Ist interaktives Fernsehen wirklich interaktiv?

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1 WS 2001/02; SS 2002 Seminar: „Einführung in den Medienstudiengang“, Dozenten: Raimund Klauser, Helmut Hauptmeier Ist interaktives Fernsehen wirklich interaktiv? „Interaktiv“ – Inbegriff für eine ganz neue Fernsehwelt oder Zauberwort der Werbung? Werden Rezipienten zu aktiven Mitgestaltern des Fernsehprogramms? Über den Wandel von Definitionen, Angeboten und Möglichkeiten interaktiven Fernsehens in Deutschland Maik Wiesegart, Universität Siegen Studiengang: Medien-Planung, -Entwicklung und –Beratung

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„Interaktiv“ – Inbegriff für eine ganz neue Fernsehwelt oder Zauberwort der Werbung? Werden Rezipienten zu aktiven Mitgestaltern des Fernsehprogramms? Über den Wandel von Definitionen, Angeboten und Möglichkeiten interaktiven Fernsehens in Deutschland

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WS 2001/02; SS 2002 Seminar: „Einführung in den Medienstudiengang“, Dozenten: Raimund Klauser, Helmut Hauptmeier

Ist interaktives Fernsehen wirklich interaktiv?

„Interaktiv“ – Inbegriff für eine ganz neue Fernsehwelt oder Zauberwort der Werbung? Werden Rezipienten zu aktiven Mitgestaltern des Fernsehprogramms?

Über den Wandel von Definitionen, Angeboten und Möglichkeiten interaktiven

Fernsehens in Deutschland

Maik Wiesegart, Universität Siegen

Studiengang: Medien-Planung, -Entwicklung und –Beratung

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung

1.1. Problemstellungen 1.2. Interaktiv – Möglichkeit für den Zuschauer Programminhalte mitzubestimmen?

2. Begriffsdefinitionen

2.1. „Interaktion“ 2.2. Zwischen wem oder was findet eine „Aktion“ statt? 2.3. „Interaktivität“ 2.4. Fazit 2.5. Die verschiedenen Stufen von Interaktion im Fernsehen – „Interaktionslevel“

3. Interaktive Angebote im Fernsehen

3.1. Ausgewählte (interaktive) Sendungen im deutschen Fernsehprogramm 3.1.1. „Der goldene Schuss“ , „Wünsch Dir was“ 3.1.2. Die Teledialogeinrichtung (TED) 3.1.3. Videotext (Fernsehtext, Teletext) 3.1.4. Spielshows (Gameshows) 3.1.5. „Piazza virtuale – Van Gogh TV“ 3.1.6. „VIVA-interaktiv“ 3.1.7. Der Fernsehsender “9live” 3.1.8. Fernsehkrimi „Mörderische Entscheidung - Umschalten erwünscht“ 3.1.9. Die interaktiven Folgen des „Tatort“

3.2. Fazit 3.3. Zukünftige Entwicklungen

3.3.1. EPG – Electronic Program Guide 3.3.2. Homeshopping - Teleshopping 3.3.3. Near-Video-on-Demand (NVOD) - Video-on-Demand (VOD) 3.3.4. Weitere Entwicklungen

4. Fazit 5. Literaturverzeichnis

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1. Einleitung „Interaktiv“ ist in den Medien, gerade in den so genannten „Neuen Medien“, seit Beginn der neunziger Jahre zum Modewort avanciert und auf Seiten der „Medienmacher“ zum Inbegriff für zukunftsweisende Angebote geworden. Technische Errungenschaften im Bereich der Übertragungs- und Datenkompressionstechnik – hier sei unter anderem das Kabelfernsehen (wie auch das „Digitale Fernsehen“) genannt - versprechen Rezipienten zu aktiven Teilnehmern an Programminhalten zu werden. Doch durch eine weitreichende umgangssprachliche Benutzung verlieren Termini wie „Interaktivität“, „Interaktion“ und auch „Interaktives Fernsehen“ ihre eigentliche wissenschaftliche Bedeutung, was zur Folge hat, dass eine hinreichende Erklärung bzw. Definition von interaktivem Fernsehen nur schwer möglich ist. Durch technische Neuerungen, wie Online-Dienste jeglicher Art, sowie multimediale Erfindungen wurden diese Begriffe nicht nur einem breitem Publikum zugänglich und nicht zuletzt auch ein „Werbeargument der Unterhaltungsindustrie“, sondern beispielsweise auch Showmaster Lou van Burg - mit seiner Sendung „Der goldene Schuss“ – zum „Pionier des interaktiven Fernsehens“ erklärt. Auch Äußerungen, wie zum Beispiel von Ex-RTL-Chef Helmut Thoma, dass „bereits eine Fernbedienung interaktiv sei“, erschweren unter anderem eine streng wissenschaftliche Betrachtung dieses Themas. Daher weise ich auch hier ausdrücklich darauf hin, dass manche Äußerungen und Betrachtungen meiner Arbeit einer äußerst „euphorischen“ (und oft auch schnelllebigen) Entwicklung in diesem Themengebiet unterliegen. Dennoch werde ich hier versuchen so rational und wissenschaftlich wie möglich den Wandel von Definition und Verwendung des Begriffs „Interaktives Fernsehen“, sowie Angebote und Möglichkeiten desselben im deutschen Fernsehen zu untersuchen.

1.1. Problemstellungen

Betrachtet man das Medium Fernsehen in seiner klassischen Form, so muss festgehalten werden, dass es sich als ein Medium mit einem hohen Maß an Passivität für den Rezipienten auszeichnet. Aktiv kann der Zuschauer nur bei der Selektion des Angebotes werden, das in Umfang und Inhalt allerdings vorgegeben ist. Ausgehend von Pilotprojekten im Bereich Kabelfernsehen, die Anfang der neunziger Jahre auf dem amerikanischen Markt für Aufsehen sorgten, wurden auch in Deutschland Diskussionen um „interaktives Fernsehen immer verstärkter geführt. Allerdings war dies kein völlig neues Thema, „[…] denn bereits […] Ende der siebziger […] Jahre […] sorgten interaktive Fernsehentwicklungen1 in den USA […] für Gesprächsstoff“ (Garling (1997)). Die Visionen vom „Zwei-Wege-Fernsehen“ bestimmen seit dem die Entwicklungen im Fernsehbereich. Der so genannte „Rückkanal“ soll Zuschauern die Möglichkeit geben auf Programmangebote in jeglicher Form zu reagieren.

1 Allen voran ist hier das „Qube“ - Projekt zu nennen: „Es wurde von 1977 bis 1984 von Warner Amex Cable Communications durchgeführt und erreichte über 24.000 Haushalte. Auf Initiative der Betreiber wurde auch ein sog. »Teledemocracy«-Versuch durchgeführt. Warner hatte Interesse daran, das Potential der Technik für Meinungsumfragen und Abstimmungen zu testen. Deswegen wurde die Stadt Upper Arlington ermutigt, sog. »Electronic Town Meetings« durchzuführen, wo Politiker in moderierten Versammlungen dem Fernsehpublikum für Fragen zur Verfügung standen. Das Publikum konnte durch Drücken von Knöpfen seine Meinung zu vorgegebenen Alternativen kundtun. Nicht am Projekt beteiligte Wissenschaftler zogen allerdings eine eher kritische Bilanz, bemängelten die Gängelung durch den Veranstalter, den Showcharakter und das insgesamt doch eher geringe Interesse. Dennoch wurden diese Experimente beachtet und konnten die Hoffnungen in das demokratische Potential der neuen Technik nicht trüben.“ (Riehm (1995))

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Hier stellt sich Frage, inwiefern sich der Begriff „Interaktion“ bzw. „Interaktives Fernsehen“ für ein Medium gebrauchen lässt, das traditionell dem Rezipienten keine Möglichkeit einräumt zu interagieren? Untersucht und teilweise auch bewertet werden sollen hier vor allem Sendungen und Angebote, die sich mit der Beschreibung „Interaktiv“ auszeichnen, bzw. ausgezeichnet wurden. Ferner möchte ich einen Überblick über momentane Entwicklungen und zukünftige Angebote in diesem Bereich, sowie zusammenfassend (soweit dies möglich ist) eine Bewertung der Thematik geben. 1.2. Interaktiv – Möglichkeit für den Zuschauer Programminhalte mitzubestimmen? Gerade beim interaktiven Fernsehen stellt sich die Frage, welche Möglichkeit zur Mitbestimmung/Mitgestaltung des Programmangebotes der einzelne Zuschauer hat. Der entscheidende Aspekt dabei ist die Entwicklung des Fernsehens von einem Massenmedium hin zu einem Medium mit individuellem Charakter, welches den Eigenschaften des Internets sehr nahe kommt. Ruhrmann und Nieland (1997) führen dabei folgende These an, die meiner Meinung nach die Entwicklung von Fernsehen, I-TV und Internet am treffendsten beschreibt: „Die Entwicklung des interaktiven Fernsehens führt vom Broadcasting über ein Marktorientiertes Narrowcasting zum Personal casting, das Fernsehen entwickelt sich auf der Basis des PCs weiter.“

2. Begriffsdefinitionen Im Folgenden Abschnitt werde ich versuchen die Begriffe „Interaktion“, „Interaktivität“ und „Interaktives Fernsehen“ für meine Arbeit (ansatzweise) zu definieren. Auch der Frage zwischen wem diese Aktionen stattfinden, bzw. im Idealfall stattfinden sollten, werde ich versuche nachzugehen. Sinnvoll erscheint es hier eine Abgrenzung vorzunehmen, da, wie zu Anfang bereits beschrieben, durch die umgangssprachliche Benutzung dieser Termini in vielen Bereichen, aber auch durch große technische Fortschritte, wie z.B. das Internet, diese Begriffe sehr vielseitig und jeweils unter anderen Gesichtspunkten verwendet werden. Deshalb beziehen sich folgende Ausführungen immer auf den Untersuchungsgegenstand „Fernsehen“.

2.1. „Interaktion“ Eine genaue Definition von Interaktion würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten und aus diesem Grunde werde ich, wie bereits vorher erwähnt, nur ansatzweise die wichtigsten Aspekte darstellen. „Interaktion“ steht in der Soziologie „[…] für den Sachverhalt, daß [sic!] sich Individuen oder Gruppen durch ihr aufeinander bezogenes Handeln gegenseitig beeinflussen.“ (Reinhold (1991)). Weiterhin bezeichnet „Interaktion“ auch „[…] den Fall, daß [sic!] das Verhalten, die Aktion des einen ein Verhalten als Reaktion bei dem anderen provoziert.“ (Reinhold (1991). Mit „Interaktion“ werden also „[…] Prozess(e) wechselseitiger Orientierung von Menschen in bestimmten Situationen“ (Jäckel (1995)) beschrieben. Jäckel fügt seiner Erklärung an, dass die „ […] physische Präsenz der Interaktionspartner (ist) ein wichtiges Definitionselement [...]“ darstellt.

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Da es sich bei „Interaktionen“ im „Interaktiven Fernsehen“ nicht ausschließlich um zwischenmenschliche Kommunikation (face-to-face), sondern vielmehr um Kommunikation mittels des Mediums „Fernsehen“ (das bei interaktiven Anwendungen ohne einen Rückkanal zum „Sender“ nicht auskommt und daher mit dem Medium „Computer“ im Rahmen dieser Untersuchung - fast - gleichgestellt werden kann) sollte auch der technische Aspekt erwähnt werden. Hier liefert die GI -Gesellschaft für Informatik e.V.- eine brauchbare Erläuterung: „Die so genannte Interaktion zwischen Mensch und Computer beruht darauf, dass durch die Reaktionen des Systems auf Eingaben ein Eindruck von Kommunikation erzeugt werden kann“ (GI (1999)). Hier spricht man - im Gegensatz zur „face-to-face“ –Kommunikation - von einer „face-to-file“ – Kommunikation. 2.2. Zwischen wem oder was findet eine „Aktion“ statt? Die recht unterschiedlichen Definitionen aus der Soziologie und der Informatik liefern zwei Lösungsansätze, wie Interaktion im Fernsehen geschieht, bzw. geschehen kann. Auf der einen Seite steht eine zwischenmenschliche „Interaktion“, die beispielsweise so verläuft, dass Menschen mittels des Mediums Fernsehen kommunizieren bzw. interagieren (im Bezug auf das jeweilig gesendete Programm). Auf der anderen Seite könnte auch eine so genannte „Mensch-Maschine-Interaktion“ eine solche Leistung erbringen, wie die Definition der GI (s.o.) nahe legt. In diesem Fall würde der Zuschauer mit einer Maschine kommunizieren, die auf die jeweiligen „Eingaben“ (im Rahmen ihrer programmierten, bzw. technischen Möglichkeiten) reagiert.

2.3. „Interaktivität“ Der Interaktivitätsbegriff scheint nach Auffassung vieler wissenschaftlicher Arbeiten auf das Konzept und die Strukturen, sowie Prozesse der Interaktion zurückzugreifen. Nachfolgend soll eine Betrachtung dieses Begriffs ausschließlich aus kommunikationswissenschaftlicher Betrachtung erfolgen2. Dazu liefern Ruhrmann und Nieland in ihrem Buch „Interaktives Fernsehen“ eine sehr umfangreiche Beschreibung von Kriterien der Interaktivität: Die Akteure bei interaktiver Kommunikation können sich „vollständig wechselseitig wahrnehmen“ (verbal, wie nonverbal miteinander reagieren), wobei allerdings der jeweilige soziale Kontext das Verhalten der miteinander Kommunizierenden entscheidend beeinflusst. Zudem setzt interaktive Kommunikation die physische „Anwesenheit“ der miteinander kommunizierenden voraus, so dass alle „sensorischen Kanäle“ für die Kommunikation genutzt werden können. Kommunikator und Rezipient haben eine „vollständige wechselseitige Kenntnis“ voneinander (was bei massenmedialen Angeboten, wie dem Fernsehen von vorneherein ausgeschlossen ist 3 ). Weiteres Kriterium ist die „Gleichheit der Kontrolle“, wobei in der

2 Goertz stellt in seinem Beitrag „Wie interaktiv sind die Medien?“ verschiedene Einzelwissenschaften vor, die jeweils eine unterschiedliche Definition der unter „Interaktion“ verstandenen „Wechselbeziehungen“ liefern. So wird „ […] in der Medizin […](unter) Interaktion die Wechselwirkung zwischen zwei gleichzeitig verabreichten Arzneimitteln (verstanden), in den Ingenieurswissenschaften das Verhalten von zwei verschiedenen Materialen unter Belastung; in der Statistik […] den gemeinsamen Effekt mehrerer Variablen auf eine abhängige Variable und […] (in der) Linguistik […] die Einflüsse auf das Sprachverhalten bei zweisprachig aufwachsenden Kindern.“ (Goertz (1995)) 3„Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen.“ (Luhmann, Niklas (1996). „Die Realität der Massenmedien“. Opladen: Westdeutscher Verlag) Aus Kapitel 11: Die Konstruktion von Realität

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interaktiven Kommunikation die „Synchronisierung und Koordination der Beziehung“, sowie die Bewertung dieser durch den unmittelbaren Kontakt vollständig möglich ist. (vgl. Ruhrmann, Nieland (1997)) 2.4. Fazit Im Hinblick auf die letzten Abschnitte meiner Arbeit möchte ich an dieser Stelle ein Fazit ziehen und einmal darauf eingehen, wie interaktives Fernsehen definiert ist und welche besonderen Vorraussetzungen bestehen. Die Kriterien von Interaktivität, wie sie im vorhergehenden Absatz beschrieben werden, scheinen für interaktives Fernsehen nicht relevant zu sein. Das Kriterium der „vollständigen wechselseitigen Wahrnehmung“ beispielsweise, kann im Zusammenhang mit dem Medium Fernsehen nicht erfüllt werden. Die weiteren Aspekte, physische Anwesenheit der miteinander kommunizierenden, das Nutzen aller „sensorischen Kanäle“ für die Kommunikation, sowie eine „vollständige wechselseitige Kenntnis“ des Kommunikators und Rezipienten und in diesem Zusammenhang die „Gleichheit der Kontrolle“ beider, sind ebenfalls völlig ausgeschlossen bei massenmedialen Angeboten, wie dem Fernsehen. Doch was macht nun letztendlich interaktives Fernsehen interaktiv? Goertz (1995) nennt in seinem Artikel „Wie interaktiv sind die Medien?“ einige Aspekte die bei dieser Frage weiterhelfen. Beim operationalisieren des Begriffs (in diesem Fall für die Anwendung bei so genannten „Neuen Medien“) beschreibt er einen „mehrdimensionalen Interaktivitätsbegriff“, welchen er mit folgenden Fragen versucht zu formulieren: - Inwiefern „ […] ist eine Medienanwendung in der Lage, sich auf die individuellen

Bedürfnisse der Beteiligten (Kommunikator und Rezipient) „einzustellen“ “? - „Welche Medienanwendungen bieten dem Beteiligten den größten

Handlungsspielraum?“ Mit den Diesen „neuen“ Interaktivitätsbegriff versucht er durch folgende Aspekte (Faktoren) zu konstituieren: - „Grad der Selektionsmöglichkeiten“ (für den Rezipienten) - „Grad der Modifikationsmöglichkeiten“ - „Größe des Selektions- und Modifikationsangebotes“ (Quantitativ) - „Grad der Linearität/Nicht-Linearität“ Goertz legt dabei fest, dass je höher die Größe oder der Grad eines der genannten Aspekte, „ […] desto größer die Interaktivität.“ Bei dieser Ausführung wird klar, dass interaktives Fernsehen ohne die vorher beschriebenen Faktoren auskommt, die der Soziologie für die Definition zwischenmenschlicher Interaktionen zugrunde liegen. Im Bezug auf interaktives Fernsehen liegt die Gewichtung also auf anderen Aspekten und Faktoren, unter deren Berücksichtigung nun im folgenden Abschnitt eine Klassifizierung von interaktiven Angeboten vorgenommen werden soll. 2.5. Die verschiedenen Stufen von Interaktion im Fernsehen – „Interaktionslevel“ 4

Viele Fernsehsendungen und Angebote führen das Prädikat „interaktiv“, gemäß der zuvor beschriebenen Definitionen und Erklärungen, nicht unbedingt zu Recht in ihren

4 Basierend auf Ruhrmann/Nieland „Interaktives Fernsehen“ (1997)

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Beschreibungen, bzw. Titeln. Inwiefern der Zuschauer an der Gestaltung (Mitbestimmung) des Programms partizipieren kann, soll im nächsten Abschnitt bei der Untersuchung einiger ausgewählter Sendungen und Angebote festgestellt werden. Nachfolgend sollen die idealtypischen Unterscheidungen der sechs Stufen interaktiven Fernsehens in unterschiedlicher Fachliteratur aufgelistet werden. In Anlehnung an Ruhrmann/Nieland (1997) möchte ich hier die gebräuchlichsten Erklärungen darstellen.

Stufe 1: Traditionelles TV – Interaktion besteht aus Ein- und Ausschalten des Fernsehgerätes, sowie dem Wechseln zwischen Fernsehangeboten (dem so genannten „Zappen“). Diese Stufe des interaktiven Fernsehens beschreibt lediglich die Möglichkeiten des Ein – und Ausschaltens des Fernsehgerätes. Diese elementare Form der Interaktivität war die grundlegende und bis zum Anfang des dualen Fernsehsystems auch die einzige Möglichkeit der Interaktion. Zu Beginn der neunziger Jahre aufgrund der aufkommenden Programm – und Fernsehkanal-Vielfalt wurde auch das so genannte „Zappen“ – das Wechseln – zwischen den verschiedenen Angeboten eine weitere Möglichkeit selbst aktiv zu werden beim Fernsehen.

Stufe 2: Traditionelles TV – Weitere Form ist die Abstimmung mittels Rückkanal („offline“). Diese Form der Zuschauerbeteiligung findet man bereits seit den sechziger Jahren im deutschen Fernsehangebot. Hierbei werden die Zuschauer in die Lage versetzt, mittels eines Rückkanals auf bestimmte Fragestellungen (etc.) zu reagieren. Eine der urigsten Formen dieser Interaktion war die Abstimmung in der Musiksendung „Wünsch Dir was“, in der die Zuschauer mittels Toilettenspülung oder Lichteinschaltens an der Abstimmung über den Sieger der Sendung teilnehmen konnten5. Seit Ende der siebziger Jahre (bis heute) werden Abstimmungen im Fernsehen per Teledialog (TED) durchgeführt. Weitere Form des Rückkanals ist das Telefon in so genannten Call-in-Shows. Hier kann der Zuschauer live mit dem Moderator oder Gästen der jeweiligen Sendung sprechen (zum Beispiel Fragen stellen). Bekannte Beispiele für diese Art der Interaktion werden im nächsten Kapitel beschrieben.

Stufe 3: Paralleles TV (analog) – vergleichbar mit „Near Video on Demand6“ Grundlage dieser Stufe der Interaktion ist die synchrone Ausstrahlung von gleichen Programmen/Sendungen auf mehreren Kanälen. Der Zuschauer hat die Möglichkeit zu bestimmen, aus welcher Perspektive er beispielsweise ein Autorennen verfolgen möchte.7 Ebenso kann ein und derselbe Film beispielsweise in mehreren Sprachen verfolgt werden. Stufe 4: Additives TV (analog/digital)

5 In der von Dietmar Schönherr und seiner Frau Vivi Bach moderierten Sendung „Wünsch Dir was“ im ZDF konnten die Zuschauer in bestimmten Städten mittels der Klospülung/ oder des Lichtschalters und des damit verbundenen, erhöhten Wasserverbrauchs/ bzw. Stromverbrauchs, der gemessen wurde, den Sieger der Sendung ermitteln. (vgl. Garling (1997)) 6 Beim so genannten „Near Video on Demand“- Verfahren starten Filme auf Fernsehsendern beispielsweise 30 oder 60minütig. „Near Video on Demand“ ist der Vorläufer von „Video on Demand“, welches in einem späteren Abschnitt näher untersucht wird. 7 Mit dem Werbeslogan „Verfolgen Sie die Formel 1 auch interaktiv!“ wirbt der Pay-TV-Anbieter Premiere für seinen Sportkanal, bei dem es möglich ist, per Tastendruck auf der Fernbedienung , die Perspektive zwischen Boxengasse, Rennstrecke usw. umzustellen.

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Bei diesem Interaktionslevel wird parallel zum Fernsehprogramm ein Videotext gesendet, der Zusatzinformationen, Lernangebote oder Inhalte ohne direkten Bezug zum Programm beinhaltet. Interessant ist diese Form vor allem für Nachrichtensender und Anbieter von Programmzeitschriften. Hier sei als Beispiel die Kooperation von Microsoft und NBC genannt, die neben einem Fernsehangebot Zusatzinfos via Internet und Teletext liefern. Stufe 5: Media on Demand (digital) Dieses Interaktionslevel beschreibt den Fernseher (sowie den Computer) als „Abrufstation“ von digital gespeicherten Medieninhalten. Ähnlich, wie bei dem so genannten „Download“ in der Internettechnologie, werden die Daten über Breitbandnetze oder Satellit von einer zentralen Servereinheit per Fernbedienung abgerufen und konsumiert. Bis auf einige Pilotprojekte gibt es aber kaum erfolgreiche Anwendungen. Probleme bereiten vor allem die Speicherung und Übertragung der zumeist großen Datenmengen. Stufe 6: Kommunikatives TV (digital) Diese Form der Interaktion im Fernsehen ist wohl die mit dem höchsten Grad an Interaktivität. Kommunikatives Fernsehen – man spricht hier auch von „Punkt-zu-Punkt-Fernsehen- mit einer unbegrenzten Anzahl an Kanälen, bei dem jeder Zuschauer auch aktiv sein eigenes Programm senden kann, lässt sich wiederum mit der Struktur des Internets vergleichen. Neuartige zeitliche und soziale Nutzungskontexte werden bei dieser Stufe ermöglicht. Der „Zuschauer“ (sofern man ihn noch so nennen kann) kann nicht nur Einfluss auf Spielfilme nehmen, sondern zudem auf Datenbanken zugreifen, Online-Dienste, wie zum Beispiel Online - Banking und – Shopping nutzen und mit anderen Benutzern kommunizieren. Fachleute sprechen bereits von einem „interaktiven, dezentralisierten Cyber-TV“. Zusammenfassend ist hinzuzufügen, dass bei dieser Einstufung von interaktiven TV-Inhalten auch eine Differenzierung zwischen anbieter- und benutzerorientierten Inhalten vorgenommen wird. Während die erste und zweite Stufe rein anbieterorientiert sind, nimmt die Benutzerorientierung bei den weiteren Stufen immer mehr zu, bis sie beim Kommunikativen TV den höchsten Stand erreicht. Dieses „Klassifikationsprinzip“ stützt sich im Wesentlichen auf die Eigenaktivität des Zuschauers. Nicht berücksichtigt werden bei dieser Zusammenstellung der Aspekt, ob nicht die „technische Komplexität der Wahlmöglichkeiten und die soziale Situation der Medienwahl weitere […] Dimensionen von Interaktivität darstellen.“ (Ruhrmann (1997)). Ebenfalls geht diese Darstellung nicht auf die, bei der traditionellen Rezeption von Fernsehen vorherrschende parasoziale Interaktion ein8.

3. Interaktive Angebote im Fernsehen 8 Der Begriff der parasozialen Interaktion stammt von den Soziologen Horton und Wohl, die 1956 in dem Essay ,,Mass communication and parasocial Interaction: Observations on Intimacy at a distance" versuchten, dieses Phänomen zu definieren und zu erklären. Nach Horton und Wohl ist parasoziale Interaktion ein interpersonales Geschehen zwischen abgebildeten Personen, also den Medienakteuren, und den Zuschauern, im Sinne eines gegenseitigen Aufeinander-Bezugnehmens. Horton, Donald/R. Richard Wohl (1956). Mass communication and para-social interaction: Observations on intimacy at a distance. In: Psychiatry, Jg. 19, S. 215-229.

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In diesem Abschnitt stelle ich einige Angebote aus dem deutschen Fernsehprogramm vor. Beginnend in den sechziger und siebziger Jahren sollen (chronologisch) ausgewählte Sendungen vorgestellt und anhand der vorher beschriebenen Levels (Kriterien) für Interaktives Fernsehen beurteilt werden. Im zweiten Teil dieses Abschnitts werde ich einen Überblick über zukünftige Entwicklungen im Bereich Interaktives Fernsehen geben, die ebenfalls auf genannte Punkte hin untersucht werden.

3.1. Ausgewählte (interaktive) Sendungen im deutschen Fernsehprogramm Die folgenden Fernsehangebote werden aufgrund ihrer Beschreibung mit der Eigenschaft „Interaktiv“ oder aufgrund ihrer heutigen Einstufung als interaktives Fernsehen untersucht.

3.1.1. „Der goldene Schuss“ , „Wünsch Dir was“ Von 1964 an sendete das ZDF die beim Publikum äußerst beliebte Sendung „Der goldene Schuss“, bei der Kandidaten und Zuschauer mit einer vor die Kamera montierten Armbrust den "Goldenen Schuss" abfeuern konnten. Die Fernseharmbrust war mittels einer ausgeklügelten und komplizierten Elektronik ferngesteuert. Die Kandidatin oder der Kandidat saß zuhause vor dem Fernseher und dirigierte per Telefon einen Zuschauer im Studio, der mit einer Art Joystick die Armbrust ins Ziel zu lenken versuchte. Ende der sechziger Jahre kam die Sendung „Wünsch Dir Was“ mit einem weiteren interaktiven Element in das deutsche Fernsehprogramm: Die Zuschauer konnten eine Bewertung der Showkandidaten vornehmen, in dem sie die Wasserspülung der Toilette betätigten oder technische Geräte einschalteten. „Auf Kommunikatorseite wurde dazu der zu einem vorgegebenen Zeitpunkt erhöhte Strom- bzw. Wasserverbrauch gemessen.“ (Garling (1997)) „Der goldene Schuss“, wie auch die Sendung „Wünsch Dir Was“, sind laut der Definition der Interaktionslevel im Fernsehen in die Stufe 2 einzuordnen. Die Zuschauer brauchen, um mit dem Moderator bzw. Kommunikator in „Interaktion“ zu treten einen Rückkanal, der hier per Telefon, Wasserspülung und Stromleitung funktioniert. Zieht man hier allerdings die Kriterien von Interaktivität in Betracht, muss festgehalten werden, dass beide Sendungen über relativ feste Strukturen verfügen, die dem Rezipienten keinerlei Freiraum in der Art der Aktion lassen. Lediglich die Steuerung eines elektronischen Gerätes und die Abstimmung über den Sieger einer Sendung stehen zur Auswahl. Diese Angebote mögen daher ferne Vorläufer interaktiver Fernsehangebote sein, erfüllen aber kaum ein Kriterium der beschriebenen Definitionen und Kriterien. 3.1.2. Die Teledialogeinrichtung (TED) Die Entwicklung der so genannten „Teledialogeinrichtung“ Ende der siebziger Jahre sorgte für eine große Verbesserung im Bereich der Auswertung von Zuschauermeinungen. Bei dieser Methode der Zuschauerbefragung, die vom ZDF gemeinsam mit der Deutschen Bundespost entwickelt wurde, geben die Zuschauer

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telefonisch ihre Stimme ab, die dann per Computer erfasst, gezählt und hochgerechnet wird. Die bekannteste Sendung, die auf diese Einrichtung bis heute zurückgreift, ist die erfolgreiche Spiel-Show "Wetten dass...?", die seit 1981 im ZDF läuft und regelmäßig Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich erzielt. Bei der Betrachtung dieses Angebotes stellt man fest, dass es lediglich eine Verbesserung vorhandener Abstimmungsmethoden darstellt und in die zweite Stufe der Interaktionslevel eingestuft werden muss.

3.1.3. Videotext (Fernsehtext, Teletext)9 Mit der Einführung des Videotextes nach einem Feldversuch von ARD und ZDF im Jahre 1980 entstand für den Zuschauer am Fernseher eine ganz neue Möglichkeit aktiv das Medium Fernsehen zu nutzen. Vorteile des Videotextes waren anfangs vor allem die Aktualität bei ständig wechselndem Ergebnisstand, wie zum Beispiel bei Sportereignissen, Wahlen usw. Durch die Möglichkeit Inhalte per Fernbedienung individuell auszuwählen und abzurufen kann dem Videotext ein höherer Interaktivitätsgrad (nach der Einstufung in Interaktionslevel: Stufe 4) zugesprochen werden als den vorher beschriebenen Angeboten, wobei hier ein Mensch-Maschine-Dialog als Interaktion im Vordergrund steht. Abgrenzen muss man diese Textbasierte Anwendung gegenüber einer Fernsehsendung, da der Videotext eher als Zusatzprogramm angesehen werden kann und in der Struktur des Informationsabrufes mit dem Internet vergleichbar ist. 3.1.4. Spielshows (Gameshows)

Seit 1994 wird vom Fernsehsender „Kabel 1“ die Gameshow „Hugo“ ausgestrahlt, in welcher eine Computergenerierte Figur vom Zuschauer mittels der Tastatur des Telefons durch „imaginäre Welten“ gelenkt wird. Ähnliche Angebote waren „Super“ und „Games World“ auf Sat.1 und im ZDF die Sendung „X-Base“, die ebenfalls das Telefon als Rückkanal zur Steuerung von „Spielen“ nutzten10. Bei der Bewertung auf Interaktivität soll hier ausschließlich auf die Sendung „Hugo“ eingegangen werden, da die anderen Sendungen gleiche Strukturen aufweisen. Bei „Hugo“ konnten die Zuschauer gleich zwei verschiedene Arten von Interaktionen eingehen. Zum einen der (kurze) Dialog mit der Moderatorin (dem Moderator) vor Beginn des eigentlichen Spiels, zum anderen per Telefontastatur, um die Spielfigur zu steuern. Die Einstufung dieses Angebotes erfolgt danach in zwei verschiedenen Levels. Der Dialog entspricht demnach den Eigenschaften des Interaktionslevel 2 und die Steuerung dem Level 1. Generell ist bei dieser Sendung zwar ein höherer Grad an Interaktivität gegeben, der allerdings nur durch eine sehr geringe Anzahl an Zuschauern (pro Sendung können ca. nur 8 Zuschauer teilnehmen) wirklich genutzt werden kann.

9 „Techniker der BBC entdeckten Anfang der 70er Jahre, dass man in freien Zeilen des 625-zeiligen Fernsehsignals - der Austastlücke - Texte und Grafiken unterbringen kann. Auf einer Editierstation geschriebene Texte und Grafikzeichen werden dabei verschlüsselt in den Sendezyklus eingegeben und können von Zuschauern über einen sogenannten [sic!] Textdecoder in Form von Einzel-Informationstafeln abgerufen werden.“ (Weber-Böttler (1999)) 10 Bis auf die Sendung „Hugo“ konnte sich keines der Angebote lange behaupten und wurde schnell wieder abgesetzt.

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3.1.5. „Piazza virtuale – Van Gogh TV“ Zwischen Dezember 1991 und Juni 1992 entstand das Projekt „Piazza virtuale– Van Gogh TV“ in den Räumen des Ponton European Media Art Lab in Hamburg und wurde während der „Dokumenta 9“ aus einem Container-Sendestudio in Kassel Europaweit auf dem Sender 3Sat ausgestrahlt11. Piazza virtuale war eine interaktive Fernsehsendung, in der ein vollautomatischer Sendeapparat von Zuschauern gesteuert und zur Unterhaltung miteinander genutzt werden konnte. Die Zuschauer konnten neben akustischen Mitteilungen per Telefon (Anrufe wurden von einem PC automatisch angenommen und die Stimme des Anrufers wurde direkt als Audio-Kanal in die laufende Sendung geschaltet), auch per Modem Text übertragen, der auf der Fernseh-Oberfläche Zeile für Zeile abgebildet wurde. Daneben war es möglich ein Fax zu senden, dessen Inhalt durch einen Rechner modifiziert wurde und anschließend ebenfalls auf Sendung geschaltet wurde. In der Nähe des Sendestudios waren zudem so genannte „Entry-Points“ aufgestellt, an denen per Videokamera und integriertem Mikrofon auch Bilder und Töne direkt in die laufende Sendung geschaltet werden konnten. Die Piazza virtuale präsentierte sich dem Zuschauer als computergesteuerte Fernsehoberfläche, auf der Schrift, Bild, Video, Computeranimation, Ton und Musik gleichzeitig erscheinen konnten und er selbst konnte jederzeit in das Geschehen eingreifen. (vgl. Lütjens (1996)) Eine Einstufung in die Klassifikationen der Interaktionslevel muss bei diesem Angebot erneut in zwei Stufen erfolgen. Auf der einen Seite stehen die Mensch-Maschine-Dialoge, welche per Telefon, Modem und Fax getätigt werden konnten. Diese Formen der Interaktion lassen sich in die zweite Stufe der Klassifikation der Interaktionslevel einordnen. Die Zuschauer haben (hatten) die Möglichkeit per Rückkanal (Telefon, Modem, Fax) Nachrichten in der laufenden Sendung auf die Bildschirmoberfläche zu bringen. Die Nutzung der so genannten „Entry-Points“ entspricht der Form des Kommunikativen Fernsehens und ist daher eine Interaktion der Stufe 6. Hierbei gilt allerdings zu beachten, dass die technischen Vorraussetzungen nicht am handelsüblichen Fernsehgerät (von zu Hause aus) gegeben waren. Die Zuschauer mussten die Technik in der Nähe der Sende-Container nutzen, um in dieser Form zu interagieren. Das Projekt Piazza virtuale ist bis hierhin das einzige (beschriebene) Projekt, das eine Mitgestaltung des Zuschauers bei Inhalten eines Fernsehangebotes erlaubt. „Den wenigen Kritikern, die kurz mal (her)reinschauten, kam das Programm so chaotisch vor, daß [sic!] sie es meist als „belangloses, unwichtiges Experiment“ abtaten.“ (Wetzel (1993)) Erstaunlich und bemerkenswert ist allerdings, dass regelmäßig die Telefonleitungen aufgrund der enormen Anrufzahlen der Zuschauer zusammenbrachen.

3.1.6. „VIVA-interaktiv“

Das Angebot des Kölner Privatsenders „VIVA“ besteht daraus, dass Zuschauer per Brief, Fax, Telefon, E-Mail Fragen an die Künstler und Moderatoren im

11 Die Übertragung auf dem Sender 3sat belief sich auf eineinhalb Stunden täglich. Im Berliner Kabelprogramm FAB wurde sie nachts ausgestrahlt. Im Februar 1993 gab es erneut eine 2tägige Ausstrahlung auf 3Sat, bevor Piazza virtuale als Teil der japanischen SIM-TV Sendung zum letzten Mal im August 1993 in Tokio auf Sendung ging.

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Studio stellen können. Diese Form der Interaktion ist in die zweite Stufe der Interaktionslevel einzuordnen. Trotz des verheißungsvollen Titels ist diese Form interaktiven Fernsehens nichts Neues.

3.1.7. Der Fernsehsender „9live“

Der Fernsehsender „9live“ wirbt auf seinen eigenen Internetseiten mit der Bezeichnung „Mitmachfernsehen“. Der Programmplan setzt sich aus mehreren Sendungen mit interaktiven Elementen zusammen, die aus „Call-in-Shows“ und Homeshopping-Angeboten besteht. Die so genannten „Call-in-Shows“ haben fast durchgängig in allen Shows die gleichen Strukturen. Per Anruf können Zuschauer an Quiz- und Geschicklichkeitsspielen teilnehmen und verschiedene Geldbeträge gewinnen. Eine weitere Variante ist hier (wie in der Sendung „Hugo“, s.o.) ein computergeneriertes Spiel, das vom Zuschauer per Stimme gesteuert werden muss. Sämtliche Angebote des Fernsehsenders „9live“ lassen sich in die zweite Stufe der Interaktionslevel einordnen. Die Interaktion geschieht per Rückkanal, in diesem Fall per Telefon. Auch hier ist die Bezeichnung „Mitmachfernsehen“ (im Bezug auf interaktives Fernsehen nicht sehr treffend gewählt. 3.1.8. Fernsehkrimi „Mörderische Entscheidung - Umschalten erwünscht“

Im Zweikanal-Krimi „Mörderische Entscheidung“, der 1991 von der ARD und dem ZDF gezeigt wurde, bot sich den Zuschauern (immer wieder) Gelegenheit, zwischen zwei parallel angebotenen Erzählungen hin und her zu schalten und, beispielsweise wenn sich Figuren in der Haupterzählung trennen, durch einen Kanalwechsel der einen oder anderen zu folgen. Diese (aufwendige) Produktion lässt sich, aufgrund der Ausstrahlung über zwei Kanäle in die dritte Stufe der Interaktionslevel einordnen. Der Zuschauer kann hier frei die Perspektive (oder Sichtweise) einer der Darsteller(innen) wählen. Er tritt per Fernbedienung in Interaktion mit einer Maschine (Mensch-Machine-Dialog), kann aber keine anderen Entscheidungen treffen, außer die ihm vorgegebenen. Deshalb ist der Grad der Interaktivität bei diesem Angebot nicht sehr hoch. Dem Zuschauer bleibt letztendlich nur die Wahl zwischen zwei verschiedenen Kanälen.

3.1.9. Die interaktiven Folgen des „Tatort“

Der SWR strahlte (über die ARD) am 21. Mai 2000 erstmals eine interaktive Folge des Fernsehkrimis „Tatort“ aus. Gemeinsam mit den Kommissaren „Odenthal“ und „Bienzle“ konnten die Zuschauer, vorausgesetzt sie verfügten über „[…] digitales Fernsehen mit einem "F.U.N.-Universaldecoder". Der Decoder blendet parallel zur Krimihandlung Fragen ein, die es per Fernbedienung zu beantworten gilt. Wer genau beobachtet, die richtigen Indizien sammelt und clever kombiniert, kommt dem Verbrecher auf die Spur. Ob die Antwort richtig oder falsch ist, wird auf dem Bildschirm individuell eingeblendet - der cleverste Zuschauer wird zum Schluss der

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Sendung gar persönlich per Bildschirmeinblendung informiert und zum Dreh der nächsten Folge eingeladen12.“ Dieses Angebot lässt sich in die vierte Stufe der Interaktionslevel einordnen: es wird ein Zusatzprogramm ausgestrahlt, mit welchem der Zuschauer selbst an der Handlung teilnehmen kann. Allerdings kann er nicht die Handlung beeinflussen und dadurch ist auch hier der Grad der Interaktivität sehr gering, im Bezug auf die Kriterien die Goertz (1995) erarbeitet hat. Zusätzlich konnten die Zuschauer dieses Angebot nur nutzen, wenn sie über digitales Fernsehen, sowie ein Zusatzgerät verfügten.

3.2. Fazit An dieser Stelle nun einige zusammenfassende Bemerkungen zu den bisher vorgestellten Sendungen. Die meisten der Sendungen weisen ein geringen Grad an Selektionsmöglichkeiten und Modifikationsmöglichkeiten auf, was nach Goertz (1995) einen geringen Grad an Interaktivität bedeutet. Lediglich das Angebot „Piazza virtuale“ kam der Vision nahe, dass der Zuschauer Einfluss auf das gesendete Programm nehmen kann, bzw. sein eigenes Programm senden kann. Auch im Bezug auf die Interaktionslevels, finden die meisten Programme eine Einstufung in die untersten Klassen. In hohem Grad interaktive Sendungen scheint es bisher im deutschen Fernsehen noch nicht gegeben zu haben. 3.3. Zukünftige Entwicklungen In diesem Abschnitt soll ein kurzer Überblick über zukünftige Angebote des interaktiven Fernsehens gegeben werden. Der Großteil der Angebote wurde bisher ausschließlich in Pilotprojekten zum digitalen Fernsehen getestet (bzw. angewandt).

3.3.1. EPG – Electronic Program Guide Der EPG (Abkürzung für Electronic Program Guide) ist eine elektronische Programmzeitschrift für das digitale Fernsehen13. Mit dem EPG wird es möglich je nach Interesse eine knappen Übersicht bis hin zu sehr ausführlichen Bericht (Inhaltsangaben, Darstellerlisten usw.) mit Bildern einen Überblick über die einzelnen Sendungen zu bekommen. Es ist möglich nach Sendern, Sendezeiten, Genres und Stichwörtern zu suchen, sortieren und auszuwählen. Über das Lesezeichen wird eine intelligente Vernetzung zwischen den diversen Programmen ermöglicht14. Diese Anwendung, die bereits auf dem digitalen Angebot der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten angeboten wird, ist eher dazu gedacht bei einer enormen Vielzahl von Programmen, wie sie mit digitalem Fernsehen zu empfangen sind, nicht den Überblick zu verlieren. Die Grundfunktion des EPG entspricht dem Prinzip einer Fernsehzeitung: man gibt ein bestimmtes Thema ein und bekommt Hinweise zu

12 Quelle: RADIO JOURNAL - www.radiojournal.de; am 26.09.2002 13 Es gibt auch Versuche einen Programmführer für das analoge Fernsehen bereitzustellen, der allerdings auf Basis des Internets läuft. (IPG – Internet Program Guide) 14 Weiterführende Informationen zur Lesezeichenfunktion des EPG findet man im Internetangebot der ARD zum digitalen Fernsehen: http://www.ard-digital.de/FAQ/epg.html

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Sendungen und deren Ausstrahlungstermin. Darüber hinaus lassen sich auch Zusatzgeräte, wie zum Beispiel ein Videorekorder, mit dem EPG programmieren. Da der EPG eher eine Zusatzfunktion des Fernsehens ist, ist eine Einordnung in einem Interaktionslevel eher schwierig. Der Grad der Interaktivität ist hier allerdings sehr gering, da der Zuschauer bislang nur Informationen über das Programm bekommen kann. 3.3.2. Homeshopping - Teleshopping Schon seit den Anfängen des Dualen Rundfunksystems in Deutschland wird Teleshopping „[…] in den Varianten Verkaufsshow, Infomercial und Direct-response Fernsehspot“ (Garling (1997)) angeboten. Die Struktur ist immer die gleiche, es werden Produkte vorgestellt, die unter einer eingeblendeten Telefonnummer bestellt werden können. Diese Variante ist allerdings eher nicht-interaktiv. Eine Weiterentwicklung ist das so genannte Homeshopping. Hier bewegt sich der Zuschauer in einem menügesteuerten Versandhauskatalog, wobei die Navigation per Fernbedienung läuft. (vgl. Garling (1997)) In punkto Interaktionslevel lässt sich dieses Angebot in die Stufe 1 einordnen. Der Rezipient „bedient“ das Angebot per Fernbedienung und schaltet nur zwischen einzelnen Angeboten um. Ein Kauf wird ebenfalls per Fernbedienung getätigt. Aufgrund der großen Selektionsmöglichkeiten, aber der geringen Modifikationsmöglichkeiten hat dieses Angebot auch keinen hohen Grad an Interaktivität.

3.3.3. Near-Video-on-Demand (NVOD) - Video-on-Demand (VOD) Da bisher die typische Übertragungsart von Fernsehprogrammen die analoge Übertragung war, ließen sich so genannte NOVD-Angebote schlecht realisieren, da es an Übertragungskapazitäten mangelte. Mit dem digitalen Fernsehen und er damit verbundenen Datenkompression ist es mittlerweile allerdings möglich NVOD anzubieten. Dieser Vorläufer des VOD (wird im weiteren Abschnitt erläutert) beschriebt das zeitversetzte Ausstrahlen ein und derselben Sendung (oder desselben Filmes) auf mehreren Kanälen. Der Pay-TV Sender DF1, wie auch Premiere, offerierten dieses Angebot in einem 30minütigen Rhythmus. Bei diesem Angebot hat der Zuschauer keine Möglichkeit Einfluss auf das laufende Programm zu nehmen. Er kann lediglich zu einer Sendung dazuschalten, bzw. auch umschalten. NOVD ist daher kein interaktives Fernsehangebot. Ganz im Gegenteil dazu ist das Video-on-Demand so ausgelegt, dass der Benutzer (Zuschauer) die Möglichkeit hat beliebige Fernsehangebote von einem Server herunter zu laden. Er hat hierbei die Möglichkeit die Sendung (oder den Film) zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu starten, zu stoppen, vor- und zurückzuspulen. Aufgrund der immensen technischen Vorraussetzungen15 halten viele Experten das VOD-Angebot für nicht-realisierbar. Im Hinblick auf die Kriterien für Interaktivität, entspricht dieses Angebot einer Mensch-Maschine-Interaktion und ist trotz der enormen Selektions- und

15 Nicht nur große und leistungsstarke Server müssen aufgebaut werden, sondern auch bisherige Netz- und Verteilstrukturen komplett erneuert, bzw. ausgebaut werden, um ein solches Angebot einer großen Zahl von Zuschauern zur Verfügung zu stellen.

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Modifikationsmöglichkeiten lediglich in die erste Stufe der Interaktionslevels einzuordnen. 3.3.4. Weitere Entwicklungen Neben den genannten Diensten werden sich im Bereich des interaktiven, bzw. im Zuge des digitalen Fernsehens höchstwahrscheinlich ökonomisch orientierte Angebote platzieren. Hier steht zum Beispiel das Homebanking an erster Stelle der bisher genutzten Angebote in den Vereinigten Staaten. Ähnlich wie beim Internet kann der Benutzer seine gesamten Geldgeschäfte auf einer dementsprechenden grafischen Oberfläche am Fernsehgerät erledigen. Auch im Bereich des Tele-Learning, insbesondere interaktive Lernprogramme, sehen viele Fachleute Chancen für weitere interaktive Angebote im Fernsehen.

4. Fazit Nach bisherigem Stand ist, im Sinne der Definitionen im zweiten Abschnitt, kaum ein Angebot im deutschen Fernsehen wirklich interaktiv. Zwar verfügen eine Menge der Sendungen (Filme usw.) über interaktive Elemente, die dem Zuschauer allerdings kaum die Möglichkeit geben das Programm mitzugestalten. Das Projekt „Piazza virtuale“ scheint hier ein wirklich gelungenes Angebot für die Vision eines Kommunikativen TVs zu sein. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern ein solches Angebot dem Zuschauer nutzt. Interaktives Fernsehen erweitert lediglich die Nutzungsarten herkömmlichen Fernsehens. (vgl. Stipp (2001)) Ein weiterer Punkt ist hier auch die zukünftige Entwicklung im Bereich einer gemeinsamen Plattform für Internet und Fernsehen, da viele der neuen Angebote im digitalen Fernsehen stark an Dienste im Netz erinnern. Die Hoffnungen der Branche sind dahingehend, dass die „[…] Integration von interaktiven multimedialen Elementen in die Fernsehnutzung“ (Zimmer (2000))einfließen wird, da sich der Computer (bzw. das Internet) aufgrund der großen Datenmengen nicht besonders gut für die Darstellung von Bewegt- bzw. Fernsehbild geeignet ist. (Momentan scheint die Entwicklung dahin zu gehen, dass viele verschiedene Plattformen die endgültige Konvergenz zwischen Fernsehen und Internet verhindern.) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Akzeptanz des Zuschauers. Braucht man überhaupt interaktives Fernsehen? Aber auch hier wird sich höchstwahrscheinlich die Devise „Sex and Sports sells“ durchsetzen und beispielsweise Diensten wie Video-on-Demand den erhofften Erfolg der Anbieter bringen.

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5. Literaturverzeichnis Bleicher, Joan (1994). Ästhetik und Dramaturgie des interaktiven Fernsehens. In: medien & erziehung, H. 5, 1994, S. 262-267. Faatz, Michael (1997). Zur Spezifik des Fernsehtextes. Eine Untersuchung zu Inhalten, Präsentationsformen und Perspektiven - dargestellt anhand des MDR-Textes und des Sat.1-Textes. Diplomarbeit am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften, Universität Leipzig. < http://members.aol.com/michafa/videotext/inhalt.htm > 19.09.2002 Garling, Jens (1997). Interaktives Fernsehen in Deutschland. Frankfurt am Main, etc.: Europäischer Verlag der Wissenschaften. Gesellschaft für Informatik (1999). Informatische Bildung und Medienerziehung. <http://www.informatische-bildung.de> 04.09.2002 Goertz, Lutz (1995). Wie interaktiv sind die Medien? Auf dem Weg zu einer Definition von Interaktivität. In: Rundfunk und Fernsehen. 43. Jahrgang 1995/4: S. 477-493. Jäckel, Michael (1995). Interaktion. Soziologische Anmerkungen zu einem Begriff. In: In: Rundfunk und Fernsehen. 43. Jahrgang 1995/4: S. 463-476. Lütjens, Ole (1996). Rendezvous im Drahtrahmengarten. Diplomarbeit im Fachbereich Visuelle Kommunikation/Telematik der Hochschule für bildende Künste Hamburg. <http://www.scara.com/~ole/index.html> 26.09.2002 Reinhold, Dr. phil. Gerd (Hg.) / Lamnek, Prof. Dr. Siegfried / Recker, Dr. Helga (1991). Soziologie-Lexikon. München etc.: R. Oldenburg Verlag GmbH. Riehm, Ulrich / Wingert, Bernd (1995). Multimedia. Mythen, Chancen und Herausforderungen. Mannheim: Bollmann Verlag Ruhrmann, Georg / Nieland, Jörg-Uwe (1997). Interaktives Fernsehen: Entwicklungen, Dimensionen, Fragen, Thesen. Opladen: Westdeutscher Verlag Sirtl, Alexandra (2000). Die Operationalisierung von parasozialer Interaktion. Ein Vergleich zweier Studien. Seminararbeit im Fach KW - Forschung: Studien und Untersuchungen. München: LMU Institut für Kommunikationswissenschaft) <http://www.hausarbeiten.de/rd/faecher/vorschau/451.html> 19.09.2002 Stipp, Horst (2001). Der Konsument und die Zukunft des interaktiven Fernsehens. Neue Daten und Erfahrungen aus den USA. In: MEDIA PERSPEKTIVEN 7/2001: S. 369-377. Zimmer, Jochen (2000). Interaktives Fernsehen – Durchbruch via Internet? Entwicklungsstand und Perspektiven interaktiver Fernsehanwendungen in Deutschland. In: MEDIA PERSPEKTIVEN 3/2000: S. 110-126.