Invasion Der Heuschrecken - Seifert, Voth

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Werner G. Seifert Invasion der Heuschrecken scanned 05_2007/V1.0 Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: Zwei erfahrene Topmanager räumen auf Druck einiger Aktionäre ihre Posten. Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender, und Rolf E. Breuer, Aufsichtsratsvorsitzender, kündigen am 9. Mai 2005 nach einer Aufsichtsratssitzung der Deutsche Börse AG ihren Rücktritt an. Erzwungen haben dies Hedge Fonds – die als »Heuschrecken« in Presse und Politik Furore machten. In diesem Buch erzählen Werner G, Seifert und Hans-Joachim Voth die spannende Vorgeschichte. Hautnah schildern sie den Machtkampf um die Deutsche Börse und erklären, wie sich Deutschland gegen die Invasion der Heuschrecken schützen kann. ISBN: 978-3-430-18323-9 Verlag: Econ Erscheinungsjahr: 2006

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Sommer 2005. Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse, und Aufsichtsratsvorsitzender Rolf E. Breuer räumen auf Druck einzelner Aktionäre ihre Posten. Vorausgegangen ist ein Wirtschaftskrimi der besonderen Art: International agierende Hedge-Fonds greifen ein deutsches Unternehmen an. Mit fragwürdigen Methoden zwingen britische Investoren um Hedge-Fonds-Manager Chris Hohn (TCI) einem der profitabelsten DAX-Unternehmen neue Spielregeln auf: Sie verhindern die Übernahme der Londoner Börse durch die Deutsche Börse, plündern durch Aktienrückkäufe die Unternehmenskasse und setzen ihre Wunschkandidaten für den Aufsichtsrat durch – und das alles, ohne die Mehrheit des Unternehmens zu besitzen. Ein Einzelfall? Der Putsch der Hedge-Fonds gegen die Deutsche Börse ist nur die Speerspitze einer breiten Attacke auf die europäischen Kapitalmärkte, meint Werner Seifert. In seinem packenden Tatsachen-Krimi erzählt er vom Machtkampf an der Börse und seinen Hintergründen. Wenn Sie Herrn Prof. Seifert als Redner buchen möchten, klicken Sie bitte hier.

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  • Werner G. Seifert

    Invasion der Heuschrecken

    scanned 05_2007/V1.0

    Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: Zwei erfahrene Topmanager rumen auf Druck einiger Aktionre ihre Posten. Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender, und Rolf E. Breuer, Aufsichtsratsvorsitzender, kndigen am 9. Mai 2005 nach einer Aufsichtsratssitzung der Deutsche Brse AG ihren Rcktritt an. Erzwungen haben dies Hedge Fonds die als Heuschrecken in Presse und Politik Furore machten. In diesem Buch erzhlen Werner G, Seifert und Hans-Joachim Voth die spannende Vorgeschichte. Hautnah schildern sie den Machtkampf um die Deutsche Brse und erklren, wie sich Deutschland gegen die Invasion der Heuschrecken schtzen kann.

    ISBN: 978-3-430-18323-9 Verlag: Econ

    Erscheinungsjahr: 2006

  • Buch

    Frhjahr 2005: Die Heuschrecken kommen, Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Brse, und Aufsichtsrats-vorsitzender Rolf-E. Breuer gehen. Vorausgegangen ist ein Wirtschaftskrimi der besonderen Art: International agierende Hedge Fonds greifen ein deutsches Unternehmen an. Mit fragwrdigen Methoden zwingen britische und amerikanische Investoren einem der profitabelsten Dax-Unternehmen neue Spielregeln auf: Sie verhindern die bernahme der Londoner Brse durch (lie Deutsche Brse, plndern durch Aktienrck-kufe die Unternehmenskasse und setzen ihre Wunschkandi-daten fr den Aufsichtsrat durch und das alles, ohne die Mehrheit des Unternehmens zu besitzen.

  • Autoren

    Werner G. Seifert, geb. 1949, fhrte die Deutsche Brse von 1993 bis 2005 als Vorstandsvorsitzender. Der promovierte Betriebswirt war zuvor Mitglied der Konzernleitung der Schweizer Rck und Partner bei McKinsey. Seifert ist passio-nierter Jazzmusiker, Honorarprofessor an der European Business School in Oestrich-Winkel sowie (Ko-)Autor von vier und Mitherausgeber von sieben Bchern.

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    Hans-Joachim Voth, geb. 1968, ist seit 1998 Professor fr VWL und Wirtschaftsgeschichte an der Universitt Pompeu Fabra, Barcelona. Nach der Promotion am Nuffield College, Oxford, war er Gastprofessor in Stanford, am MIT und an der Stern Business School in NYU City sowie Unternehmensberater bei McKinsey. Voth ist (Ko-)Autor von vier Bchern und hat Beitrge in der ZEIT, F.A.Z., Wall Street Journal Europe u.a. verffentlicht.

  • Inhalt

    Buch.........................................................................................................2 Autoren ....................................................................................................3 Prolog: Wie bin ich nur zwischen diese Buchdeckel gekommen?.......5 1 Heuschrecken-Alarm ..........................................................................20 2 Warum die Deutsche Brse? Heuschrecken strzen sich immer auf die ppigsten Felder ....................................................................................40 3 Wer rastet, der rostet ..........................................................................59 4 Jetzt oder nie London muss es sein!.................................................81 5 Aufstand der Aktionre Wie konnte das blo passieren?...............110 6 Verhandlungspartner mit Finger am Abzug .....................................134 7 Nur Waschlappen halten sich an Recht und Gesetz..........................160 8 Help me if you can ............................................................................166 9 Jetzt reichts ich gehe! ...................................................................197 10 Kommt der groe Flchenbrand?...................................................209 11 Gedanken an einem regnerischen Tag Welche Ziele verfolgten die Hedge Fonds?......................................................................................219 12 Ein Mittel gegen Heuschrecken? ....................................................232 Epilog: Herbstzeitgestber Inquisition unter Freunden ...................243 Personenregister..................................................................................259 Danksagung .........................................................................................264

  • Prolog: Wie bin ich nur zwischen diese

    Buchdeckel gekommen?

    Things aint what they used to be. Keith Jarretts, Gary Peacocks und Jack DeJohnettes Interpretation dieser wunderbaren Melodie von Duke Ellington swingte durch meine Frankfurter Wohnung. Nachdenklich blickte ich von meinem Arbeitszimmer auf die begrnte Dachterrasse.

    Es war Sonntag, der 8. Mai 2005. Ein sonniger Nachmittag. Ich kritzelte gedankenverloren auf dem vor mir liegenden Blatt Papier herum, malte die Os und As aus, umkringelte die i-Punkte und gab so einem ungewhnlichen Text den letzten Schliff: Es war die Pressemitteilung, die meinen Rcktritt als Vorstandsvorsitzender der Deutsche Brse AG verkndete nach zwlf Jahren Zugehrigkeit zu dem Unternehmen, das ich von Grund auf gestaltet und aufgebaut hatte.

    Morgen, bei der Sitzung des Aufsichtsrates, wrde ich meinen Abschied nehmen. Ich schenkte mir eine weitere Tasse Kaffe ein und las noch einmal die berschrift:

    Aufsichtsratsvorsitzender Rolf-E. Breuer, weitere Mitglieder des Gremiums und Vorstandsvorsitzender Werner Seifert verlassen Deutsche Brse AG.

    Da es nicht jeden Tag vorkommt, dass man eine Pressemittei-lung ber den eigenen Abschied verfasst, hielt ich einen Moment inne, whlte auf der CD noch einmal dasselbe Stck an und nickte: Stimmt, things aint what they used to be nichts ist mehr so, wie es einmal war. In 24

    Stunden wrde ich ein freier Mann sein, ein Mann ohne Ter-mine, ohne Verpflichtungen, ohne Meetings, ohne Entscheidungsdruck und ohne umgebundene Krawatten.

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  • Ich beschloss, die Pflanzen zu gieen und von Kaffee auf Wein umzusteigen. Wie war ich blo hierher geraten? An diesen Punkt? Auf dieses Stck Papier?

    Das Unternehmen Deutsche Brse AG hatte ereignisreiche Jahre hinter sich. Noch in den frhen neunziger Jahren hatte es nur einen kleineren Handelsplatz in Frankfurt gegeben mit wenig Kapital und weit hinter seinen Mglichkeiten. Binnen zehn Jahren verwandelten wir sie in ein High-Tech-Unternehmen, das profitabler war als alle seine Wettbewerber. Im Jahr 2001 war die Brse sogar selbst an die Brse gegangen ein besonderer Coup, der uns ein ppiges finanzielles Polster verschafft hatte: Geld, mit dem wir die Konsolidierung des europischen Kapitalmarktes vorantreiben wollten.

    Die Gelegenheit war gnstig: Ausgerechnet die London Stock Exchange ( LSE), die noch vor zwlf Jahren alle Konkurrenten in den Schatten gestellt hatte, stand zum Verkauf. Als prdesti-nierter Kufer stand im Herbst 2004 die Deutsche Brse bereit. Alle Welt ging davon aus, dass wir ein bernahmegebot abgeben wrden. Die kundigen Beobachter der Szene vermute-ten richtig. Im Zuge einer intensiven Kampagne wollten wir nicht nur die Aktionre der LSE berzeugen, an uns zu verkau-fen, sondern auch das Management auf unsere Seite ziehen. Schlielich lockten reichliche Vorteile auch fr das Unterneh-men selbst, wenn es sich von der Deutschen Brse bernehmen liee.

    Nun, sechs turbulente Monate spter, betraten wir die Bhne fr den Schlussakt. Doch die Rollen waren mitten im Stck umbesetzt worden. Nach einem zermrbenden Drama in mehreren Akten in den Hauptrollen diverse Aktionre, Manager, Regierungsstellen, Regulierungsbehrden und Investmentbariken waren wir Jger zu Gejagten geworden. Statt des erhofften Happy Ends stand nun ein dsteres Finale an.

    Es war hchste Zeit, mich auf den kommenden Tag vorzube-reiten. Ich wollte noch meinen Vortrag berarbeiten und den

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  • richtigen Ton fr die berraschende Mitteilung finden, die ich dem Aufsichtsrat unterbreiten wrde. Breuer und ich hatten einige Neuigkeiten fr die anderen zwanzig Mitglieder, aber ich musste darauf achten, die ganze Geschichte auf ihre Essenz zu reduzieren. Ich wollte nicht larmoyant klingen, aber auch nicht cool wirken. Vor allem aber wollte ich meinen Entschluss nachvollziehbar machen und sein Zustandekommen so darstel-len, dass der Aufsichtsrat meiner Entlassung zustimmen konnte. Die meisten seiner Mitglieder wrden nicht begeistert sein; ein Groteil von ihnen hatte ber viele Jahre hinweg hervorragend und loyal mit mir gearbeitet. Wir hatten gute und schlechte Zeiten gemeinsam durchstanden. Gut mglich, dass sie es nun ablehnen wrden, sich einer Minderheit hchst aggressiver Aktionre zu beugen, die wollte, dass unsere Kpfe rollten.

    Die Sonne war mittlerweile untergegangen, aber die Abendluft war noch immer angenehm warm. Ich stellte einen Stuhl auf die Dachterrasse, legte eine andere Keith-Jarrett-CD mit dem Song Autumn leaves ein und lie meine Gedanken wandern.

    Herbst 2004. Der Plan, die LSE zu bernehmen, war wohl durchdacht und sinnvoll gewesen. Davon war ich damals berzeugt. Und bin es noch immer.

    In Europa gab es viel zu viele Brsen; eine Fusion der Frank-furter und der Londoner Brse wrde Einsparungen in Milliardenhhe fr alle direkt und indirekt Beteiligten bringen eine Chance fr den Markt, fr Investoren, Emittenten, Banken, Broker und letztendlich auch fr die Brsen selbst. Der Wertpa-pier-Handel wrde kostengnstiger werden, Investoren knnten ihre Portfolios auch auerhalb Deutschlands diversifizieren, Emittenten mehr Kufer fr ihre Aktien finden und Banken ihren Kunden eine grere Bandbreite von Produkten anbieten. Und auerdem wre die Deutsche Brse in London prsent, am herausragenden europischen Finanzplatz, dem Ort des Gesche-hens. Und knnte von dort aus weiter expandieren. Was sollte daran falsch sein?

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  • Die Vorteile lagen auf der Hand. So sehr, dass es ein Leichtes gewesen war, die Zustimmung unseres Aufsichtsrates zu bekommen. Nachdem er im Dezember 2004 einstimmig den Plan abgesegnet hatte, sich der LSE anzunhern, begannen wir damit, auch unsere Aktionre von diesem Schritt zu berzeugen. Mein Team und ich reisten Tausende von Kilometern, um ihnen in Dutzenden von Prsentationen und Diskussionen unser Vorhaben darzulegen. Und wir berzeugten alle unsere Ge-sprchspartner einen nach dem anderen. Das Feedback war ermutigend. Die Aktionre begrten unser Vorhaben. Insider und Beobachter bewerteten unser entschlossenes Vorgehen als bahnbrechend fr den europischen Kapitalmarkt. Und selbst die Medien, die unsere Plne ja gar nicht im Detail kannten und normalerweise sehr skeptisch auf solche Geheimniskrmerei reagieren, waren uns wohl gesonnen. Selbst Kritik durch Kunden, Regulierungsbehrden oder Politiker, mit der einige von uns fest gerechnet hatten, blieb weitgehend aus.

    Wir waren mehr als guter Dinge. Doch: Das Spiel ist nicht zu Ende, bevor die fette Lady

    singt, wie die Amerikaner bei Baseball- oder Footballspielen zu sagen pflegen. Die fette Lady singt die Nationalhymne, und zwar nach dem Schlusspfiff. Bis dahin ist niemand vor berraschungen sicher. Und die stellten sich auch bei uns ein.

    Das Blatt wendete sich: Vllig unerwartet kauften sich zum Jahresanfang 2005 neue Aktionre in die Deutsche Brse ein. Daraufhin schoss unser Aktienkurs in die Hhe, was alteinge-sessene Aktionre dazu bewegte, ihre Anteile zu verkaufen und dabei gute Gewinne mitzunehmen.

    Einer der Kufer war The Childrens Investment Fund, kurz TCI. An seiner Spitze stand Christopher Hohn ein intelligenter junger Hndler, der in der ganzen folgenden Geschichte eine treibende Kraft spielen sollte. Er konnte unserem bernahme-Plan von Anfang an nichts abgewinnen. Er htte seine Anteile an dem Unternehmen, dessen Strategie ihm missfiel, leicht

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  • verkaufen knnen. Aber stattdessen kaufte er noch mehr Aktien. Anstatt seine Bedenken offen und ausfhrlich im Gesprch mit Herrn Breuer und mir zu diskutieren, beschwerte er sich in der ffentlichkeit, wir wrden ihm nicht zuhren. Und anstatt ein faires Spiel zu spielen, teilte er uns noch nicht einmal mit, ob er Schach, Skat, Poker oder Bridge mit uns spielte.

    Typisch Hohn, sagen manche. Bis dahin gefiel er sich als geheimnisvolle Gestalt im Hintergrund. Kaum ein Journalist hatte je Gelegenheit gehabt, Chris Hohn persnlich zu treffen. Er gab keine Interviews. Es existierten kaum Fotos oder gar Filmaufnahmen von ihm.

    Ich bin ihm ein paar Mal begegnet: Einmal im November 2004, einige Wochen vor unserem bernahmeangebot an die LSE. Da wusste ich noch nicht, dass er sich bald zu meinem strksten Widersacher entwickeln wrde. Und einmal drei Monate spter, im Februar 2005 aber auch dieses Treffen nderte nichts daran, dass wir ein Kommunikationsproblem hatten. Ich wei bis heute nicht, was er eigentlich wollte.

    Er war nicht alleine. In Windeseile hatte er acht Prozent aller Deutsche-Brse-Aktien gekauft. Und ein paar andere, die auch Investmentfonds vertraten, machten es ihm nach und stockten ihre Deutsche-Brse-Aktien auf. Alles in allem waren es wohl zwlf Personen in sechs Fonds, die sich gegen die Entscheidung der Unternehmensfhrung stellten. Ein bloes Dutzend. Zwlf Akteure von Hunderten. Aber genug, um alles zu ndern.

    Things aint what they used to be. Auf ihren Druck hin verwandte die Deutsche Brse AG An-

    fang Mrz 2005 einen groen Anteil ihrer Barmittel nicht wie geplant fr Akquisitionen wie den Kauf der LSE, sondern schttete sie ber Aktienrckkufe an ihre Aktionre aus. Statt in die Zukunft des Unternehmens floss das Geld in die Taschen der Aktionre.

    Aber damit war die Angelegenheit noch nicht erledigt.

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  • Als Nchstes wandten sich die rebellischen Fonds gegen Rolf-E. Breuer, den Aufsichtsrat und das Management, vor allem gegen mich. Kaum zu glauben: Noch vor sechs Monaten hatte ausgerechnet TCI mir gesagt, ich wrde eines der besten Unternehmen Europas fhren. Und nun wollten sie, dass ich meinen Hut nehme.

    Und genau das wrde ich nun tun. Chris Hohn spielte ein Spiel, das ich nicht mitspielen wrde. Seine Spielregeln sind Gift fr einen offenen und fairen Markt, wie ich ihn fr richtig halte. Mitspielen oder aussteigen. Ich hatte keine andere Wahl.

    Eine wenn auch gewichtige Minderheit von Aktionren die im brigen eine absonderliche Strategie fr das Unternehmen verfolgte hatte ihren Willen gegen die Mehrheit von Aktion-ren sowie das Management durchgesetzt. Dabei hatten sie sich Mittel und Wege bedient, die mehr als unblich waren und die, nicht nur nach meiner Meinung, an die Grenze der Legalitt und darber hinaus gingen.

    Mein Rcktritt war daher nur die logische Konsequenz. Ich konnte es nicht mit mir vereinbaren, mich in den Dienst ihrer zweifelhaften Ziele zu stellen. Schade nur, dass sie damit genau das erreichten, was sie bezweckt hatten einen Widersacher aus dem Weg zu rumen.

    Ich zndete meine Pfeife an und schenkte mir noch einen letzten Schluck Wein ein. Mittlerweile wusste ich, was ich den Aufsichtsratsmitgliedern bei der morgigen Sitzung sagen wrde und wie ich es sagen wrde.

    ***

    Am nchsten Morgen stand ich frh auf. Whrend ich mir meine Krawatte umband, dachte ich daran, dass ich mir von jetzt an den Luxus leisten konnte, mich weniger frmlich zu kleiden.

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  • Die Sonne war hinter Wolken verschwunden. Regen prasselte auf die Windschutzscheibe, als ich zu meinem Bro in dem hochmodernen Firmensitz der Deutschen Brse in den nrdlich gelegenen Stadtteil Frankfurt-Hausen fuhr. Dort angekommen, suchte ich noch einige Unterlagen zusammen. Die Zeit drngte, und Unpnktlichkeit ist nicht meine Sache. Auf dem Weg zum Fahrstuhl blickte ich noch einmal zu meinem alten Schreibtisch zurck einer unter vielen in dem weitrumigen, an drei Seiten mit Fenstern versehenen Groraumbro und fuhr dann hinunter in den Sitzungssaal.

    Obwohl es eine auergewhnliche Sitzung werden sollte einmalig in der Geschichte der Deutschen Brse und wahr-scheinlich auch aller anderen Dax-30-Unternehmen , war uerlich alles wie immer: Weder tat sich der Boden auf, noch fuhr ein Blitz hernieder. Wir saen um denselben Tisch herum wie immer, wir tranken schwarzen Kaffee wie immer und knabberten an den blichen Kekssorten. Kennen Sie das? Man malt sich etwas ganz besonders dramatisch aus und dann stellt es sich als ganz sachlich, fast alltglich heraus

    Dennoch: Das war der Moment, in dem das Undenkbare Realitt wurde. Zum letzten Mal folgte der Aufsichtsrat einem unserer Vorschlge. Seine Mitglieder nahmen meinen sofortigen Rcktritt an allerdings bei weitem nicht einstimmig, denn einige von ihnen wollten nicht kampflos aufgeben. Und schwe-ren Herzens stimmten sie auch dem zweiten Tagesordnungspunkt zu.

    Rolf-E. Breuer, Vorsitzender des Aufsichtsrates, musste sich ebenfalls dem Druck der Hedge Fonds rund um Chris Hohn beugen. Er wrde bis sptestens zum Jahresende die Brse verlassen.

    Breuer, der gemeinsam mit mir ber zwlf turbulente, aber berwiegend erfolgreiche und wachstumsstarke Jahre die Deutsche Brse geleitet hatte, ist einer der beeindruckendsten Menschen, die mir je begegnet sind. In seinen vierzig Jahren bei

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  • der Deutschen Bank hat er sich zu einem der erfolgreichsten und einflussreichsten Geschftsleute in ganz Europa entwickelt immer verbindlich, eloquent und mit einer imponierenden Ausstrahlung. Einen besseren Partner beim Aufbau und der Fhrung der Deutschen Brse htte ich mir nicht wnschen knnen. Ohne ihn wrde nichts mehr sein, wie es einmal war.

    Als die Sitzung sich dem Ende zuneigte, suchten einige der Aufsichtsratsmitglieder trstende Worte fr uns. Sie schienen sich wirklich Sorgen zu machen, wollten uns aufmuntern, uns Mut zusprechen. Wie konnte ich ihnen nur vermitteln, dass ich weit davon entfernt war, mich von der nchsten Brcke zu strzen?

    Ich erinnerte sie daran, dass Aufsichtsrat, Vorstand und alle 3300 Mitarbeiter gemeinsam ein hchst erfolgreiches Unter-nehmen geschaffen hatten, das sich innerhalb der Branche hervorragend positioniert hatte, das grte und profitabelste seiner Art weltweit war. Seine Marktkapitalisierung also das, was herauskommt, wenn man den aktuellen Wert einer Aktie mit der Anzahl aller Unternehmensaktien multipliziert war hher als die seiner beiden schrfsten Konkurrenten zusammen. Unsere Aktionre machten satte Gewinne. In seiner jngsten Ausgabe hatte das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes die 2000 grten Unternehmen der Welt aufgelistet: In der Sparte Umsatz rangierte Deutsche Brse auf Platz 996, in der Sparte Unternehmenswert auf Platz 719. Die Zahlen des letzten Quartals belegten, dass diese Entwicklung anhalten wrde.

    Solche guten Nachrichten htte ich natrlich viel lieber unter freundlicheren Umstnden verkndet aber seis drum: In dieser Geschichte war inzwischen nichts mehr normal.

    Im Anschluss an dieses Meeting fuhr ich die Strecke nach Hause, die mir ber die Jahre so vertraut geworden war, zum letzten Mal. Ich fhlte mich erleichtert. Dieses Spiel war vorbei.

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  • Ich hatte meine Arbeit bei der Deutsche Brse AG gemocht. Sie war anspruchsvoll, sinnvoll und gut bezahlt. In einer solchen Position muss man immer damit rechnen, ber Nacht aus dem Chefsessel katapultiert zu werden. Dieses Risiko gehrt dazu. Dass es mich getroffen hat, ist rgerlich. Mehr nicht.

    Im Kern ging es um viel mehr als um persnliche Animosit-ten. Breuer und ich sahen uns mit Geschftspraktiken konfrontiert, die in Deutschland ohne Beispiel waren. Ich beschloss, die ganze Geschichte in einem Buch niederzuschrei-ben. Vielleicht nur, um selbst Klarheit zu erlangen; vielleicht aber auch, um es zu verffentlichen.

    Nun ist es vollbracht. 268 Seiten Manuskript liegen vor mir. Der Verlag wartet schon darauf. Der Druckauftrag ist schon erteilt, in wenigen Wochen ist aus dem Manuskript ein Buch geworden. Die ersten Buchlden haben bereits Bestellungen abgegeben. Die Einladungen fr die Pressekonferenz sind ebenfalls versandt. Nun ist die Zeit gekommen, die Kiste mit Notizen, Zeitungsausschnitten, ausgedruckten E-Mails und sonstigen Unterlagen zu verschlieen und in den Keller zu stellen. Der Leser mge sich bewusst sein, dass eine Reihe von brisanten Informationen aus rechtlichen Grnden (noch) nicht gedruckt werden kann. Deswegen haben die Autoren das Gefhl, mit manch einem der Akteure zu freundlich umgegan-gen zu sein, whrend derjenige Leser, der nicht zwischen den Zeilen lesen will, uns den Vorwurf machen mag, an der einen oder anderen Stelle zu harsch mit den handelnden Personen ins Gericht gegangen zu sein. Die Zeit allein mag diese Bchse der Pandora ffnen.

    Worum geht es in diesem Buch? Es ist kein Roman. Es ist keine Saga vom Aufstieg und Fall

    eines angesehenen Unternehmens. Es ist kein Heldenepos wie David gegen Goliath. Obwohl es ein klein bisschen auch danach klingt.

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  • Es ist die Geschichte des Machtkampfs zwischen der Unter-nehmensleitung und einer kleinen Gruppe Aktionre. Es ist die Zwischenbilanz einer Auseinandersetzung, die noch immer anhlt. Es ist die Beschreibung ihrer Auswirkungen auf die Kapitalmrkte, auf Brsen und Finanzpltze, auf den Wertpa-pierhandel. Es ist eine Darstellung der weit reichenden Folgen fr Wirtschaftswachstum und Wohlstand in ganz Europa. Es ist eine Warnung an die Manager anderer Unternehmen vor den Fallen, in die wir getappt sind. Es ist ein Appell an die politisch Verantwortlichen, Abwehrmanahmen zu ergreifen. Und natrlich ist es auch ein persnliches Resmee meiner Arbeit fr die Deutsche Brse. Es ist eine Geschichte von Hoffnung, Aufstieg, Erfolg und Scheitern.

    Dieses Buch gewhrt einen Blick auf die Krfte, die rund um unser Kaufangebot an die LSE hinter den Kulissen wirkten. Es dokumentiert die Rangeleien und Rckschlge bei den ber-nahmeverhandlungen, es erzhlt von Maulwrfen, die geheime Informationen an die Presse weitergaben, von politisch moti-vierten Manvern und ziemlich unverblmten Straktionen einer lautstarken Gruppe geldgieriger Investmentmanager.

    Wichtiger aber als all das sind die Erkenntnisse, die sich daraus fr die Finanzmrkte ergeben. Ebenso wie viele andere deutsche Unternehmen ist die Deutsche Brse AG zunehmend international aktiv. Und als gut gefhrte, profitable Unterneh-mensgruppe zieht sie auch zunehmend Aktionre aus dem Ausland an.

    Das Gesellschaftsrecht und die Grundstze, nach denen das Unternehmen sich zu richten hat, sind aber nach wie vor deutsch. Diese Rechtsgrundlagen sind ja nicht erst gestern der Laune eines Managers entsprungen sie haben sich ber mehr als hundert Jahre hinweg entwickelt und das Wachstum des modernen deutschen Kapitalismus gelenkt und gefrdert. Dieses System gesteht dem Aufsichtsrat und Vorstand wesentlich grere Kompetenzen bei der Fhrung ihrer Unternehmen zu

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  • anders, als das im angloamerikanischen System des von Aktio-nren dominierten Kapitalismus der Fall ist.

    Dieser strukturelle und kulturelle Widerspruch fhrte whrend der bernahmeschlacht zu einem viel zitierten Kampf der Kulturen zwischen dem deutschen Management und ihren Londoner Aktionre. Da einerseits viele britische und US-amerikanische Anleger internationale Ambitionen verfolgen und andererseits eine Vielzahl deutscher Unternehmen stark unter-bewertet ist, war der Streit der Deutschen Brse mit ihren Aktionren nur ein Vorgeschmack auf zuknftige Zwistigkeiten.

    Die Schrfe der Auseinandersetzung verdeutlicht die Schlag-kraft dieser hochintelligenten aktiven Investoren und ihres rcksichtslosen Vorgehens. Viele von ihnen sind so genannte Hedge Fonds. uerst geschickt schaffen sie es, durch finanziel-le Druckmittel und raffinierte Nachrichtenstreuung die De-facto-Kontrolle in einem Unternehmen zu bernehmen. Sie fgen den Unternehmen, ber die sie herfallen, irreparablen Schaden zu daher ist der Vergleich mit Heuschrecken so passend, wie er sich in Deutschland mittlerweile eingebrgert hat. Die Absich-ten dieser Anleger sind zumeist kurzfristiger Natur. Sie verfgen ber nur begrenzte Betriebswirtschaftskenntnisse und sind selten daran interessiert, ein Unternehmen selbst zu fhren.

    Einige der Hedge Fonds unter den Aktionren waren der Ansicht, dass die Deutsche Brse kurzfristig eine hhere Rendite abwerfen solle. Und zwar, indem sie ihre Barmittelre-serven an ihre Aktionre ausschttet, anstatt sie in den Erwerb eines anderen Unternehmens und damit in eine profitablere Zukunft zu investieren. Die unterschiedlichen Auffassungen darber, wie die Finanzmittel eingesetzt werden sollen, sind der Kern des ganzen Streits. Der Konflikt fhrte nicht nur zur Rcknahme des bernahmegebots an die LSE, sondern bald darauf auch zur erzwungenen Entscheidung der Deutschen Brse, in groem Umfang Aktienrckkufe zu ttigen und schlielich auch zu Breuers und meinem Rcktritt.

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  • Mit der Art und Weise, wie einige dieser Investoren ihre Ziele erreicht haben und gleichzeitig ihre eigenen Aktienpakete anpassten, um mglichst groe Gewinne einzustreichen, haben sie die herrschenden Gesetze und Statuten an den Kapitalmrk-ten aufs uerste strapaziert. Ihr Vorgehen veranlasste nicht nur die Deutsche Bundesanstalt fr Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, zu einer Untersuchung, sondern bewog auch internatio-nale Regulierungsbehrden dazu, ihre Regeln bezglich Fairness und Transparenz zu berdenken.

    Das deutsche Verstndnis von Corporate Governance, von angemessener Unternehmensfhrung, wird in den kommen-den Jahren zunehmend die Interessen der Aktionre bercksichtigen mssen. Deshalb mssen wir lernen, mit den entsprechend vernderten Erwartungen an das Management umzugehen. Grundstzlich ist gegen diese Entwicklung nichts einzuwenden Breuer und ich haben sie voller berzeugung jahrelang tatkrftig untersttzt und einer umfassenden Neuorien-tierung hin zu mehr Einfluss fr Aktionre das Wort geredet. Allerdings hatten wir es niemals fr mglich gehalten, dass es zu solchen Auswchsen kommen knnte.

    Die Kernfrage, die sich jetzt stellt, lautet: Soll es auch in Zukunft einer entschlossenen und finanziell potenten Minderheit leicht gemacht werden, auf Kosten aller anderen Aktionre das Unternehmen, das sie gemeinsam besitzen, nach Gutdnken auszunehmen?

    Der Fall der Deutschen Brse belegt anschaulich, wie eine kleine Gruppe entschlossener Investoren die Unternehmensstra-tegie zum eigenen, kurzfristigen Vorteil grundlegend verndern kann, ohne ber die Mehrheit der Anteile zu verfgen. Die rebellischen Hedge Fonds und ihre Kumpane haben dabei die vielen anderen Aktionre der Deutschen Brse entmndigt und ihnen verbriefte Rechte genommen.

    Sollte solches Verhalten auch in Zukunft ungestraft bleiben und gar in grerem Stil fortgesetzt werden, wird sich das

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  • negativ auf die Kapitalmrkte auswirken. Letztlich wrde es die Fhigkeit der Aktienmrkte einschrnken, Kapital fr die Sicherung von Wachstum und Arbeitspltzen bereitzustellen; brsennotierte Unternehmen htten dann das Nachsehen gegenber Firmen, die sich im Privatbesitz befinden.

    Die Auswirkungen der Affre um die Deutsche Brse betref-fen auch andere Bereiche der Wirtschaft und der Finanzmrkte. Alles deutet darauf hin, dass der gescheiterte Versuch, die London Stock Exchange und Deutsche Brse zu fusionieren, den Bemhungen um eine Integration der europischen Kapi-talmrkte einen herben Rckschlag versetzt hat. Trotz des Europischen Binnenmarktes und des Euros sind wir nach wie vor sehr weit von einem einheitlichen europischen Finanzmarkt und den damit verbundenen Vorteilen entfernt. Alles hngt nun davon ab, was bei der Konsolidierung der europischen Brsen-landschaft als Nchstes geschieht. Mglicherweise wurde die Chance verspielt, dass Anleger Wertpapiere zu gnstigen Konditionen ber alle Grenzen hinweg handeln knnen. Dann mssen europische Unternehmen weiterhin mehr fr ihr Kapital bezahlen als eigentlich ntig.

    Als glcklicher Besitzer von zwei stattlichen Hunden kann ich aus Erfahrung besttigen, dass an dem Spruch Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks leider viel Wahres dran ist. Ich selbst aber musste in ungefhr einem halben Jahr eine Menge neuer Tricks lernen, und zwar auf die harte Tour. Noch dazu geschah alles so unglaublich schnell. Beinahe ber Nacht, knnte man sagen.

    Diese sechs Monate haben den Kapitalismus in Europa vern-dert. Das klingt dramatisch. Und das ist es auch! Wenn die aggressiven Strenfriede nicht bald durch effektivere internatio-nale Vorschriften in ihre Schranken gewiesen und gezwungen werden, ihr Vorgehen transparent zu machen; wenn es den verschiedenen konomischen Kulturen nicht gelingt, sich auf ein gemeinsames Verstndnis von Corporate Governance zu

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  • einigen, dann wird die Bedrohung fr die internationalen Kapitalmrkte wachsen und bald ihre volle Sprengkraft entfal-ten.

    Darum geht es in diesem Buch. Womglich finden Sie, dass eine so aufregende Geschichte nicht zu einem serisen, rationa-len Unternehmen wie der Deutschen Brse passt. Da gebe ich Ihnen Recht. Manchmal kam es mir selbst vor, als sei ich wie Woody Allen in Purple Rose of Cairo versehentlich in einen Kinofilm hineingeraten, in irgendeine skurrile Kriminalge-schichte.

    Sollten Sie als Manager eines brsennotierten Unternehmens ttig sein, knnen Sie womglich aus unseren Fehlern und Fehleinschtzungen lernen und sie vermeiden. Ich hoffe, dass meine Sicht der Ereignisse auch fr Wirtschaftslaien spannend ist ebenso wie die Erkenntnis, wie wichtig der europische Kapitalmarkt fr das wirtschaftliche Wohlergehen seiner Brger ist und welche magebliche Rolle die Brsen bei seiner Konso-lidierung spielen sollten. Von beidem war ich seit meinem ersten Arbeitstag bei der Deutschen Brse berzeugt und bin es noch heute.

    Ich bedauere keine meiner Entscheidungen. Htte ich die Wahl, wrde ich heute wieder genauso handeln. Mit diesem Buch aber mchte ich einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass nie wieder Heuschrecken ber die sorgsam gepflegten Felder eines erfolgreichen, zukunftstrchtigen Unternehmens herfallen. Der Sieg der kmpferischen Hedge Fonds ber die Deutsche Brse soll als Mahnung dienen und den weit verbreiteten Glauben erschttern, dass es das gute Recht der Aktionre sei, mit ihrem Unternehmen umzugehen, wie es ihnen beliebt. Im Gegenteil: Wir brauchen sehr viel rigidere Gesetze, um die Mehrheit der Aktionre gegen die Umtriebe einiger besonders lautstarker Shareholder zu schtzen.

    Wenn dieses Buch dazu beitrgt, solche Gesetze auf den Weg zu bringen Gesetze, die es den Unternehmen und ihrer

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  • Fhrung wieder erlauben, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren, nmlich ihre Produkte zu verbessern, ihre Strukturen zu optimieren, Gewinne zu machen und Arbeitsplt-ze zu schaffen , dann hat es seinen Zweck erfllt.

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  • 1 Heuschrecken-Alarm

    Haben Sie schon einmal einen Heuschreckenschwarm erlebt, vielleicht nicht in Wirklichkeit, aber wenigstens in einem Dokumentarfilm? Der Himmel verdunkelt sich und eine Wolke aus unzhligen Insekten erfllt die Luft. Sie werden mehr und mehr, dichter und dichter, lauter und lauter. Dann kommt der Schwarm auf Sie zu, umkreist Sie, umschliet Sie, und dann hat Ihr letztes Stndlein geschlagen zumindest, wenn Sie ein Baum sind oder eine Weizenhre.

    Etwa so fhlte ich mich am 4. Mrz 2005. Es war ein Freitag, acht Uhr abends. Eigentlich ein guter Zeitpunkt, um ins Wo-chenende abzutauchen. Stattdessen sa ich noch immer mit meinem Team in einem kleinen Konferenzraum der Deutschen Brse in Frankfurt/Main. Hinter uns lagen endlose Diskussionen mit zu viel Kaffee und zu vielen Zigaretten. Unsere Kpfe waren ebenso leer wie unsere Buche. Die Jungs sehnten sich danach, nach Hause zu kommen und die Beine hochzulegen.

    Es waren lauter erstklassige Leute die besten, die ich mir vorstellen konnte fr unser lang geplantes Vorhaben. Wir wollten das Kronjuwel unter den europischen Brsen ergattern: Matthias Hlubek, langjhriger Finanzchef der Deutschen Brse, ein brillanter Analytiker und ein guter Freund; Wayne Moore, mein erfahrener Berater von der Investmentbank Goldman Sachs; Peter Harkins, dem als Spezialisten fr Kampfabstim-mungen in der Hauptversammlung auf der Welt nur wenige das Wasser reichen knnen; Peter Weyland, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller und ein ausgesprochen kluger Kopf; und last but not least Eric Mller, eines der vielversprechendsten jungen Talente unseres Unternehmens als Projektmanager.

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  • Wir packten gerade unsere Sachen zusammen, als meine Assistentin Eva Maria den Raum betrat und mir mit besorgtem Blick ein Fax berreichte, das vor einer Minute eingetroffen war. Es stammte von einem Hedge Fonds, der uns darber informierte, dass er 2 Prozent Aktien der Deutschen Brse halte und eine Aktionrsabstimmung ber den geplanten Erwerb der LSE fordere: Wir sind der unumstlichen Ansicht, dass es in Anbetracht des Einflusses der geplanten Transaktion auf das gesamte Unternehmen und der ffentlichen Aussagen eines signifikanten Anteils der Aktionre des Unternehmens die Pflicht der Geschftsleitung ist, die Aktionre in aller Form um ihre Zustimmung zu der geplanten Transaktion zu ersuchen. Angespannt las ich weiter: Darber hinaus erwarten wir, dass das Unternehmen Deutsche Brse sich gem seiner Rolle als Flaggschiff unter den Aktiengesellschaften und als Symbol des Vertrauens in die Kapitalmrkte strikt an die Grundstze einer guten Corporate Governance hlt. Dann folgte das bliche Blabla: Fr weitere Gesprche stehen wir Ihnen gerne zur Verfgung, Grufloskel, Unterschrift und so weiter.

    Das war ein dickes Ding. Das Unternehmen hatte seinen Firmensitz irgendwo in den USA, hatte vielleicht ein paar Dutzend Angestellte und legte im Auftrag seiner Investoren Gelder in Hhe von einigen Milliarden an. Bis zu diesem Moment htte ich geschworen, dass diese Firma keine einzige Aktie der Deutschen Brse besa. Aber nun war es zu spt, diese Leute kennen zu lernen, ihnen die Vorteile einer Fusion mit der Londoner Brse LSE auseinander zu setzen oder in Ruhe zu erklren, dass nach deutschem Recht eine Aktionrsab-stimmung ber die vorgesehene Transaktion nicht vorgesehen ist. Es war nur die erste Heuschrecke eines greren Schwarms, die gerade zum Sturzflug ansetzte.

    In den nchsten anderthalb Stunden trafen per Mail oder Fax sechs Briefe von weiteren rebellischen Aktionren ein, die meisten davon so genannte Hedge Fonds. Die Schreiben waren

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  • alle an das Management der Deutschen Brse adressiert, aber auch an alle Mitglieder des Aufsichtsrates gesandt worden. Manche der Absender waren uns noch nicht einmal vom Hrensagen her bekannt. Der Ton ihrer Schreiben war unhflich bis feindselig.

    Unsere Hoffnungen auf ein entspanntes Wochenende waren dahin. Adrenalin verdrngte die Mdigkeit; wir befanden uns in hchster Alarmbereitschaft.

    Seite um Seite kauten alle Faxe denselben Inhalt wieder: Sie richteten sich gegen unseren bereits seit drei Monaten allseits bekannten Plan, die LSE zu kaufen. Sie behaupteten, dass wir ihnen als Anteilseignern ihr Recht verweigerten, ber dieses Vorhaben abzustimmen und hatten sich offensichtlich noch nie ernsthaft mit dem deutschen Aktiengesetz beschftigt. Sie betonten, wie notwendig es fr die Deutsche Brse sei, als leuchtendes Vorbild im Sinne der Corporate Governance (also gem den Grundstzen einer ethisch und moralisch guten Unternehmensfhrung) zu handeln und benahmen sich selbst alles andere als vorbildlich. Einige lieen auch drohend anklin-gen, wie sie ihr Stimmrecht zu nutzen gedachten. Lautstark taten sie kund, dass es durchaus in ihrer Macht liege, den Vorsitzen-den und einige Mitglieder des Aufsichtsrates auf der Hauptversammlung abzuwhlen. Die nchste Hauptversamm-lung? Die stand quasi vor der Tr: Sie wrde in elf Wochen in der Frankfurter Jahrhunderthalle stattfinden.

    Wenn die sich mal nicht abgesprochen hatten! Das alles roch frmlich nach einer konzertierten Aktion. Auch wenn sich die Faxe in Details unterschieden, so waren ihre Kernaussage und ihr Ton doch identisch.

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  • Die Heuschrecken nahmen den Hintereingang

    Eigentlich hatten wir ja vorgehabt, unsere Aktionre auf der Hauptversammlung mit neuen Rekordergebnissen zu erfreuen. Genau wie in den Jahren zuvor auch schon. Nur dieses Mal hatten wir vorgehabt, all die gewohnt guten Nachrichten mit einer Top-Nachricht zu krnen: mit dem erfolgreichen Kauf der TSF.

    Doch whrend wir unermdlich fr die Fusion gerackert hatten, war hinter unserem Rcken etwas Gravierendes passiert: Die Zusammensetzung unserer Aktionre hatte sich dramatisch gendert. Unser Unternehmen gehrte jetzt Leuten, die wir gar nicht kannten.

    Noch vor vier Jahren wre dies vollkommen unmglich gewe-sen. Da gehrte die Brse noch einem harten Kern von Aktionren hauptschlich den groen deutschen Banken, die 1993 die Deutsche Brse gemeinsam gegrndet hatten. Zwar waren wir auch mit deren Vertretern im Aufsichtsrat nicht immer einer Meinung gewesen, aber wenigstens stand immer auer Frage, dass es ihnen primr um das Wohl des Unterneh-mens ging. Es ist ihr Verdienst, dass die Frankfurter Brse nicht mehr eine unter acht deutschen Regionalbrsen ist, sondern die grte weltweit. Sie schtzten das Unternehmen. Unter ihrer Obhut wuchs die Deutsche Brse, wuchs und wuchs.

    Da hatte es nahe gelegen, dass die Deutsche Brse selbst an die Brse ging, zumal sie professionell und profitabel gemanagt wurde. Als Aktiengesellschaft wrden wir wesentlich gnstiger an frisches Kapital gelangen und weiter expandieren knnen. Das waren die Vorteile eines Brsenganges. Die Risiken, die wir bei der bernahmeschlacht kennen lernten, hatten wir damals alle nicht gesehen.

    Nachdem die Banken zugestimmt hatten einige von ihnen brannten frmlich darauf, ihre Anteile zu verkaufen, die dank

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  • der Unternehmensentwicklung mchtig an Wert gewonnen hatten , begannen wir im Jahr 2000 mit den Vorbereitungen fr unseren IPO das so genannte Initial Public Offering, den Gang an die Brse. Zu diesem Zeitpunkt waren nur die Brsen von Australien und in Stockholm selbst an Brsen notiert. Wrden die Investoren anbeien? Wir vertrauten ganz auf die Anzie-hungskraft unserer High-Tech-Systeme und unserer positiven Bilanzen. Und als dann die Investmentbanker ihre Gebote abgaben, zeichnete sich bald ab, dass wir mit einem Gesamtwert von ber 3000 Millionen Euro rechnen konnten nicht schlecht fr ein Unternehmen, das noch 1993 nur 62 Millionen Euro wert gewesen war! Htte ein Anleger damals Papiere im Wert von 1000 Mark kaufen knnen, wren sie keine zehn Jahre spter knapp 50000 Mark wert gewesen.

    2001, als wir an die Brse gingen, war der Stern des Neuen Marktes bereits am Sinken und der Aktienboom der neunziger Jahre hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Dennoch wurde es ein richtig erfolgreicher Brsengang. Die Investoren rannten uns frmlich die Tr ein fr jede Aktie, die wir ausgaben, htten wir 23 Stck verkaufen knnen! Weltweit und ber alle Indust-riesparten hinweg wurde unser IPO zum erfolgreichsten Brsengang des Jahres gewhlt; die Aktien hatten Abnehmer in aller Herren Lnder und bei jeder Anlegergruppe gefunden.

    Durch den Brsengang hatte sich auch die Zusammensetzung unserer Aktionre mageblich gendert. Unter ihnen waren viele traditionelle deutsche Investmentfonds wie Union Invest, DWS und Deka, aber auch internationale Vermgensverwalter wie Merrill Lynch, Fidelity und Capital. Diese Mischung war ganz normal fr ein brsennotiertes deutsches Unternehmen. Aber dann, Anfang 2005, tauchte die zweite Generation von Aktion-ren auf. Und die wrden unsere Plne durchkreuzen und unseren Erfolgkurs stoppen was wir damals noch nicht wissen konn-ten.

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  • Theoretisch htten wir es wissen knnen. Zumindest die Namen der Aktionre htten wir kennen knnen. Wir hatten nmlich so genannte Namensaktien ausgegeben, die jeden Aktionr verpflichten, dem Unternehmen nach einer kurzen Zeitspanne seinen Namen mitzuteilen. Soweit die Theorie. In der Praxis zogen es knapp vierzig Prozent unserer Aktionre vor, sich hinter ihren Custodians zu verstecken, das sind Treuhnder wie zum Beispiel Depotbanken, die ihre Aktien verwalten. Die Custodians jedenfalls sind nicht verpflichtet, den eigentlichen Aktionr zu offenbaren. Dank der Bemhungen unserer Investor Relation-Abteilung haben wir einen guten Teil der Besitzer in dieser Gruppe letztendlich doch ermitteln knnen.

    Doch damit nicht genug. Weitere 40 Prozent unserer Aktion-re whlten einen dritten Weg. Weder meldeten sie sich bei uns, noch versteckten sie sich hinter Custodians. Nein, sie hielten ihre Anteile im freien Meldebestand das ist ein Sammelreser-voir, in dem sich Aktien befinden, die heute gekauft und morgen wieder verkauft werden. Die zweite Generation unserer Share-holder missbrauchte ihn eindeutig fr ihre Zwecke. Aber so kam es, dass wir offiziell nie mehr als zehn bis zwanzig Prozent unserer Aktionre namentlich kannten.

    Wir hatten keinen blassen Schimmer, wer fr und wer gegen uns war, als die Heuschrecken ber die Deutsche Brse herfie-len. Sie nherten sich rasend schnell. Und vollkommen inkognito. Jedenfalls kam es uns damals so vor. Im Rckblick betrachtet, schlichen sich die Heuschrecken ber einen Zeitraum von wenigen Wochen peu peu in die Deutsche Brse hinein.

    Schon im Oktober 2004 hatte Chris Hohn, ein Teilhaber des Hedge Fonds mit dem irrefhrend freundlichen Namen The Childrens Investment Fund (TCI), um ein Gesprch gebeten. Das war uns nicht ungewhnlich erschienen wir nahmen uns immer gerne Zeit fr unsere Investoren. Zu diesem Zeitpunkt hielt TCI etwa ein Prozent unserer Aktien. Chris Hohn und ein enger Mitarbeiter kamen persnlich zu uns nach Frankfurt und

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  • wir fhrten ein angenehmes Gesprch ber die Deutsche Brse und die Branche im Allgemeinen.

    Am 13. Dezember 2004 gaben wir unser Kaufgebot fr LSE ffentlich bekannt. TCI hielt zu diesem Zeitpunkt etwa

    1,8 Prozent. Eigentlich noch kein Grund, sich als Aktionr wichtig zu nehmen. Dennoch rief TCI umgehend bei einem Mitglied des Beratungsteams der Deutschen Brse an und erklrte vollmundig, sie stnden auf unserer Seite und wrden alles in ihrer Macht Stehende tun, um unseren Hauptkonkurren-ten Euronext den franzsischen Zusammenschluss mit der niederlndischen und belgischen Brse daran zu hindern, ebenfalls ein Gebot fr die LSE abzugeben.

    Mitte Januar 2005 war der Anteil von TCI an der Deutschen Brse schon auf fnf Prozent gewachsen. Noch waren sie weit davon entfernt, die Mehrheit der Aktien zu besitzen; sie waren noch nicht einmal der grte Anteilseigner. Dennoch forderten sie pltzlich eine auerordentliche Hauptversammlung mit dem Ziel, den Aufsichtsratsvorsitzenden abzuwhlen und gegen die anderen Mitglieder des Gremiums ein Misstrauensvotum abzuhalten. Da hrten wir zum ersten Mal das Sirren der Heuschreckenflgel, wussten aber noch nicht, was dieses Gerusch zu bedeuten hatte.

    Das Handelsvolumen unserer Aktie erreichte neue Rekordh-hen, der Aktienpreis stieg und stieg. Die alten Besitzer also die Banken und die traditionellen Investmentfonds verkauften ihre Anteile und strichen satte Gewinne ein. Und lieferten damit ahnungslos die Deutsche Brse einem Schwarm gieriger Heuschrecken aus.

    Ende Februar hielt TCI dann acht Prozent der Deutsche-Brse-Aktien; ein weiterer Hedge Fonds namens Atticus besa ebenfalls acht Prozent. Binnen weniger Tage bauten die beiden gemeinsam mit weiteren Hedge Fonds ihren Anteil an der Deutschen Brse auf etwa 30 Prozent aus. Erst die Fax-Briefe

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  • vom 4. Mrz belegten, wie gro der Schwarm mittlerweile geworden war.

    Sie nutzten ihren Einfluss als Aktionre nicht, um unsere Geschftsstrategie zu untersttzen oder um das Geschftsmodell der Deutschen Brse zu strken. Sie halfen uns nicht bei der Umsetzung unserer Vision fr eine noch erfolgreichere Zukunft. Sondern sie konterkarierten mit ihren Mglichkeiten als Aktio-nre eben diese Plne.

    Die treibende Kraft in dieser Allianz war Chris Hohn, ein interessanter Typ. Er ist erst Ende 30, aber englischen Zeitungen zufolge Multimillionr. Trotzdem fhrt er kein luxurises Leben. Er trgt nicht stndig Designerklamotten. Er fhrt keinen Ferrari, sondern kurvt in einem normalen Auto herum. Was ihn bei seiner Arbeit neben dem Lohn am meisten antreibt, drfte der Wettbewerb sein, der Sieg. Er sammelt Geld wie andere Pokale. Wenn man ihm statt Geld Gummibrchen gbe, wre er vermutlich auch damit zufrieden. Er ist kein besonderer Men-schenfreund, auch wenn es in der ffentlichkeit gelegentlich so scheint. Dass seine Geldmaschine The Childrens Investment Fund genauso heit wie die Stiftung seiner Frau, die Children and Investment Fund Foundation, ist unter Marketingaspekten ziemlich clever. Hohn ist ein Mensch, der gerne die Zgel in der Hand hlt. Wer ihm begegnet, empfindet ihn in der Regel als einen wenig umgnglichen Zeitgenossen. Er kann unglaublich arrogant sein und ist ein typischer Einzelgnger. Auf einer Party wrde man sich fragen, wer denn der komische Kauz da drben in der Ecke ist. Selbst wenn er dort vermutlich nicht gleich auf den Gastgeber zugehen und die Haustrschlssel verlangen wrde, um als neuer Eigentmer aufzutreten.

    Aber so in etwa hat er sich bei uns verhalten. Er lud sich per Aktienkauf selbst zu unserer Party ein und verlangte binnen krzester Zeit nicht weniger als die Macht ber unser Unter-nehmen. Als wir uns weigerten, scharte Hohn mit fragwrdigen Machenschaften und Methoden Alliierte um sich.

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  • Wir hrten das Sirren, aber wir sahen sie noch nicht

    Hohns frhe Kritik an unseren Fusionsplnen war nur das Sirren einer einzelnen Heuschrecke gewesen. Nun verdunkelte der gesamte Schwarm den Horizont, ausgehungert setzten sie zur Landung an. Sie wollten nicht nur an ein paar hren knabbern. Nein sie wollten sich gleich die ganze Farm einverleiben!

    Das wurde uns endgltig klar, als an jenem Freitagabend Anfang Mrz die feindseligen Briefe der Hedge Fonds eintrafen.

    Lange Zeit hatten wir Hohn und seine Strategie unterschtzt. Warum?, mgen Sie mich jetzt fragen. Weil niemand in Deutschland und bei der Deutschen Brse jemals ein solches Verhalten seitens eines Aktionrs erlebt hatte das war zu neu, zu ausgefallen, zu geheimnisvoll. Und es widersprach diametral unserer Auffassung von einem vertrauensvollen Verhltnis zwischen einem Unternehmen und seinen Investoren.

    Noch am Tag vor der geballten Fax- und Mail-Attacke der Heuschrecken war ein Team der Deutschen Brse zu einem Zwei-Tages-Trip nach London aufgebrochen. Zehn Meetings hatten unseren Terminkalender gefllt. Unsere Leute waren voller Hoffnung und guten Mutes gewesen, die skeptischen Aktionre in der britischen Hauptstadt umstimmen zu knnen.

    Wenn man von der Kritik aus dem Lager der rebellischen Hedge Fonds und Investmentfonds absieht, ging es in diesen Tagen mit unserer geplanten Fusion gut voran. Regulierungsbe-hrden, Politiker und unsere Kunden erkannten die Vorteile. Und so setzte unser Team nun alles daran, auch die kritischen Eigentmer der Deutschen Brse zu berzeugen. Zunchst sah es ganz so aus, als knnte uns das gelingen. Unser erster Gesprchspartner in London war ein Mitarbeiter vom Investmentfonds State Street. Er fand lobende Worte fr die

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  • Deutsche Brse im Allgemeinen und begrte im Speziellen unsere Avancen an die LSE.

    Kaum waren wir zu unserem nchsten Termin mit dem Hedge Fonds Citadel aufgebrochen, verbreitete der Bloomberg News Service schon die positiven Statements unseres Gesprchspart-ners bei State Street. Doch das war offenbar nichts als l ins Feuer unserer Gegner. Denn kurz darauf erhielt ich E-Mails von den groen und wichtigen Investmentfonds Fidelity and Merrill Lynch, deren Vertreter wir seit Jahren persnlich kannten und die wir bis Dezember als vernnftige Geschftspartner erlebt hatten: Sie sagten unsere Meetings einfach ab. Ohne weitere Begrndung. Das wollte ich so nicht auf sich beruhen lassen, deshalb rief ich an und fragte warum. Es gebe so lange keinen Gesprchsbedarf, bis ich den LSE-Deal abgesagt htte, lie man mich wissen.

    Beim Abendessen ging auf meinem Blackberry eine Mail von Hohn ein: Inhalt und Ton hnelten dem der Faxe, die ich 24 Stunden spter in Frankfurt erhalten sollte. Er forderte eine Aktionrsabstimmung ber den geplanten Erwerb der LSE und beschwerte sich ber unsere Corporate Governance.

    Auerdem kritisierte Hohn unseren Aufsichtsratsvorsitzenden und mich wegen unserer Kommunikationspolitik. Rde warf er uns vor, kritische Meinungen bestimmter Aktionre aus Eigen-nutz zu unterdrcken, und seine Mail gipfelte in dem Satz: Ich mchte Sie nochmals darauf hinweisen, dass das Unternehmen letztendlich den Aktionren gehrt und nicht Ihnen, Herr Seifert, und dass die Aktionre ihre Rechte in Krze ausben werden.

    Er suchte kein Einvernehmen, er bernahm gleich das Kom-mando. Er klang, als sei er der alleinige Eigentmer und nicht nur einer unter vielen. Und es passte zu der Aussage eines frheren Kollegen von Hohn, der mir gesagt hatte: Chris hetzt seine Feinde unermdlich. Mal abgesehen vom Tonfall entbehrten seine Anschuldigungen auch inhaltlich jeder Grund-lage.

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  • Zum einen: Aktiengesellschaften in Deutschland (wie auch in den USA) sind gesetzlich nicht verpflichtet, das Einverstndnis ihrer Aktionre fr bernahmen anderer Unternehmen in bar einzuholen. Eine solche Abstimmung nach deutschem Recht wrde das Angebot ad absurdum fhren, wie ich spter noch ausfhrlich erlutern werde.

    Zum anderen: Was die so genannten Investor Relations betraf also das Verhltnis zu unseren Investoren , so hatten weder das Unternehmen noch ich selbst uns etwas vorzuwerfen. Von Anfang an hatten wir immer ein offenes Ohr fr unsere Aktion-re; wir hatten sie ja zum groen Teil von der Fusion mit der LSE berzeugen knnen. Auch unser Geschftsmodell und unsere Strategie stieen bei ihnen auf breite Zustimmung.

    Das Schlimmste an der Mail, die Hohn mir gerade geschickt hatte, war, dass er sie den Nachrichtenagenturen zuspielte auf dass die Medien sich in den kommenden Tagen darauf strzen mgen! Er begrndete sein Vorgehen auf die ihm eigene Art: Wir sind gezwungen, die Kommunikation mit Ihnen ffentlich zu fhren, da wir nicht darauf vertrauen knnen, dass Sie sich fr unsere Aussagen interessieren oder dass unsere Ansichten allen Mitgliedern des Aufsichtsrates zur Kenntnis gelangen.

    Es war perfide, dass Hohn von Vertrauen sprach ausgerech-net er, dessen Umgang mit uns nie auf Vertrauen grndete. Normale Werte scheinen in seinem Universum nicht zu existie-ren. Gren wie Macht oder Sieg mgen da etwas zhlen. Vertrauen weniger.

    Das dmmerte mir an jenem Mrz-Abend in jenem Londoner Restaurant, in dem ich seine Mail las. Vor mir stand ein kstli-ches indisches Gericht, aber der Appetit war mir grndlich vergangen. In der Nacht lag ich lange wach in meinem Bett in dem herrlich altmodischen Berkeley Hotel in Knightsbridge. Wie kamen wir aus dieser verfahrenen Situation nur wieder heraus? In der Hochfinanz wird oft mit harten Bandagen gekmpft. Ich war 27 Jahre lang immer wieder in den Ring

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  • gestiegen. Aber das war das erste Mal, dass es mir vorkam, als glten keinerlei Regeln, als sei jede Waffe erlaubt, als sei kein Schiedsrichter weit und breit zu sehen.

    Hohn war gegen den LSE-Deal. Es war auch vllig unmg-lich, ihn zu bekehren, weil er eine ganz andere Strategie verfolgte; welche, erkannten wir erst spter. Also setzte er uns unter Druck. Ihm msste eigentlich klar gewesen sein, dass er Unrecht hatte und dass seine Argumente auf Sand gebaut waren. Aber Hohn ist clever. Er brauchte Futter fr seine Medienshow. Und so bestand er auf Rechten, von denen er wissen musste, dass er sie nicht besa. Wie ein Fuballspieler warf er sich auf den Boden, schrie Foul! und hielt sich das Schienbein, obwohl wir ihn noch nicht einmal berhrt hatten.

    Natrlich wrden die Journalisten seinen Kder gierig schlu-cken. Sie wren keine ordentlichen Journalisten, wenn sie sich eine solche Geschichte entgehen lieen: Aktionre beschuldigen das Management der Deutschen Brse egal mit was, egal wie berechtigt. So etwas ist immer eine Nachricht. Wenn es jemand wagt, eine Person von ffentlicher Bedeutung anzugreifen, wittern die Medien einen groen Skandal. Wo Rauch ist, ist auch Feuer, sagt der Volksmund. Hier gab es Rauch. Wo genau brannte aber das Feuer und warum war es berhaupt ausgebro-chen? Wir glaubten, den Feuerlscher auf die Stelle halten zu mssen, auf die Hohn schreiend deutete. Wir antworteten mit Argumenten gegen seine Vorwrfe. Doch wie bei der Hydra aus der griechischen Mythologie wuchsen jedem abgeschlagenen Kopf zwei neue Kpfe nach. Hatten wir ein Argument wider-legt, fuhr Hohn zwei neue auf. Erst als vor lauter Rauch kaum noch jemand durchblickte, begriffen wir: Das Feuer brannte ganz woanders, als alle dachten. Aber da war es schon zu spt.

    Am nchsten Morgen kam unser Team in Frankfurt zusam-men, wo unser Aufsichtsratsvorsitzender Breuer uns bereits erwartete. Was hatten wir fr Mglichkeiten?

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  • Um die Rebellen zu beschwichtigen, schlug einer unserer Berater vor, knnten wir sofort einen massiven Aktienrckkauf starten. Das ist ein blicher und einfacher Weg, Geld an seine Aktionre auszuschtten. Indem ein Unternehmen die eigenen Aktien zurckkauft und sie dann einzieht, steigt in der Regel der Wert der brigen Aktien. Die Idee dahinter war klar: Durch die Wertsteigerung der Aktien und die Ausschttung an die Aktio-nre hoffte der Berater die Geldgier der Rebellen um Hohn zu befriedigen, um dann ohne weitere Strungen die bisherige Unternehmensstrategie fortzusetzen. Die Deutsche Brse konnte es sich zu diesem Zeitpunkt leisten, fr eine Milliarde Euro Aktien zurckzukaufen und htte noch immer genug gehabt, um die LSE zu erwerben.

    Ein anderes Teammitglied, das den Nervenkrieg mit unseren Investoren tglich zu spren bekam, lehnte diese Mglichkeit sowie andere Zugestndnisse an Hohn und Konsorten ab. Alles oder nichts war seine Devise entweder den ursprnglichen Plan durchziehen oder das Gebot zurckziehen. Scheinbar war er des Verhandeins mde. Verstndlich, der Druck nahm immer mehr zu.

    Die deutsche Regierung stnde noch immer hinter dem LSE-Deal, teilte Breuer uns mit. Auerdem habe er zahlreiche Hinweise erhalten, dass sich fhrende deutsche Wirtschaftsun-ternehmen ber das Benehmen der Hedge Fonds sorgten, zumal sie befrchteten, selbst die nchsten Opfer zu werden. Also bis zum Letzten weiter kmpfen?

    Auch das Management der London Stock Exchange war not amused, dass ihre so sorgfltig geplante Auktion ins Wasser zu fallen drohte. Es hatte fest mit mindestens zwei Bietern gerech-net, mit uns und mit der franzsischen Brse Euronext, und sich gewiss schon darauf gefreut, dass ihr Preis bei einem Wettbieten ordentlich steigen wrde. Die Franzosen waren schon im Dezember, kurz nachdem wir unser Kaufinteresse bekundet hatten, aufgetaucht. Zwar hatten sie nie einen Preis genannt,

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  • aber es stand auer Zweifel, dass sie mitziehen wrden, sobald wir Ernst machten.

    Am Nachmittag schickte die LSE uns eine Nachricht, die gemischte Gefhle bei uns erzeugte: Ihr Management erklrte sich bereit, ihren Aktionren zu empfehlen, unser Kaufangebot anzunehmen, und zwar ohne die Entscheidung des Office of Fair Trading (OFT), der britischen Wettbewerbsbehrde, abzuwar-ten. Allerdings zum Preis von circa 600 Pence pro Aktie.

    Das war prinzipiell eine gute Nachricht: Die LSE war bereit, den Verkauf zu empfehlen! Doch der Wermutstropfen war der Preis, den wir noch nicht einmal in unseren wildesten Trumen wrden zahlen wollen. Aufgrund der TCI-Kampagne war es Tag fr Tag schwer genug geworden, unsere Aktionre davon zu berzeugen, dass unser ursprngliches Gebot von 530 Pence nicht galoppierenden Wahnsinns war. 600 Pence !

    Dieses ganze Hickhack war zermrbend. Wir saen in dem kleinen Konferenzraum im dritten Stock. Er

    ist drei mal sechs Meter gro und an den Wnden hngen beeindruckende Fotografien von Barbara Klemm. Eine davon sprach mich besonders an: Sie zeigt Leonid Breschnew und Willy Brandt bei den Verhandlungen ber die Vertrge zwi-schen der Sowjetunion und Deutschland in den frhen Siebzigern der Anfang der Ostpolitik, der Entspannung und Annherung zwischen den Blcken. Wann immer ich mit einem schwierigen Problem zu kmpfen hatte, sah ich dieses Bild an und sagte mir, dass diese beiden Mnner viel grere Widrigkei-ten berwunden hatten.

    Mein klitzekleines aktuelles Problem sah so aus: ber viele Jahre hinweg hatten wir zufriedene Aktionre gehabt, die unsere Strategie und deren Ergebnisse zu schtzen wussten. Sie hatten unsere Annherung an die LSE untersttzt. Unsere Kampagne war flott vorangekommen, bis wir unter Beschuss aus den eigenen Reihen gerieten. TCI, Atticus und andere Fonds trieben

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  • unseren Aktienpreis in die Hhe, sie kauften Tag um Tag und lieen unseren alten Aktionren nach konomischen Kriterien keine andere Wahl, als die Gewinne mitzunehmen und ihre Pakete zu verkaufen. Das konnte ich ihnen kaum verbeln. Die Aktionre hatten sich um ihre Geschfte zu kmmern und ich mich um das meine.

    Die Attacke der Heuschrecken hatte die bisherigen Machtver-hltnisse mit einem Schlag verndert. Unseren Schtzungen zufolge kontrollierten sie mittlerweile gut dreiig Prozent des Unternehmenskapitals. Siebzig Prozent der Aktionre standen wohl noch hinter uns, aber das wrde uns nicht viel ntzen. Erfahrungsgem erscheinen bei den jhrlichen Hauptversamm-lungen groer deutscher Aktiengesellschaften nur um die dreiig Prozent der Stimmberechtigten. Demzufolge wre es den Heuschrecken schon jetzt ein Leichtes, die Hauptversammlung fr ihre Zwecke zu nutzen. Trbe Aussichten also. Es hatte ganz den Anschein, als wrden die Rebellen die Oberhand gewinnen. Ein Rckzug unseres LSE-Gebots stand ernsthaft zur Debatte.

    Wir mussten etwas unternehmen, aber an diesem Nachmittag war uns allen der Kampfgeist abhanden gekommen. Wenige Stunden spter besttigten die Faxe der Hedge Fonds unsere schlimmsten Befrchtungen.

    Die Insekten sind da! Lauft um euer Leben!

    An diesem Freitag arbeiteten wir bis tief in die Nacht. Wenn wir schon klein beigeben mussten, so sollte es wenigstens ein geordneter Rckzug werden. Nach stundenlangen Konsultatio-nen mit unseren Rechtsanwlten und einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht war uns schlielich klar, was zu tun war.

    Wir trafen uns Samstagmorgen mit dem gesamten Team, diesmal in einem greren Konferenzraum. Ich wies auf einen Artikel der aktuellen Financial Times hin: Demnach hatten sich

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  • weitere Aktionre den Rebellen angeschlossen. Nach diesem unerfreulichen Einstieg fasste ich die wichtigsten Fragen fr unser weiteres Vorgehen zusammen.

    Unser Team wog ausfhrlich alle Handlungsoptionen mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen ab und kam zu folgendem Schluss: Eine Rcknahme des Gebots, begleitet von einem Aktienrckkauf, war nach unserem Verstndnis aktionrsfreund-licher Unternehmensfhrung der einzig mgliche Weg. Der Kauf der LSE konnte auch zu einem spteren Zeitpunkt erfolgen sofern die neuen Aktionre von dessen Vorzgen berzeugt werden knnten. Drei Ziele wollten wir dabei im Auge behalten:

    Erstens: Falls wir das Kaufgebot zurckzogen, wrde im schlimmsten Fall unser strkster Konkurrent Euronext seine Chance ergreifen und mit der LSE fusionieren. Um ihre strategi-sche Position gegenber Euronext zu sichern, musste die Deutsche Brse sich also eine Hintertr aufhalten, um gegebe-nenfalls wieder in eine Auktion um die LSE einsteigen zu knnen.

    Zweitens: Die Interessen der neuen Eigentmer waren ganz offensichtlich nur kurzfristig. Dagegen musste sich die Deutsche Brse wappnen. Unser strategischer Plan fr die Jahre 2005 bis 2007 sollte nach wie vor umgesetzt werden, trotz der anstehen-den massiven Aktienrckkufe.

    Drittens: Unseren Vorsitzenden oder andere Mitglieder des Aufsichtsrats zu verlieren wre fr das Unternehmen weder akzeptabel noch gut. Das Unternehmen musste das Risiko einer Abwahl des Aufsichtsrats minimieren, sei es auf der regulren oder einer auerordentlichen Hauptversammlung, die mgli-cherweise nachher stattfinden wrde.

    Sonntagmorgen dann besuchten Breuer, Moore und Hlubek mich zu einem Arbeitsfrhstck. Dabei wurde Breuer unser Vorschlag erlutert. Er stimmte zu, aber er gefiel ihm ebenso wenig wie mir. Vor allem die Absage des LSE-Deals bereitete

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  • uns Bauchschmerzen. Es war rgerlich, dass so viel Engagement und sorgfltige Vorbereitungen fr die Katz gewesen sein sollten. Insbesondere, wenn man bedachte, wie mager die Argumente der Kritiker waren, die behaupteten, der LSE-Deal sei zum Nachteil der Shareholder.

    Einige Stunden spter wir bereiteten die Neuigkeiten gerade fr die Pressemitteilungen und die Branchendienste auf mussten wir mit groem Befremden feststellen, dass es in der Deutschen Brse offenbar eine undichte Stelle gab.

    Anscheinend hatte jemand bereits die Medien informiert, denn ein Journalist rief an und wollte mehr ber die geplanten Aktienrckkufe wissen. Kurz darauf, gegen 21 Uhr, verffent-lichten wir die offizielle Verlautbarung und informierten somit auch den Rest der Welt von der Entscheidung der Deutschen Brse.

    Die Rebellen hatten gesiegt. Aber fr eine Entwarnung be-stand noch kein Anlass. Der Kampf war noch lange nicht zu Ende. Zunchst einmal reagierten die Wertpapiermrkte auf die Meldungen des Wochenendes: Der Preis fr die LSE-Aktie war nach unserem Gebot Mitte Dezember nach oben geschossen und hatte sich bis Mitte Februar bei circa 570 Pence gehalten. Am vergangenen Freitag, dem 4. Mrz 2005, hatte die LSE-Aktie noch mit 539 Pence geschlossen, beinahe schon in Reichweite unseres Angebots von 530 Pence. Montagmorgen erffnete sie mit 490 Pence, hatte also nahezu zehn Prozent verloren, fiel dann auf einen Tagestiefststand von 480 Pence, erholte sich zum Abend hin ein wenig und schloss bei 497 Pence. Seitdem die LSE an der Brse notiert war, war dies ihr schwrzester Tag noch nie hatten ihre Aktien an einem Tag so stark an Wert verloren. Die Grnde lagen auf der Hand. Viele Investoren hatten sich von dem Erwerb der LSE-Aktien einen schnellen Gewinn versprochen. Nun, da die Aussichten auf einen Verkauf

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  • der LSE verpufft waren, hatten die Aktien viel von ihrer Anziehungskraft eingebt.

    Mit der Aktie der Deutschen Brse ging es an diesem Montag auf und ab trotz all der durchgesickerten Informationen wussten die Marktteilnehmer wohl noch immer nicht so recht, wie sie die neuen Entwicklungen bewerten sollten. Die Aktie erffnete mit einem Plus von sechs Prozent und besttigte damit anscheinend Hohns Einschtzung. Er hatte nmlich vorherge-sagt, dass der Aktienpreis der Deutschen Brse krftig steigen wrde, sobald der LSE-Deal abgeblasen sei. Aber auf den zweiten Blick hatte er Unrecht. Bei genauerer Betrachtung lag der neue Erffnungspreis nur ein Prozent ber dem Hchstwert vom Freitag. Am Ende des Handelstages hatte die Aktie wieder fnf Prozent verloren und lag damit knapp unter dem Schluss-preis vom Freitag. Diese Marke sollte sie bis Ende Mrz auch nicht wieder bersteigen. Es gab also keine spontanen und positiven Reaktionen der Marktteilnehmer auf die Aufkndi-gung des LSE-Gebots. Im Gegenteil: Viele Investoren bedauerten den Entschluss, der der Deutschen Brse von den Heuschrecken aufgezwungen worden war. Also war unsere Strategie doch nicht so falsch gewesen. Dass die Aktien von Mai an wieder stark zulegten, ist fast ausschlielich der Tatsache geschuldet, dass es mit deutschen Aktien generell aufwrts ging und die Deutsche Brse mehr Geschft verzeichnete, als unsere khnsten Prognosen hergaben.

    Am selben Montag informierte ich Bundesfinanzminister Hans Eichel und den hessischen Ministerprsidenten Roland Koch ber unseren Entschluss. Ihre Reaktionen waren schwer einzu-schtzen. Beide schienen enttuscht, uerten aber angesichts der Hintergrnde Verstndnis fr unsere Entscheidung. Nachmittags um halb fnf rief mich Clara Furse, CEO (Chief Executive Officer) der LSE, an. Sie bedauerte die Rcknahme des Angebots, wnschte sich eine Fortfhrung des Dialoges und

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  • hoffte, dass die Deutsche Brse eine Neuaufnahme eines Gebots erwge.

    Clara konnte nicht glcklich darber sein, dass nun nur noch Euronext als potentieller Bieter brig war. Deren Chef Jean-Franois Thodore hatte sich bisher ziemlich bedeckt gehalten und nur ganz allgemein sein Interesse bekundet. Mglicherweise wrde er der LSE nun ein konkretes Angebot unterbreiten, mglicherweise aber auch nicht. Bestimmt berdachte Clara in diesem Moment auch die Strategie ihres Managements: Deren Verzgerungstaktik hatte sich gegen sie selbst gewandt. Viel-leicht rgerte sie sich, unser angemessenes Angebot nicht gleich angenommen zu haben? Wie unvorhersehbar doch unser Geschft ist: Ihre Strategie htte ebenso gut aufgehen und von phnomenalem Erfolg gekrnt sein knnen. Dann htte sie einen hohen Verkaufspreis fr die Aktionre und das Management herausholen knnen. Sie hatte ganz auf eine Strategie gesetzt, die auf jeden Fall sehr riskant und nur mglicherweise sehr lohnend war. Nun hatte sich ihr Traumszenario von zwei Bietern mit einem Schlag in Luft aufgelst.

    Die Gefahr ist noch nicht gebannt

    Anfangs hatte es den Anschein, als ob die Rcknahme des Gebotes wenigstens einen Keil in die Reihen der Rebellen treiben wrde, als ob dieses Zugestndnis die blaubltigen Investmentfonds wie Merrill Lynch, Capital and Fidelity von den hitzkpfigen Emporkmmlingen wie TCI oder Atticus spalten knnte. Ein Analyst von Fidelity sagte mir, dass sein Investmentfonds mit der neuen Situation vollkommen zufrieden sei. Spter stellte sich heraus, dass er falsch lag. Der amerikani-sche Anlagegigant beabsichtigte keineswegs, seine Attacken gegen uns einzustellen.

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  • hnliche Nachrichten deuteten darauf hin, dass wir auch TCI nicht so bald loswerden wrden. Am nchsten Tag, am Diens-tag, den 8. Mrz, rief mich ein fr gewhnlich gut informierter Freund von einer groen deutschen Finanzgruppe an. Er war gerade in London gewesen, und da war ihm so einiges zu Ohren gekommen: TCI und andere Rebellen verkauften ihre Deutsche-Brse-Aktien keineswegs. Einige von ihnen kauften sogar. Das berraschte mich nicht. Schlielich hatte Hohn noch nicht alle seine Ziele erreicht. Er wollte Breuer und mich loswerden. Die Heuschrecken wollten mehr Kontrolle. Und sie wollten noch mehr Geld. Erst am Vortag hatte Atticus ffentlich verkndet, sie erwarteten von der Deutschen Brse eine Ausschttung in Hhe von zwei Milliarden Euro an ihre Shareholder.

    Ein Interview mit Hohn in der Wirtschaftswoche, das schon am nchsten Tag erschien, besttigte meine schlimmsten Befrchtungen: Er bezeichnete sich als langfristigen Aktionr und verlangte Vernderungen im Aufsichtsrat.

    Die Invasion der Heuschrecken war erfolgreich gewesen. Was tut man in einer solchen Situation? Man besichtigt den Schaden, repariert ihn so gut wie mglich und trifft Vorkehrungen fr den nchsten Angriff. Genau das taten wir.

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  • 2 Warum die Deutsche Brse?

    Heuschrecken strzen sich immer auf die ppigsten Felder

    Warum in aller Welt wurde ausgerechnet die Deutsche Brse zum Ziel der Heuschrecken? Die Antwort ist simpel: Heuschre-cken sind verfressene Tierchen und suchen sich immer die sattesten Weiden aus.

    In Deutschland gibt es zahlreiche Unternehmen mit schlech-tem Management und schlechten Bilanzen. Fr sie wre es ein Segen, wenn engagierte Investoren sie auf Vordermann brch-ten. Genau das taten in den achtziger Jahren die Raider, die Unternehmensruber, darunter beispielsweise Carl Icahn oder die Firma KKR: Sie pickten sich einen schlecht gefhrten Betrieb heraus, setzten die Unternehmensleitung auf die Strae, krempelten das Unternehmen um und brachten den Rubel ins Rollen. Die Konsequenzen ihres Vorgehens waren meist positiv fr das jeweilige Unternehmen ebenso wie fr die Volkswirt-schaft insgesamt.

    Heuschrecken aber gehen ganz anders vor als die Raider. Sie bedienen sich zwar derselben Methoden, greifen aber eine ganz andere Sorte von Firmen an. Die Deutsche Brse war ja kein abgewirtschaftetes Unternehmen, sondern eines der erfolg-reichsten in ganz Europa. Der Wert brsennotierter Unterneh-men bemisst sich an ihrer Marktkapitalisierung. Und die konnte sich sehen lassen: Die der Deutschen Brse betrug Ende 2004 fnf Milliarden Euro.

    Seit ihrem Brsengang im Februar 2001 hat die Deutsche Brse mehr Wert fr ihre Aktionre geschaffen als fast jede andere im Dax 30, CAC 40 oder Dow Jones notierte Firma. Sie

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  • ist international das mit Abstand grte und wertvollste Unter-nehmen ihrer Branche und verzeichnet in nahezu allen Ge-schftsbereichen beeindruckende Zuwchse. Im Jahr 2004 nahm die Deutsche Brse in den Sparten Umsatz, Gewinn und Marktkapitalisierung weltweit den Spitzenplatz ein.

    Whrend meiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender hat die Deutsche Brse ihren Gewinn um das 15fache gesteigert; der Wert des Unternehmens stieg um mehr als das 30fache. Obwohl viele deutsche Grounternehmen in diesem Zeitraum Personal abbauten, konnten wir zahlreiche neue Mitarbeiter einstellen. Trotz einiger Rckschlge bin ich stolz auf diese Bilanz unserer Arbeit umso mehr, als ich mir selbst nie htte trumen lassen, jemals eine Brse zu leiten.

    Das erste Zusammentreffen mit Rolf-E. Breuer

    Will denn kein Deutscher den Chefsessel der Brse?, fragten einige deutsche Zeitungen im April 1993, nachdem publik geworden war, dass ich ein deutschsprachiger Schweizer zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Brse berufen worden war. Derartige Kommentare brachten mich zum Grinsen. Eine Brse genoss damals noch geradezu einen mythischen Status. Sie wurde als Feldherrnhgel der Volkswirt-schaft betrachtet, als Herzstck der Deutschland AG und als Heiliger Gral der Kapitalmrkte. Sie war so deutsch wie Schwarz-Rot-Gold, die Nationalhymne oder Franz Beckenbauer.

    Ehrlich gesagt htte ich mich als Journalist ber etwas ganz anderes aufgeregt: Dass der neue CEO nicht den leisesten Schimmer vom Brsengeschft hatte. Ich besa nicht mal eine Aktie.

    Ich wurde als Sohn eines Ingenieurs im schweizerischen Winterthur geboren. Mein Vater war fr Honeywell und Brown Bovery ttig. Zur Schule ging ich zunchst in meiner Schweizer

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  • Heimat, spter auch in sterreich und Deutschland. Dann studierte ich Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt und Hamburg. 1978 fing ich bei der amerikanischen Unternehmens-beratung McKinsey & Company an.

    Das war eine tolle Zeit. Bei McKinsey hatte ich die Mglich-keit, ein paar grundlegende Dinge schneller zu begreifen, als wenn ich die bliche Laufbahn in einem Unternehmen einge-schlagen htte. Dort gewann ich Einblicke in Versicherungs-unternehmen, Banken und Bausparkassen; ich beriet Automobilhersteller und Chemiekonzerne; ich trug dazu bei, Fotokopierer besser zu verkaufen und Kaffeemaschinen profi-tabler herzustellen, und sprang jederzeit gern ein, wenn es darum ging, Die Firma (wie sich McKinsey schon lange vor dem gleichnamigen Film intern nannte) auch in Deutschland zu etablieren.

    McKinseys Personalpolitik ist knallhart. Sie lautet: top oder hop. Wer nicht binnen sechs Jahren zum Partner aufsteigt, kann seine Siebensachen packen und sein Glck andernorts versu-chen. Ich konnte bleiben. Aber schon bald nach meiner Wahl zum Partner bekam ich groe Lust, nun selbst mal richtig anzupacken, so wie einst mein Vater. Mir gengte die Rolle als Berater nicht mehr. Ich wollte eigenstndig Entscheidungen treffen und die volle Verantwortung fr ein Unternehmen tragen. Und das kann man nur als Manager.

    1986 gab mir das Schicksal eine Chance. Der Verwaltungs-ratsprsident eines Klienten bot mir an, in seinem Unternehmen, der Schweizer Rckversicherung, einen wichtigen Unterneh-mensbereich aufzubauen und dessen Leitung zu bernehmen. Gerne willigte ich ein.

    Von nun an war es meine Aufgabe, intern und unter den Vertriebskrften die Effizienz zu steigern. Auerdem kaufte ich weitere Versicherungsunternehmen auf, um die geografische Reichweite der Schweizer Rck zu erhhen. Mehr als 20000 Angestellte in einem halben Dutzend Lndern standen unter

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  • meiner Leitung. Es gab viel zu tun und darum war ich ber viele Jahre hinweg mit diesem Job sehr zufrieden.

    Eines Tages rief ein Headhunter aus Mnchen an. Ich suchte keine andere Stelle und brannte nicht wirklich darauf, was er mir zu sagen hatte. Doch siehe da, er hatte spannende Neuigkeiten: Rolf-E. Breuer, damals im Vorstand der Deutschen Bank, war gerade zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Brse gewhlt worden und wollte mich sprechen. Breuer eilte damals der Ruf voraus, sich fr einen Ausbau der Sparte Investmentbanking bei der Deutschen Bank und die Strkung des Finanzplatzes Frankfurt einzusetzen. Zwar wollte ich meinen Arbeitsplatz nicht wechseln. Aber Breuer wollte ich unbedingt kennen lernen.

    Wir trafen uns in den schimmernden Trmen der Deutschen Bank, die die Skyline von Frankfurt dominieren. Die Rume der Geschftsleitung liegen im 31. Stock. Dort ist der Teppich so dick, dass man seine eigenen Schritte nicht hrt. Ich trage sehr ungern Anzge und Krawatten; Breuer aber ist immer perfekt gekleidet, und so kam er mir bei unserer ersten Begegnung wie Cary Grant vor, der in einem Hollywood-Film der fnfziger Jahre einen Geschftsmann spielt gro und sonnengebrunt, mit perfekt sitzendem Jackett und einem gefalteten Taschentuch in der Brusttasche. Eine imposante Erscheinung.

    Breuer kam gleich zur Sache. Die Deutsche Brse war gerade erst auf Drngen der groen Banken gegrndet worden. Anders als in den meisten anderen Lndern gab und gibt es in Deutsch-land nicht nur eine, sondern mehrere Brsen, und zwar neben Frankfurt auch in Dsseldorf, Stuttgart, Berlin, Hamburg, Mnchen und Bremen. Die Deutsche Brse baute auf der Tradition der jahrhundertealten Frankfurter Wertpapierbrse auf, deren Wurzeln wiederum bis auf einen Vorgnger im Jahre 1585 zurckreichen. Das Unternehmen war in keinem guten Zustand; Gewinne nicht vorhanden, die Pensionsverpflichtungen umfangreich.

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  • Ich fiel aus allen Wolken, als Breuer mir anbot, Vorstandsvor-sitzender der Deutschen Brse zu werden. Meinen Einwand, ich htte nicht die geringste Ahnung von Brsen und Kapitalmrk-ten, wischte er mit einem Lcheln beiseite: Genau deswegen sind Sie der richtige Mann. Verwandeln Sie die Brse in ein ganz normales, profitables Unternehmen! Wre ich an seiner Stelle gewesen, htte ich mir diesen Job wahrscheinlich nicht angeboten.

    Doch Breuer war weitsichtig und ein kluger Stratege. Er suchte jemanden, der den Klngel der Brsenmakler auf-scheuchte, der das ganze Unternehmen von Grund auf neu strukturierte, es auf Profit ausrichtete, es effizienter gestaltete und die Deutsche Brse fit fr weiteres, zuknftiges Wachstum machte.

    Die Position selbst und eine Zusammenarbeit mit Breuer erschienen mir uerst verlockend. Die Vorstellung, etwas ganz anderes zu tun, gefiel mir. Ebenso war ich begeistert von der Aussicht, mich in eine vollkommen neue Branche einzuarbeiten. Ich sagte mir: Du kannst gar nichts falsch machen. Der deutsche Kapitalmarkt ist so unterentwickelt der kann sich nur in eine einzige Richtung bewegen, und das ist aufwrts. Wir kamen berein, dass Breuer mich fr den Posten als CEO vorschlagen wrde.

    Dieses Treffen hoch ber Frankfurt war der Beginn einer uerst produktiven Zusammenarbeit. Schon bald erkannte ich, dass Breuer ein hervorragender Stratege ist, aber darber hinaus auch die Fhigkeit besitzt, zu delegieren. Im Gegensatz zu mir verliert er nie die Ruhe. Mit schlafwandlerischer Sicherheit zieht er die relevanten Seiten aus einem groen Stapel Papier, stellt przise Fragen und trifft klare Entscheidungen, sobald die Antworten ihn zufrieden stellen. Breuer ist auerdem ein begnadeter Redner er notiert nur rasch ein paar Worte auf einen Block und bestreitet damit aus dem Stand eine eloquente, kurzweilige Rede von einer halben Stunde, sei es auf Deutsch

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  • oder auf Englisch. Rolf-E. Breuer wurde einer der Hauptgrnde, warum ich so gerne fr die Deutsche Brse arbeitete.

    Was ist eigentlich eine Brse?

    Wir alle kennen das Bild, das jeden Tag mehrmals ber unsere Fernsehschirme flimmert: In einer groen Halle, ausgestattet mit Marmor und Edelhlzern, schreien ernst blickende Menschen mit hochgekrempelten Hemdsrmeln einander an oder verstn-digen sich durch eine kryptische Zeichensprache, die ihnen vollen Krpereinsatz abverlangt.

    Etwa das war damals mein Kenntnisstand ber das Geschehen an der Brse. Ich musste mich also dringend schlau machen Und so wei ich aus eigener Erfahrung, wie viele Bcher sich mit der Frage beschftigen, was eine Brse ist und was sie tut. Um Sie nicht mit Details zu langweilen, lassen Sie uns dem Geld folgen, wie es Dustin Hoffman und Robert Redford als Journalisten in dem Watergate-Film Die Unbestechlichen tun.

    Stellen Sie sich einfach vor, Sie sind Aktienbesitzer viel-leicht haben Sie ja ein paar Telekom-Anteile erworben, die Manfred Krug uns einst allen so ans Herz gelegt hat. Was Sie in diesem Fall in den Hnden halten, ist ein 08/15-Produkt. Es besagt lediglich, dass Sie einen bestimmten Anteil eines Unternehmens besitzen verbunden mit dem Recht, an den zuknftigen Gewinnen dieses Unternehmens teilzuhaben. Selbstverstndlich knnen Sie dieses Blatt Papier jederzeit verkaufen, sei es, weil Sie das Geld selbst bentigen oder weil Ihnen eine andere Aktie oder ein anderes Wertpapier besser gefllt.

    Hier kommt die Brse ins Spiel. Wann immer Leute zusam-menfinden, um Handel zu treiben, muss jemand klare Regeln definieren, muss ihre Rechte beschtzen oder auch ausrechnen, wie all die Transaktionen in der Brsenwelt spricht man von

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  • Orders sich auf den Preis niederschlagen. Nicht mehr und nicht weniger tun Brsen: Sie stellen den Raum zur Zusammen-kunft und ein dickes Regelwerk. Ursprnglich einmal waren Brsen Treffpunkte in normalen Gebuden und ihre Vorschrif-ten galten fr Brsenmakler. Heutzutage sind Brsen meist virtuelle Treffpunkte in einem Netzwerk, deren Regeln von Software-Algorithmen gesteuert werden.

    Es gibt Brsen fr alle erdenklichen Dinge, von Schweinebu-chen bis zu l, von Hypotheken bis zu Wertpapieren. Mittler-weile existiert auch ein breites Sortiment von Finanzprodukten, die an speziellen Brsen gehandelt werden, beispielsweise festverzinsliche Wertpapiere, Whrungen und Derivate, also hochspekulative Finanzinstrumente, deren Preise sich nach den Kursschwankungen oder den Preiserwartungen von anderen Investments richten.

    Aber zurck zu Ihrer Aktie, die Sie loswerden wollen. Im Normalfall rufen Sie Ihre Bank oder Ihren Brsenmakler an und dieser kauft oder verkauft die Aktie in Ihrem Auftrag. Die Bank, die Mitglied der Brse ist und daher dort zum Handel zugelas-sen ist, wird dann eine Order platzieren und Ihren Willen in die Tat umsetzen. Da Sie aber nicht der Einzige sind, der sein Portfolio verndert, herrscht ein stndiges Kaufen und Verkau-fen, was dazu fhrt, dass Ihre Aktie zu verschiedenen Zeitpunkten einen unterschiedlichen Wert hat.

    Erst kommt der Handel. Und dann ?

    So weit, so gut. Brsen sind im Grunde genommen recht simple Gebilde. Allerdings ist es mit dem bloen Verkauf Ihrer Aktie noch lange nicht getan. Haben Sie sich mal Gedanken darber gemacht, dass Ihr Blatt Papier ja noch irgendwie zu Ihrem Handelspartner gelangen muss, und wie das Geld fr die Aktien, die sie soeben verkauft haben, bei Ihnen landet?

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  • Hier kommt das nchste Glied der Prozesskette ins Spiel, und wieder wird ein Unternehmen fr Sie und Ihren Handelspartner aktiv. Wir nennen diese Phase Clearing, also Verrechnung, und das Unternehmen, das sich darum kmmert, heit dement-sprechend Clearing House. In Wirklichkeit handeln Sie ja nicht direkt mit Ihrem Handelspartner; vielmehr verkaufen Sie ber Ihre Bank Ihre Aktie an das Clearing House, und Ihr Handelspartner kauft sie dem Clearing House ab. Das Clearing House ist also die zentrale Drehscheibe des Handels. Es garan-tiert Ihnen und Ihrem Abnehmer, dass die Transaktion zustande kommt, dass Ihre Aktie gegen sein Geld getauscht wird. Das ist brigens ein ganz schn riskantes Geschft. Was, wenn Ihr Kufer das Geld, das Ihnen zusteht, gar nicht hat? Dieses Risiko trgt das Clearing House es addiert sich jeden Tag zu Milliar-denbetrgen. Daher verlangt das Clearing House von den Banken, die in Ihrem Auftrag handeln, eine gewisse Marge, um sich gegen das Risiko abzusichern, dass einer der beiden Handelspartner seinen Teil des Vertrages nicht erfllt.

    Als nchster Schritt in der Prozesskette muss der physische Austausch Aktie gegen Geld organisiert werden. Das nennen wir Settlement, also Abwicklung. Sie haben bestimmt ein Girokonto bei einer Bank und ein anderes Konto, auf dem die Bank ihre Aktie verwahrt. Banken haben ebensolche Konten, und zwar bei einer so genannten Settlement Organisation. Sobald der Handel beschlossen ist, bernimmt die Settlement Organisation die Buchung und den physischen Transfer auf die Konten, die Ihre Bank dort eingerichtet hat. Abschlieend belastet Ihre Bank Ihr Portfolio mit der Aktie, die Sie verkauft haben, und schreibt Ihnen gleichzeitig die eingegangene Summe auf Ihrem Girokonto gut. Das mag recht einfach klingen, aber in Wirklichkeit ist es ein hchst komplizierter Prozess, der nicht die geringste Abweichung von exakt vorgegebenen Zeitspannen und Werten toleriert.

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  • Last but not least muss irgendwer Ihre Aktien irgendwo sicher aufbewahren und sich darum kmmern, dass Sie zum Beispiel Ihre jhrliche Dividende erhalten. Diese Funktion bernimmt eine Custodian Bank, zu Deutsch Verwahrer oder Depot-bank. Custodians verwahren buchstblich Tausende von Milliarden von Euros und Dollars in ihren Bchern. Im Auftrag von Unternehmen wie Daimler oder Deutsche Telekom fhren sie alle Transaktionen mit deren Aktionren aus, beispielsweise zehn neue Aktien fr eine alte auszugeben.

    Das ist also die Prozesskette der Brsenindustrie: Trading (Handel) Clearing (Verrechnung) Settlement (Abwicklung) Custody (Verwahrung).

    In Europa gibt es Dutzende von Brsen, eine Hand voll Clea-ring Houses und Settlement-Organisationen sowie einige Custodians. Die meisten dieser Institutionen sind klein und daher ineffizient, viele sind schlecht gefhrt. Ihre Manager verlassen sich auf den guten Ruf ihrer Unternehmen und Nationalstolz, anstatt sie auf Effizienz auszurichten.

    Ein Riese bewegt sich: Der Aufbau der wertvolls-ten Brsenorganisation der Welt

    In meinen ersten Tagen bei der Deutschen Brse sah ich einen Cartoon, in dem ein Reporter von der Wall Street berichtete: An der New York Stock Exchange wurde heute nicht gehan-delt. Jeder war glcklich mit dem, was er hatte. Das ist die Art von Witzen, die einem den Schlaf rauben, wenn man eine Brse leitet was, wenn die Leute einfach aufhren mit dem Kaufen und Verkaufen?

    Grnde dafr gbe es genug. Die Handelskosten sind erschre-ckend hoch, und zwar berall. Und gehandelt wird viel mehr, als uns die konomen plausibel machen knnen. Der amerikani-sche Milliardr Warren Buffett hat das einmal nachgerechnet:

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  • Fr drei Dollar, die eine groe US-Firma an einen Aktionr ausschttet, fllt ein ganzer Dollar an Handelskosten an. Und tatschlich: Von den 334 Milliarden Dollar, die die Aktien 1998 an Gewinn abwarfen, fanden nur 250 Milliarden Dollar den Weg in die Taschen der dortigen Shareholder der Rest ging fr Handelsgebhren, Kommissionen, Verwaltungskosten und dergleichen drauf. Wenn Sie als deutscher Investor hundert Telekom-Aktien erwerben, kostet das Ihre Bank nur zwei bis drei Euro. Sie aber werden mit zwanzig bis dreiig Euro zur Kasse gebeten, um all die anderen Kosten abzudecken (inklusive die der Bank).

    Selbst wenn man noch nicht mit allen Geheimnissen einer Branche vertraut ist, so kann man doch ohne weiteres erkennen, wenn etwas zu teuer ist. Und die Handelskosten waren eindeutig zu teuer. Daher erklrte ich es zu unserem Ziel, sie in den Bereichen zu senken, wo es in unserer Macht lag: Trading, Clearing, Settlement und Custody. Unter dieser Prmisse bauten wir die Deutsche Brse in den kommenden zwlf Jahren zur grten und profitabelsten Brsenorganisation weltweit auf; wir fhrten sie sozusagen von der Regionalliga zum Weltmeisterti-tel.

    Dabei ging nicht immer alles glatt. Wir machten einige Fehler. Der gravierendste war wohl der Neue Markt: der Versuch, einen deutschen Aktienmarkt fr High-Tech-Unternehmen zu etablie-ren. Aber wir trafen auch einige gute Entscheidungen: Wir entwickelten neue Produkte und Dienstleistungen, was mageb-lich zum Wachstum des Unternehmens beitrug. Und vor allem waren wir bei den neuen Technologien unserer Konkurrenz immer eine Nasenlnge voraus.

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  • Eine echte Revolution: Das elektronische Handelssystem

    Wir schrieben das Jahr 1997, als folgende Anzeige erschien. Zu sehen war die Frankfurter Brse, am Ende eines Handelstages. berall lagen Papierfetzen verstreut, aber keine Menschenseele weit und breit. Die Bildunterschrift lautete:

    An dem Parkett herrscht Ruhe. Im Text wurde dann erklrt, dass Andersen Consulting soeben das modernste elektronische Handelssystem der Welt bei der Deutschen Brse installiert hatte. Das Geschft der Hndler aus Fleisch und Blut auf dem Parkett wrde, so die Botschaft der Anzeige, ber kurz oder lang, vollkommen den effektiven und lautlosen Computern weichen.

    Als diese etwas bertriebene Werbung von Andersen erschien, hatten schon anderswo elektronische Handelssysteme die eingespielten Ablufe an den Brsen aufgemischt. In den vorangegangenen zehn Jahren war die Einfhrung von Internet und Computern schon hier und dort als Revolution bejubelt worden. Unser System aber war wirklich revolutionr.

    Seit dem 16. Jahrhundert hatten Brsen nach demselben Schema funktioniert, unabhngig von der rtlichkeit. Anfangs trafen sich die Hndler an praktischen und zwanglosen Orten wie Kaffeehusern, spter dann errichteten die Brsen eigene Gebude und Zulassungsbeschrnkungen. Hier wie dort feilsch-ten die Leute um die Preise, oder jemand errechnete den aktuellen Preis anhand der Kaufs- und Verkaufsgebote. Man schrie dabei, man kannte sich gut, man hatte seinen Spa. Daran nderte sich ber die Jahrhunderte kaum etwas. Die meisten Brsenmakler in Frankfurt, Paris, London, New York oder Chicago fhrten ein recht angenehmes Leben egal, in welcher Epoche sie lebten. Indem sie zum rechten Zeitpunkt mit Papie-

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  • ren herumwedelten und sich zur Ausbung ihrer Profession einer Art Zeichensprache bedienten, konnten sie ein Vermgen verdienen. Die Brsen waren ihre Clubs. Sie bestimmten, wo es langging.

    Irgendwo unten im Keller aber sa jemand, der nach Ab-schluss des Handels die Papierarbeit erledigte. Er musste sich darum kmmern, dass Geld und Wertpapiere zum richtigen Zeitpunkt bergeben, dass Konten belastet und Portfolios gutgeschrieben wurden. Das war nicht halb so lustig wie das Treiben der Jungs auf dem Parkett, sondern monotone, mittel-mig bezahlte Fleiarbeit. An einem guten Tag gab es bei der Frankfurter Abwicklungsorganisation, dem Kassenverein, nur wenige Fehler. An regulren Tagen gab es viele.

    Dann, Mitte der 1980er Jahre, nderte sich etwas: Die Londo-ner Brse naschte zunehmend von den schn angerichteten Tellern der anderen europischen Brsen. Schon in den sechzi-ger Jahren war es ihr gut bekommen, dass Kennedy absurde Steuergesetze erlassen hatte und daraufhin viele US-Amerikaner in bersee eine neue Heimat fr ihre Vermgen suchten. Und nun profitierte die London Stock Exchange (LSE) vom Big Bang, der Deregulierung der Finanzwirtschaft durch Margaret Thatcher.

    Alle groen europischen und amerikanischen Banken waren an der Themse vertreten, und so wurden an der LSE Aktien aus allen erdenklichen Lndern gehandelt, insbesondere auch vom europischen Festland. Um den Handel weiter anzukurbeln, fhrte die LSE auch ein relativ simples elektronisches Informa-tionssystem ein, das den aktuellen Preis einer Aktie an der LSE an institutionelle Investoren und Banken bermittelte. Schon wenige Jahre spter wurden an der LSE mehr italienische Aktien gehandelt als in Mailand. Die anderen europischen Lnder ahnten, dass dieses Schicksal auch ihnen drohte. So konnte das nicht weitergehen!

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  • Als die LSE im Zenit ihrer Macht stand, zerbrachen sich all die Verlierer an den anderen Brsen die Kpfe, wie sie London mit den eigenen Waffen schlagen konnten. In einigen Staaten, wie in Frankreich, schaltete sich der Staat ein: Das Finanzminis-terium zwang die Pariser Brse zu Modernisierungen und bte Druck auf die Banken aus, ihre Geschfte doch lieber unter dem Eiffelturm als nahe dem Tower abzuwickeln. Und tatschlich entwickelte die Pariser Brse ein bemerkenswert gutes elektro-nisches Handelssystem. In Frankfurt nahmen die Banken das Heft in die Hand und finanzierten der dortigen Brse ebenfalls ein elektronisches Handelssystem, das allerdings noch reichlich simpel war.

    Mitte der neunziger Jahre dann geschah etwas vllig Unerwar-tetes: Die Brsen auf dem europischen Festland entwickelten und installierten auf einmal erstklassige elektronische Handels-systeme. Sie waren denen der Amerikaner oder Briten haushoch berlegen! Und so kam es, dass der Handel mit europischen Aktien ber SEAQ, das recht primitive Computerhandelssystem der LSE, abnahm. Endlich gab es ein High-Tech-Gebiet, auf d