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Der richtige

Dreh

italien: Wie ein Zulieferer Das schWierige WinDkraft-geschäft meistert

Während Solarunternehmen ums Überleben kämpfen, sieht die Situation

bei den Herstellern von Windkraftanlagen vielversprechend aus. Ob an Land oder

vor der Küste – weltweit werden neue Windparks geplant und gebaut.

Spezialisten wie Bonfiglioli profitieren besonders davon. Bei seinen Getrieben (Foto)

setzt der Marktführer auf Präzision und maßgeschneiderte Lösungen.

KatHarina becKer MarcO PrOScH

seit Jahrtausenden nutzen die Men­schen die energie des Windes, um auf See voranzukommen, Korn zu mahlen, baumwolle zu spinnen, Holz zu sägen oder Sumpfgebiete zu ent­

wässern. Mit der industrialisierung gewannen Öl, Kohle und Gas zur Stromerzeugung die Oberhand und die Windenergie verfiel in einen Dornröschen­schlaf. als sich in den Ölkrisen der 1970er Jahre die erkenntnis durchsetzte, dass uns der Wind – anders als fossile brennstoffe – nicht ausgehen dürfte, wurde die energieform wachgeküsst.

„Wir haben enorme technische Fortschritte in der Nutzung der Windenergie gemacht“, sagt Fausto Carboni, der als General Manager beim italieni ­schen Getriebe hersteller Bonfiglioli das Geschäft mit mobilen antrieben und Windenergie leitet. So hoch wie der Kölner Dom und mit Flügelweiten län­ger als ein Fußballfeld haben Windräder von heute mit den Windmühlen von damals in der tat nicht mehr viel gemein. „Windenergie gilt heute nur des­halb als weniger wettbewerbsfähig als atomkraft, weil die Folgekosten der Kernenergie-Gewinnung ausgeblendet werden“, so carboni. p

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Porsche Consulting – DAS MAGAZIN

als Spezialist für alles, was sich dreht, hebt und senkt, erkannte Firmengründer Clemen­tino bonfiglioli schon vor 30 Jahren, dass sich die Erfahrungen des Familienunternehmens in der Entwicklung maßgeschneiderter Getriebe und Antriebssysteme für Fördertechnik, Ses­sellifte, Krane, aufzüge oder Seilwinden auch auf Windkraftanlagen übertragen lassen. „Das dafür notwendige Planetengetriebe hatten wir schon“, sagt carboni. in Kleinform kommen solche Getriebe sogar in Fahrrad-Nabenschal­tungen und in größerer Dimension im rad­antrieb von bussen und Lkw zum einsatz. Sie regeln die Übersetzung der Motorleistung ins Langsame oder Schnelle. bonfiglioli kombi­nierte das Getriebe mit einem Elektromotor,

was einen effizienteren und zugleich ökologi­scheren antrieb ermöglichte. Darauf ist carboni besonders stolz: „Wir sind die einzigen, die das anbieten.“

Diese nische wurde 2002 zum Kerngeschäft. erster Kunde war das dänische Unternehmen Vestas, lange die weltweite nummer eins unter den Windkraftanlagen­Herstellern. inzwischen beliefert bonfiglioli fast alle großen Produ­zenten – von Siemens über Gamesa, Senvion bis zu nordex. „Die Hersteller wollen nicht nur einen Zulieferer, sondern einen technologie­partner“, sagt carboni. „Wir fragen unsere Kunden natürlich immer, was das individuelle Produkt können muss. Dann entwickeln wir

maß geschneiderte Lösungen, wobei wir als basis natürlich auf unsere Produktpalette zu­rückgreifen.“ Um die rotorblätter nach dem Wind auszurichten und die Gondel zu steuern, haben die ingenieure in der Hauptfabrik im norditalienischen Forlì nicht nur kompakte, leicht zu installierende antriebe entwickelt, die lange halten und wenig Ge wicht haben. Kombi­niert mit einem Wechselrichter speisen sie den Strom auch gleich ins netz ein.

Heute steckt in jeder vierten Windturbine welt­weit ein Getriebe von Bonfiglioli, was die Ita­liener zum unangefochtenen branchenprimus macht. Zwar sorgt die energiewirtschaft im­mer mal wieder für schlechte nachrichten, etwa dass Windparks auf hoher See mit tech­nischen Problemen kämpfen oder nicht recht­zeitig ans netz angeschlossen werden, natur­schützer gegen den bau neuer Windparks demons trieren oder die Politik mit Diskussio­nen über einen Stopp der Förderung für Verunsi­cherung sorgt, aber für bonfiglioli ist dies den­noch kein Grund, am Aufschwung zu zweifeln.

Schließlich hat etwa in Deutschland die dro­hende Kürzung der Subventionen für Wind­energie in der branche hektische betriebsam­keit ausgelöst. Um sich schnell noch die alte Förderung zu sichern, werden so viele neue Windräder in den Himmel gebaut wie seit dem boomjahr 2002 nicht. Deutschland ist welt­weit der drittgrößte Windstrom­erzeuger nach china und den USa. Windräder gibt es hier

moderne Windräder sind so hoch wie der kölner Dom und besitzen rotorblätter mit einem

Durchmesser länger als ein fußballfeld.

ein WinDraD an lanD liefert jährlich strom für mehr als 1200 haushalte unD spart gut 3000 tonnen co2.

Man kann nicht verbessern, was man nicht messen kann. 2012 führte Bonfiglioli

gemeinsam mit porsche consulting ein kennzahlensystem in der produktion ein.

monitore zeigen die leistung jeder anlage in echtzeit.

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Porsche Consulting – DAS MAGAZIN

schon seit gut 25 Jahren. bonfiglioli setzt vor allem auf das lukrative erneuerungsgeschäft: bestehende anlagen werden mit größeren rotorblättern und leistungsfähigeren antrie­ben versehen. ergebnis: eine bessere energie­ausbeute zu einem bruchteil der Kosten von neubauten.

europaweit schreitet der ausbau der Wind­energie voran: Vor der Küste Gran Canarias ging ende 2013 Spaniens erster Offshore­Windpark ans netz, der rund 7500 Haushalte versorgen soll. Die türkei plant neue anlagen mit Strom für 250 000 Haushalte. Mitte 2013 untermauerte Großbritannien seine europä - i sche Offshore­Marktführerschaft mit der er öf f ­ nung des weltgrößten Windparks auf See für eine halbe Million Haushalte. Selbst die Fran - zosen – traditionell Verfechter von atomstrom – for cieren den ausbau der Windenergie.

in den USa hatte die Unsicherheit über die staatliche Förderung in den vergangenen Jahren für eine Flaute gesorgt. „Das Geschäft in nordamerika ist stark abhängig von Subven­tionen“, sagt carboni. Seit die regierung in Wa­shington das Ziel ausgegeben hat, statt bisher drei Prozent bis 2030 ein Fünftel der benötig­ten energie aus Windkraft erzeugen zu wollen, und die industrie mit Steuervergünstigungen lockt, ist der bann gebrochen.

brasilien hat nach der nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima der Atomenergie den rücken gekehrt und setzt stattdessen eben­falls auf Windenergie. in den vergangenen zwei Jahren hat das größte lateinamerikanische Land seine Windkraftkapazität verdreifacht. Die Passatwinde machen Windstrom zur güns­tigsten energiequelle, der boom dürfte also anhalten. Mit einem Schönheitsfehler: Die

Regierung zwingt die Hersteller, den Großteil lokal zu produzieren. Spätestens 2015 sollen daher die ersten Bonfiglioli -Getriebe vor Ort vom band laufen.

Und was ist mit china? angesichts des wach­senden energiehungers und der alarmierenden Umweltverschmutzung hat die Staatsführung in Peking verordnet, dass die Hälfte aller neu installierten Stromkapazitäten aus regenerati­ven Quellen stammen muss. Klingt nach bes­ten Geschäftsaussichten. Carboni ist dennoch skeptisch: „china ist der weltgrößte Markt für Windenergie, allerdings komplett in chinesi­scher Hand und meist staatlich kontrolliert.“

bonfiglioli konzentriert sich in asien vorerst auf indien und Vietnam. Doch in italien sind sie immer bereit zum Sprung. egal, woher der Wind weht.

Die Bonfiglioli-Manager Fausto Carboni (links) und Marco Cesari sind – wie alle im Unternehmen – stolz auf ihre Produkte.

Darauf ausruhen wollen sie sich nicht. auch die prozesse in der Wind-sparte sollen Weltklasse werden.

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Am Stammsitz in der norditalienischen Stadt Forlì

produziert Bonfiglioli jährlich insgesamt 210 000

Präzisionsgetriebe für Turas-Antriebsräder und

für Schwerlast-Baufahrzeuge sowie Planetenge-

triebe für Schwenkantriebe von riesigen Wind-

kraftanlagen. „Wir sind alle mächtig stolz auf diese

Produkte“, sagt Marco Cesari, der in dem Famili-

enunternehmen das operative Geschäft der Sparte

leitet. „Aber wir wissen auch alle, dass wir uns

darauf nicht ausruhen dürfen, wenn wir unsere

Position im Markt behaupten und noch weiter aus-

bauen wollen.“

Als Cesari 2009 zu Bonfiglioli kam,

fiel ihm auf, dass zwar die Umsätze

stiegen, doch die Gewinne zusehends

schrumpften. „Wir mussten umden-

ken und unsere Strategie ändern.“

Doch so einfach war das nicht. „Alle

redeten von Veränderung, aber sie

mein ten immer, dass die anderen sich

ändern sollen“, scherzt Cesari heute.

Damals holte er sich Unterstützung

von Porsche Consulting. Cesari hat die Krise bei

Porsche Anfang der 1990er Jahre und den Auf-

stieg danach intensiv studiert. „Wie bei Porsche

konnte es auch für uns nicht die Lösung sein, mehr

zu verkaufen. Vielmehr mussten wir uns auf das

Kernprodukt fokussieren und die Angebotspalette

vereinfachen.“

Gemeinsam mit den Porsche-Beratern aus Italien

erarbeitete Bonfiglioli ein Konzept zur Trans-

formation des Unternehmens. „Ziel war es, Bon-

figlioli in allen operativen Bereichen entlang der

Wertschöpfungskette exzellent zu machen. Und

zwar von innen nach außen, also angefangen bei

der Produktion, über die Planung und Beschaf-

fung bis hin zur Entwicklung und zum Vertrieb“,

sagt Giulio Busoni, Geschäftsbereichsleiter bei

der Porsche-Consulting-Tochter in Italien. Sämt-

liche Produkte und Prozesse, die Bonfiglioli bis-

lang für perfekt gehalten hatte, kamen auf den

Prüfstand.

Ohne Bonfiglioli läuft bei Windrädern und schweren Baggern nichts. Das Unternehmen aus Italien

ist Marktführer bei der Herstellung von entsprechenden Getrieben und Elektromotoren. Um diese

Wettbewerbsposition weiter auszubauen, strebt Bonfiglioli konsequent nach operativer Exzellenz.

l u f t n a c h o b e n

Zu Beginn der Transformation analysierten die

Berater die proDuktion auf Einsparpotenziale:

Wie und wo werden Arbeitskraft, Material, Raum

und Zeit vergeudet und wie viel Geld kostet dies

Bonfiglioli Jahr für Jahr? Aus den Ergebnissen

wurde ein auf drei Jahre angelegtes Kostensparpro-

gramm mit kurz- und langfristigen Zielen abge-

leitet (Cost Deployment). „Um alle Beteiligten von

Veränderungsprozessen zu überzeugen, braucht

es Leuchtturmprojekte mit schnellen Ergebnissen“,

weiß Busoni. Deshalb optimierten Bonfi glioli und

Porsche Consulting zunächst in ein-

zelnen „Piloten“ Fertigungs linien sowie

die Logistik, die Maschinenverfügbar-

keit und das Qualitäts system, um die

identifizierte Verschwendung zu vermei-

den. Diese Verbesserungen begeister-

ten Mitarbeiter und Management so

schnell, dass sie die Konzepte in Eigen-

regie auf alle weiteren Werke weltweit

ausrollten. Durch die neue schlanke

Produktion stieg die Produktivität um

43 Prozent, die Rüstzeiten sanken um

40 Prozent und die Effizienz der Maschinen stieg

um 15 Prozent.

Dann rückten planung unD beschaffung in den

Fokus der Transformation. „2009 hatten wir Lager-

bestände im Wert von 95 Millionen Euro. Trotz-

dem kam es vor, dass ein Getriebe nicht ausgeliefert

werden konnte, weil eine Schraube fehlte“, erzählt

Cesari. „Nach dem Vorbild von Porsche haben wir

einen Kunde-Kunde-Prozess gestaltet“, sagt Busoni.

„Dieses Steuerungssystem verzahnt die Vertriebsbe-

darfe mit der Produktion und den Lieferanten. So

wird die Planungssicherheit verbessert und die Budge-

tierung stabilisiert. Gleichzeitig reduzieren sich Be-

stände und Umlaufkapital.“ Auch in der Produktion

wurden die Verbesserungen schnell spürbar. „Die

Fertigung lief runder, es gab weniger hektische Anrufe

bei Zulieferern, weil noch ein Teil fehlte“, sagt Cesari.

In der entWicklung erarbeiteten Bonfiglioli und

Porsche Consulting nicht nur einen schlanken

„Wir mussten

umDenken unD unsere strategie änDern.“

marco cesari

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ZULIEFERER KUNDEN

„VON INNEN NACH AUSSEN”

1. PRODUKTION – COST DEPLOYMENT

2. PLANUNG –KUNDE-KUNDE-

PROZESS

3. ENTWICKLUNG – PEP* UND VARIANTEN-

MANAGEMENT

4. VERTRIEB –TOOLS

Porsche Consulting

METHODIK

© Porsche Consulting

Produktentstehungsprozess (PEP), sondern nahmen

auch die bestehende Produktarchitektur und -viel-

falt unter die Lupe. Entwickler und Vertrieb waren

zunächst alarmiert. „Verkäufer hören das Wort Stan-

dardisierung gar nicht gerne“, schmunzelt Cesari.

„Doch nicht mit jeder Produktvariante lässt sich

Geld verdienen – das hat auch unsere Analyse bei

Bonfiglioli ergeben“, weiß Busoni. Zudem setzte

der verschärfte Preiswettbewerb dem Getriebe-

spezialisten zu. Die Bonfiglioli-Ingenieure dachten

um, als sie sahen, dass sich mit weniger verschiede-

nen Teilen gleich gute Ergebnisse erzielen ließen.

Und auf der Vertriebsseite waren die Verkäufer

beruhigt. „Unsere Produkte sind immer noch für

den Kunden maßgeschneidert, bestehen jetzt aber

aus standardisierten Teilen“, sagt Cesari. Die Pro-

duktionskosten konnten so um stolze 1,1 Millionen

Euro jährlich gesenkt werden.

Für operative Exzellenz im vertrieb sorgen

inzwischen ein neu definierter Prozess sowie eine

verbesserte Planung und Vernetzung zur Produk-

tion. Ein neues Messinstrument, das sogenannte

Kennzahlen-Cockpit (Sales Dashboard), zeigt an,

wie sich die Nachfrage und damit die Auslastung

der Produktion entwickelt, welche Kunden wie viel

bestellen und ob die einzelnen Produkte ihre Kosten

einspielen. Das Tool erleichtert die Überwachung

aller Aufträge sowie das Reporting und die Kom-

munikation zwischen der Zentrale und den Außen-

stellen.

„Unser Geschäftsbereich muss im Unternehmen Vor-

bild sein“, ist Cesaris Anspruch. Schließlich liefert

er den größten Teil der Umsätze bei Bonfiglioli, vor

dem Geschäft mit Industriegetrieben und Photo-

voltaik. Die Transformation wird sukzessive auf

alle Unternehmensbereiche und Werke ausgerollt –

damit die Getriebe-Spezialisten künftig nicht nur

auf ihre Produkte, sondern auch auf die Organisa-

tion und alle Prozesse „dahinter“ lückenlos stolz

sein können.

* proDuktentstehungsproZess