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DStR 2014, 1370
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Kemper/Beck/Konold: Irritationen um das Reichweitenverfahren
Irritationen um das Reichweitenverfahren
Von Nicolas Kemper, Robert Beck, Dr. Robert Konold, alle Grünwald*
Im Rahmen der Betriebsprüfung großer (Produktions-)Unternehmen mit erheblichem
Vorratsvermögen kommt es in letzter Zeit vermehrt zu intensiven Diskussionen über die steuerliche
Anerkennung der sog. Reichweitenverfahren zur Vorratsbewertung.
1. Definition und Ziel des Reichweitenverfahrens
Das Reichweitenverfahren ist neben anderen Verfahren zur Ermittlung von sog. Gängigkeitsabschlägen bei
großen Vorratsvermögen mit erheblichen Stückzahlen das in der Praxis übliche Bewertungsverfahren.
Dabei wird der Lagerbestand zu den durchschnittlichen Lagerabgängen1 ins Verhältnis gesetzt. Gibt es
beispielsweise von einem Artikel zum Stichtag 100 Stück und sind im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 50 Stück
verbraucht worden, ergibt sich eine rechnerische Reichweite von zwei Jahren. Dieser wahrscheinliche
Verbrauchszeitraum wird einer sog. Reichweitenklasse zugeordnet und mit einem aus der Erfahrung der
Vergangenheit gewonnenen Gängigkeits-Abschreibungsprozentsatz versehen. Diese Gängigkeitsabschläge
(Abschreibung in Prozent) variieren in der Praxis zwischen 0 % und 100 %
Kemper/Beck/Konold: Irritationen um das Reichweitenverfahren (DStR 2014, 1370)
bezogen auf die (fortgeführten) Anschaffungs- und Herstellungskosten der Bestände. Die konkrete
Ausgestaltung der Abschreibungsprozentsätze hängt von den individuellen Verhältnissen des jeweiligen
Unternehmens ab. Ein über viele Jahre in einem Unternehmen gepflegtes und praktiziertes
Reichweitenverfahren enthält darüber hinaus Ausnahmen, z. B. werden Zugänge der letzten Monate vor dem
jeweiligen Bilanzstichtag nicht in das Reichweitenverfahren einbezogen, aber auch sog.
kundenauftragsbezogene Vorräte (sog. Kunden-WIPs = work in process) unterliegen in der Regel nicht einem
Abschlag durch das Reichweitenverfahren.
Ziel des Reichweitenverfahrens ist somit die realitätsnahe und dem Einzelbewertungsgrundsatz möglichst nahe
kommende Bewertung von umfangreichen Vorratsvermögen mit zahlreichen verschiedenen Materialnummern.
Das Reichweitenverfahren kann dabei durchaus auch dazu dienen, die gesamten Risiken zum Bilanzstichtag zu
erfassen, nämlich die niedrigeren Wiederbeschaffungskosten (inkl. Währungseffekte) sowie die Überbestände
des Geschäftsjahrs bzw. die verlustfreie Bewertung.
2. Aktuelle Erfahrungen aus laufenden Betriebsprüfungen
Die Reichweitenverfahren werden in den Unternehmen oft seit vielen Jahren/Jahrzehnten praktiziert, sie
werden ständig gepflegt und weiterentwickelt und sind darüber hinaus im gesamten internen Rechnungswesen
(auch den Incentivierungssystemen) tief integriert. Es wird sowohl in der Handelsbilanz von den
Wirtschaftsprüfern als auch in der Steuerbilanz – bisher – von den Betriebsprüfungen weitgehend
unbeanstandet akzeptiert.
Vor diesem Hintergrund ist sehr überraschend, dass in laufenden Betriebsprüfungen nunmehr vehement die
steuerliche Anerkennung derartiger Reichweitenverfahren bestritten wird. Es wird behauptet, das Kriterium der
langen Lagerdauer habe keinerlei Aussagekraft für die Frage der Bewertung; ein Unternehmer nehme
Überbestände nur bewusst und aus gutem Grunde in Kauf. Das allein entscheidende Kriterium sei die Höhe der
„Ist-Verschrottung“, die – wenn überhaupt – mit einem (in der Regel niedrigen) Multiplikator versehen die
Grundlage für ein Gängigkeitsverfahren sein könne. Das Reichweitenverfahren hingegen werde generell nicht
mehr anerkannt.
Solche Aussagen werden insbesondere von Bundesbetriebsprüfern (Bundeszentralamt für Steuern; BZSt)
vorgetragen, die bei Betriebsprüfungen von Unternehmen ab einer gewissen Größenordnung ihr Recht
wahrnehmen2, an Prüfungen teilzunehmen. Bei derartigen gemeinsamen Prüfungen werden zwischen den
Betriebsprüfern des jeweiligen Bundeslandes und den Bundesbetriebsprüfern die Prüfungsbereiche zwischen
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den Beteiligten aufgeteilt;3 zwar ist ein Einvernehmen innerhalb der Betriebsprüfung herzustellen, in der Praxis
zeigt sich aber, dass sich die Bundesbetriebsprüfer häufig für das von ihnen bearbeitete Prüffeld mit ihrer
Rechtsauffassung durchsetzen. Die zuständigen Landesbetriebsprüfer gehen im Regelfall nicht in den Konflikt
mit ihren Kollegen vom Bund, was für Berater, die zwar sehr intensive, aber stets konstruktive und von einem
wirtschaftsfreundlichen Grundton getragene Diskussionen mit den Betriebsprüfern gewohnt waren, eine neue
Erfahrung bedeutet.
3. Rechtsgrundlagen des Reichweitenverfahrens in Handels- und Steuerrecht
Das Vorratsvermögen unterliegt selbstverständlich dem Einzelbewertungsgrundsatz. Das Vorratsvermögen ist
nach § 253 Abs. 4 HGB grundsätzlich mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen, soweit kein
niedrigerer beizulegender Wert vorrangig anzusetzen ist. Es ist aber allgemein anerkannt4, dass bei sehr
großen Vorratsvermögen (z. B. Artikel-Nummern von mehr als 100.000) die strikte Durchführung dieses
Einzelbewertungsgrundsatzes an seine natürliche Grenze stößt und deshalb Pauschalverfahren, wie z. B. das
genannte Reichweitenverfahren zur Anwendung kommen müssen. Allgemein wird dies eben gerade nicht als
Verstoß, sondern als mögliche Anwendung des Einzelbewertungsgrundsatzes verstanden.5 Daraus kann der
beizulegende Wert (= Zeitwert) zum Stichtag abgeleitet werden (§ 253 Abs. 4 HGB).
Dieser Grundsatz der Bewertung mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten gilt auch für das Steuerrecht
nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 mit Verweis auf Nr. 1 EStG für die Ermittlung des Teilwerts bzw. den Nachweis des
niedrigeren Teilwerts. Danach ist der Teilwert wie folgt definiert:6
„Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das
einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt.
Wirtschaftsgüter, die bereits am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zum [hier: Umlaufvermögen]
des Steuerpflichtigen gehört haben, sind in den folgenden Wirtschaftsjahren gemäß Satz 1 anzusetzen, es sei
denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass ein niedrigerer Teilwert nach Satz 2 angesetzt werden kann.“
Der Begriff des Teilwerts konkretisiert damit den handelsrechtlich niedrigeren beizulegenden Wert (= Zeitwert)
im Steuerrecht, unterscheidet sich also von diesem nicht wesentlich. Beizulegender Wert und Teilwert sind in
ihrer Höhe in der Praxis damit meist identisch. Unterschiede können sich nach der dargelegten Definition des
Teilwerts daraus ergeben, dass der Kaufpreis eines fiktiven Käufers, der das Unternehmen fortführt, auf die
einzelnen Wirtschaftsgüter aufzuteilen ist, während die Ermittlung des beizulegenden Wertes nicht am
Gesamtwert der Unternehmung anknüpft.7 Der Teilwert ist damit in der Regel weder einfacher noch
schwieriger zu ermitteln.
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Die beiden immer wieder zitierten Urteile des BFH zur Frage der steuerlichen Anerkennung des
Reichweitenverfahrens8 lassen keinesfalls eine grundsätzliche Ablehnung des Reichweitenverfahrens erkennen;
vielmehr betont der BFH nur, dass allein eine Lagerdauer nicht ausreicht, um Gängigkeitsabschreibungen zu
begründen. Es bedarf vielmehr hierzu noch weiterer Indizien. Beide Urteile (sowohl „Juwelier“ als auch
„Kfz-Handel“) befassen sich nicht mit der Bewertung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen in einem
Produktionsunternehmen, sondern mit der Bewertung von „Handelswaren“. Einen Grundsatz, der lautet: „Was
sich nicht bewegt, ist alleine deshalb wertlos“, erkennt der BFH somit nicht ausdrücklich an.
Die Einkommensteuerrichtlinien9 lassen an keiner Stelle eine grundsätzliche Ablehnung eines
„Reichweitenverfahrens“ erkennen. Vielmehr betonen sie nur die Selbstverständlichkeit, dass es Sache des
Steuerpflichtigen ist, den Nachweis für die vom Steuerpflichtigen behauptete dauernde Wertminderung zu
erbringen. Hierzu bedarf es entsprechender Unterlagen, die aus den Verhältnissen seines Betriebes gewonnen
werden und die eine sachgemäße Schätzung des Teilwertes ermöglichen.
Festzuhalten bleibt somit, dass Reichweitenverfahren sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz
grundsätzlich anerkannt sind. Die Reichweite im Sinne einer überlangen Lagerdauer reicht aber nach
übereinstimmender Auffassung sowohl von Literatur als auch Rechtsprechung selbstverständlich für sich
genommen noch nicht aus, um eine derartige Gängigkeitsabschreibung zu begründen. Die Reichweite kann
insoweit nur der „Anknüpfungspunkt“ für eine solche Gängigkeitsabschreibung sein; es müssen auf die
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Verhältnisse des jeweiligen Unternehmens zugeschnittene weitere Nachweise und Indizien für die Richtigkeit
der geltend gemachten Gängigkeitsabschreibungen erbracht werden. Beim Teilwert wird bezogen auf
Überbestände, insbesondere bei den Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen von Produktionsunternehmen, ein höherer
Abschlag erforderlich sein, da ein gedanklicher Erwerber des Gesamtunternehmens diesen noch weniger einen
Wert beimessen würde.
4. Indizien für Richtigkeit der Gängigkeitsabschreibungen
Ein steuerlich anzuerkennendes Reichweitenverfahren muss deshalb den Nachweis erbringen für die These:
„Was sich nicht mehr bewegt, wird nicht mehr gebraucht und ist deshalb wertlos.“
Ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit hoher Gängigkeitsabschreibungen wegen überlanger Lagerdauer (im
Reichweitenverfahren) kann die konkrete Risikoposition des Vorratsvermögens sein. Je mehr Risiken das
Vorratsvermögen konkret ausgesetzt ist, desto mehr spricht dafür, dass diese Risiken auch angemessen
abgebildet werden müssen. Zu nennen sind beispielsweise (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Risiko hinsichtlich der Stellung der Zulieferer:
Abnahmemengen werden oft durch Zulieferer vorgegeben
Risiko der Abkündigung der Produkte für bestimmte Bauteile durch den Hersteller-Lieferanten
Ausfallrisiko des Lieferanten
Mengenrisiken:
Mengenbestellungen sind meist nicht in Einzelteilen möglich, weshalb große Stückzahlen nötig sind
Abnahmemengen müssen frühzeitig geschätzt werden (Eindecken für eine gesamte Baureihe, u. a.
auch vor Auftragserteilung)
Risiko des technischen Fortschritts:
dies betrifft sowohl die unternehmenseigenen Produkte, als auch die Zulieferprodukte
Kunden verlangen in der Regel die neuesten Bauteile
Alterungsrisiko:
z. B. Oxidation/Rost, technisches Verfallsdatum etc.
Risiko aufgrund von Verwertungsbeschränkungen:
marktspezifische Standards, Technologiebeschränkungen
Preis- und Währungsrisiken:
auch diese Risiken können in einigen Reichweitenverfahren mit abgedeckt sein
5. Pauschales Gegenargument: „Gewollter Überbestand“
Haupteinwand der Betriebsprüfungen ist häufig: „Was der Unternehmer nicht braucht, verschrottet er; tut er
dies nicht, braucht er die abgewerteten Bestände offenbar doch noch. Es handelt sich insoweit um goldene
Bestände, die nicht abgewertet werden können.“
Diese Argumentation setzt das „ideale Verhalten“ eines Unternehmens voraus und verkennt dabei völlig die
regelmäßig vorherrschende Unternehmenswirklichkeit. Diese ist nicht anders als die Realität eines jeden
Bürgers: Fast jeder von uns hat in seinem Keller viele unnütze Dinge, die sich dort über Jahre angestaut haben
und die ihrer Entsorgung „entgegendämmern“. Oft erst nach vielen Ermahnungen anderer Familienangehöriger
entschließt man sich dazu, den Keller „aufzuräumen“; danach geht der Prozess wieder von vorne los. Die
Tatsache, dass der Keller nicht aufgeräumt wird, hat allerdings nichts damit zu tun, dass sich in ihm
überwiegend noch werthaltige Gegenstände befinden.
Ebenso ist es in einem Unternehmen. Auch der „Verschrottungskeller“ eines Unternehmens füllt sich oft in
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mehreren Jahren mit Artikeln, die in zu großer Menge eingekauft, veraltet, verrostet etc. sind.
Selbstverständlich gibt es auch im Unternehmen immer wieder Stimmen aus den einzelnen Abteilungen, die
sich nach dem Motto „man weiß ja nie, wofür man es nochmal braucht“ gegen ein sofortiges Leeren des
„Verschrottungskellers“ wehren. Dies ändert aber nichts daran, dass diese Dinge dennoch wertlos sind oder
aber erheblich an Wert verloren haben. Wie beim Privatmann auch, erfolgt dann nach einiger Zeit das
„Großreinemachen“, d. h., der „Verschrottungskeller“ wird geleert.
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Die Ist-Verschrottung nur eines Jahres (eben das „Großreinemachen“) ist deshalb in der Tat ein
weiteres, sicher auch starkes Indiz für die Richtigkeit oder auch Unrichtigkeit der geltend gemachten
Gängigkeitsabschreibungen. In der Regel geht der Ist-Verschrottung in größeren Unternehmen ein detaillierter
sog. „Verschrottungsprozess“ voraus, d. h., die Ist-Verschrottung erfordert beispielsweise einen gewissen
Zeitraum, z. B. drei Jahre, der Unbewegtheit der zu verschrottenden Artikel. Die Ist-Verschrottung entfaltet
ihre Indizfunktion für die Richtigkeit der geltend gemachten Gängigkeitsabschreibung nur dann, wenn der
Unternehmer – um im Bild zu bleiben – gewissermaßen in den „Verschrottungskeller hinabsteigt“ und dort
feststellt, wie viel Potenzial für die Ist-Verschrottung (in der Regel ein Mehrfaches der Ist-Verschrottung eines
Jahres) dort lagert.
Der Haupteinwand der Betriebsprüfung kann nur auf Fälle zielen, in denen Verkaufspreise für Waren bewusst
zu tief angesetzt, d. h. nicht kostendeckend kalkuliert werden (z. B. sog. „Lockvogel-Angebote“ in der
Konsumgüterindustrie). Hier ist eine Teilwertabschreibung nach der Rechtsprechung des BFH unzulässig, weil
ein Erwerber eines ganzen Betriebs sich aus diesen Gründen ähnlich verhalten würde.10
6. Reichweitenverfahren vs. Multiplikatorverfahren
Die Betriebsprüfer, insbesondere die des BZSt, entwickeln neuerdings eine ablehnende Haltung gegen das
Reichweitenverfahren: Sie diskreditieren es als „nachweisloses Pauschalverfahren“. Akzeptieren wollen sie
hingegen ein Verfahren, das auf der Grundlage der Ist-Verschrottung über einen repräsentativen Zeitraum
(z. B. der BP-Zeitraum?) einen Multiplikator der Ist-Verschrottung anwendet. Will man sich hierauf nicht
einlassen, sieht das BZSt sogar die „Gleichmäßigkeit der Besteuerung“ gefährdet, weil andere Steuerpflichtige
eben das genannte Muliplikatorverfahren nach Betriebsprüfung übernommen haben sollen.
Diese Auffassung erscheint befremdlich. Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass das Reichweitenverfahren
keinesfalls ein „nachweisloses Pauschalverfahren“ ist, sondern eben nur dann seine Berechtigung hat, wenn es
durch geeignete Nachweise plausibilisiert und durch ständige Anpassungen optimiert wird. Ein „nachweisloses
Pauschalverfahren“ hingegen ist u. E. das von der Betriebsprüfung vorgeschlagene
(Verschrottungs-)Multiplikatorverfahren. Die letztlich auszuhandelnden Faktoren sind oft völlig zufällig und
haben mit der betrieblichen Realität wenig zu tun. Darüber hinaus öffnen sie „Tür und Tor“ für Manipulationen:
Wenn es die wirtschaftliche Situation zulässt, wird eben eine große Verschrottungsaktion mit der Folge
erheblicher Gängigkeitsabschläge für die Zukunft gestartet, wenn nicht, verzichtet man für einen gewissen
Zeitraum auf Verschrottungen.
Es ist nur allzu verständlich, wenn Unternehmer sich nicht damit einverstanden erklären, ein ausgefeiltes,
bewährtes, bisher anerkanntes und in vielen Jahren optimiertes Reichweitensystem gegen ein derart
willkürliches System einzutauschen. Im Übrigen geht es nicht um einen „Wettstreit der Systeme“, sondern es
steht dem Unternehmer frei, welches System er verwendet, vorausgesetzt es generiert richtige und plausible
Ergebnisse.
Positiv an dieser Auffassung der Betriebsprüfung ist jedenfalls, dass sie selbst davon ausgeht, dass es
Überbestände in einem Unternehmen gibt, geheimnisvoll bleibt aber die bundeseinheitliche Schätzung der
Bundesbetriebsprüfung hinsichtlich der Ermittlung ihrer Höhe.
7. Folgerungen für die Praxis
U. E. sollte auch weiterhin am Reichweitenverfahren festgehalten werden. Der Grundsatz: „Was sich nicht
bewegt, wird nicht mehr gebraucht und ist deshalb wertlos“, ist in einer sich immer schneller drehenden
Wirtschaft grundsätzlich zutreffend. Dabei sollten aber folgende Voraussetzungen beachtet werden:
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Klare schriftliche Beschreibung der Risiken, denen das Vorratsvermögen konkret ausgesetzt ist;
angemessene Einteilung der Reichweitenklassen, also keine überzogen hohen Abschläge;
dezidierter und dokumentierter Verschrottungsprozess, aus dem hervorgeht, nach wie vielen Jahren der
„Unbewegtheit“ die tatsächliche Verschrottung stattfindet;
Herausnahme von Sonderfällen aus der Reichweitenabwertung, z. B. kundenauftragsbezogene
Vorratsbestände, neu angeschaffte Vorratsbestände etc.;
ständige Anpassung und Optimierung des Reichweitenverfahrens an unternehmensinterne
Veränderungen;
ständige, am besten jährliche stichprobenweise Überprüfung des Vorratsvermögens mit dem Ziel, die
Richtigkeit der gemachten Gängigkeitsabschreibungen zu überprüfen; Basis muss ein anerkanntes
mathematisch-statistisches Stichprobenverfahren sein; und
Herausnahme von Preis- und Währungsrisiken aus der Reichweitenabwertung; auch dieser Aspekt
findet sich zwar manchmal in Reichweitenverfahren, gehört aber eigentlich nicht dort hin.
8. Fazit
Das bisher seit Jahrzehnten in Unternehmen sowohl von Wirtschaftsprüfern als auch von Betriebsprüfern
anerkannte Reichweitenverfahren ist offenbar in das Visier der Betriebsprüfung, insbesondere von
Betriebsprüfungen, an denen die Prüfer des BZSt teilnehmen, geraten. Es wird u. E. völlig zu Unrecht als
„nachweisloses Pauschalverfahren“ diskreditiert; stattdessen präferiert die Betriebsprüfung ein
Multiplikatorverfahren auf der Basis der Ist-Verschrottung.
Das von der Betriebsprüfung vorgeschlagene Multiplikatorverfahren ist u. E. abzulehnen: Es ist willkürlich und
ermöglicht Manipulationen. Stattdessen sollte weiterhin am Reichweitenverfahren festgehalten werden;
allerdings muss darauf geachtet werden, dass dieses Verfahren individuell angepasst und laufend optimiert
wird. Ganz entscheidend für die Anerkennung des Reichweitenverfahrens als faktisch zutreffend ist auch die
ständige Überprüfung der Richtigkeit der Gängigkeitsabschreibungen und eine Dokumentation aller darin
abgebildeten Risiken.
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Nicolas Kemper, WP/RA/StB, Robert Beck, WP/StB, Dr. Robert Konold, WP/RA/StB – alle Partner derLKC-Gruppe.
Ermittelt aus den Vergangenheitsdaten oder aber auch – je nach Verfahren – ermittelt aus derVerbrauchsplanung für die Zukunft.
Vgl. § 19 FVG.
Vgl. § 22 BpO.
Vgl. bspw. Forster u. a. in ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, HGB § 253 Anm. 518;Brösel/Olbrich/Zündorf in Beck HdR, HGB § 253 Anm. 655, Schubert/Roscher in BeckBilKo, 9. Aufl.,§ 253 Anm. 529 ff.
Vgl. Schubert/Roscher (Fn. 4).
§§ 6 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 und 4 EStG.
Vgl. Petersen/Zwirner/Wohlgemuth in Steuerberaterhandbuch 2013/2014, W 153.
Vgl. BFH v. 13.10.1976, I R 79/74, BStBl II 1977, 540, BeckRS 1976, 22003717 (Warenlager einesJuweliers); sowie v. 24.2.1994, IV R 18/92, BStBl II 1994, 514, DStR 1994, 968 m. Anm. Hoffmann,(Kfz-Handel).
Vgl. EStR 6.8 Abs. 2 S. 7 ff.
BFH v. 29.4.1999, IV R 14/98, BStBl II 1999, 681, DStR 1999, 1479.
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