgestellte mediale Plattform zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements.

Staatlicherseits wird in Deutschland bereits eine Reihe von Projekten zur Einwir-kung auf die Netzöffentlichkeit gefördert. Zu nennen sind hier in Bezug auf dieBundesregierung z.B. die Förderung von Internetprojekten, die sich gegen politi-schen Extremismus, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt engagieren, sowie vonProjekten zur Netzkultur durch die Kulturstiftung des Bundes. Denkbar wären indiesem Zusammenhang auch die Einrichtung und der Ausbau themenspezifischerPortale, bei dem die politischen Institutionen der verschiedenen Ebenen (EU, Bund,Länder, Gemeinden) sowie gesellschaftliche Gruppen kooperieren. Diese Portalekönnen als zentrale Informationsknotenpunkte für die jeweiligen netzöffentlichenDiskurse dienen, vor allem durch die Bereitstellung umfangreicher Listen von Linkszu entsprechenden Angeboten im In- und Ausland.

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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In Bezug auf die Möglichkeiten des Staates zur Gewährleistung eines qualitätsvollenInternetangebots werden neben der direkten Förderung von Netzöffentlichkeit undNetzkultur sowie Maßnahmen zur Bekanntmachung von Qualitätsangeboten auchdie Stützung der Selbstregulierung des Netzes durch die Zertifizierung von Weban-geboten und die Vereinbarung von »codes of conduct« diskutiert (Neuberger et al.2004, S. 26 f.). Aufgrund der durch Artikel 5 GG garantierten Meinungsfreiheit hatder Staat kaum Möglichkeiten, selbst regulierend einzugreifen, um die Qualität deraktuellen Informationsangebote zu verbessern. Staatliche Regulierung muss sichdarauf beschränken, positive Anreize zu schaffen, um die Leistungen und die inhalt-liche Qualität des Netzangebots zu fördern. Aufgrund der immer noch geringenReputation des Internets dürfte der Anreiz für Anbieter groß sein, Kodizes zu ver-einbaren, insbesondere dann, wenn sie Regelungen über ein Gütesiegel enthalten,mittels derer sie die Qualität ihrer Angebote für den Nutzer transparent machenkönnen. Der zentrale Anreiz, Anstrengungen zur Selbstregulierung zu unternehmen,liegt in der ökonomischen Orientierung der privatwirtschaftlichen Onlineanbieter(Campbell 2003). Gütesiegel für Anbieter sind bisher im Bereich E-Business ver-breitet. Aber für die zahlreichen Anbieter politischer oder kultureller Inhalte ohnekommerzielle Interessen dürfte ein Gütesiegel, welches die Verlässlichkeit vonInformationen indiziert (Wagemans 2003), interessant sein. Ein Beispiel aus demBereich der Gesundheitsinformation ist die Initiative »eEurope Health«. Der Staatkann die Organisation einer Initiative zur Etablierung eines Kodex für politischeOnlineinformationsangebote anstoßen und einen finanziellen Beitrag dazu leisten.Denkbar ist auch die Teilfinanzierung einer Stiftung, vergleichbar der »StiftungWarentest«. Vorschläge zur Etablierung einer »Stiftung Medientest« werden bereitsseit längerer Zeit diskutiert (s.a. Günther 2001; Krotz 1996).

NUTZUNG DES NETZES FÜR DIE KOMMUNIKATION ZWISCHEN POLITIKUND BÜRGERN

Eine Grundvoraussetzung für die qualifizierte bürgerschaftliche Deliberationpolitischer Themen ist die ausreichende Information der Bürger über politischeMeinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse. Die Chancen und Herausforderun-gen, die sich in dieser Hinsicht durch das Internet ergeben, sind bereits seit längerembekannt. Trotzdem zeigt sich immer wieder, dass gewisse Probleme – wie z.B. dasstarke Gefälle innerhalb der Bevölkerung bei der Medienkompetenz und politischenBildung – noch nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. So ergab z.B. einegestufte Onlinebefragung (Fühles-Ubach 2005b) von Nutzern des Internetangebotsdes Deutschen Bundestages, dass – trotz des weitgehenden Ausbaus des Online-informationsangebots des Parlaments in den letzten zehn Jahren und der vermutlichrelativ hohen Medienkompetenz und politischen Bildung der Befragten – viele

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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Nutzer gerade in diesem Bereich weitere Verbesserungsmöglichkeiten sehen. Diesesund andere Beispiele im Bereich offizieller Webangebote weisen darauf hin, dasseiner differenzierten Zielgruppenorientierung herausragende Bedeutung für dieAkzeptanz und den Erfolg der Angebote zukommt. Ein weiterer wichtiger Punkt istdie Übersichtlichkeit und Navigierbarkeit der Angebote, die von vielen informa-tionssuchenden Bürgern als Hauptkriterien für die Güte eines Angebots angesehenwerden. Auch hier stellt man, insbesondere bei den Websites der Bundesregierung,erheblichen Verbesserungsbedarf fest. Strukturelle Probleme sind dabei der Umfangund die »historische Gewachsenheit« der Webpräsenzen sowie der häufige Wechselvon Kompetenzen innerhalb der Verwaltungen. Es böten sich Maßnahmen zur ver-besserten Koordination und Vereinheitlichung der Angebote an und z.B. auch – zurReduktion des Werbeaufwands – die Festlegung und Bekanntmachung eines festenStarttermins (wie z.B. jeder erste Montag im Monat) für Onlinediskussionsangebote(IZT 2005).

Es ließe sich auch erwägen, ob zur Förderung digitaler Demokratie und bürger-schaftlicher E-Partizipation ein »Deutschland-Portal für E-Demokratie« eingerich-tet werden sollte, z.B. nach dem Muster des gemeinsamen Portals von Bund, Län-dern und Kommunen zur E-Government-Strategie (www.deutschland-online.de)bzw. gekoppelt mit diesem. Allerdings wären dazu – angesichts der bisherigen Er-fahrungen mit dieser Initiative (s.a. Kubicek/Wind 2005) – eine Vorabklärung und-festlegung von Kompetenzen und Finanzierungsfragen anzustreben. Denkbar wäreauch, beim Auf- und Ausbau eines solchen nationalen E-Demokratie-Portals aufbürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement, die Mitarbeit von Ver-bänden, Stiftungen, Parteien etc. und eventuell auf Sponsoring zu setzen. Zudemböte sich eine »Verlinkung« mit Angeboten in anderen Ländern und auf EU-Ebenean.

STAATLICHE ANGEBOTE ZUR ONLINEDISKUSSION UND E-PARTIZIPATION

Das Netz wird von der Politik bereits vielerorts auch genutzt für die Förderungbürgerschaftlicher Deliberation (z.B. durch Onlinediskussionsforen auf staatlichenWebsites), die Partizipation von Bürgern an politischen Meinungsbildungsprozessen(durch den Einsatz von Onlinebefragungen, Foren und Chats im Rahmen vonAnhörungen) und vereinzelt auch für den unmittelbaren Dialog, also für die Dis-kussion zwischen Entscheidungsträgern und Bürgern (vor allem durch Chats). Anverschiedenen Stellen sind Routinen entstanden. Trotzdem lässt sich insgesamtgesehen immer noch von einer Experimentierphase sprechen.

Nationale wie internationale Erfahrungen mit der (hier vorrangig betrachteten)Onlinediskussion verweisen auf zwei Grundvoraussetzungen für erfolgreiche staat-liche Angebote in diesem Bereich:

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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> Die Angebote sollten so konzipiert, ausgestattet und betreut sein, dass vermeid-baren Enttäuschungen der Bürger entgegengewirkt wird. Die dafür notwendigenMaßnahmen unterscheiden sich im Einzelfall – zentral sind aber eine klare Zweck-bestimmung der Diskussionen, Transparenz in Bezug auf die Beteiligung der Po-litiker und die Nutzung der Ergebnisse, den Diskussionen angemessene Mode-rationsleistungen und Maßnahmen zur Werbung und Zielgruppenansprache.

> Ein Konsens der relevanten politischen Kräfte und die Kooperation zwischen denverschiedenen staatlichen Akteuren bestimmen maßgeblich den Erfolg staatlicherPolitik in diesem Bereich. Eine Herausforderung, die sich der ganzen Politik stellt,sollte auch durch die Politik gemeinsam und koordiniert angegangen werden.

Auf allgemeiner Ebene stellt sich zudem die Herausforderung, die weitreichendenprogrammatischen Ziele mit der realen Praxis in Einklang zu bringen. Hier solltendie Ziele in Bezug auf die Rahmenbedingungen, das Entwicklungstempo, den ange-strebten Umfang und die Funktionen des Onlinediskussionsangebots konkretisiertwerden. Zur Verringerung der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit böte essich an, auch das bürgerschaftliche und zivilgesellschaftliche Engagement stärker zustimulieren und häufiger eine Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Akteuren an-zustreben. Von besonderer Bedeutung sind auch die Evaluation der Diskussionsan-gebote und der nationale und internationale Erfahrungsaustausch über diese sowie– als Voraussetzung für beides – deren durchgängige Onlinearchivierung (Kap. VI.4).

Für alle Akteure sinnvoll wäre eine Vertiefung der interinstitutionellen und interna-tionalen Zusammenarbeit. Speziell auf den Deutschen Bundestag bezogen erscheineneine weitere Intensivierung des Austauschs mit anderen Parlamenten und eine Be-obachtung der Innovationen angeraten, die andere Parlamente in der Onlinekom-munikation mit Bürgern machen. Intensivieren und besser kommunizieren ließensich z.B. die deutschen Beiträge zu einschlägigen Aktivitäten der Interparlamentari-schen Union (IPU), des Europäischen Zentrums für Parlamentarische Wissenschaftund Dokumentation (EZPWD) und der Europäischen Konferenzen der nationalenParlamente über Informations- und Kommunikationstechnologien (EPRI). DesWeiteren könnte die Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Akteuren intensiviertwerden, auch durch die Kooperation mit in diesem Bereich engagierten Bürgern undInitiativen (wie dies in Großbritannien z.B. beim Projekt www.theyworkforyou.comder Fall war). Der Austausch mit dem schottischen Parlament (s.u.) zum Thema E-Petitionen zeigt auf jeden Fall, dass der Weg zur digitalen Demokratie durchausals ein gemeinsamer internationaler Lernprozess verstanden werden kann.

Der Missbrauch staatlicher Onlinediskussionsangebote durch Bürger stellt – legtman die Ergebnisse der Recherchen zu den britischen und deutschen Angebotenzugrunde, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung durchgeführt wurden –offenkundig keinen prinzipiellen Hinderungsgrund für deren Weiterentwicklung dar:

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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Zwar war bei einigen Diskussionsangeboten der britischen und deutschen Regierungjeweils etwa ein Drittel aller Beiträge inakzeptabel – vor allem, weil sie strafbare,beleidigende und extremistische Äußerungen enthielten. Bei der Mehrheit der An-gebote gab es aber in dieser Hinsicht keine nennenswerten Probleme. Bei Online-anhörungen des britischen Parlaments, den Onlinekonferenzen und -foren desDeutschen Bundestages und dem Pilotprojekt »Elektronische Demokratie« kam eszu fast keinen Äußerungen dieser Art. Allerdings stellt sich das Problem auf andererEbene auch für den Deutschen Bundestag: So berichten die dort für die Sichtung voneingehenden E-Mails Zuständigen, dass der Anteil der E-Mails mit Beleidigungen,strafbaren Äußerungen oder rechtsradikalem Hintergrund ebenfalls bei ungefähreinem Drittel liege. Dies sei, vor dem Hintergrund des insgesamt stark angestiege-nen E-Mail-Aufkommens, eine zusätzliche, auch emotionale Belastung. (Zum Ver-gleich: Der Petitionsausschuss nennt für 2002 einen Anteil von ca. 13,5 % verwor-renen, anonymen, beleidigenden oder sonst mangelhaften Eingaben.) Wenn diesesProblem bei Onlinediskussionsangeboten zu erwarten ist, bieten sich Maßnahmenan, bei denen die Potenziale des Internets für lebendige, spontane Diskussion nichtbeeinträchtigt werden (wie z.B. die automatische E-Mail-Benachrichtigung derModeration über neu eingestellte Beiträge oder die Einrichtung von Unterforen mitbesonderen Registrierungspflichten).

In Bezug auf die kurzfristigen und strategischen Handlungsoptionen im Bereichstaatlicher E-Demokratie-Angebote lassen sich – insbesondere auch hinsichtlich desDeutschen Bundestages – drei Möglichkeiten unterscheiden, die einander prinzipiellnicht ausschließen: der Aufbau eines E-Petitionswesens mit netzöffentlicher Kompo-nente, die qualitative Verbesserung und ggf. auch der Ausbau allgemeiner politischerDiskussionsangebote sowie die Modernisierung des Anhörungswesens.

E-PETITIONEN UND NETZÖFFENTLICHE BÜRGERSCHAFTLICHE DISKUSSION

Derzeit ist beabsichtigt, auf der Website des Deutschen Bundestages ein E-Petitions-system einzurichten. Zu diesem Zweck hat sich der Deutsche Bundestag eingehendmit dem international viel beachteten E-Petitioning des schottischen Parlaments aus-einandergesetzt. Durch die Internetveröffentlichung von Petitionen und die Mög-lichkeit anderer Bürger, diese – ebenfalls netzöffentlich – zu kommentieren, würdeein relevanter Beitrag zur bürgerschaftlichen Onlinedeliberation konkreter poli-tischer Fragen und Probleme geleistet werden.

Von Vorteil ist hier auch, dass an bestehende parlamentarische Expertise zum Dialogmit Bürgern angeknüpft werden könnte und – im Gegensatz zu vielen anderen staat-lichen Onlinekommunikationsangeboten – ein Feedback der Politik gewährleistetwäre. Allerdings ist im weiteren Kontext politischer Netzöffentlichkeit sowie hin-sichtlich der Bedeutung für die Arbeit des Deutschen Bundestages daran zu erinnern,

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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dass ein solches Angebot nur für bestimmte Themen und zudem nicht immer für dieArbeit anderer Ausschüsse relevant wäre. Neben einem E-Petitionssystem bestehtalso auch ein Bedarf für Onlineangebote zur Diskussion allgemeiner politischerThemen sowie für Modernisierungsmaßnahmen im Bereich des Anhörungswesens.

ALLGEMEINE POLITISCHE DISKUSSIONSANGEBOTE

Die Bundesregierung hat als kontinuierliches Angebot Fachforen, bei denen Exper-tenwissen und der Sachverstand von Bürgern politisch nutzbar gemacht wird, sowieForen, die den besonderen Informationsbedürfnissen bestimmter Gruppen (wie z.B.Gründer einer »Ich-AG«) dienen. Mit diesem kontinuierlichen Forenangebot wur-den sehr positive Erfahrungen gemacht, eine Fortsetzung wäre daher auf jeden Fallsinnvoll. Darüber hinaus hat die Bundesregierung auch – diskontinuierlich und anverschiedenen Stellen – Angebote zu allgemeinen Diskussionen politischer Themengemacht. Dabei wurden zum Teil sehr umstrittene und emotional bewegende The-men ausgewählt. Viele dieser Angebote waren technisch sehr avanciert, Schwächensind aber bei der inhaltlichen Betreuung und beim Feedback der Politik festzustellen.Hinsichtlich des gesamten Forenangebots der Bundesregierung ist festzuhalten, dassdas geplante zentrale Portal zu diesem Angebot eine deutliche Verbesserung zurjetzigen, unübersichtlichen Situation darstellen würde. Bei der Durchführung vonpolitischen Diskussionsforen erscheint – neben der Berücksichtigung der andereneinschlägigen Empfehlungen (BMI 2002) – vor allem angeraten, das Timing derAngebote zu verbessern, politische Ansprechpartner für die Bürger und eine aktiveModeration zu integrieren sowie in der Vorbereitung der Angebote auch Recherchenzu den thematisch relevanten netzöffentlichen Diskussionen durchzuführen (s.a.IZT 2005). Zur Vermeidung von Enttäuschungen – insbesondere bei jüngeren undpolitisch wenig kundigen – Teilnehmern sollten die besonderen Erwartungshaltun-gen, die bei Diskussionsangeboten der Regierung bestehen, stärker berücksichtigtwerden.

Der Deutsche Bundestag könnte erwägen, ob er sein traditionsreiches und im Ver-gleich zu den meisten anderen Parlamenten weit entwickeltes Onlinediskussionsan-gebot (Foren und Onlinekonferenzen) wieder intensiver nutzt, stärker bewirbt undneu strukturiert, z.B. durch die konsequente Kombination von Foren und Konfe-renzen, wobei letztere – analog zur »virtuellen Podiumsdiskussion« im Rahmen desPilotprojekts »Elektronische Demokratie« – zur Beteiligung der Abgeordneten ge-nutzt und als »Event« in die Foren integriert werden könnten. Ansätze zu einerWeiterentwicklung des Onlinediskussionsangebots bestehen aktuell vor allem aufder jugendspezifischen Website www.mitmischen.de. Vor dem Hintergrund derbesonderen Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe und ihrer starken Internet-nutzung böte es sich auch an, dieses Angebot als Schwerpunkt zu wählen, wobeiallerdings bestehende Unterschiede (Bildung, Medienkompetenz etc.) innerhalb

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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dieser Altersgruppe stärker zu berücksichtigen wären (Iske et al. 2004). Als attrak-tive Option erscheint auch ein Pilotprojekt, bei dem zugleich das Diskussionsan-gebot auf www. bundestag.de und www.mitmischen.de sowie andere Ressourcenund Möglichkeiten des Deutschen Bundestages genutzt werden. Dabei böte sich einThema an, das sowohl viele Jugendliche als auch Erwachsene anspricht und betrifft,z.B. aus dem Bereich der Jugendpolitik. In einem Pilotprojekt ließe sich auch er-proben, inwieweit eine Kooperation mit Verbänden, Unternehmen und zivilgesell-schaftlichen Organisationen in diesem Zusammenhang möglich ist.

MODERNISIERUNG DES ANHÖRUNGSWESENS

Am voraussetzungsreichsten – aber auch für die Politik selbst besonders viel ver-sprechend – ist die Modernisierung des Anhörungswesens. Neben der Erhöhung derTransparenz politischer Prozesse und dem »Einfangen« von Meinungsbildern könn-ten hier – in die Tiefe gehende, zielgruppenspezifische und durch eine sachlicheDiskussion evaluierte – bürgerschaftliche Beiträge für die Politikgestaltung genutztwerden. Dabei geht es nicht um die Einführung eines direktdemokratischenElements. Erreicht werden können vielmehr ein verbesserter Zugriff auf gesellschaft-liche Wissensressourcen und zielgruppenspezifische Onlinedialoge mit Bürgern.

Auf Seiten der Bundesregierung käme es bei der Modernisierung des Anhörungs-wesens zunächst darauf an, ein zentrales Onlineportal zu den eigenen Anhörungeneinzurichten – wie es u.a. die EU und die britische Regierung schon haben. Dabeiließen sich auch Elemente der bürgerschaftlichen Onlinepartizipation und -Diskus-sion (Umfragen, Onlineeinreichung von Stellungnahmen, Diskussionsforen zumThema etc.) integrieren.

Der Deutsche Bundestag könnte bei seinen Anhörungen an die britischen Erfahrun-gen anknüpfen, dabei aber auch – auf Basis der eigenen, langjährigen Erfahrungenmit Onlinediskussionsangeboten – über diese hinaus gehen, z.B. durch die Kombi-nation von Foren, Web-TV, Chats, Onlinekonferenzen und gestuften Onlinebefra-gungen. Erste Ansätze in dieser Richtung finden sich derzeit beim Gesetzgebungs-prozess zum Informationsfreiheitsgesetz. Bei eventuellen Anleihen beim britischenModell sind, wie in der vorliegenden Studie skizziert, die Unterschiede der beidenpolitischen Systeme zu berücksichtigen. Aus den britischen Erfahrungen ergebensich vor allem:

> die Unverzichtbarkeit einer in beide Richtungen – also Politik und teilnehmendeBürger – aktiven Moderation, die Diskussionen notfalls stimuliert und strukturiertund deren Ergebnisse den Bedürfnissen der parlamentarischen Arbeit angemessenaufbereitet;

> die Notwendigkeit eines politischen Konsenses im Parlament zu den Maßnahmenzur Erweiterung digitaler Demokratie;

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> die Vorteile einer engen Kooperation staatlicher Akteure untereinander und mitnicht staatlichen Akteuren;

> die Notwendigkeit einer klaren Regelung der Beteiligung von Abgeordneten oderMitarbeitern;

> der Bedarf für eine sorgfältige Vorbereitung solcher Angebote (insbesondere inBezug auf die Zielgruppenauswahl und Werbung).

Angesichts begrenzter Ressourcen erscheint auch hier eine Konzentration auf einPilotprojekt mit »Best-practice«-Anspruch sinnvoll, wobei dessen experimentellerCharakter gegenüber der Öffentlichkeit zu verdeutlichen wäre.

NETZÖFFENTLICHKEIT UND STAATLICHE WEBANGEBOTE ALSWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSGEGENSTÄNDE

Ein wesentliches Problem für die Bewertung des Internets als Raum politischerKommunikation und damit auch für die Beantwortung der Frage nach politischemHandlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten stellt der Mangel an gesichertemWissen über Struktur und Nutzung des Angebots an politischer Information im Netzwie auch des Umfangs und der Modi politischer Kommunikation im Netz dar.

Auf die grundsätzlichen Schwierigkeiten, die sich der Forschung durch die vernetzteStruktur, die Vielfalt und Flüchtigkeit der Netzkommunikation stellen, ist in diesemBericht verwiesen worden. Zumindest eine ausschnittsweise Erfassung des öffent-lichen politischen Raums Internet scheint aber, wenn auch mit recht großem Ein-satz an Mitteln, möglich (z.B. Koopmans/Zimmermann 2003; Rucht et al. 2004 u.Kap. V.3). Eine Förderung der Weiterentwicklung hierzu nötiger spezifischerMethoden der empirischen Internetforschung sowie aufwendiger Projekte zur Er-fassung von Struktur, Verlauf, Trägern, Themen, und dominanten Modi politischerDiskurse im Netz ist wünschenswert, um die Wissensbasis auch für medien- undkulturpolitische Entscheidungen und Strategien zu verbessern. Schon für die klassi-sche Massenkommunikationsforschung gilt die integrierte inhaltsanalytische Unter-suchung des medialen Angebots und der kulturellen und lebensweltlichen Rahmen-bedingungen der Rezeption von Medieninhalten als wichtiges Forschungsdesiderat.Bei der Internetforschung erscheint die Integration verschiedener Forschungs-methoden aufgrund der interaktiven Struktur des Netzes und der erweitertenAutonomie des Rezipienten (auch als Sender oder Sprecher) als unabdingbareVoraussetzung ertragreicher Forschungsprojekte, wobei Vergleichsstudien (zuMassenmedien- und Netzöffentlichkeit) zusätzliche Herausforderungen mit sichbringen.

Über diesen grundsätzlichen Aspekt hinaus scheinen bezogen auf die Informationpolitischen Handelns folgende Desiderate der Forschung erwähnenswert:

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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> Angesichts der Tatsache, dass sich das spezifische Internet-»Mediendispositiv«noch nicht herausgebildet hat, also nicht davon ausgegangen werden kann, dasssich Art und Weise der Netznutzung bereits zu stabilen kulturellen Mustern ver-festigt haben, ist ein laufendes Monitoring der politischen Kommunikation imNetz erforderlich, um den zu vermutenden weiteren Wandel der Internetkommu-nikation zu verfolgen. Eine Unterstützung der wissenschaftlichen Beobachtungdes Internets als politischem Raum scheint insbesondere deshalb angezeigt, weilin den großen empirischen, auch als Zeitreihen angelegten Untersuchungen zurInternetnutzung (wie z.B. die ARD/ZDF-Onlinestudie) die Nutzung des Netzeszur politischen Information und Kommunikation als Untersuchungsgegenstandkeine große Rolle spielt. Neben umfangreichen empirischen Erhebungen zumStand der politischen Kommunikation im Netz sind zudem auch mehr zielgrup-pen- und themenspezifische Untersuchungen vonnöten, die die Entwicklung vonTeilöffentlichkeiten in den Blick nehmen.

> Ein grundsätzliches forschungspraktisches Desiderat ergibt sich aus der Flüchtig-keit der Internetkommunikation (s.a. TAB 2001): Das Netz ist schon jetzt einInformations- und Wissensspeicher wie es ihn in quantitativer und auch (vorallem in Bezug auf die schnelle Verfügbarkeit der Informationen) in qualitativerHinsicht bisher noch nie gegeben hat. Im Prinzip ergeben sich daraus auch eineenorme Erweiterung und Erleichterung sozialwissenschaftlicher Forschung(schon wegen des möglichen Zugriffs auf das Forschungsmaterial). Dies setztallerdings auch die grundsätzliche Verfügbarkeit der Ergebnisse netzbasierterKommunikation voraus. Ein großer Teil der Netzkommunikation, der für dieForschung von Interesse sein könnte, ist aber im Netz nicht mehr auffindbar, weilWebsites und insbesondere auch die Protokolle von Onlinediskussionen entwedergar nicht oder nur in einer für die Öffentlichkeit und die Wissenschaft unzu-gänglichen Weise archiviert werden. In dieser Hinsicht ist von staatlicher Seitenicht nur die Unterstützung von Initiativen zur Organisation eines »Internetge-dächtnisses« wünschenswert, sondern auch die Onlinearchivierung der auf staat-lichen Websites bereitgestellten Informationsangebote und Onlinediskussionen.

> Für die Evaluation von Onlinediskussionen existieren bereits sehr gut geeigneteInstrumente zur Anbieterbefragung (BMI 2003, Anhang, S. 25–30; s.a. HC2002a; OECD 2003), bei denen lediglich der Aspekt der Onlinearchivierung zuintegrieren wäre. Relevante Punkte sind hier der Zweck des Forums, der Zeit-punkt im Entscheidungsprozess, Grundsätze und Methoden der Moderation,Erwartungen der Anbieter, Resonanz, Aufwand, Zielgruppen, Technik und Schu-lungsaufwand, Werbung, Kombination mit anderen Maßnahmen wie z.B. Chats,Nutzerzufriedenheit, Vor- und Nachbereitung, Weiterleitung der Ergebnisse undEinbindung in gewöhnliche Verwaltungsabläufe, Feedback für die Nutzer,Missbrauch durch Nutzer, vorherige Erfahrungen und Zufriedenheit der Anbietersowie Folgerungen für die zukünftige Arbeit. Auch für die inhaltliche Aus-

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VI. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

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wertung der Diskussionen durch die Politik bestehen bereits national (Presse- undInformationsamt der Bundesregierung 2003) wie international Vorbilder. Insbe-sondere in Deutschland wenig entwickelt ist hingegen die Praxis im Bereich dernutzerseitigen Evaluation der Foren. Hier wäre ein regelmäßiger Einsatz vonnachträglichen Befragungen der Teilnehmer zu erwägen. Eine verstärkte wissen-schaftliche Untersuchung laufender und abgeschlossener Aktivitäten zur netzba-sierten Kommunikation zwischen Staat und Bürgern und zur Onlinedeliberationkönnte die Fortentwicklung und Optimierung der Angebote maßgeblich unter-stützen. Dabei sollte das Augenmerk insbesondere auch auf die Frage derEinpassung der Angebote in die bestehenden Strukturen und Verfahren derrepräsentativen Demokratie gerichtet werden.

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2. HANDLUNGSOPTIONEN

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ANHANG

TABELLENVERZEICHNIS 1.

Tab. 1 Anbieter der Internettexte nach Akteurskategorien . . . . . . . . . . . 205

Tab. 2 Hyperlinkstruktur nach Herkunftsländern (in %) . . . . . . . . . . . . 207

Tab. 3 Texttypen im Internet und in den Zeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Tab. 4 Tendenz der Unterthemen nach Suchwortkombinationen und Zeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Tab. 5 Begründete und unbegründete politische Stellungnahmen . . . . . . 211

Tab. 6 Hyperlinkstruktur nach Akteurskategorien (in %) . . . . . . . . . . . . 212

Tab. 7 Anbieter aus dem ersten Download der Suchmaschinenanalyse . . 216

ABBILDUNGSVERZEICHNIS 2.

Abb. 1 Kommunikationsangebote (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

Abb. 2 Woher beziehen Sie Ihre Informationen zum Thema Urheberrecht? (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Abb. 3 Von welchen der folgenden Akteure haben Sie Internetangebote zum Thema Urheberrecht wahrgenommen? (in %) . . . . . . . . . . . 196

Abb. 4 Welche persönlichen Vorteile haben Sie von der Nutzung des Internets bei der Urheberrechtsdebatte? (in %) . . . . . . . . . . . . . . 198

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