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ÜBER GELD SPRICHT MAN DiePresse.com/meingeld Die Geschichte des Gold Dukaten Wir haben nachgedacht, wie man Spa- rern Das ist eine Goldmünze, die jeder von uns kennt: der einfache Dukat. Die meisten haben Dukaten auch schon in der Hand gehabt, oder vielleicht auch selbst einige davon besessen. Immerhin waren Dukaten viele Jahrzehnte das idea- le Geschenk für Paten- und Enkelkinder. Aber wo kommt diese weltberühmte Münze eigentlich her und wo wurde sie zum ersten Mal geprägt? Sie werden sehen – eine interessante Geschichte! Dukaten wurden erstmals im 13. Jahrhundert – also vor mehr als 700 Jahren! – in Venedig geprägt. In einem Protokoll des Großen Rates von Venedig am 31.10.1284 wurde ein entspre- chender Beschluss unter der Herrschaft des Dogen Giovanni Dandolo festgehalten. Der Name „Dukat“ leitet sich aus der Um- schrift auf dem Revers der Münze ab. Diese lautet: Sit tibi Christe datus quem tu regis iste ducatus und bedeutet: Dir, Christus, sei dieses Herzogtum, welches du regierst, gegeben. Bei Amtsantritt eines Dogen wur- den entsprechende Dukaten geprägt, die auf dem Avers den Dogen kniend vor dem Heiligen Markus zeigten, auf dem Revers Christus mit der erwähnten Umschrift. Von Venedig aus trat der Dukat seinen Sie- geszug durch ganz Europa an und wurde in den folgenden Jahrhunderten in vielen Län- dern geprägt. So auch in Österreich, wo der Dukat schließlich ab 1852 mit dem heu- te bekannten Prägebild hergestellt wurde. Dieses Prägebild wurde – mit dem aktuellen Jahrgang versehen – bis 1915 beibehalten. Übrigens wurde die Legierung der Dukaten und das Gewicht (986/1000 fein, Rauge- wicht 3,4909 Gramm) im Laufe der Zeit nur unwesentlich verändert. Dukaten spielten im Goldhandel im- mer schon eine wichtige Rolle, und so wurden die einfachen und vierfachen Dukaten ab 1915 für den Goldhandel mit gleicher Jahreszahl weitergeprägt – und das ist bis heute so geblieben! Anzeige KONJUNKTUR Wirtschaftswachstum, 2019 +1,6% ........ BIP-Veränderung, Wifo 2020* – 6,8 % .... Inflationsrate Okt. + 1,3 % ......................... Arbeitslosenrate Okt. 8,7 % ..................... Arbeitslosenrate Eurostat 5,5 % .............. Beschäftigte absolut, Okt. 3.697.000 ....... Veränderung zum Vorjahr – 1,0 % ............ Übernachtungen im Fremdenverkehr, September (vorläufige Zahlen) 9.843.600 .................. Veränderung in % – 14,1 ........................... Inländer absolut 3.950.400 ...................... Veränderung in % + 13,9 ........................... Ausländer absolut 5.893.200 ................... Veränderung in % – 26,2 .......................... Indizes Oktober (vorläufige Zahlen) Verbraucherpreis, Basis 2015 108,6 ........ Verbraucherpreis, Basis 2010 120,2 ........ Verbraucherpreis, Basis 2005 131,6 ........ Verbraucherpreis, Basis 2000 145,5 ........ Verbraucherpreis, Basis 1996 153,1 ......... Verbraucherpreis, Basis 1986 200,3 ........ Verbraucherpreis, Basis 1976 311,2 .......... Verbraucherpreis, Basis 1966 546,3 ....... LHKI, Basis 1945 6115,6 .......................... GHPI, Basis 2015: Okt. 101,6 .................... Veränderung zum Vorjahr – 4,1 % ............ Baukostenindex, Basis 15: Okt. 109,6 ..... Veränderung zum Vorjahr + 1,2 % ............ Tariflohnindex, Basis 16: Okt. 110,0 .......... Veränderung zum Vorjahr +2,2% ........... * Prognose 12 MEIN GELD MONTAG, 30. NOVEMBER 2020 Interview. Schriftsteller Georg Thiel über das Therapeutische an Autobiografien, das langweilige Leben vieler Autoren und über die Unmöglichkeit, einen Bestseller zu planen. „Ein Buch ist wie ein Brieflos“ VON HANNA KORDIK Die Presse: Auf Ihrer Website er- fährt man nicht allzu viel von Ih- nen. Unter „Vita“ gibt es bloß ein Foto von Ihnen und ein Zitat von Heimito von Doderer, das lautet: „Der Schriftsteller ist ein ekel- hafter Kerl.“ Sie sehen das offen- bar auch so? Georg Thiel: Mir gefällt das Zitat einfach, aber es hat keinen Bezug zu mir – ich bin ein sehr char- manter, reizender, empathischer Mensch. Ich hatte vor wenigen Wochen ein anderes Doderer-Zitat dort stehen, nämlich: „Ein Schrift- steller hat keine Biografie.“ Das ge- fiel mir fast noch besser. Warum? Weil die meisten Schriftsteller ein fürchterlich langweiliges Leben führen und aus ihrer Innenwelt her schreiben. Aber ihr eigentliches Le- ben findet oft am Schreibtisch vor einem Computer statt und verläuft nicht sehr spektakulär. Ein Schrift- steller verbringt viel Zeit damit, zu versuchen, einen Gedanken aus seinem Kopf raus zu wringen. Klingt nicht sonderlich glamou- rös. Das hat sozial etwas zutiefst Zom- biehaftes, wenn man es ganz ernsthaft betreibt. Doderer als Fa- milienmensch wäre zum Beispiel nur schwer vorstellbar. Wann und warum haben Sie be- schlossen, Schriftsteller zu wer- den? Es war nicht gerade so, dass die Dämonen in mir gewütet haben. Aber mit Anfang 30 hatte ich diver- se Katalogbeiträge verfasst und mich auch journalistisch betätigt – in meinen Zwanzigern hab ich bei einem großen kanadischen Fach- zeitschriftenverlag gearbeitet, das war aber nichts für mich. Mit An- fang 30 hatte ich also nach vielen Irrungen und Wirrungen mein Studium abgeschlossen und auch noch Geld aus einer Erbschaft zur Verfügung. Und da habe ich mir gedacht, dass ich einen Roman schreibe, weil ich das immer schon tun wollte. Und der Rest ist Geschichte? Nicht ganz. Ich habe dann jahre- lang einen Verlag gesucht, der mein Werk auch veröffentlicht. Es wurde also mühsam. Genau. Es gibt jährlich über 90.000 Neuerscheinungen im deutsch- sprachigen Raum. Davon sind ein gutes Drittel Romane. Da ist man dann einer von 30.000. Und es gibt nicht sehr viele Verlage. Die aber bekommen tagtäglich zahllose Manuskripte – ohne, dass sie da- nach gefragt hätten. Und da bleibt halt wenig hängen. Wie lang waren Sie schlussend- lich auf Verlagssuche? Das hat Jahre gedauert. Ich hab nämlich in meiner damaligen Nai- vität mein Manuskript hoffnungs- froh an etliche Topverlage ge- schickt. Das dauert dann bis zu zwei Jahre, bis man eine Absage bekommt. Wenn überhaupt. Man- che haben sich auch darüber be- schwert, dass ich zu wenig Rück- porto mitgeschickt habe. Wahr- scheinlich wäre das Buch nie er- schienen, hätte ich nicht bei einer privaten Einladung einen Verleger kennengelernt. Dann ist schließlich „Im Laby- rinth des Unglücks“ erschienen. Da geht es um das Leben und Sterben eines „kleinen“ Men- schen. Geht es da um jemanden, den Sie kennen? Initialzündung war ein Mann, den ich – ich weiß nicht mehr wo – kennengelernt hatte. Der hatte einen hervorragend bezahlten Job in der Kulturbranche, war aber von abenteuerlicher Unzuständig- keit. Das hat mich fasziniert: Leu- te, die in Positionen sitzen und da- für vollkommen ungeeignet sind. Ich hab dann schlussendlich eine Familiengeschichte dieses Mannes erfunden. In Ihrem neuesten Roman, „Die Natur der Dinge“, geht es um einen armen Tropf, der von sei- ner Frau zu einem Seminar über autobiografisches Schreiben ge- schickt wird, damit er zu Hause nicht im Weg steht. In dem Se- minar stellt sich der Mann sei- ner Vergangenheit. Sie selbst leiten ja solche Seminare in der Akademie Geras. Geht es dort wirklich so zu? Insofern, als die Menschen, die das Seminar buchen, meist ein nicht aufgearbeitetes Problem ha- ben. Es ist jedenfalls äußerst sel- ten, dass wir Teilnehmer haben, die sagen: „Mein Leben ist so großartig – das muss ich jetzt ein- fach darlegen.“ So ein Seminar hat also auch et- was Therapeutisches? Absolut. Oft fließen auch Tränen. In Ihrem Roman werden die Seminarteilnehmer als vom Schicksal gebeutelte Menschen beschrieben. Die Hauptperson, Heinrich, ist ein Prototyp, der gar nicht so sel- ten ist: Er kommt aus der Gene- ration der Österreicher, die Kriegskinder gewesen sind, so um 1940 geboren, Vater in russi- scher Kriegsgefangenschaft – und die dann lebenslänglich in einer Firma gearbeitet haben. Und sie sind oft in die Frühpension ge- gangen, mit Ende 50. Das Buch spielt im Jahr 2000, und ich kann mich an die Väter von vielen Schulfreunden erinnern, die zu Hause herumgesessen und ihren Ehefrauen wahnsinnig auf die Nerven gegangen sind. Die hat- ten keinen Plan B. Ist jemals ein Buch eines Semi- narteilnehmers erschienen? Ja. Von Susanne Schober-Bendi- xen, die aus einer jüdischen Textil- dynastie kommt. Das Buch heißt „Die Tuch-Redlichs“. Eine faszi- nierende Familiengeschichte. Aber kann man Schreiben über- haupt lernen? Sie leiten ja auch Seminare, in denen man lernt, einen Roman zu schreiben. Die meisten Teilnehmer können schreiben. Ich hab da auch gro- ßen Respekt, weil sie gezwungen werden, in einem gewissen Zeit- raum einen Text zu verfassen. Das ist wie bei einer Schularbeit! Aber vermutlich buchen viele das Seminar, weil mein Untertitel lautet: „Wie finde ich einen Ver- lag?“ Welcher Fehler wird bei Autobio- grafien am öftesten gemacht? Unaufrichtigkeit. Viele versuchen, ihr Leben zu schönen. Und dann wird es langweilig. Ich erinnere da gern an das Zitat von Orwell: „Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Niederlagen.“ Man muss wirk- lich schonungslos sein, und das schafft nicht jeder. Es ist aber auch schwierig, weil man sich total ent- blößt. Was empfehlen Sie: eine Auto- biografie in der Ichform oder in der dritten Person? Man tut sich beim Abstrahieren leichter, wenn man die Ichform verlässt. Aber eine gute Übung ist, einen Nachruf auf sich selbst zu verfassen – da hat man dann die Quintessenz seines Lebens. Können Sie von Ihren Büchern leben? Nein, nicht annähernd! Pro ver- kauftem Exemplar bekommt man ja zehn Prozent. Das sind also rund zwei Euro pro verkauftem Buch. Also kuratiere ich Ausstel- lungen und mache wie gesagt die Schreibseminare. Haben Sie beim Schreiben nicht den unbändigen Wunsch, einen Bestseller zu schaffen? Naja, in Österreich hat man einen Bestseller, wenn man 5000 Stück verkauft. Dann hat man rund 10.000 Euro eingenommen. Damit wären zumindest meine Probleme nicht gelöst. Außerdem: Einen Bestseller kann man nicht planen. Ein Buch ist so etwas wie ein Brieflos: Es kann ein Haupttreffer werden. Aber meis- tens heißt es: „Leider nicht.“ Das Romanschreiben ist für Sie also so etwas wie ein sehr zeitin- tensives Hobby? So kann man es sehen. Hatten Sie im Lauf der Jahre ir- gendwann auch existenzielle Sorgen? Ich bin eine Existenz mit einem überzogenen Konto, seit ich zu- rückdenken kann. Aber ernsthafte Sorgen hatte ich da nie. Ich bin von meinem Selbstverständnis her Autor, aber nicht unbedingt aus ökonomischer Notwendigkeit. Ob- wohl: Das heurige Jahr war schon heftig. Andererseits ist Corona der literarischen Produktion durchaus förderlich. [ Clemens Fabry] ZUR PERSON Georg Thiel, geboren am 11. Februar 1971 in Wien, ist freier Autor, Ausstellungskurator und Seminarleiter. Er hat zahlreiche Bücher verfasst, darunter die Romane „Im Labyrinth des Unglücks“ und „Jud“. Vor Kurzem ist sein neuester Roman, „Die Natur der Dinge“, im Verlag Braumüller erschienen. Darin geht es um ein Seminar für autobiografisches Schreiben – Thiel leitet Seminare dieser Art in der Akademie Geras.

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  • ÜBER GELDSPRICHT MAN

    DiePresse.com/meingeld

    Die Geschichte des Gold DukatenWir haben nachgedacht, wie man Spa-rern Das ist eine Goldmünze, die jedervon uns kennt: der einfache Dukat. Diemeisten haben Dukaten auch schon inder Hand gehabt, oder vielleicht auchselbst einige davon besessen. Immerhinwaren Dukaten viele Jahrzehnte das idea-le Geschenk für Paten- und Enkelkinder.Aber wo kommt diese weltberühmteMünze eigentlich her und wo wurde siezum ersten Mal geprägt?Sie werden sehen – eine interessanteGeschichte!Dukaten wurden erstmals im 13.Jahrhundert – also vor mehr als 700Jahren! – in Venedig geprägt.In einem Protokoll des Großen Rates vonVenedig am 31.10.1284 wurde ein entspre-chender Beschluss unter der Herrschaftdes Dogen Giovanni Dandolo festgehalten.Der Name „Dukat“ leitet sich aus der Um-schrift auf dem Revers der Münze ab. Dieselautet: Sit tibi Christe datus quem tu regisiste ducatus und bedeutet: Dir, Christus,sei dieses Herzogtum, welches du regierst,gegeben. Bei Amtsantritt eines Dogen wur-den entsprechende Dukaten geprägt, dieauf dem Avers den Dogen kniend vor demHeiligen Markus zeigten, auf dem ReversChristus mit der erwähnten Umschrift.Von Venedig aus trat der Dukat seinen Sie-geszug durch ganz Europa an und wurde inden folgenden Jahrhunderten in vielen Län-dern geprägt. So auch in Österreich, woder Dukat schließlich ab 1852 mit dem heu-te bekannten Prägebild hergestellt wurde.Dieses Prägebild wurde – mit dem aktuellenJahrgang versehen – bis 1915 beibehalten.Übrigens wurde die Legierung der Dukatenund das Gewicht (986/1000 fein, Rauge-wicht 3,4909 Gramm) im Laufe der Zeit nurunwesentlich verändert.Dukaten spielten im Goldhandel im-mer schon eine wichtige Rolle, und sowurden die einfachen und vierfachenDukaten ab 1915 für den Goldhandelmit gleicher Jahreszahl weitergeprägt– und das ist bis heute so geblieben!

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    KONJUNKTURWirtschaftswachstum, 2019 +1,6 %........BIP-Veränderung, Wifo 2020 * – 6,8 %....Inflationsrate Okt. + 1,3 %.........................Arbeitslosenrate Okt. 8,7 %.....................Arbeitslosenrate Eurostat 5,5 %..............Beschäftigte absolut, Okt. 3.697.000.......Veränderung zum Vorjahr – 1,0 %............Übernachtungen im Fremdenverkehr,September(vorläufige Zahlen) 9.843.600..................Veränderung in % – 14,1...........................Inländer absolut 3.950.400......................Veränderung in % + 13,9...........................Ausländer absolut 5.893.200...................Veränderung in % – 26,2..........................Indizes Oktober(vorläufige Zahlen)

    Verbraucherpreis, Basis 2015 108,6........Verbraucherpreis, Basis 2010 120,2........Verbraucherpreis, Basis 2005 131,6........Verbraucherpreis, Basis 2000 145,5........Verbraucherpreis, Basis 1996 153,1.........Verbraucherpreis, Basis 1986 200,3........Verbraucherpreis, Basis 1976 311,2..........Verbraucherpreis, Basis 1966 546,3.......LHKI, Basis 1945 6115,6..........................GHPI, Basis 2015: Okt. 101,6....................Veränderung zum Vorjahr – 4,1 %............Baukostenindex, Basis 15: Okt. 109,6.....Veränderung zum Vorjahr + 1,2 %............Tariflohnindex, Basis 16: Okt. 110,0..........Veränderung zum Vorjahr + 2,2 %...........

    * Prognose

    12 MEIN GELD MONTAG, 30. NOVEMBER 2020

    Interview. Schriftsteller Georg Thiel über das Therapeutische an Autobiografien, das langweilige Leben vieler Autoren undüber die Unmöglichkeit, einen Bestseller zu planen.

    „Ein Buch ist wie ein Brieflos“VON HANNA KORDIK

    Die Presse: Auf Ihrer Website er-fährt man nicht allzu viel von Ih-nen. Unter „Vita“ gibt es bloß einFoto von Ihnen und ein Zitat vonHeimito von Doderer, das lautet:„Der Schriftsteller ist ein ekel-hafter Kerl.“ Sie sehen das offen-bar auch so?Georg Thiel: Mir gefällt das Zitateinfach, aber es hat keinen Bezugzu mir – ich bin ein sehr char-manter, reizender, empathischerMensch. Ich hatte vor wenigenWochen ein anderes Doderer-Zitatdort stehen, nämlich: „Ein Schrift-steller hat keine Biografie.“ Das ge-fiel mir fast noch besser.

    Warum?Weil die meisten Schriftsteller einfürchterlich langweiliges Lebenführen und aus ihrer Innenwelt herschreiben. Aber ihr eigentliches Le-ben findet oft am Schreibtisch voreinem Computer statt und verläuftnicht sehr spektakulär. Ein Schrift-steller verbringt viel Zeit damit, zuversuchen, einen Gedanken ausseinem Kopf raus zu wringen.

    Klingt nicht sonderlich glamou-rös.Das hat sozial etwas zutiefst Zom-biehaftes, wenn man es ganz

    ernsthaft betreibt. Doderer als Fa-milienmensch wäre zum Beispielnur schwer vorstellbar.

    Wann und warum haben Sie be-schlossen, Schriftsteller zu wer-den?Es war nicht gerade so, dass dieDämonen in mir gewütet haben.Aber mit Anfang 30 hatte ich diver-se Katalogbeiträge verfasst undmich auch journalistisch betätigt –in meinen Zwanzigern hab ich beieinem großen kanadischen Fach-zeitschriftenverlag gearbeitet, daswar aber nichts für mich. Mit An-fang 30 hatte ich also nach vielenIrrungen und Wirrungen meinStudium abgeschlossen und auchnoch Geld aus einer Erbschaft zurVerfügung. Und da habe ich mirgedacht, dass ich einen Romanschreibe, weil ich das immerschon tun wollte.

    Und der Rest ist Geschichte?Nicht ganz. Ich habe dann jahre-lang einen Verlag gesucht, dermein Werk auch veröffentlicht.

    Es wurde also mühsam.Genau. Es gibt jährlich über 90.000Neuerscheinungen im deutsch-sprachigen Raum. Davon sind eingutes Drittel Romane. Da ist mandann einer von 30.000. Und es gibtnicht sehr viele Verlage. Die aberbekommen tagtäglich zahlloseManuskripte – ohne, dass sie da-nach gefragt hätten. Und da bleibthalt wenig hängen.

    Wie lang waren Sie schlussend-lich auf Verlagssuche?Das hat Jahre gedauert. Ich habnämlich in meiner damaligen Nai-vität mein Manuskript hoffnungs-froh an etliche Topverlage ge-schickt. Das dauert dann bis zuzwei Jahre, bis man eine Absagebekommt. Wenn überhaupt. Man-che haben sich auch darüber be-schwert, dass ich zu wenig Rück-porto mitgeschickt habe. Wahr-scheinlich wäre das Buch nie er-schienen, hätte ich nicht bei einerprivaten Einladung einen Verlegerkennengelernt.

    Dann ist schließlich „Im Laby-rinth des Unglücks“ erschienen.Da geht es um das Leben undSterben eines „kleinen“ Men-schen. Geht es da um jemanden,den Sie kennen?Initialzündung war ein Mann, denich – ich weiß nicht mehr wo –kennengelernt hatte. Der hatteeinen hervorragend bezahlten Jobin der Kulturbranche, war abervon abenteuerlicher Unzuständig-keit. Das hat mich fasziniert: Leu-te, die in Positionen sitzen und da-für vollkommen ungeeignet sind.Ich hab dann schlussendlich eineFamiliengeschichte dieses Manneserfunden.

    In Ihrem neuesten Roman, „DieNatur der Dinge“, geht es umeinen armen Tropf, der von sei-ner Frau zu einem Seminar überautobiografisches Schreiben ge-schickt wird, damit er zu Hausenicht im Weg steht. In dem Se-

    minar stellt sich der Mann sei-ner Vergangenheit. Sie selbstleiten ja solche Seminare in derAkademie Geras. Geht es dortwirklich so zu?Insofern, als die Menschen, diedas Seminar buchen, meist einnicht aufgearbeitetes Problem ha-ben. Es ist jedenfalls äußerst sel-ten, dass wir Teilnehmer haben,die sagen: „Mein Leben ist sogroßartig – das muss ich jetzt ein-fach darlegen.“

    So ein Seminar hat also auch et-was Therapeutisches?Absolut. Oft fließen auch Tränen.

    In Ihrem Roman werden dieSeminarteilnehmer als vomSchicksal gebeutelte Menschenbeschrieben.Die Hauptperson, Heinrich, istein Prototyp, der gar nicht so sel-ten ist: Er kommt aus der Gene-ration der Österreicher, dieKriegskinder gewesen sind, soum 1940 geboren, Vater in russi-scher Kriegsgefangenschaft – unddie dann lebenslänglich in einerFirma gearbeitet haben. Und siesind oft in die Frühpension ge-gangen, mit Ende 50. Das Buchspielt im Jahr 2000, und ich kannmich an die Väter von vielenSchulfreunden erinnern, die zuHause herumgesessen und ihrenEhefrauen wahnsinnig auf dieNerven gegangen sind. Die hat-ten keinen Plan B.

    Ist jemals ein Buch eines Semi-narteilnehmers erschienen?Ja. Von Susanne Schober-Bendi-xen, die aus einer jüdischen Textil-dynastie kommt. Das Buch heißt„Die Tuch-Redlichs“. Eine faszi-nierende Familiengeschichte.

    Aber kann man Schreiben über-haupt lernen? Sie leiten ja auchSeminare, in denen man lernt,einen Roman zu schreiben.Die meisten Teilnehmer könnenschreiben. Ich hab da auch gro-ßen Respekt, weil sie gezwungenwerden, in einem gewissen Zeit-raum einen Text zu verfassen.

    Das ist wie bei einer Schularbeit!Aber vermutlich buchen vieledas Seminar, weil mein Untertitellautet: „Wie finde ich einen Ver-lag?“

    Welcher Fehler wird bei Autobio-grafien am öftesten gemacht?Unaufrichtigkeit. Viele versuchen,ihr Leben zu schönen. Und dannwird es langweilig. Ich erinnere dagern an das Zitat von Orwell: „DasLeben ist eine Aneinanderreihungvon Niederlagen.“ Man muss wirk-lich schonungslos sein, und dasschafft nicht jeder. Es ist aber auchschwierig, weil man sich total ent-blößt.

    Was empfehlen Sie: eine Auto-biografie in der Ichform oder inder dritten Person?Man tut sich beim Abstrahierenleichter, wenn man die Ichformverlässt. Aber eine gute Übung ist,einen Nachruf auf sich selbst zuverfassen – da hat man dann dieQuintessenz seines Lebens.

    Können Sie von Ihren Büchernleben?Nein, nicht annähernd! Pro ver-kauftem Exemplar bekommt manja zehn Prozent. Das sind alsorund zwei Euro pro verkauftemBuch. Also kuratiere ich Ausstel-

    lungen und mache wie gesagt dieSchreibseminare.

    Haben Sie beim Schreiben nichtden unbändigen Wunsch, einenBestseller zu schaffen?Naja, in Österreich hat man einenBestseller, wenn man 5000 Stückverkauft. Dann hat man rund 10.000Euro eingenommen. Damit wärenzumindest meine Probleme nichtgelöst. Außerdem: Einen Bestsellerkann man nicht planen. Ein Buchist so etwas wie ein Brieflos: Es kannein Haupttreffer werden. Aber meis-tens heißt es: „Leider nicht.“

    Das Romanschreiben ist für Siealso so etwas wie ein sehr zeitin-tensives Hobby?So kann man es sehen.

    Hatten Sie im Lauf der Jahre ir-gendwann auch existenzielleSorgen?Ich bin eine Existenz mit einemüberzogenen Konto, seit ich zu-rückdenken kann. Aber ernsthafteSorgen hatte ich da nie. Ich binvon meinem Selbstverständnis herAutor, aber nicht unbedingt ausökonomischer Notwendigkeit. Ob-wohl: Das heurige Jahr war schonheftig. Andererseits ist Corona derliterarischen Produktion durchausförderlich. [ Clemens Fabry]

    ZUR PERSON

    Georg Thiel, geboren am 11. Februar1971 in Wien, ist freier Autor,Ausstellungskurator und Seminarleiter.Er hat zahlreiche Bücher verfasst,darunter die Romane „Im Labyrinth desUnglücks“ und „Jud“. Vor Kurzem istsein neuester Roman, „Die Natur derDinge“, im Verlag Braumüllererschienen. Darin geht es um einSeminar für autobiografischesSchreiben – Thiel leitet Seminare dieserArt in der Akademie Geras.