Interview mit Prof. Dr. Claudia Sommerer zur ... · Blutdruckkontrollen sowie Dokumen - tation der...

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Medizin 20 DER NIERENPATIENT 6/2013 www.nierenpatient-online.de Interview mit Prof. Dr. Claudia Sommerer zur Nierenlebendspende „Fast kein Patient bereut die Entscheidung“ Wie werden Lebendspender ausge- wählt und was sind mögliche Aus- schlusskriterien? Die Auswahl erfolgt nach dem Trans- plantationsgesetz: Verwandte oder nahestehende Personen dürfen spen- den, die Spender müssen gesund und psychisch stabil sein. Es erfolgen ei- ne ausführliche Anamnese, eine kör- perliche Untersuchung sowie Labor- untersuchungen, darüber hinaus ei- ne apparative Diagnostik und mehre- re Konsile. Wir untersuchen die Per- son also auf „Herz und Niere“. Geeig- net sind Spender mit einer normalen glomerulären Flitrationsrate (GFR). Ein Ausschlusskrterium ist Diabetes. Blut- hochdruck (Hypertonie) muss mit max imal 1 Medikament optimal regulierbar sein. Beim Body Mass Index (BMI) soll- te keine übermäßige Adipositas vorlie- gen. Hier gibt es jedoch keine festge- setzten Grenzen der einzelnen Zent- ren. zwischen den Zentren) Vorsicht ist bei Wundheilungsstörungen und einem erhöhten Narkoserisiko gebo- ten. OP-Fähigkeit und Nierenfunktion haben eine obere Altersgrenze (relati- ve Grenze), die Familienplanung sollte möglichst abgeschlossen sein (insbess- onder bei Spenderinnen). Welche ethischen und gesellschaft- lichen Aspekte müssen bei der Le- bendspende berücksichtigt werden? Im Bereich der Organspende müssen einerseits die engen gesetzlichen Vor- gaben beachtet werden, andererseits spielen ethische und gesellschaftli- che Aspekte in diesem sensiblen Bereich eine we- sentliche Rolle. Nicht gestattet ist in Deutsch- land eine Organ- spende gegen fi- nanzielle oder materielle Gegen- leistungen. Diese Punkte werden u.a. im Ethikkonsil sowie in der psychologischen Evaluation vor der Spende adressiert und eruiert. Bei Unklarheiten wird im Zweifelsfall von einer Transplantation Ab- stand genommen. Diese Themen sind jedoch von gesellschaftlichen Bewer- tungen abhängig. Wie sieht das in anderen Ländern aus? Weltweit gibt es sowohl le- gale als auch illegale Ge- pflogenheiten im Sinne von „Organhandel“. So ist Ein Schwerpunkt der Arbeit von Prof. Dr. Claudia Sommerer vom Nierenzentrum Heidelberg sind Nieren- lebendspenden. Wer dafür in Frage kommt und wie die Prognosen heute sind, berichtete sie Gabriele und Uwe Korst vom BN e.V. Gabriele hat ihrem Ehemann vor zwei Jahren eine Niere gespendet. Prof. Dr. Claudia Sommerer Nierenle- bendspenden legen weiter zu, erklärt die Oberärztin aus Heidelberg. 2012 wurden 766 Nierenlebendspenden von insgesamt 2586 Nierentransplantation in Deutschland vorgenommen. Lag deren Anteil 2010 noch bei 22,6 % kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg um 7 % (29,6 %). Nicht jeder ist für eine Spende geeignet. Die Person muss gesund und psychisch stabil sein. Uns sie muss ein für den Empfänger medizinisch passendes Spenderorgan haben.

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Interview mit Prof. Dr. Claudia Sommerer zur Nierenlebendspende

„Fast kein Patient bereut die Entscheidung“

Wie werden Lebendspender ausge-wählt und was sind mögliche Aus-schlusskriterien? Die Auswahl erfolgt nach dem Trans-plantationsgesetz: Verwandte oder nahestehende Personen dürfen spen-den, die Spender müssen gesund und

psychisch stabil sein. Es erfolgen ei-ne ausführliche Anamnese, eine kör-perliche Untersuchung sowie Labor-untersuchungen, darüber hinaus ei-ne apparative Diagnostik und mehre-re Konsile. Wir untersuchen die Per-son also auf „Herz und Niere“. Geeig-net sind Spender mit einer normalen glomerulären Flitrationsrate (GFR). Ein Ausschlusskrterium ist Diabetes. Blut-

hochdruck (Hypertonie) muss mit max imal 1 Medikament optimal regulierbar sein. Beim Body Mass Index (BMI) soll-te keine übermäßige Adipositas vorlie-gen. Hier gibt es jedoch keine festge-setzten Grenzen der einzelnen Zent-ren. zwischen den Zentren) Vorsicht

ist bei Wundheilungsstörungen und einem erhöhten Narkoserisiko gebo-ten. OP-Fähigkeit und Nierenfunktion haben eine obere Altersgrenze (relati-ve Grenze), die Familienplanung sollte möglichst abgeschlossen sein (insbess-onder bei Spenderinnen).

Welche ethischen und gesellschaft-lichen Aspekte müssen bei der Le-

bendspende berücksichtigt werden?Im Bereich der Organspende müssen einerseits die engen gesetzlichen Vor-gaben beachtet werden, andererseits spielen ethische und gesellschaftli-che Aspekte in diesem sensiblen Bereich eine we-sentliche Rolle.Nicht gestattet ist in Deutsch-land eine Organ-spende gegen fi-nanzielle oder materielle Gegen-leistungen. Diese Punkte werden u.a. im Ethikkonsil sowie in der psychologischen Evaluation vor der Spende adressiert und eruiert. Bei Unklarheiten wird im Zweifelsfall von einer Transplantation Ab-stand genommen. Diese Themen sind jedoch von gesellschaftlichen Bewer-tungen abhängig.

Wie sieht das in anderen Ländern aus?Weltweit gibt es sowohl le-gale als auch illegale Ge-pflogenheiten im Sinne von „Organhandel“. So ist

Ein Schwerpunkt der Arbeit von Prof. Dr. Claudia Sommerer vom Nierenzentrum Heidelberg sind Nieren-

lebendspenden. Wer dafür in Frage kommt und wie die Prognosen heute sind, berichtete sie Gabriele und

Uwe Korst vom BN e.V. Gabriele hat ihrem Ehemann vor zwei Jahren eine Niere gespendet.

Prof. Dr. Claudia Sommerer Nierenle-bendspenden legen weiter zu, erklärt die Oberärztin aus Heidelberg. 2012 wurden 766 Nierenlebendspenden von insgesamt 2586 Nierentransplantation in Deutschland vorgenommen. Lag deren Anteil 2010 noch bei 22,6 % kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg um 7 % (29,6 %). Nicht jeder ist für eine Spende geeignet. Die Person muss gesund und psychisch stabil sein. Uns sie muss ein für den Empfänger medizinisch passendes Spenderorgan haben.

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nicht nur in Fachkreisen bekannt, dass z.B. der Iran ein offizielles System zur bezahlten Organspende aufgebaut hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Freiwilligkeit der Organspende, kein Mensch sollte direkt oder indirekt zum Schritt der Organspende gedrängt wer-den.Während in Deutschland die Lebendor-ganspende teilweise kritisch betrach-tet wird, ist in anderen Ländern die Le-bendspende die einzig mögliche Be-handlungsoption, da eine Verstorbe-nen-Transplantation aus gesellschaft-lichen und religiösen Gesichtspunkt tabu ist.

Interessant ist es sicherlich, sich mit den weltweiten Unterschieden hin-sichtlich der Einstellung zur Lebendor-gans-Spende zu beschäftigen.

Wie viele Lebendspenden wurden im vergangenen Jahr durchgeführt? Die Bedeutung der Nierenlebendspen-de hat in den vergangenen Jahren zu-genommen und wird noch weiter zu-nehmen. Dies ist nicht nur in dem be-

stehenden „Organmangel“ und den damit verbundenen lan-

gen Wartezeiten auf eine Niere be-gründet, sondern auch in den sehr

g u t e n

Ergebnissen hinsichtlich kurz- und langfristiger Organfunktion nach Le-bendspenden. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden

im Jahr 2012 in den deutschen Trans-plantationszentren insgesamt 4.555 Organe übertragen. Es erfolgten 2.586 Nierentransplantation (1.820 post-mortale Organspenden und 766 Le-bendspenden). In Deutschland ist da-mit die Zahl der Nierentransplantatio-nen in den vergangenen beiden Jahren rückläufig (2010: 2.937 Nierentrans-plantationen).

Wie hoch ist der Anteil der Le-bendspender bei Nierentransplanta-

tionen?Der Antei l der Nierenle-bendspenden ist deutschland-weit weiter steigend und be-trug im vergangenen Jahr 29,6 % (2010: 22,6 %). Der Anteil in den einzelnen Transplantationszen-tren ist hierbei sehr variabel. Die Transplantationszentren Berlin (alle Standorte zusammen) und Heidelberg waren die führenden

Zentren hinsichtlich Nierenspen-de mit 42 % bzw. 39 %. Zum Vergleich: Der Anteil der Nierenlebendspenden im Bereich von Eurotransplant lag im Jahr 2012 bei 28,4 % (2010: 25,3 %).

Wie lange dauert eine solche Operati-on und wie lange muss man im Kran-kenhaus bleiben?Eine Nierenlebendspende dauert durchschnittlich 2 Stunden. Die Ver-weildauer für den Spender beträgt in der Regel 3 Tage, für den Empfänger

liegt diese zwischen 10 und 14 Tagen.

»Die Bedeutung der Nierenlebendspende wird weiter zunehmen.«Prof. Dr. Claudia Sommerer

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Welche Komplikationen können bei der chirurgischen Entfernung der Nie-re (Nephrektomie) auftreten?Unterschieden werden Früh- und Spät-komplikationen. Zu den Frühkompli-kationen gehören u.a. Wundkomplika-tionen, Harnwegsinfektionen und wei-tere allgemeine postoperative Kompli-kationen wie Übelkeit/Erbrechen und gastrointestinale Beschwerden. Alle genannten Komplikationen traten im aktuell untersuchten Patientenkollek-tiv nur vereinzelt auf. Wichtige Punkte im Langzeitverlauf nach Spende sind:Langfristig kann das Risiko für einen Bluthochdruck erhöht sein, ebenso zeigt sich direkt postoperativ zeitwei-se ein Anstieg der Retentionswerte. Die gemessene Nierenfunktion verbessert sich im Laufe des ersten Jahres wie-der und bleibt meist im langfristigen Verlauf stabil.Daneben sind auch Faktoren im psy-chosozialen Bereich nach Nierenspen-de interessant. Es konnte gezeigt wer-den, dass Nierenspender langfristig bessere Ergebnisse in anerkannten psychologischen Tests wie dem Fra-gebogen zum Gesundheitszustand (SF-

36) erzielen als die Allgemeinbevölke-rung. Auch im Heidelberger Spender-kollektiv konnte in einer ersten Erhe-bung dieses Ergebnis bestätigt werden. Weitere umfangreichere und prospek-tive Untersuchungen hierzu werden aktuell am Transplantationszentrum Heidelberg durchgeführt.

Welche Operationstechnik (z.B. Flan-kenschnitt) wird angewandt?

Die Operationstechnik variiert von Zentrum zu Zentrum. Unterschieden werden laparoskopische (Schlüssel-lochtechnik) von offenen Organent-nahmen. Das allgemeine Risiko ist heutzutage weitgehend vergleichbar, dennoch unterscheiden sich die Zent-ren hinsichtlich Vorliebe und Expertise zu einem oder dem anderen Verfahren.

Was sind Hochrisikopatienten?Hinsichtlich des Risikos werden die all-gemeinen Operationsrisiken von den speziellen Risiken bei Nierenspende unterschieden. Das allgemeine Ope-rationsrisiko unterscheidet sich nicht von sonstigen Operationen. Wichtige Faktoren sind hier u.a. der kardiale Sta-tus. Zu den Einflussfaktoren auf den allgemeinen postoperativen Verlauf zählt auch eine bestehende Adiposi-tas mit möglichen Problemen in der Wundheilung. Aus der Sicht der Nie-renspender sind v.a. Lebendspender mit Komorbiditäten Risikopatienten mit allgemein-internistischen – nicht chirurgischen Folgekomplikationen im Langzeitverlauf. Hierzu gehören u.a. Bluthochdruck, ein metabolisches Syndrom oder eine bestehende Glu-koseintoleranz als Vorstufe eines Di-abetes mellitus.

Wie sind die Langzeitergebnisse für Spender?Insgesamt zeigen Nierenspender ex-

zellente Langzeitergebnisse. Im Jahr 2009 wurden hierzu im New England Journal of Medizin Informationen pu-bliziert (Ibrahim NEJM 2009). Das Lang-zeitüberleben der Spender war ver-gleichbar zur Allgemeinbevölkerung. Ibrahim et al. Führten eine Subana-lyse der Ergebnisse von 55 Spendern mehr als 20 Jahre nach erfolgter Le-bendspende durch und verglichen die-se mit 55 nierengesunden Kontrollen.

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Seinem Partner ein Organ zu spenden ist eine schwierige Entscheidung und bedarf zahlrei-cher Vorgespräche und Voruntersuchungen.

»Eine Nierenlebendspende dauert 2 Stunden. Die Opera-tionstechnik variiert von Zentrum zu Zentrum. «Prof. Dr. Claudia Sommerer

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Nach Nierenspende zeigte sich eine niedrigere GFR, eine niedrigere jedoch im Normbereich liegender Haemoglo-binkonzentration, niedrigere Glukose-, Cholesterin- und Triglyzeridkonzent-rationen und interessanterweise ein niedrigerer Blutdruck.

Wie empfinden die Spender die Le-bendspende im Nachgang?Diese Frage kann nicht einheitlich be-antwortet werden. Insgesamt kann ge-sagt werden, dass nahezu kein Patient die Nierenspende bereut. Einige Spen-der berichten über eine positive Ent-wicklung sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Bei den meis-ten Spendern treten keine gravieren-den Veränderungen auf. Bei Partner-spende gibt es den zusätzlichen Faktor, dass eine erfolgreiche Lebendspende nicht nur die Lebensqualität des Emp-fängers, sondern auch die Lebensqua-

lität des Spenders durch die nun mög-lichen Freiheiten im gemeinsamen Le-ben und der indirekte positive Effekt des Wohlbefindens des Spender steigt.

Welche gesundheitlichen Probleme kann eine Lebendspende machen?Studiendaten zeigen, dass Nieren-spender möglicherweise ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Blut-hochdrucks haben. Aus diesem Grun-de legen wir viel Wert auf regelmäßige Blutdruckkontrollen sowie Dokumen-tation der erhobenen Befunde. Bezüg-lich der Blutfettwerte, Blutzuckerspie-gel und dem Auftreten von Thrombo-sen gibt es keinen gesicherten nega-tiven Effekt der Spende. Konzentra-tionsstörungen und das sogenannte chronische Müdigkeitssyndrom wer-den öffentlich von wenigen Spendern beklagt. Es gibt bisher keinen wissen-schaftlich gesicherten Nachweis, dass

eine Nierenspende zu Konzentrations-störungen führt. Interessanterweise scheint das Auftreten ein Müdigkeits-syndrom mit dem Vorliegen einer De-pression assoziiert zu sein.

Welche Nachsorge-Kontrollen sind für Spender vorgesehen?Gesetzlich verankert ist in Deutsch-land eine einmal jährliche Nachsorge der Nierenspender. Hierbei wird ne-ben dem Allgemeinbefinden, insbe-sondere die Nierenfunktion und der Blutdruck beachtet. Es erfolgt eine körperliche Untersuchung einschließ-lich Beurteilung der Narbe, eine Blut-entnahme, Urindiagnostik, meistens ein Ultraschall der verbliebenen Ein-zelnniere sowie eine 24h-Blutdruck-messung. In Heidelberg wird zusätz-lich ein Fragebogen zur Erfassung des psychosozialen Verlaufs angeboten. Interview: Gabriele und Uwe Korst