ISSN 0946-7165 Zeitschrift für 1/2006 Außenpolitik und ... · Helmut Breitmeier Die...

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NOMOS ISSN 0946-7165 1/2006 13. Jahrgang Heft 1 Juni 2006 Hrsg. im Auftrag der Sektion Internationale Politik der DVPW Zeitschrift für Internationale Beziehungen Aus dem Inhalt Thomas Bernauer/Thomas Sattler Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte? Helmut Breitmeier Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens Empirische Befunde aus der quantitativen Erforschung internationaler Umweltregime Philip Manow/Armin Schäfer/Hendrik Zorn Europäische Sozialpolitik und Europas parteipolitisches Gravitationszentrum in den Jahren 1957-2003 1

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NOMOS

ISSN 0946-7165

1/200613. JahrgangHeft 1Juni 2006

Hrsg. im Auftrag der SektionInternationalePolitik der DVPW

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

Aus dem Inhalt

Thomas Bernauer/Thomas SattlerSind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- undVerbraucherschutzes eskalationsträchtiger alsandere WTO-Konflikte?

Helmut BreitmeierDie Output-orientierte Legitimität des globalen RegierensEmpirische Befunde aus der quantitativen Erforschunginternationaler Umweltregime

Philip Manow/Armin Schäfer/Hendrik ZornEuropäische Sozialpolitik und Europasparteipolitisches Gravitationszentrum in den Jahren 1957-2003

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006

13:1

Die europäische Handelspolitik in GATT/WTONationale Außenpolitiken und ihr Einfluss auf die Handels-

politik der Europäischen Kommission am Beispiel der Ver-

handlungen zur Uruguay-Runde

Mit einem Vorwort von Hanns W. Maull

Von Dr. Florian Lütticken

2006, 214 S., brosch., 29,– €, ISBN 3-8329-1905-8

Am Beispiel der Uruguay-Runde des GATT (WTO) untersucht

die Studie, wie in der Europäischen Union Handelspolitik ge-

macht wird und welche Staaten sie wie beeinflussen. Sie

seziert die oft intransparenten Entscheidungsprozesse zwi-

schen Rat und Kommission ebenso wie die Meinungsbildung

der einzelnen Regierungen. Detailliert weist die Arbeit nach,

dass vor allem Deutschland und Frankreich die Verhandlun-

gen in GATT und WTO mitbestimmen.

Rüstungsdynamik und RüstungskontrolleEine exemplarische Einführung in die Internationalen Bezie-

hungen

Von Prof. Dr. Harald Müller, Universität Frankfurt a.M.,

geschäftsführendes Vorstandsmitglied Hessische Stiftung

Friedens- und Konfliktforschung und Dipl.-Vw,

Niklas Schörnig, M.A.

2006, 263 S., brosch., 27,– €, ISBN 3-8329-1914-7

Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes rüs-

ten westliche Demokratien im High-Tech Bereich, Rüstungs-

exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer boomen, die

Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen schafft

neue Risiken.

Dieses Buch zeigt Ursachen für Rüstungsdynamiken, erläu-

tert Chancen und Grenzen von Rüstungskontrolle und gibt

einen historischen Überblick vom Kalten Krieg bis heute. Es

eignet sich als Einführung für politikwissenschaftliche »Ein-

steiger« ebenso wie als Informationsquelle über ein brisan-

tes Politikgebiet.

Informieren Sie sich im Internetunter www.nomos.de über die früher erschienenen und noch verfügbaren Bände dieser Schriftenreihe.

Nomos

Außenpolitik und Internationale Ordnung

COVER_ZIB_1_2006_cyan 22.05.2006 14:18 Uhr Seite 1

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1

ZIB 1/2006

INHALT

Dank

.......................................................................................................................... 3

AUFSÄTZE

Thomas Bernauer/Thomas Sattler

Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte?

............................................... 5

Helmut Breitmeier

Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

Empirische Befunde aus der quantitativen Erforschung internationaler Umweltregime ......................................................................................................... 39

Philip Manow/Armin Schäfer/Hendrik Zorn

Europäische Sozialpolitik und Europas parteipolitisches Gravitations-zentrum in den Jahren 1957-2003

........................................................................ 75

TAGUNGSBERICHTE

Annette Jünemann/Michèle Knodt

Externe Demokratieförderung durch die Europäische Union

Ein Tagungsbericht ................................................................................................ 109

Klaus Dingwerth/Sabine Campe

Organizing the World

Ein Tagungsbericht ................................................................................................ 119

Neuerscheinungen

................................................................................................ 133

Mitteilungen der Sektion

..................................................................................... 137

Abstracts

............................................................................................................... 139

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

.............................................................. 141

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Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 3-4

Dank

Die Qualität der Beiträge, die in einer begutachteten Zeitschrift veröffentlicht wer-den, hängt nicht zuletzt von der Qualität der Gutachten ab. Die genaue Lektüre vonManuskripten ist zeitaufwändig und ihre differenzierte Bewertung mühsam. Es gibtaber wohl keinen Aufsatz, der durch eine Überarbeitung im Lichte der Kritik derGutachten nicht besser geworden wäre. Wir möchten deshalb an dieser Stelle alljenen danken, die diese wichtige Aufgabe im vergangenen Jahr auf sich genommenhaben und gutachtend für die

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

tätig waren:

Rainer Baumann Hans-Jürgen Bieling Ulrich Brand Martin Binder Thorsten Bonacker Helmut Breitmeier Tanja Brühl Thomas Christiansen Dirk De Bièvre Wolf-Dieter Eberwein Matthias Ecker-Ehrhardt Christiane Eilders Roland Erne Steffi Franke Steffen Ganghof Rebekka Göhring Sieglinde Gstöhl Sebastian Harnisch

Gunther Hellmann Hartwig Hummel Heiko Knobel Michèle Knodt Fabrice Larat Marika Lerch Andrea Liese Martin List Susanne Lütz Carlo Masala Monika Medick-Krakau Reinhard MeyersMelanie Morisse-SchilbachChristian Mölling Thomas Nielebock Alexander Paquée Ingo Peters Christine Pütz

Beate Rosenzweig Peter Schlotter Hans Peter Schmitz Ulrich Schneckener Gerald Schneider Ulrich Sedelmeier Jens Steffek Renate Strassner Michael Stoiber Petra Stykow Benno Teschke Uwe Wagschal Anja Weiß Dieter Wolf Klaus Dieter WolfReimut Zohlnhöfer Michael Zürn

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Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 5-37

Thomas Bernauer/Thomas Sattler

Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte?

Dieser Beitrag befasst sich mit der Hypothese, dass WTO-Konflikte im Umwelt- undVerbraucherschutzbereich (UVS) schwieriger zu lösen sind und damit häufigereskalieren, weil die Beschaffenheit der umstrittenen policies graduelle Konzessio-nen des Beklagten an den Kläger sowie Kompensationen an verlierende Interessen-gruppen innerhalb des beklagten Staates erschwert. Wir testen diese Hypothese mitDaten zu 506 WTO-Konfliktdyaden im Zeitraum 1995-2003 mit Hilfe von Selek-tions-Modellen. Die Resultate zeigen, dass ceteris paribus und im Widerspruch zuunserer Hypothese sowie gängigen Annahmen in der Fallstudien-basierten Litera-tur UVS-Konflikte weniger häufig von der Konsultations- auf die Panel- oder Appel-late Body-Stufe eskalieren als Nicht-UVS-Konflikte. Sie zeigen aber auch, dassUVS-Konflikte, wenn sie einmal den Eskalationsschritt zum Panel durchlaufenhaben, häufiger in compliance-Dispute münden. Mittels neuer Daten, eines verbes-serten methodischen Instrumentariums sowie eines inkrementell weiterentwickeltentheoretischen Arguments demonstrieren wir somit den Bedarf nach einem stärkerausdifferenzierten theoretischen Modell, das die Varianz in der Konfliktträchtigkeitzwischen den einzelnen WTO-Eskalationsstufen erklärt.

1. Einleitung

1

Die globale Handelsdiplomatie im Rahmen des GATT und seiner Nachfolgerin, derWTO, hat in den vergangenen Jahrzehnten weit reichende Liberalisierungsschübeerzeugt, vor allem in Form des Abbaus von Zöllen und Quoten. In der Folge sindzunehmend nicht-tarifäre Handelshemmnisse ins Blickfeld gerückt. Diese beruhenauf innerstaatlichen Politiken, Regulierungen oder Praktiken, welche die internatio-nalen Handelsströme beeinflussen. Ein Bereich, mit dem sich das globale Handels-system besonders schwer zu tun scheint, ist der Umwelt- und Verbraucherschutz(UVS). Liberale Kreise behaupten häufig, UVS-Regulierungen, die Produkte betref-fen (z. B. Verpackungsvorschriften, Beschaffenheit von Nahrungsmitteln), seien oft

1 Die Autoren danken Rhena Forrer und Michael Cemerin für ihre Unterstützung bei derZusammenstellung des Datensatzes und Patrick Kuhn für hilfreiche Diskussionenbezüglich der statistischen Auswertung. Frühere Versionen dieser Arbeit wurden u. a.auf dem

Annual Meeting

der

American Political Science Association

in Washington(September 2005), an der

Australian National University

(August 2005), auf der Tagungdes

European Consortium for Political Research

in Budapest (September 2005) und derTagung der DVPW-Sektion »Internationale Politik« in Mannheim (Oktober 2005) vor-gestellt.

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Aufsätze

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so konzipiert, dass sie eine protektionistische Wirkung haben, d. h. ausländischegegenüber einheimischen Produzenten benachteiligen. Sie reklamieren auch, dassUVS-Regulierungen, die Produktionsprozesse betreffen, Wettbewerbsverzerrungenerzeugen, indem sie Produktionskosten und damit auch internationale Investitions-ströme beeinflussen. Umwelt- und Konsumentenschutzkreise setzen diesen Argu-menten entgegen, die betreffenden Regulierungen oder Praktiken hätten nichts mitProtektionismus zu tun. Regulatorische Unterschiede zwischen Staaten, auch wenndiese eine Auswirkung auf internationale Handels- und Investitionsströme habenkönnten, seien Ausdruck legitimer Unterschiede in der Nachfrage von Gesellschaf-ten nach Schutzmaßnahmen (vgl. Bernauer/Ruloff 1999).

Diese unterschiedlichen Sichtweisen prallen in der WTO bisweilen heftig aufein-ander. Die WTO hat zwar im Rahmen des

Sanitary and Phytosanitary

(SPS)

Measu-res

Abkommen von 1994 sowie anderer Abkommen (z. B. das

Technical Barriers toTrade

(TBT) Abkommen, GATT Art. XX) gewisse Regeln für die Zulässigkeit vonUVS-Regulierungen geschaffen. Dennoch kommt es praktisch regelmäßig zu Strei-tigkeiten über die Auslegung dieser Regeln und, damit verbunden, über die Zuläs-sigkeit bestimmter UVS-Maßnahmen der WTO-Mitgliedsstaaten.

Die Politikwissenschaft hat sich bislang vor allem in Form von Fallstudien mitsolchen Konflikten befasst. Dabei geht diese Literatur zumindest implizit von derAnnahme aus, dass WTO-Konflikte um UVS-Fragen besonders explosiv sind – diesmit Verweis auf konkrete Handelsdispute, z. B. um Wachstumshormone, Delfine,Schildkröten, Asbest und die Pflanzen-Biotechnologie (siehe etwa Caduff 2004,DeSombre/Barkin 2002, Bernauer/Meins 2003).

Alasdair Young (2005) hat in einem kürzlich erschienenen Beitrag dieserAnnahme widersprochen. Er zeigt, dass UVS-Konflikte in der WTO weit wenigerhäufig auftreten als vielfach angenommen. Seine Analyse weist nach, dass von vie-len Problemen, die im so genannten SPS-Komitee der WTO zur Sprache kommen,nur ganz wenige später auch im Rahmen des WTO-Konfliktlösungsmechanismus(einer gerichtsähnlichen Prozedur) behandelt werden. Dies bedeutet, dass UVS-Konflikte weniger häufig eskalieren als vermutet. Youngs Studie ist als Ausgangs-punkt für unseren Beitrag interessant. Sie lässt jedoch zwei zentrale Fragen offen.Erstens gibt sie keinen Hinweis auf die relative Konfliktträchtigkeit von UVS-Pro-blemen in der WTO, weil sie nur die Untergruppe der UVS-Konflikte betrachtet.Die relative Konfliktträchtigkeit können wir nur ermitteln, wenn wir UVS-Konflikteim Rahmen der Gesamtpopulation der WTO-Dispute analysieren. Zweitens liefertYoungs Untersuchung keine systematische Antwort auf die Frage,

weshalb

UVS-Probleme mehr bzw. weniger konfliktträchtig sein sollen als Nicht-UVS-Konflikte.

Die quantitative Literatur zu GATT/WTO-Disputen müsste im Prinzip Antwortenauf diese Fragen bieten können, zumal sie in der Regel die Gesamtpopulation dieserKonflikte untersucht. Hier zeigen sich allerdings zwei wichtige Forschungslücken.Erstens werden

policy

-Variablen – d. h. die Charakteristika umstrittener innerstaat-licher Politiken oder Regulierungen – stiefmütterlich behandelt. Insbesondere exis-tiert bisher keine befriedigende quantitative Analyse zur Frage, ob und weshalbUVS-Probleme in der WTO eskalationsträchtiger sind als andere. Zweitens wird die

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Thomas Bernauer/Thomas Sattler: Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucher-schutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte?

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ZIB 1/2006

abhängige Variable meist als Konzessionen des Beklagten gegenüber dem Kläger –und nicht im Sinn von Eskalation – definiert und gemessen. Oder sie erfasst Eskala-tion nur von der Konsultations- zur

Panel

- oder

Appellate Body

-Stufe

2

, nicht aberdarüber hinaus. Damit werfen diese Untersuchungen diejenigen Fälle, die nach demUrteil eines

Panels

gütlich beigelegt werden, und Fälle, die weiter zu Umsetzungs-konflikten eskalieren und vom WTO-System nicht gelöst werden, in den gleichenTopf.

Der vorliegende Beitrag richtet sich primär auf diese Forschungslücken. Er liefertein theoretisches Argument zur Frage, weshalb ein spezifischer

policy

-Bereich – derUmwelt- und Verbraucherschutz – im globalen Handelssystem besonders eskala-tionsträchtig sein könnte. Dieses Argument postuliert, dass die höhere Eskalations-trächtigkeit von UVS-Problemen darauf beruht, dass bei diesen Problemen gradu-elle Konzessionen des Beklagten an den Kläger sowie Kompensationen anverlierende Interessengruppen im Inneren des beklagten Staates besonders schwie-rig sind. Wir testen dieses Argument auf der Grundlage von Daten zu 506 WTO-Disputdyaden im Zeitraum 1995-2003. Weiter leistet der Aufsatz einen Beitrag zurpräziseren empirischen Erfassung der Eskalation von Disputen in der WTO sowiezur Bearbeitung von Schwierigkeiten in der Anwendung statistischer Schätzmo-delle, die bei einer dreistufigen Kategorisierung des Eskalationsprozesses auftreten(v. a. des Selektionsproblems).

Die Resultate der Analyse zeigen, dass

ceteris paribus

und im Widerspruch zuunserer Hypothese sowie zu gängigen Annahmen in der Fallstudien-basierten Litera-tur UVS-Konflikte weniger häufig von der Konsultations- auf die

Panel

- oder

Appel-late Body

-Stufe eskalieren als Nicht-UVS-Konflikte. Sie zeigen aber auch, dassUVS-Konflikte, wenn sie einmal den ersten Eskalationsschritt durchlaufen haben,häufiger zu

compliance

-Dispute eskalieren. Aus diesen Resultaten leiten wir mehrereMöglichkeiten einer weiterführenden theoretischen und empirischen Forschung ab.

Im Folgenden diskutieren wir den Stand der quantitativen Forschung zu GATT/WTO-Disputen, vor allem mit Blick auf

policy

-Variablen und UVS-Dispute. Esfolgt ein theoretisches Argument, welches behauptet, dass die Eskalationswahr-scheinlichkeit von UVS-Disputen höher ist als die Eskalationswahrscheinlichkeitvon Nicht-UVS-Disputen. Wir stellen dann die für den Test der zentralen Hypotheseverwendeten Daten sowie das statistische Verfahren vor. Anschließend werden dieempirischen Resultate präsentiert. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion vonMöglichkeiten für weiterführende Forschung.

2. Forschungsstand

Die für die Fragestellung dieses Aufsatzes relevante Literatur lässt sich in zwei Rich-tungen gliedern, die erstaunlicherweise kaum aufeinander Bezug nehmen. Die Lite-

2 Wir verwenden in diesem Beitrag weitgehend die englischen Originalbegriffe für dieVerfahrensschritte im WTO-Streitschlichtungssystem.

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Aufsätze

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ratur zur Handelspolitik (

trade policy

) erklärt das Verhalten von Staaten (in Formvon Protektionismus oder Liberalisierung) vorwiegend durch die Varianz in derAusstattung mit Produktionsfaktoren, die Spezifität von Faktoren und Investitionen(

asset specificity

) und das Verhalten von Interessengruppen. Die quantitative Litera-tur zu Handelskonflikten konzentriert sich vorwiegend auf die Erklärung von Kon-zessionen durch den beklagten Staat. Bei den erklärenden Variablen handelt es sichin der Regel um Charakteristika der involvierten Staaten (z. B. Demokratiegrad,Handelsabhängigkeit, wirtschaftliche Macht). Mit anderen Worten, die

trade policy

-Literatur legt den Schwerpunkt eher auf die Charakteristika von

policy

-Bereichen,die Handelskonflikt-Literatur eher auf die Charakteristika der am Konflikt beteilig-ten Staaten. Im vorliegenden Beitrag verknüpfen wir diese beiden Forschungsrich-tungen bis zu einem gewissen Grad, indem wir uns mit der Erklärung der Eskalationvon Handelskonflikten durch

policy

-Variablen befassen. Wir betrachten dabei vor-wiegend die quantitative Literatur, da diese für die hier bearbeitete Fragestellungwichtiger ist als die Fallstudien-basierte Literatur.

Die Forschung zu Handelskonflikten im Rahmen des GATT und (ab 1995) derWTO befasst sich vorwiegend mit der Erklärung der Initiierung von Disputen, derWahl institutioneller Mechanismen der Konfliktlösung sowie des durch die Kon-fliktlösung erwirkten Ausmaßes an Handelsliberalisierung (vor allem durch Konzes-sionen des beklagten Staates). Die Erklärungsvariablen umfassen hauptsächlich dieCharakteristika der involvierten Staaten – Wohlstandsniveau, Größe der Wirtschaft,Abhängigkeit vom Außenhandel, Demokratiegrad, ideologische Ausrichtung derRegierung usw. Hinzu kommen strategische Faktoren wie z. B. Vergeltungsklagenoder Trittbrettfahren.

3

In der bestehenden quantitativen Literatur zu Handelskonflikten sind vor allemzwei Lücken auszumachen. Erstens wird die abhängige Variable vorwiegend imSinne von Konzessionen bzw. Liberalisierung durch den Beklagten definiert (z. B.Busch/Reinhardt 2002a, 2002b; Garrett/McCall Smith 2002). Diese Definition von»Erfolg« liefert ein unvollständiges Maß für die Eskalation bzw. Deeskalation oderIntensität von Disputen. So ließe sich argumentieren, dass die Stabilität des globalenFreihandelssystems mehr davon abhängt, wie das System mit eskalierenden Han-delskonflikten fertig wird, als davon, ob beklagte Staaten ihre Märkte in einzelnenBereichen als Folge von Konflikten schließlich tatsächlich liberalisieren. In der Tatlässt sich eine ganze Reihe von Fällen ausmachen, in denen der Beklagte keine oderkaum Konzessionen machte, der Disput aber nicht eskalierte. Die Variablen Eskala-tion und Konzessionen des Beklagten korrelieren also nur unvollständig – obschonnatürlich ein offensichtlicher Zusammenhang besteht (siehe weiter unten; vgl. auchGarrett/McCall Smith 2002 und Cemerin 2004).

Zweitens haben sich nur wenige Arbeiten mit den Charakteristika umstrittenerinnerstaatlicher Politiken oder Regulierungen befasst, wobei diese Faktoren dann oft

3 Vgl. Reinhardt (2000); Busch/Reinhardt (2002a); Garrett/McCall Smith (2002); Davis(2003); Cemerin (2004); Leitner/Lester (2004); Dixon (2004); Widsten (2004); Neyer(2005); Zangl (2005).

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lediglich als Kontrollvariablen behandelt werden. Marc Busch und Eric Reinhardt(2002a, 2003) beispielsweise benutzen die Variablen »agricultural case«, »discrimi-natory measure« und »sensitive case« (definiert als SPS-Fälle oder Fälle zu »cultu-ral matters«). Sie beobachten – dies jedoch ohne Theoriediskussion –, dass in ihremSample von GATT/WTO-Disputen im Zeitraum 1980-2000 »sensitive« Fälle weni-ger oft zu Konzessionen des Beklagten führen. Ähnliche Resultate ergeben sich für85 US-EU GATT/WTO-Dispute im Zeitraum 1960-2001 – in diesem Sample sindKonzessionen bei »sensitiven« Fällen um 43% weniger wahrscheinlich (Busch/Reinhardt 2002a). Diese Resultate deuten darauf hin, dass UVS-Fälle möglicher-weise konfliktträchtiger sind. Es besteht allerdings ein deutlicher Bedarf, die abhän-gige Variable (Eskalation im Gegensatz zu Konzessionen des Beklagten) und die

policy

-Variablen besser zu definieren und zu messen sowie die theoretische Argu-mentation zur Konfliktträchtigkeit bestimmter

policy

-Bereiche zu schärfen. EinigeArbeiten neueren Datums gehen in diese Richtung.

Geoffrey Garrett und James McCall Smith (2002) befassen sich damit, weshalbnur wenige Dispute in der WTO eskalieren. Sie thematisieren dabei drei Faktoren:strategische Zurückhaltung von Klägern, v. a. in Fällen, in denen der Beklagte ver-mutlich keine Konzessionen machen wird; strategisch motivierte Dämpfung desKonflikts durch den

Appellate Body

, v. a. in Fällen, die mächtige Staaten betreffen;Verhandlungen zwischen Kläger und Beklagtem außerhalb der WTO zum Ausmaßund Timing von Konzessionen. Garrett und McCall Smith (2002) argumentieren,dass diese drei Mechanismen als Sicherheitsventile für die schwierigsten WTO-Fälledienen (Fälle, in denen der Beklagte keine Konzessionen machen kann oder will)und damit eskalierende Dispute zur Ausnahme werden lassen. Die empirische Ana-lyse der beiden Autoren richtet sich dann jedoch wieder auf Konzessionen (und nichtauf Eskalation). Zudem ist es kaum möglich, die genannten Hypothesen umzukehrenund die Eskalation von Disputen damit zu erklären – d. h. wir müssten dann wie-derum erklären,

wann

die genannten Sicherheitsventile versagen. So erklären Garrettund McCall Smith (2002) z. B. nicht, weshalb bestimmte Fälle, die

ex ante

eskala-tionsträchtig schienen, nicht eskaliert sind. Sie behaupten z. B., »doggedly pursuingsensitive, high-stakes cases […] poses a significant threat to the future of the WTO«(Garrett/McCall Smith 2002: 2). Wir sollten somit erwarten, dass die USA und dieEU Dispute nur dann eskalieren lassen, wenn sie dadurch keinen substanziellenSchaden für die WTO als Ganzes befürchten. Ein solches Argument lässt sich jedochkaum in präzisen

ex ante

Hypothesen fassen und empirisch testen.Garrett und McCall Smiths (2002) Argument zur Dämpfung von Konflikten durch

den

Appellate Body

lässt den Schluss zu, dass Dispute mit weniger mächtigenBeklagten eher eskalieren, weil der

Appellate Body

in diesen Fällen weniger Rück-sicht auf Probleme des Beklagten nimmt. Andere Arbeiten (z. B. Busch/Reinhard2002b) stützen diese Behauptung nicht. In Bezug auf die WTO-Konflikte um Bana-nen und

Foreign Sales Corporations

(FSC) erwähnen sie mehrere Eskalationsbedin-gungen: (a) ein Konflikt war bereits im GATT vorhanden; (b) es existiert bereits einUrteilsspruch im betreffenden Bereich gegen den beklagten Staat; (c) klare Ver-tragsverletzung, aber wenig Aussicht auf Konzessionen durch den beklagten Staat;

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Aufsätze

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(d) der beklagte Staat erwartete keine Klage; (e) Vergeltung einer Klage in einemanderen Bereich. Im Weiteren sollten wir – mit Blick auf Garrett und McCall Smiths(2002) Argument, dass der

Appellate Body

Konflikte eher dämpft, wenn die recht-liche Grundlage der Klage offener bzw. weniger klar ist – in denjenigen Fällen einestärkere Eskalation erwarten, in denen die Rechtslage klarer ist. Diese Prognose ist,wenn wir eine Reihe prominenter Fälle wie die Hormon-, Biotech-, Delfin- undSchildkröten- oder Asbestkonflikte betrachten, offensichtlich problematisch.

4

Aufjeden Fall scheint es sehr schwierig,

ex ante

Prognosen zu formulieren, die daraufbasieren, ob die Rechtslage klar oder weniger klar ist.

Wie erwähnt, leiten Arbeiten zu Handelsdisputen ihre erklärenden Variablen meistnicht aus der allgemeinen

trade policy

-Literatur her. Gewisse Anknüpfungspunktefinden sich jedoch bei Argumenten, die Interessengruppen und Demokratie themati-sieren – wobei diese Argumente allerdings keine

policy

-Variablen beinhalten. Chris-tina Davis (2003) behauptet, dass Streitfälle mit starken Interessengruppen im kla-genden und beklagten Staat eher eskalieren. Wie diese Stärke über Länder undDispute hinweg zuverlässig gemessen werden könnte, bleibt offen. Weitere Pro-bleme, die mit einem konventionellen Interessengruppen-Modell verbunden sind,bleiben ebenfalls unbehandelt. Gemäß der Olsonschen Logik des kollektiven Han-delns sind Interessengruppen mit wenigen Mitgliedern, die konzentrierte Kosten(oder Nutzen) erwarten, leichter zu organisieren und damit einflussreicher. SolcheGruppen können somit z. B. die klagende Regierung eher zur Eskalation eines Dis-puts drängen. Man könnte jedoch auch argumentieren, dass solche Gruppen, da siekleiner und klarer identifizierbar sind, einfacher mit Kompensationen durch den Klä-ger oder den Beklagten ruhig gestellt werden können, was das Eskalationsrisiko redu-zieren würde. Umgekehrt beobachten wir bei UVS-Disputen meist, dass die umstrit-tenen Regulierungen von einer breiten Koalition von Interessengruppen getragenwerden (z. B. im WTO-Disput um die Biotechnologie). Gleichzeitig ist der Druck aufden beklagten Staat, nicht nachzugeben, sehr groß und es scheint schwierig, dieOpponenten einer Deeskalation zu kompensieren. In welcher Weise die OlsonscheLogik spielt, scheint von den Charakteristika der umstrittenen

policies

abzuhängen.Das im folgenden Teil dieses Aufsatzes entwickelte Argument wird hier anknüpfen.

Demokratie-Variablen werden in vielen Arbeiten als theoretisch wenig durch-dachte Kontrollvariablen eingefügt, bisweilen aber auch theoretisch etwas unter-mauert und v. a. mit Argumenten zu Interessengruppen verknüpft. Sowohl die theo-retischen Behauptungen als auch die empirischen Befunde haben bislang einwidersprüchliches Bild ergeben. Andrew Guzman und Beth Simmons (2002) postu-lieren, dass demokratische Regierungen dem Druck importkonkurrierender Produ-zenten (in beklagten Staaten) und exportorientierter Produzenten (in Klägerstaaten)

4 So war z. B. im Biotechkonflikt a priori kaum erkennbar, wie das

Panel

das bestehendeWTO-Recht in Bezug auf die EU-Restriktionen im Biotechbereich interpretieren würde.Beide Seiten äusserten sich zuversichtlich, dass sie Recht bekommen würden. Handels-konflikte werden oft gerade deshalb in die WTO getragen, weil die Rechtslage a priorinicht von beiden Seiten als klar empfunden wird und ein WTO-Entscheid Klarheit brin-gen soll.

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Thomas Bernauer/Thomas Sattler: Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucher-schutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte?

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stärker ausgesetzt sind. Konzessionen bergen in demokratischen Staaten somithöhere Transaktionskosten. Dadurch steigt die Eskalationswahrscheinlichkeit, wenndemokratische Staaten sich streiten. Zudem kann eine Delegation der Entschei-dungskompetenz in »heißen« Fragen für demokratische Staaten vorteilhaft sein,weil sie den innenpolitischen Druck von der Regierung an die WTO und andereStaaten ablenkt. Marc Busch (2000) fügt dem hinzu, dass Demokratien, weil sieRechtsstaaten sind, auch mehr Vertrauen in übergeordnete Streitschlichtungsmecha-nismen haben und deshalb eher Entscheidungen eines WTO-

Panels

suchen. Guz-man und Simmons (2002) finden in ihrer empirischen Analyse jedoch keine Unter-stützung für die genannten Hypothesen. Eric Reinhardt (2000) und auch Busch(2000) bemerken, dass Interessengruppen in Demokratien einfacher mobilisierbarsind, da es Produzenten einfacher haben sich zu organisieren als Konsumenten, undPolitikerinnen in Demokratien empfindlicher auf den Einfluss von Interessen-gruppen reagieren. Aus der Annahme, dass import- und exportkonkurrierende Pro-duzenten in potenziellen Klägerstaaten gleichermaßen an einer Liberalisierung imanvisierten Staat interessiert sind, leiten sie die Hypothese ab, dass die Konflikt-trächtigkeit bei demokratischen Länderpaaren (Dyaden) höher ist. Die empirischeAnalyse ergibt, dass demokratische Staaten häufiger an Disputen partizipieren, unddass die Beteiligung von demokratischen Staaten an Disputen die Streitbeilegungerschwert. Im Gegensatz zu diesen Resultaten zur monadischen Variante der Demo-kratie-Hypothese findet Gregory Dixon (2003) keine signifikanten und stabilenEffekte für die dyadische Variante.

Erklärungsvariablen der allgemeinen

trade policy

-Literatur, die sich auf Faktor-Ausstattung und die Spezifität von Faktoren oder Investitionen beziehen, kamen bis-lang in der Forschung zu Handelskonflikten nicht zur Anwendung. Im Prinzip ließesich argumentieren, dass die Eskalationswahrscheinlichkeit dann höher ist, wenn dieVarianz bei Faktorausstattung und -spezifität so beschaffen ist, dass sie in einerDyade starke Präferenzen für (beim einen Land) und gegen (beim anderen Land)eine Marktöffnung bewirkt. Die Operationalisierung dieser Erklärungsvariablendürfte jedoch große Probleme aufwerfen und wurde bislang nicht versucht.

Die Studie von Guzman und Simmons (2002) kommt der hier verfolgten Frage-stellung am nächsten. Die beiden untersuchen, ob eine bestimmte

policy

-Variabledie Eskalationswahrscheinlichkeit von WTO-Disputen im Zeitraum 1995-2000 vonder Konsultations- zur

Panel

-Stufe beeinflusst. Sie postulieren, dass in WTO-Dispu-ten um

policies

, bei denen Konzessionen tendenziell einen »Alles-oder-Nichts«-Charakter haben, die Eskalationswahrscheinlichkeit höher ist. Die empirische Evi-denz stützt diese Hypothese für demokratische Dyaden. Wie im folgenden Teil desAufsatzes dargelegt, bauen wir auf dieser Arbeit auf und beheben dabei einigeSchwachstellen.

Erstens ist die erklärende Variable im Modell von Guzman und Simmons (»conti-nuous« versus »lumpy« bzw. »all or nothing«) so breit definiert, dass eine zuverläs-sige empirische Erfassung problematisch wird. Während z. B. die Operationalisie-rung bei gesundheitsrechtlich geprägten Verboten (beispielsweise gentechnischveränderte Nahrungsmittel) plausibel ist, ist fraglich, ob z. B. Produkteklassifizie-

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rungen oder »absence of required laws« nicht doch, ähnlich wie Zölle, relativ ein-fach und kontinuierlich modifizierbar sind.

5

Zweitens richtet sich die theoretischeArgumentation zur

policy

-Variable ausschließlich auf »transfers« (im wesentlichenKonzessionen und damit ein Wohlstandstransfer) vom Beklagten an den Kläger.Genauso wichtig für den Eskalationsprozess ist allerdings die Frage, wann es derbeklagten Regierung gelingt, die Eskalation dadurch einzudämmen, dass sie inner-staatliche Verlierer kompensieren und dadurch gegenüber dem Kläger Konzessio-nen machen kann. Drittens birgt die nur zweistufige Definition der abhängigenVariablen (Eskalation) das Problem, dass sehr viele Dispute bis zur

Panel

-Stufeeskalieren, sich aber der eigentliche Härtetest bei der Konfliktlösung erst danachergibt. Die empirische Analyse zeigt in der Tat, dass die Eskalationswahrscheinlich-keiten von Konsultation zu

Panel

oder

Appellate Body

, und von dort zu Umset-zungskonflikten sehr unterschiedlich sind, und dass in beiden Eskalationsphasenunterschiedliche Determinanten am Werk sind. Unsere Ergebnisse für die Eskala-tion von der Konsultations- zur

Panel-/Appellate Body

-Ebene stimmen zum Teilnicht mit den Ergebnissen von Guzman und Simmons (2002) überein.

Der vorliegende Aufsatz leistet auch einen Beitrag zur Fallstudien-basierten Lite-ratur zu UVS-Disputen in GATT und WTO. Die meisten bisherigen Analysen, diesich auf einzelne Konflikte konzentrieren, gehen zumindest implizit davon aus, dassUVS-Dispute besonders konfliktträchtig sind (z. B. DeSombre 2000; DeSombre/Barkin 2002; Young 2003; Bernauer 2003; Caduff 2004). Young (2005) hat jedochaufgezeigt, dass von allen Problemfällen, die in das SPS-Komitee getragen werden,nur ein kleiner Anteil in die WTO-Streitschlichtungsprozedur getragen wird. DieSPS-Fälle machen einen großen Anteil an den UVS-Fällen aus. Die Grenzen vonYoungs (2005) Analyse liegen jedoch darin, dass er die Eskalationswahrscheinlich-keit der UVS-Fälle nicht in der Gesamtpopulation der WTO-Dispute verorten kannund auch keine Erklärung dafür liefert, weshalb UVS-Dispute mehr oder wenigerhäufig eskalieren als Nicht-UVS-Dispute.

Unsere Arbeit trägt zur bisherigen Forschung somit folgende neue Elemente bei:Wir konzentrieren uns auf eine wichtige

policy

-Variable (UVS-Fälle) und verknüp-fen diese Variable mit einem theoretischen Argument, bei dem Konzessionen undKompensationen im Zentrum stehen. Wir messen die Eskalation von Disputen aufdrei Stufen und schätzen die Effekte der erklärenden Variablen mit Selektionsmo-dellen. Damit verbinden wir zwei Forschungsrichtungen, die bisher kaum miteinan-der kommuniziert haben. Erstens die Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik-For-schung, welche die Konfliktträchtigkeit von UVS-Problemen betont, diese abernicht mit Daten zur Gesamtpopulation der Handelskonflikte testet. Zweitens diequantitative Forschung zu Handelsdisputen, welche bislang

policy

-Variablen stief-mütterlich behandelt und sich auf Konzessionen des Beklagten statt auf Eskalationkonzentriert hat.

5 Etwas fragwürdig im Beitrag von Guzman und Simmons ist auch die Praxis, elf Fälle,bei denen die Kodierung als »continuous« oder »discontinuous« Mühe bereitet, auszu-schließen. Gleichermaßen fragwürdig ist der Ausschluss von Fällen, bei denen dieWTO-Konsultationen während weniger als drei Jahren als »pending« ausgewiesen hat.

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Thomas Bernauer/Thomas Sattler: Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucher-schutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte?

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3. Theorie

Mit Ausnahme von Guzman und Simmons (2002) enthält die quantitative Literaturzu GATT/WTO-Disputen kaum theoriebasierte policy-Variablen. Wir greifen somitauf den Beitrag von Guzman und Simmons sowie die allgemeine trade-policy-Lite-ratur, v. a. in Form von Theorien des kollektiven Handelns, zurück, um ein theoreti-sches Argument zu entwickeln.

Die Law & Economics-Literatur (siehe z. B. Cooter/Rubinfeld 1989) hingegen,die in der Regel die Eskalation in juristischen Streitverfahren im innerstaatlichenBereich auf Informationsasymmetrien und (ungerechtfertigten) Optimismus derKläger- und Beklagtenseite zurückführt,6 birgt in unserem Fall wenig empirischesErklärungspotenzial. Es scheint prima facie kaum plausibel, dass UVS-Problemesystematisch größere Informationsasymmetrien und größere Optimismus-Problemebergen als nicht UVS-Probleme.7 Ähnliches gilt für denjenigen Teil der trade-policyLiteratur, deren Haupterklärung auf der relativen Ausstattung von Ländern mitbestimmten Produktionsfaktoren (factor endowments) oder Unterschieden in der»asset specificity« beruht.

In der Regel trägt ein Klägerstaat einen Streitfall in die WTO, wenn die betref-fende Regierung unter dem Druck einheimischer Produzenten steht, die unter tarifä-ren oder nichttarifären Handelshemmnissen des beklagten Staates leiden oder zu lei-den vorgeben. Dieser Druck lässt meist erst dann nach, wenn der beklagte Staat diebetreffenden Handelshemmnisse reduziert oder eliminiert oder die auf eine Ände-rung des Status quo drängenden Produzenten im klagenden Staat in irgendeinerForm kompensiert werden. Ein Entgegenkommen des Beklagten und damit eineLösung oder zumindest Eindämmung des Disputs (d. h. die Abwendung einer weite-ren Eskalation), ist im Prinzip in drei Formen denkbar.

Erstens kann der beklagte Staat den klagenden Staat und dessen Exporteure mitdirekten Zahlungen entschädigen. Dies kommt, aus Gründen, die wir hier nichtuntersuchen können, in der globalen Handelsdiplomatie praktisch nie vor (vgl. Oye1993). Zweitens kann der beklagte Staat dem klagenden Staat Kompensation fürvermeintlich oder tatsächlich erlittene Handelsbarrieren in einem anderen als dembeklagten Bereich anbieten. Er kann z. B. als Kompensation für beklagte Import-restriktionen bei Fisch Zölle auf Textilimporten senken. Auch dies kommt sehr sel-ten vor und wenn, dann meist unfreiwillig in Form von durch die WTO bewilligtenSanktionen gegen einen Staat, der in einem Streitfall unterliegt. Dieser Option ste-hen v. a. zwei Dinge im Wege: Gezielte Kompensationen dieser Art sind schwierig,weil das Meistbegünstigungsprinzip, einer der Grundpfeiler des WTO-Systems, ver-

6 Diese Literatur geht davon aus, dass bei perfekter Information und null Transaktions-kosten alle Fälle »out-of-court« beigelegt würden.

7 Eine Möglichkeit wäre, dass UVS-Fälle komplexer sind als nicht-UVS-Fälle und somitdie Streitparteien evtl. (zu) optimistisch sind – womit wiederum das win-set reduziertwerden könnte. Die Komplexität von WTO-Fällen ist allerdings sehr schwer kodierbar.Hinzu kommt, dass das Problem des (kontraproduktiven) Optimismus nicht nur durchKomplexität der Fälle erzeugt wird.

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langt, dass Handelserleichterungen gegenüber einem Mitgliedsstaat auch gegenüberallen anderen Mitgliedsstaaten gelten müssen. Hinzu kommt, dass Kompensationendieser Art den innerstaatlichen Druck auf die Regierung des Klägerstaates kaumreduzieren, weil die Produzenten, die unter den Handelshemmnissen leiden, von derKompensation nicht direkt profitieren. Drittens kann der beklagte Staat gegenüberdem Klägerstaat im beklagten Bereich selbst Konzessionen machen, d. h. diebeklagten Zölle oder nichttarifären Handelshemmnisse reduzieren oder ganzabbauen. Dies ist bei weitem die häufigste Form von Konzessionen, die zur Deeska-lation führen.

Wenn man davon ausgeht, dass eine Eskalation v. a. durch Konzessionen desBeklagten im umstrittenen policy-Bereich selbst verhindert werden kann, stellt sichdie Frage, in welchen policy-Bereichen Konzessionen einfacher, da für den Beklag-ten wirtschaftlich und/oder politisch weniger kostspielig sind. Wir postulieren, dassim UVS-Bereich Konzessionen des Beklagten aufgrund von zwei Problemen beson-ders schwierig sind.

Erstens ist es im UVS-Bereich für die beklagte Regierung oft schwierig, einengraduellen Rückbau innerstaatlicher Schutzmaßnahmen zu bewerkstelligen. Diesrüht daher, dass die betreffenden Schutzniveaus meist auf in der Wählerschaft festverankerten Wertvorstellungen beruhen, die im Wesentlichen als nicht tauschbarbetrachtet werden. So scheint es für die EU schwer vorstellbar, gentechnisch verän-derte Nahrungsmittel oder hormonbehandeltes Fleisch in den Markt zu lassen. Wievon Guzman und Simmons (2002) erkannt, handelt es sich bei UVS-Problemen ten-denziell um »Alles-oder-Nichts«-Probleme. Dieses Argument ist allerdings relativund nicht absolut, d. h. die Tauschbarkeit von UVS-Schutzniveaus ist, so nehmenwir an, geringer als die Tauschbarkeit im Fall von klassischen Handelsrestriktionenwie Zöllen oder Subventionen. Letztere lassen sich einfacher in gradueller Weise imSinne eines »fine-tuning« reduzieren, bis sich Kläger und Beklagter auf einenTausch von Konzessionen gegen Verzicht auf weitere Eskalation einigen. Im Prin-zip handelt es sich bei dieser Argumentation um eine Anwendung des Coase-Theo-rems. In seine Sprache übersetzt wird postuliert, dass die Transaktionskosten einesTausches, der verhindern könnte, dass ein Handelsdisput in der WTO eskaliert, beiUVS-Problemen höher ist als bei nicht-UVS-Problemen (vgl. auch Oye 1993).

Hinzu kommt ein zweites Problem. UVS-Regulierungen basieren in der Regel aufder Unterstützung durch breitere gesellschaftliche Kreise als Regulierungen, die v. a.den Schutz bestimmter Industrien (z. B. der Stahlindustrie) bezwecken. So genießtdas Verbot von Fleisch von mit Wachstumshormonen behandelten Rindern in der EUbreite Unterstützung durch Konsumenten- und Umweltverbände sowie durch großeTeile der Bauernschaft. Um substanzielle Konzessionen gegenüber dem Klägerstaatzu machen, ist es oft notwendig, dass die Regierung des beklagten Staates die inner-staatlichen Verlierer des Rückbaus einer Schutzmaßnahme kompensiert. Nebst demProblem der Tauschbarkeit als solchem, das UVS-Regulierungen oft anhaftet, stelltsich durch die Breite der Interessengruppen und Wählerschaft, die hinter solchenRegulierungen stehen, das zusätzliche Problem, dass enorm viele Akteure kompen-siert werden müssten. Es scheint, etwas simpel ausgedrückt, einfacher zu sein, eine

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bestimmte Industrie im Inneren des beklagten Staates zu kompensieren, als die zahl-losen Umwelt- und Konsumentenverbände und andere Interessengruppen, die ofthinter UVS-Regulierungen stehen – falls diese Gruppierungen den Rückbau einerUVS-Regulierung überhaupt in irgendeiner Form als kompensierbar akzeptieren.

Bei letzterem Argument handelt es sich um eine Art Umkehr von Olsons Logikdes kollektiven Handelns. Konsumenteninteressen sind bekanntermaßen schwerermobilisier- und organisierbar als Produzenteninteressen. Wenn es diesen Interessenjedoch gelingt, ihre Präferenzen in Form bestimmter UVS-Regulierungen zu reali-sieren – oft geschieht dies im selektiven Verbund mit Produzenteninteressen – sinddiese Koalitionen breiter und resistenter gegenüber internationalem Druck als imFalle konventioneller Handelshemmnisse, die auf protektionistischen Interessen und»regulatory capture« einzelner Industrien beruhen. Letztere sind gradueller undgezielter kompensierbar.

Wir gehen davon aus, dass die hier entwickelte Argumentation in Demokratienstärker greift als in Nicht-Demokratien. Dies hängt insbesondere damit zusammen,dass im beklagten Staat Kompensationen an gesellschaftliche Interessen (Produzen-ten, NGOs usw.), welche die Kosten der Konzessionen durch die beklagte Regie-rung tragen, erforderlich sein können. Dies verursacht in demokratischen Staatenmehr Probleme (höhere Transaktionskosten) als in nicht-demokratischen Staaten.Auch das höhere Ausmaß an »Öffentlichkeit« spielt hier eine Rolle. Wenn sichdemokratische Staaten einmal durch, im spieltheoretischen Sinn, kostspielige Sig-nale auf eine bestimmte Position festgelegt haben – in unserem Fall die Verteidi-gung einer von einem Klägerstaat attackierten Politik oder Regulierung – sind die(innenpolitischen) Kosten von Konzessionen um so höher.

Das soeben präsentierte theoretische Argument erweitert bzw. modifiziert dasArgument von Guzman und Simmons (2002) in mehreren Punkten. Erstens reduzie-ren wir die erklärende Variable von einer sehr breiten und empirisch problematischen»continuous« versus »lumpy« oder »all-or-nothing« Definition auf UVS-Streitfälle.Zweitens ergänzen wir die theoretische Argumentation zur Wirkung dieser Variable(Problem der graduellen Tauschbarkeit und der Tauschbarkeit als solches) durch einArgument zur Breite der im beklagten Staat zu kompensierenden Interessengruppen.Guzman und Simmons behandeln lediglich die Möglichkeit, graduelle Konzessionenan den klagenden Staat zu machen. Drittens erweitern wir die Definition von Eskala-tion auf drei Stufen und verwenden Selektionsmodelle.

Im Einklang mit der bisherigen quantitativen und qualitativen Literatur zu GATT/WTO-Disputen basiert unsere Theorie auf der Annahme, dass der Eskalationspro-zess über die drei Stufen hinweg jeweils gleichgerichtet (linear) verläuft. Die empi-rische Analyse wird zeigen, dass diese Annahme falsch ist. Ein zentraler Beitragunserer Arbeit besteht somit darin, mittels eines verbesserten methodischen Instru-mentariums und neuer Daten ein inkrementell weiterentwickeltes theoretischesArgument zu testen. Wir demonstrieren auf diesem Weg, dass ein Bedarf nacheinem stärker ausdifferenzierten theoretischen Modell besteht, das die Varianz inder Konfliktträchtigkeit zwischen den einzelnen Eskalationsstufen erklärt.

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4. Empirische Analyse

In diesem Teil wird der Einfluss der UVS-Variablen auf die Eskalationswahrschein-lichkeit über alle drei Stufen des WTO-Streitschlichtungsverfahrens untersucht. Imersten Abschnitt (4.1) dieses Teils werden die Daten und statistischen Methodenbeschrieben, auf welche sich die empirische Untersuchung stützt. Nach einer des-kriptiven Analyse (4.2) untersuchen wir den Einfluss der unabhängigen Variablenauf die Eskalationswahrscheinlichkeit sowohl von der ersten auf die zweite als auchvon der zweiten auf die dritte Stufe (4.3) mit Hilfe von Selektionsmodellen.

4.1. Daten und statistische Methoden

Datensatz

Der dieser Analyse zugrunde liegende Datensatz umfasst alle Handelskonflikte, wel-che seit der Errichtung des Streitschlichtungsverfahrens im Jahr 1995 bis Ende 2003innerhalb des WTO-Systems behandelt wurden. Wir berücksichtigen somit alleKonflikte, welchen von der WTO eine DS (dispute settlement) Nummer zugewiesenwurde – siehe dazu WTO-Dokument WT/DS/OV/23 (7. April 2005). Handelskon-flikte, welche vor dem GATT-System (1948-1994) ausgetragen wurden, sind nichtim Datensatz enthalten, da sich das Streitschlichtungsverfahren des GATT-Systemsfundamental vom Verfahren des WTO-Systems unterscheidet. Im Gegensatz zurWTO konnte der verklagte Staat im GATT-System das Verfahren gegen ihn jeder-zeit blockieren und zum Erliegen bringen. Dadurch ist es schwieriger (und wenigerzuverlässig), den tatsächlichen Eskalationsgrad der GATT-Konflikte zu bewerten.

Um sicherzustellen, dass nur diejenigen Konflikte erfasst werden, die auch tat-sächlich die Gelegenheit hatten zu eskalieren, werden nur Konflikte bis Ende 2003berücksichtigt. Konflikte, welche nach 2003 im WTO-System registriert wurden(z. B. Ende 2004), konnten aufgrund des Zeitrahmens und der Verfahrensregeln desWTO-Streitschlichtungsverfahrens noch nicht auf die Compliance-Stufe gelangen(siehe dazu die Definition der Eskalationsstufen in Tab. 1). Im Gegensatz dazugehen wir davon aus, dass diejenigen Konflikte, die bis Ende 2003 initiiert wurden,bis zum Erstellen des Datensatzes Mitte 2005 ausreichend Zeit hatten, um im Rah-men des WTO-Verfahrens eskalieren zu können. Trotz dieser allgemeinen Einschät-zung ist es möglich, dass einzelne Konflikte in der Zukunft weiter eskalieren, als inunserem derzeitigen Datensatz erfasst. So könnte beispielsweise ein Konflikt ausdem Jahr 2003, welcher 2004 eskalierte und 2005 erledigt erschien, im Jahr 2006wieder aufflammen und die nächste Eskalationsstufe erreichen. Dieses Problem istjedoch unabhängig davon, ob die Determinanten von Handelskonzessionen oderEskalationsstufen denn untersucht werden.

Eine weitere Verkürzung des Untersuchungszeitraums ließe dieses Problem zwarganz verschwinden, würde allerdings auch die der Untersuchung zugrunde liegendeAnzahl der Beobachtungen deutlich verringern. Dies ist insbesondere für unseren

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Untersuchungsgegenstand problematisch, da eine relativ große Anzahl von UVS-Konflikten erst im Jahr 2003 initiiert wurde. Da die Anzahl der UVS-Konflikte ehergering ist (siehe Tab. 2), haben wir uns dafür entschieden, alle Konflikte bis 2003 inunsere Studie einzubeziehen, die Robustheit der empirischen Ergebnisse für dieStichprobe aber ohne die Beobachtungen aus dem Jahr 2003 zu bewerten.

Handelskonflikte mit mehreren Klägerstaaten werden, wie in der empirischenHandelskonfliktliteratur üblich, aufgeteilt und als einzelne Staatenpaare codiert(Horn et al. 1999; Busch 2000; Busch/Reinhardt 2003; Bagwell et al. 2004).8 DieseAufteilung ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Erstens können Konfliktparteiengemäß WTO-Verfahren auch bei Handelskonflikten, welche mehrere Klägerstaatenumfassen, bilateral über Zugeständnisse verhandeln (Busch/Reinhardt 2003) und dieKlägerstaaten getrennt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten Konsultationen oderdie Einrichtung eines Panels beantragen. Theoretisch können verschiedene Staaten-paare denselben Handelskonflikt auf unterschiedliche Ebenen eskalieren lassen. Wieunser Datensatz zeigt, ist dies auch empirisch der Fall. Häufig lässt nur ein Teil derKlägerstaaten, welche bei einem spezifischen Handelskonflikt Konsultationen bean-tragen, den Konflikt auch bis zum Panel oder darüber hinaus eskalieren. Ebensokommt es oft vor, dass nur einige der Staatenpaare einen Konflikt von der Panel-oder Appellate Body zur Compliance-Stufe eskalieren lassen, während andere den-selben Disput auf der Panel-Ebene beilegen.9

Zweitens ist es bei einer dyadischen Codierung möglich, länderspezifische Mess-größen zu berücksichtigen. Die oben diskutierte Tatsache, dass unterschiedlicheStaatenpaare denselben Konflikt auf unterschiedliche Stufen eskalieren lassen, zeigtdie Relevanz solcher länderspezifischen Variablen, welche deshalb als Kontroll-variablen in die Studie aufgenommen werden müssen. Drittens geben StaatenpaareKonflikten mit mehreren Klägerstaaten mehr Gewicht. Eine dyadische Codierung hatallerdings den Nachteil, dass unsere Hauptvariable handelskonfliktspezifisch ist unddeshalb innerhalb eines WTO-Falls nicht variiert. Eine Aggregierung unterschied-licher Eskalationsstufen und länderspezifischer Kontrollvariablen innerhalb einesKonfliktfalls, z. B. durch die Bildung von Mittelwerten für den Demokratiegrad,wäre allerdings äußerst fragwürdig, weshalb wir den dyadischen Ansatz bevorzugen.

Variablen

Tabelle 1 definiert die zwei Hauptvariablen unserer Analyse. Die anderen (Kontroll-)Variablen werden im Annex beschrieben.

8 Während viele Handelskonflikte mehrere Klägerstaaten umfassen, gibt es immer nureinen angeklagten Staat pro Handelskonflikt. Im Schnitt sind fünf Klägerstaaten in einenHandelskonflikt involviert. Die maximale Anzahl von Klägerstaaten pro Handelskon-flikt beträgt 19. Siehe Tab. 3.

9 Bei 20 der 44 Handelskonflikte, welche mehrere Klägerstaaten umfassen, eskaliert derKonflikt für verschiedene Staatenpaare auf unterschiedliche Ebenen. 261 Handelskon-flikte umfassen nur einen Klägerstaat.

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Tabelle 1: Variablen 10

10 Eine weitere Differenzierung der Eskalationsstufen, z. B. durch separate Codierung vonPanel und Appellate Body-Stufe, schien uns nicht sinnvoll, da der Großteil der Panel-Fälle an den Appellate Body weitergezogen wird. Panels, welche zuerst eingerichtet unddann aufgelöst wurden, oder eingerichtet wurden und dann nicht weiter in den Doku-menten der WTO Erwähnung finden oder nie einen Abschlussbericht verfassten, wurdenals (2) codiert, da wir das höchste Eskalationsniveau erfassen, welches ein Konflikt inseiner Geschichte erreicht hat. Wir codieren Dyaden nur dann als Konfliktstufe (3),wenn der entsprechende Klägerstaat sich formal auf Artikel 21.5 und/oder 22.6 berufenhat. Länder, welche bereits auf der Konsultationsebene Beobachterstatus ( third partystatus) beantragen, werden nicht als Konfliktdyade betrachtet. Länder, welche zuerst alsKlägerstaaten auftreten, dann aber ihren Status zu Beobachtern ändern (z. B. wenn derKonflikt von der Konsultations- zur Panel/Appellate Body-Ebene eskaliert) werden nichtals Teil der Gruppe der eskalierenden Staatenpaare betrachtet.

Name Definition

Escal Escal ist die abhängige Variable. Konflikteskalation wird als dreistufigeVariable definiert (1, 2, 3). Ein niedriges Eskalationsniveau bedeutet, dass derKonflikt von den Konfliktparteien auf der Konsultationsstufe formal als bei-gelegt erklärt wurde und/oder nicht zur Errichtung eines Panels geführt hat.Ein mittleres Eskalationsniveau (2) bedeutet, dass ein Panel etabliert und/oder die Berufungsinstanz (Appellate Body) der WTO aktiviert wurde. Einhohes Eskalationsniveau (3) bedeutet, dass ein Verfahren gemäß Artikel 22.5und/oder 22.6 (Compliance Disputes) initiiert wurde und/oder ein Bericht inBezug auf dieses compliance-Verfahren erstellt wurde.10

Quellen: WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente.

UVS UVS ist die zentrale unabhängige Variable. Sie charakterisiert, ob ein Kon-flikt Umwelt- und Verbraucherschutz (UVS) Angelegenheiten umfasst odernicht (1, 0). Zuerst wurde aufgrund von WT/DS/OV/23 (7. April 2005) undanderen WTO-Dokumenten festgestellt, ob sich eine der Parteien auf dasSPS-Abkommen oder auf Art. XX des GATT berief. Danach wurden dieHauptargumente der Klägerstaaten genauer untersucht, um festzustellen, inwelchem Ausmaß UVS-Aspekte eine Rolle spielten. Für die UVS-Variablewurde die Messlatte insofern niedrig angelegt, als auch Konflikte berücksich-tigt wurden, bei welchen UVS-Themen keine übergeordnete (aber dennocheine nachvollziehbare) Rolle gespielt haben. Quellen: WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente.

UVSe Eine engere Definition von UVS-Fällen (UVSe) beinhaltet nur diejenigenFälle, bei welchen wir im Laufe einer qualitativen Analyse der verfügbarenDokumente zum Schluss gelangten, dass die UVS-Aspekte nur indirekt oderperipher von Bedeutung waren. Aus Gründen der Transparenz und der Nach-vollziehbarkeit werden alle 71 UVS- und alle UVSe-Fälle im Annex auf-gelistet. Um die Reliabilität der Variablen Escal, UVS und UVSe zu erhöhen,wurden diese von zwei Personen unabhängig codiert. In einigen Fällen, indenen die Codierer zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, wurden dieWTO-Dokumente noch einmal ausgewertet und die Codierung wurde imKonsens der beiden Codierer festgelegt. Die Korrelation zwischen unsererUVS und der »continuous/discontinuous« Variable von Guzman und Sim-mons (2002) beträgt lediglich -0.33 (für die UVSe-Variable -0.34). Dieszeigt, dass die beiden Messkonzepte substanzielle Unterschiede aufweisen.Quellen: WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente.

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Statistische Verfahren

Verschiedene statistische Verfahren, z. B. ordinale oder sequenzielle Regressions-modelle, könnten verwendet werden, um Konflikteskalationen über alle Stufen zuuntersuchen (4.3). Diese Verfahren haben allerdings unterschiedliche Nachteile imVergleich zum hier verwendeten Selektionsmodell. Ordinalen Modellen (orderedprobit) liegt die Annahme zugrunde, dass der Einfluss der unabhängigen Variablenüber alle Eskalationsstufen hinweg gleich ist.11 In unserem Fall bedeutet dies, dasseine unabhängige Variable, welche auf der Konsultationsebene des WTO-Schlich-tungsverfahrens konfliktfördernd (konflikthemmend) wirkt, auch die Eskalations-wahrscheinlichkeit auf der Ebene des Panels erhöht (verringert). Wir betrachten esallerdings als möglich, dass diese Annahme verletzt wird, da es aus theoretischerSicht durchaus möglich ist, dass eine Variable auf der ersten zur zweiten Stufe kon-fliktfördernd und auf der zweiten zur dritten Stufe konflikthemmend wirkt (undandersherum). Die statistischen Tests und die empirischen Resultate bestätigen dieseAuffassung (siehe Abschnitt 4.3).

Eine mögliche Lösung wäre, konventionelle sequenzielle Modelle zu benutzen,d. h. separate binäre Modelle für jede Eskalationsstufe zu schätzen. Auf diese Artund Weise wäre es möglich, Veränderungen des Einflusses der erklärenden Fakto-ren über die verschiedenen Eskalationsstufen hinweg zu erkennen. Diese Vorge-hensweise ist jedoch problematisch, da solche Modelle einen Selektions-bias auf-weisen, welcher zur Folge hat, dass der geschätzte Einfluss einer Variablensystematisch vom tatsächlichen Einfluss abweicht, und wir unter Umständen inkor-rekte Schlussfolgerungen bezüglich des Zusammenhangs zwischen der abhängigenund den unabhängigen Variablen ziehen (Achen 1986). Der Grund dafür liegt darin,dass nur diejenigen Fälle von der zweiten auf die dritte Stufe eskalieren können,welche schon von der ersten auf die zweite Stufe eskaliert sind. Der Schätzung derEskalationswahrscheinlichkeit von der zweiten auf die dritte Stufe liegt deshalbkeine zufällige Stichprobe, sondern ein Sample mit systematisch abweichendenEigenschaften zugrunde.12

In der neueren empirischen IB-Literatur werden üblicherweise Selektionsmodellebenützt, welche auf den von James Heckman (1976, 1979) entwickelten statisti-schen Verfahren beruhen.13 Die üblicherweise verwendeten Schätzer sind allerdingsnur dann geeignet, wenn es mindestens eine erklärende Variable gibt, die zwar denSelektionsprozess beeinflusst, für die Gleichung auf der zweiten Stufe aber nicht

11 Das ordinale Regressionsmodell mit einer Anzahl von J Stufen ist equivalent zu J – 1binären Regressionen, denen die Annahme zugrunde liegt, dass die Koeffizienten für dieunabhängigen Variablen über die verschiedenen Stufen hinweg identisch sind (die soge-nannte Annahme der Parallelen Regression).

12 Die Stichprobe ist sozusagen an einer bestimmten Stelle »zensiert«. Dieses Problem inder quantitativen Konfliktforschung wurde erstmals von Morrow (1989) angesprochen.

13 Van de Ven/Van Praag (1981) und Dubin/Rivers (1990) schlagen basierend auf Heck-mans Arbeiten modifizierte Schätzer vor, wenn die abhängige Variable sowohl auf derSelektions- als auch auf der Endstufe dichotom ist. Beispiele für Anwendungen dieserArt von Modellen in der Konfliktliteratur sind Reed (2000) oder Lemke/Reed (2001).

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von Bedeutung ist. Diese Restriktion ist dann problematisch, wenn – wie in unseremFall – aus theoretischer Sicht die gleichen erklärenden Variablen bei beiden Eskala-tionsschritten relevant sind. Wir benützen deshalb ein von Anne Sartori (2003) ent-wickeltes statistisches Verfahren, welches erlaubt, die gleichen unabhängigen Vari-ablen bei beiden Eskalationsschritten in die Analyse miteinzubeziehen.

Die kritische Annahme dieses Schätzers ist, dass die Korrelation zwischen denFehlertermen der ersten und zweiten Gleichung eins beträgt. Obwohl es möglich ist,dass die Annahme identischer Fehlerterme nicht exakt zutrifft, ist diese Annahme inunserem Kontext durchaus vertretbar. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn»(1) selection and the subsequent outcome of interest involve similar decisions orgoals; (2) the decisions have the same causes; and (3) the decisions occur within ashort time frame and/or are close to each other geographically« (Sartori 2003: 112).Diese Bedingungen sind im Zusammenhang von Handelskonflikten erfüllt. Das Zielder Konfliktparteien, die heimische Industrie vor ausländischen Wettbewerbern undKonsumenten vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken zu schützen, bzw. den Zuganginländischer Produzenten zu ausländischen Märkten zu fördern, ändert sich imLaufe eines Handelskonfliktes nicht. Außerdem ist der zeitliche Rahmen eines Han-delskonflikts kurz genug, damit sich einheimische und internationale ökonomischeStrukturen nicht in einem Ausmaß ändern, welches das Interesse eines Staates undsomit das Verhalten einer Regierung fundamental verändern würden.

4.2. Konflikteskalation in der WTO

Wie Tabelle 2 entnommen werden kann, umfasst der Datensatz insgesamt 506 Staa-tenpaare, welche zwischen 1995 und 2003 in einen Handelsstreit involviert waren.14

Davon ging es bei 71 Dyaden um UVS-Themen, d. h. der UVS-Anteil liegt bei 14Prozent.15 Eine große Anzahl der UVS-Streitfälle wurde 2003 bei der WTO einge-bracht (31 von insgesamt 71, d. h. mehr als 44%). Dies bedeutet, dass unser Ergebnisdavon beeinflusst werden könnte, ob wir die Daten für 2003 bei unseren Schätzun-gen miteinbeziehen. Dies sollte allerdings für die erste Eskalationsstufe kein Pro-blem darstellen, da alle diese Konflikte die Gelegenheit hatten, in der Zwischenzeitzu eskalieren (siehe auch unten).

14 Hier sind einige Unterschiede unseres Datensatzes, z. B. im Vergleich mit demjenigenvon Guzman und Simmons (2002), festzuhalten. WTO DS 57 wird bei Guzman undSimmons (2002) als zwei Dyaden codiert, bei uns nur als eine Dyade. Obwohl dieBeschreibungen der beiden Dyaden bei Guzman/Simmons (2002) identisch sind, wirddie eine Dyade jedoch als kontinuierlich, die andere als nicht-kontinuierlich codiert. Fol-gende Fälle (WTO DS cases) fehlen bei Guzman und Simmons: 64, 77, 88, 102, 110,123-125, 127-131, 133, 134, 137, 143-145, 147-150, 153, 154, 157-159, 167, 168, 171-174, 180, 182, 183, 185-187, 191, 196-201. DS 80 ist in unserem Datensatz als USA-EUDyade, bei Guzman und Simmons (2002) als Belgien-USA Dyade codiert.

15 Von insgesamt 305 Konfliktfällen behandeln 39 Fragen zum Umwelt- und Verbraucher-schutz, d. h. 13% aller Streitfälle.

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21ZIB 1/2006

Tabelle 2: Handelskonflikte geordnet nach Jahr des Beginns

Eine großer Anteil der UVS-Konflikte in unserem Datensatz behandelt landwirt-schaftliche Fragen, insbesondere Quarantänevorschriften (zum Vergleich, ein vorkurzem erschienener WTO Bericht führt lediglich sieben Umwelt-Handelskonflikteauf). In 17 unserer 71 UVS-Fälle ist das Gewicht von UVS-Fragen eher gering, vageoder unklar. In einigen Fällen verweist der Klägerstaat beispielsweise darauf, dassdie umstrittene Bestimmung nicht mit UVS-Bedenken begründet werden könne(worauf sich der verklagte Staat nicht explizit berief), da die Regulierungsmaß-nahme nicht unter das SPS-Abkommen oder GATT Artikel XX falle. Wenn wirdiese 17 Dispute aus der Untergruppe der UVS nehmen, verringert sich der Anteilder Umwelt- und Verbraucherschutzkonflikte im Verhältnis zu allen Konfliktdya-den von 14% auf 11% (UVSe-Variable). Mit anderen Worten, UVS-Konflikte sind– gemessen an deren Häufigkeit – im Vergleich zu Konflikten über andere Handels-fragen von eher geringer Bedeutung.

Trotz des niedrigen Anteils von UVS-Konflikten innerhalb der Grundgesamtheitvon WTO-Konflikten stellt sich die Frage, ob diese Art von Konflikten eine über-durchschnittliche Neigung zur Eskalation aufweisen. Eine vorläufige Antwort aufdiese Frage ergibt sich aus Abbildung 1. Sie veranschaulicht grafisch die Wahr-scheinlichkeitsverteilung der Konfliktdyaden über die verschiedenen Eskalations-stufen hinweg, getrennt nach UVS (UVSe) und Nicht-UVS (Nicht-UVSe)-Fällen.

Beginn Nicht-UVS (0) UVS (1) Nicht-UVSe (0) UVSe (1)

1995 21 7 23 5

1996 37 9 38 8

1997 51 2 51 2

1998 37 6 42 1

1999 55 2 57 0

2000 40 2 41 1

2001 24 3 27 0

2002 128 9 129 8

2003 42 31 44 29

Insgesamt 435 71 452 54

Anteil 86% 14% 89% 11%

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Aufsätze

22

Abbildung 1: Wahrscheinlichkeitsverteilung der Konfliktdyaden über Eskalations-stufen

Abbildung 1 zeigt, dass UVS-Konflikte weniger oft von der Konsultationsebeneauf die Panel-/Berufungsebene eskalieren als Nicht-UVS-Konflikte. Während ca.59% der Nicht-UVS-Konflikte auf der Konsultationsebene verbleiben, ist dies beica. 70% der UVS-Konflikte der Fall. Die rechte Grafik in Abbildung 1 verdeutlicht,dass diese Diskrepanz bei der UVSe-Codierung geringer ist. Bivariate Schätzungenbestätigen diesen ersten Eindruck. Die geschätzte Eskalationswahrscheinlichkeitverringert sich von 40% für Nicht-UVS-Konflikte auf ca. 30% für UVS-Konflikte,d. h. die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit sinkt um mehr als 10%, wenn es sich beidem Konflikt um UVS-Themen handelt.

Im Gegensatz dazu eskalieren UVS-Konflikte häufiger auf die dritte Eskalations-stufe als Nicht-UVS-Konflikte. Fast 15% der UVSe-Konflikte erreichen die dritteStufe, während dies nur für ca. 6% der Nicht-UVSe-Konflikte der Fall ist. DieseDiskrepanz ist niedriger für die UVS-Codierung. Die bedingte Wahrscheinlichkeit,dass ein Handelskonflikt auf die dritte Stufe eskaliert, gegeben, dass der Konflikt diezweite Stufe erreicht hat, beträgt ca. 38% (44%), wenn es sich um einen UVS(UVSe)-Konflikt handelt und ca. 16% (16%), wenn es sich um Nicht-UVS (Nicht-UVSe)-Konflikte handelt. Bivariate Schätzungen ergaben, dass die Eskalations-wahrscheinlichkeit von der Panel-/Berufungsebene auf die Compliance-Ebene vonunter 20% für Nicht-UVS-Dispute auf über 40% für UVS-Dispute steigt, vorausge-setzt, dass der Konflikt die Panel-/Berufungsebene erreicht hat.

4.3. Multivariate Analyse

Die empirische Literatur zu Handelskonflikten16 führt eine Vielzahl von Variablenan, um den Ausgang von Handelskonflikten (üblicherweise definiert als Konzessio-nen seitens des verklagten Staates) zu erklären. In unserer multivariaten Analyseberücksichtigen wir folgende erklärende Variablen, welche sich in der empirischen

16 Z. B. Busch (2000); Busch/Reinhardt (2002a, 2003); Cemerin (2004); Dixon (2004);Widsten (2004); Garrett/McCall Smith (2002).

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23ZIB 1/2006

Literatur als relevant erwiesen haben und welche sich aus unseren eigenen theoreti-schen Überlegungen ergeben:– Anzahl der Klägerstaaten, welche in einen spezifischen Handelskonflikt invol-

viert sind. Aus theoretischer Sicht sollte der Effekt dieser Variable negativ sein,d. h. je größer die Anzahl der Klägerstaaten, desto weniger sollte der Konflikteskalieren. Der Grund liegt darin, dass eine höhere Anzahl von Klägern größerenDruck auf den verklagten Staat ausüben kann als einzelne Staaten. Der verklagteStaat sollte deshalb eher zu Konzessionen bereit sein, was die Eskalationswahr-scheinlichkeit reduzieren müsste.

– Relative wirtschaftliche Macht. Je größer die wirtschaftliche Macht des Kläger-staates im Verhältnis zur Macht des verklagten Staates, desto geringer die Eska-lationswahrscheinlichkeit. Diese Hypothese ergibt sich aus der Überlegung, dassstarke Staaten im internationalen System ihre Interessen eher durchsetzen könnenals schwache Staaten. Demnach sollte der verklagte Staat eher nachgeben, jeschwächer er ist, was wiederum die Konfliktwahrscheinlichkeit reduzierenwürde. Allerdings dient die Einführung des WTO-Schlichtungsverfahrens u. a.dazu, diese Machtunterschiede im Bereich der Handelspolitik zu reduzieren, wasbedeuten würde, dass der Einfluss der Machtvariable im WTO-System eventuellgering ist.

– Handelsabhängigkeit. Je abhängiger der Klägerstaat vom Handel mit dem ver-klagten Staat relativ zur Abhängigkeit des verklagten Staates vom Handel mitdem Klägerstaat, desto weniger sollte der Konflikt eskalieren. Stärker vom Han-del abhängende Staaten ist mehr an guten gegenseitigen Handelbeziehungengelegen, weshalb abhängige Klägerstaaten bei Nichteinlenken des verklagtenStaates weniger oft einen Konflikt eskalieren lassen sollten.

– Demokratie. Aus der Literatur zu Handelskonflikten ergeben sich widersprüch-liche Ergebnisse zu den Auswirkungen von Demokratie auf Handelkonflikte,sowohl in der monadischen als auch der dyadischen Variante. So beobachtet bei-spielsweise Bush (2000), dass demokratische Dyaden im GATT-System eher inder Lage waren, Konzessionen in der Konsultationsphase auszuhandeln. Gleich-zeitig war die Eskalationswahrscheinlichkeit für demokratische Staatenpaarehöher, obwohl dadurch generell keine zusätzlichen Konzessionen erreicht wur-den. Wie im Theorieteil erwähnt, neigen wir zur Erwartung, dass die Eskala-tionswahrscheinlichkeit mit dem Demokratiegrad steigen und der Effekt derUVS-Variable bei demokratischen Dyaden stärker sein könnte.

– Entwicklungsländer. Wir gehen davon aus, dass die Eskalationswahrscheinlich-keit bei Entwicklungsländer-Dyaden niedriger ist, weil diese Länder tendenziellweniger Ressourcen besitzen, um sich in solchen Konflikten zu engagieren.

Die genauen Definitionen der unabhängigen Variablen finden sich im Annex(siehe Tab. 6). Tabelle 3 präsentiert deskriptive Statistiken für alle relevanten Vari-ablen.

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Aufsätze

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Tabelle 3: Deskriptive Statistiken

Eskalation auf die Panel-/Appellate Body-Ebene

Tabelle 4 präsentiert die Ergebnisse der multivariaten Schätzungen.17 Der obere Teilder Tabelle zeigt die Ergebnisse für die erste bis zweite Stufe, d. h. den Einfluss derunabhängigen Variablen auf die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation von der Kon-sultations- auf die Panel-/Appellate Body-Ebene. Der untere Teil der Tabelle präsen-tiert die Ergebnisse für die zweite bis dritte Stufe, d. h. den Einfluss der erklärendenVariablen auf die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation von der Panel-/AppellateBody-Ebene zur Compliance-Ebene. Um den Einfluss der Umwelt- und Verbrau-cherschutzvariablen zu beurteilen, werden drei Modelle geschätzt. Model (1) ist dasBasismodell, welches nur die Kontrollvariablen beinhaltet. Für die Modelle (2) und(3) werden die UVS- und UVSe-Variablen dem Grundmodell hinzugefügt.

Die Modelle mit den UVS-Variablen weisen grundsätzlich größere Erklärungs-kraft auf als das Modell, welches nicht zwischen UVS- und Nicht-UVS-Konfliktenunterscheidet. Als Modellgütemaß verwenden wir das Akaike Informationskriterium(AIK), da es im Gegensatz zu anderen auf der Wahrscheinlichkeitsfunktion basie-renden Maßen die Anzahl der unabhängigen Variablen im Modell berücksichtigt.18

Variable Mittelwert Standardabweichung Minimum Maximum

Eskalation 1. – 2. Stufe 0.389 0.488 0.000 1.000

Eskalation 1. – 3. Stufe 0.462 0.628 0.000 2.000

UVS 0.140 0.347 0.000 1.000

UVSe 0.107 0.309 0.000 1.000

Anzahl Klägerstaaten 5.008 5.816 1.000 19.000

Rel. ökon. Macht 0.377 0.355 0.000 0.990

Handelsabhängigkeit 0.031 0.109 -0.413 0.587

Demokratie 19.777 2.321 6.481 21.000

Entwicklungsländer 0.132 0.339 0.000 1.000

17 Der Schätzung liegen nur 502 der 506 Staatenpaare zugrunde, da die relevanten, bilate-ralen Handelsdaten für Taiwan nicht verfügbar waren.

18 Das oft benutzte und eigentlich intuitivste Maß, der Anteil der korrekt klassifiziertenFälle, wird hier nicht verwendet. Der Grund ist, dass dieses Maß mit dem üblicherweiseverwendeten Schwellenwert für korrekt klassifizierte Fälle von 0.5 vor allem dann sinn-voll ist, wenn die abhängige Variable über die verschiedenen Kategorien hinweg unge-fähr gleichverteilt ist. Wie Abbildung 1 zeigt, ist dies nicht der Fall, da die Anzahl dereskalierenden Fälle über die Stufen hinweg stark abnimmt. Dies führt zu dem irreführen-den Ergebnis, dass für die zweite Gleichung mehr Fälle als korrekt klassifiziert eingeord-net werden (ca. 80%) als für die erste Gleichung (ca. 64%), obwohl die Erklärungskraftdes Modells auf der ersten Stufe größer ist. Der Grund liegt darin, dass u. a. auch wegender schwächeren Vorhersagekraft auf der zweiten Stufe die vorhergesagte Eskalations-wahrscheinlichkeit nur für wenige Beobachtungen über dem Schwellenwert von 0.5liegt. Da nur wenige Beobachtungen auch tatsächlich eskalieren, wird die Modellgütemit diesem Maß überbewertet.

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25ZIB 1/2006

Niedrigere Werte implizieren eine bessere Modellgüte. Gemäß dem AIK besitztModell (2), welches die umfassendere UVS-Definition enthält, die höchste Erklä-rungskraft. Modell (3) mit der engeren UVSe-Definition ist weniger vorher-sagekräftig als Modell (2), aber besser als Modell (1), welches Umwelt- und Ver-braucherschutzfaktoren nicht berücksichtigt.

Tabelle 4: Selektionsmodelle

Modell (1) Modell (2) Modell (3)

1. Stufe: Eskalation von Konsultations- auf Panel/Appellate Body-Ebene

UVS -0.413**(-2.37)-0.155

UVSe -0.237(-1.22)-0.089

Anzahl Klägerstaaten -0.083***(-6.30)-0.031

-0.083***(-6.36)-0.033

-0.082***(-6.26)-0.031

Relative wirtschaftliche Macht

-0.565**(-2.59)-0.213

-0.606***(-2.76)-0.227

-0.586***(-2.68)-0.221

Handelsabhängigkeit -1.364*(-1.92)-0.513

-1.574**(-2.18)-0.591

-1.468**(-2.05)-0.552

Demokratie -0.028(-1.05)-0.010

-0.024(-0.91)-0.009

-0.025(-0.96)-0.010

Entwicklungsländer -0.822***(-4.23)-0.309

-0.828***(-4.26)-0.311

-0.831***(-4.27)-0.312

Konstante 0.975*(1.77)

1.017*(1.77)

0.993*(1.80)

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Aufsätze

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*** = signifikant auf 1% Niveau; ** = signifikant auf 5% Niveau; * = signifikant auf 10% Niveau; z-Werte in Klammern unter den Koeffizienten; dritte Zahl in jeder Zelle steht für den geschätzten margina-len Effekt, dPr[Panel]/dx und dPr[Compliance]/dx, gegeben, dass sich alle unabhängigen Variablen anihrem Mittelwert befinden; für dichotome Variablen wird die Änderung der geschätzten Eskalationswahr-scheinlichkeit für die Veränderung von 0 auf 1 berechnet.

Die multivariaten Schätzungen bestätigen den ersten Eindruck von Abbildung 1und zeigen, dass der Einfluss der UVS-Variablen auf die beiden Eskalationsschrittegegensätzlich ist. Wie aus dem oberen Teil von Tabelle 4 ersichtlich ist, haben UVS-Faktoren auf der Konsultationsebene einen konflikthemmenden Einfluss.19 Diegeschätzten marginalen Effekte (dritte Zahl in jeder Zelle) implizieren, dass die

Modell (1) Modell (2) Modell (3)

2. Stufe: Eskalation von Panel / AB auf Compliance-Ebene

UVS 0.244(1.08)0.077

UVSe 0.435*(1.82)0.137

Anzahl Klägerstaaten -0.060***(-2.61)-0.019

-0.058**(-2.51)-0.018

-0.058**(-2.52)-0.018

Relative wirtschaftliche Macht

-0.563*(-1.66)-0.179

-0.558*(-1.67)-0.177

-0.548(-1.63)-0.173

Handelsabhängigkeit -0.041(-0.05)-0.013

0.058(0.06)0.018

0.088(0.10)0.028

Demokratie 0.020(0.44)0.007

0.018(0.39)0.006

0.015(0.32)0.005

Entwicklungsländer -0.748*(-1.82)-0.241

-0.753*(-1.82)-0.239

-0.691*(-1.65)-0.218

Konstante -1.359(-1.42)

-1.355(-1.40)

-1.317(-1.38)

NRhoWald chi2Pr > chi2AIK

5021 (vorausgesetzt)

54.380.0000

809.163

5021 (vorausgesetzt)

60.040.0000

800.986

5021 (vorausgesetzt)

55.940.0000

803.722

19 Der obere Teil von Tabelle 4 (die Selektionsgleichung) entspricht einem binären Probit-Modell für die erste Eskalationsstufe. Eine Schätzung eines solchen Modells mit Huber-White heteroskedastizitätsrobusten Standardfehlern ergibt leicht höhere z-Werte (Signi-fikanzniveaus).

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27ZIB 1/2006

Wahrscheinlichkeit, die zweite Eskalationsstufe zu erreichen, um über 15% kleinerist, wenn es bei dem Konflikt um UVS-Themen geht. Die Konfliktwahrscheinlich-keit reduziert sich um ca. 9%, wenn der Schätzung die UVSe-Codierung zugrundeliegt. Im Gegensatz zur UVS-Variable ist der geschätzte Einfluss der UVSe-Variableauf der ersten Eskalationsstufe allerdings nicht statistisch signifikant.

Mit Ausnahme der Demokratievariablen weisen alle theoretisch relevanten erklä-renden Variablen einen statistisch signifikanten Einfluss auf. Wie man Tabelle 3entnehmen kann, ist die Demokratievariable aus empirischer Sicht ohnehin schondeshalb wenig wertvoll, da fast alle Staatenpaare, welche in WTO-Konflikte invol-viert sind, aus zwei Staaten mit sehr hohem Demokratieniveau bestehen. Dies istdaraus ersichtlich, dass der Mittelwert der Variable (19,78) sehr nahe am Maximum(21) liegt und die Variable eine geringe Standardabweichung (2.32) aufweist.20

Der Einfluss der Anzahl der Klägerstaaten ist hingegen statistisch signifikant undwie erwartet negativ. Dies bedeutet, dass eine größere Anzahl von Klägerstaaten zueiner geringeren Eskalationswahrscheinlichkeit auf der ersten Stufe führt. Konkretsinkt die Eskalationswahrscheinlichkeit um ca. 3%, wenn sich die Anzahl der Klä-ger um einen Staat erhöht.21 Ebenfalls von Bedeutung ist die relative wirtschaftlicheMacht der beiden Konfliktparteien. Der geschätzte Koeffizient zeigt an, dass einKonflikt weniger oft auf die Panel-Ebene eskaliert, je stärker der Kläger im Verhält-nis zum verklagten Staat ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konflikt zwischeneinem sehr starken Kläger und einem sehr schwachen verklagten Staat eskaliert, istum über 20% geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konflikt zwischen einemsehr schwachen Kläger und einem sehr starken verklagten Staat eskaliert. Außerdemeskalieren Handelskonflikte weniger oft, je stärker der klagende Staat vom Handelmit dem verklagten Staat abhängig ist. Letztere Ergebnisse sind insofern interessant,als die Verrechtlichung des Streitbeilegungsverfahrens in der WTO dazu führensollte, dass Machtfaktoren eine geringere Rolle spielen. Ob und inwiefern der Ein-fluss von Macht im Vergleich zum GATT-System abgenommen hat, kann im Rah-men dieser Studie allerdings nicht beantwortet werden. Schließlich ist, wie erwartet,die Eskalationswahrscheinlichkeit geringer, wenn sowohl der Kläger als auch derverklagte Staat Entwicklungsländer sind. Die Eskalationswahrscheinlichkeit redu-ziert sich um mehr als 26%, wenn es sich um ein Staatenpaar mit niedrigerem Ein-kommensniveau pro Kopf handelt.

20 Wir haben die Variable in unser Modell miteinbezogen, da sie in der existierenden Lite-ratur als relevant bezeichnet wird (Busch 2000; Guzman/Simmons 2002). Die Ergeb-nisse ändern sich nicht, wenn die Variable aus dem Modell ausgeschlossen wird. Anderein der Literatur benützte Definitionen demokratischer Staatenpaare (Dixon 1994; Onealet al. 1996; Barbieri 2002) wurden alternativ ins Modell miteinbezogen – mit dem glei-chen Ergebnis – und werden deshalb hier nicht präsentiert.

21 Die marginalen Effekte in der Tabelle geben an, inwiefern sich die Wahrscheinlichkeiteiner Eskalation verändert, wenn eine unabhängige Variable an ihrem Mittelwert vari-iert. Da Modelle mit binären Variablen nicht-linear sind, sind die marginalen Effekte fürverschiedene Werte der unabhängigen Variablen unterschiedlich groß. Die im Textangegebenen Veränderungen sind ungefähre Werte für die Veränderung der erklärendenVariable um eine Einheit an ihrem Mittelwert, um einen Eindruck für die Größenord-nung des Einflusses der Variable zu vermitteln.

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Aufsätze

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Eskalation von der Panel-/Appellate Body-Ebene zu Compliance-Konflikten

Der untere Teil von Tabelle 4 zeigt den Einfluss der erklärenden Variablen auf dieWahrscheinlichkeit, dass ein Konflikt die höchste Eskalationsstufe (Compliance-Ebene) erreicht, vorausgesetzt, dass der Konflikt auf die zweite Stufe eskaliert ist.Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Erklärungskraft des Modells für den zweitenEskalationsschritt geringer ist als für den ersten.

Die Resultate zeigen, dass sich, wie vorhin schon angesprochen, der Einfluss vonUmwelt- und Verbraucherschutzfaktoren umkehrt, wenn es darum geht, ob Kon-flikte von der zweiten auf die dritte Stufe eskalieren. Im Gegensatz zur Konsultati-onsebene, wo sich UVS-Charakteristika eines Disputs konfliktmindernd auswirken,steigt die Eskalationswahrscheinlichkeit auf der Panel-Ebene, wenn es sich umeinen UVS-Fall handelt. Die geschätzte Wahrscheinlichkeit einer Eskalation, gege-ben, dass der Konflikt die Panel-Ebene erreicht hat, erhöht sich um ca. 13%, wenn essich um einen als UVSe codierten Konflikt handelt. Der Einfluss der UVS-Variablezeigt in dieselbe Richtung, ist aber statistisch nicht signifikant. Diese Ergebnissebestätigen unsere Auffassung, dass konventionelle ordinale Modelle nicht angemes-sen sind, da die Umkehrung des Effekts der UVS-Variablen nicht hätte erkannt wer-den können. Mit Hilfe eines Wald-Tests (Brant 1990), der in diesem Zusammenhangzeigt, dass der Einfluss der UVS-Variablen über beide Eskalationsschritte hinwegnicht identisch ist, kann diese Auffassung formal untermauert werden.

Der Einfluss der Kontrollvariablen zeigt in die gleiche Richtung wie für die erstebis zweite Stufe. Alle Variablen, welche auf der zweiten bis dritten Stufe einen sta-tistisch signifikanten Einfluss aufweisen, mindern die Eskalationswahrscheinlich-keit. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation von der Panel- aufdie Compliance-Ebene abnimmt, je mehr Klägerstaaten in einen Konflikt verwickeltsind, je stärker der klagende Staat ist und wenn beide Staaten Entwicklungsländersind. Wie man anhand der marginalen Effekte sehen kann, ist der Einfluss dieserVariablen weniger stark als auf der vorherigen Stufe. Der Einfluss ist zudem statis-tisch weniger signifikant. Handelsabhängigkeit und Demokratieniveau der Staaten-paare haben keinen Einfluss auf die Eskalationswahrscheinlichkeit.

Das Argument, dass der Effekt der UVS-Variablen bei demokratischen Dyadenstärker ist, kann aufgrund der geringen Varianz in der Demokratievariable nichtdirekt getestet werden. Ein Interaktionsterm zwischen der UVS-Variable und einereinfachen dyadischen Demokratievariable (wir codieren eine demokratische Dyade,wenn der Polity IV-Wert für beide Staaten größer oder gleich 7 ist) weist eineextrem hohe Korrelation mit der UVS-Variablen auf (0.94), da fast alle Dyadendemokratisch sind.22 Um dieses Problem zu umgehen, haben wir die Modelle fürden Teil der Stichprobe geschätzt, welcher aus demokratischen Staatenpaarengemäß der obigen Definition besteht (432 Beobachtungen). Der Einfluss der beiden

22 Daraus ergibt sich das technische Problem, dass der Schätzer von Sartori nicht konver-giert. Analysen mit Probit-Modellen wären möglich, die Ergebnisse aber nicht sehr aus-sagekräftig.

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29ZIB 1/2006

Umwelt- und Verbraucherschutzvariablen ist für diese Teilstichprobe stärker, wennauch nur geringfügig. Für die UVS-Variablen verstärken sich die marginalenEffekte auf –16.5% für den ersten und auf 9.2% für den zweiten Eskalationsschritt.Die marginalen Effekte für die UVSe-Variable betragen –10.4% und 14.2% für denersten und zweiten Eskalationsschritt.

Eine Reihe von Robustheitstests wurde durchgeführt. Tabelle 5 zeigt, dass dieKorrelation unter den unabhängigen Variablen gering ist. Von allen unabhängigenVariablen ist nur zwischen der Anzahl der Klägerstaaten und der relativen wirt-schaftlichen Macht ein bedeutender statistischer Zusammenhang erkennbar. DieserZusammenhang ergibt sich daraus, dass Konflikte mit vielen klagenden Staaten oftgegen die EU oder die USA gerichtet sind. Aufgrund der großen wirtschaftlichenMacht dieser beiden Staaten(gruppen) weisen alle Staatenpaare mit den USA oderder EU als Angeklagte einen niedrigen Wert für die Variable der relativen wirt-schaftlichen Macht auf (die Variable ist definiert als Macht des Klägers relativ zurMacht des Angeklagten). Um zu beurteilen, inwiefern dieser Zusammenhang unsereErgebnisse beeinflusst, haben wir die Stichprobe geteilt und die Modelle ohne dieBeobachtungen mit der EU oder den USA als angeklagter Staat geschätzt. Der Effektder UVS-Variable bleibt gleich, wenn die EU-Beobachtungen ausgeschlossen wer-den, wird aber statistisch insignifikant, wenn die U.S.-Beobachtungen ausgeschlos-sen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anzahl der UVS-Beobachtungenbei diesen Teilungen stark abnimmt, da an vielen dieser Streitfälle die USA, die EUoder beide beteiligt sind. Schließlich wurde die Untersuchung auf diejenigen Kon-flikte begrenzt, welche vor 2003 begonnen haben. Grundsätzlich zeigen die UVS-Faktoren den gleichen Einfluss über beide Eskalationsschritte hinweg wie in denSchätzungen mit allen Beobachtungen. Der Einfluss beim ersten Eskalationsschrittist allerdings für beide Codierungen statistisch insignifikant, jedoch für beide Codie-rungen beim zweiten Eskalationsschritt signifikant. Es muss jedoch darauf hingewie-sen werden, dass bei einem Ausschluss der Beobachtungen für 2003 die Anzahl derUVS (UVSe)-Beobachtungen beim zweiten Eskalationsschritt so klein wird, dassdiese Ergebnisse eher mit Vorsicht zur Kenntnis genommen werden müssen.

Zudem ist es möglich, dass zwischen bestimmten Staatenpaaren handelspolitischeRivalitäten bestehen, welche dazu führen, dass Konflikte zwischen diesen Staatenbesonders oft eskalieren. Eine mögliche solche Rivalität könnte zwischen den USAund der EU vorliegen, welche sich in der Tat auch relativ oft gegenseitig verkla-gen.23 Dabei besteht die Möglichkeit, dass gerade zwischen diesen beiden Akteurenim Bereich der UVS-Regelungen regelmäßig Konflikte entflammen und eskalieren.Um zu untersuchen, inwiefern diese mögliche handelspolitische Rivalität unsereErgebnisse verfälscht, haben wir eine Dummy-Variable eingeführt, welche für trans-atlantische Konflikte den Wert 1 annimmt. Der Koeffizient dieser Variable ist beibeiden Eskalationsschritten statistisch insignifikant. Die Ergebnisse für die rest-lichen Variablen verändern sich nicht.

23 Bei 52 der 506 Staatenpaare in unserem Datensatz handelt es sich um einen Konfliktzwischen den USA und der EU.

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Aufsätze

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Tabelle 5: Korrelation zwischen den unabhängigen Variablen

Schließlich haben wir im Sinne einer spekulativen bzw. vorausschauenden Ana-lyse den Konflikt um die »grüne« Biotechnologie, welcher sich im Dezember 2005noch auf der Panel-Stufe befand und mit recht vielen Dyaden in unserem Datensatzenthalten ist, von der Eskalationsstufe 2 zur Stufe 3 umcodiert. Dies, weil vieleExperten davon ausgehen, dass dieser Disput weiter eskalieren wird. Bei dieserUmcodierung werden die Effekte der UVS-Variablen erwartungsgemäß stärker undstatistisch signifikanter. Somit lässt sich vermuten, dass bei einer Aufdatierungunseres Datensatzes in ein bis zwei Jahren die Effekte der UVS-Variablen wohl eherstärker als schwächer werden.

5. Schluss

Diese Arbeit hat aufgezeigt, dass ceteris paribus und im Widerspruch zu unsererHypothese sowie zu gängigen Annahmen in der Fallstudien-basierten LiteraturUVS-Konflikte weniger häufig von der Konsultations- auf die Panel- oder AppellateBody-Stufe eskalieren als Nicht-UVS-Konflikte. Sie zeigt jedoch auch, dass, im Ein-klang mit der Hypothese, UVS-Konflikte, wenn sie einmal den Eskalationsschrittzum Panel-/Appellate Body durchlaufen haben, häufiger in compliance-Disputenenden. Durch ein verbessertes methodisches Instrumentarium, neue Daten sowie –ausgehend von Guzman und Simmons (2002) – ein weiterentwickeltes theoretischesArgument haben wir somit den Bedarf nach einem stärker ausdifferenzierten theore-tischen Modell nachgewiesen, das die Varianz in der Konfliktträchtigkeit zwischenden einzelnen Eskalationsstufen erklärt.

Die künftige Forschung sollte sich unter anderem mit folgenden Fragen befassen,die im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht und nur sehr begrenzt bearbeitetwurden. Erstens würde eine theoretische Weiterentwicklung der allgemeinen Litera-tur zu Handelskonflikten innerhalb der WTO helfen, die hier vorgestellten empiri-schen Befunde besser zu verstehen. Insbesondere bedarf die Erkenntnis, dass dievon uns eingeführte policy-Variable auf den verschiedenen Eskalationsstufen einengegensätzlichen Einfluss auf die Eskalationswahrscheinlichkeit aufweist, einer wei-teren theoretischen Untersuchung. Die existierenden theoretischen Ansätze impli-

UVS UVSe Handelsabh. Demokratie Entwicklungsl. Klägerstaaten Macht

UVS 1.0000

UVSe 0.8552 1.0000

Handelsabh. -0.0794 -0.1017 1.0000

Demokratie 0.0636 0.0689 0.0951 1.0000

Entwicklungsl. -0.0365 -0.0760 -0.1780 -0.1973 1.0000

Klägerstaaten -0.0349 0.0340 0.1258 -0.0745 -0.2224 1.0000

Macht -0.0358 -0.0928 -0.1969 -0.0224 0.2337 -0.5083 1.0000

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Thomas Bernauer/Thomas Sattler: Sind WTO-Konflikte im Bereich des Umwelt- und Verbraucher-schutzes eskalationsträchtiger als andere WTO-Konflikte?

31ZIB 1/2006

zieren, dass UVS-Konflikte generell eher eskalieren und bieten deshalb keine aus-reichende Erklärung für unsere empirischen Befunde. Zudem zeigt unsere Studie,welche als erste beide Eskalationsschritte im WTO-Streitschlichtungsverfahren inBetracht zieht, dass der Einfluss aller, d. h. auch der länderspezifischen Variablen,über die beiden Eskalationsschritte hinweg unterschiedlich ist. Am deutlichsten lässtsich dies anhand der Handelsabhängigkeit der Klägerstaaten veranschaulichen, wel-che beim zweiten Eskalationsschritt ihren Einfluss verliert. Eine theoretische Ana-lyse, die beide Eskalationsschritte im WTO-Streitschlichtungsverfahren umfasst,könnte diese Ergebnisse besser beleuchten.

Die Entwicklung eines formaltheoretischen Modells, das den Konfliktmechanis-mus innerhalb der WTO modelliert, könnte helfen, unsere empirischen Befundesystematischer zu begreifen. Ein solches Modell wäre nützlich, um konkretereHypothesen bezüglich des Einflusses spezifischerer Variablen abzuleiten als diebestehende Literatur dies zulässt. Zudem würde ein solches Modell explizit die Tat-sache berücksichtigen, dass vorausschauende Staaten bei ihrer Entscheidungsfin-dung auf der ersten Stufe die Eskalationswahrscheinlichkeit auf der zweiten Stufe inBetracht ziehen. So ist wahrscheinlich, dass Staaten eine gewisse »Vorahnung« überdie Konfliktträchtigkeit von UVS-Disputen besitzen und deshalb auf der Konsultati-onsebene bei bestimmten Disputen eine strategisch motivierte Zurückhaltung üben,die aus verschiedenen Gründen (z. B. verstärkte Öffentlichkeit) ab der Panel-/Appellate Body-Stufe schwächer wird. Dieser wichtige Aspekt wird von der Litera-tur, die sich ausschließlich auf den ersten Eskalationsschritt bezieht, per Definitionignoriert. Bestehende spieltheoretische Verhandlungsmodelle in der allgemeinenKonfliktforschung (z. B. von Fearon 1994, 1997; Schultz 1999) könnten dazu alsGrundlage dienen. Analog zu diesen Studien sollte untersucht werden, inwiefernneben den ökonomischen Kosten, welche durch Handelsbarrieren und den darausresultierenden Sanktionsmaßnahmen entstehen, auch politische Kosten das Handelnder Regierung im Laufe des Konflikts beeinflussen. Im Vordergrund stehen dabeiPublikumskosten, welche entstehen, wenn Regierungen im Verlauf eines Konfliktsnachgeben und in der Öffentlichkeit als Verlierer erscheinen.

Zweitens verbleibt ein Selektionseffekt, welcher in dieser Arbeit nicht behobenwerden konnte. Wie Young (2005) für eine Untergruppe von UVS-Konflikten (sogenannte SPS-Konflikte) gezeigt hat, eskalieren nur wenige Dispute dieser Naturüberhaupt bis zur Konsultation (von dort an werden diese Dispute in unserer Ana-lyse erfasst). Es ist auch zu vermuten, dass recht viele Streitigkeiten ganz außerhalbder WTO bearbeitet werden. In der Kriegsursachenforschung wird versucht, solcheSelektionseffekte zu beheben, indem alle existierenden Länderpaare pro Jahr imDatensatz enthalten sind, unabhängig davon, ob diese Länderpaare einen Konfliktausgetragen haben. Ein analoges Vorgehen in unserem Kontext würde erfordern,dass für jedes Länderpaar pro Jahr, d. h. alle WTO-Länderpaare für jede Zeiteinheitseit 1995, die Handelsbeziehungen in Bereiche aufgeteilt und für jeden dieser Berei-che identifiziert wird, ob und mit welcher Intensität ein Konflikt auftrat und ob essich um einen UVS-Konflikt handelte.

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Aufsätze

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Drittens könnte die Variable »Konzessionen«, wie sie in anderen Arbeiten häufigzur Anwendung gelangt, in die Analyse des Eskalationsprozesses eingebracht wer-den. Eine bislang offene Frage ist, ob geringe oder keine Konzessionen eine notwen-dige oder gar hinreichende Bedingung für Eskalation sind. Schließlich wäre esgewinnbringend, wenn weitere policy-Variablen in die Analyse integriert werdenkönnten. Wichtig dabei ist, dass diese Variablen auf einer theoretischen Argumenta-tion beruhen und nicht, wie bislang, als ad hoc Kontrollvariablen dienen, um diedurch ein statistisches Modell erklärte Varianz künstlich zu erhöhen.

6. Anhang

Tabelle 6: Definition der Variablen (siehe außerdem Tab. 1)

Name Beschreibung Quelle

Start Jahr der Anrufung des Streitschlichtungs-verfahrens der WTO.

WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente

Klägerstaat Land, welches das Streitschlichtungs-verfahren in Gang setzte.

WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente

Verklagter Staat

Land, welches angeklagt ist, WTO Vor-schriften zu verletzen.

WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente

DS Nr. Offizielle Nummer, welche einem Streitfall von der WTO zugewiesen wurde.

WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente

Anzahl Anzahl der Klägerstaaten, welche in einen Konflikt involviert sind.

WT/DS/OV/23 (7. April 2005) und andere WTO-Dokumente

PolityK Demokratieniveau des Klägers; der EU wurde der höchste Demokratiewert (10) zugeordnet

Polity IV Projekt (Marshall/Jaggers/Gurr 2002)

PolityV Demokratieniveau des Verklagten; der EU wurde der höchste Demokratiewert (10) zugeordnet

Polity IV Projekt (Marshall/Jaggers/Gurr 2002)

Gdemo Für die Definition des gemeinsamen Demo-kratieniveaus eines Staatenpaares greifen wir auf die Konfliktursachenforschung zu-rück (z. B. Lemke/Reed 2001). Um positive Polity-Werte zu erhalten, werden PolityK und PolityV mit der Zahl 11 addiert. Die neuen Werte für den Kläger und den Ver-klagten werden miteinander multipliziert und danach die Quadratwurzel gezogen. Ein fehlender Polity-Wert für Hong Kong (1996) wurde durch den Wert 10 ersetzt.

S. o.

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33ZIB 1/2006

Name Beschreibung Quelle

ExporteK Exporte vom Kläger zum Verklagten; für die EU wurden die Exporte der EU-Länder aufsummiert.

IMF Directions of Trade Sta-tistics CD Rom

ImporteK Importe des Klägers vom Verklagten; für die EU wurden die Importe in die EU-Län-der aufsummiert.

IMF Directions of Trade Sta-tistics CD Rom

ExporteV Exporte vom Verklagten zum Kläger; für die EU wurden die Exporte der EU-Länder aufsummiert.

IMF Directions of Trade Sta-tistics CD Rom

ImporteV Importe des Verklagten vom Kläger; für die EU wurden die Importe in die EU-Länder aufsummiert.

IMF Directions of Trade Sta-tistics CD Rom

Handelab-hängigkeit

Diese Variable misst, inwiefern der Kläger und der Verklagte gleich/ungleich vom Handel mit dem anderen Staat abhängig sind. Wir benutzen die gerichtete Handels-asymmetrie, definiert als Handelsabhängig-keit des Klägers minus Handelsabhängig-keit des Verklagten. Die Handelsabhängig-keit des Klägers ist definiert als Exporte vom Kläger (ExporteK) plus Importe vom Verklagten (ImporteK) geteilt durch BIP des Klägers (BIPK). Handelsabhängigkeit des Verklagten ist definiert als Exporte vom Verklagten (ExporteV) plus Importe vom Kläger (ImporteV) geteilt durch BIP des Verklagten (BIPV). Für Taiwan waren keine vollständigen Daten zum Außenhan-del verfügbar.

S. o.

BIPK Bruttoinlandsprodukt des Klägers; für die EU wurden die BIPs der EU-Länder auf-summiert.

IMF Directions of Trade Sta-tistics CD Rom

BIPV Bruttoinlandsprodukt des Verklagten; für die EU wurden die BIPs der EU-Länder aufsummiert.

IMF Directions of Trade Sta-tistics CD Rom

RelMacht Relative wirtschaftliche Macht ist definiert als BIPK geteilt durch die Summe von BIPK und BIPV.

S. o.

Entw Ein Staatenpaar wird als Entwicklungslän-der-Dyade klassifiziert, wenn weder Kläger als auch Verklagter OECD Länder sind.

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Aufsätze

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Tabelle 7: UVS-Fälle, UVSe-Fälle und Eskalationsstufen

DS Nr. Start Kläger Verklagter Eskal UVS UVSe

2 1995 Venezuela USA 2 1 1

3 1995 USA Korea 1 1 0

4 1995 Brasilien USA 2 1 1

5 1995 USA Korea 1 1 0

18 1995 Kanada Australien 3 1 1

20 1995 Kanada Korea 1 1 1

21 1995 USA Australien 2 1 1

26 1996 USA EU 3 1 1

39 1996 EU USA 1 1 1

41 1996 USA Korea 1 1 0

48 1996 Kanada EU 3 1 1

58 1996 Indien USA 3 1 1

58 1996 Malaysia USA 3 1 1

58 1996 Pakistan USA 3 1 1

58 1996 Thailand USA 3 1 1

61 1996 Philippinen USA 1 1 1

76 1997 USA Japan 2 1 1

100 1997 EU USA 1 1 1

133 1998 Schweiz Slovak. Rep. 1 1 0

134 1998 Indien EU 1 1 0

135 1998 Kanada EU 2 1 1

137 1998 Kanada EU 1 1 0

144 1998 Kanada USA 1 1 0

149 1998 EU Indien 1 1 0

161 1999 USA Korea 2 1 0

169 1999 Australien Korea 2 1 0

203 2000 USA Mexiko 1 1 0

205 2000 Thailand Ägypten 1 1 1

232 2001 Chile Mexiko 1 1 0

237 2001 Ecuador Türkei 2 1 0

240 2001 Ungarn Rumänien 1 1 0

245 2002 USA Japan 3 1 1

256 2002 Ungarn Türkei 1 1 1

270 2002 EU Australien 1 1 1

270 2002 Philippinen Australien 1 1 1

270 2002 Thailand Australien 2 1 1

271 2002 EU Australien 1 1 1

271 2002 Philippinen Australien 1 1 1

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DS Nr. Start Kläger Verklagter Eskal UVS UVSe

271 2002 Thailand Australien 1 1 1

279 2003 USA Indien 1 1 0

279 2002 EU Indien 1 1 0

284 2003 Nicaragua Mexiko 1 1 0

287 2003 EU Australien 2 1 1

291 2003 Argentinien EU 1 1 1

291 2003 Australien EU 1 1 1

291 2003 Brasilien EU 1 1 1

291 2003 Kanada EU 1 1 1

291 2003 Chile EU 1 1 1

291 2003 Kolumbien EU 1 1 1

291 2003 Indien EU 1 1 1

291 2003 Mexiko EU 1 1 1

291 2003 Neuseeland EU 1 1 1

291 2003 Peru EU 1 1 1

291 2003 USA EU 2 1 1

292 2003 Argentinien EU 1 1 1

292 2003 Australien EU 1 1 1

292 2003 Brasilien EU 1 1 1

292 2003 Kanada EU 2 1 1

292 2003 Indien EU 1 1 1

292 2003 Mexiko EU 1 1 1

292 2003 Neuseeland EU 1 1 1

292 2003 USA EU 1 1 1

293 2003 Argentinien EU 2 1 1

293 2003 Australien EU 1 1 1

293 2003 Brasilien EU 1 1 1

293 2003 Kanada EU 1 1 1

293 2003 Indien EU 1 1 1

293 2003 Mexiko EU 1 1 1

293 2003 Neuseeland EU 1 1 1

293 2003 USA EU 1 1 1

297 2003 Ungarn Kroatien 1 1 1

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39Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 39-74

Helmut Breitmeier

Die Output-orientierte Legitimität des globalen RegierensEmpirische Befunde aus der quantitativen Erforschung internationaler Umweltregime

In dem hier entwickelten Konzept Output-orientierter Legitimität werden spezifischeLeistungserwartungen an internationale Institutionen gerichtet. Demnach ergibtsich Folgebereitschaft für die Politiken internationaler Regime unter anderem dann,wenn durch diese das Konsens-Wissen im Problemfeld erweitert wird, die Einhal-tung von Normen und Regeln befördert wird, ein Beitrag zur Problemlösung erfolgtund die Kosten-Nutzen-Verteilung angemessen ist. Für die empirische Messung desBeitrags von Regimen zur Verwirklichung dieser Anforderungen werden Befundeaus der Regimedatenbank herangezogen, in der Daten über 23 internationaleUmweltregime enthalten sind. Sie eröffnet die Möglichkeit, die von verschiedenenErklärungsansätzen entwickelten Hypothesen zur Entstehung und Wirkung voninternationalen Regimen zu überprüfen. Die historisch-vergleichende Erforschungder Wirkungen, die in den 23 Problemfeldern eingetreten sind, und die kausale Ana-lyse des Einflusses von Regimefaktoren veranschaulichen, dass internationale Insti-tutionen tatsächlich einen eigenständigen Beitrag zur effektiven Bearbeitungkomplexer Probleme in der Weltpolitik leisten können.

1. Einleitung1

Wie kann soziale Ordnung jenseits des Nationalstaats unter den Bedingungen tiefgreifenden Wandels in der Weltpolitik entstehen und weiterentwickelt werden? DerBegriff der »sozialen Ordnung« bezieht sich nicht nur auf die Regelmäßigkeit, Bere-chenbarkeit und Stabilität von Verhaltensmustern, sondern auch auf die Qualitäteiner politischen Ordnung (vgl. Bull 1977: 4). Soziale Ordnung ist nur wünschens-wert, wenn die mit ihr verbundenen Ziele und die zur Entscheidungsfindung verwen-deten Verfahren mit den Maßstäben moderner sozialer Vernunft vereinbar sind. Diesgilt für politische Ordnungen innerhalb wie jenseits des Nationalstaats. Modernesoziale Ordnungen sind auf Institutionen gegründet, durch welche modernes Regie-

1 Der Aufbau der Regimedatenbank, welche die empirische Basis des Artikels bildet,wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der U.S. National ScienceFoundation (NSF) und dem German American Academic Council (GAAC) gefördert.Das Projekt profitierte ganz wesentlich von der sehr engagierten Mitarbeit meiner beidenKollegen Oran R. Young und Michael Zürn, bei denen ich mich für die erhaltene Unter-stützung bedanke. Mein besonderer Dank gilt Klaus Dieter Wolf und den Teilnehmerndes Darmstädter IB-Kolloquiums für konstruktive Kommentare und hilfreiche Diskus-sionen zum Projekt. Den anonymen GutachterInnen der ZIB und der ZIB-Redaktiondanke ich für Überarbeitungsvorschläge zum Manuskript. Die mit dem Aufbau derDatenbank befasste Forschergruppe ist den an der Codierung von Regimen beteiligtenFallstudienexperten zu großem Dank verpflichtet.

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ren seine Ziele erreicht.2 Die Entstehung und der Wandel von internationalen Institu-tionen wurde bisher mit den Variablen der »Macht«, des »Interesses« oder des »Wis-sens« erklärt (Hasenclever et al. 1997). Demgegenüber bildet im demokratischverfassten Nationalstaat die »Legitimität« den Grundpfeiler sozialer Ordnung.Warum beruhte soziale Ordnung jenseits des Nationalstaats lange auf anderen Säu-len als die moderne innerstaatliche (demokratische) Ordnung? Bewirkt die Transfor-mation der Weltpolitik auch ein neues Mischungsverhältnis jener Variablen, die fürdie Herstellung sozialer Ordnung in der Weltgesellschaft maßgeblich sind? DieRegimeforschung war ursprünglich von der Auffassung geprägt, dass Regime aus-schließlich als Instrumente bzw. intervenierende Variablen zur Übersetzung nationa-ler Macht und Interessen in der Weltpolitik angesehen werden können. Diese aufdem Staatenweltmodell basierende Vorstellung erkannte Regimen keinen autono-men Einfluss auf die Interessen des Nationalstaats zu. Sie betrachtete Verhaltensän-derungen und Politikergebnisse jenseits des Nationalstaats als Folge der von interna-tionalen Institutionen bereitgestellten Funktionen zur Überwindung problematischersozialer Situationen bzw. der sich in Regimen widerspiegelnden internationalenMachtverteilung.3

Internationale Institutionen können aber nicht mehr ausschließlich nur als interve-nierende Variablen angesehen werden. Stattdessen hat die governance-Forschungdiese vermehrt auch als unabhängige Variablen betrachtet. Demnach gehen voninternationalen Institutionen teilweise eigenständige Wirkungen aus.4 Von der For-schung sind auch problematische Wirkungen internationaler Institutionen themati-siert worden. Die Zunahme internationalen Rechts hat die Fähigkeit demokratischerInstitutionen zur Selbstregierung beschränkt und zu einer partiellen Entparlamenta-risierung politischer Entscheidungsfindung geführt (vgl. Wolf 2000; Breitmeier2004). Internationale Institutionen befördern auch die Herausbildung intergouverne-mentaler und transnationaler Eliten, denen als Folge ihrer Einbindung in das globaleRegieren politische Definitionsmacht und privilegierter Zugang zur politischen Ent-scheidungsfindung jenseits des Nationalstaats zuwachsen. Die Globalisierungskritikhat den Blick für die teilweise asymmetrischen Verteilungsleistungen geöffnet (z. B.zwischen Nord und Süd), die durch internationale Institutionen entstehen können.Regime stellen auch eine Zielscheibe des weltpolitischen Wandels dar. Sie sind den

2 Zürn (1998); siehe hierzu auch James Rosenau, welcher das globale Regieren verstehtals »spheres of authority at all levels of human activity – from the household to thedemanding public to the international organization – that amount to systems of rule inwhich goals are pursued through the exercise of control« (Rosenau 1997: 145).

3 Zum instrumentellen Charakter von internationalen Regimen bzw. zu deren Eigenschaftals intervenierender Variable siehe Krasner (1983: 5-10); zur neueren Diskussion überRegime als intervenierende und unabhängige Variablen vgl. Young (2002a).

4 Auf solche Wirkungen wird zum Beispiel von kognitiven Ansätzen hingewiesen, die denreflexiven Charakter von internationalen Institutionen betonen; siehe hierzu u. a. Keo-hane (1988) und E. Haas (1990). Die sozialkonstruktivistische Forschung hat auf dieWechselwirkungen zwischen nationalen Präferenzen bzw. dem Verhalten von Regierun-gen einerseits und internationalen Normen bzw. den als Träger und Anwälten von Nor-men in der transnationalen Öffentlichkeit agierenden NGOs andererseits verwiesen; vgl.u. a. Risse (2003), Risse et al. (1999).

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Ansprüchen nicht-staatlicher Akteure und ökonomischer Interessengruppen ausge-setzt, eine bessere Beteiligung dieser Akteure bei der Entscheidungsfindung undImplementierung internationaler Politikprogramme zu ermöglichen.

Je mehr das internationale Regieren auf das soziale Leben innerhalb des Staateseinwirkt, desto mehr kann die Folgebereitschaft von Staaten, transnationalen Akteu-ren und Individuen für die Politiken internationaler Institutionen nur durch die Ver-wirklichung von Legitimitätsgründen bewerkstelligt werden, die sich aus sozialerVernunft ableiten.5 Ein solches Verständnis von Legitimität grenzt sich von Legiti-mitätskonzeptionen ab, die den Legitimitätsglauben als alleinigen Hauptfaktor fürFolgebereitschaft ansehen. Das von Max Weber vertretene Konzept des Legitimi-tätsglaubens ist zu Recht vielfach kritisiert worden, weil es den Glauben an dieLegitimität politischer Ordnung von einer Bewertung darüber abtrennt, ob dieseauch den an sie heranzutragenden moralischen Ansprüchen genügt (vgl. Beetham1991: 8-15; Habermas 1992: 541-563; Sternberger 1967). Ein sich auf den Legitimi-tätsglauben stützendes Verständnis von Legitimität begründet Folgebereitschaftauch für autoritäre Herrschaft, sofern diese von einer Mehrheit als legitim erachtetwird. Demgegenüber sind die für eine moderne Legitimitätskonzeption konstituti-ven Legitimitätsgründe an die moralischen Errungenschaften der Aufklärung undder modernen Demokratie geknüpft. Daher wird im Folgenden von der Prämisseausgegangen, dass internationale Regime nur dann zur Herstellung sozialer Ord-nung beitragen können, wenn die sich in Regimen vollziehenden politischen Pro-zesse und die zur Ausführung gebrachten Politiken eine Reihe von Legitimitätsgrün-den erfüllen, aus denen sich die Folgebereitschaft verschiedener Akteure in derWeltgesellschaft ergibt.

Woher können Legitimitätsgründe für eine auf Institutionen basierende globaleOrdnung gewonnen werden? Die von der Forschung unternommene Unterscheidungzwischen Input- und Output-orientierter Legitimität trägt der Tatsache Rechnung,dass sich Folgebereitschaft für kollektiv bindende Entscheidungen aus den für dieEntscheidungsfindung verwendeten Verfahren zur demokratischen Willensbildungergibt (»government by the people«) und von der Fähigkeit zur Lösung von Proble-men abhängt (»government for the people«), »die kollektiver Lösungen bedürfen,weil sie weder durch individuelles Handeln noch durch den Markt und auch nichtdurch freiwillig-gemeinsames Handeln in der Zivilgesellschaft gelöst werden könn-ten« (Scharpf 1999: 20). Von der Effektivitätsforschung sind genauso Maßstäbe fürdie Bewertung der Leistungsfähigkeit internationaler Institutionen (Output-orien-tierte Legitimität) entwickelt worden wie von normativen Theorien, welche dieVerwirklichung von transnationaler Demokratie (Input-orientierte Legitimität) alsnotwendige Bedingung für die Entwicklung sozialer Ordnung jenseits des National-staats ansehen.6 In modernen sozialen Ordnungen sind beide Dimensionen von

5 Eine instruktive Begründung für die Bedeutung von Legitimität in der internationalenPolitik findet sich bei Hurd (1999).

6 Zu demokratietheoretischen Entwürfen für eine Demokratisierung des Regierens jenseitsdes Nationalstaats siehe u. a. Bohmann (1999), Held (1995), Höffe (1997), Schmalz-Bruns (1999) und Wolf (2000).

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Legitimität eng miteinander verknüpft. In der im Folgenden entwickelten Legitimi-tätskonzeption dominieren Output-orientierte Legitimitätsgründe, die Erwartungenin Bezug auf die Leistungsfähigkeit internationaler Institutionen formulieren.7 Mitder zunehmenden Bedeutung von »Legitimität« kündigt sich zwar keine vollständigneuartige Form der Herstellung sozialer Ordnung in der Weltpolitik an; doch sieimpliziert eine graduelle Umformung einer bisher primär auf die Verwirklichungvon staatlicher »Macht« und staatlichen »Interessen« abzielenden Ordnung in derWeltpolitik, deren Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung immer mehr von Out-put- und Input-orientierter Legitimität abhängt. Das im Folgenden vorgestellte Legi-timitätskonzept berücksichtigt, dass internationale Institutionen ganz wesentlich zurVerwirklichung der kollektiven »Interessen« von verschiedenen Akteurstypen –nicht nur der Staaten – in der Weltgesellschaft dienen. Diese Legitimitätsgründe bil-den einen Maßstab für die Folgebereitschaft von Staaten, nationalen Gesellschaftenund transnationalen Akteuren. Der Schwerpunkt der empirischen Analyse liegt imFolgenden zwar ausschließlich auf der Output-orientierten Legitimität; dies bedeutetaber nicht, dass der Input-orientierten Dimension in einem umfassenden Legitimi-tätskonzept ein geringerer Stellenwert einzuräumen wäre. Mit der Entgrenzung desRegierens ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit einer Demokratisierung interna-tionaler Institutionen, weil die politische Entscheidungsfindung ansonsten vom Wil-len der vom internationalen Regieren betroffenen Gruppen und Individuen abgekop-pelt wird. Die Komplexität der im grenzüberschreitenden Regieren bearbeitetenProbleme und die begrenzten Steuerungskapazitäten des modernen Staates machenauch die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure in das Regieren erforderlich. Des-halb ist aus einer demokratietheoretischen Perspektive die Entwicklung von Beteili-gungsrechten erforderlich, durch welche die Partizipation der globalen Zivilgesell-schaft institutionalisiert wird.

Die Entscheidung, das Erkenntnisinteresse auf eine Output-orientierte Legitimi-tätskonzeption zu richten, hat forschungspraktische Gründe. Neben der Ableitungvon Legitimitätsgründen aus der institutionentheoretischen Literatur wird auch derVersuch unternommen, die Leistungsfähigkeit internationaler Regime mithilfe vonDaten zu messen, die in einer Datenbank über internationale Umweltregime enthal-ten sind.8 Im Folgenden werden die Legitimitätsgründe so operationalisiert, dassempirisch-quantitative Befunde zur Beantwortung verschiedener Fragen gewonnenwerden können: Welchen Beitrag leisten internationale Institutionen zur effektivenBearbeitung grenzüberschreitender Probleme? Welche kausale Bedeutung habeninternationale Regime für die Erzeugung spezifischer Wirkungen in Problemfel-dern? Für die empirische Messung werden Daten aus der Regimedatenbank heran-gezogen. Diese enthält Daten über 23 internationale Umweltregime. An der Codie-rung von Regimefallstudien waren 46 Experten aus 13 Ländern beteiligt. In Kapitel2 erfolgt zunächst eine Beschäftigung mit konzeptionellen und forschungsprakti-

7 Vgl. hierzu u. a. Haas et al. (1993); Young (1999); Miles et al. (2002). 8 Zu den in der Regimedatenbank enthaltenen Befunden vgl. u. a. Breitmeier et al. (2006)

und Breitmeier (2006a). Die Regimedatenbank ist auf einer CD erhältlich, die der Mono-graphie von Breitmeier et al. (2006) beigefügt ist.

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schen Fragen, die sich beim Aufbau einer Datenbank über internationale Regimeergeben. In den folgenden Kapiteln 3 bis 6 werden die oben beschriebenen Legitimi-tätsgründe aus der Institutionentheorie abgeleitet und für die empirische Messungoperationalisiert. Aus dem Blickwinkel der Output-orientierten Legitimität ergibtsich Folgebereitschaft für die Politiken von internationalen Regimen dann, wenndiese i) unser Wissen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen eines grenzüberschrei-tenden Problems und über mögliche Politikoptionen zur Problembearbeitung ver-bessern, ii) die Einhaltung der Regimenormen im Problemfeld befördern, iii) denZustand in einem Problemfeld verbessern und iv) einen Beitrag dazu leisten, dassdie aus den Regimepolitiken resultierende Kosten-Nutzen-Verteilung für betroffenesoziale Akteure und Staaten akzeptabel erscheint. Manche dieser Legitimitätsgründesind kausal eng miteinander verknüpft.9 An das globale Regieren können auch wei-tere Legitimitätsgründe herangetragen werden, die über das hier vorgestellte Legi-timitätskonzept hinausgehen. Die im Folgenden verwendete Legitimitätskonzeptionist zwangsläufig begrenzt, weil weitere Output-orientierte Legitimitätsgründe vor-stellbar sind und weil die Input-orientierte Legitimität aus forschungspraktischenGründen ausgeblendet bleibt. Die aus der Regimedatenbank gewonnenen empirisch-quantitativen Befunde informieren darüber, in welchem Maße internationaleUmweltregime Output-orientierte Leistungserwartungen erfüllen. Mit der Auswer-tung der Regimedatenbank wird zur Beantwortung der Frage beigetragen, ob – undunter welchen Bedingungen – internationale Institutionen einen eigenständigen Bei-trag für kollektive Problemlösungen in der Weltpolitik leisten.10 Im Folgenden müs-sen bei der Analyse und Interpretation der Daten gelegentlich auch Begrenzungen inKauf genommen werden, denn eine umfassendere konzeptionelle, methodische undinhaltliche Diskussion würde den Rahmen eines Zeitschriftenartikels sprengen underfolgt in anderen Publikationen des deutsch-amerikanischen Forscherteams.

2. Datenprotokoll, Falldesign, Codierprozess

Die Regimeforschung war lange mit der Anfertigung von Einzelfallstudien befasst.11

Die Befunde dieser Studien waren nur in eingeschränktem Maße vergleichbar. EinGrund dafür war, dass in den Fallstudien unterschiedliche abhängige und unabhän-

9 Die kognitive Regimeforschung hat zum Beispiel den Beitrag von internationalen Insti-tutionen zur Entwicklung des Konsens-Wissens erforscht. Das Konsens-Wissen kannauch in Politiken einfließen, die den Zustand eines Umweltproblems verbessern sollen.

10 Die Debatte über den Beitrag internationaler Institutionen zur Verwirklichung kollekti-ver Ziele und zur Problemlösung ist in der Regimeforschung vor allem zwischen einzel-nen Vertretern des Neorealismus und dem Neoinstitutionalismus immer wieder heftiggeführt worden. Zu den Positionen und den Argumenten einzelner Vertreter dieser theo-retischen Ansätze siehe u. a. Strange (1983), Mearsheimer (1994/95), Keohane/Martin(1995) und Ruggie (1995).

11 Einzelne Regimeprojekte verfolgten auch das Ziel einer vergleichenden Auswertung derangefertigten Einzelfallstudien. Doch die Zahl der für den Vergleich zur Verfügung ste-henden Fallstudien war begrenzt. Siehe Efinger et al. (1993), Young/Osherenko (1993)und Miles et al. (2002).

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gige Variablen verwendet wurden. Die Fallstudien unterschieden sich oftmals auchdarin, wie einzelne Variablen operationalisiert wurden. Mit der Bereitstellung einerRegimedatenbank wird die Möglichkeit geschaffen, die von verschiedenen Erklä-rungsansätzen entwickelten Hypothesen zur Entstehung und Wirkung von interna-tionalen Regimen zu überprüfen. Die Entwicklung eines Datenprotokolls, welchesfür die Codierung der Regimefallstudien verwendet werden konnte, bildete den ers-ten Schritt auf dem Weg zum Aufbau der Regimedatenbank (Breitmeier et al. 1996).Das Datenprotokoll entstand nach einer umfangreichen Sichtung jener Variablen,die von der Regimeforschung für die Erklärung der Entstehung und Wirkungen voninternationalen Institutionen entwickelt wurden.12 Das Datenprotokoll besteht ausvier Kapiteln, in denen Variablen zur Entstehung, dem rechtlich-organisatorischenRahmen von Institutionen, den Regimewirkungen und den im Kontext von Regimenzu beobachtenden Dynamiken enthalten sind. Im Kapitel über Regimewirkungensind Variablen enthalten, die zur Messung des Grads der Erfüllung Output-orientier-ter Legitimitätsgründe herangezogen werden können. Die in der Regimedatenbankvorgenommene Fokussierung auf Variablen zur Messung der Output-orientiertenLegitimität ergab sich aus der von der Effektivitätsforschung formulierten Erwar-tung, eine Datenbank könne darüber Aufklärung verschaffen, welchen kausalen Bei-trag Regime zur Überwindung kooperationsfeindlicher sozialer Situationen und zureffektiven Problembearbeitung in der Weltpolitik leisten.13

Um diese relativ komplexen kausal-analytischen Fragen durch ein quantitativesProjekt beantworten zu können, war es erforderlich, die Messung empirischer Wir-kungen (z. B. die Einhaltung von Normen und Regeln, den Zustand eines Problems,den Umfang des Konsens-Wissens) von der Messung jener Faktoren zu trennen, dieeinen kausalen Einfluss auf die im Problemfeld beobachteten Wirkungen habenkönnen (z. B. institutionelle Mechanismen eines Regimes, exogene Faktoren). Fürdie Messung der einzelnen Wirkungen im Problemfeld wurden Ordinalskalen ver-wendet. Das compliance-Verhalten von Staaten wurde zum Beispiel auf einer fünf-stufigen-Skala gemessen. Zwischen dem oberen Wert (1 = Verhalten übertrifftAnforderungen des Regimes) und dem unteren Wert (5 = Überhaupt keine Einhal-tung) dieser Skala befanden sich weitere abgestufte Formen von Einhaltung undNicht-Einhaltung. Auf einer zusätzlichen vierstufigen-Skala wurde der kausale Bei-trag eines Regimes an dem gemessenen compliance-Verhalten bestimmt (vgl.Tab. 7). Bei der Bestimmung dieser kausalen Rolle mussten von den codierendenFallstudienexperten kontrafaktische Erwägungen angestellt und andere kausal-ana-lytische Probleme abgearbeitet werden. Es musste zum Beispiel abgeschätzt wer-den, welche Entwicklungen in einem Problemfeld eingetreten wären, wenn es keine

12 Zur Übersicht über die in der Regimeforschung verwendeten Variablen für die Erklä-rung der Entstehung und Wirkungen von Regimen siehe u. a. Levy et al. (1995) undHasenclever et al. (1997).

13 Siehe hierzu die forschungsprogrammatischen Überlegungen von Peter Mayer, VolkerRittberger und Michael Zürn, die schon Anfang der 90er Jahre feststellten, dass »furtheradvances in empirically based and theoretically oriented research would considerablybenefit from a data base built up by interested researchers following widely agreed-uponguidelines« (Mayer et al. 1993: 429, Hervorh. dort).

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internationale Institution zur Problembearbeitung bzw., in Bezug auf das compli-ance-Verhalten, keine institutionell verankerten compliance-Mechanismen gegebenhätte. Darüber hinaus musste geprüft werden, ob beobachtete Wirkungen hauptsäch-lich durch kollektives Handeln in einer internationalen Institution verursacht wurdenbzw. wie bedeutsam außerhalb von internationalen Regimen angesiedelte Faktoren(z. B. technologischer Wandel) für solche Wirkungen waren. In der Regimedaten-bank sind weitere Daten enthalten, mit welchen der institutionelle Einfluss auf Wir-kungen im Problemfeld näher bestimmt werden kann – etwa Daten, welche über dieprogrammatischen Aktivitäten Aufschluss verschaffen, die in Regimen zur Herstel-lung des Konsens-Wissens oder zum Management bzw. zur Durchsetzung von com-pliance beitragen.

Für die Regimedatenbank wurden nur solche Fälle ausgewählt, für deren Codie-rung kompetente Fallstudienexperten zur Verfügung standen. Für jedes dieserRegime sollten zwei Codierungen von verschiedenen Fallstudienexperten angefer-tigt werden, um später die intercoder-reliability der Daten überprüfen zu können.Damit wird die Wahrscheinlichkeit vermindert, dass die Codierung eines Regimesausschließlich von der möglicherweise extremen Einschätzung eines einzelnen Fall-studienexperten bestimmt wird. Für 21 der 23 in der Datenbank enthaltenen Regimekonnte ein doppelter Datensatz erstellt werden. Neben Politik- und Rechtswissen-schaftlern beteiligten sich auch leitende Angehörige nationaler Behörden, internatio-naler Organisationen, von Regimesekretariaten und von Nichtregierungsorganisa-tionen an der Codierung von Regimefallstudien.14 Fallstudienexperten konnten beifehlendem Detailwissen die Codierung einzelner Variablen umgehen. Dies führteallerdings auch dazu, dass sich die Anzahl der doppelten Datensätze für mancheVariablen verminderte.

Mithilfe von spezifischen Kriterien wurden Falldesigns entwickelt, um Regime inweniger komplexe Analyseeinheiten für die Codierung zu unterteilen (siehe Tab. 1).Regime wurden für die Codierung in Regimekomponenten zerlegt. Diese Regime-komponenten basieren auf den wichtigsten rechtlichen Regelungen (z. B. Konventi-onen, Protokolle, Amendments, Annexe oder soft law-Regelungen) im Problemfeld.Eine Unterscheidung von Regimekomponenten wurde dann vorgenommen, wennumfassende rechtliche Regelungen für die Bearbeitung bestimmter Teilproblemeoder verschiedener Ursachen eines Problems vorgesehen waren, wenn Regimeunterschiedliche Regelungsziele beinhalteten oder wenn einzelne rechtliche Kom-ponenten den Schwerpunkt auf die Ausführung spezifischer Regimefunktionen leg-ten (z. B. die Einhaltung von Regimeregeln, Finanz- oder Technologietransfer). DieRegimekomponenten wurden in separate Zeitphasen unterteilt. Damit wurde dieMöglichkeit geschaffen, die sich auf der Zeitachse vollziehenden Veränderungen ineinem Regime (z. B. beim compliance-Verhalten oder bezüglich des Zustands einesUmweltproblems) im Datensatz abzubilden. Verschiedene Zeitphasen wurden dann

14 Drei Codierungen stammen jeweils von aus zwei Experten zusammengesetzten Teams,eine Codierung wurde von verschiedenen Mitgliedern eines Regimesekretariats vorge-nommen.

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Tabelle 1: Datenbank über internationale Umweltregime – Regimeelemente

Regime Regimeelemente (bestehend aus Komponenten und Zeit-phasen)

Antarctic Regime 1959-1998 Antarctic Treaty (1959-1980) (1980s) (1989/91-1998) • Con-servation of Flora and Fauna (1964-1980) (1980s) (1989/91-1998) • Conservation of Seals (1972-1980) (1980s) (1989/91-1998) • CCAMLR (1980s) (1989/91-1998) • Protocol on Environmental Protection (1989/91-1998)

Baltic Sea Regime 1974-1998 Principles of Co-operation (1974-1992) (1992-1998) • En-vironment Protection Principles (1974-1992) (1992-1998) • Regulations for all Sources of Marine Pollution (1974-1992) (1992-1998) • Nature Conservation (1992-1998)

Barents Sea Fisheries Regime 1975-1998

Norwegian-Russian Cooperation on Fisheries in the Barents Sea Region (1975-1998)

Biodiversity Regime 1992-1998 Convention on Biological Diversity (1992-1998)

CITES-Regime (Trade in Endangered Species) 1973-1998

CITES-Convention (1973-1989) (1989-1998) • TRAFFIC-Network on Monitoring and Compliance (1978-1989) (1989-1998)

Climate Change Regime 1992-1998

United Nations Framework Convention on Climate Change [UNFCCC] (1992-1997) (1997-1998) • UNFCCC Financial Mechanism (1992-1997) (1997-1998) • Kyoto-Protocol (1997-1998)

Danube River Protection Regime 1985-1998

Danube River Protection (1985-1991) (1991-1994) (1994-1998)

Desertification Regime 1994-1998

United Nations Convention to Combat Desertification [UNCCD] (1994-1998)

Great Lakes Management Regime 1972-1998

Great Lakes Water Quality (1972-1978) (1978-1998) • Great Lakes Water Quantity (1972-178) (1978-1998) • Great Lakes Ecosystem Management (1978-1998)

Hazardous Waste Regime 1989-1998

Basel Convention (1989-1995) (1995-1998) • Amendment to the Basel Convention (1995-1998) • OECD/EU/Lome IV-Regulations (1989-1995) (1995-1998) • Bamako Con-vention (1991-1995) • Bamako/Waigani Conventions (1995-1998)

IATTC Regime (Interameri-can Tropical Tuna Conven-tion) 1949-1998

Conservation and Management of Tunas and Tuna-Like Fis-hes (1949-1976) (1976-1998) • Conservation and Manage-ment of Dolphins (1976-1998)

ICCAT Regime (Conservation of Atlantic Tunas) 1966-1998

ICCAT-Convention (1966-1998)

Regime for the International Regulation of Whaling 1948-1998

Whaling Regime (1946-1982) (1982-1998)

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unterschieden, wenn so genannte Wasserscheiden (bzw. zeitliche Wendepunkte)vorhanden waren, durch welche in einem Problemfeld bedeutende Veränderungeneingeleitet wurden. Solche zeitlichen Wasserscheiden ergaben sich dann, wenn weitreichende Veränderungen in den Prinzipien und Normen eines Regimes zu verzeich-nen waren (z. B. die Aufnahme des Umweltschutzprinzips in das bis dahin vom Res-sourcenmanagement bestimmte antarktische Vertragssystem in den Jahren zwischen1989 und 1991), wenn sich die Mitgliedschaft eines Regimes grundlegend verän-derte (z. B. der Beitritt von Indien und China zum Ozonregime 1990) oder wenn sicheine bedeutsame Ausweitung und Vertiefung von Regimeregeln vollzog (z. B. dieAblösung der alten Konvention zum Schutz der Ostsee durch eine neue Konventionim Jahr 1992).

Regime Regimeelemente (bestehend aus Komponenten und Zeit-phasen)

London Convention Regime 1972-1998

Wastes and Substances the Dumping of which is Prohibited (1972-1991) (1991-1998) • Wastes and Substances which, in Principle, may be Dumped (1972-1991) (1991-1998) • Regulation of Incineration at Sea (1978-1991) (1991-1998)

ECE-Regime on Long-Range Transboundary Air Pollution (LRTAP) 1979-1998

LRTAP-Convention (1979-1982) (1982-1998) • First Sulp-hur Protocol (1985-1998) • Nox-Protocol (1988-1998) • VOCs-Protocol (1991-1998) • Second Sulphur-Protocol (1994-1998)

North Sea Regime 1972/74-1998

OSCOM/PARCOM (1972/74-1984) • OSCOM/PARCOM/OSPAR (1984/92-1998) • North Sea Conferences (1984-1998)

Oil Pollution Regime 1954-1998

Oilpol (1954-1978) • MARPOL (1973/78-1998) • Regional Memoranda of Understanding (1982-1998)

Regime for Protection of the Rhine Against Pollution 1963-1998

Berne Convention (1963-1998) • Chloride Pollution Con-vention (1976-1998) • Chemical Pollution Convention (1976-1998)

Ramsar Regime on Wetlands 1971-1998

Ramsar Convention (1971-1987) (1987-1998)

Regime for Protection of the Black Sea 1992-1998

Bucharest Convention and Protocols (1992-1998) • Black Sea Strategic Action Plan (1996-1998)

South Pacific Fisheries Forum Agency Regime 1979-1998

General Management of Fisheries (1979-1982) (1982-1995/97) (1995/97-1998) • Compliance of Fisheries Management (1979-1982) (1982-1995/97) (1995/97-1998)

Stratospheric Ozone Regime 1985-1998

Vienna Convention (1985-1990) (1990-1998) • Montreal Protocol (1987-1990) 1990-1998) • London Amendment (1990-1998) • Copenhagen Amendment (1992-1998) • Multilateral Fund (1990-1998)

Tropical Timber Trade Re-gime 1983-1998

International Tropical Timber Agreement (1983-1998)

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Nur in sieben der 23 Regime gab es keine solchen Wasserscheiden. In 13 Regi-men wurde jeweils ein solcher zeitlicher Wendepunkt identifiziert. In drei Regimenwurden jeweils zwei Wasserscheiden ausgemacht. 14 dieser 23 Regime sind schonvor mehr als zwei Jahrzehnten entstanden. Jedes dieser Regime hat seinen Ursprungzu einem anderen Zeitpunkt. Durch die Festlegung, dass das Jahr 1998 den gemein-samen Endpunkt für die Codierung des Zeitraums einer Regimefallstudie bildensollte, wurde ein Datensatz geschaffen, der Aufschluss über die in Regimen ablau-fenden politischen Prozesse und über Regimewirkungen bis zum Ende des 20. Jahr-hunderts verschafft. Das so genannte Regimeelement, das die Zeitphase einerRegimekomponente bildet, stellte auf der Ebene eines Regimes die kleinste Ana-lyseeinheit für die Codierung dar.15 Die im Datenprotokoll enthaltenen Variablenwurden für jede der einzelnen Regimeelemente codiert. Die 23 Regime wurden ininsgesamt 92 Regimeelemente unterteilt. Wären alle der 23 Regime von zwei Fall-studienexperten codiert worden, so wären Daten für insgesamt 184 Regimeelementein der Regimedatenbank enthalten. Weil aber für die beiden Regime über weiträu-mige grenzüberschreitende Luftverschmutzung in Europa und für das Fischereima-nagement im Südpazifik jeweils nur eine Codierung vorhanden ist, sind für dieDatenbank insgesamt 172 Regimeelemente codiert worden.

3. Regime und Konsens-Wissen

Der Beitrag von Regimen zur Verbesserung des Konsens-Wissens über grenzüber-schreitende Probleme stellt einen der Legitimitätsgründe dar, deren Erfüllungsgradim Folgenden unter Verwendung von Daten aus der Regimedatenbank empirischuntersucht wird. Dieser Bestandteil einer Output-orientierten Legitimitätskonzeptionlässt sich aus funktionalen und kognitiven Ansätzen der Regimetheorie ableiten.Diese Ansätze haben argumentiert, dass Regime Mechanismen zur Verminderungvon Unsicherheiten (z. B. in Bezug auf das Wissen über Ursachen und Wirkungeneines Problems oder über das compliance-Verhalten) bereitstellen, die durch unkoor-diniertes autonomes Handeln von Staaten nicht oder nur eingeschränkt verfügbarwären. Kognitive Ansätze betonen, dass internationale Institutionen und die darinmitwirkenden Netzwerke von Wissenschaftlern die Qualität des Konsens-Wissensverbessern und das soziale Lernen über die Ursachen und Wirkungen eines Problemsbefördern können (E. Haas 1990, P. Haas 1992).16 Mit Blick auf die Analyse lokalerund globaler Probleme ist darauf verwiesen worden, dass die Fähigkeit von Institu-tionen zur Problembearbeitung wesentlich vom institutionellen Design abhängt und

15 Innerhalb eines Regimeelements wurden zum Teil auch Daten über das Verhalten ein-zelner Staaten (z. B. über das compliance-Verhalten) gewonnen, sodass unterhalb derAnalyseebene eines Regimes eine noch kleinere Analyseeinheit besteht.

16 Für das soziale Lernen sind neben den epistemischen Netzwerken auch andere Ein-flussfaktoren (z. B. Nichtregierungsakteure, politische Parteien) ausschlaggebend. Siesorgen dafür, dass das Konsens-Wissen in die Öffentlichkeit transportiert und als bedeut-sam anerkannt wird (siehe hierzu The Social Learning Group 2001a, 2001b).

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Helmut Breitmeier: Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

49ZIB 1/2006

dass die Verfügbarkeit von institutionellen Mechanismen zur Wissensgenerierungbzw. zur Überwachung und Verifikation des Verhaltens von Mitgliedern eine wich-tige Bedingung für effektive Problembearbeitung darstellt (Ostrom 1990; Young2002b). Solche Mechanismen kommen in den programmatischen Aktivitäten vonRegimen zum Ausdruck, die – was die Verbesserung des Konsens-Wissens angeht –z. B. das Umwelt-monitoring und die gemeinsamen Forschungsaktivitäten intensi-vieren oder den Informationsaustausch über nationale Politiken verbessern und mög-liche Schwierigkeiten bei der Politikimplementation identifizieren und verringern(Victor et al. 1998). Demnach vermindern diese Mechanismen die Transaktionskos-ten, steigern das Bewusstsein für grenzüberschreitende Probleme, befördern die Ent-wicklung neuer Politiken zur Problembearbeitung und verbessern in einzelnen Län-dern die Kapazitäten für eine verbesserte Problemerkennung und -bearbeitung(Keohane 1984; Levy et al. 1993).17 Diese Vorstellung von Regimen beruht auf derAnnahme, dass die Präferenzen selbst-interessierter Akteure (bzw. der Staaten) ver-änderbar sind und durch ein sich veränderndes Konsens-Wissen oder durch anderevon einem Regime bereitgestellte Funktionen beeinflusst werden können (Snidal2002). Dieses Wissen bildet die Entscheidungsgrundlage dafür, die Dringlichkeit desProblems zu beurteilen und jene Bereiche zu identifizieren, auf welche sich die poli-tische Problembearbeitung konzentrieren soll. Die Herstellung des Konsens-Wissenskann bei kollektiven Akteuren und Individuen auch die Akzeptanz für die Politikeninternationaler Regime steigern und umweltfreundliches Verhalten bei Verbrauchernund Produzenten fördern.

Im Folgenden wird gemessen, wie weit innerhalb der für ein Regimeelement gel-tenden Zeitspanne i) das Wissen über die Ursachen und Wirkungen eines Problems(Problemverständnis) und ii) wie vollständig das Wissen über die zur Problembear-beitung vorhandenen Politikoptionen entwickelt waren. Dabei wird gefragt, welcheZusammenhänge zwischen den von Regimen bereitgestellten Funktionen (bzw. pro-grammatischen Aktivitäten) und der Entwicklung des Konsens-Wissens bestehenund ob Veränderungen in der Qualität und im Umfang dieses Wissens über Zeit ver-zeichnet werden konnten. Anschließend wird untersucht, welcher kausale Beitraginternationalen Regimen für mögliche beobachtbare (positive) Veränderungen desKonsens-Wissens im Problemfeld bzw. in einzelnen Ländern von den codierendenFallstudienexperten beigemessen wurde. Der Umfang des zur Verfügung stehendenKonsens-Wissens über verschiedene Aspekte eines Problems kann empirisch nurbestimmt werden, wenn bei der Codierung hinreichend Klarheit über das von einemRegime bearbeitete Problem vorhanden ist. Vor der Codierung einer Fallstudiewurde von den Fallstudienexperten das von einem Regime zur Bearbeitung vorge-sehene Problem definiert. Das Regime zum Schutz des Rheins, das durch die Rhein-

17 In internationalen Umweltabkommen bekunden Staaten vielfach, dass die angestrebteKooperation unter anderem darauf abzielt, diese beschriebenen Funktionen bereitzustel-len. Solche Festlegungen sind z. B. in der ECE-Konvention über weiträumige grenzüber-schreitende Luftverschmutzung in Europa (1979), der Wiener Konvention zum Schutzder Ozonschicht (1985), der Klimakonvention (1992) oder der Konvention zur Bekämp-fung der Wüstenbildung (1994) enthalten.

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Aufsätze

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konvention von 1963 entstand und um die Chlorid-Konvention von 1976 und denRhein-Aktionsplan von 1987 erweitert wurde, bearbeitet zum Beispiel die Proble-matik der Verschmutzung, welche die Ökosysteme und die Wasserqualität insbe-sondere in Unterlieger-Staaten schädigt (vgl. Bernauer 1996). Für jedes Regimeele-ment existierte im Falldesign mindestens ein Problem. Für manche Regime wurdenmehrere solcher Problemdefinitionen entwickelt. Bei der Codierung von Res-sourcenregimen wurde damit der Tatsache Rechnung getragen, dass diese Regimezumeist von konfligierenden ökonomischen und ökologischen Zielsetzungengeprägt sind. Für das Regime über den internationalen Handel mit bedrohten Artenwurden beispielsweise zwei Probleme identifiziert, die durch die WashingtonerArtenschutzkonvention von 1973 und verschiedene Amendments bearbeitet werden:i) der Schutz bedrohter Arten und ii) die Aufrechterhaltung eines an Nachhaltigkeitorientierten, legalen Handels von Pflanzen und Tieren (vgl. Sand 1997).

In internationalen Umweltregimen können folgende programmatische Aktivitätenzur Verbesserung des Problemverständnisses über Ursache-Wirkungs-Beziehungenbeitragen: wissenschaftliches monitoring über die Ursachen und Wirkungen einesProblems, Forschung über Ursachen und Wirkungen, Review der nationalen Imple-mentation und Review der Angemessenheit von Regimeregeln (Breitmeier 2006b).In den Tabellen 2 und 3 sind jene Befunde aus der Regimedatenbank enthalten, dieeinen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein programmatischer Aktivitätenund dem Problemverständnis bzw. dem Wissen über verfügbare Politikoptionenherstellen. Das Problemverständnis beinhaltet den Grad des Wissens über die Ursa-chen und Wirkungen eines Problems und auch den Grad des erzielten Verständnis-ses über das framing eines Problems für die weitere politische Problembearbeitung(z. B. ob Fischerei primär als ein Problem des Schutzes von knappen Fischressour-cen oder als eine Angelegenheit der Aufrechterhaltung von Fangquoten zur Sicher-stellung von Nahrungsmitteln angesehen wird).

Aus Tabelle 2 wird ersichtlich, dass der Umfang des Wissens über Ursachen undWirkungen bzw. über den eigentlichen Kern des Umweltproblems in mehr als zweiDritteln der Fälle stark (40,0 %) oder sehr stark (28,3 %) ausgeprägt war. Ein unzu-reichend ausgeprägtes Wissen war demnach bei knapp einem Drittel der codiertenProbleme vorhanden. Die Befunde zeigen auch, dass programmatische Aktivitätenzur Erforschung des Problems entweder für etwas mehr als die Hälfte (monitoring,Forschung) oder in einer etwas geringeren Anzahl (Review der Implementationbzw. der angewandten Politiken) der codierten Probleme errichtet wurden. Aller-dings ist aus den Daten auch ersichtlich, dass die auf Seiten der abhängigen Variable(Wissen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen) auftretenden Varianzen sich nicht ingleichem Maße in den Varianzen für die unabhängige Variable widerspiegeln. Auchfür solche Probleme, für welche das Wissen nur teilweise oder schwach entwickeltwar, existierten in Regimen programmatische Aktivitäten zur Verbesserung desKonsens-Wissens. In nahezu all jenen Fällen mit relativ schwach entwickeltem Pro-blemverständnis existierte zumindest eine der vier untersuchten programmatischenAktivitäten.

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Helmut Breitmeier: Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

51ZIB 1/2006

Tabelle 2: Programmatische Aktivitäten eines Regimes und Wissen über dasProblem

Das Wissen über Politikoptionen bezieht sich auf jene Optionen und Maßnahmen,welche Akteuren für die Bearbeitung eines grenzüberschreitenden Problems zurVerfügung stehen. Es kann sich auch auf jene Maßnahmen beziehen, die innerhalbeinzelner Sektoren eines Problemfelds getroffen werden müssen. Die in Tabelle 3enthaltenen Befunde zeigen, dass der Umfang des Wissens über zur Problembear-beitung zur Verfügung stehende Politikoptionen überwiegend auf mittlerem Niveauangesiedelt war (60,6 %). Nahezu gleiche Häufigkeiten ergaben sich für Problememit sehr hoch entwickeltem (19,4 %) und schwach entwickeltem Wissen (20,0 %)über Politikoptionen. Diese Befunde veranschaulichen eine starke Dominanz einesmittelmäßig entwickelten Wissens über Politikoptionen. Für die Codierung dieserVariable stand nur eine dreistufige Skala zur Verfügung. Wegen des Fehlens einerkomplexeren Skala kann daher nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die Fallstu-dienexperten möglicherweise verstärkt ein mittleres Niveau auf der Ordinalskalaansteuerten. In Bezug auf das Vorhandensein programmatischer Aktivitäten ergibtsich ein ähnliches Bild wie bei den Befunden zur Erforschung des Konsens-Wis-sens. Nahezu für jedes in Tabelle 3 enthaltene Problem war zumindest eine pro-grammatische Aktivität vorhanden, die zur Verbesserung des Wissens über Politiko-ptionen beitragen sollte. In internationalen Umweltregimen kommt eine breitePalette von programmatischen Aktivitäten zum Einsatz, welche die in den Ökosys-temen und in der sozialen Umwelt angesiedelten Ursachen und Wirkungen einesProblems erforschen und zur Erarbeitung von Maßnahmen zur Problembearbeitungbeitragen. Nichtsdestotrotz deuten die Befunde auch an, dass bis zum Ende deszwanzigsten Jahrhunderts ein erheblicher Bedarf dafür bestand, das Wissen über Po-

Programmatische Aktivitäten

Gesamt-zahl von Proble-

men

Monitoring über Ur-

sache und Wirkung

Forschung über Ur-

sache und Wirkung

Review von Implemen-

tation

Review von Regime-regeln

Mindestens eine der

vier Aktivitäten vorhanden

58 28,3% 23 17,3% 15 13,4% 13 13,4% 23 24,2 % 40 69% Sehr stark entwickelt

Pro

blem

vers

tänd

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(Wis

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das

Pro

blem

)

82 40% 61 45,9% 54 48,2% 49 50,5% 40 42,1% 67 81,8% Stark entwickelt

41 20% 33 24,8% 34 30,4% 28 28,9% 25 26,3% 37 90,2% Teilweise entwickelt

24 11,7% 16 12% 9 8% 7 7,2% 7 7,4% 20 83,3% Schwach entwickelt

0 0% 0 0% 0 0% 0 0% 0 0% 0 0% Nicht vorhanden

205 100% 133 100% 112 100% 97 100% 95 100% 164 80% Total

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Aufsätze

52

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Wissen über Politikoptionen

109

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Tot

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Helmut Breitmeier: Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

53ZIB 1/2006

litikoptionen weiterzuentwickeln. Die in Tabelle 3 enthaltenen Befunde zeigen wie-derum, dass die Varianzen bei der Ausprägung des Wissens über Politikoptionensich nicht in Varianzen bei den für die Generierung des Konsens-Wissens angewen-deten programmatischen Aktivitäten niederschlagen. Auch bei solchen Problemen,für welche das Wissen über Politikoptionen noch schwach ausgeprägt war, existier-ten in Regimen bereits programmatische Aktivitäten.

Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen besteht darin, dass zusätzlicheVariablen bei der Herstellung des Konsens-Wissens berücksichtigt werden müssen.Die Ökosysteme, deren Schutz oder nachhaltige Bewirtschaftung durch internatio-nale Institutionen beabsichtigt ist, unterscheiden sich in Bezug auf ihre natürlicheKomplexität. Zwischen einzelnen Problemfeldern bestehen auch große Unter-schiede hinsichtlich der sozialen Kontexte, welche bei der Verursachung und für dieerfolgreiche Problembearbeitung relevant sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass dieWeiterentwicklung des Konsens-Wissens oftmals Zeit benötigt. Für die meisten derin der Datenbank enthaltenen Regime ist es möglich, die Ausprägung kognitiverVariablen zwischen früheren und späteren Phasen der Regimeentwicklung zu ver-gleichen. Hier zeigt sich für viele Regime, dass sich das Konsens-Wissen währendder späteren Phasen tatsächlich erweiterte. Solche Entwicklungen stellten sich unteranderem in Institutionen wie dem Ostsee- und dem Donauregime oder dem Regimeüber den Handel mit bedrohten Arten ein. In einigen wenigen Regimen entwickeltesich das Konsens-Wissen ohne die explizite Verankerung von programmatischenAktivitäten. Dies war allerdings zumeist darauf zurückzuführen, dass andere inter-nationale Institutionen oder nationale Einrichtungen für die Ausübung dieser Funk-tionen zuständig waren. Der Zusammenhang zwischen programmatischen Aktivi-täten und der Entwicklung des Problemverständnisses und des Wissens überPolitikoptionen lässt sich auch durch ergänzende qualitative Befunde näher veran-schaulichen. Im Regime der Inter-American Tropical Tuna Commission (IATTC)wurden Programme errichtet, mit welchen das Wissen über Aspekte, die für denFang von Thunfisch und thunfischähnlichen Arten im ostpazifischen Ozean relevantsind, erweitert wurde. Dadurch konnten das meeresbiologische Wissen und Infor-mationen über die Entwicklung der Fischbestände und Fangquoten im Lauf derJahre verbessert werden. Darüber hinaus wurden Maßnahmen zur Vermeidung desDelphinsterbens im ostpazifischen Ozean ergriffen, welches sich in den 70er Jahrenals Folge neuer, beim Thunfischfang verwendeter Fangtechniken zu einem massi-ven Problem entwickelt hatte (Peterson/Bayliff 1985, IATTC 1995).

Die bisher dargestellten empirischen Befunde können den Beitrag von Institutio-nen für die Herstellung des Konsens-Wissens noch nicht hinreichend untermauern.Diese Befunde lassen den Schluss zu, dass es – vielfach aufgrund exogener Faktoren– keinen schnell wirksamen Automatismus zwischen der Arbeit programmatischerAktivitäten und möglichen Regimewirkungen gibt. Allerdings sind in vielen Regi-mekomponenten auf lange Sicht Verbesserungen in der Qualität des Konsens-Wis-sens messbar. Die in den folgenden Tabellen 4 und 5 enthaltenen Daten deutenjedoch klar darauf hin, dass Regime vielmals einen bedeutenden kausalen Faktordafür darstellten, dass sich das Konsens-Wissen über Zeit veränderte.

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Aufsätze

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Tabelle 4: Kausaler Einfluss von Regimen auf den Wandel des Wissens überProbleme (in Bezug auf alle Staaten eines Regimes)

Tabelle 5: Wandel des zur Verfügung stehenden Wissens über Politikoptionen(in Bezug auf alle Staaten eines Regimes)

Für jeweils die Hälfte der codierten Probleme ergibt sich der Befund, dass sichdas Wissen über Ursache-Wirkungsbeziehungen (51,7%) (siehe Tab. 4) und überzur Verfügung stehende Politikoptionen (51,0%) (siehe Tab. 5) über Zeit stark wan-delte. In der überwiegenden Zahl dieser Fälle wurde dem Regime ein moderateroder gar bedeutender kausaler Einfluss auf diesen Wandel bescheinigt. In 61 Fällen,in denen ein besonders starker Wandel des Wissens über Ursache-Wirkungs-Bezie-hungen gemessen wurde, übte das Regime einen bedeutenden kausalen Einfluss dar-auf aus. Bei 58 der 99 Probleme, bei denen ein starker Wandel des Konsens-Wissensüber Politikoptionen verzeichnet wurde, wurde ebenfalls ein solch starker Regime-einfluss identifiziert. Diese Daten verfestigen einerseits den Eindruck, dass die Wis-sensbasis einem sehr starken Wandel unterzogen war. In der Zusammenschau mit

Kausaler Einfluss des Regimes

Gesamt-zahl von Proble-

men

Nicht zutreffend

(kein Wandel)

Schwacher oder kein kausaler Einfluss

Moderater kausaler Einfluss

Bedeu-tender

kausaler Einfluss

98 48,3% 38 100% 21 72,4% 8 18,2% 31 33,7%Schwacher oder kein Wandel

Wan

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105 51,7% 0 0% 8 27,6% 36 81,8% 61 66,3% Bedeutender Wandel

203 100% 38 100% 29 100% 44 100% 92 100% Total

Kausaler Einfluss des Regimes

Gesamt-zahl von Proble-

men

Nicht zutreffend

(kein Wandel)

Schwacher oder kein kausaler Einfluss

Moderater kausaler Einfluss

Bedeu-tender

kausaler Einfluss

95 49% 38 100% 14 33,3% 15 30,6% 28 32,6%Schwacher oder kein Wandel

Wan

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99 51% 0 0% 7 66,7% 34 69,4% 58 67,4%Bedeutender Wandel

194 100% 38 100% 21 100% 49 100% 86 100% Total

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55ZIB 1/2006

dem sich aus Tabelle 3 ergebenden Befund, wonach sich das Wissen über Politikop-tionen überwiegend auf mittlerem Niveau einpendelte, muss aber auch nüchternfestgestellt werden, dass der Wandel des Wissens über Politikoptionen vielfachnoch nicht weit reichend genug war. Der oben dargestellte Befund, dass Regime miteiner breiten Palette programmatischer Aktivitäten zur Wissensgenerierung aus-gestattet wurden, ist besonders bedeutsam. Denn damit lässt sich zeigen, dass derdiesbezügliche kausale Einfluss von Regimen durch die Arbeit programmatischerAktivitäten ausgeübt wird. Neben den auf alle Staaten eines Regimes bezogenen(allgemeinen) Wirkungen sind in der Regimedatenbank auch weitere Befunde überdie Wirkungen auf das Wissen in wichtigen einzelnen Mitgliedsstaaten von Regi-men enthalten. Zum Beispiel lässt sich selbst für Nationen wie die USA oderDeutschland zeigen, i) dass sich in diesen Ländern in Bezug auf einzelne Problemedie Wissensbasis verändert hat und ii) dass Regimen hierfür oftmals ein bedeutenderkausaler Einfluss zukommt. Für 122 Probleme sind Daten vorhanden, welche überden in den USA verzeichneten Wandel des Wissens über Ursache-Wirkungs-Bezie-hungen und über den diesbezüglichen kausalen Einfluss von Regimen auf diesenWandel informieren. Ein starker Wandel bezüglich des Wissens über diese Pro-bleme in den USA wurde in 66 Fällen verzeichnet. In 22 Fällen wurde hierfür einmoderater und in 32 Fällen ein bedeutender Regimeeinfluss identifiziert. DieserBefund ist deshalb erstaunlich, weil industriell hoch entwickelte Länder in der Regelüber relativ große eigene Forschungskapazitäten verfügen. Die Einbettung dieserLänder in komplexe internationale Forschungsprogramme und sonstige programma-tische Aktivitäten bewirkt, dass das durch nationale Forschungseinrichtungen pro-duzierte Wissen erweitert wird und sich die Wissensproduktion an den inhaltlichenMaßstäben transnationaler Forschungsprogramme orientiert.

4. Compliance

Die Spieltheorie lenkt den Blick auf die Eigenschaften sozialer Situationen, welchedie kooperative Bearbeitung grenzüberschreitender Probleme positiv oder negativbeeinflussen. Für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Kooperation ist dasVorhandensein von compliance-Mechanismen vor allem dann unverzichtbar, wennsich Akteure durch Täuschung in internationalen Institutionen einen erheblichenVorteil gegenüber anderen regelkonformen Akteuren verschaffen können. Währendin coordination games ein schlankes institutionelles Design für die Stabilisierung vonKooperation ausreicht, besteht in collaboration games die Notwendigkeit der Bereit-stellung von compliance-Mechanismen zur Überwachung des Akteursverhaltens(Stein 1993). Staaten können ihre kollektiven Ziele in internationalen Institutionennur dann erreichen, wenn das institutionelle Design eines Regimes jene sozialenKonstellationen berücksichtigt, welche die kooperative Bearbeitung eines Problemsund somit auch die Normeinhaltung durch Regimemitglieder negativ beeinflussenkönnen (Koremenos et al. 2001a, b). Internationale Regime können demnach vertrau-ensbildend wirken, weil sie den Staaten durch die Bereitstellung von Mechanismen

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Aufsätze

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zur Verifikation, zum monitoring der Einhaltung von Normen und zur Überprüfungder nationalen Implementation Anreize zur Täuschung nehmen und Unsicherheitenüber verdeckte oder offene Verstöße gegen Regimeregeln vermindern. Sie stellenInformationen bereit, durch welche bei Staaten Erwartungssicherheit über das Ver-halten anderer Regimemitglieder hergestellt wird. Dadurch werden die kooperations-feindlichen Eigenschaften problematischer sozialer Situationen überwunden (vgl.Zürn 1992). Internationale Regime sind vielfach als Institutionen beschrieben wor-den, die in einem internationalen Umfeld errichtet wurden, das von der Abwesenheiteiner oberhalb des Nationalstaats operierenden Zentralgewalt zur Regeldurchsetzunggeprägt ist. In der Welthandelsorganisation erwächst die Beilegung von Disputenüber die Auslegung von Regeln und über das Verhalten von Regimemitgliedern auseinem mehrstufigen Verfahren, das neben weichen compliance-Verfahren auch eingerichtsähnliches Verfahren beinhaltet, dessen Entscheidungen sich Staaten letztlichbeugen müssen. Nichtbefolgung der Entscheidungen erlaubt die Verhängung vonGegensanktionen. In der internationalen Umweltpolitik waren solche gerichtsähnli-chen Verfahren bis zum Ende der 90er Jahre allerdings nur vereinzelt entwickelt.Statt auf Mechanismen zur autoritativen Durchsetzung von compliance vertrauendiese Institutionen vor allem auf das compliance-Management (vgl. Chayes/HandlerChayes 1995). Die compliance-Probleme von Entwicklungsländern resultieren oft-mals daraus, dass die notwendigen Kapazitäten zur effektiven Implementierung inter-nationaler Normen fehlen. Mit der Bereitstellung von Finanz- und Technologietrans-fers sollen Hindernisse bei der nationalen Implementation in diesen Ländernüberwunden und die Einhaltung der Normen und Regeln ermöglicht werden.

Die Regimeanalyse stand vor der Aufgabe, den Nachweis dafür anzutreten, dassdie Einhaltung internationalen Rechts aus einer von Regimen induzierten Sogwir-kung verursacht wird und nicht primär vom Interesse eines Staates bzw. von den zwi-schen Staaten vorherrschenden Machtbeziehungen abhängt (Hurrell 1993: 53).Normeinhaltung ergibt sich demnach nicht ausschließlich aus den mit einem Regimeverbundenen Nutzenerwartungen, sondern kann durch spezifische compliance-Mechanismen auch dann bewerkstelligt werden, wenn die individuelle Nutzenkalku-lation eines Akteurs dem eigentlich entgegensteht. Von Ronald Mitchell (1994: 30)ist Normeinhaltung deshalb nicht nur als ein mit den Vertragsverpflichtungen über-einstimmendes Akteursverhalten definiert worden. Vielmehr versteht Mitchell Norm-einhaltung (im Sinne von treaty-induced compliance) als Verhalten, das wegen descompliance-Systems eines Regimes mit dessen Normen und Regeln übereinstimmt.

Durch die Erzielung eines hinreichenden Maßes an Normeinhaltung wird nichtzwangsläufig ein qualitativer Zustand erreicht, der den an moderne soziale Ordnungheranzutragenden Ansprüchen entspricht. Vielmehr kann trotz der Einhaltung vonRegimenormen durch die Mitgliedsstaaten die Problemlösung scheitern, weil dasRegime selbst nur unzureichende Normen und Regeln beinhaltet. Durch die Einhal-tung der Normen und Regeln allein ist einerseits keineswegs schon die effektiveBearbeitung eines Problems garantiert; doch eine effektive Problembearbeitungkann andererseits auch nur dann ermöglicht werden, wenn – auf der Grundlage desVorhandenseins hinreichend umfassender und tief greifender Normen – Staaten die

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Normen und Regeln eines Regimes einhalten. Das Verhalten sozialer Akteure wirdwesentlich vom Prinzip der Reziprozität bestimmt. Die Nichteinhaltung von Normenund Regeln durch einzelne Staaten kann neue Unsicherheiten erzeugen, bestehendesVertrauen zwischen Staaten in einem Problemfeld unterminieren und folglich zueinem »Echoeffekt« (Axelrod/Keohane 1986: 245) sich abwechselnder Defektionenin einem Problemfeld führen. Für einen Akteur besteht daher dann ein Grund, denNormen und Regeln eines Regimes zu folgen, wenn diese von anderen Akteurenauch befolgt werden und diese dem kollektiven Nutzen dienen bzw. den moralischenAnsprüchen genügen, die an moderne soziale Ordnung herangetragen werden.

Halten sich Staaten an Regimeregeln? Welche Zusammenhänge bestehen zwi-schen den von Regimen bereitgestellten programmatischen Aktivitäten und demcompliance-Verhalten? Die Regimedatenbank enthält Daten, welche das compli-ance-Verhalten aus der Gesamtschau auf alle Staaten beschreiben. Darüber hinaussind auch Daten über das compliance-Verhalten einzelner wichtiger Staaten in Regi-men enthalten. Im Folgenden richtet sich der Blick vor allem auf die Messung descompliance-Verhaltens aller Mitgliedsstaaten in einem Regime. Unter »Einhaltung«wird jenes Verhalten verstanden, das mit den Normen und Regeln eines Regimesübereinstimmt. Für die Messung des Verhaltens von Staaten ist es dabei zunächstunerheblich, ob dieses auf absichtliches oder unabsichtliches Handeln zurückzufüh-ren ist bzw. ob es das Resultat einer vom Regime entfalteten Sogwirkung darstellt.Die kausale Bedeutung eines Regimes für das beobachtete Verhalten wurde von dencodierenden Fallstudienexperten in einem zweiten Schritt bestimmt. Zudem richtetsich die Analyse auf folgende programmatische Aktivitäten für die Überwachung,Bewertung und Unterstützung des compliance-Verhaltens von Staaten: das com-pliance-monitoring, die Überprüfung von Implementation, die Verifikation voncompliance und den Finanz- und Technologietransfer zur Verbesserung staatlicherKapazitäten bei der Umsetzung internationaler Normen. Aus Tabelle 6 wird ersicht-lich, dass das Staatenverhalten (bezogen auf alle Staaten) in mehr als 60% dercodierten Regimeelemente von Regeleinhaltung gezeichnet ist. Für die klare Mehr-zahl der Fälle (z. B. für das Ozonregime, das Antarktisregime, oder das Fischerei-regime in der Barentssee) ergibt sich somit der positive Befund, dass Staaten dieNormen und Regeln von Regimen einhalten. Der Umfang von verregelten Teilprob-lemen und die Tiefe von Normen und Regeln hat im Lauf der Zeit in vielen dieserRegime deutlich zugenommen, ohne dass sich das generelle compliance-Verhaltenverschlechterte. Aus einer auf alle Staaten bezogenen generellen Perspektive kannauch festgestellt werden, dass in späteren Phasen der Regimeentwicklung grundsätz-lich keine Verschlechterungen bezüglich des compliance-Verhaltens gemessen wur-den. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass nach einmal erfolgter Angleichungder Interessen und des Verhaltens von Staaten in internationalen Umweltinstitu-tionen die Normen und institutionellen Mechanismen in der Regel genügendBindungskräfte entfalten konnten, um ein Ausscheren aus der Kooperation zu ver-meiden bzw. um Fälle der partiellen Nichteinhaltung so zu bearbeiten, dass regel-geleitetes Verhalten möglich wurde. Die Herstellung solcher Bindungskräfte dauertein einzelnen Fällen aber relativ lange und war auch bis zum Ende der 90er Jahre in

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manchen Regimen nicht abgeschlossen. In nahezu 40 % aller codierten Fälle wurdevon den Fallstudienexperten ein Verhalten gemessen, das nicht vollständig bzw. nurteilweise mit den Regeln und Normen eines Regimes übereinstimmte und somit vongradueller Nichteinhaltung gekennzeichnet war. In manchen Regimen, in denenmehrere Zeitphasen untersucht werden können, hat sich das compliance-Verhaltenin den späteren Phasen verbessert. Dies ging oftmals mit der Schaffung neuer odereiner Ausweitung bereits bestehender programmatischer Aktivitäten zum monitoringoder der Verifikation von compliance einher. Bei Fällen wie dem Ramsar Regimeund dem London Convention Regime fanden sich auch noch für die bis zum Endeder 90er Jahre codierten Phasen Formen der Nichteinhaltung, in denen das Verhaltenzwar mit einigen, aber nicht allen Regimeregeln übereinstimmte.

Tabelle 6: Programmatische Aktivitäten eines Regimes und compliance-Verhalten(alle Staaten)

Programmatische Aktivitäten

Gesamt-zahl von Proble-

men

Com-pliance

monitoring

Review von Implemen-

tation

Verifi-kation von compliance

Finanz- und Tech-nologie-transfer

Mindestens eine der

vier Aktivitäten vorhanden

18 13,8% 10 13,7% 10 16,1% 8 12,5% 3 7% 10 55,5%

Verhalten übertrifft An-forderungen des Regimes

Com

plia

nce-

Ver

halt

en a

ller

Sta

aten62 47,7% 26 35,6% 24 38,7% 30 46,9% 15 34,9% 41 66,1%

Verhalten deckt sich mit Regime-regeln

34 26,2% 27 37% 16 25,8% 21 32,8% 19 44,2% 28 82,4%

Verhalten konform mit einigen, aber nicht allen Regimeregeln

13 10% 8 11% 10 16,1% 5 7,8% 4 9,3% 10 76,9%

Gelegentlich konformes Ver-halten und par-tielle aber nicht vollständige Re- geleinhaltung

3 2,3% 2 2,7% 2 3,2% 0 0 % 2 4,7% 2 66,6%Überhaupt keine Ein-haltung

130 100 % 73 100% 62 99,9% 64 100% 43 100,1% 91 70% Total

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Helmut Breitmeier: Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

59ZIB 1/2006

Tabelle 7: Kausaler Einfluss von Regimen auf das compliance-Verhalten (alleStaaten)

Welchen kausalen Einfluss hatten Regime auf das compliance-Verhalten? DieBefunde in Tabelle 7 zeigen, dass Regimen überwiegend ein großer kausaler Ein-fluss für das erzielte compliance-Verhalten zuerkannt wurde. Für 52 der 80 Regime-elemente, in welchen Einhaltung (62) oder Übererfüllung (18) der Normen undRegeln eines Regimes vorherrschte, wurde dem Regime ein großer kausaler Ein-fluss für das compliance-Verhalten beigemessen. Diese Befunde legen den Schlussnahe, dass die in Tabelle 6 enthaltenen programmatischen Aktivitäten eine positiveWirkung auf das compliance-Verhalten hatten. Andererseits werfen die Befundeauch die Frage auf, warum verschiedene Formen von partieller oder temporärerNichteinhaltung zu beobachten sind, obwohl solche programmatischen Aktivitäten

Kausaler Einfluss des Regimes

Gesamt-zahl von Proble-

men

Schwacher oder kein kausaler Beitrag

Moderater kausaler Einfluss

Großer kausaler Einfluss

Negative kausale Rolle

Keine Angabe

18 13,8% 0 0% 0 0% 17 21,3% 0 0% 1 10%

Verhalten übertrifft An-forderungen des Regimes

Com

plia

nce-

Ver

halt

en a

ller

Sta

aten62 47,7% 3 37,5% 20 62,5% 35 43,8% 0 0% 4 40%

Verhalten deckt sich mit Regime-regeln

34 26,2% 3 37,5% 8 25,0% 21 26,3% 0 0% 2 20%

Verhalten konform mit einigen, aber nicht allen Regimeregeln

13 10,0% 1 12,5% 2 6,3% 7 8,8% 0 0% 3 30%

Gelegentlich konformes Ver-halten und par-tielle aber nicht vollständige Re- geleinhaltung

3 2,3% 1 12,5% 2 6,3% 0 0% 0 0% 0 0%Überhaupt keine Ein-haltung

130 100% 8 100% 32 100,1% 80 100,2% 0 0% 10 100% Total

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Aufsätze

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teilweise ebenfalls vorhanden sind. Eine mögliche Antwort könnte sein, dass dieArbeit programmatischer Aktivitäten oftmals nicht sofort zu den intendierten Wir-kungen führt. Knapp die Hälfte jener Fälle, in denen das Staatenverhalten nicht völ-lig mit den Normen und Regeln übereinstimmte, endet bereits vor den 90er Jahren.Für nachfolgende Zeitphasen kann in diesen Fällen (z. B. im Walfangregime, imOstseeregime oder in der Komponente des Antarktisregimes zur Erhaltung derlebenden Meeresschätze) ein verbessertes bzw. hinreichendes compliance-Verhaltenverzeichnet werden. Die Einrichtung von compliance-Mechanismen und die Thema-tisierung von Nichteinhaltung innerhalb von internationalen Institutionen wirkenoftmals erst nach einer gewissen Zeitverzögerung. Die Identifizierung und Beseiti-gung von Problemen bei der nationalen Implementation oder die Bereitstellung vonFinanzmitteln und Technologie zur Verbesserung nationaler Kapazitäten bei derImplementation in Entwicklungsländern oder in Osteuropa führt ebenfalls oftmalserst mittel- und langfristig zu den gewünschten Wirkungen. Andere Daten über dascompliance-Verhalten einzelner Staaten unterstützen die dargestellten Befunde überden zum Teil besonders großen kausalen Einfluss von Regimen. Das compliance-Verhalten der USA wurde für insgesamt 98 Regimeelemente codiert, die zu insge-samt 16 Regimen gehören. In 86 Regimelementen (87,8 %) befand sich das US-Ver-halten in Einklang mit den Normen und Regeln (59) oder war von Übererfüllung derVerhaltensvorschriften gekennzeichnet (27). In etwa zwei Dritteln dieser Fälle (57)hatte das betreffende Regime einen großen kausalen Einfluss auf das compliance-Verhalten der USA.

5. Problemlösung

Stellt kollektives Handeln in internationalen Institutionen die effektivere Form derBearbeitung grenzüberschreitender Probleme dar als das autonome Handeln der ein-zelnen Staaten? Nur wenn der empirische Nachweis dafür angetreten werden kann,dass internationale Institutionen Probleme nicht nur »verwalten« sondern auch zuderen Lösung beitragen, können sie Folgebereitschaft bei verschiedenen Akteuren inder Weltgesellschaft mobilisieren. In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereitsder kausale Einfluss von Regimen beschrieben, den diese für die Lösung der in dersozialen Welt (z. B. schwierige Akteurskonstellationen, Unsicherheit über das Kon-sens-Wissen, compliance von Staaten) angesiedelten Probleme haben können. Hat-ten internationale Regime auch einen Einfluss auf die Lösung von Problemen, die inder natürlichen Umwelt angesiedelt sind? Sind die in der sozialen Welt durchRegime induzierten Veränderungen (z. B. im Konsens-Wissen oder im compliance-Verhalten) weit reichend genug, damit sie sich in Verbesserungen des Zustands dernatürlichen Umwelt niederschlagen? Die Bewertung des Beitrags von internationa-len Institutionen zur (positiven) Veränderung des Umweltzustands kann aus zweiunterschiedlichen Blickwinkeln vorgenommen werden. Nimmt man die interne Per-spektive politischer Entscheidungsträger ein, dann fokussiert sich die Analyse aufeine Auswertung der Zielerreichung in internationalen Regimen (Bernauer 1995).

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Helmut Breitmeier: Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

61ZIB 1/2006

Solche Ziele können weit reichend oder weniger ambitioniert sein. Im Folgendenwird die Problemlösung aus einer anderen Perspektive analysiert und gemessen. Voneinem externen Blickwinkel her gesehen stellt sich die Frage, welche tatsächlichenUmweltveränderungen auf mittel- und langfristige Sicht erzielt wurden. DieserBlickwinkel kann sich von der bloßen Messung der Zielerreichung unterscheiden,wenn die Ziele selbst nicht weit reichend genug formuliert sind und somit nicht dieVerbesserung des Umweltzustands anstreben. Im Folgenden wird untersucht, wiesich der Zustand von Problemen innerhalb des Lebenszyklus einer internationalenInstitution verändert hat.

Bei der Erforschung der Problemlösungseffektivität von internationalen Regimenmüssen kontrafaktische Erwägungen angestellt und verschiedene andere kausal-ana-lytische Fragen beantwortet werden: In welchem Zustand wäre die natürlicheUmwelt in einem Problemfeld, wenn es keine internationale Institution zur Pro-blembearbeitung geben würde? Sind beobachtete Veränderungen im Zustand dernatürlichen Umwelt hauptsächlich auf kollektives Handeln in einem Regimezurückzuführen bzw. welchen Einfluss hatten Entwicklungen, die sich außerhalbvon internationalen Regimen vollzogen? Wie sind die beobachtbaren Veränderun-gen in der natürlichen Umwelt zu bewerten gegenüber dem möglichen Maßstabeines kollektiven Optimums?18 Die Messung von solchen Veränderungen beziehtsich auf den jeweiligen Zeitraum, in dem ein Regimeelement angesiedelt ist. Posi-tive Veränderungen in der Umweltsituation ergeben sind dann, wenn z. B. Belastun-gen des Ökosystems mit Schadstoffen zurückgehen (z. B. Luftverschmutzung,Belastung der Meere mit Schadstoffen und giftigen Abfällen) oder der Fischbestandin einzelnen Fanggründen nach Perioden der Überfischung wieder zunimmt. Nega-tive Veränderungen in der Umweltsituation wurden dann identifiziert, wenn sichgegenteilige Entwicklungen vollzogen. Das Pareto-Optimum stellt eigentlich einenwünschenswerten Bewertungsmaßstab dar, weil es einen Vergleich zwischen denerzielten Veränderungen im Zustand eines Umweltproblems mit dem möglichenIdealzustand erlaubt.19 Doch forschungspraktische Gründe sprachen gegen eine Ver-wendung des Pareto-Optimums als Bezugspunkt bei der Codierung. Das Pareto-Optimum konnte von der Forschung erst für einige wenige Regime bestimmt wer-den. Für die überwiegende Gesamtzahl der codierten Regime fehlen bisher fundierteStudien, welche das pareto-optimale Maximum der Problemlösung für die verschie-denen Zeitphasen und die einzelnen Komponenten von Regimen valide berechnenkönnen. Für den Aufbau der Regimedatenbank wurde der Ansatz verfolgt, in einemersten Schritt die relativen Veränderungen im Zustand eines Problems zu messenund in einem zweiten Schritt den kausalen Einfluss eines Regimes für die beobacht-baren Veränderungen zu bestimmen. Diese kausale Einschätzung des Regimeein-

18 Zu solchen grundlegenden kausalanalytischen Fragen, die sich bei der Erforschung derProblemlösungseffektivität stellen, siehe unter anderem Helm/Sprinz (1999), Mitchell(2001), Underdal (2002) und Young (2001).

19 Das Pareto-Optimum ist erreicht, »when no further increase in benefits to one party canbe obtained without leaving one or more prospective partners worse off« (Underdal2002: 9).

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Aufsätze

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flusses berücksichtigt dann, i) welchen Einfluss das Regime (z. B. die im Regimeentwickelten programmatischen Aktivitäten) auf die beobachteten Veränderungenim Zustand eines Problems hatte, ii) ob die beobachteten Entwicklungen auch danneingetreten wären, wenn kein Regime zur Problembearbeitung errichtet wordenwäre, und iii) welches Gewicht externe Faktoren für die beobachteten Wirkungenim Problemfeld haben.

Zunächst lassen sich aus Tabelle 8 drei verschiedene Entwicklungen in Bezug aufVeränderungen in der Umweltsituation ableiten. Erstens wird deutlich, dass fürmehr als die Hälfte (53,0%) – nämlich 99 der codierten Probleme – leichte (27,3%)oder bedeutende Verbesserungen (25,7%) im Umweltzustand identifiziert wurden.Ein bedeutender oder gar sehr starker kausaler Einfluss des Regimes auf die erziel-ten Verbesserungen in der Umweltqualität wurde bei 47 dieser 99 Probleme identifi-ziert. Keine Verbesserungen ergaben sich bei 88 Problemen. Es wird zweitens deut-lich, dass bei 33 Problemen (17,6%) der Zustand der Umweltsituation unverändertblieb. In etwa der Hälfte dieser Fälle wurde dem Regime ebenfalls ein relativ starkerEinfluss auf die erzielte Stabilisierung der Umweltsituation beigemessen. OhneRegimeeinfluss hätte sich die Umweltsituation in der Hälfte der Fälle möglicher-weise verschlechtert. Drittens wurden für 55 Probleme (29,4%) leichte oder bedeu-tende Verschlechterungen im Zustand der Umwelt identifiziert. Für die identifizierteVerschlechterung der Umweltsituation wurde dem Regime in der Regel keine große

Tabelle 8: Kausaler Einfluss von Regimen auf den Wandel im Zustand einesUmweltproblems

Kausaler Einfluss des Regimes

Gesamt-zahl von Proble-

men

Kleiner oder kein kausaler Beitrag

Schwacher kausaler Einfluss

Gleicher Einfluss von endogenen und exoge-nen Fakto-

ren

Bedeu-tender

kausaler Einfluss

Sehr starker kausaler Einfluss

18 9,6% 8 16,3% 7 17,1% 0 0% 2 4,3% 1 4,5%Bedeutende Verschlech-terung

Wan

del i

m Z

usta

nd e

ines

Pro

blem

s

37 19,8% 22 44,9% 11 26,8% 2 7,1% 2 4,3% 0 0%Leichte Verschlech-terung

33 17,6% 4 8,2% 10 24,4% 2 7,1% 13 27,7% 4 18,2%Zustand blieb unverändert

51 27,3% 8 16,3% 8 19,5% 13 46,4% 13 27,7% 9 40,9%Leichte Verbesse-rung

48 25,7% 7 14,3% 5 12,2% 11 39,3% 17 36,2% 8 36,4%Bedeutende Verbesse-rung

187 100% 49 100% 41 100% 28 99,8% 47 100,2% 22 100% Total

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63ZIB 1/2006

Tabelle 9: Zusammenhang zwischen dem Wandel im Zustand eines Umwelt-problems und dem Wissen über Ursachen, Wirkungen und den Kerndes Problems

kausale Bedeutung beigemessen. In dieser dritten Gruppe befanden sich 34 Pro-bleme aus Regimeelementen, die überwiegend in den 80er Jahren und spätestens1992 endeten. In manchen Fällen wie dem in dieser Gruppe angesiedelten Regimezum Schutz der Ozonschicht muss es bereits als zaghafter Erfolg gewertet werden,dass sich der Umweltzustand nicht weiter verschlechterte. Die weitere Zerstörungder stratosphärischen Ozonschicht konnte in den 90er Jahren verlangsamt bzw. auf-gehalten werden, weil durch das globale Verbrauchs- und Produktionsverbot dieEmissionen Ozon zerstörender Substanzen drastisch vermindert wurden. Eine Erho-lung der Ozonschicht wird aber erst nach einer Zeitverzögerung von Jahrzehnteneintreten, weil sich in der Atmosphäre noch Altlasten befinden, die eine schnelleVerbesserung des Zustands der stratosphärischen Ozonschicht unmöglich machen(Parson 2003).

Unter den so genannten Erfolgsfällen, bei denen eine Verbesserung im Zustandeines Problems verzeichnet wurde, befinden sich verschiedene Komponenten desAntarktisregimes, das ECE-Luftreinhaltungsregime, die Regime über den internati-onalen Handel mit bedrohten Arten, verschiedene Fischereiregime (z. B. für dieBarentssee, den Südpazifik, beide Thunfischregime), Regionalmeerregime (für dieOstsee, die Nordsee und das Schwarze Meer), Regime gegen die Meeresverschmut-

Problemverständnis (Wissen über das Problem)

Gesamt-zahl von Proble-

men

Sehr stark entwickelt

Stark entwickelt

Teilweise entwickelt

Schwach entwickelt

Nicht vorhanden

20 10,6% 3 7,1% 7 8,6% 6 14% 4 18,2% 0 0%Bedeutende Verschlech-terung

Wan

del i

m Z

usta

nd e

ines

Pro

blem

s

35 18,6% 2 4,8% 14 17,3% 12 27,9% 7 31,8% 0 0%Leichte Verschlech-terung

35 18,6% 10 23,8% 21 26% 3 7% 1 4,5% 0 0%Zustand blieb unverändert

50 26,6% 13 31% 16 19,8% 14 32,6% 7 31,8% 0 0%Leichte Verbesse-rung

48 25,5% 14 33,3% 23 28,4% 8 18,6% 3 13,6% 0 0%Bedeutende Verbesse-rung

188 100% 42 100% 81 100,1 43 100,1% 22 99,9% 0 0% Total

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Aufsätze

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Tabelle 10: Zusammenhang zwischen dem Wandel im Zustand eines Umwelt-problems und der Verfügbarkeit von Wissen über Politikoptionen

zung (Ölverschmutzungsregime, London Convention), und Flussregime (Rhein undDonau). Allerdings bestehen zwischen diesen Fällen Unterschiede dahingehend, wiestark der kausale Einfluss eines Regimes auf die erzielten Verbesserungen ist. Diesveranschaulicht, dass Regime einen kausalen Beitrag zur Verbesserung einesUmweltproblems leisten können; aber diese Verbesserungen sind oftmals das Ergeb-nis einer Mischung von Einflüssen, die von internationalen Regimen und von wei-teren nationalen Initiativen herrühren, oder auch von strukturellen Entwicklungen(z. B. technologischer Wandel, geändertes Verbraucherverhalten, ökonomische Ent-wicklung) mit verursacht werden können, die sich außerhalb des Einflussbereichsvon internationalen Institutionen vollziehen können.

In einigen Regimen sind auch bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts keine positi-ven Veränderungen eingetreten. Wenig ermutigende Entwicklungen offenbaren dieDaten beispielsweise für einige globale Umweltregime. Nach der Verabschiedungder globalen Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung im Jahr 1994 konntenin diesem Problemfeld keine positiven Veränderungen erreicht werden. Von negati-ven Entwicklungen im Sinne einer weiteren Verschlechterung des Problems warenProblemfelder wie die globale Klimaproblematik oder der Schutz der Biodiversitätgekennzeichnet. Diese negativen Entwicklungen konnten auch nicht durch dieSchaffung verschiedener programmatischer Aktivitäten verhindert werden. Diese

Wissen über Politikoptionen

Gesamt-zahl von Proble-

men

Sehr hoch entwickelt

Mittelmäßig entwickelt

Schwach entwickelt

17 9,7% 1 2,7% 6 5,8% 10 27,8%Bedeutende Verschlech-terung

Wan

del i

m Z

usta

nd e

ines

Pro

blem

s

35 19,9% 7 18,9% 19 18,4% 9 25%Leichte Verschlech-terung

27 15,3% 11 29,7% 10 9,7% 6 16,7%Zustand blieb unverändert

50 28,4% 3 8,1% 40 38,8% 7 19,4%Leichte Verbesse-rung

47 26,7% 15 40,5% 28 27,2% 4 11,1%Bedeutende Verbesse-rung

176 100% 37 99,9% 103 99,9% 36 100% Total

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65ZIB 1/2006

Regime behandeln sehr komplexe Problemtypen, bei denen Veränderungen imsozialen Verhalten nur sehr langsam erzielt werden können. Die im sozialen Verhal-ten erzielten Veränderungen führen bei sehr komplexen Problemen zudem oftmalsnur mit erheblicher zeitlicher Verspätung zu positiven Veränderungen im Zustandder Umwelt. Regime mit eher negativer oder stagnierender Entwicklung im Zustandeines Umweltproblems zeichnen sich dadurch aus, dass die getroffenen Regelungenzur Problembearbeitung nicht weit reichend genug sind.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem über ein Problem vorhandenenWissen und der Problemlösung? Die Befunde in Tabelle 9 zeigen, dass bei jenen 98Problemen, in welchen leichte oder bedeutende Verbesserungen im Zustand derUmwelt zu verzeichnen waren, in zwei Dritteln der Fälle (66) das Wissen überUrsachen und Wirkungen im Problemfeld sehr stark oder stark entwickelt war. Fürmehr als die Hälfte jener 55 Probleme, in denen sich eine bedeutende oder leichteVerschlechterung der Umwelt vollzog, war dieses Wissen schwach oder überhauptnicht entwickelt. Etwas weniger eindeutig sind auf den ersten Blick allerdings dieBefunde, die sich aus Tabelle 10 ergeben. Für weniger als 20% der Probleme (18von 97), bei denen eine leichte oder bedeutende Verbesserung festgestellt wurde,war das Wissen über zur Problembearbeitung verfügbare Politikoptionen sehr hochentwickelt. Die geringere Eindeutigkeit dieses Befundes mag auch damit zusam-menhängen, dass die Codierung dieser Variable (Wissen über Politikoptionen) aufeiner dreistufigen Skala erfolgte, bei der die Fallstudienexperten möglicherweiseetwas stärker dazu neigten, bei der Codierung das mittlere Niveau auf der Ordinal-skala anzusteuern. Demgegenüber erfolgte die Codierung der Ausgestaltung desWissens über Ursachen und Wirkungen bzw. den Kern des Problems auf einer fünf-stufigen Skala. Für die in Tabelle 10 enthaltenen 97 Probleme mit positiven Ent-wicklungen bezüglich des Umweltzustandes war das Wissen über Politikoptionen in86 Fällen stark oder mittelmäßig ausgeprägt. Insgesamt zeigen die in den Tabellen 8bis 10 enthaltenen Befunde, dass von internationalen Regimen bedeutende kausaleWirkungen bezüglich der Problemlösung ausgehen können. Einzelne Legitimitäts-gründe sind kausal eng miteinander verknüpft. Wie gezeigt wurde, besteht eine Kor-relation zwischen einer Verbesserung des Konsens-Wissens und einer mittel- undlangfristig sich einstellenden Verbesserung der Umweltqualität. Doch die bei denkognitiven Grundlagen eines Problems erzielten Fortschritte, an denen internatio-nale Regime wesentlich beteiligt sind, übersetzen sich nicht immer automatisch ineine Verbesserung der Umweltqualität. Neben den erforderlichen Trägern und Mul-tiplikatoren dieses Wissens (z. B. Wissenschaftler und epistemische Netzwerke,Vorreiterstaaten und internationale Organisationen) kommen auch andere Variablenins Spiel, welche den Prozess der Präferenzbildung bei Regimemitgliedern, die nati-onale Implementation und das compliance-Verhalten wesentlich mitbeeinflussen.

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Aufsätze

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6. Verteilungsgerechtigkeit

Der von der Antiglobalisierungsbewegung geäußerte Protest gegen die als ungerechtperzipierten Wirkungen des Welthandelssystems zeigt, dass die Folgebereitschaftfür die jenseits des Nationalstaats errichtete soziale Ordnung zu erodieren droht,wenn die Allokation von materiellen Werten durch internationale Institutionen starkasymmetrische Züge annimmt. Für den transnationalen Raum werden zunehmendähnliche moralische Vorstellungen bezüglich der Bedeutung von materieller Vertei-lungsgerechtigkeit wirksam wie für die innerstaatliche Ebene. Allerdings mangelt esan Konsens darüber, was unter Verteilungsgerechtigkeit jenseits des Nationalstaatsgenau zu verstehen ist. Verschiedentlich ist der Versuch unternommen worden, dievon John Rawls für nationale Gesellschaften entwickelte Gerechtigkeitstheorie aufdie Ebene jenseits des Nationalstaats zu übertragen.20 Die Theorie von Rawls (1979)geht von der hypothetischen Annahme eines Urzustandes aus, in welchem Indivi-duen unter dem Schleier des Nicht-Wissens agieren und ihnen Wissen über ihregesellschaftliche Stellung, Geschlecht, Religion, Fähigkeiten und andere Faktorenfehlt, welche die Herstellung von Politikergebnissen beeinflussen könnten. DiesesKonzept kann jedoch nur sehr schwer in praktische Politikentwürfe übersetzt wer-den, die für den Raum jenseits des Nationalstaats anwendbar sind. Die Herleitungvon Kriterien für die empirische Messung von Verteilungsleistungen von Regimenist aus dem Konzept kaum möglich. Von Cecilia Albin (2001: 12) ist der von Rawlsbeschriebene Schleier des Nicht-Wissens als ein ungeeigneter Ausgangspunkt fürdie Entwicklung einer für den transnationalen Raum anwendbaren Gerechtigkeits-konzeption kritisiert worden. Eine Reihe grundlegender Kritikpunkte, die gegeneine Übertragung des Konzepts auf die globale Ebene sprechen, ist auch von MollyCochran (1999: 55-57) vorgebracht worden. Die für den transnationalen Raum ent-wickelten normativen Gerechtigkeitskonzeptionen bieten derzeit kaum Kriterien fürdie Messung von Verteilungsgerechtigkeit, die für die empirische Forschungbenutzt werden können.

Wie können wir trotz des Fehlens von Kriterien zur empirischen Messung vontransnationaler Gerechtigkeit eine Vorstellung darüber entwickeln, ob die Politikeninternationaler Institutionen dem Erfordernis nach materieller Verteilungsgerechtig-keit Rechnung tragen? Ein möglicher Zugang zur empirischen Bearbeitung des Pro-blems besteht darin, in internationalen Regimen nach Prinzipien und Normen zusuchen, die Verteilungsgerechtigkeit einfordern. Damit könnte zumindest aufgezeigtwerden, ob Regime den an sie herangetragenen Forderungen nach Gerechtigkeitauch in ihren konstitutiven Prinzipien und Normen Rechnung tragen. Für die empi-rische Erforschung der Problematik kann auch zusätzlich auf problemfeldspezifi-sche Kriterien für die Bestimmung von Verteilungsgerechtigkeit zurückgegriffen

20 Von Charles Beitz (1979: 128) ist schon vor mehr als zwei Jahrzehnten darauf verwiesenworden, dass die für innerstaatliche Ordnung geltende Forderung nach sozialer Gerech-tigkeit auch für den globalen Raum gültig sein müsse. In der deutschen Regimefor-schung fand die Frage der Verteilungsgerechtigkeit schon frühzeitig Beachtung durchdie Studien von Zürn (1987) und Wolf (1991).

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67ZIB 1/2006

werden. Diese bewerten beispielsweise die getroffenen Maßnahmen einzelner Län-der zur Problembearbeitung im Zusammenhang mit deren Verantwortung für dieVerursachung eines Umweltproblems, evaluieren die Kosten der Problembearbei-tung für einzelne Länder und beziehen dabei auch deren finanzielle und technologi-sche Kapazitäten mit ein, berücksichtigen deren Rolle als Verursacher oder Betrof-fene eines Problems oder evaluieren die durch die Problembearbeitung anfallendenGewinne (vgl. Albin 2001).

Empirisch orientierte Studien über die Entwicklung des internationalen Rechtszeigen, dass die Verankerung von Gerechtigkeitsnormen in internationalen Instituti-onen in den letzten Jahrzehnten vorangekommen ist. Doch gibt es qualitative Unter-schiede zwischen diesen Normen in Bezug darauf, ob sie tatsächlich auf die Ver-wirklichung von Gerechtigkeit oder nur auf eine Abschwächung bestehenderasymmetrischer Werteallokationen abzielen (Franck 1995: 58-79). In das Konzeptder »nachhaltigen Entwicklung« sind ebenfalls Erwartungen an die Gerechtigkeitinnerhalb einer Generation oder zwischen den Generationen eingelassen. Die fürnormative Gerechtigkeitskonzeptionen beschriebenen Schwierigkeiten bezüglichder Operationalisierung treffen aber auch auf die in dem Konzept der nachhaltigenEntwicklung enthaltenen Dimensionen von Gerechtigkeit zu.21 Im Umweltvölker-recht ist eine Reihe von Prinzipien und Normen entwickelt worden, welche nor-mative Ansprüche hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit des internationalenRegierens formulieren (Beyerlin 2000, Sands et al. 1997). Die Daten der Regime-datenbank zeigen, dass in 16 Regimen mindestens jeweils eine Gerechtigkeitsnormexplizit Erwähnung findet. In 13 Regimen ist das »Prinzip der nachhaltigen Nutzungvon natürlichen Ressourcen« vertreten. Das »Prinzip der Integration von Umweltund Entwicklung« war in acht Regimen verankert. Das »Prinzip der Gerechtigkeitzwischen den Generationen« fand sich in fünf Regimen. In drei Regimen fand sichdas »Prinzip der gerechten Nutzung natürlicher Ressourcen«. In zwei Regimen wur-den Umweltgüter explizit als »gemeinsames Erbe der Menschheit« bezeichnet.Neben der expliziten Verankerung von Gerechtigkeitsnormen wurden in insgesamtzehn Regimen Gerechtigkeitsnormen mit implizitem Charakter identifiziert, dienoch keine volle völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt haben. Sie finden aber inResolutionen, Konferenzerklärungen und kollektiven Entscheidungen von Regime-mitgliedern Erwähnung. Dies zeigt, dass die Entwicklung von Gerechtigkeitsnor-men in vielen Regimen nach wie vor im Fluss und keineswegs abgeschlossen ist.Der Gerechtigkeitsdiskurs hat aber auch internationale Regime erfasst und zur Ver-ankerung von Gerechtigkeitsnormen geführt. Zudem ist eine Zunahme von soft law-Normen feststellbar, welche die Verwirklichung gerechter Werteallokationen ein-fordern.

Eine problemfeldspezifische empirische Analyse von materiellen Kosten undNutzen ist sehr komplex. Die folgenden Befunde wurden fast ausschließlich ausTextantworten gewonnen, die von den codierenden Fallstudienexperten auf Fragen

21 Es ist auch unklar, welche Kriterien für die Messung der Gerechtigkeit von Wirkungenangewendet werden können, die zwischen den Generationen entstehen.

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über die Kosten-Nutzen-Verteilung in einzelnen Problemfeldern formuliert wurden.Sie vermitteln zwar einen Eindruck über die in einzelnen Problemfeldern eingetrete-nen Verteilungswirkungen. Diese qualitativen Befunde sind aber nur in einge-schränktem Maße verallgemeinerbar. Sie stellen vielmehr einen Ausgangspunkt fürdie weitere Erforschung der durch internationale Regime bewirkten Verteilungsleis-tungen dar. Der Zugang zu Ressourcen oder deren gerechte Nutzung bildete in vie-len Regimen Anlass für Konflikte zwischen Staaten. Die im Antarktisvertrag von1959 enthaltene Unterscheidung zwischen Staaten mit und ohne Konsultativstatushat im Antarktisregime für mehrere Jahrzehnte Konflikte über den gerechtenZugang zur Entscheidungsfindung erzeugt. Im Antarktisregime erfolgte mittlerweileeine Aufweichung dieser Diskriminierung, doch es bestehen nach wie vor Unter-schiede zwischen einzelnen Ländern bezüglich des Zugangs zur Entscheidungsfin-dung (Vidas 1996: 55-57).22 Die Kosten für die Verwaltung und das Managementvon Regimen wurden in vielen Regimen in Anlehnung an den Beitragsschlüssel fürMitglieder in den Vereinten Nationen berechnet. In diesen Regimen wurde somitauch den bestehenden unterschiedlichen finanziellen Fähigkeiten von Industrie- undEntwicklungsländern Rechnung getragen. Freiwillige zusätzliche Zahlungen bzw.Engagements zur Verbesserung programmatischer Regimeaktivitäten wurden oft-mals von Industrieländern geleistet. Andererseits gibt es eine Reihe von Ressour-cenregimen, in welchen Mitgliedsbeiträge in Anlehnung an das user pays-Prinzipberechnet wurden. Diese Praxis benachteiligt wirtschaftlich weniger entwickelteLänder gegenüber Industrieländern. Die mit der Implementation verbundenen Kos-ten und der Nutzen sind häufig ungleich verteilt. Dies liegt unter anderem daran,dass für besonders starke Verursacher eines Problems auch besonders hohe Kostenfür dessen Beseitigung anfallen können. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilungs-gerechtigkeit sind solche Ungleichheiten nicht problematisch.23 Vor dem Hinter-grund des Aspekts der Verteilungsgerechtigkeit ist es schon eher problematisch,dass Import-Länder von Umweltverschmutzung manchmal größere Kosten zur Pro-blembearbeitung (z. B. durch nationale Vorleistungen) tragen müssen als die eigent-lichen Hauptverursacher (z. B. im Kontext der Oberlieger-Unterlieger-Problematik).In solchen Situationsstrukturen können Länder, welche unter dem Export umwelt-schädlicher Verschmutzung durch andere Länder besonders leiden, oftmals nicht invollem Umfang verteilungsgerechte Lösungen herbeiführen. Die zufrieden stellendeLösung der Problematik der Implementationskosten ist im Nord-Süd-Verhältniseine Voraussetzung dafür, dass sich Entwicklungsländer an einem Regime beteili-gen. Die Schaffung eines gerechten Ausgleichs für die Kosten, welche den Entwick-lungsländern bei der Implementation internationaler Politiken entstehen, stellt oft-mals eine brisante Streitfrage im Nord-Süd-Kontext dar. Die Industrieländer stelltenden Entwicklungsländern in vielen Regimen zusätzliche finanzielle oder technische

22 Im Antarktisregime haben inzwischen 28 der 45 Mitgliedsstaaten Konsultativstatus undsomit Stimmrecht.

23 Länder, die besonders stark von der Nutzung einer lebenden Meeresressource profitie-ren, tragen zum Beispiel dann höhere Implementationskosten, wenn zum Schutz dieserRessourcen drastische Beschränkungen der Fangquoten wirksam werden.

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Helmut Breitmeier: Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens

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Mittel zur Implementation bereit. Wichtige Beispiele hierfür sind u. a. die Regimezum Schutz der Ozonschicht, des globalen Klimas, der Biodiversität oder zurBekämpfung der Wüstenbildung. Über internationale Institutionen wurde somit einfinanzieller Ausgleich für Entwicklungsländer ermöglicht, welcher die bei derUmsetzung internationaler Normen entstehenden Kosten vermindern konnte.

7. Ausblick

Internationale Institutionen sind wichtige Säulen einer modernen Weltordnung.Diese Ordnung beruht auf der Verwirklichung von Legitimitätsgründen, die ver-schiedene Nutzenerwartungen und normativ begründbare Anforderungen an dasinternationale Regieren beinhalten. Die theoretische Diskussion über solche Legiti-mitätsgründe ist genauso wenig an ihr Ende gekommen wie die Debatte darüber,welche Bedeutung die Variable der »Macht« gegenüber der »Legitimität« für dieHerstellung sozialer Ordnung im 21. Jahrhundert haben wird. Die quantitative Ana-lyse der Output-orientierten Legitimitätsgründe zeigt, dass das Regieren in interna-tionalen Institutionen zu Politikergebnissen und langfristigen Wirkungen führenkann, die ohne Institutionen in diesem Ausmaß oftmals nicht erreichbar wären.Konnten kausale Zusammenhänge zwischen Regimewirkungen und den Leistungeneines Regimes von der Regimeforschung bisher überwiegend nur in Einzelfallstu-dien nachgewiesen werden, so verfügt die Forschung mit der Regimedatenbank nunüber ein Werkzeug zur quantitativen Analyse solcher kausalen Beziehungen. Diehistorisch-vergleichende Erforschung der in den 23 Problemfeldern der globalenUmweltpolitik eingetretenen Wirkungen und die kausale Analyse des damit verbun-denen Einflusses von Regimefaktoren veranschaulichen, dass internationale Insti-tutionen tatsächlich einen eigenständigen Beitrag zur effektiven Bearbeitung kom-plexer Probleme in der Weltpolitik leisten können. Die empirisch-quantitativeErforschung internationaler Institutionen beginnt somit langsam eine wichtigeErkenntnislücke darüber zu schließen, wie flächendeckend die von Regimetheoreti-kern vermuteten Wirkungen von internationalen Institutionen für die Problemlösungsind. Der sich aus den Daten ergebende empirische Befund sollte der governance-Forschung und den darin angesiedelten Verfechtern eines auf Institutionen basieren-den Weltordnungsmodells aber keineswegs den Blick dafür verstellen, dass mancheInstitutionen immer noch eher von Versagen und Stagnation als von positiven Ent-wicklungen geprägt sind. Für die governance-Forschung stellt sich zukünftig ver-stärkt die Aufgabe, auch fehlgeschlagene Versuche internationaler Kooperation zuanalysieren. Möglicherweise resultiert die geringe Aufmerksamkeit, welche diegovernance-Forschung bisher für die Identifizierung der Bedingungen des verschie-dentlich wahrnehmbaren Institutionenversagens in der Weltpolitik gezeigt hat, ausdem Druck zur Rechtfertigung der Bedeutung internationaler Institutionen, der ausder Debatte mit dem Neorealismus entstanden ist. Es wäre indessen verfehlt, denNeoinstitutionalismus oder den Sozialkonstruktivismus allein für das Fehlen umfas-senderer Studien über die Ursachen des gelegentlichen Versagens internationaler

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Institutionen verantwortlich zu machen. Beide Theorieschulen sind von der mög-lichen Leistungsfähigkeit internationaler Institutionen und den Sozialisationsleistun-gen internationaler Normen so überzeugt, dass sich ihr Blick mehr auf die Analyseder Bedingungen des Erfolgs als des Scheiterns internationaler Kooperation richtet.Der Neorealismus muss sich ebenso fragen lassen, warum die pauschale These überdie vermeintliche Bedeutungslosigkeit internationaler Institutionen nie zu einembreit angelegten empirischen Forschungsprogramm über das Versagen internationa-ler Institutionen geführt hat.24

Offensichtlich besteht eine enge kausale Verknüpfung zwischen verschiedenenLegitimitätsgründen. Die hier dargestellten Befunde legen die Schlussfolgerungnahe, dass es für den relativen Erfolg bei der Problemlösung im Kontext einzelnerUmweltregime genauso wenig eine monokausale Erklärung gibt wie für die Fälledes Misserfolgs und der Stagnation, die in Bezug auf die Problembearbeitung beimanchen Regimen zu verzeichnen sind. In diesem Beitrag wurde ein starker Zusam-menhang zwischen dem Einfluss eines Regimes (bzw. den institutionellen Eigen-schaften) und der Performanz Output-orientierter Variablen hergestellt. Die durchInstitutionen erbrachten Leistungen sind dabei abhängig von der Unterstützungwissenschaftlicher Experten, den Beiträgen nicht-staatlicher Akteure, oder einemfreundlichen politischen Klima, durch welches die Weiterentwicklung und effektiveUmsetzung internationaler Normen möglich wird. Für die zukünftige Forschungbestehen somit genügend inhaltliche Anknüpfungspunkte dafür, die Bedeutungzusätzlicher Faktoren für die Beeinflussung der Output-orientierten Legitimität desglobalen Regierens zu erforschen.

Einige Bestandteile der vorgestellten Legitimitätskonzeption sind selbst nochunvollkommen. Eine gewisse Unsicherheit herrscht darüber, was wir unter sozialgerechtem Regieren jenseits des Nationalstaats letztlich verstehen können. Währendin diesem Beitrag der Schwerpunkt auf der Analyse Output-orientierter Legitimitätlag, so ergibt sich im Zuge der Entwicklung eines umfassenderen Legitimitätskon-zepts für das globale Regieren auch die Notwendigkeit, den Blick der Analyse aufdie Input-orientierte Legitimität internationaler Institutionen zu richten.

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75Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 75-107

Philip Manow/Armin Schäfer/Hendrik Zorn

Europäische Sozialpolitik und Europas parteipolitisches Gravitationszentrum in den Jahren 1957-2003

Regierungen vertreten in internationalen Verhandlungen nationale Interessen. Wel-chen Einfluss übt die ideologische Färbung einer Regierung auf ihre Verhandlungs-positionen aus? Gelingt eine Einigung leichter, wenn es eine hohe parteipolitischeÜbereinstimmung in der Zusammensetzung der Regierungen gibt? In diesem Aufsatzzeigen wir, weshalb die Analyse der Parteipolitik auch in der internationalen Politikmehr Beachtung finden sollte. Wir betrachten das parteipolitische Gravitationszen-trum der Europäischen Union und liefern eine erste systematische Darstellung derRegierungszusammensetzung aller Mitgliedsstaaten von 1957 bis 2003. Darüber hin-aus wird untersucht, wie integrationsfreundlich, links oder rechts orientiert sowieideologisch homogen bzw. heterogen die Mitgliedsstaaten – und damit intergouver-nementale EU-Gremien – im Zeitverlauf waren. Hierbei greifen wir auf Experten-surveys, Daten zur parteipolitischen Regierungszusammensetzung und Daten desManifesto-Projekts zurück. Eine Fallstudie zur Entwicklung der EU-Sozialpolitik seitden Römischen Verträgen ergänzt die quantitative Darstellung. Sie unterstreicht, dassdie Analyse internationaler Verhandlungen ein angemessenes Verständnis der partei-politischen Dimension des Einigungsprozesses voraussetzt.

1. Einleitung: Parteien und nationale Interessen1

Die spanischen Parlamentswahlen im März 2004 veränderten mit dem Regierungs-wechsel Spaniens Außenpolitik. Wie im Wahlkampf angekündigt, zog der neuesozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero die Truppen seinesLandes aus dem Irak zurück. Der Übergang von den Demokraten zu den Republika-nern beeinflusste nicht nur die strategische Ausrichtung der amerikanischen Außen-politik, sondern machte auch eine Einigung im Streit um das Kyoto-Protokollunmöglich. Die Beschäftigungsstrategie der EU konnte erst verabschiedet werden,nachdem in Großbritannien die Labour Party die Konservativen abgelöst hatte. Dieparteipolitische Ausrichtung nationaler Regierungen schlägt sich in der Interpreta-tion nationaler Interessen nieder und übt einen Einfluss auf die Einigungschancen ininternationalen Verhandlungen aus. Regierungsparteien »verkoppeln« die nationaleund internationale Ebene. Sie werden in internationalen Verhandlungen keine Posi-

1 Wir danken Christian Joerges, Stephan Leibfried, Miriam Hartlapp, Ulrich Sedelmeier,Wolfgang Streeck, Oliver Treib und drei anonymen Gutachterinnen bzw. Gutachtern derZIB für zahlreiche Hinweise. Die verbleibenden Unzulänglichkeiten sind ausschließlichuns zuzuschreiben.

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tionen einnehmen, die ihrer nationalen politischen Programmatik eindeutig wider-sprechen (Marks/Wilson/Ray 2002: 586).2

In diesem Aufsatz untersuchen wir einen Faktor, der die Kooperationswahrschein-lichkeit zwischen Staaten beeinflusst, aber von der Theorie der InternationalenBeziehungen nach unserem Eindruck bislang kaum beachtet worden ist: die partei-politische Zusammensetzung der Regierung. Wir untersuchen den Einfluss der par-teipolitischen Ausrichtung auf die zwischenstaatliche Kooperation an einem Fall,für den ein solcher Einfluss am ehesten erwartet werden kann: für die EU. Sie hatsich am weitesten von einem internationalen Regime zu einem eigenständigen poli-tischen System entwickelt – u. a. begünstigt durch die homogene parteipolitischeZusammensetzung der Regierungen in ihrer Gründungsphase! –, und daher ist einEinfluss der parteipolitischen Zusammensetzung der EU-Mitgliedsregierungen aufdie Europapolitik in vielen Studien immer wieder vermerkt worden, ohne dass diesbislang Anlass zu einer systematischen Untersuchung von Europas parteipoliti-schem Gravitationszentrum gegeben hätte.3 Wir fragen im Folgenden, a) wie sichdie Regierungszusammensetzung in den EU-Mitgliedsländern auf die parteipoliti-sche Zusammensetzung des Europäischen Rats und des Ministerrats der EU ausge-wirkt hat und b) welche Politikkonsequenzen unterschiedliche Mehrheiten im Ratfür die europäische Sozialpolitik besessen haben. Unsere allgemeine, über die Euro-päische Union hinausweisende Ausgangshypothese ist einfach: Je ähnlicher die par-teipolitischen Positionen der Staaten sind, für desto wahrscheinlicher halten wirceteris paribus zwischenstaatliche Kooperation, und je eindeutiger die parteipoliti-schen Mehrheitsverhältnisse in zwischenstaatlichen Entscheidungsgremien ausfal-len, desto deutlicher sollte sich dies auf den Inhalt dieser Kooperation auswirken.Damit wird zugleich die Grenze der hier vorgeschlagenen Herangehensweise deut-lich. In internationalen Regimen mit großer Mitgliederzahl ist die Wahrscheinlich-keit ausgeprägter Links-rechts-Schwankungen geringer als beispielsweise in der frü-heren Europäischen Gemeinschaft. Die Bedeutung der Parteipolitik für die nationaleVerhandlungsposition wird zudem größer sein, wenn internationale Entscheidungeninnenpolitisch stark umstrittene Politikfelder betreffen.

Unsere Untersuchung ist ein erster Schritt in der Analyse der parteipolitischenBeeinflussung zwischenstaatlicher Verhandlungsregime. Was den exemplarischenUntersuchungsgegenstand dieser Studie anbetrifft, die Europäische Union, so wol-len wir mit der Betonung der parteipolitischen Dimension der europäischen Eini-gung keine eigenständige Integrationstheorie formulieren, sondern bestehende

2 Allerdings gibt es keinen Grund für die Annahme, dass die Bedeutung der parteipoliti-schen Ausrichtung einer Regierung in allen Politikfeldern gleich groß ist. In welchenFällen politische Ideologie die nationalen Präferenzen beeinflusst, bleibt eine empirischeFrage. Generell beurteilen wir Andrew Moravcsiks (1997) Argumentation skeptisch,dass sich Regierungen in internationalen Verhandlungen von innenpolitischen Ansprü-chen emanzipieren können. Der nationale Parteienwettbewerb drängt Parteien, ein kohä-rentes ideologisches Profil zu bewahren (Hinich/Munger 1992).

3 Allerdings hat Martin Höpner (2005) in der letzten Ausgabe der Zeitschrift für Interna-tionale Beziehungen auf die Bedeutung parteipolitischer Faktoren für die europäischeFinanzmarktintegration hingewiesen.

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Philip Manow/Armin Schäfer/Hendrik Zorn: Europäische Sozialpolitik in den Jahren 1957-2003

77ZIB 1/2006

Erklärungsansätze ergänzen. So stimmen verschiedene Ansätze in den Internationa-len Beziehungen auf ganz allgemeiner Ebene darin überein, dass zwischenstaatlicheKooperation dann stattfindet, wenn sie für die Beteiligten Wohlfahrtsgewinne ver-spricht (vgl. Keohane 1984; Zürn 1992). Doch was jeweils als im »nationalen Inte-resse« liegend definiert wird, bemisst sich nicht zuletzt nach den ideologischen bzw.programmatischen Überzeugungen derer, die dieses nationale Interesse in inter-nationalen Verhandlungen vertreten – den nationalen Regierungen. Zum Beispielwerden sozialdemokratische Regierungen die Einigung auf europaweite Sozialstan-dards eher als wohlfahrtssteigernd wahrnehmen als konservative Regierungen; Letz-tere dürften eher geneigt sein, die Durchsetzung der vier Wirtschaftsfreiheiten alsnationalen Wohlfahrtsgewinn zu verstehen. Die Wahrscheinlichkeit der Einigungauf europäische Re-Regulierung oder Deregulierung bestimmt sich daher auch nachder parteipolitischen Ausrichtung der EU-Mitgliedsländer, die sich im Rat auf einegemeinsame Politik einigen. Entsprechend ist es plausibel zu erwarten, dass linkeRegierungen in internationalen Verhandlungen eher protektionistische Positionenvertreten, während rechte Regierungen stärker für wirtschaftliche Deregulierungeintreten. Die Bedeutung der programmatischen Positionen von Staaten weist daherüber den spezifischen EU-Kontext hinaus.

Wir untersuchen im Folgenden systematisch die parteipolitische Zusammenset-zung der EU-Mitgliedsregierungen seit 1957. Damit können wir eine Positionierungdes Europäischen Rats und des Ministerrats anhand von zwei Dimension vorneh-men: der grundlegenden Links-rechts-Dimension, wie auch der »Integration vs.nationale Souveränität«-Dimension (Hix/Lord 1997: 50). Verbunden ist unsere Ana-lyse mit einer Fallstudie zur europäischen Sozialpolitik von den Römischen Verträ-gen bis zum Amsterdamer Vertrag. Die Fallstudie dient zum einen als plausibilityprobe, d. h. sie bietet Evidenz dafür, dass Europas sozialpolitischer Integrationspfadauch von der parteipolitischen Ausrichtung der EU-Mitgliedsregierungen beein-flusst worden ist. Die Fallstudie hat zum anderen die Funktion, einige Aspekte derparteipolitischen Dimension des EU-Einigungsprozesses zu beleuchten, die miteiner rein quantitativen Betrachtung schwer zu erfassen sind. In dieser Hinsicht istinsbesondere die Berücksichtigung innerparteilicher Strömungen und Flügel bei derKompromissbildung über den europäischen Integrationspfad von Bedeutung. DieFallstudie bietet somit nicht nur einen Plausibilitätsnachweis, sondern auch einewichtige Ergänzung zur quantitativ-empirischen Untersuchung.

Der Aufsatz ist wie folgt aufgebaut: Zunächst begründen wir in Abschnitt 2, wes-halb und in welcher Hinsicht wir von der parteipolitischen Zusammensetzung einerRegierung einen Einfluss auf ihre Haltung in zwischenstaatlichen Verhandlungenund damit auch auf das Ergebnis dieser Verhandlungen selbst erwarten können.Abschnitt 3 erläutert unser methodisches Vorgehen und bietet dann einen systema-tisch-quantitativen Überblick über Europas parteipolitisches Gravitationszentrumvon 1957 bis zum Jahr 2003; insbesondere verorten wir den Ministerrat auf derLinks-rechts- und der Integrations-Skala. In beiden Dimensionen können die Regie-rungen einheitliche oder divergierende Positionen einnehmen. Das heißt, nicht nurdie Lage des Gravitationszentrums zu einem gegebenen Zeitpunkt, sondern auch die

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Homogenität der Positionen geben Auskunft darüber, ob und in welchen FeldernKooperation wahrscheinlich ist. Indem wir »horizontale« und »vertikale« Perspekti-ven zusammenbringen, wird deutlich, dass Regierungsparteien aus unterschied-lichen Gründen für oder gegen die Ausweitung der EU-Kompetenzen sein können.Dies zeigt Abschnitt 4, in dem wir die Geschichte der EU Sozialpolitik von ihrenAnfängen bis heute unter dem besonderen Blickwinkel ihrer parteipolitischenDimension rekonstruieren. Ein letzter Abschnitt enthält einen Ausblick auf weitereForschungsfragen, die sich aus unseren Befunden ergeben.

2. Parteipolitische Programmatik, nationale Interessen und die Wahrscheinlichkeit internationaler Kooperation – die EU als Anwendungsfall

Es gibt in der EU-Literatur anekdotische Evidenz, die auf die Bedeutung der partei-politischen Mehrheitsverhältnisse unter den EU-Mitgliedsländern für die europäi-sche Integration verweist. Hierzu gehören z. B. die Hinweise auf den Einfluss christ-demokratischer Hegemonie unter den sechs Gründungsstaaten in den 1950er Jahrenfür die frühe Konstitutionalisierungsphase der EU, die Bedeutung des parteiüber-greifenden Charakters der deutsch-französischen Zusammenarbeit in den 1970er,1980er und 1990er Jahren oder die Auswirkung des »Linksrucks« unter den EU-Mitgliedsstaaten in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre für sozialpolitische Initia-tiven, wie z. B. das Beschäftigungskapitel des Amsterdamer Vertrags. Doch die vie-len Einzelverweise haben bislang noch zu keiner systematischen Untersuchung vonEuropas parteipolitischer Dimension geführt. Was sind vermutliche Gründe für dieseAussparung?

In der Forschung zur europäischen Integration dominierte lange Zeit eine »verti-kale« Perspektive, d. h. es stand die Frage nach dem »Mehr« oder »Weniger« anIntegration im Mittelpunkt, während die »horizontale« Links-rechts-Dimension deseuropäischen Integrationsprojekts demgegenüber deutlich in den Hintergrund trat(Genschel 1998). Integration wurde vornehmlich als Delegation nationalstaatlicherSouveränitätsrechte oder als funktionaler spillover von Kompetenzen auf die supra-nationale Ebene verstanden. Hierin stimmten die großen Integrationstheorien wieRealismus, Intergouvernementalismus und Funktionalismus überein. Ihnen gemein-sam war die Dichotomisierung von nationaler und internationaler Politik, die dieparteipolitische Dimension zwischenstaatlicher Kooperation vernachlässigte.4 Dementspricht eine analytische Perspektive bei der Darstellung und Untersuchung dereinzelnen EU-Institutionen und Akteure, die diese entweder als bürokratische oder

4 Der »liberale Intergouvernementalismus« (Moravcsik 1991, 1993, 1998) verbindetnationale Politik und internationale Verhandlungen. Allerdings strebt er eine politökono-mische, sektorale Erklärung nationaler Verhandlungspositionen an, bei der vor allemnationale Produzenteninteressen im Vordergrund stehen (Moravcsik 1998: 33-38). DieDichotomisierung von nationaler und internationaler Politik wurde in der EU-Forschungauch durch den Rückgriff auf das Konzept des »Zwei-Ebenen-Spiels« (Putnam 1988)aufgelöst. Am Beispiel der Währungsunion haben dies John Woolley (1994) sowie Die-ter Wolf und Bernhard Zangl (1996) durchexerziert.

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als intergouvernementalistische Gebilde versteht, ihnen jedoch eine genuin parteipo-litische Prägung abspricht. Während der Ministerrat vornehmlich als Ort nationalerInteressenvertretung analysiert wird, begreift die Literatur die Kommission als»Hüterin der Verträge« sowie als Bürokratie mit einem Eigeninteresse an Kompe-tenzausweitung (Sandholtz/Stone Sweet 1998; Stone Sweet et al. 2002; Pollack1997, 2003). Als weiterer wichtiger, aber wiederum eher »unpolitischer« Akteurwird der Europäische Gerichtshof (EuGH) in den Blick genommen (Alter 1998;Alter/Meunier-Aitsahalia 1994; Burley/Mattli 1993; Stone Sweet 2004). Kommis-sion und EuGH besitzen beinahe per definitionem, auf alle Fälle per Mission, einenüberparteilichen Auftrag zur Förderung der europäischen Integration, sodass ihrepolitikwissenschaftliche Betrachtung oft neofunktionalistisch eingefärbt ist, wäh-rend bei der Betrachtung des Ministerrats eher die Semantik des Intergouvernemen-talismus vorherrscht. Dass und in welchem Ausmaß diese Interessen auch jeweilsparteipolitisch bestimmt sind, wurde hingegen bislang nicht detailliert erörtert,obwohl es zunehmend Hinweise auf die Bedeutung der parteipolitischen Dimensionfür die Entscheidungsfindung im Rat gibt (Aspinwall 2002; Mattila 2004).

Ähnliche Aussparungen lassen sich für die Literatur über Europas demokratischeDimension feststellen. Wenn in der Europaforschung Wahlen analysiert werden,wurde bislang fast ausschließlich die Rolle der Europawahlen für die Zusammenset-zung des Parlaments und das Verhältnis zwischen nationalen und Europawahlenuntersucht (Reif/Schmitt 1980; Reif 1984; van der Eijk et al. 1996; van der Eijk/Franklin 1996), nicht aber die Bedeutung nationaler Wahlen für die Zusammenset-zung von Ministerrat und Europäischem Rat und für das Zusammenspiel zwischenRat, Kommission und Parlament. Alternativ interessierte die Auswirkung der euro-päischen Integration auf die nationalen Parteiensysteme (Mair 2001; Bartolini 2005:Kap. 6), nicht aber die Bedeutung der domestic politics für den europäischen Inte-grationsprozess. Zugleich wird aber auf die Bedeutung gerade dieses Zusammen-hanges immer wieder hingewiesen. So zählt etwa Simon Hix in seiner umfassendenBehandlung des »Politischen Systems der EU« nationale Wahlen zu den »mostimportant channels through which EU-citizens can exert influence and can makedemands on the EU system: In national elections citizens choose governments whosubsequently represent these citizens in the Council« (Hix, 1999: 5). Aber welcheParteien haben Europas Wähler mit ihrer Repräsentation »in Brüssel« betraut? Hixund Christopher Lord heben zudem hervor, dass europapolitische Integrations-schübe insbesondere dann zu verzeichnen sind, wenn Regierungen »günstige Situa-tionen« (»favorable conjunctures«; Hix/Lord 1997: 4) ausnutzen wollen, um ihreNachfolgeregierungen politisch zu binden. Was aber eine europapolitisch günstigeSituation ist, bemisst sich erneut auch an der parteipolitischen Zusammensetzungdes Ministerrats, wenn nicht sogar primär daran.

Wie sich leicht zeigen lässt, besitzt die Betrachtung der parteipolitischen Zusam-mensetzung der EU-Mitgliedsregierungen für eine Reihe von theoretischen Argu-menten der Europaliteratur zentrale Bedeutung. So argumentiert etwa George Tse-belis, dass das Europäische Parlament dann zum »konditionalen Agenda-Setzer«werden kann, wenn im Ministerrat heterogene Positionen einer einheitlichen Wil-

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lensbildung entgegenstehen (Tsebelis 1994: 135-136; Tsebelis/Kreppel 1998). DieInteressenheterogenität im Ministerrat ist aber unzweifelhaft oft auch parteipoliti-scher Natur. Analog bestimmt sich auch das Delegationsverhältnis zur Kommissionnach dem Grad der Interesseneinigkeit im Rat (Pollack 2003: 34). Dem Problem der»bürokratischen Drift«, also der aktivistischen Selbstbeauftragung der Kommissionin wichtigen Integrationsfragen, kann mit institutionellen Checks begegnet werden.Diese Delegationsproblematik würde sich allerdings nur begrenzt stellen, wenn derMinisterrat in zentralen Sachfragen eine einheitliche Position bezöge. Es ist plausi-bel anzunehmen, dass den Mitgliedsländern eine Einigung im Rat dann leichter fällt,wenn sie eine gleiche parteipolitische Ausrichtung haben. Wie man sieht, schlägthier die Heterogenität bzw. Homogenität der politischen Positionen der EU-Mit-gliedsregierungen unmittelbar auf die europäische Verfassungspraxis, d. h. auf dieMachtgewichte zwischen Rat, Parlament und Kommission, durch.

Die Bedeutung von Europas parteipolitischer Dimension verdeutlicht auch PaulPiersons (1996) Argument, dass aufgrund des »Präferenzwandels« nationaler Regie-rungen die EU zu keinem Zeitpunkt eine direkte Entsprechung der Wünsche derEinzelstaaten sein kann, wie es der Intergouvernementalismus oder auch der Realis-mus nahe legen. Eine der wichtigsten Quellen von Präferenzwandel sind – laut Pier-son (1996: 140) – Regierungswechsel. Die Delegation von Entscheidungsbefugnis-sen an suprastaatliche Instanzen wird auch oft als eine Strategie interpretiert, mit dersich Staaten wechselseitig glaubwürdig binden wollen. Doch stellt sich dieses Pro-blem der Selbstbindung insbesondere dann, wenn Regierungen nicht nur das jeweils– relativ stabile – geopolitische oder ökonomische Nationalinteresse vertreten.Regierungen binden sich mit internationalen Vereinbarungen, weil sie sich selbstund die Verhandlungspartner, aber auch ihre Nachfolger disziplinieren wollen.Internationale Kooperation basiert gerade darauf, dass internationale Organisationenihre Ziele zumindest teilweise unabhängig von den wechselnden Präferenzen derMitgliedsstaaten verfolgen können. Die Hauptursache für das, was hier abstrakt mit»wechselnden Präferenzen« bezeichnet wird, sind aber durch demokratische Wah-len veranlasste Änderungen in der parteipolitischen Ausrichtung von Regierungen.Die EU-Literatur der letzten Jahre sieht ein Hauptmotiv für den Kompetenztransferauf die Europäische Kommission und den Gerichtshof in der höheren Glaubwürdig-keit dieser Arrangements (Moravcsik 1998: 67-68; Pollack 1997). Doch es ist weni-ger der unterstellte Opportunismus der Vertragsparteien, vor dem solche Arrange-ments schützen sollen, als die durch Regierungswechsel verursachte »zeitlicheInkonsistenz« im Handeln der Staaten. Dies ist keine EU-spezifische Problematik,sondern gilt generell für die wechselseitige Selbstbindung von Staaten in den inter-nationalen Beziehungen. Auch die These, dass viele vertragliche Regelungen in derEU als »institutionalized dispute resolution« zu verstehen sind (Stone Sweet/Sand-holtz 1998: 16-17), führt unmittelbar zur Frage nach der jeweiligen parteipolitischenZusammensetzung der EU-Mitgliedsregierungen, sind doch viele Dispute über dieeuropäische Integration parteipolitisch eingefärbt.

Wir meinen, dass eine Analyse der großen europäischen Konstitutionalisie-rungsschritte, aber auch die Untersuchung des Machtgleichgewichts zwischen Rat,

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Kommission und Parlament mit ihrer zentralen Bedeutung für Europas gelebte Ver-fassung, nicht gut ohne eine systematische Betrachtung der parteipolitischen Regie-rungszusammensetzung in den Mitgliedsländern möglich ist. Gleiches könnte fürdie Umsetzung von EU-Politiken behauptet werden, wie sich am Stabilitäts- undWachstumspakt demonstrieren lässt. Zunächst maßgeblich von einer konservativendeutschen Regierung ausgehandelt, die die weniger monetaristischen Länder derWährungsunion auf ein hohes Ausmaß wirtschafts- und währungspolitischer Diszi-plin verpflichten wollte, führte der Regierungswechsel in Deutschland 1998 dazu,dass das Interesse an einer strikten Interpretation des Maastricht-Regelwerks deut-lich abnahm. Neuere Forschungen zur Implementation europäischer Richtlinienstreichen ebenfalls die Bedeutung der parteipolitischen Konstellation auf nationalerEbene heraus (Treib 2003). Auch diese Literatur betont also den Wert, den eine sys-tematischere Langzeitanalyse von Europas parteipolitischem Gravitationszentrumals Ergänzung zur bisherigen Integrationsforschung besitzen würde. Ihr wenden wiruns im folgenden Abschnitt zu.

3. Wie hat sich die parteipolitische Regierungszusammensetzung in den EU-Mitgliedsländern seit 1955 entwickelt?

Will man eine Regierung in einem gedachten politischen Raum verorten, bieten sichverschiedene Vorgehensweisen an. Dabei lassen sich zwei Arten von Studien unter-scheiden. Zum einen kann man Parteien nach Parteifamilien bzw. auf einer Links-rechts-Skala verorten (siehe für einen Überblick Schmidt 1996). Zum anderen kannman einen ideologischen Gravitationspunkt errechnen (Gross/Sigelman 1984). DieseVerortung ergibt sich aus der Information über die Positionierung einer Partei aufeiner Ideologie-Skala und dem Gewicht, mit der diese Position in die Gesamtpositionder Regierung eingeht – in Koalitionsregierungen gängigerweise dem jeweiligen Par-teianteil an den Abgeordnetensitzen aller Regierungsparteien (bei einer Einparteien-regierung ist dieses Gewicht 1). Um die ideologische Positionierung der Parteien zueruieren, können Expertenbefragungen durchgeführt werden (Laver/Hunt 1992; Cast-les/Mair 1984; Huber/Inglehart 1995). Sie haben jedoch die bekannten Probleme derReliabilität und Validität. Zudem bilden Befragungen im Regelfall nur die Situationzu einem gegebenen Zeitpunkt ab. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass sich Partei-positionierungen über Zeit nur sehr wenig ändern, stellt das Problem fehlender Wertefür zum Zeitpunkt der Expertenbefragung nicht mehr existente Parteien ein ernsthaf-tes Problem dar, wenn man die Entwicklung über längere Zeiträume verfolgen will.

Eine alternative Vorgehensweise ist die Bestimmung parteipolitischer Positionie-rungen durch die Inhaltsanalyse von Wahlprogrammen. Diesen Weg hat das großangelegte Comparative Manifesto Project (CMP, siehe Budge et al. 2001) gewählt,das die Programme für alle Parteien in 25 westlichen Demokratien zwischen 1945und 1998 auswertet. Gegenüber dem beeindruckenden Ergebnis des CMP-For-schungsverbundes mag man sowohl methodische als auch theoretische Einwändeformulieren. So bleibt es fraglich, ob Wahlprogramme tatsächlich die »wirklichen«

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Positionierungen von Parteien repräsentieren und ob und wie sich aus der Frequenzvon Nennungen einiger zentraler Schlüsselbegriffe inhaltliche Positionsbestimmun-gen ableiten lassen. Aus zwei Gründen werden wir im Folgenden trotz aller Einzel-kritik sowohl auf die Experten-surveys als auch auf die Daten des Manifesto-Projektszurückgreifen. Erstens gibt es schlicht keine empirische Alternative. Zweitens bietendie Daten trotz der erwähnten Einwände insbesondere dann wertvolle Informationenüber Europas parteipolitisches Gravitationszentrum, wenn man sie stärker in Hin-blick auf Veränderungen und Trends über Zeit befragt, anstatt Aufschluss über kon-krete Positionierungen einzelner Parteien zu einem gegebenen Zeitpunkt zu erwarten.

Es mögen auch Zweifel hinsichtlich unseres Ansatzes im Kontext der Europäi-schen Union bestehen: Wenn alle wichtigen EU-Entscheidungen entweder formelloder informell dem Einstimmigkeitsprinzip folgen, was für einen Sinn macht esdann, eine durchschnittliche Position der EU-Mitgliedsregierungen zu errechnen?Wäre es in diesem Fall nicht angemessen, die Position »pivotaler Länder« zu ermit-teln? Dies hieße aber in unseren Augen, den zweiten vor dem ersten Schritt zumachen. Die Bestimmung eines Präferenzaußenseiters in einer bestimmten Ent-scheidungsfrage setzt voraus, dass wir wissen, wo – statistisch gesprochen – derMittelwert der Grundgesamtheit liegt. Als Annäherung an die Frage, wie weit diePositionen zwischen den Mitgliedsregierungen streuen, berichten wir über die Ent-wicklung der Standardabweichung unserer Gravitationszentrum-Variablen (sieheAbb. 2). Vor dem Hintergrund dieses Bilds können zukünftige Analysen Extrempo-sitionierungen in ausgewählten issue-Bereichen betrachten, wobei – wie gesagt –solche Analysen sich schnell mit dem Problem einer nur begrenzten Datenqualitätkonfrontiert sehen. Schließlich halten wir auch deswegen die Ermittlung von Durch-schnittswerten für sinnvoll, weil das Einstimmigkeitsprinzip in der EU keinem Mit-gliedsland für jede Entscheidungsfrage eine vollständige Vetomacht zuweist. Präfe-renzaußenseiter werden durch die jeweilige Mehrheit diszipliniert und durchetablierte Reziprozitätsregeln an der freien Ausübung ihres formellen Vetorechtsgehindert (Héritier 1996; Caporaso 1992; Manow 1999). Selbst Margaret Thatcherkonnte in der EU keine Politik des »permanenten Neins« verfolgen.

Wir nutzen für die folgende Analyse also drei Datenquellen: Die von MichaelLaver und Ben Hunt (1992) durchgeführte Expertenbefragung zur ideologischenPositionierung von Parteien, die Angaben von Leonard Ray (1999) über die Integra-tionsorientierung bzw. -skepsis von Parteien in den EU-Mitgliedsländern undschließlich die Daten des Comparative Manifesto Project (Budge et al. 2001).Zunächst aber gruppieren wir in einem ersten Analyseschritt die EU-Länder nachihrer Zugehörigkeit zu Parteifamilien. Abbildung 1 zeigt diese Parteienzugehörig-keit nach den vier gängigen, auch vom Manifesto-Projekt verwendeten Zuordnun-gen. Wir unterscheiden sozialdemokratische, liberale, christdemokratische und kon-servative/rechte Regierungen (und vernachlässigen Regional- und single-issue-Parteien). Eine Zuordnung zu einer dieser Parteifamilien erfolgt, wenn eine entspre-chende Partei über mehr als die Hälfte der Parlamentssitze aller Regierungsparteienverfügte. Wenn diese Stellung zudem mehr als die Hälfte des jeweiligen Jahres vor-herrschte, wurde die Zelle für das betreffende Jahr und Land entsprechend schat-

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tiert.5 Wenn es keine dominante Regierungspartei gab, errechneten wir den tagesge-wichteten Durchschnitt der parteispezifischen Parlamentssitzanteile. Wenn auchdieses Verfahren keine Zuordnung erlaubte, wurde die Zelle in Abbildung 1 entspre-chend markiert.

Aus Abbildung 1 sind mehrere wichtige Trends unmittelbar ersichtlich. Bedeutsamauch für die weitere Analyse ist zunächst die christdemokratische Hegemonie in den1950er und 1960er Jahren. Als zweite wichtige Erkenntnis zeigt sich, dass jeder Erwei-terungsschritt die EU »linker« werden ließ. Schließlich ist aus Abbildung 1 auch dieDominanz konservativer Parteien in den EU-Ländern in den 1980er Jahren ersichtlich,während die 1990er Jahre dann eine deutliche Linksverschiebung mit sich brachten.

In einer nächsten, etwas feinkörnigeren Betrachtung können wir fragen, wie sichVeränderungen in der parteipolitischen Regierungszusammensetzung in Verände-rungen im parteipolitischen Gravitationszentrum des EU-Ministerrats übersetzthaben. Für diesen Zweck nehmen wir aus den Daten von Laver/Hunt (1992) dieAngaben zur »increase service vs. cut taxes«-Frage, die eine Verortung von Parteienauf der sozioökonomischen Links-rechts-Skala mit Werten zwischen eins und 20ermöglicht. Die Einschätzungen für einzelne Parteien fließen dann gewichtet nachdem parteispezifischen Sitzanteil an den Sitzen aller Regierungsparteien in einenaggregierten Positionsindex ein. Das europäische parteipolitische Gravitationszent-rum ergibt sich dann als Mittel der Ländergravitationszentren.6 Wir sind unsbewusst, dass die Verlängerung der in den frühen 1990er erhobenen Daten zurück indie 1950er Jahre nicht ohne Probleme ist. In diesem Zusammenhang möchten wirerneut betonen, wie wichtig eine vorsichtige Interpretation der Ergebnisse ist, wobeiinsbesondere auf Veränderungen über Zeit abgestellt werden sollte. Zugleich istaber festzustellen, dass sich Vertrauen in die Aussagekräftigkeit des Gravitations-zentrums aus dem Umstand speist, dass zwischen dem in Abbildung 2 ersichtlichenTrend und den in Abbildung 1 berichteten Veränderungen in der Zusammensetzungder EU-Regierungen ein sehr enger Zusammenhang erkennbar ist.

Welches Bild ergibt sich unter Verwendung der Laver/Hunt-Daten? Sie spiegeln rechtdeutlich die Rechtsverschiebung zum Ende der 1970er und Beginn der 1980er Jahre wi-der, die sich in einer Reihe von EU-Ländern vollzog. Die 1980er waren eine eher »kon-servative« Dekade und es dauerte bis zur zweiten Hälfte der 1990er, bevor linke Parteienin einem nennenswerten Umfang zurück zur Macht fanden. Das linke Zwischenspiel zuMitte der 1970er Jahre war zu einem erheblichen Teil Resultat der EU-Erweiterung umIrland, Dänemark und Großbritannien im Jahre 1973. In Dänemark und Großbritannienwaren entweder bereits zum Beitrittszeitpunkt oder wenig später sozialdemokratischeParteien an der Regierung. Zugleich zeigt Abbildung 2 auch, dass Europa, was die par-teipolitische Zusammensetzung seiner Mitgliedsregierungen anbetrifft, stetig heteroge-ner wurde – wie an der ansteigenden Standardabweichung ersichtlich.

5 Bei Koalitionsregierungen unter annähernd gleich großen Partnern entschied die Partei-zugehörigkeit des Premierministers über die Zuordnung. Dies war jedoch nur in Belgienzwischen 1995 und 2000 und in Österreich ab dem Jahr 2000 der Fall.

6 Wir haben darauf verzichtet, die Länderwerte nach den Stimmengewichten im Minister-rat zu gewichten, weil wir von dem Einstimmigkeitsprinzip als Standardentscheidungs-regel ausgegangen sind.

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Abbildung 2: Parteipolitisches Gravitationszentrum der Mitgliedsregierungen (Laver/Hunt 1992)

Abbildung 3: Zustimmung der Mitgliedsregierungen zur europäischen Integration (EI) (Ray 1999)

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Mit dem gleichen methodischen Vorgehen lässt sich auch die relative Unterstüt-zung des EU-Integrationsprozesses der EU-Mitgliedsregierungen ermitteln. Hiernutzen wir die Daten von Ray (1999), der für die wichtigsten nationalen Parteien ihrePosition hinsichtlich der europäischen Integration – ebenfalls per Expertenbefragung– ermittelt hat. Jede Mitgliedslandregierung kann auf einer von eins bis sieben rei-chenden Integrationsskala verortet werden, je nachdem, ob die Regierungsparteiender Integration der EU »geringe Bedeutung« und »geringe Unterstützung« oder»große Bedeutung« und »große Unterstützung« zumessen. Aus der Verortung derRegierungen in dieser Dimension ergibt sich dann wiederum auf höherer Aggregat-stufe die Position der durchschnittlichen Mitgliedslandregierung. Wie Abbildung 3zeigt, verläuft die Kurve spiegelbildlich zu unserem Gravitationszentrums-Indikator:Je linker die EU-Regierungen waren, umso geringer fällt die Unterstützung für denweiteren Integrationsprozess aus. »Lokale Minima« der Unterstützung finden sich inder zweiten Hälfte der 1970er und der 1990er Jahre. Dass linke Regierungen in derTendenz integrationsskeptischer sind, zeigt sich auch, wenn wir nach der Unterstüt-zung der EU-Integration unterschiedlicher Parteifamilien fragen (siehe Abb. 4).

Abbildung 4: Zustimmung zur Integration nach Parteifamilien (Ray 1999)

Die box plot-Grafik in Abbildung 4 zeigt die Unterstützung für die Integration derEU, getrennt nach den drei größten Parteifamilien, unter Verwendung der Daten vonRay (1999). Höhere Werte auf der Skala von eins bis sieben stehen für ein stärkeres

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Interesse an der EU und eine größere Unterstützung des Integrationsprozesses. Diebox plots zeigen den Median, die gesamte Streuung sowie das erste und vierteQuartil. Wir haben alle Parteien integriert, die sich zumindest einmal seit 1957 inRegierungsverantwortung auf nationaler Ebene befanden und gruppieren diese nachParteifamilien. Abbildung 4 zeigt, dass zwischen den drei untersuchten großen Par-teigruppen erhebliche Unterschiede bestehen. Die christdemokratischen Parteiensind dabei eindeutig die stärksten und geschlossensten Unterstützer der EU. Sozial-demokratische und konservative Parteien sind sich dagegen einig in einer integra-tionsskeptischeren Haltung und weisen zudem eine höhere interne Heterogenität indieser Frage auf. Dass dieser »negative Konsens« auch wichtig war für die integra-tionspolitischen Weichenstellungen, auf die sich die Mitgliedsregierungen in der for-mativen Phase des europäischen Projekts in den frühen 1950er einigen konnten, zei-gen wir im nachfolgenden Abschnitt, in dem es um europäische Sozialpolitik geht.Die Sozialpolitik bietet sich als Gegenstand einer Fallstudie an, weil sozialpolitischeFragen genau an der traditionellen politischen Spannungslinie zwischen »links« und»rechts« liegen (Tsoukalis 1993: 148). In der folgenden Fallstudie betrachten wir dieEntwicklung der Sozialpolitik in den Verträgen von Rom bis Amsterdam. Wech-selnde ideologische Mehrheiten beeinflussen nicht nur die Wahrscheinlichkeit einerEinigung, sondern schlagen sich auch in den Inhalten der Sozialpolitik nieder. ImFolgenden wird deutlich, wie die Dominanz von Mitte-rechts-Parteien während derentscheidenden Integrationsetappen die EG/EU auf einen ökonomischen Pfad fest-legte, auf dem die Sozialpolitik weitgehend untergeordnet blieb.

4. Parteipolitik und die Europäische Sozialpolitik in den Jahren 1957-2003

Dieser Abschnitt betrachtet am Beispiel der Sozialpolitik, wie sich Veränderungender Regierungszusammensetzung auf politische Entscheidungen ausgewirkt haben.Wie aus Abbildung 1 ersichtlich wird, waren die 1960er Jahre von den Christdemo-kraten dominiert, die 80er und frühen 90er von Mitte-rechts-Koalitionen. Erst in derzweiten Hälfte der 90er Jahre gewinnen die Sozialdemokraten die Oberhand. AlleVertragsänderungen vor Amsterdam wurden verhandelt, als linke Regierungen inder Minderheit waren. Unser Argument lautet, dass diese Mitte-rechts-Dominanzeiner Aufwertung der europäischen Sozialpolitik im Wege stand. Wir folgen einerengen Definition von Sozialpolitik, die nicht jegliche marktkorrigierenden Eingriffe,sondern die »Sicherung gegen die Lebensrisiken einer arbeitsteiligen Gesellschaft«umfasst (Schmidt 2005: 15-16). Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU oder die Bil-dungspolitik bleiben somit außen vor, obwohl sie als präventive Sozialpolitik (imweiten Sinn) verstanden werden können. Im Mittelpunkt stehen die vertraglichenBestimmungen zur Sozialpolitik im EG-Vertrag.7

7 Da die Entwicklung der Sozialpolitik untrennbar mit den großen Konstitutionalisie-rungsschritten verbunden ist, muss dieser Kontext dargestellt werden.

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4.1. Die Römischen Verträge

Als die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1950/51 gegründetwurde, bestand eine christdemokratische Mehrheit in den sechs Gründungsstaaten.In Belgien, Deutschland, Italien und Luxemburg stellten die Christdemokraten denRegierungschef. In den Niederlanden war die Katholieke Volkspartij stärkste Partei,doch ein Sozialdemokrat (Willem Drees) führte eine große Koalition. Nur in Frank-reich war die Situation anders. Die MRP (Mouvement Républicain Populaire)erlangte zu keiner Zeit eine so dominante Stellung wie christdemokratische Parteienin den Nachbarländern (Kalyvas 1996: Kap. 3). In Deutschland, Italien, Luxemburgund den Niederlanden änderte sich bis zum Abschluss der Römischen Verträgenichts an der christdemokratischen Vorherrschaft. Im Gegensatz dazu kam 1954 derSozialdemokrat Achille von Acker in Belgien an die Macht, wo eine sozialliberaleKoalition die Christdemokraten ablöste. In Frankreich regierten von 1956-57 zweisozialistische Premierminister (Edgar Faure und Guy Molley), die der europäischenIntegration weniger skeptisch als ihr Vorgänger Pierre Mendès-France von der PartiRadical gegenüberstanden. Für die Anfangsjahre der europäischen Integration lässtsich dennoch festhalten, dass sie durch christdemokratische Parteien geprägt wur-den. Die ideologische Homogenität der beteiligten Regierungen und ihre positiveBewertung des Europagedankens erleichterten den Abschluss der Römischen Ver-träge.

Auch wenn dies nicht die ursprüngliche Absicht aller Akteure war, glich die Euro-päische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Ergebnis dem (ordo-)liberalen Ideal,dass die Gemeinschaftsinstitutionen zwar das Funktionieren des Markts gewährleis-teten, aber keine darüber hinaus gehenden Eingriffsrechte besaßen (von der Groeben1987: 189; Joerges 2003: 191-192). Sieht man von der Agrarpolitik ab, stützten sichdie Römischen Verträge auf die marktwirtschaftlichen Prinzipien eines unverzerrtenWettbewerbs, des Diskriminierungsverbots und der Nicht-Intervention (Ophüls1961/62: 148-154; Streit/Mussler 1995: 14-15). Sie legten den Grundstein für dieMarktintegration, enthielten jedoch kaum Kompetenzen zur nachträglichen Korrek-tur von Marktergebnissen (Scharpf 1999: 49). Mit der EWG wurde die Wirtschafts-ordnung geschaffen, für die sich der ordoliberale Flügel der CDU in Deutschlandeingesetzt hatte.

Vor allem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard kämpfte innenpolitisch gegen denaus seiner Sicht übermäßigen Ausbau des Sozialstaats, der seinen Höhepunkt in derRentenreform 1957 fand (Abelshauser 1996: 384-390). Im selben Jahr musstenErhard und seine ordoliberalen Mitstreiter eine stark abgeschwächte Version derKartellgesetzgebung hinnehmen. Auch aufgrund dieser innenpolitischen Nieder-lagen stritt der Wirtschaftsminister für eine liberale internationale Wirtschaftsord-nung. Dies brachte ihn dazu, den britischen Vorschlag einer OEEC-Freihandelszonestatt der Europäischen Zollunion der EGKS-Staaten zu unterstützen. Eine »klein-europäische« Lösung barg aus seiner Sicht das Risiko der gemeinsamen Abschot-tung nach außen. Erhard konnte sich mit seinem Ansinnen nicht gegen KanzlerKonrad Adenauer durchsetzen, der dem politischen Ziel der engen Zusammenarbeit

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mit Frankreich Vorrang vor einer primär ökonomischen Logik einräumte (Lee 1995:43-44). Nach dieser Vorentscheidung für das Europa der Sechs verschob sich dasZiel für die Ordoliberalen dahingehend, in den Verhandlungen über den Gemeinsa-men Markt interventionistische Versuchungen abzuwehren. Die deutsche Verhand-lungsposition im Vorfeld der Römischen Verträge lässt sich als CDU-interner Kom-promiss zwischen den protestantischen, marktliberalen »Transatlantikern« und denkatholischen, sozialstaatlichen »Frankophilen« deuten.

Dieser Kompromiss führte dazu, dass eine Reihe liberaler deutscher Juristen undÖkonomen trotz Erhards ursprünglicher Bedenken entscheidend auf die Wirt-schaftsordnung der EWG Einfluss nahm (Gerber 1994: 71-72). Hans von der Groe-ben, Mitglied des Spaak-Komitees, sicherte die Unterstützung einer Mehrheit derMitglieder für eine marktwirtschaftliche Ordnung des Gemeinsamen Markts gegenstärker dirigistische Vorstellungen italienischer und französischer Delegierter (Küs-ters 1989: 86). Schon zu Beginn der Verhandlungen in diesem Ausschuss legteErhards Staatssekretär Alfred Müller-Armack einen einflussreichen Textentwurfvor, der in der Folge die Diskussion anleitete. Mehrere Mitarbeiter des Wirtschafts-ministeriums, die ihr Engagement für Europa mit liberalen Überzeugungen verban-den, sahen die EWG als Möglichkeit, die innenpolitisch verwässerten Wettbewerbs-regeln europäisch durchzusetzen (Hentschel 1998: 380). Natürlich waren sie nichtauf ganzer Linie erfolgreich, doch gelang ihnen die Beschränkung der Handlungsbe-fugnisse für marktverzerrende Eingriffe (Küsters 1982: 266, 305). Zwar erhieltendie Wirtschaftsordnung und die vier Freiheiten des EWG-Vertrags erst durch dieRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ihre Durchschlagskraft,dennoch konnte der EuGH seine Interpretation der Verträge auf die darin enthalteneOrdnungspolitik ordoliberaler Provenienz stützen.8 Auch wenn diese Entwicklung1957 nicht im Einzelnen vorhergesehen worden war (Ehlermann 1995: 84-85),begrüßte sie Müller-Armack (1966: 405) rückblickend als »List der Idee«.

Der Schwerpunkt vor Abschluss der Römischen Verträge lag auf wirtschaftlichenThemen. Dennoch gab es um die Sozialpolitik eine Auseinandersetzung, die vorallem zwischen der französischen und der deutschen Regierung ausgetragen wurde.Dies überrascht nicht, denn die Parteien mit der größten Distanz zum errechnetenGravitationszentrum sind die pivotalen Akteure in Verhandlungen. Ihre Zustimmungmuss gewonnen werden. Die französischen Sozialisten und der ordoliberale CDU-Flügel stellten in den Verhandlungen die ideologischen Gegenpole zueinander dar.Um dem Entwurf zustimmen zu können, verlangte die französische Regierung, dassdie Verträge ein Mandat zur sozialpolitischen Harmonisierung enthielten. Der fran-zösische Premierminister Guy Mollet befürchtete Wettbewerbsnachteile durch dieteilweise noch auf Leon Blums Front Populaire-Regierung zurückgehende Sozial-gesetzgebung. In Frankreich existierten eine gesetzlich geregelte Vierzig-Stunden-Woche, bezahlter Urlaub, Überstundenzuschläge sowie gleiche Bezahlung für Män-

8 »Der wichtigste deutsche Beitrag zur Ausgestaltung der EWG bestand in der ordnungs-theoretischen Grundlegung und wirtschaftsverfassungsrechtlichen Konkretisierung derfür die Wirtschaftsgemeinschaft maßgeblichen Grundsätze« (Mestmäcker 2003: 290).

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ner und Frauen. Deshalb forderte Mollet in diesen Bereichen die Harmonisierung derVorschriften, um einen fairen Wettbewerb in der Zollunion sicherzustellen. DasMotiv hierbei war jedoch weniger das Streben nach einem europäischen Sozialstaatals das Angleichen der Kosten für Produzenten verschiedener Länder.

Doch selbst eine begrenzte Vereinheitlichung der Sozialpolitik stieß auf denWiderstand der deutschen Verhandlungsdelegation und des Wirtschaftsministers(Milward 2000: 213-214). Die Entscheidung in dieser Frage lieferte AdenauersFrankreichbesuch auf dem Höhepunkt der Suezkrise am 6. November 1956: Wäh-rend der Vertrag einige Klauseln zur Sozialpolitik enthalten würde, beschränktensich diese überwiegend auf rechtlich nicht bindende Absichtserklärungen.9 DieserKompromiss war ein im Wesentlichen symbolischer Sieg Mollets, der es ihmerleichtern sollte, die benötigte Mehrheit zur Ratifizierung der Römischen Verträgezu gewinnen (Lynch 1994: 84; 1997: 181).

Schließlich waren zwölf von 248 Artikeln des EWG-Vertrags der Sozialpolitikgewidmet. Artikel 118 trug der Europäischen Kommission auf, eine »enge Zusam-menarbeit« in der Sozialpolitik zu fördern, vor allem in den Bereichen Beschäf-tigung, Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen, berufliche Aus- und Fortbildung,soziale Sicherheit, Verhütung von Berufsunfällen und -krankheiten, Gesundheits-schutz bei der Arbeit sowie Koalitionsrecht und Koalitionsverhandlungen zwischenden Sozialpartnern. Diese Ziele sollten allerdings nicht durch Kompetenztransfersauf die europäische Ebene oder die Schaffung sozialer Rechte erzielt werden. Statt-dessen war die Kommission aufgefordert, sie durch »Untersuchungen, Stellungnah-men und die Vorbereitung von Beratungen« zu fördern. Mehr Biss hatte Artikel 119,der den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen festschrieb. In densiebziger Jahren führte diese Bestimmung zu einer Reihe wichtiger Urteile desEuGH, die einige Mitgliedsstaaten zu erheblichen Anpassungen zwang (am BeispielGroßbritanniens Alter/Vargas 2000: 457-468).

Das Verständnis von Sozialpolitik in den Römischen Verträgen hing eng mit derSchaffung eines grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts zusammen. Der EuropäischeSozialfonds (Art. 123-128) zielte deshalb neben der Erleichterung des Strukturwan-dels auf die Verbesserung von Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität der Arbeits-kräfte durch Umschulungen und Umsiedlungsbeihilfen (Art. 125a). Neben diesen anden Gemeinsamen Markt gekoppelten Vorschriften gab es keine eigenständige So-zialpolitik. Im Ergebnis erhielt die EWG Kompetenzen, Märkte zu schaffen, nichtaber Marktergebnisse zu korrigieren. Die Verantwortung dafür verblieb bei den Mit-gliedsstaaten. Der nicht beschrittene sozialpolitische Harmonisierungspfad (»the roadnot taken«) ermöglichte erst, wie Fritz Scharpf (2002: 646) hervorhebt, die anschlie-ßende Entkoppelung wirtschaftlicher Integration von Fragen des sozialen Schutzes.

Zusammenfassend lässt sich für diese frühe Phase festhalten, dass ein parteipoliti-scher Ansatz zwar nicht die Motivation für die Integration vollständig erklären

9 Aufschlussreich hierzu Carstens (1976: 599), der Adenauer nach Frankreich begleiteteund zusammen mit Robert Marjolin die Kompromissformel für die umstrittenen Passa-gen formulierte.

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kann, aber dennoch wichtige Hinweise dafür liefert, weshalb der Weg sozialpoliti-scher Harmonisierung nicht bestritten wurde. Der Blick auf das parteipolitische Gra-vitationszentrum verdeutlicht, weshalb stattdessen der Pfad wirtschaftlicher Integra-tion eingeschlagen wurde: Christdemokratische Regierungsparteien begrüßten diewirtschaftliche Integration, sahen aber keine Notwendigkeit für eine begleitendeHarmonisierung der Sozialpolitik.

4.2. Relance européenne: Die Einheitliche Europäische Akte

Mitte der achtziger Jahre fand mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) dieerste Reform der Gründungsverträge statt. Nach einem »Linksschwenk« in den sieb-ziger Jahren, führten Regierungswechsel Anfang der Achtziger zu einer deutlichenRechtsverschiebung des Gravitationszentrums. Zudem war die EG durch neue Mit-glieder politisch und sozioökonomisch heterogener geworden (Abb. 1 und 2). Ausparteipolitischer Perspektive erschien es deshalb unwahrscheinlich, dass die Mit-gliedsstaaten sich auf eine Neubelebung der Integration einigen würden. Nochunwahrscheinlicher waren sozialpolitische Initiativen. Die britische Regierung ver-folgte innenpolitisch ein Programm der Liberalisierung, Privatisierung und Dere-gulierung. Ihren Gegenpol fand Margaret Thatcher im französischen PräsidentenFrançois Mitterrand und in der an John Maynard Keynes orientierten interventionis-tischen Politik der französischen Regierung. Bis 1983 war eine Einigung auf eingemeinsames europäisches Projekt dieser beiden Regierungen ausgeschlossen – zugroß war ihre ideologische Distanz. Erst nachdem das »französische Experiment«gescheitert war, eröffnete sich die Möglichkeit eines Neuanfangs. Mitterrand ver-suchte nun, die neue französische Wirtschaftspolitik europäisch abzusichern, indemer selbst zum Verfechter von Marktintegration und Liberalisierung in der EG wurde(Keohane/Hoffmann 1990: 287-288; Ross 1995: 258, Fn. 52). Damit traf er denNerv der Mitte-rechts-Koalitionen anderer Mitgliedsstaaten. Die Entscheidung fürdie Vollendung des Binnenmarkts mit der EEA reflektierte die dort innenpolitischvielfach schon vollzogene Hinwendung zum Markt (Hall 1999: 154).

Die Einheitliche Europäische Akte wurde 1986 von zwölf Staaten unterschrieben.Zwischen 1983-1987 bestand eine klare Mehrheit von Mitte-rechts-Regierungen inEuropa. 1985 waren sieben von damals noch zehn Premierministern Christdemokra-ten oder Konservative (in Belgien, Dänemark, Deutschland, Irland, Luxemburg, denNiederlanden und Großbritannien). In Italien war die Democrazia Cristiana nochimmer die stärkste Partei, aber zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg konntendie Sozialisten (Partito Socialista Italiano) mit Bettino Craxi den Regierungschefstellen. In Frankreich und Griechenland gab es linke Mehrheiten. Ein Jahr späterhatte sich nur in Frankreich die Situation verändert, wo die erste Phase der Kohabi-tation stattfand. In den neuen südeuropäischen Mitgliedsländern regierten die Sozia-listen (Partido Socialista Obrero Español) in Spanien, die Konservativen (PartidoSocial Democrata) in Portugal.

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In der Literatur bestehen verschiedene Erklärungen für die Wiederbelebung derIntegration in den achtziger Jahren. Andrew Moravcsik (1998: 317, 332-335) ver-weist auf die Konvergenz wirtschaftspolitischer Interessen in Deutschland, Frank-reich und Großbritannien, die nach 1983 möglich wurde. Im Gegensatz dazu hebtGreen Cowles (1995) vor allem den Einfluss von Großunternehmen durch denEuropean Round Table of Industrialists hervor. Schließlich begreifen Wayne Sand-holtz und John Zysman (1989) die Kommission als politischen Unternehmer (policyentrepreneur), der durch sein Verhandlungsgeschick einen Erfolg erst ermöglichte.Wir bestreiten nicht, dass diese Faktoren das Ergebnis beeinflusst haben. Allerdingsbeachten sie aus unserer Sicht wichtige politische Variablen – nämlich veränderteMehrheiten und ideologische Konvergenz – zu wenig. Die Dominanz von Mitte-rechts-Regierungen, die größere Bedeutung, die diese Parteien der Integrationzumaßen (Abb. 3), sowie ihre wachsende Marktorientierung (Abb. 5) erleichtertendie Entscheidung, den Binnenmarkt zum Leitstern vertiefter Integration zu machen.Eine politisch heterogenere Gruppe der Staats- und Regierungschefs hätte eine Eini-gung dagegen erschwert. Das bedeutet freilich nicht, dass in den Verhandlungennationale Interessen keine Rolle spielten, aber sie sind nicht einfach der Spiegelnationaler Wirtschaftsinteressen, sondern parteipolitisch »eingefärbt«.

Abbildung 5: Befürwortung marktliberaler Positionen

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Möchte man nun den sozialpolitischen Gehalt der EEA verstehen, ist zunächst zubeachten, dass die Vertragsänderungen die Herstellung des Binnenmarkts zum Kernhatten. Bis 1992 sollten die vier Freiheiten (Freizügigkeit für Arbeit, Dienstleistun-gen, Güter und Kapital) verwirklicht werden. Aus vier Gründen war diese Entschei-dung bemerkenswert. Erstens, indem ein Datum – »1992« – festgelegt wurde, gab eseine klare Zielmarke, die es in relativ kurzer Zeit zu erreichen galt. Zweitens wurdedie politische Entscheidung für Liberalisierung und den Abbau von verbleibendenHandelsschranken als vermeintlich technische Angelegenheit präsentiert. Die Euro-päische Kommission legte einen Katalog von über 300 Einzelmaßnahmen zur Ver-wirklichung des Binnenmarkts vor. Da die Bedeutung einzelner Maßnahmen nur fürExperten kenntlich war, ließ sich kaum eine öffentliche Debatte darüber führen.Drittens einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, zukünftig in den Bin-nenmarkt betreffenden Fragen Mehrheitsabstimmungen zuzulassen. Sie akzeptiertenden Verlust von Souveränität, um die Märkte von ihren Fesseln zu befreien. Schließ-lich stand, viertens, mit der »gegenseitigen Anerkennung«, die 1979 im berühmtenCassis de Dijon-Urteil vom EuGH durchgesetzt worden war (siehe Alter/Meunier-Aitsahalia 1994: 539-540), ein Instrument zur Verfügung, das Marktbarrieren ohneweitere politische Entscheidungen überwinden half (Streeck 1998: 374-375).

In der Sozialpolitik enthielt die Einheitliche Europäische Akte zwei Änderungen:Die Artikel 118a und 118b wurden eingeführt. Der erste Artikel führte qualifizierteMehrheitsentscheidungen in die europäische Sozialpolitik ein. Die Mitgliedsstaatenwurden aufgefordert, Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsumwelt zu verab-schieden, um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Da dieFormulierung vage blieb, ermöglichten diese Artikel der Kommission das »treaty-base game«, mit dem sie die Anwendung der Mehrheitsregel ausweiten wollte (Rho-des 1998: 122-128). Artikel 118b forderte rechtlich unverbindlich die Entwicklungdes Sozialen Dialogs auf europäischer Ebene. Er führte die ergebnislosen ValDuchesse-Gespräche fort, die Mitte der 1980er Jahre initiiert worden waren (Ross1995: 38). Trotz Delors’ Werben für einen »Europäischen Sozialraum« blieb dersozialpolitische Inhalt der EEA marginal.

Die achtziger Jahre endeten mit einer feierlichen Erklärung des Europäischen Ratszur Charta der Grundrechte der Arbeitnehmer (Sozialcharta). Dieser Versuch, sozi-ale Rechte zu institutionalisieren, blieb – vor allem aufgrund britischen Widerstands– nicht nur unverbindlich, sondern wurde zudem auf die Arbeitnehmer begrenzt.Während der Wechsel in der französischen Wirtschaftspolitik einen pivotalen Ak-teur an die Mehrheitsposition heranführte, blieb eine solche Wende in der Sozialpo-litik aus. Die britischen Konservativen wehrten selbst zaghafte Versuche einer euro-päischen Sozialpolitik ab.

4.3. Maastricht: Währungsunion und Sozialprotokoll

Mit der Währungsunion entschieden sich die EG-Staaten für eine beispielloseAbgabe von Souveränität. Sie gaben nicht nur die Geld- und Wechselkurspolitik als

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Instrumente nationaler Wirtschaftspolitik auf, sondern schufen darüber hinaus mitder Europäischen Zentralbank einen Akteur, dessen Unabhängigkeit von politischenEntscheidungen ausgeprägter als die der Deutschen Bundesbank war (Scharpf 1999:29-30). Die Stabilität der gemeinsamen Währung sollte zusätzlich durch sanktio-nierbare Regeln für die Haushaltspolitik abgesichert werden. Neben diesem weit-gehenden Transfer von Entscheidungsbefugnissen nahm sich die Entwicklung derSozialpolitik bescheiden aus. Aufgrund erneuten britischen Widerstands konnten dievorgesehenen Änderungen nicht Teil des Vertrags werden, sondern mussten ineinem Zusatzprotokoll festgehalten werden, das es den elf anderen Unterzeichner-staaten des »Abkommens über die Sozialpolitik« erlaubte, die Mehrheitsregel aufweitere Bereiche der Sozialpolitik anzuwenden. Das britische »Opt-out« konnte erstsechs Jahre später mit dem Amsterdamer Vertrag aufgehoben werden – nachdemsich die politischen Mehrheitsverhältnisse in Europa und in Großbritannien gedrehthatten.

Dem Anschein nach lässt sich der Maastrichter Vertrag gut aus parteipolitischerPerspektive erklären. 1991 hatten zehn von zwölf Mitgliedsstaaten konservative oderchristdemokratische Regierungschefs (Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechen-land, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Großbritannien).10

Nur Frankreich und Spanien wurden von Sozialisten/Sozialdemokraten regiert(Abb. 1). Von den beiden Letztgenannten befürwortet Frankreich die Währungs-union, um einerseits das wiedervereinigte Deutschland einzubinden und andererseitsEinfluss auf die Geldpolitik zurück zu gewinnen (Dyson/Featherstone 1999: 83-85,757). Nimmt man also die Lage des politischen Gravitationszentrums, die Prominenzintegrationsfreundlicher christdemokratischer und marktorientierter konservativ-liberaler Regierungen zusammen, wird sowohl plausibel, weshalb die Wahrschein-lichkeit einer politischen Einigung Anfang der neunziger Jahre besonders hoch war,als auch, weshalb der Schwerpunkt erneut auf wirtschaftlicher Integration lag. In An-tizipation späterer Regierungswechsel einigten sich die Staats- und Regierungschefsmit der Währungsunion auf rechtlich bindende Verfahren und autonome Institutio-nen, die weniger disziplinierten Staaten (oder Regierungsparteien) die Hände bindensollten. Sie nutzten damit die parteipolitisch »günstige Situation« zur unumkehr-baren Verankerung ihrer wirtschaftspolitischen Präferenzen. Allerdings unterzeich-neten in Maastricht elf der zwölf Mitgliedsstaaten ebenfalls das Abkommen über dieSozialpolitik. Angesichts der Dominanz von Mitte-rechts-Regierungen muss dieFrage beantwortet werden, weshalb sie dies taten. Zunächst sollen die Inhalte desAbkommen dargestellt werden, bevor wir zu dieser Frage zurückkehren.

Das Abkommen über die Sozialpolitik enthielt drei bemerkenswerte Veränderun-gen (hierzu Kowalsky 1999: 153-154). Erstens weitete es die sozialpolitischeZuständigkeit der Gemeinschaft auf folgende Bereiche aus:

10 Karl Magnus Johansson hebt hervor, dass vor allem die Christdemokraten den Weg nachMaastricht bereiteten: »Christian Democrats dominated the three presidencies chargedwith the task of initiating and completing the two IGCs. During the second half of 1990Italy held the Presidency, followed by Luxembourg and the Netherlands« (Johansson2002: 876).

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– Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit derArbeitnehmer;

– Arbeitsbedingungen; – Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer; – berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen; – Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleich-

behandlung am Arbeitsplatz;– soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer; – Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags; – Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-

interessen, einschließlich der Mitbestimmung; – Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich recht-

mäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten;– finanzielle Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von

Arbeitsplätzen, und zwar unbeschadet der Bestimmungen über den Sozialfonds.

Ausdrücklich ausgeschlossen wurden jedoch das Arbeitsentgelt, das Koalitions-,Streik- und Aussperrungsrecht. Durch das Sozialabkommen konnten – zweitens – inden ersten fünf Bereichen Richtlinien mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet wer-den. Das Einstimmigkeitsprinzip galt jedoch weiter für die Bereiche sechs bis zehn.Schließlich sah Artikel vier des Abkommens vor, dass der Soziale Dialog auf Ge-meinschaftsebene »zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich desAbschlusses von Vereinbarungen, führen [kann]«. Das heißt, neben den legislativenPfad zu sozialpolitischen Richtlinien trat ein korporatistisches Verfahren, das denSozialpartnern Gesetzgebungskompetenz zusprach (Falkner 1998: 82-84). Das Ab-kommen über die Sozialpolitik enthielt also eine moderate Ausweitung der Sozial-politik, doch die Einführung von Sozialpartnerabkommen war eine beachtenswerteNeuerung. Sein größter Schwachpunkt war, dass Großbritannien von allen verab-schiedeten Richtlinien ausgenommen sein würde und somit die Reichweite europäi-scher Sozialpolitik begrenzt blieb. Doch unabhängig von dieser Bewertung müssenwir fragen, weshalb das Sozialabkommen überhaupt verabschiedet wurde. DreiPunkte sind hervorzuheben:

Erstens weist Abbildung 3 darauf hin, dass die hohe Zustimmung zur IntegrationAnfang der neunziger Jahre die Verhandlungen in Maastricht erleichterte – zumin-dest solange die Briten von einer Totalblockade abgehalten werden konnten. Getra-gen wurden die hohen Zustimmungswerte von den stark vertretenen, integrations-freundlichen christdemokratischen Parteien. Obwohl die Christdemokraten dieWährungsunion als Kernprojekt weiterer Integration ansahen, unterstützten sieebenfalls die behutsame Ausweitung einer arbeitsmarktnahen Sozialpolitik (Johans-son 2002: 886). Die Trennlinie verlief in dieser Frage zwischen den Christdemokra-ten auf der einen und den britischen Konservativen auf der anderen Seite, da Pre-mierminister John Major einen symbolischen Erfolg benötigte, um seine Positioninnerhalb der eigenen Partei zu stärken (Lange 1993: 25-27; Pierson 1996: 154-155). Major war zur Verhinderung jeglicher sozialpolitischer Initiativen entschlos-sen – und dies, obwohl selbst die britische Industrie die verbliebenen sozialpoliti-

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schen Vorschläge als eine »relatively minor affair« ansah (Moravcsik 1998: 422).11

Zweitens, den Sozialpartnern das Recht zuzugestehen, autonom über Sozialpolitik-Richtlinien zu verhandeln, war gefahrlos, weil die Arbeitgeber kein Interesse an sol-chen Verhandlungen hatten (Streeck 1998: 388). Drittens, auch mit dem Abkommenüber die Sozialpolitik blieb die europäische Sozialpolitik in ihrer Reichweitebegrenzt und eng an die Wirtschaftsintegration gekoppelt. Selbst mit Maastrichtblieben die EU-Befugnisse in der Sozialpolitik auf Teile des Arbeitsrechts konzen-triert. Die neuen Kompetenzen glichen darüber hinaus nicht den Verlust nationalerAutonomie aus, der mit negativer Integration und erhöhtem Wettbewerb einherging.In der Summe verringerte sich die sozialpolitische Gestaltungsfähigkeit der Mit-gliedsstaaten (Leibfried/Pierson 2000: 287-288).

Das parteipolitische Gravitationszentrum kann zwar die Verhandlungsergebnissenicht exakt vorhersagen, aber es umreißt den Raum möglicher Kompromisse undverdeutlicht, welche Akteure auf Ausgleichszahlungen dringen können.12 DieChristdemokraten waren in Maastricht in einer starken Verhandlungsposition, unddas Ergebnis – die Währungsunion sowie eine moderate Ausweitung der Sozialpoli-tik – entsprach weitgehend ihren Zielen (Hix/Lord 1997: 189). Im Umkehrschlussbedeutet dies, dass eine andere politische Mehrheit entweder zum Scheitern der Ver-handlungen oder zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Aber erst nach Maastrichtsollte sich das Gravitationszentrum nach links verschieben. In Amsterdam gab eszum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Integration eine Mehrheit linksvon der Mitte (d. h. einen Wert unter zehn für das Gravitationszentrum in Abb. 2) –doch inzwischen hatte sich die Sozialdemokratie selbst nach rechts bewegt.

4.4. Das sozialdemokratische Zwischenspiel: Amsterdam und Lissabon

Zwischen 1997 und 2002 regierten mehr sozialdemokratische Parteien in der EU alsjemals zuvor. Für eine kurze Zeitspanne beherrschten sie die europäische Agenda.Die Wahlerfolge der Sozialdemokratie führten in Amsterdam (1997) einerseits zurIntegration des Abkommens über die Sozialpolitik und andererseits zur Aufnahmeeines neuen Titels »Beschäftigung« in die Verträge. Drei Jahre später beschlossendie Staats- und Regierungschef die so genannte Lissabon-Strategie und führten die»Offene Methode der Koordinierung« ein.13 Während in dieser Zeit ehrgeizige Ziele

11 Offensichtlich bestimmte die Politik hierbei ganz wesentlich das »nationale Interesse«.Eher unwahrscheinlich erscheint, dass eine Labour-Regierung den Zwang verspürt hätte,vermeintliche Wirtschaftsinteressen energischer zu vertreten als der Unternehmens-verband CBI (Confederation of British Industry). Es ist daher recht einfach, das »coun-terfactual« zu formulieren: Hätte Labour regiert, wäre die Sozialpolitik offiziellerBestandteil der Verträge geworden.

12 Moravcsik (1998: 453) argumentiert, dass die ärmeren Mitgliedsstaaten das Sozialproto-koll aufgrund von Ausgleichszahlungen akzeptierten. Im Fall von Spanien konnte Delorszudem an die Solidarität einer sozialdemokratischen Regierung appellieren.

13 Im Folgenden verwenden wir die gebräuchlichere englische Abkürzung »OMC« fürOpen Method of Coordination.

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vereinbart wurden, blieben sie jedoch rechtlich unverbindlich. Stattdessen wurde mitder Europäischen Beschäftigungsstrategie – einem Vorläufer der OMC – ein wei-ches Koordinierungsverfahren eingeführt, das gemeinsame Zielvereinbarungen undwechselseitiges Lernen an die Stelle sanktionierbarer Regeln setzte. Zwei Faktorenerklären dieses Ergebnis: Zum einen waren die nun regierenden Sozialdemokratenviel weniger interventionistisch als dies noch in den siebziger oder achtziger Jahrender Fall gewesen war. Zum anderen implodierten die Zustimmungswerte zur Inte-gration nach Maastricht. Beide Faktoren führten dazu, dass die sozialdemokratischenRegierungen in Amsterdam von einer Ausweitung sozialpolitischer Befugnisse derEU absahen. Damit gelang es ihnen nicht, Institutionen zu schaffen, die ihre Nach-folger in ähnlicher Weise wie die Währungsunion binden würden.

Wie wir im vorangegangenen Abschnitt gesehen haben, dominierten Mitte-rechts-Regierungen die Maastrichter Verhandlungen. Mitte der neunziger Jahre begannensich die Mehrheitsverhältnisse zu ändern und das parteipolitische Gravitationszent-rum verschob sich nach links. Mit der Norderweiterungsrunde (Finnland, Schweden,Österreich) traten zudem drei Länder mit starken sozialdemokratischen Parteien derEU bei. Während des Amsterdamer Gipfels waren schließlich zehn von 15 Premier-ministern Sozialisten/Sozialdemokraten (Dänemark, Finnland, Frankreich, Grie-chenland, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal und Schwe-den).14 In Belgien und Luxemburg führten Christdemokraten große Koalitionen. NurDeutschland, Irland und Spanien hatten Mitte-rechts-Regierungen. Vielleicht nochwichtiger als die bloße numerische Überlegenheit war der Zeitpunkt der Wahlen inFrankreich und Großbritannien. Tony Blair und Lionel Jospin wurden wenigeWochen vor dem Gipfeltreffen ins Amt gewählt. Während ihre Vorgänger eine Aus-weitung sozialpolitischer Kompetenzen strikt abgelehnt hatten, unterstützten die neugewählten Regierungen dies. So hatte Blair schon vor der Wahl angekündigt, dassGroßbritannien das Abkommen über die Sozialpolitik unterzeichnen würde.15

Das wichtigste Ergebnis der parteipolitischen Linksverschiebung war die Auf-nahme des Sozialabkommens sowie des neuen Titels zur Beschäftigung in den EG-Vertrag. Die Mitgliedsstaaten hatten schon seit 1994 die Möglichkeit diskutiert, inder Beschäftigungspolitik zusammenzuarbeiten. Auf dem Essener Gipfel hatten siedie freiwillige Koordinierung nationaler Beschäftigungspolitik durch Zielvereinba-rungen, Benchmarking und wechselseitige Überwachung beschlossen.16 Im Vorfeldvon Amsterdam herrschte Streit um die Aufnahme eines eigenen Beschäftigungs-titels in den Vertrag. Die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Großbritan-nien lehnten dies ab, weil sie höhere Ausgaben und eine übereifrige Kommissionfürchteten. Nach den Wahlen in Frankreich und Großbritannien war allerdings die

14 Frankreich erlebte zum dritten Mal eine Phase der Kohabitation. Jacques Chirac war Prä-sident und Lionel Jospin der neu gewählte Regierungschef.

15 Damit bestätigte sich Piersons (1996: 155) Vorhersage, dass ein einziger Labour-Siegdas britische Opt-out beenden würde.

16 Hix und Lord (1997: 194) argumentieren, dass unter der Regie der christlich-liberalenKoalition in Deutschland das unverbindliche Essener Verfahren beschlossen wurde, umweiter gehende Vorschläge sozialdemokratischer Regierungen abzuwehren.

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Regierung Kohl in ihrer Ablehnung isoliert. Vor allem Jospin machte seine Zustim-mung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) vom Schicksal des Beschäfti-gungstitels abhängig. Zu guter Letzt wurde sowohl der SWP verabschiedet als auchder Beschäftigungstitel aufgenommen. Der parteipolitische Kompromiss bestanddarin, ihn zwar aufzunehmen, aber von einem Kompetenztransfer oder Sanktions-möglichkeiten abzusehen.

Der neu eingeführte Titel VIII legte »Förderung der Beschäftigung als Angele-genheit von gemeinsamem Interesse« (Art. 126/1, EGV) fest. Gleichzeitig unter-strich Artikel 127, dass die Zusammenarbeit gefördert, aber die Zuständigkeit derMitgliedsstaaten beachtet werden sollte. Für die Europäische Beschäftigungsstrate-gie wurde folgendes Verfahren vereinbart:– Der Europäische Rat prüft die Beschäftigungslage in der Gemeinschaft und

nimmt hierzu Schlussfolgerungen an;– der Rat beschließt aufbauend auf den Vorgaben des Europäischen Rats beschäf-

tigungspolitische Leitlinien;– die Regierungen entwerfen Nationale Aktionspläne (NAP), die Maßnahmen zur

Verwirklichung der Leitlinien auflisten;– Kommission und Rat verabschieden den Gemeinsamen Beschäftigungsbericht,

der die Politik der Mitgliedsstaaten bewertet und Empfehlungen ausspricht.

Während dieses Verfahren Teil des Vertrags ist (Art. 128), kann die Umsetzungder Leitlinien nicht erzwungen werden. Die Regierungen konnten sich in der Be-schäftigungspolitik nicht auf verbindliche Ziele verständigen, wie dies bei Schulden,Haushaltsdefiziten und der Inflationsrate gelungen war. Alle Versuche der Kommis-sion, ambitioniertere beschäftigungspolitische Leitlinien und quantifizierbare Zielezu definieren, scheiterten an der politischen Uneinigkeit regierender Mitte-links-Parteien (Pollack 2000: 269). Dafür gibt es zwei Gründe. Abbildungen 2 und 3 zei-gen zum einen, dass mit der Linksverschiebung des Gravitationszentrums eine ab-nehmende Unterstützung für die europäische Integration einherging. Die politischeGrundlage für weitere Kompetenztransfers war nach Maastricht erschöpft. Zum an-deren verdeutlicht Abbildung 6 die veränderte ideologische Ausrichtung sozial-demokratischer Parteien seit den siebziger Jahren. Nicht nur New Labour, sonderndie Sozialdemokratie insgesamt hatte sich am Ende des zwanzigsten Jahrhundertsvom Interventionismus verabschiedet. In deutlichem Gegensatz zu den siebzigerJahren konvergierten die untersuchten Parteien hinsichtlich ihrer geringen Zustim-mung zur Regulierung der Märkte (Abb. 7). Und während die Sozialdemokratienoch immer den Wohlfahrtsstaat grundsätzlich begrüßte, begann sie, dessen Auf-gaben neu zu definieren. Aktivierung und Beschäftigungsfähigkeit rückten nunstärker in den Vordergrund. Im Ergebnis bedeuteten diese Veränderungen, dass derDritte Weg mit der Sozialdemokratie der siebziger Jahre wenig gemeinsam hatte.17

Anstatt ein Gegenkonzept zur Währungsunion zu formulieren, wollten diese Par-teien sie sozial- und arbeitsmarktpolitisch ergänzen.

17 Darüber hinaus wachten die Sozialdemokraten darüber, ihre Kompetenzen in der Sozial-und Arbeitsmarktpolitik nicht an Europa zu verlieren, um in diesen Feldern weiterhin beiWahlen punkten zu können (siehe Ladrech 2003: 119).

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Abbildung 6: Links-rechts-Index nach Laver/Hunt (1992)

Abbildung 7 Befürwortung staatlicher Eingriffe in das Marktgeschehen

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Der Lissabonner Gipfel im März 2000 war die Geburtsstunde der OMC. In elf der15 Mitgliedsstaaten regierten Mitte-links-Koalitionen. Sie beschlossen ein strategi-sches Ziel für die EU: Sie solle bis 2010 »der wettbewerbsfähigste und dyna-mischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt werden«, fähig zu nachhaltigemWachstum, Vollbeschäftigung und größerem sozialen Zusammenhalt (EuropäischerRat 2000). Diese Ziele wollte man nicht durch zusätzliche gesetzliche Regeln ver-wirklichen, sondern – wie in der Beschäftigungsstrategie erprobt – durch die Koor-dinierung nationaler Politiken. Inzwischen ist diese Koordinierungsmethode aufmehr als zehn weitere Bereiche ausgeweitet worden, z. B. auf die Renten- undArmutspolitik (Social Inclusion). Die OMC ist besonders dann attraktiv, wenn keinevertragliche Grundlage besteht oder hergestellt werden kann. Während somit neueBereiche der Sozialpolitik erfasst werden, bleiben die getroffenen Vereinbarungenrechtlich unverbindlich (Schäfer 2005).

Über die letzten Jahre sind Ziele und Aufgaben der EU Gegenstand parteipoli-tischer Auseinandersetzung geworden. Liesbeth Hooghe, Gary Marks und CaroleWilson (2004: 127-128) zeigen, dass linke und rechte Parteien beispielsweise dieNotwendigkeit von Markteingriffen gegensätzlich beurteilen. Parteien links von derMitte befürworten prinzipiell eine Umwelt-, Kohäsions- und Beschäftigungspolitikder EU, Parteien rechts von der Mitte lehnen dies ab. Die OMC war der sozialdemo-kratische Versuch, neue Felder der Sozialpolitik der Zusammenarbeit zuzuführen,ohne jedoch die bestehende Wirtschaftsverfasssung herauszufordern. Sie setztendabei auf das Prinzip der Freiwilligkeit.

Am Ende dieses Abschnitts folgen zwei Schlussfolgerungen: Erstens, die Hetero-genität des Rats erscheint heute als Garant des ordoliberalen Ideals einer Trennungvon europäischer Wirtschafts- und nationaler Sozialordnung, weil Kompromissezwischen den unterschiedlichen im Ministerrat vertretenen politischen Zielenschwieriger werden. Zweitens, während die parteipolitische Kontroverse über dieangemessenen EU-Kompetenzen zunimmt, verringert sich gleichzeitig der vorhan-dene Entscheidungsspielraum. Die sozialdemokratischen Regierungen in der zwei-ten Hälfte der neunziger Jahre waren an die Institutionen gebunden, die ihre – häu-fig: christdemokratischen – Vorgänger geschaffen hatten.

5. Schluss

In diesem Aufsatz haben wir die politische Zusammensetzung intergouvernemen-taler EU-Institutionen untersucht und exemplarisch für die europäische Sozialpolitikargumentiert, dass sich Veränderungen in Europas parteipolitischem Gravitations-zentrum auf den Modus der europäischen Integration auswirken. Änderungen in derpolitischen Position von EU-Mitgliedsregierungen wirken sich auf einzelne Felderder Europapolitik aus, aber auch generell auf die Integrationsfreundlichkeit. Dieerhebliche Variation in diesen Werten macht die aggregierte Regierungszusam-mensetzung zu einer fruchtbaren erklärenden Variable. Aus unseren Ergebnissenschließen wir, dass die ideologische Ausrichtung von Regierungen wichtig für die

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Definition des nationalen Interesses ist. Nicht monolithische Staaten verhandelninternational miteinander, sondern Regierungen, deren politische Glaubwürdigkeitauch davon abhängt, dass sie international keine völlig andere Politik als »zuhause«vertreten. In diesem Zusammenhang erscheint der Nachweis zyklischer Schwankun-gen des politischen Gravitationszentrums, den unsere empirische Analyse erbrachte,bedeutsam. Der Einfluss von Änderungen in der parteipolitischen Zusammensetzungvon Regierungen auf die »Mehrheiten« in internationalen Gremien ist nicht stochas-tisch; stattdessen gibt es länderübergreifende Trends. Ließe sich ein solcher Zusam-menhang auch innerhalb einer größeren Staatengruppe nachweisen, wäre es plausi-bel, ebenso einen parteipolitischen Einfluss auf die Arbeit anderer internationalerOrganisationen anzunehmen. So haben sich beispielsweise die arbeitsmarktpoliti-schen Empfehlungen von OECD und EU Ende der neunziger Jahre unter der Domi-nanz sozialdemokratischer Regierungen deutlich angenähert. Zukünftige Forschungkönnte etwa der Frage nachgehen, ob sich der Grad parteipolitischer Homogenitätauch auf Einigungschancen und Inhalte der G-8 Gipfeltreffen ausgewirkt hat.

In den Daten zur Europäischen Union lassen sich einige bemerkenswerte Trendserkennen. In den fünfziger und sechziger Jahren dominierten in den Mitgliedsstaa-ten Mitte-rechts-, vor allem aber christdemokratische Parteien. Erst in den Sieb-zigern gab es eine erste Welle sozialdemokratisch geführter Regierungen, die jedochin den Achtzigern mit den Wahlerfolgen konservativ-liberaler Parteien endete. DieRückkehr der Sozialdemokratie an die Macht erfolgte erst wieder in der zweitenHälfte der neunziger Jahre – in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Ein zwei-ter Befund ist, dass die Heterogenität des Rats mit jeder Erweiterungsrunde zuge-nommen hat und bisherige Erweiterungen das Gravitationszentrum jeweils nachlinks verschoben haben.18 Als Drittes lässt sich der Wechsel von beschleunigterIntegration zu Phasen größerer Integrationsskepsis hervorheben. Insbesondere gingmit der Linksverschiebung des Gravitationszentrums ein deutlicher Rückgang derUnterstützung für die Integration einher. Dieses Ergebnis bestätigt die Vermutung,dass Parteien links von der Mitte eine größere Distanz zur EU aufweisen. Die Partei-familien unterscheiden sich systematisch in der Beurteilung der europäischen Inte-gration. Christdemokratische Parteien halten die EU für wichtiger und unterstützensie stärker als konservative oder sozialdemokratische Parteien. Schließlich findensich zwischen den Parteien deutliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Einstellungenzum Wohlfahrtsstaat, zu Markteingriffen oder dem freien Spiel der Marktkräfte.Auch hier beobachten wir eine erhebliche Variation über Zeit. Für den betrachtetenZeitraum lässt sich eine ideologische Rechtsverschiebung sowohl von Mitte-rechts-als auch Mitte-links-Parteien konstatieren. Das heißt, die sozialdemokratischenRegierungen waren in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre deutlich weniger inter-ventionistisch orientiert als in der Vergangenheit. Sie hatten mittlerweile die liberaleWirtschaftsverfassung der EG weitgehend akzeptiert.

Die Rekonstruktion der europäischen Sozialpolitik seit den Römischen Verträgendiente uns in diesem Aufsatz als exemplarische Fallstudie. Wir argumentieren, dass

18 Die Osterweiterung wird von unseren Daten nicht abgedeckt.

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es auch eine parteipolitische Erklärung dafür gibt, weshalb in Europa die sozialeDimension der wirtschaftlichen Integration untergeordnet blieb. Wichtig in diesemZusammenhang erscheint uns die frühe Weichenstellung im EWG-Vertrag, in die-sem Bereich nur begrenzt Souveränität abzugeben. In diesem Punkt bestand zwi-schen linken und rechten Parteien ein unausgesprochener Konsens. Im Ergebnis ent-stand mit den Römischen Verträgen eine Wirtschaftsverfassung, die den Wünschendeutscher Ordoliberaler entgegen kam: Das Recht verpflichtete die Gemeinschafts-institutionen auf den liberalen Markt, während die Selbstblockade der Politik eineHarmonisierung nationaler Sozialpolitik oder gar deren Europäisierung verhinderte.In der Folge bewegte sich die Integration entlang dieses Pfads, bis Mitte-rechts-Regierungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre sie als externen Hebel zurBeschneidung des nationalen Wohlfahrtsstaats entdeckten. Im Gegensatz dazuwollte die Sozialdemokratie die Währungsunion mit dem Europäischen Sozialmo-dell versöhnen und führte die Offene Methode der Koordinierung in der Beschäfti-gungs- und Sozialpolitik ein.

Als generelle und empirisch überprüfbare Thesen lassen sich aus der bisherigenArgumentation die folgenden Punkte gewinnen: Erstens werden nationale Interessendurch die Präferenzen regierender Parteien gefiltert. Zweitens beeinflusst die partei-politische Zusammensetzung der Mitgliedschaft eines internationalen RegimesErfolgswahrscheinlichkeit und Inhalte der Kooperation. Drittens erleichtert partei-politische Heterogenität es supranationalen Akteuren, delegierte Entscheidungsbe-fugnisse in ihrem eigenen Interesse zu nutzen, da sie die Auftraggeber gegeneinan-der ausspielen können. Schließlich – und viertens – wirken sich die politischenPräferenzen der Regierung auf die Umsetzung und Befolgung internationaler Ver-einbarungen aus. Natürlich ist die Parteipolitik nicht der einzige erklärungsrelevanteFaktor. Gemessen an seiner Erklärungsrelevanz wurde diesem Faktor unserem Ein-druck nach aber bisher sowohl in der Europaforschung als auch generell in denInternationalen Beziehungen zu wenig Aufmerksamkeit zuteil.

6. Anhang

Die Experten-Einstufungen zur Messung der Links-rechts-Positionen stammen ausder Umfrage von Laver/Hunt (1992). Wir beziehen uns auf die »increase services vs.cut taxes«- Dimension. Für Parteien, die in diesem survey nicht eingestuft wurden,haben wir andere Experten-Einstufungen (wie z. B. Katz/Mair) herangezogen undlinear transformiert, um sie der Laver/Hunt-Skala anzupassen. Für Parteien, die inkeinem survey erfasst wurden, haben wir die entsprechende Position über den Links-rechts-Index des Comparative Manifesto Project ermittelt. Alle Beobachtungen füreine Partei wurden dabei gemittelt (um Ausreißer zu glätten) und ebenfalls lineartransformiert.

Die europäischen Center of Gravity (CoG)-Werte wurden in zwei Schrittenberechnet. Zunächst haben wir die jährlichen länderspezifischen CoG ermittelt. BeiKoalitionsregierungen wurden die Links-rechts-Positionen mit dem Anteil an

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Regierungssitzen gewichtet. Traten Regierungswechsel auf, gingen die individuel-len Werte mit dem Gewicht der Regierungsdauer (in Tagen) ein. Die europäischenCoG-Werte wurden dann in einem zweiten Schritt als arithmetisches Mittel der Län-der-Werte berechnet. Der Wert für Italien im Jahr 1995 wurde nicht berücksichtigt,da dort fast ausschließlich eine Technokratenregierung amtierte.

Um die Daten des Comparative Manifesto Project für unsere Analysen verwen-den zu können, mussten wir einige Anpassungen vornehmen. So wurden Parteien,für die keine Auswertung vorgenommen wurde, aus der Analyse ausgeklammert.Für die Wahlen, die noch nicht im Projekt erfasst wurden, haben wir die Werte derjüngsten erfassten Wahlen verwendet. Selbstverständlich haben wir die Analyse vonPräferenzverschiebungen auf die Fälle begrenzt, für die Daten vorhanden waren.

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Woolley, John T. 1994: Linking Political and Monetary Union: The Maastricht Agenda andGerman Domestic Politics, in: Eichengreen, Barry J./Frieden, Jeffry (Hrsg.): The Politi-cal Economy of European Monetary Unification, Boulder, CO, 67-86.

Zürn, Michael 1992: Interessen und Institutionen in der internationalen Politik. Grundlegungund Anwendungen des situationsstrukturellen Ansatzes, Opladen.

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109Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 109-118

Annette Jünemann/Michèle Knodt

Externe Demokratieförderung durch die Europäische UnionEin Tagungsbericht

1. Einleitung

Im Rahmen ihres außenpolitischen Regierens exportiert die Europäische Union (EU)ihr Modell legitimen demokratischen Regierens in Drittstaaten und agiert dort alsexterner Demokratisierer. Theoretisch wird in der Integrationsforschung mit Hilfeeiner Innen-Außen-Analogie davon ausgegangen, dass die EU eine Wertegemein-schaft darstellt und diese Werte auch nach außen vertritt. Im Zentrum dieser Identifi-kation der EU als Wertegemeinschaft stehen die nicht immer ganz klar gegeneinan-der abgegrenzten Begriffe Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und –seit dem Weißbuch der Europäischen Kommission (2001) – gutes Regieren (goodgovernance). Diese Begriffe sind in den letzten Jahren zur Referenzgröße sowohldes internen als auch externen Regierens der EU geworden. Insofern spricht manhier mittlerweile von einem democracy mainstreaming, da die EU in ihren multi-und bilateralen Außenbeziehungen die oben genannten Werte einfordert. Dabei stehtihr ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung.

Die spannende Frage lautet dabei: Warum sind über den Befund des democracymainstreaming hinaus starke Unterschiede in der Instrumentenwahl und vor allem inder Implementierung der gewählten Instrumente zu verzeichnen? Warum entschei-det sich die EU in einigen Fällen für eine Anwendung negativer Instrumente, wieetwa Sanktionen, Isolation, diplomatische Nichtanerkennung, Zusammenarbeit mitoppositionellen Gruppen etc., während sie in anderen Fällen lediglich die Durchset-zung demokratischer Standards anmahnt und sich mit der Pflege eines politischenDialogs begnügt? Warum wird teilweise eine harte politische Konditionalität derZusammenarbeit vereinbart, in der Praxis aber nicht umgesetzt?

Diese Fragestellungen wurden bisher in der Wissenschaft vorrangig am jeweili-gen Einzelfall untersucht.1 Systematisch vergleichende Ergebnisse sucht man hiermeist vergeblich.2 Die Konferenz »The EU as an External Democracy Promoter:East and Central Europe (incl. former Soviet Union), the Mediterranean, Asia, LatinAmerica, the Caribbean, Africa and Pacific (ACP) in Comparison« verfolgte dem-gegenüber den Ansatz, regionale Spezialisten und Integrationsforscher an einen

1 Siehe Gratius (2003), Schmidt (1999), Youngs (2001) und Gillespie/Youngs (2002).2 Im positiven Sinne sei hier auf die systematisch vergleichenden Studien hingewiesen,

die um das Projekt von Frank Schimmelfennig und Ulrich Sedelmeier (2005a, 2005b)erschienen sind, sich jedoch ausschließlich auf die Beitrittskandidaten der Osterweite-rung bzw. frühere Erweiterungsrunden beziehen – also auf eine Gruppe von Staaten, diehier explizit ausgeklammert wurde.

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Tagungsbericht

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Tisch zu bekommen, um über die Einzelberichte hinweg allgemeine Erklärungen fürdie unterschiedliche Instrumentenwahl in der Demokratieförderung der EU zu dis-kutieren.3

Die beiden Organisatorinnen, Michèle Knodt und Annette Jünemann, schlugeneinleitend drei zentrale Variablen zur Erklärung der Strategiewahl der EuropäischenUnion zur Demokratieförderung vor: erstens das Handlungspotenzial der EU, beidem die macht-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen der einzelnenMitglieder gegenüber dem Zielland eine große Rolle im Rahmen des europäischenMehrebenensystems spielen; zweitens die Ressourcenrelation zwischen der EU unddem Drittstaat; und drittens die Resonanzstruktur des Drittstaats bzw. der dort rele-vanten Eliten. Die aus diesen Variablen entwickelten Thesen wurden in den vorge-tragenen Fallstudien aufgegriffen, die entweder die EU-Demokratisierungspolitikgegenüber einzelnen Ländern oder gegenüber spezifischen Regionen thematisierten.Die direkten Vergleichsmöglichkeiten während der Diskussionen führten zu einerFülle von neuen Einsichten.

2. Die Rolle der »interessierten Mitgliedsstaaten« in der Demokratisierungspolitik der EU

In den meisten Beiträgen der Konferenz wurde die Rolle eines oder mehrerer »inte-ressierter Mitgliedsstaaten« im Rahmen der Demokratisierungspolitik thematisiert.Da Demokratisierungsklauseln innerhalb bilateraler Verträge zwischen der EU undeinem Drittstaat angewandt werden und sich dieser Bereich in der geteilten Kompe-tenz der EU und der Mitgliedsstaaten befindet, sind die bereits existierenden wirt-schaftlichen und politischen Verflechtungen des jeweiligen Landes mit der EUrespektive ihren Mitgliedsstaaten von entscheidender Bedeutung. Dabei wurde vonJünemann und Knodt die folgende These aufgestellt: Je intensiver die bilateralenBeziehungen zwischen einem Drittstaat und zumindest einigen der EU-Mitglieds-staaten sind, desto niedriger ist die Handlungskapazität der EU – d. h., umso eherwird auf die Anwendung bzw. Implementierung negativer Instrumente verzichtet.

Diese These, die in der Literatur zur EU-Demokratisierungspolitik im südlichenMittelmeerraum als »Außenpolitisches Paradox« (Feliu 2004) eingeführt wurde,verblüfft zunächst, denn je enger die Beziehungen zwischen einem EU-Mitglieds-staat und einem Drittstaat sind, umso größer sollten auch die Möglichkeiten derpolitischen Einflussnahme der EU auf diesen Drittstaat sein. Entgegen dieserAnnahme wird von den betreffenden EU-Mitgliedsstaaten jedoch – je nach nationa-ler Interessenlage – Zurückhaltung in der Anwendung der verfügbaren Instrumentegeübt. Dies kann dazu führen, dass die Demokratisierungspolitik auf europäischer

3 Die Konferenz wurde am 18. und 19. November 2005 an der Technischen UniversitätDarmstadt durchgeführt. Die Veranstalterinnen bedanken sich bei der Deutschen For-schungsgemeinschaft (DFG), dem Network of Excellence CONNEX (»ConnectingExcellence on European Governance«) sowie dem Arbeitskreis Europäische Integration(AEI) für die finanzielle und logistische Unterstützung bei der Durchführung der Tagung.

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Annette Jünemann/Michèle Knodt: Externe Demokratieförderung durch die Europäische Union

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Ebene durch die nationalen macht-, sicherheits- oder wirtschaftspolitischen Interes-sen einzelner EU-Mitgliedsstaaten neutralisiert wird. Geht es im europäischen Ent-scheidungsprozess beispielsweise um die Verhängung von Sanktionen gegenübereinem reformresistenten Drittstaat, muss mit einer Veto-Position besonders »inte-ressierter« EU-Mitgliedsstaaten gerechnet werden. Siegmar Schmidt bestätigte inseiner Analyse der EU-Politik im Kongo diese These und verwies dabei auf diezweifelhafte Rolle der ehemaligen europäischen Kolonialmächte, wenn es um dieUmsetzung demokratiefördernder Instrumente im Kongo geht. Auch Stefan Brünekam in Bezug auf Äthiopien zu dem Ergebnis, dass es innerhalb der EU einige leadnations gibt, die die europäische Äthiopienpolitik dominieren und sie dabei ihremnationalen, vorwiegend geopolitisch motivierten Interesse unterordnen. SusanneGratius, die in Bezug auf Lateinamerika zu ähnlichen Befunden kam, ergänzte dieThese jedoch um eine weitere Variable, die in der Literatur bisher noch keineBeachtung fand, obwohl sie für die EU-Demokratisierungspolitik von zentralerBedeutung sein kann: ein Regierungswechsel im »interessierten« EU-Mitglieds-staat. So konnte Gratius in Bezug auf Kolumbien, Kuba und Venezuela zeigen, dassder letzte Regierungswechsel in Spanien zu Veränderungen in der Instrumenten-und Strategiewahl der EU in Südamerika und Kuba geführt hat. Spanien verfügt auf-grund seiner kolonialen Vergangenheit über besonders enge Beziehungen zu denStaaten dieser Region und verfolgt dort gleichzeitig ein Bündel an nationalen Inter-essen, die sich mit dem Regierungswechsel jedoch verschoben haben.

3. Symmetrische und asymmetrische Interdependenzen zwischen EU und Drittstaat

Die Interdependenz zwischen der EU und einem Drittstaat kann symmetrisch oderaber stark asymmetrisch sein. Sie betrifft zwei Dimensionen, die in den Beiträgender Konferenz zum Ausdruck kamen. Zum einen handelt es sich um die wirtschaft-liche Potenz eines Drittstaates im Verhältnis zur EU. Die zweite Dimension bestehtin den vorhandenen oder nicht vorhandenen Opportunitäten. Zu fragen ist also, obdie Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und dem betreffenden Land symmet-risch oder asymmetrisch sind, und, wenn Letzteres der Fall ist, ob die Asymmetriedas Land oder die EU begünstigt. Darüber hinaus ist zu fragen, wie sich die Aus-wahlsituation für das betreffende Land darstellt: Hat es eine Alternative zur EU, bei-spielsweise durch die amerikanische Regionalpolitik?

Fallbeispiele zur Veranschaulichung dieser Zusammenhänge liefert die Koopera-tion mit Asien, wie Franco Algieri in seinem Vergleich der EU-Politik gegenüberChina einerseits und Myanmar andererseits herausarbeitete. Aufgrund der wirt-schaftlichen Unabhängigkeit Chinas von der EU, die sogar in eine wirtschaftlicheÜberlegenheit umschlagen könnte, hat politische Konditionalität als negativesInstrument der Demokratieförderung weder Eingang in das Wirtschaftsabkommenmit China gefunden noch in den zwischen der EU und China etablierten politischenDialog. Da die EU angesichts des symmetrischen wirtschaftpolitischen Macht-

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verhältnisses keine Druckmittel gegenüber China habe, so Algieri, weiche sie zurDurchsetzung ihrer Werte auf alternative multilaterale Foren aus, wie etwa dieWelthandelsorganisation (WTO) oder die Vereinten Nationen (UN). Im Gegensatzdazu kommen in Myanmar, das in einer extrem asymmetrischen Interdependenzbe-ziehung zur EU steht, fast alle negativen Instrumente der Demokratieförderung zumEinsatz, inklusive Wirtschaftssanktionen und politischer Isolation. Anhand derBeziehungen zwischen EU und Russland zeigte auch Katrin Bastian auf, dass sym-metrische Interdependenzbeziehungen nur eine zurückhaltende Demokratisierungs-politik der EU erlauben. Sowohl das Partnerschafts- und Kooperationsabkommenals auch die «Gemeinsame Strategie» gegenüber Russland und seine Einbindung indie technische Hilfe bei Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen über das Programmder Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States (TACIS) zei-gen, dass die Union gegenüber Russland nur sehr vorsichtig auf die Umsetzungdemokratischer Reformen drängt. Damit unterscheidet sich die EU-Russlandpolitikdeutlich von den Beziehungen der EU zu anderen osteuropäischen Partnern. Dasbestätigte die zuvor von Knodt und Jünemann aufgestellte These: Je größer das wirt-schaftliche Potenzial des Drittstaates in seiner Beziehung zur EU ist und je mehralternative Kooperationsmöglichkeiten für diesen Staat bestehen, desto zurückhal-tender agiert die EU im Gebrauch negativer Instrumente.

4. Primat der Sicherheitspolitik

Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit spielen in den institutionali-sierten Beziehungen mit den direkten Nachbarn der EU eine hervorgehobene Rolle.In allen Verträgen und Abkommen findet sich nicht nur ein Bekenntnis zu diesenWerten, sondern auch die gesamte Palette an positiven und negativen Instrumenten,die der EU zur Umsetzung ihrer externen Demokratieförderung zur Verfügung ste-hen. Dies galt für die ehemaligen Beitrittskandidaten und es gilt für die Nochbei-trittskandidaten, für die südlichen Nachbarn im Mittelmeerraum und für die neuenNachbarn in Osteuropa und im westlichen Balkan, wie die Vorträge der Konferenzdeutlich machten. Hinter dem hier besonders prägnanten democracy mainstreamingsteht, dass die EU negative Entwicklungen in ihrer direkten Nachbarschaft (Regio-nalkonflikte, Bürgerkriege, schwache oder zerfallende staatliche Strukturen usw.) als»weiche« Sicherheitsrisiken wahrnimmt, auf die sie – im Sinne von Ursachenbe-kämpfung – mit der Förderung von Demokratie reagiert. Mit dieser Politik versuchtdie EU, langfristig zur inneren und äußeren Stabilisierung der entsprechenden Län-der beizutragen. Susan Stewart zeichnete in ihrem Beitrag zunächst einmal die Ent-wicklung der wichtigsten Instrumente nach und unterzog sie einer kritischen Ana-lyse. Andere Referenten verdeutlichten, dass es in der Instrumentenwahl der EUeinen entscheidenden Unterschied gäbe, nämlich die Beitrittsperspektive, die einigenNachbarn gewährt werde und anderen nicht. Die Beitrittsperspektive habe sich bis-lang als effektivstes Instrument der Demokratisierungspolitik erwiesen und ist damitauch ein Instrument der regionalen Sicherheitspolitik. Vor diesem Hintergrund wies

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Annette Jünemann/Michèle Knodt: Externe Demokratieförderung durch die Europäische Union

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Iris Kempe in ihrem Vortrag über die Europäische Nachbarschaftspolitik darauf hin,dass ohne eine Beitrittsperspektive vor allem die Ukraine Gefahr laufe, in ihrem bis-lang erfolgreichen Demokratisierungsprozess zurückgeworfen zu werden. ArkadyMoshes kritisierte die Konzentration der Europäischen Union auf Stabilität undSicherheit im Rahmen der Neuen Nachbarschaftspolitik, die zu wenig Rücksicht aufdie Interessen der Drittländer nehme, u. a. indem sie den meisten von ihnen einenBeitritt zur EU strikt verwehre. Elena Baracani veranschaulichte die Bedeutung derBeitrittsperspektive als Instrument der Demokratisierungspolitik besonders anschau-lich durch einen Vergleich der EU-Nachbarschaftspolitik gegenüber Ländern mitund ohne Beitrittsperspektive (Türkei vs. Marokko). In der Diskussion war man sicheinig, dass die EU in Folge ihrer erfolgreichen Beitrittspolitik in eine »Beitrittsfalle«geraten könne, wenn es ihr nicht gelingt, auch unterhalb der Schwelle des Beitrittsattraktive Anreize zur politischen Reform in Drittstaaten zu schaffen.

Die These von Jünemann und Knodt, dass die sicherheitspolitische Relevanz einesDrittlandes die EU zu einer besonders aktiven Demokratieförderung motiviere,wurde – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen – von Gordon Crawford bestätigt.Ghana ist ein Land, in dem eine externe Einflussnahme auf den politischen Reform-prozess auf positive Resonanz stoßen würde, da es hier nur mehr um die Konsolidie-rung eines relativ erfolgreichen Demokratisierungsprozesses geht. Da Ghana jedochsicherheitspolitisch bedeutungslos für die EU ist, scheint auch das Interesse der EUam politischen Transformationsprozess in Ghana gering zu sein. Damit verspielt dieEU eine Chance, mit relativ wenig Mitteleinsatz positive Erfolge zu erzielen, diedurchaus das Potenzial haben könnten, positiv auf weitere afrikanische Staaten aus-zustrahlen. Ganz anders stellt sich die Situation in Afghanistan dar. Die sicherheits-politische Bedeutung dieses Landes, in dem sich Teile der gestürzten Taliban haltenkonnten und Al Quaida neue Strukturen aufzubauen beginnt, könnte größer nichtsein. Und trotzdem trifft die These von der sicherheitspolitisch motivierten pro-aktiven Demokratisierungspolitik im Falle Afghanistans nicht zu, wie Florian Kühnin seinem Referat nachweisen konnte. Aus seinem Beitrag, aber auch aus dem vonRichard Youngs zu Palästina, ließe sich eine weitere These ableiten, derzufolge inLändern, die sich entweder in akuten Konfliktsituationen befinden und/oder überkeine funktionalen staatlichen Strukturen verfügen, Konfliktmanagement und nationbuilding Vorrang vor der Demokratieförderung haben. Diese Prioritätensetzung magzwangsläufig erscheinen, sie ist aber nicht ganz unproblematisch. In Palästina hatsie dazu geführt, so Youngs, dass der Korruption und einer unverantwortlichenRegierungspraxis der palästinensischen Autonomiebehörde seitens der EU Vor-schub geleistet wurde.

5. Stabilität vs. Demokratisierung

Die langfristig stabilisierende Wirkung von Demokratisierungsprozessen ist unstrit-tig und begründet die besondere Bedeutung der Demokratieförderung im Rahmender EU-Nachbarschaftspolitik (siehe oben). Ebenso unstrittig ist jedoch die Erkennt-

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Tagungsbericht

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nis der Transformationsforschung, dass der vorausgehende politische Transforma-tionsprozess zumindest kurz- und mittelfristig destabilisierend wirken kann. Konkretbedeutet das, dass der politische Wandel beispielsweise in einem Drittstaat außerKontrolle geraten könnte. Bürgerkriege, zerfallende Staatsstrukturen oder die Macht-übernahme anti-demokratischer (und anti-europäischer) politischer Kräfte sind nureinige der möglichen Folgeszenarien. Der aus solchen Erwägungen resultierendeZielkonflikt wird als »Demokratisierungs-Stabilitätsdilemma« (Jünemann 2005)bezeichnet, wie Jünemann in ihrem Referat über die EU-Demokratisierungspolitikim Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft erläuterte. Die EU versucht diesenZielkonflikt zu lösen, indem sie sich in den Mittelmeerdrittstaaten mit kleinen, staat-lich kontrollierten Reformschritten zufrieden gibt, die die gegenwärtigen autoritärenSysteme nicht ernsthaft infrage stellen. Somit wird vor allem im Mittelmeerraum dieThese von Jünemann und Knodt bestätigt: Je unsicherer ein Land ist, desto eher wirddie EU sich auf positive politische Instrumente beschränken und alle Maßnahmenmeiden, die die Stabilität des Drittstaates gefährden könnten.

Die Kooperation der EU mit der Zivilgesellschaft, so Jünemann, schließt die Anti-systemopposition (egal ob demokratischer oder islamistischer Provenienz) weitge-hend aus. Das wichtigste positive Instrument der EU ist ihre Förderung ökonomi-scher Liberalisierungsprozesse, von denen sie sich mittelfristig spill over-Effekteauf die politische Ebene erhofft. Im Ergebnis läuft die Strategie der EU darauf hin-aus, dass sie die in der Euro-Mediterranen Partnerschaft institutionalisierten negati-ven Instrumente bewusst nicht zum Einsatz bringt. Die dabei entstehende Kluft zwi-schen Anspruch und Wirklichkeit erklärt Jünemann mit einem konstruktivistischenAnsatz der außenpolitischen Rollentheorie: Die außenpolitische Rolle der EU alsWahrer von Demokratie und Menschenrechten gerate in Konflikt sowohl mit ihreraußenpolitischen Rolle als sicherheitspolitischer Akteur als auch mit der Rolle ihrereinzelnen Mitgliedsstaaten als Wahrer des nationalen Interesses. Letzteres verweisteinmal mehr auf die These vom »Außenpolitischen Paradox«, denn Frankreich, Spa-nien und Italien haben aufgrund ihrer geografischen Nähe ein besonderes Interesse,Destabilisierungstendenzen im Zuge überstürzter Reformschritte zu vermeiden. Sietragen die Hauptverantwortung für eine Demokratie- und Menschenrechtspolitik derEU im südlichen Mittelmeerraum, die angesichts ihrer Zögerlichkeiten und Inkonse-quenzen bei der Umsetzung diesen Namen kaum mehr verdient.

Anknüpfend an die Analyse der EU-Demokratisierungspolitik im südlichen Mit-telmeerraum verweist Marc Schade-Poulsen auf die Bedeutung der Resonanzstruk-turen in den jeweiligen Drittstaaten. Gerade im südlichen Mittelmeerraum gibt esLänder, wie etwa Syrien, die sich als absolut reformresistent erwiesen haben. Wennes seitens der herrschenden Eliten nicht einmal ein Minimum an Reformbereitschaftgibt, sind der EU die Hände weitgehend gebunden. Als Zivilmacht, die militärischeInterventionen zur Erzwingung eines Regimewechsels kategorisch ausschließt, hatdie EU keine Instrumente, um ein Land zu politischen Reformen zu bewegen, dassich diesen dezidiert verweigert. Diese Beobachtung von Schade-Poulsen trifft glei-chermaßen auf Myanmar und Kuba zu. Selbst wenn alle negativen Instrumenterückhaltlos zum Einsatz gebracht werden, ist in solchen Fällen kein Erfolg zu erwar-

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Annette Jünemann/Michèle Knodt: Externe Demokratieförderung durch die Europäische Union

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ten. Zur Bewältigung dieser Problematik zeigen sich supranationale wie nationaleAkteure ratlos, sodass diesbezüglich nicht nur akuter Handlungs-, sondern auch aku-ter Forschungsbedarf konstatiert werden kann.

6. Der Einfluss der internationalen Umwelt

Eines der eindrücklichsten Beispiele für den Zusammenhang zwischen internationa-ler Umwelt und Instrumentenwahl ist die internationale Sicherheitssituation nachdem 11. September 2001, wie Jünemann mit Bezug auf die EU Politik im Mittel-meerraum feststellte (Jünemann 2004). Der sicherheitspolitische Paradigmenwech-sel hat dazu geführt, dass der Sicherheit mittlerweile auch in Europa ein so hoherStellenwert zugeschrieben wird, dass wichtige andere Politikziele diesem unterge-ordnet werden und sogar die Verletzung internationaler Regeln in Kauf genommenwird, so Knodt und Jünemann in ihren eingangs aufgestellten Thesen. Diese in derLiteratur als securitization bezeichnete Entwicklung konnte Brüne am BeispielÄthiopiens nachweisen. Seit dem 11. September profiliert Äthiopien sich als Partnerdes Westens im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, worauf die EU-Demokratisierungspolitik gegenüber diesem afrikanischen Land schlagartig zurück-haltender wurde. Seitdem besteht eine erhebliche Kluft zwischen dem normativenAnspruch der EU-Demokratisierungspolitik in Äthiopien und ihrer praktischenUmsetzung.

In mehreren Regionen konnte nachgewiesen werden, dass die sicherheitspoliti-schen Veränderungen im internationalen Umfeld sich besonders negativ auf dieKooperation der EU mit der Zivilgesellschaft auswirken. Vor dem Hintergrund, dasssowohl die Demokratie als auch das Prinzip des guten Regierens starke partizipativeElemente enthält, wurde der Aufbau und die Unterstützung zivilgesellschaftlicherund damit gerade nicht-staatlicher Strukturen zu einem wichtigen Instrument euro-päischer Demokratisierungspolitik erhoben, das nicht zuletzt an die Erfahrungen mitdem Helsinki-Prozess anknüpfte. Im Laufe der 90er Jahre wurden zahlreiche Pro-gramme entwickelt, um unterschiedliche Segmente der Zivilgesellschaften zu errei-chen, deren positive Wirkkraft Rainer Rothfuß an einem Fallbeispiel aus Lateiname-rika erläuterte. Da die Strategie einer Demokratisierung von unten aber auchdestablisierende Effekte in den Drittstaaten zur Folge haben kann, wird die EUimmer zögerlicher, wenn es um die Unterstützung ihrer zivilgesellschaftlichen Part-ner geht. Diese problematische Tendenz hat sich seit dem 11. September nochmalsverstärkt, wie Beispiele vor allem aus dem südlichen Mittelmeerraum belegen. EineKooperation der EU mit autoritären Drittstaaten, die die Zivilgesellschaft zuneh-mend marginalisiert, stellt jedoch den normativen Anspruch der EU-Demokratisie-rungspolitik infrage und untergräbt die Glaubwürdigkeit der EU als internationalwirkende Wertegemeinschaft.

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7. Fazit

Als Fazit dieser Tagung bleibt festzuhalten, dass kaum ein policy-Bereich der EU soinkohärent und facettenreich ist wie die externe Demokratisierungspolitik. Die ent-scheidende Frage in Bezug auf die Strategie der EU-Demokatieförderung lautete:Warum sind über den Befund des democracy mainstreaming hinaus starke Unter-schiede in der Instrumentenwahl und vor allem auch in der Implementierung dergewählten Instrumente zu verzeichnen? Warum entscheidet sich die EU in einigenFällen für eine Anwendung eher negativer Instrumente, wie etwa Sanktionen, Isola-tion etc., während sie in anderen Fällen lediglich demokratische Standards anmahntund sich mit der Pflege eines politischen Dialogs begnügt? Einige Erklärungsansätzefür die aufgezeigten Inkohärenzen konnten durch die Tagungsbeiträge identifiziertund anhand unterschiedlicher Fallbeispiele auch verifiziert werden; andere bedürfennoch der Differenzierung. Insgesamt bleibt zu konstatieren, dass die Tagung zahlrei-che Ansatzpunkte für weiterführende Forschungen geboten hat, sowohl im Bereichder Theoriebildung als auch der Empirie. Dies war vor allem dem Versuch geschul-det, die stark fragmentierte wissenschaftliche community der Integrationsforscherund Regionalexperten an einen Tisch zu bekommen.

Der ebenfalls spannende Fragenkomplex der Wirkung externer Demokratieförde-rung in den Drittstaaten war explizit in der Anlage der Tagung ausgeklammert wor-den. Nichtsdestotrotz wurde dieses Thema immer wieder in den Vorträgen gestreift.Auch die Wirkung der Demokratieförderung der EU findet allgemein kaum syste-matische Beachtung. Ausnahme sind hier die bereits oben erwähnten Studien(Schimmelfennig/Sedelmeier 2005a, 2005b), die sich jedoch ausschließlich auf dieBeitrittskandidaten der Osterweiterung bzw. frühere Erweiterungsrunden beziehen.Dass diese Form der Beitrittskonditionalität die größte Wirkung in einem Drittstaatentfaltet ist evident, doch ist gerade die Wirkung bei Nichtbeitrittskandidaten inter-essant. Es stellen sich die Fragen: Wie und unter welchen Bedingungen werdendurch die Demokratieförderung der EU die Interessen und das Verhalten der Regie-rungen und gesellschaftlichen Akteure in den Drittstaaten verändert? Welche endo-genen Voraussetzungen sind erforderlich, damit die externe Einflussnahme der EUeine positive Wirkkraft entfalten kann? Welche Interdependenzen lassen sich zwi-schen exogenen und endogenen Faktoren identifizieren? Um einen entsprechendenDiskurs anzuregen, sollen die Tagungsergebnisse in einem Sammelband veröffent-licht werden.

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Annette Jünemann/Michèle Knodt: Externe Demokratieförderung durch die Europäische Union

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Tagungspapiere4

Algieri, Franco (Centrum für angewandte Politikforschung, München): Democracy Promotionof the EU in Myanmar/Burma and China.

Baracani, Elena (Università degli studi di Firenze): Preaccession and Neighbourhood: Euro-pean Union Democratic Conditionality.

Bastian, Katrin (Humboldt-Universität, Berlin): EU-Russia: A Special Relationship.Brüne, Stefan (Deutsches Überseeinstitut, Hamburg): Democracy Promotion of the EU: The

Case of Ethiopia.Crawford, Gordon (University of Leeds): Evaluating EU Democracy Promotion in Ghana.Gratius, Susanne (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin/Fundación para las Relaciones

Internacionales y el Diálogo Exterior, Madrid): EU-Latin America Relationship: TheExamples of Columbia, Cuba, Venezuela.

Jünemann, Annette (Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg):Explaining the Incoherence of EU-Democracy Promotion in the Mediterranean: A Con-structivist Approach that Draws on Role Theory.

Kempe, Iris (Centrum für angewandte Politikforschung, München): EU Democracy Promotionin Belarus, Ukraine, Moldavia.

Knodt, Michèle/Jünemann, Annette (Technische Universität Darmstadt/Helmut-Schmidt-Uni-versität, Universität der Bundeswehr Hamburg): Conceptionalizing the EU’s Promotionof Democracy.

Kühn, Florian P. (Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg): EUDemocratisation Policy in Afghanistan.

Moshes, Arkady (Finish Institute of International Affairs, Helsinki): The Role of the Promo-tion of Democracy in the New Neighbourhood Policy.

Rothfuß, Rainer (Universität Tübingen): European-Latin American City Networks: Building aStrategy from Below.

Schade-Poulsen, Marc (Euro-Mediterranean Human Rights Network, Copenhagen): EU Pro-motion of Human Rights in the Mediterranean – a Practitioner’s View.

Schmidt, Siegmar (Universität Landau): Challenging Cases: EU Democracy Promotion inSouth Africa and the DR Congo.

Stewart, Susan (Universität Mannheim): The EU and Civil Society Promotion: The WesternBalkan and the Baltics in Comparison.

Youngs, Richard (Fundación para las Relaciones Internacionales y el Diálogo Exterior, Mad-rid): The European Union as a Promoter of Democracy in a Conflict Ridding Sub-Region: The Case of the Middle East.

Literatur

Feliu, Laura 2004: A Two-Level-Game: Spain and the Promotion of Democracy and HumanRights in Morocco, in: Jünemann, Annette (Hrsg.): Euro-Mediterranean Relations afterSeptember 11: International, Regional and Domestic Dynamics, London, 1-20.

Gillespie, Richard/Youngs, Richard (Hrsg.) 2002: The European Union and Democracy Pro-motion: The Case of North Africa, London.

Gratius, Susanne 2003: Kuba unter Castro – Das Dilemma der dreifachen Blockade. Die kon-traproduktive Politik der »Demokratieförderung« seitens der USA und der EU, Opladen.

4 Der Tagungsband wird voraussichtlich im Herbst 2006 bei Nomos erscheinen.

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Tagungsbericht

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Jünemann, Annette 2004: Security Building in the Mediterranean after September 11, in: Jüne-mann, Annette (Hrsg.): Euro-Mediterranean Relations after September 11: International,Regional and Domestic Dynamics, London, 1-20.

Jünemann, Annette 2005: Ein Raum des Friedens, der Stabilität und des gemeinsamen Wohl-stands? Die Euro-Mediterrane Partnerschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in:Harders, Cilja/Jünemann, Annette (Hrsg.): Zehn Jahre Euro-Mediterrane Partnerschaft.Bilanz und Perspektiven, Themenheft, Orient 46: 3, 360-379.

Europäische Kommission 2001: Europäisches Regieren – Ein Weißbuch (KOM 2001, 428endgültig, Brüssel, 25.7.2001), in: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/cnc/2001/com2001_0428de01.pdf ; 26.3.2006.

Schimmelfennig, Frank/Sedelmeier, Ulrich (Hrsg.) 2005a: The Europeanization of Central andEastern Europe, Ithaca, NY.

Schimmelfennig, Frank/Sedelmeier, Ulrich (Hrsg.) 2005b: The Politics of European UnionEnlargement: Theoretical Approaches, London.

Schmidt, Sigmar 1999: Die Demokratie- und Menschenrechtsförderung der Europäischen Unionunter besonderer Berücksichtigung Afrikas (Arbeitspapiere zu Problemen der Internatio-nalen Politik und der Entwicklungsländerforschung 28, Forschungsstelle Dritte Welt), in: http://www.forschungsstelle-dritte-welt.de/Dokumente/AP/AP_28_Schmidt.pdf ; 26.3.2006.

Youngs, Richard 2001: Assessing Democracy Promotion: The Case of European Union Stra-tegy (Centre for European Policy Studies, Working Paper 167), Brüssel.

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Klaus Dingwerth/Sabine Campe

Organizing the WorldEin Tagungsbericht

1. Einleitung

Dass ein stärkerer Austausch zwischen den Internationalen Beziehungen (IB) und derOrganisationstheorie wünschenswert wäre, darauf haben bereits Gary Ness und SteveBrechin in ihrem 1988 erschienenen Artikel »Bridging the Gap: International Organi-zations as Organizations« hingewiesen.1 Ähnlich sah es auch Christer Jönsson:

»The relation between general organization theory and the study of international organi-zation (IO) has largely been one of mutual neglect. Widely used textbooks on organiza-tion theory […] include no systematic treatment of international organizations […]; nordo the authors of textbooks on international organizations make use of general organiza-tion theory« (Jönsson 1986: 39).

Zwei Jahrzehnte nach dieser Bestandsaufnahme stellt sich die Situation kaum andersdar. So finden sich damals wie heute lediglich vereinzelte Studien, die internationaleOrganisationen »als Organisationen« begreifen und die Integration von IB- undOrganisationstheorien versuchen.

Dass der Austausch zwischen beiden Disziplinen gering ist, liegt sicherlich auchan der Mehrdeutigkeit des Organisationsbegriffs, der in beiden Disziplinen zum Teilunterschiedlich verstanden wird. Nach einer frühen Phase, in der formale Organisa-tionen im Zentrum des Interesses standen, wurde »Organisation« in den IB zumeistsehr weit im Sinne von Ordnung interpretiert (vgl. Kratochwil/Ruggie 1986;Rochester 1986). Erst in den vergangenen Jahren sind die von konkreten inter- undtransnationalen Organisationen erbrachten Ordnungsleistungen wieder verstärkt inden Blick gerückt; in diesem Zusammenhang ist auch ein gesteigertes Interesse aninternationalen Bürokratien zu beobachten (siehe Biermann/Bauer 2005; Liese/Weinlich 2006). Umgekehrt war das Interesse der Organisationstheorie an interna-tionalen Organisationen lange Zeit bestenfalls gering. Indem sie zunehmend trans-nationale Verregelungsprozesse in den Blick nimmt, bewegt sich die Organisations-theorie jedoch auf die Internationalen Beziehungen zu. Vor diesem Hintergrundbietet die vom Stockholm Centre for Organizational Research (SCORE) im Oktobervergangenen Jahres veranstaltete Konferenz »Organizing the World: Rules andRule-Setting among Organizations« Gelegenheit, im Rahmen eines gemeinsamenForschungsgegenstands – dem globalen Organisieren durch Regeln – den potenziel-len Mehrwert der Organisationsforschung für die Internationalen Beziehungen zuerkunden.2

1 Für wertvolle Kommentare danken wir Sebastian Botzem und den Mitgliedern derRedaktion der Zeitschrift für Internationale Beziehungen , insbesondere Dieter Kerwer.

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Nach einer Skizze des Forschungsfelds »Organisationstheorie« und seines Bezugszu den Internationalen Beziehungen (Abschnitt 2) geben wir in Abschnitt 3 einenÜberblick über die drei Themenstränge der Konferenz. Es sind dies die Organisationglobaler Regelsetzungsprozesse, Fragen nach der Legitimität von Regelsetzungspro-zessen und die Rückbindung von globalen Regeln an lokale Kontexte. Abschnitt 4diskutiert die Konferenzergebnisse mit Blick auf die Anschlussfähigkeit und denpotenziellen Mehrwert von Organisationstheorien für die Internationalen Beziehun-gen.

2. Organisationstheorie: Anspruch und Fragen

Glaubt man dem Einführungstext eines der meist gelesenen deutschsprachigen Lehr-bücher über Organisationstheorien, so haben Letztere zum Ziel, »das Entstehen, dasBestehen und die Funktionsweise von Organisationen zu erklären bzw. zu verste-hen« (Scherer 2002: 1). In der Praxis stellt sich dies als umfassender Anspruch vonOrganisationstheorien dar. So werden häufig nicht nur formale Organisationen alsUntersuchungsgegenstand gesehen, sondern neben informellen Regeln unter »Orga-nisation« auch noch die Aktivität des Organisierens sowie die Verfasstheit (d. h. dieArt der »Organisiertheit«) eines bestimmten Bereichs der sozialen Wirklichkeit ver-standen. Dies weist auf Missverständnisse im Hinblick auf das Erkenntnisinteresseund auf mögliche Erträge organisationstheoretischer Zugänge für die InternationalenBeziehungen hin.

Disziplinär ist die Organisationsforschung – und damit auch die Organisations-theorie – vor allem in der Soziologie und der Betriebswirtschaftslehre verankert.Analog zu anderen sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen lassen sich unter demOberbegriff der Organisationstheorie eine Reihe unterschiedlicher Ansätze subsu-mieren. So unterscheidet beispielsweise das Oxford Handbook of OrganizationTheory zwischen positivistischen, interpretativen, kritischen und postmodernenAnsätzen (siehe Tsoukas/Knudsen 2003) und stellt darüber hinaus soziologischeund ökonomische Ansätze einander gegenüber (Swedberg 2003). Aus Sicht der Her-ausgeber ist dabei innerhalb der Organisationstheorie eine Hinwendung zu interpre-tativen Ansätzen zu verzeichnen, in welchen nicht nur die »inhärente Sozialität vonorganisationalen Phänomenen« (Tsoukas 2003: 611, unsere Übersetzung) betont,sondern gleichzeitig auch eine höhere Komplexität zugelassen und der Untersu-chungsgegenstand von formalen Organisationen auf »patterned interaction« ausge-weitet wird. Aus der Perspektive dieses interpretativen Ansatzes formuliert Haridi-mos Tsoukas als neuen Imperativ der Organisationstheorie: »Don’t search for the

2 Die Konferenz fand vom 13.-15. Oktober 2005 an der Universität Stockholm statt. DieErgebnisse erscheinen unter anderem in Djelic/Sahlin-Andersson (2006), Boström/Gar-sten (2007) und in einem Sonderheft der Zeitschrift Organization (ebenfalls 2007).

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logic of organizing; look for the discursive practices involved in organizing« (Tsou-kas 2003: 619).3

In der Politikwissenschaft haben demgegenüber vor allem neoinstitutionalistischeOrganisationstheorien Anklang gefunden (siehe Powell/DiMaggio 1991 für einenÜberblick). Während die frühe Organisationsforschung vor allem Aktivitäten undProzesse innerhalb von Organisationen untersuchte, wendete sich die in den 1970erJahren entstandene neoinstitutionalistische Organisationstheorie verstärkt der Inter-aktion zwischen Organisationen und ihrer gesellschaftlichen Umwelt zu. Eine Kern-these der Theorie ist dabei, dass die institutionelle Umwelt sowohl die Ziele als auchdie zur Zielerreichung zur Verfügung stehenden Instrumente bestimmt (Walgenbach2002: 159). Anders als in ökonomischen Organisationstheorien sehen die stärkersoziologisch geprägten, neoinstitutionalistischen Theorien in Organisationen dabeiweniger rationale als vielmehr soziale Akteure.4

Zentrale Fragen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie – aber teil-weise auch anderer Theorieansätze innerhalb der Organisationstheorie – sind dabeiunter anderem: Welche Mechanismen erklären den (unterschiedlichen) Grad derIsomorphie in organisationalen Feldern? Wie, wann und warum wandeln sich Orga-nisationen? Welche Faktoren bedingen Institutionalisierungs- und Deinstitutionali-sierungs-Prozesse in Organisationen? Antworten auf diese Fragen werden unteranderem in der Beschaffenheit des institutionellen Umfelds – z. B. der Regelungs-dichte oder der Strukturation organisationaler Felder – und in der Beschaffenheit derOrganisationen selbst – z. B. ihrer Größe, der an sie gestellten Anforderungen, ihrerinternen Dynamik oder Mitgliederstruktur – gesehen (Walgenbach 2002).

Während neoinstitutionalistische Ansätze lange von einer gegebenen Organisa-tionsumwelt ausgegangen sind, interessieren sich eine Reihe neuerer Ansätze wieetwa der world polity-Ansatz der Forschergruppe um John Meyer, aber auch dieStockholmer Organisationstheorie um Nils Brunsson, nun verstärkt für die Entste-hung dieser Organisationsumwelten und deren Regeln sowie für die interessengelei-tete Einflussnahme von Akteuren auf ihre Umwelt (siehe Brunsson/Jacobsson 2000;Hoffman 1999; Meyer 2005).

Im Zuge eines wachsenden Interesses an der Organisation durch Regeln weisenneuere Arbeiten – etwa zur Thematik globaler Standards (Brunsson/Jacobsson 2000;Tamm Hallström 2004) – darüber hinaus auf eine Öffnung der Organisationsfor-schung zu inter- und transnationalen Organisationen und Organisationsprozessenhin. Während sich die empirischen Beiträge im von Walter Powell und Paul DiMag-gio (1991) herausgegebenen Klassiker »The New Institutionalism in Organization

3 Zudem setzt sich die Organisationsforschung verstärkt mit Erklärungsansätzen mittlererReichweite auseinander, die sich beispielsweise der Analyse von Organisationsfeldern(organizational fields) zuwenden. Darüber hinaus werden die Erträge und Grenzen einesmechanismenbasierten Theorieverständnisses thematisiert, welches in der Organisati-onsforschung an Bedeutung gewinnt (vgl. Davis/Marquis 2005).

4 So erklären beispielsweise DiMaggio und Powell (1983) die innerhalb »organisatori-scher Felder« beobachtete Harmonisierung in der Struktur und im Verhalten von Organi-sationen unter anderem durch die Nachahmung von Mustern, welche als üblicherweiseangemessenes Verhalten unterstellt werden bzw. als best practice anerkannt sind.

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Analysis« allesamt noch lokalen oder nationalen Organisationsprozessen widmeten,verdeutlicht bereits der Titel der Stockholmer Konferenz, dass die gegenwärtigeOrganisationsforschung auch globale Organisation(en) explizit in ihren Gegen-standsbereich aufgenommen hat.

3. »Organizing the World«: Organisationen und globale Regeln

3.1. Globale Ordnung durch Organisation(en)

Ein erster Themenstrang der Stockholmer Konferenz befasste sich dementsprechendmit dem Beitrag von Organisationen zur Herstellung globaler Ordnung. In ihremHintergrundbeitrag für diesen Themenstrang gehen Göran Ahrne und Nils Brunssondavon aus, dass gemeinsame Verhaltenserwartungen, sofern sie nicht auf kulturellenGemeinsamkeiten gründen, durch Organisationen hervorgebracht werden. Das inno-vative Potenzial des Beitrags liegt dabei vor allem darin, dass die Autoren einenmehrdimensionalen Organisationsbegriff einführen und so der Rolle einzelner Orga-nisationselemente bei der Herstellung globaler Ordnung nachgehen: »Single organi-sational elements are dispersed over the social landscape without being integratedinto formal organizations« (Ahrne/Brunsson: 8). Als Organisationselemente werdenunter anderem Mitglieder und Ressourcen, ein autoritatives Zentrum mit Regelset-zungskompetenz sowie Informations- und Sanktionssysteme angeführt. Konkretbetrachten Ahrne und Brunsson anschließend zwei Organisationsformen: Standardi-sierung und Meta-Organisationen. Kerngedanke ist dabei, dass in beiden FällenOrganisationen Regeln nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Organisati-onen festlegen. Sie erheben damit Geltungsansprüche, die sie nicht hierarchischdurchsetzen können.

In Anlehnung an den Hintergrundbeitrag beschäftigten sich mehrere Papiere mitder Dynamik und Organisation der Standardisierung in verschiedenen Politikfel-dern. Für die Informations- und Kommunikationstechnologie beobachten KaiJakobs und Michael Wallbaum einen zunehmenden Wettbewerb unter den Standard-setzern. Da formale Organisationen die wachsende Nachfrage nach Spezifizierungallgemeiner Standards nicht bedienen können, haben sich private Industriekonsor-tien in diesem Bereich engagiert. Im Zuge von Bemühungen formaler Organisatio-nen, die Hoheit in der Standardsetzung wiederzugewinnen, ist dabei eine zuneh-mende Konvergenz der Akteure zu beobachten: Private Konsortien und formaleStandardisierungsorgane gleichen sich an.

Kämpfe um Deutungshoheit können auch bei der Anwendung von Rechtsnormenim transnationalen Bereich durch Anwaltskanzleien (law firms) beobachtet werden.Durch Vertragsabschlüsse und durch die Systematisierung und Anerkennung vonRechtsnormen tragen sie zur transnationalen Rechtsetzung bei. Dabei verschaffensich internationale Anwaltskanzleien durch eine für sie günstige Auslegung einerNorm im Einzelfall Vorteile für künftige Fälle – die Generierung von Normen derRechtsanwendung durch Kanzleien als »institutionelle Unternehmer« lässt sich also

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durchaus akteursorientiert erklären (Quack). Gleichzeitig verändern sich die Ak-teure: Der Wandel der Bedürfnisse der Klienten hat die Internationalisierung vonAnwaltskanzleien vorangetrieben. Offen bleibt, ob dies zu einer Konvergenz derFirmenlandschaft nach amerikanischem Vorbild führt (Morgan/Quack).

Zu guter Letzt lässt sich auch eine zunehmende Beteiligung zivilgesellschaftlicherAkteure an der transnationalen Standardsetzung beobachten. Insbesondere die insti-tutionalisierte Kooperation vormals verfeindeter Akteure aus Zivilgesellschaft undIndustrie erscheint dabei erklärungsbedürftig. Am Beispiel des Forest StewardshipCouncil und der Coalition for Environmentally Responsible Economies zeigt PhilippPattberg, dass eine rationalistische Erklärung, welche die Kooperation als interorga-nisatorischen Ressourcenaustausch begreift, nur vor dem Hintergrund gemeinsamerErfahrungen und die Akteursgruppen übergreifender Diskurse plausibel ist.

Während Standardisierungsprozesse in der IB-Literatur zunehmend Beachtungfinden, scheint insbesondere das Konzept der »Meta-Organisation« Potenzial fürweitere Forschungsarbeiten zu bergen. Als Organisationen, deren Mitglieder selbstOrganisationen sind, erbringen Meta-Organisationen eine Reihe spezifischer Leis-tungen, die je nach empirischem Beispiel variieren. So erleichtern sie die Interaktionihrer Mitglieder, prägen und harmonisieren Identitäten in spezifischen Tätigkeitsfel-dern und schaffen durch Regeln, Normen und Standards Ordnung innerhalb ihrerMitgliedschaft. Wie andere grenzüberschreitende Organisationen verzeichnen dabeiauch Meta-Organisationen einen starken Zuwachs. Ahrne und Brunsson zählen über10.000 von ihnen – allein die Anzahl gibt einen Eindruck der erbrachten Ordnungs-leistung.

Die Herstellung globaler Ordnung durch Meta-Organisationen hat den offensicht-lichen Vorzug, dass Regeln gegenüber den jeweiligen Mitgliedern prinzipiell durch-setzungsfähig sind. Allerdings können Meta-Organisationen nicht im selben Maßvon allen Organisationselementen Gebrauch machen wie herkömmliche Organisa-tionen. Täten sie dies, so würden sie die Identitäten und die Souveränität ihrer Mit-glieder bedrohen. In der Konsequenz verfügen Meta-Organisationen daher über eineschwächere zentrale Autorität. Um diese Schwäche zu kompensieren, verlagern siesich häufig ebenfalls auf das Setzen unverbindlicher Standards oder streben nacheiner Monopolstellung innerhalb ihres Organisationsfelds (Ahrne/Brunsson: 14-21).

Wie Autorität und Autonomie von Meta-Organisationen gefasst werden könnenund worauf sie sich stützen, diskutieren mehrere empirische Konferenzbeiträge.Dem Wandel der World Trade Organization (WTO) von einem Instrument der Staa-ten hin zum eigenständigen Akteur auf der Spur, schlägt Martin Koch die Anwen-dung eines Open Systems Approach vor. Während die IB-Forschung sich bislangentweder auf die Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationenoder auf die Bürokratien innerhalb der Organisationen konzentriert hat, versteht derOpen Systems-Ansatz die Umwelt einer Organisation als Quelle ihrer Existenz, andie sich das komplexe Innenleben einer Organisation ständig anpassen muss (Scott1992). Koch verspricht sich hiervon, die WTO als Mitgliedsorganisation im Span-nungsfeld unterschiedlicher auf sie einwirkender Akteure besser zu verstehen.Andere Beiträge stellen heraus, dass Meta-Organisationen ihre Autonomie gegenü-

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ber ihren Mitgliedern vergrößern können. So können Organisationen wie etwa dieEuropäische Arzneimittelagentur umso autonomer werden, je weiter und vollständi-ger sie den Institutionalisierungsprozess durchlaufen haben (Groenleer). Auch dieSekretariate von internationalen Übereinkommen können sich einen Handlungs-spielraum erarbeiten, der über ihr formales Mandat hinausgeht. Wie weit ihnen diesim konkreten Fall gelingt, hängt unter anderem von der Führungsstärke der Sekreta-riatsleitung, der Autorität der Bürokratie und dem institutionellen Design des jewei-ligen Regimes ab (Bauer et al.; Campe).

3.2. Legitimität und Verantwortlichkeit organisationaler Regelsetzungsprozesse

Im einem der klassischen Beiträge zur Organisationstheorie argumentieren JohnMeyer und Brian Rowan (1977), dass Organisationen allgemein vor zwei wider-sprüchlichen Anforderungen stehen: »to get things done and to incorporate featuresfrom its surroundings which will endow it with legitimacy – but which will make itharder to get things done« (Swedberg 2003: 383). Die Beiträge zu diesem zweitenThemenstrang schlossen an diesen Ausgangspunkt auf verschiedene Weise an. DieBandbreite an empirischen Beispielen war dabei insgesamt beachtlich und schlossThemen der Nachhaltigkeits-, Gesundheits- und Informations- und Kommunika-tionspolitik ebenso ein wie die Bereiche der corporate governance, der Wirtschafts-prüfung (auditing) und der Rechnungslegung (accounting).

Aus einem empirischen Legitimitätsverständnis ließe sich dabei erwarten, dassinsbesondere nicht-staatliche Organisationen einigen Aufwand betreiben müssen,um sich gegenüber der Außenwelt zu legitimieren, während staatliche Organisatio-nen die Frage nach ihrer Legitimation mit dem Hinweis auf ihre Staatlichkeit beant-worten können. Entsprechend stellte das Verhältnis zwischen Staat und privatenRegulierungsversuchen einen der zentralen Diskussionsbereiche des Themenstrangsdar. So erhärtet beispielsweise Lars Gulbrandsens Vergleich globaler Forst- undFischereistandards die These, dass private Standardsetzer letztlich auf ein Mindest-maß an staatlicher Unterstützung angewiesen sind (vgl. auch Tamm Hallström2004). Im konkreten Fall stehen vor allem die Regierungen nördlicher Industriestaa-ten der privaten Regulierung im Forstbereich aufgeschlossen gegenüber; für denFischereibereich gilt dies nicht. Entsprechend erkennt Gulbrandsen hier Bemühun-gen von Staaten, die private Regulierung zu begrenzen bzw. die staatliche Kontrolleüber die Standardsetzung zurück zu gewinnen. Diese Bemühungen profitiertendabei von der prekären Legitimation der letztlich selbstmandatierten nicht-staat-lichen Regelsetzungs-Organisationen – in diesem Fall des Marine StewardshipCouncil (MSC). So setzten staatliche Akteure ihre Legitimation zur gemeinsamenRegulierung eines grenzüberschreitenden Gemeinschaftsguts der problematischenLegitimität des MSC entgegen und stellten darüber hinaus die fachliche Expertiseder privaten Regelsetzungs-Organisation in Frage. In der Summe macht Gulbrand-sens Vergleich damit deutlich, dass nicht-staatliche Standardsetzung in ihrem »Stre-

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ben nach Autorität« (Tamm Hallström 2004) keineswegs unabhängig von der Staa-tenwelt agiert.

Dieses »Streben nach Autorität« stand auch im Zentrum weiterer Konferenzbei-träge. Während Dieter Kerwer in seiner Analyse der Standardsetzung im Bereichder Rechnungslegung Expertise als zentrale Grundlage der Autorität von Standardsausmacht, betonen andere Beiträge legitime Organisationsstrukturen und Entschei-dungsverfahren als Voraussetzung für eine erfolgreiche Standardsetzung (Beisheim/Dingwerth; Tamm Hallström: 2). Kristina Tamm Hallströms Untersuchung derAktivitäten der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) auf demGebiet der Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR)zeigt dabei, dass der Legitimationsdruck besonders hoch ist, wenn Standardsetzersich auf Felder wagen, in welchen bereits eine relativ hohe Dichte an Normen undStandards vorhanden ist.

Angesichts des Interesses auf beiden Seiten scheinen sich darüber hinaus insbe-sondere Fragen der Unternehmenskontrolle (corporate governance) und der Rech-nungslegung (accounting) für einen Brückenschlag zwischen Internationalen Bezie-hungen und Organisationstheorie anzubieten. So wurden zu beiden Themen – auchim ersten und dritten Themenstrang – gleich mehrere Papiere vorgestellt. Im Zusam-menhang mit der Legitimationsproblematik beleuchten sie dabei durchaus unter-schiedliche Aspekte. Der Beitrag von Anne Loft und Christopher Humphrey zeich-net die Bemühungen der International Federation of Accountants (IFAC) nach, dieeigene Rolle in der Produktion globaler Standards auszuweiten und sich – als Vor-aussetzung für eine solche Expansion – gleichzeitig als Vertreter »öffentlicher Inter-essen« zu legitimieren. Während der organisationale Wandel der IFAC bei Loft undHumphrey vor allen unter normativ-prozeduralen Gesichtspunkten diskutiert wird,verfolgt der Beitrag von Kerwer ein stärker empirisches Erkenntnisinteresse. AmBeispiel der Rechnungslegung zeichnet er nach, dass die Standardsetzung zumin-dest dann öffentlicher Kontrolle ausgesetzt ist, wenn ihre Ergebnisse – meist imZuge krisenhafter Ereignisse – als unzureichend erkannt werden. Modelle zur Erklä-rung von Standardisierungsprozessen müssten daher neben Standardsetzer und Stan-dardanwender um eine Standardaufsicht (standards supervisor) als dritten Akteurergänzt werden, selbst wenn dieser die meiste Zeit im Hintergrund agiert und nurselten so sichtbar wird wie der US-amerikanische Gesetzgeber im Zuge des Enron-Skandals (Kerwer).

Eine stärker normative Position bezieht schließlich der Beitrag von Winton Hig-gins. Ausgehend von der Beobachtung, dass Standardisierungs-Organisationenzunehmend die Rolle als »regulators in the first instance« übernehmen, konstatierter eine grundlegende Herausforderung für unser Legitimitäts- und Autoritätsver-ständnis. Statt sich auf die Legitimität des souveränen Staats zu stützen, gründe dieAutorität nicht-staatlicher Standardsetzungsorganisationen auf drei Behauptungen:dass die gesetzten Standards eine optimale Lösung für ein wiederholt auftretendestechnisches Problem darstellen; dass sie als Konsens aus einem offenen und reprä-sentativen Konsultationsprozess hervorgegangen seien; und dass ihre Einhaltungfreiwillig geschehe. Higgins’ Diskussion verdeutlicht dabei, dass alle drei Annah-

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men problematisch sind. Standardisierung ist für ihn daher keine freiwillige Harmo-nisierung, sondern vielmehr »governance at a distance«. Indem Regulierungsgegen-stände im Rahmen von Standardisierungs-Prozessen entpolitisiert werden, werdeder politischen Willensbildung zunehmend die Substanz entzogen. Vor diesemHintergrund erscheint Standardisierung für Higgins folglich als »technokratischeBedrohung« für die Demokratie.

3.3. Globale Regeln und lokale Variationen

Durch den grenzüberschreitenden Handel mit Gütern und Dienstleistungen und dieInternationalisierung der Produktion ist die Nachfrage nach globalen Standards starkgewachsen. Trotz weltweiter Standardisierung kann die Umsetzung auf lokalerEbene dabei variieren, wenn die Standards dem jeweiligen gesellschaftlichen Kon-text angepasst werden. Hier setzt der dritte Themenstrang der Stockholmer Kon-ferenz an. Im Gegensatz zur compliance-Forschung in den Internationalen Bezie-hungen (siehe etwa Raustiala/Slaughter 2002), die sich in erster Linie mit derUmsetzung zwischenstaatlicher Regeln beschäftigt, erkunden die präsentiertenArbeiten dabei vor allem die Umsetzung transnationaler, nicht verbindlicher Stan-dards. Eine konzeptionelle Einbettung von globalen Regeln und lokaler Adaptionbieten Marie-Laure Djelic und Kerstin Sahlin-Andersson an, die vorschlagen, dieinstitutionellen Dynamiken transnationaler governance-Prozesse mithilfe einer Feld-perspektive zu betrachten.

Im Hinblick auf derartige Organisationsfelder beschäftigen sich auch in diesemdritten Themenstrang mehrere Papiere mit der Organisation der internationalenRechnungslegung. In Bezug auf die europäische Harmonisierung der betrieblichenRechnungslegung stellt Kristina Artsberg fest, dass die von der Europäischen Kom-mission vorgeschlagenen Standards ursprünglich für Aktiengesellschaften erarbeitetworden sind und ihre Anwendung auf kleine und mittelständische Unternehmen sichinfolgedessen als problematisch erweist. Dass internationale Standards der Rech-nungslegung zwar eine Harmonisierung der Form der Rechnungslegung, nichtjedoch unbedingt eine Konvergenz der professionellen Kultur der Wirtschaftsprü-fungsgesellschaften und Firmen erzeugen, beobachtet Andrea Mennicken bei derAnpassung russischer Firmen an internationale Standards. Sebastian Botzems Bei-trag schließlich geht der Frage nach, wie die Anpassung des deutschen Rechnungs-wesens an internationale kapitalmarktorientierte Standards erklärt werden kann.Einen Grund sieht er in der Pluralisierung der Standards: Zahlreiche Unternehmenwendeten nach dem Gang an ausländische Börsen US-amerikanische oder internati-onale Standards an, wodurch es zu einer Diskreditierung der deutschen Standardsgekommen ist. Zudem haben Änderungen des Handelsgesetzbuchs die Anwendungnichtlokaler Standards für ausgewählte deutsche Jahresabschlüsse erst möglichgemacht. Diese inhaltlichen Veränderungen wurden durch die Gründung einer pri-vaten nationalen Organisation abgesichert, die von großen deutschen Unternehmenund internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften dominiert ist (Botzem).

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Die Verbreitung von internationalen Standards hinsichtlich des auditing vonRegierungen wurde in einem weiteren Konferenzbeitrag dagegen mithilfe neoinsti-tutioneller Ansätze erklärt: Als Antwort auf eine Vertrauenskrise kooperierten diezunächst antagonistischen Akteure. Während sich die IFAC als private Organisationdie Legitimität der öffentlichen Organisation – in diesem Fall der InternationalOrganization of Supreme Audit Institutions (INTOSAI) – zunutze macht, greift Letz-tere auf die Professionalität des privaten Anbieters zurück. Mit der Gründung einesgemeinsamen Netzwerks verschwinden die institutionellen Grenzen zunehmend(Olsen).

Schließlich kann die Weiterentwicklung von Standards auch zu deren Bedeu-tungslosigkeit führen. So stellen Martin Foley et al. fest, dass Qualitätsmanagement-standards in ihrer frühen Entwicklungsphase ihren Zweck weitgehend erfüllten,jedoch zunehmend simplifiziert worden sind. Wurde anfangs noch die betrieblichePraxis an die Standards angepasst, so scheinen im Fall der erweiterten Standardsnunmehr vor allem die Standards selbst angepasst zu werden; ihrer Wirkung auf dieUnternehmenspraxis gehen sie dabei, so Foley et al., weitgehend verlustig.

4. Diskussion: Organisationstheorien und die Internationalen Beziehungen

Inwiefern ist die Organisationstheorie anschlussfähig an die Internationalen Bezie-hungen? Welchen Mehrwert kann die politikwissenschaftliche Forschung insbeson-dere im Hinblick auf die grenzüberschreitende Steuerung durch Regeln von derBeschäftigung mit Organisationstheorie(n) erwarten? Und was kann die Organisa-tionsforschung möglicherweise von den Internationalen Beziehungen lernen?

Zunächst einmal zeigen die oben skizzierten Beiträge zur Stockholmer Konferenz,dass sich der Gegenstandsbereich beider Disziplinen in den vergangenen Jahrenangenähert hat. Während die Organisationsforschung zunehmend informelle Orga-nisationsprozesse in den Blick nimmt und auch den Blick über staatliche Grenzenhinaus wagt, hat sich mit der governance-Forschung in den Internationalen Bezie-hungen ein Schwerpunkt herausgebildet, der vor allem an den Erfolgbedingungenregelbasierter Steuerung jenseits des Staats interessiert ist (vgl. Jachtenfuchs 2003).Im Zuge dieses governance-Paradigmas hat die Disziplin neben zwischenstaatlichenauch »zwischen-gesellschaftliche« Regulierung und neue Steuerungsformen in denKreis der untersuchten Phänomene aufgenommen. Insbesondere im Hinblick auf dieglobale Organisation durch Regeln weisen die Forschungsprogramme beider Diszi-plinen inzwischen also deutliche Überschneidungen auf.

Die vertiefte Beschäftigung der Internationalen Beziehungen mit Organisations-theorien könnte sich in diesem Zusammenhang in dreierlei Hinsicht als gewinnbrin-gend erweisen: Erstens stellt die seit den späten 1980ern wachsende Zahl inter- undtransnational regelsetzender Organisationen einen zunehmend wichtigeren For-schungsgegenstand der Internationalen Beziehungen dar. Hierbei ist nicht nur dieAnzahl, sondern auch die Autorität dieser Organisationen als Regelsetzer gestiegen:»More and more, international standards are used both as complements and alterna-

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tives to other rules, such that international standard-setters occupy a growing part ofthe regulatory space« (Tamm Hallström: 28). Da es sich häufig um überlappendeRegeln handelt, an deren Setzung sich eine Vielzahl unterschiedlicher Akteurebeteiligen, ist die Komplexität ungleich höher als in den meisten Theorien der inter-nationalen Beziehungen gewünscht und bearbeitbar.5 Da die Organisationstheorietraditionell offener für gesellschaftliche Komplexität ist, finden sich für die IB-For-schung hier möglicherweise Anknüpfungspunkte für einen konstruktiven Umgangmit einer solchen Komplexität. Dies gilt nicht zuletzt für die global governance-For-schung, die sich explizit bemüht, die Vielfalt der Akteure, Handlungsebenen undSteuerungsmechanismen in ihrer Theoriebildung zu berücksichtigen.

Zweitens erscheint der Ansatz, einzelne Organisationselemente voneinander zutrennen und somit unabhängig zu untersuchen, als interessanter Anknüpfungspunktfür Forschungsarbeiten im Bereich der IB. Ein differenzierter Organisationsbegriffkann diese Elemente klarer herausarbeiten, wie es das Beispiel der Unterscheidungin Standardisierungsprozesse und Meta-Organisationen zeigt. Darüber hinaus kanndie Organisationstheorie mit ihrer Analyse unterschiedlicher Durchsetzungsmecha-nismen, welche rechtlich unverbindlichen Standards zum Erfolg verhelfen, aucheinen Erklärungsansatz für den Erfolg von Regelsetzungsprozessen jenseits derGrenzen formaler Organisationen liefern (vgl. Kerwer 2005).

Drittens schließlich bietet die Organisationsforschung eine Alternative zumgovernance-Ansatz in den Internationalen Beziehungen, der sich einer reinen Pro-blemlösungsperspektive verschrieben hat. Indem sie nach den Voraussetzungenintentionaler Ordnung fragt, erlaubt die Organisationsforschung dabei auch kriti-schere Perspektiven, die in der governance-Perspektive gegenwärtig häufig ausge-blendet sind. Fragen, warum diese und nicht jene Organisationsform gewählt wirdund wessen Interessen sich in welcher Ordnung widerspiegeln, können dabei wiederstärker ins Zentrum der Forschung rücken – ähnlich wie dies für die Frage nach denPathologien bürokratischer und anderer Organisationsformen in den vergangenenJahren bereits geschehen ist (Barnett/Finnemore 1999, 2004).

Was schließlich kann die Organisationstheorie im Gegenzug von den Internationa-len Beziehungen lernen? Ein offensichtlicher Mehrwert besteht in der Tatsache, dassdie Organisationstheorie in der Ausweitung ihres Gegenstandsbereiches auf grenz-überschreitende politische Organisationsprozesse in den Internationalen Beziehun-gen eine Disziplin vorfindet, welche sich seit ihrem Bestehen mit Fragen der interna-tionalen Ordnung befasst hat. Darüber hinaus kann die Politikwissenschaft ausunserer Sicht einen Beitrag leisten, die vergleichsweise geringe normative Selbstre-flexion innerhalb der Organisationsforschung zu thematisieren. So fällt auf, dass dieorganisationstheoretischen Beiträge selbst dort, wo es um wertbehaftete Begriffe wieLegitimität oder Verantwortlichkeit geht, zumeist ein empirisches Begriffsverständ-nis zugrunde legen und beispielsweise nach den Bedingungen gesellschaftlicher

5 Auf empirischer Ebene kann ein Teil der Komplexitätsreduktion mithilfe von Überle-gungen erklärt werden, die auf die Organisationsleistung von »Boundary Spanners« alsIntermediäre in Internationalisierungsprozessen hinweisen (vgl. Ansell/Weber 1999).Wir danken Sebastian Botzem für diesen Hinweis.

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Anerkennung von Organisation(en) fragen. Dass die Frage nach der Anerkennungs-würdigkeit nur in sehr begrenztem Maß gestellt wird, ergibt sich dabei zumindestteilweise aus der Herkunft der Organisationstheorie aus der Soziologie. Andererseitsscheinen in nahezu allen Konferenzbeiträgen unterschiedliche normative Leitbilderzumindest implizit durch, sodass letztlich vor allem die explizite Diskussion um Gel-tungsanspruch und Gültigkeit vorhandener Leitbilder ausbleibt. Dem vorgeblich reinempirischen Anspruch der Organisationsforschung, lediglich verstehen zu wollen,unter welchen Bedingungen Organisation entsteht und welche OrdnungsleistungOrganisationen auf welche Weise erbringen, könnte das explizit normative Selbst-verständnis der Politikwissenschaft als »Demokratiewissenschaft« bzw. den Interna-tionalen Beziehungen als »Friedenswissenschaft« an dieser Stelle eine überzeugendeAlternative entgegensetzen. So birgt möglicherweise gerade der Dialog zwischeneiner kritischen, aber weitgehend nicht-normativen Organisationstheorie und einerhäufig affirmativen, aber bewusst normativen Leitideen verpflichteten global gover-nance-Forschung Potenzial für beiderseitiges Lernen.

In der Summe bot die Stockholmer Konferenz ein fruchtbares konzeptionellesDach für einen solchen interdisziplinären Austausch. Gleichzeitig machte dieTagung jedoch deutlich, dass ein gemeinsames Forum für eine inter- und transnatio-nale Organisationsforschung weiterhin fehlt. Vor dem Hintergrund sich überschnei-dender Forschungsprogramme und erkennbarer Lernpotenziale sowohl seitens derInternationalen Beziehungen als auch der Organisationstheorien bleibt daher zu hof-fen, dass die Konferenz auf der einen oder der anderen Seite Nachahmer findet.

Tagungspapiere

Ahrne, Göran/Brunsson, Nils (Stockholm Universitet/Stockholm Centre for OrganizationalResearch): Organizing the World.

Artsberg, Kristina (Jönköping International Business School): Applying Global Standards in aLocal Context.

Bauer, Steffen/Busch, Per-Olof/Siebenhüner, Bernd (Freie Universität Berlin/Freie UniversitätBerlin/Universität Oldenburg): Bureaucratic Organizations in International Governance:Administering »Our Common Future«?

Beisheim, Marianne/Dingwerth, Klaus (Freie Universität Berlin/Universität Bremen): Are theGood Ones Doing Better? Procedural Legitimacy as a Success Factor of Private Gover-nance.

Botzem, Sebastian (Wissenschaftszentrum Berlin): How to Link up Different Worlds? Trans-forming German Accounting Rules and Rule-Setting Procedures According to Interna-tional Standardization.

Campe, Sabine (Freie Universität Berlin): A Tanker for the Tankers? The International Mari-time Organization’s Efforts to Set Standards for Marine Pollution Prevention.

Djelic, Marie-Laure/Sahlin-Andersson, Kerstin (ESSEC Business School, Paris/Uppsala Uni-versitet): Institutional Dynamics in a Re-Ordering World: Transnational Governance inthe Making.

Foley, Martin/Clegg, Steward/Castles, John (University of Technology, Sydney/University ofTechnology, Sydney/Standards Australia): Quality Managements, Standards and Institu-tionalization.

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Groenleer, Martijn (Leiden University): Beyond the Formal Scope of Autonomy: The Institu-tional Development of European Union Agencies.

Gulbrandsen, Lars H. (Fridtjof Nansen Institute, Oslo): Non-State Governance for CorporateResponsibility and Accountability: Comparing Fishery and Forestry Eco-Labeling.

Higgins, Winton (University of Technology, Sydney): Standardisation, Globalisation and theRationalities of Government.

Jakobs, Kai/Wallbaum, Michael (RWTH Aachen): Scores of Rule-Setters: Co-Operation andCompetition in ICT Standards Setting.

Kerwer, Dieter (Technische Universität München): Holding Accountants Accountable: ThePolitics of Setting and Enforcing Financial Reporting Standards.

Koch, Martin (Universität Bielefeld): WTO – Opening the Black Box. Loft, Anne/Humphreys, Christopher (Lund Universitet/Manchester Business School):

IFAC.ORG – Organising the World of Auditing with the Help of a Website: The Interna-tional Federation of Accountants as a Global Standard Setter.

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Klaus Dingwerth/Sabine Campe: Organizing the World

131ZIB 1/2006

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Tamm Hallström, Kristina 2004: Organizing International Standardization: ISO and the IASCin Quest of Authority, Cheltenham.

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133Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 133-135

Neuerscheinungen

Die Redaktion der Zeitschrift für Internationale Beziehungen bittet vor Erscheineneines jeden Heftes die Mitglieder des Review-Panels der ZIB, einige wenige, ausihrer Sicht besonders wichtige und interessante Neuerscheinungen aus ihren jeweili-gen Fachgebieten zu empfehlen. Aus diesen Literaturempfehlungen ergibt sich fol-gende Liste.

1. Theorien der Internationalen Beziehungen / Allgemeine Publikationen

Diez, Thomas: Constructing the Self and Changing Others: Reconsidering »Normative PowerEurope«, in: Millennium: Journal of International Studies 33 (2005): 3, 613-636.

Grant, Ruth W./Keohane, Robert O.: Accountability and Abuses of Power in World Politics,in: American Political Science Review 99 (2005): 2, 29-43.

Griffiths, Martin (Hrsg.): Encyclopedia of International Relations and Global Politics, Lon-don: Routledge 2005.

Katzenstein, Peter: A World of Regions: Asia and Europe in the American Imperium, Ithaca,NY: Cornell University Press 2005.

Lipschutz, Ronnie D./Rowe, James K.: Globalization, Governmentality and Global Politics:Regulation for the Rest of Us?, London: Routledge 2005.

Münkler, Herfried: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Ver-einigten Staaten, Berlin: Rowohlt 2005.

Tully, James: Recognition and Dialogue: The Emergence of a New Field, in: Critical Reviewof International Social and Political Philosophy 7 (2004): 3, 84-106.

Ulbert, Cornelia/Weller, Christoph (Hrsg.): Konstruktivistische Analysen der internationalenPolitik, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften 2005.

2. Außenpolitikanalyse / Deutsche Außenpolitik

Dyson, Tom: German Military Reform 1998-2004: Leadership and the Triumph of DomesticConstraint over International Opportunity, in: European Security 14 (2005): 3, 361-386.

Hellmann, Gunther (unter Mitarbeit von Rainer Baumann und Wolfgang Wagner): DeutscheAußenpolitik. Eine Einführung, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, 2006.

Rinke, Bernhard: Die beiden großen deutschen Volksparteien und das »Friedensprojekt Eu-ropa«: Weltmacht, Zivilmacht, Friedensmacht?, Baden-Baden: Nomos 2006.

Schwabe, Klaus: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zurGegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005.

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Neuerscheinungen

134

3. Internationale Institutionen

Dicke, Klaus/Fröhlich, Manuel (Hrsg.): Wege multilateraler Diplomatie. Politik, Handlungs-möglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UN-System, Baden-Baden: Nomos2005.

Pattberg, Philipp: The Institutionalization of Private Governance: How Business and Nonpro-fit Organizations Agree on Transnational Rules, in: Governance: An International Jour-nal of Policy, Administration, and Institutions 18 (2005): 4, 589-610.

4. Europäische Integration

Bartolini, Stefano: Restructuring Europe: Centre Formation, System Building, and PoliticalStructuring between the Nation State and the European Union, Oxford: Oxford Univer-sity Press 2005.

Cini, Michelle/Bourne, Angela K. (Hrsg.): Palgrave Advances in European Union Studies,Basingstoke: Palgrave Macmillan 2005.

Grabbe, Heather: The EU’s Transformative Power: Europeanization through Conditionalityin Central and Eastern Europe, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2005.

Kaiser, Wolfram/Starie, Peter (Hrsg.): Transnational European Union: Towards a CommonPolitical Space, London: Routledge 2005.

Kostakopoulou, Dora: Ideas, Norms and European Citizenship: Explaining InstitutionalChange, in: Modern Law Review 68 (2005): 2, 233-267.

Meunier, Sophie: Trading Voices: The European Union in International Commercial Negotia-tions, Princeton: Princeton University Press 2005.

Pace, Michelle: The Politics of Regional Identity: Meddling with the Mediterranean, London:Routledge 2005.

Richardson, Jeremy (Hrsg.): European Union: Power and Policy-Making, 3. Auflage, London:Routledge 2005.

5. Sicherheit und Frieden

Arreguin-Toft, Ivan: How the Weak Win Wars: A Theory of Asymmetric Conflict, Cam-bridge: Cambridge University Press 2005.

Battistella, Dario: Retour de l’état de guerre, Paris: Armand Colin 2006.Biddle, Stephen: Military Power: Explaining Victory and Defeat in Modern Battle, Princeton,

NJ: Princeton University Press 2004. Boehmer, Charles/Gartzke, Erik/Nordstrom, Timothy : Do Intergovernmental Organizations

Promote Peace?, in: World Politics 57 (2004): 1, 1-38.Hubel, Helmut: Weltpolitische Konflikte. Eine Einführung, Baden-Baden: Nomos, 2005.Jahn, Egbert/Fischer, Sabine/Sahm, Astrid (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens, Band 2: Die

Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generationen, Wies-baden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften 2005.

Mansfield, Edward D./Snyder, Jack: Electing to Fight: Why Emerging Democracies Go toWar, Cambridge, MA: MIT Press 2005.

Schmitt, Carl: Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalenPolitik 1924-1978, hrsg. von Günter Maschke, Berlin: Duncker & Humblot 2005.

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Neuerscheinungen

135ZIB 1/2006

Tucker, Jonathan B.: War of Nerves: Chemical Warfare from World War I to Al-Qaeda, NewYork, NY: Pantheon Books 2006.

Wheelis, Mark/Dando, Malcolm/Rózsa, Lajos (Hrsg.): Deadly Cultures: Biological Weaponssince 1945, Cambridge, MA: Harvard University Press 2006.

6. Internationale Politische Ökonomie

Enders, Walter/Sandler, Todd: The Political Economy of Terrorism, Cambridge: CambridgeUniversity Press 2005.

Gritsch, Maria: The Nation-State and Economic Globalization: Soft Geo-Politics and Increa-sed State Autonomy?, in: Review of International Political Economy 12 (2005): 1, 1-25.

Herrera, Yoshiko: Imagined Economies: The Sources of Russian Regionalism, Cambridge:Cambridge University Press 2005.

Lacher, Hannes: International Transformation and the Persistence of Territoriality: Toward aNew Political Geography of Capitalism, in: Review of International Political Economy12 (2005): 1, 26-52.

Vogel, David: The Market for Virtue: The Potential and Limits of Corporate Social Responsi-bility, Washington; DC: Brookings Institution Press 2005.

7. Nord-Süd-Beziehungen / Entwicklungspolitik

Acemoglu, Daron/Robinson, James A.: Economic Origins of Dictatorship and Democracy,Cambridge: Cambridge University Press 2005.

Badura, Jens/Rieth, Lothar/Scholtes, Fabian (Hrsg.): »Globalisierung«. Problemsphären einesSchlagwortes im interdisziplinären Dialog, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissen-schaften 2005.

Engel, Ulf/Jakobeit, Cord/Mehler, Andreas/Schubert, Gunter (Hrsg.): Navigieren in der Welt-gesellschaft. Festschrift für Rainer Tetzlaff, Münster: LIT Verlag 2005.

Haynes, Jeff: Comparative Politics in a Globalizing World, Cambridge: Polity Press 2005.Lange, Matthew/Rueschemeyer, Dietrich: States and Development: Historical Antecedents of

Stagnation and Advance, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2005.Willis, Katie: Theories and Practices of Development, London: Routledge 2005.

8. Internationales Problemfeld: Umwelt

Betsill, Michele M./Hochstetler, Kathryn/Stevis, Dimitris (Hrsg.): Palgrave Advances in Inter-national Environmental Politics, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2005.

Busch, Per-Olof/Jörgens, Helge: The International Sources of Policy Convergence: Explai-ning the Spread of Environmental Policy Innovations, in: Journal of European PublicPolicy 12 (2005): 5, 860-884.

9. Internationales Problemfeld: Menschenrechte

Neumayer, Eric: Do International Human Rights Treaties Improve Respect for HumanRights?, in: Journal of Conflict Resolution 49 (2005): 6, 925-953.

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137Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 137-138

Mitteilungen der Sektion

1. Offene Sektionstagung im Oktober 2005

Am 6. und 7. Oktober 2005 fand an der Universität Mannheim mit Unterstützung desMannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) die erste Offene Sek-tionstagung statt. In 36 Panels wurden vor ca. 230 Teilnehmerinnen und Teilnehmern119 Papiere präsentiert. Davon können 76 nach wie vor unter http://www.mzes.uni-mannheim.de/konf/dvpw2005/fs_programm.html heruntergeladen werden.

2. DVPW-Kongress

Im Rahmen des Kongresses organisiert die Sektion die folgenden zwei Panels:– Globalisierung und Reform (gemeinsam mit der Sektion Politik und Ökonomie),

26. September 2006, 14-17 Uhr;– Reform der Außenpolitik, 27. September 2006, 14-16 Uhr.

Die Mitgliederversammlung findet am 27. September 2006 von 16:30 bis 17:30 Uhrstatt. Die vorläufige Tagesordnung besteht in folgenden drei Punkten: 1. Bericht desSprechergremiums; 2. Neuwahl des Sprechergremiums; 3. Sonstiges.

3. Wahlaufruf

Beim DVPW-Kongress im September 2006 in Münster müssen die drei Sprecherin-nen und Sprecher der Sektion Internationale Beziehungen neu gewählt werden. Kei-ner der jetzigen Sprecher wird wieder kandidieren. Wir würden es sehr begrüßen,wenn sich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen zu einer Kandidatur bereit erklärenwürden. Interessenbekundungen und Kandidatenvorschläge können per E-Mail anjedes der derzeitigen Vorstandsmitglieder geschickt werden.

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Mitteilungen der Sektion

138

Für Rückfragen stehen die Sprecher der Sektion unter folgenden Adressen zur Ver-fügung:

Prof. Dr. Gunther HellmannJohann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.Institut für Vergleichende Politikwissenschaft und internationale BeziehungenRobert-Mayer-Straße 5, Fach 10260054 Frankfurt a. M.Tel.: 069/798-25191 oder -22667E-Mail: [email protected]://www.soz.uni-frankfurt.de/hellmann/start.htm

Prof. Dr. Frank SchimmelfennigETH Zentrum SEICenter for Comparative and International StudiesSeilergraben 49 (SEI G 12)CH-8092 ZürichTel.: 00 41 44/63 280 62E-Mail: [email protected]://www.cis.ethz.ch/

PD Dr. Peter Rudolf (Geschäftsführung 1.10.2005 – 30.9.2006)Stiftung Wissenschaft und PolitikLudwigkirchplatz 3-410719 BerlinTel.: 0 30/8 80 07-2 42E-Mail: [email protected]://www.swp-berlin.org/

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139Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 139-140

Abstracts

Thomas Bernauer/Thomas SattlerAre WTO Disputes over Environment, Health and Safety Regulation More Prone to Escalation than other WTO Disputes?ZIB, Vol. 13, No. 1, pp. 5-37

This article analyzes the claim that trade disputes over inter-jurisdictional differences inenvironment, health and safety (EHS) regulation are more prone to escalation than dis-putes over other issues. The argument holds that, relative to non-EHS disputes, gradualconcessions among plaintiff and defendant as well as side-payments to domestic con-stituencies in the defendant country are more difficult. We test this hypothesis with dataon 506 dyadic WTO trade disputes in 1995-2003 using selection models. The resultsshow that, contrary to our hypothesis and widely shared assumptions in the qualitativeliterature, EHS disputes are less prone to escalation than other WTO disputes from theconsultation to the panel/appellate body level. However, we also find that EHS disputesare more prone to escalation into compliance disputes once they have reached thepanel/appellate body level. Based on new data, an improved methodology and anupgraded theoretical argument we thus demonstrate the need for a theoretical modelthat accounts for variation in the likelihood of escalation across the three levels.

Helmut BreitmeierThe Output-Oriented Legitimacy of International RegimesEmpirical Findings from the Quantitative Study of International Environmental RegimesZIB, Vol. 13, No. 1, pp. 39-74

The article focuses on the output-oriented legitimacy of global governance and devel-ops specific performance expectations which are addressed to international institu-tions. The willingness to obey the politics of international regimes depends on whetherthese institutions can improve consensual knowledge, promote compliance with normsand rules, contribute to problem-solving, and produce an adequate distribution of costsand benefits. The contribution of regimes to the fulfillment of these requirements ismeasured with data from the international regimes database. This database includesdata on 23 international environmental regimes. The international regimes databaserepresents a tool which can be used for testing hypotheses about the creation and con-sequences of international regimes. The historical-comparative investigation of theeffects which have occurred in the 23 issue areas and causal analysis of the impact ofregime factors illustrate that international institutions can actually make an indepen-dent contribution to the effective management of complex issues in world politics.

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Abstracts

140

Philip Manow/Armin Schäfer/Hendrik ZornEuropean Social Policy and Europe’s Party Political »Center of Gravity« between 1957 and 2003ZIB, Vol. 13, No. 1, pp. 75-107

In international negotiations governments defend national interests. What impactdoes a government’s ideological position have on its negotiation position? Are inter-national agreements more likely if negotiations are conducted by governments ofsimilar ideological orientation? In this paper we argue that the analysis of a govern-ment’s ideological composition ought to receive more attention in InternationalRelations. We look at the party-political »center of gravity« of the Council of theEuropean Union and report the partisan composition of all EU-member statesbetween 1957 and 2003. Furthermore, we examine how sympathetic left- and right-wing parties were towards integration and how homo- or heterogeneous the memberstates – and therefore the intergovernmental EU bodies – were during this timeperiod. For this we use data from both expert surveys and the Comparative Mani-festo Project. A detailed case study of the evolution of EU social policy since theTreaty of Rome complements and emphasizes our quantitative analysis.

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141Zeitschrift für Internationale Beziehungen13. Jg. (2006) Heft 1, S. 141-144

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Thomas Bernauer Dr., Professor für Internationale Beziehungen am Center for Comparative and International Studies (CIS), Eidge-nössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, Seiler-graben 49, CH-8092 Zürich,E-Mail: [email protected]

Helmut Breitmeier Dr., Privatdozent und wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Univer-sität Darmstadt, Residenzschloss, 64283 Darmstadt,E-Mail: [email protected]

Sabine Campe Dipl. Pol., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderfor-schungsbereich 700 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« an der Freien Universität Berlin, Binger Straße 40, 14197 Berlin,E-Mail: [email protected]

Klaus Dingwerth Dr., wissenschaftlicher Assistent am Institut für Interkul-turelle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen, Postfach 330440, Linzer Str. 4, 28334 Bremen,E-Mail: [email protected]

Annette Jünemann Dr., Professorin für Internationale Beziehungen an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, Holstenhofweg 85, 22043 Hamburg,E-Mail: [email protected]

Michèle Knodt Dr., Professorin für Politikwissenschaft am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darm-stadt, Residenzschloss, 64283 Darmstadt,E-Mail: [email protected]

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Autoren

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Philip Manow Dr., Leiter der Forschungsgruppe »Politik und politische Ökonomie« am Max-Planck-Institut für Gesellschafts-forschung, Paulstr. 3, 50676 Köln,E-Mail: [email protected]

Thomas Sattler Diplom-Verwaltungswissenschaftler, M. A., Doktorand am Center for Comparative and International Studies (CIS), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, Weinbergstr. 11, CH-8092 Zürich,E-Mail: [email protected]

Armin Schäfer Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Insti-tut für Gesellschaftsforschung, Paulstr. 3, 50676 Köln,E-Mail: [email protected]

Hendrik Zorn Diplom-Volkswirt, M. A., Nettelbeckstr. 22, 65195 Wies-baden,E-Mail: [email protected]