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MYKENISCH SEREMOKARAOI ODER SEREMOKARAORE ? von ERNST RISCH I Im pylischen Inventar der kostbaren Möbel und Geräte (Serie Ta) liest man zweimal das Wort se-re-mo-ka-ra-o-i, nämlich: Ta 7°7,2 to-no ku-te-se-jo e-re-pa-te-ja-pi o-pi-ke-re-mi-ni-ja-pi se-re- mo-ka-ra-o-i qe-qi-no-me-na a-di-ri-ja-te-qe po-ti-pi-qe. ,- " Ein Sessel aus Ebenholz mit elfenbeinernen Lehnen (oder Rücken ?, tAECjlO(v't"eLO(qn ?mLxEAEfLV(O(CjlL ? 1), (diese sind) verziert 2 mit s. und einer Menschenfigur (&v3pdv't"-) und mit Rindern (rr6p't"L-cpL) ". Ta 714, I ff. to-no ... o-pi-ke-re-mi-ni-ja / a-ja-me-na a-di- ri-ja-pi se-re-mo-ka-ra-o-i-qe ku-ru-so ku- ru-so-qe po-ni-ki-pi / ku-wa-ni-jo-qe po-ni-ki-pi. "Ein Sessel ... Lehnen (oder Rücken), eingelegt mit goldenen Menschenfiguren und s., golden 3, und mit goldenen Palmen (oder Greifen ?, cpO(VLX-, S. J. Chadwick, Glotta 41, 1963, 254 f.) und Palmen aus xuO(vo.; ". 1 Vorgeschlagen ist lmLy.e:Ae:fLV(O(CjlL (zu &fLCjlLXeAe:!.LVOV Hsch.) und omxPll- fLV(O(CPL (zu xpefLO(fLO(L): die erstere Deutung wird vorgezogen in Docs. p. 343 (und 402), M. Doria, Interpretazioni I, 13 f., L. Palmer, Interpretation 349, J. Chad- wiek, Glotta 41, 1963, 209. Vergl. A. Morpurgo, Lexicon s.v. (" sed nulla coniectura probabilis "), zuletzt dazu (mit Lit.) M. Doria, Avviamento 159 (omXPllfLv(O(, aber 230 OmXE:AEfLv(O() . Über das Part. Perf. Med. qeqinomeno, -a s. zuletzt M. Doria, Avviamento 159 und vor allem den Vortrag von A. Heubeck am lVII. International Colloquium in Cam- bridge 1965. 3 In Docs. p. 344 ist ku-ru-so auf das vorangehende Wort s. bezogen (" with a pair of gold finials "). Dagegen nimmt M. Lejeune, Memoires 171 Anm. 51 an, dass

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MYKENISCH SEREMOKARAOI ODER SEREMOKARAORE ?

von ERNST RISCH

I

Im pylischen Inventar der kostbaren Möbel und Geräte (Serie Ta) liest man zweimal das Wort se-re-mo-ka-ra-o-i, nämlich:

Ta 7°7,2 to-no ku-te-se-jo e-re-pa-te-ja-pi o-pi-ke-re-mi-ni-ja-pi se-re­mo-ka-ra-o-i qe-qi-no-me-na a-di-ri-ja-te-qe po-ti-pi-qe. ,-

" Ein Sessel (%6pvo~) aus Ebenholz (xu't"Eao~) mit elfenbeinernen Lehnen (oder Rücken ?, tAECjlO(v't"eLO(qn ?mLxEAEfLV(O(CjlL ? 1), (diese sind) verziert 2 mit s. und einer Menschenfigur (&v3pdv't"-) und mit Rindern (rr6p't"L-cpL) ".

Ta 714, I ff. to-no ... o-pi-ke-re-mi-ni-ja / a-ja-me-na k~t-ru-so a-di­ri-ja-pi se-re-mo-ka-ra-o-i-qe ku-ru-so [[qo-J~-ka-ra-o-i] ku­ru-so-qe po-ni-ki-pi / ku-wa-ni-jo-qe po-ni-ki-pi.

"Ein Sessel ... Lehnen (oder Rücken), eingelegt mit goldenen (xpuaoL~) Menschenfiguren und s., golden 3, und mit goldenen Palmen (oder Greifen ?, cpO(VLX-, S. J. Chadwick, Glotta 41, 1963, 254 f.) und Palmen aus xuO(vo.; ".

1 Vorgeschlagen ist lmLy.e:Ae:fLV(O(CjlL (zu &1.LCjlLXe:Ae:fLV(~, &fLCjlLXeAe:!.LVOV Hsch.) und omxPll­fLV(O(CPL (zu XPllfLv6~, xpefLO(fLO(L): die erstere Deutung wird vorgezogen in Docs. p. 343 (und 402), M. Doria, Interpretazioni I, 13 f., L. Palmer, Interpretation 349, J. Chad­wiek, Glotta 41, 1963, 209. Vergl. A. Morpurgo, Lexicon s.v. (" sed nulla coniectura probabilis "), zuletzt dazu (mit Lit.) M. Doria, Avviamento 159 (omXPllfLv(O(, aber 230 OmXE:AEfLv(O() .

• Über das Part. Perf. Med. qeqinomeno, -a s. zuletzt M. Doria, Avviamento 159 und vor allem den Vortrag von A. Heubeck am lVII. International Colloquium in Cam­bridge 1965.

3 In Docs. p. 344 ist ku-ru-so auf das vorangehende Wort s. bezogen (" with a pair of gold finials "). Dagegen nimmt M. Lejeune, Memoires 171 Anm. 51 an, dass

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54 Ernst Risch

Der Zusammenhang zeigt, dass es sich bei diesem Wort um irgend eine Figur oder ein Ornament handeln muss, ferner dass es im Instrumental steht. Alles andere ist vorerst unklar.

Offenbar damit verwandt ist se-re-mo-ka-ra-a-pi, ebenfalls ein Instru­mental und zwar Plural 4. :

Ta 708,2 to-no ku-te-se-jo e-re-pa-te-ja-pi o-pi-ke-re-mi-ni-ja-pi se-re­mo-ka-ra-a-pi qe-qi-no-me-na a-di-ri-ja-pi-qe.

" Ein Sessel aus Ebenholz mit elfenbeinernen Lehnen (oder Rü~­ken), mit s. verziert und mit Menschenfiguren ".

Mit einem andern Vorderglied, nämlich gWou- = ßou- findet man [qo-J­'/f-ka-ra-o-i im bereits zitierten Ta 714,2, dort allerdings getilgt, aber doch noch lesbar, ferner - vermutlich im Nominativ - in:

Ta 7Il,2

3

Ta 722,2

qe-ra-na wa-na-se-wi-ja qO-~t-ka-ra ko-ki-re-ja V ASt J

qe-ra-na wa-na-se-wi-ja k2t-na-ja qo-u-ka-ra to-qi-de-we-sa VASf 1.

" Ein bestimmtes Gefäss ... , q., mit Muschelmustern (l<OY)(~Ae:(·X ?), bezw. mit Gewinden oder Girlanden ( .. opq[~f€crcrCl) ".

Ein Simplex ka-ra-a-pi ist belegt in : ta-ra-nu a-ja-me-no e-re-pa-te-jo ka-ra-a-pi re-wo-te-jo so­we-no-qe SUBSELLIUM 1.

" Ein Schemel (&piivuc;), eingelegt mit elfenbeinernen Löwenköp­fen (A€fov .. do~c;) und soweno-".

Endlich ist aus Na 1038 -]no-ka-ra-o-i (oder -re) und Mn 1412,3 o-no­ka-ra[- von C. Gallavotti der pylische Ortsname o-no-ka-ra-o-i, bezw. -o-re gewonnen worden 5. Wie verschiedene andere Ortsnamen der Serie Na, z. B. po-to-ro-wa-pi (262), ku-te-re-u-pi (296), ti-mi-to-a-ke-e (361), steht auch die­ses Wort vermutlich im Instrumental (mit ablativischer Funktion) 6.

der Schreiber ku-ru-so zu tilgen vergessen hat. So auch L. Palmer, Interpretation 350 (" and golden [bull's heads j ").

, Soweit man überprüfen kann, sind die Kasusformen auf -pi (-qlL) stets Plural (ausser natürlich du-wo-u-pi " mit zweien" und vermutlich wi-pi f'Lqn im Personenna­men wi-pi-no-o KN V 958, 3 b). Anders, aber m . E. verfehlt darüber M. Doria, Avvia­mento I59.

6 Inscriptiones Pyliae p. I03, dann RFIC 90, n .s. 40, 1962, 141. Die ältere Deu­tung von Na 1038 ku-]no-ka-ra-o-re (oder -i) xuvoc; x. bei !M. Lejeune, Memoires 142 Anm. 49, H. Mühlestein, Glotta 36, 1957, 152 Anm. 6 und J. Chadwick, Minos 6,1958, IH. Zur Frage, ob das letzte Zeichen i oder re zu lesen ist, vergl. Abschnitt IIl.

S Zur ablativischen Funktion des Instrumentals s. P. Ilijevski, Ablativot, Instru­mentalot i Lokativot, Skopje 1961, vor allem 55 ff. Wenn auch der makedonische Gelehrte

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Myk. seremokaraore 55

Wir erhalten damit folgende irgendwie zusammengehörende Formen 7:

Nom. (?) Instr.

Instr. ka-ra-a-pi

qo-u-ka-ra qo-u-ka-ra-o-i se-re-mo-ka-ra-o-i

se-re-mo-ka-ra-a-pi

o-no-ka-ra-o-i od. o-no-ka-ra-o-re

Als sicher darf man annehmen, dass das Simplex mit dem homerischen X<XP'Y) , Gen. X()(P~()(-ro~ und xp<x<x-ro~ U.S.w. "Kopf" entweder identisch oder wenigstens nahverwandt ist, ebenso dass dieses oder ein sehr ähnliches Wort das Hinterglied der Komposita bildet. Ohne weiteres verständlich ist das Vorderglied in gWou- = ßou- "Kuh, Rind" und ono- = ovo- "Esel". Wenn man statt[o-Jno- ku-[no-J liest (s. Anm. 5), ist das Vorderglied xuv6~ ebenso klar. Nur wäre es kein echtes Kompositum, sondern eine Zusammenrückung. Rätselhaft bleibt nur das Vorderglied se-re-mo-. Der Vorschlag von H. Mühle­stein, Glotta 36 (1957/58), 152 ff., es mit ~e:LP~V, das auf ein ält~res * ~e:LP~fl zurückgehen kann, zu verbinden, hat · vielfach Zustimmung gefunden 8.

Dabei kann es als echtes Kompositum (mit ~e:LP'Y)flO-) oder als Zusammen­rückung (mit ~e:LP-Yiflo~ oder ~e:LP~flwv) betrachtet werden. Doch scheinen mir die Bedenken von L. Palmer, Interpretation 349 sehr berechtigt zu sein: Da Sirenenköpfe sich in der Tat nicht von Frauenköpfen unterscheiden,

in manchen Punkten offenbar zu weit geht, so trägt Mrs. A. Morpurgo Davies in ihrer Skepsis am Ivt" International Colloquium in Cambridge 1965 m . E. der Tatsache nicht Rechnung, dass es sonst nicht recht einzusehen Wäre, Warum die Ortsnamen ausser im Dativ-Lokativ und im Lativ vor allem gerade im Instrumental vorkommen. Vom Standpunkt der Ökonomie einer Sprache ist es m.E. wenig wahrscheinlich, dass zwei in der Form deutlich getrennte Kasus in derselben Funktion (Antwort auf die Frage .. wo ? ") gebraucht werden und auf der andern Seite Formen, welche auf die Frage .. woher? " antworten, bei der grossen Zahl von Ortsnamen sonst kaum vorkommen (ausser etWa einigen auf -e-u-te). Diese Schwierigkeit löst sich, wie mir scheint, nur bei der Annahme, dass der Instrumental bei Ortsnamen (vielleicht nur bei Ortsnamen) eben ablativische Funktion hat. Vom Kontext her wird diese Deutung an einigen Stellen sehr empfohlen (vor allem etwa PY An 1,4 pO-Ta-pi) ; nirgends ist sie, soviel ich sehe, unmöglich.

, Von den andern im Index inverse von M. Lejeune aufgeführten Wörtern auf -ka-ra könnten vielleicht hierher gehören der Ortsname (?) wa-re-u-ka-ra[ PY Na 576 und der männliche Personenname (?) ai-ka-ra (Dat.) KN X 567,2 (Vorderglied ot1y- ?, jedoch nach O. Landau, Personennamen 35 und 195 AtYAiiL), allenfalls noch der Per­sonenname (?) mu-ka-ra KN Pp 498,2 (mu- dem Sinne nach = qou- ßou- ? ?). Doch ist hier schon der textliche Zusammenhang so unsicher, dass eine weitere Interpretation nicht möglich ist. Unklar ist die Bedeutung von a-ka-ra-no, Adj. zu to-pe-za 't"6P~E~ot

.. Tisch" in PY Ta 715,2 (bis): ,xxxpiivoC; oder O(xpiivoc; "ohne Kopf ", vielleicht auch

.. ohne Horn" ?, s. A. Morpurgo, Lexicon s .v. 8 Vor allem M. Lejeune, Memoires 342 Anm. 32, Rev. Phil, 32, 1958, 215 m. Anm.

90, zuletzt BSL 60, 1965, 14 m. Anm. 2; doch vergl. A. Morpurgo, Lexicon S.v., M. Doria, Avviamento 159.

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Ernst Risch

dürfte es sich viel eher empfehlen, in se-re-mo- irgendwelche Tiere (oder Fabelwesen) zu sehen 9.

Schwieriger sind die morphologischen Probleme. Denn es ist tatsächlich nicht einfach, in diesen verschiedenen Formen Elemente eines einzigen Para­digmas zu sehen. Vor allem überrascht das Nebeneinander von se-re-mo­ka-ra-o-i und se-re-mo-ka-ra-a-pi, bei des Instrumentale und letzteres offenbar Plural. Wenn man davon ausgeht, dass es sich tatsächlich nur um Formen eines und desselben Wortes und nicht um zwei verwandte Wörter handelt

---- . (etwa -karao- und -kara-at-, wie z. B. später lJflLXPIXLPIX und ~flLXPIXVOV "Kopf-hälfte "), dann muss der Unterschied im Numerus liegen. Gemeinhin fasst man -ka-ra-o-i als Dual und -ka-ra-a-pi als Plural eines in dieser Form sonst nicht belegten ä-Stammes *xlXplfoc< *kor<Js-ä auf. Ist nun das Simplex ka­ra-a-pi mit dem Hinterglied -ka-ra-a-pi identisch und damit ebenfalls als ä-Stamm zu betrachten, oder ist es direkt mit homerisch XlXplJlX1."- oder XpOCIX1."­zu verbinden? Geht es also nach der I. Deklination (mit langem oc) oder nach der 3. (mit kurzem, aus ?;t entstandenem IX) ?

Dabei müsste auch der ä-Stamm ein Neutrum, jedenfalls kein Femini­num sein, da in Ta 722,2 die beiden Adjektivattribute zu ka-ra-a-pi auf -e-io, . d.h. -tdOL<; ausgehen 10. Schwierig ist aber auch, sofern man keinen Schreib­fehler annimmt, das Attribut ku-ru-so zu [qo-Ju-ka-ra-o-i (oder se-re-mo-ka­ra-o-i) in Ta 7I4,2 (s. Anm. 3). Denn dieses Wort wird im Mykenischen, so­fern es Attribut ist, als Adjektiv gebraucht (z. B. Ta 707,I ku-ru-sa-pi o-pi­ke-re-mi-ni-ia-pi) , und man vermisst hier eine Kongruenz der Endungen. Unsicher bleibt auch trotz manchen Bemühungen, wie man -ka-ra und even­tuell -ka-ra-o-re aufzufassen hat. Daher soll im Folgenden der ganze Fragen­komplex genauer besprochen werden.

II

Zunächst ist festzuhalten, dass zwar die Deutung als Instrumental aus dem Kontext heraus eindeutig gegeben ist. Dagegen ist ein Dual -ka-ra-o-i, wie A. Morpurgo, Atti Accad. Lincei, ser. 8, vol. I5, anno I960 (ersch. I96I), 324 Anm. IO und C. Gallavotti, RFIC 90, n.s. 40, I962, I38 f. mit

• Höchst fraglich ist dagegen der Wert der von ihm herangezogenen Hesychglosse aepyo( (d.h. aepfd ?). a:),otCjlm, solange man nicht weiss, aus welcher Zeit und aus wel­cher Sprache sie stammt (= lat. cervus? oder aus einer" Nordostsprache ", vergl. apr. sirwis" Reh ", s. Walde-Hofmann, Lat. etym. Wb. 3 I 208, zu sirwis s. jedoch E. Fraen­kel, Lit. etym. Wb. 989).

10 M. Lejeune nimmt Memoires 171 f. einen ä-Stamm nur fürs Kompositum, spä­ter ebd. 342 Anm. 32 (Addenda) und Rev. Phil. 32, 1958, 216 für Simplex und Kompo­situm an; vergl. auch BSL 60, 1965, 14. Sehr berechtigte Bedenken gegen ein Neutrum *)(otp&ot nach der 1. Deklination bei A. Morpurgo, Atti Accademia Lincei, sero 8, vol. 15, anno 1960 (ersch. 1961), 324 Anm. 10.

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Myk. seremokaraore 57

Recht betonen, zunächst nur eine Vermutung. Der Text selbst enthält nichts, was einen Dual besonders empfehlen würde. Wohl werden im Inventar der Ta-Serie einzelne Gegenstände im Dual genannt, z. B. ti-ri-po-de Tpbto8e: (641,1), di-pa-e 8(1t1Xe: (641,2), to-pe-zo TOp1tE~(o (715,3). Doch stehen die Ver­zierungen sonst im Sing. oder Plur. Auch ist ka-ra- nicht ein Begriff, bei dem der dualische Gebrauch aus inhaltlichen Gründen bevorzugt ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn wir als Bedeutung nicht " Kopf" (xfp'Y)) , sondern " Horn" (XEPOO:;) annehmen. Bei qo-u-ka-ra- wäre das ohne weiteres möglich, nicht aber bei ovoe; " Esel ", es sei denn, man nehme seine Ohren als Hörner.

Die Annahme eines Duals -ka-ra-o-i wäre erst dann zwingend, wenn man sicher damit rechnen könnte, dass im Mykenischen der oblique Kasus des Duals die Endung -o-i hatte. Trotz den Behauptungen der Handbücher ist das aber keineswegs der Fall 11. Abgesehen von den relativ zahlreichen Dualen im N om. Akk. ist nämlich nur eine einzige sichere Dualform belegt: du­wO-1t-pi " mit zweien" (PY Eb 149,2 Eb 495,1 Ep 617,1.4 Ep 704,7). Zitiert wird aber noch wa-na-so-i (PY Fr 1222, 1227, 1228, 1235, wahrscheinlich auch Fr 1251, verschrieben [?] wa-no-so-i Fr 1219). angeblich Dat. Dual zu fcl..voccr­C1IX, also" den beiden Herrinnen ". Doch ist diese Deutung nicht nur unsi­cher, sondern m.E. vom Kontext aus betrachtet sogar sehr unwahrschein­lich 12.

Wenn also die uns bekannten mykenischen Texte keine evidenten Be­lege für einen Dativ oder Instrumentel Dual auf -o-i bieten, so ist es doch denkbar, dass man eine solche Form aus morphologischen oder andern Grün­den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen muss. Man stützt sich dabei vor allem auf die aus Homer bekannte Endung -OL'LV, welche von der 2.

Deklination (z. B. t1t1toLIv) auch auf die 3. übertragen worden ist (z.B. 1to8oIw). Im Mykenischen wäre sie auch bei den ä-Stämmen eingeführt worden, genau so wie im Nom.-Akk. die Endung -(0 auch in der 1. Deklination gilt. Diese

• homerische Endung -oLIv kann als direkte Vorstufe von attisch -OLV angesehen werden, das z.B. auch in Argos vorkommt: .&LLoIv, wohl auch ToI(v) fIXVOCXOL(V) (Schwyzer, Dia!. 77 und 79). Sie passt aber nicht zu den arkadischen Dualen ToIe; XPOCVIXLUV (Schwyzer, Dia!. 664,8 - Orchomenos), !(fL) fLEC10UV ToIe; ~L8ufLOLUV (ebd. v. 25) und Tuv8IXp(8IXLue; (SEG XI 1045). auch nicht zu denen aus Elis wie U<L)1t1X8uXLOLO[Le;] 8UOLOLe;, XIXUTOLoLP (Schwyzer, Dia!. 417,3.13). Diese Formen stehen aber dem Gen.-Lok. Dual anderer indogermanischer Sprachen (z.B. aind. -ayoJ;, < *-oyous) bedeutend näher und dürfen daher

11 So z.B . E. Vilborg, A Tentative Grammar 65 f., neuerdings auch M. Doria, Avvia­mento 78. Bedenken dagegen bei A. Morpurgo, Atti Accademia Lincei, sero 8, vol. 15, anno 1960 (ersch. 1961), 324 Anm. 10 und C. Gallavotti, RFIC 90, n . s . 40, 1962, 138 f .

11 Die Deutung" den beiden Herrinnen" zuerst bei L. Palmer, Minos 5, 1957, 91 f ., vergl. dens., Interpretation 249 f., ebenso M. Lejeune, REA 84, 1962, 15 ff., da­gegen J. Chadwick in E. Bennett, Olive Oil Tablets 50 (vergl. auch Glotta 41, 1963, 172). Dazu kritisch A .• Morpurgo, Lexicon s.V. (" Dat. plur., ut videtur ").

fJ· , r

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im Prinzip als altertümlicher gelten. Das homerische -OL'CV ist also vermut­lich erst aus -OLUV umgebildet worden 13. Bei der engen Verwandtschaft des Mykenischen mit dem Arkadischen müsste man auch hier viel eher statt -o-i = oiin Endungen wie -o(i)un oder -o(i)us, vielleicht -o(i)ous erwarten 14.

Die einzige wirklich belegte Form dzt-wo-u-pi (s. oben) wird denn auch von M. Lejeune, Memoires de philologie mycenienne 168 einleuchtend als ein durch -phi verdeutlichtes *duwo(i)u (wie arkad. t(fL)fL€O"ouv, ~LaufLoLUV) erklärt.

Es sprechen aber nicht nur sprachhistorische Gründe gegen die Annahme, dass wir im Mykenischen eine Dualendung -o-i = horn. -OL'CV erwarten dür­fen. Auch bei einer synchronischen Betrachtung ist ein Dual -o-i kaum zu rechtfertigen. Denn da in diesem Dialekt der Dat.-Lok. Plural der 2. Dekli­nation ebenfalls -o-i geschrieben wird und wahrscheinlich etwa -oi"i « *-oisi), vielleicht auch -oihin lautete, wären die beiden Numeri hier gar nicht oder nur sehr schwach unterschieden. Man hätte also nicht nur te-o-i .&e:OLhL (v) " den Göttern", sondern auch *te-o-i .&e:OLLV "den beiden Göttern", jedoch in der I. Deklination i-je-re-ja-i te:pe:La.\(v) "den Priesterinnen", aber *i-je-re-jo-i te:Pe:LOLLV "den beiden Priesterinnen". Ausserdem wäre -o-i im

, Dual nicht nur Dativ, sondern auch Genetiv und Instrumental, im Plural aber nur Dativ (einschI. Lokativ). Ein solches kompliziertes System ist zwar nicht undenkbar, aber aus innern Gründen nicht gerade sehr wahr­scheinlich und vor allem wäre es wohl nicht sehr dauerhaft, sondern würde vermutlich bald durch eine klarere Ordnung abgelöst. Nun wird man ein­wenden, dass ja in einer späteren Sprachstufe, z.B. bei Homer, in der Tat ein einfacheres System an dessen Stelle getreten ist, nämlich .&e:OLO"LV für den Dativ Plural, aber .&e:OLLV für den Genetiv-Dativ Dual. Aber auch da wäre es eigenartig, wenn ausgerechnet die seltene Form (der Dual) intakt geblieben und beim häufigeren Plural eine neue Form geschaffen worden wäre und nicht umgekehrt.

Die Deutung von -ka-ra-o-i als Dual kann sich also kaum auf den Kon­text stützen. Sie passt ferner nicht zum sicher bezeugten du-wo-u-pi f' mit zweien". Angesichts der arkadischen Dualformen empfiehlt es sich auch aus sprachhistorischen Überlegungen, jedenfalls so lange nicht mit mykeni­sehen Dualen auf -o-i zu rechnen, als sie nicht eindeutig bezeugt sind. Endlich scheint bei synchronischer Sprachbetrachtung ein Nebeneinander von -oiin (Dual) und -oi"i(n) (Plural) aus innersprachlichen Gründen nicht sehr ein­leuchtend zu sein.

13 Siehe E. Schwyzer, Gr. Gr. I 557 (Lit.), M. Lejeune, Rev. Phil. 32, 1958, 214. P. Chantraine, Morphologie historique du grec 2(I96I), 4I.

14 Im mit dem Arkadischen nahverwandten Kyprischen sind keine Duale bezeugt. Bei zwei Subjekten steht das Verb im Plural in Nr. 153 Masson (E1tEcr't"OCcrOCV).

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Myk. seremokaraore 59

III

Nachdem wir festgestellt haben, dass die interpretation von -ka-ra-o-i als Instr. Dual in mehr als nur einer Hinsicht Schwierigkeiten bereitet, ist es an der Zeit, den epigraphischen Befund selbst etwas genauer anzuschauen.

E. Bennett setzt in seinen Pylos Tablets 2 sowohl in Ta 707 als auch in Ta 714 einen Punkt unter das Silbenzeichen i, um anzudeuten, dass ihm diese Lesung nicht sicher scheint. Ebenso verfahren M. Ventris und J. Chad­wiek in den Documents bei Ta 707 (p. 342). C. Gallavotti schreibt in den Inscriptiones Pyliae beide Male -i und bemerkt dazu im kritischen Apparat, dass man an beiden Stellen -ka-ra-o-re annehmen könne. Endlich schreibt E. Bennett in den Pylos Tablets 2 bei Na 1038 Jno-ka-ra-o-re mit deutlichem re und bestätigt dies ausdrücklich Language 36, 1960, 142. Dagegen lesen J. Chadwick und M. Lejeune bei Na 1038 [ku-Jno ka-ra-o-i: Minos 6, 1960, 144 "-i was read by autopsy by both Lejeune and Chadwick", ähnlich Voca­bulary, Glotta 41, 1963, 215. Dagegen schreibt C. Gallavotti in den Inscrip­tiones Pyliae und RFIC 90, n.s. 40, 1962, 141 [olnokaraore. Eine Diskussion darüber findet sich im Lexicon von A. Morpurgo p. 20I.

Nun berührt es äusserst eigenartig, dass an allen drei Stellen ausgerechnet das letzte Zeichen von -ka-ra-o- ? unsicher sein soll, obwohl diese Tafeln sonst sehr gut lesbar sind. Besonder? auffällig ist, dass sowohl bei Ta 707 als auch bei Ta 714 alle anderen Buchstaben ausser eben diesem einen Zeichen (und dem getilgten Wort [qo-Ju-ka-ra-o-i) als absolut sicher geboten werden. Auch die Facsimile-Zeichnung von E. Bennett bietet nicht den geringsten Hin-· weis darauf, dass gerade diese Stellen beschädigt sein könnten. Wenn man diesen Zeichnungen vertrauen darf, geht es hier nur darum, ob man die an sich deutlich sichtbaren Zeichen als i oder als re lesen muss.

Somit stellt sich die Frage, worin sich denn die beiden Zeichen unter­scheiden, die man herkömmlicherweise mit den Nummern 27 (re) und 28 (i) versieht. Bei beiden besteht der untere Teil aus einem senkrechten Strich, bei beiden laufen im obern Teil drei Striche gegen die Mitte zusammen, so­dass die Zeichen einer dreizinkigen Gabel gleichen. Das Zeichen 28 (i) hat zusätzlich in der Mitte einen kurzen horizontalen Strich. Bei 27 (re) sind die oberen Striche mehr oder weniger stark nach aussen ausgebuchtet, sodass es an ein 'Y erinnert. Doch ist dieses Merkmal vielfach nicht besonders ausge­prägt, und gerade der Schreiber der Ta-Serie (" Hand 2 " nach E. Bennett, Athenae~46, 1958, 329) erlaubt sich in dieser Hinsicht offenbar recht grosse Freiheiten J Nun fehlt bei den Facsimile-Abbildungen von E. Bennett an al­len drei Stellen (Ta 707, Ta 714 und Na 1038) der horizontale Strich. Einzig in Ta 714 steht rechts neben der Mitte ein rätselhafter Punkt. An allen drei Stellen laufen aber die Striche ziemlich spitz zusammen. Ist es nun ein i ohne Horizontalstrich oder ein spitzes re ?

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60 Ernst Risch

Ich selbst vermutete ein re. Doch schien ein Überprüfung am Original dringend erwünscht. Hilfsbereit, wie immer, übernahm J. Chadwick im Sommer 1965 freundlich erweise diese Aufgabe. Zusammen mit E. Ben­nett fand er, dass,in allen drei Fällen wahrscheinlich doch re zu lesen sei und dass das i bei der betreffenden Hand wesentlich anders aussehe. Beim getilg­ten Wort [qo-Ju-ka-ra-o-? lässt sich nicht mehr entscheiden, was gemeint war 15. Ich selbst hatte einige Monate später Gelegenheit (12. und 13. Oktober 1965), wenigstens die Tafel Ta 714 im Original zu sehen. Das, was E. Bennett in seiner Abbildung als Punkt rechts neben dem Zeichen festgehalten hatte, waren schwache Linien, die zum nächsten Zeichen (qe) führen, vermutlich klei­ne Risse im Ton. Jedenfalls sind sie deutlich anders als die eingeritzten Stri­che der Schriftzeichen. Im Übrigen ist das re in der obern Zeile von Ta 714 (4. Zeichen von rechts) nicht weniger spitz als das strittige Zeichen. Es scheint also festzustehen, dass überall -ka-ra-o-re statt -ka-ra-o-i zu lesen ist. Auch beim getilgten und daher nur mit Mühe lesbaren [qo-Ju-ka-ra-o-? darf das angenommen werden.

Damit stellt sich die Frage, wie denn -ka-ra:'o-re zu deuten sei. Denn wenn man bisher trotz der 'Warnung C. Gallavottis an -ka-ra-o-i festhielt, so erklärt sich das nicht nur mit der grossen Autorität von J. Chadwick und M. Lejeune, sondern sicher auch damit, dass die Form -o-i verständlicher als ein so rätselhaftes -o-re schien 16. Nachdem aber, wie wir gezeigt haben, -o-i schon als Form verschiedene Bedenken wachruft, darf man sich mit um so grösserem Vertrauen und Interesse der neuen Lesung -o-re zuwenden.

Eine solche Form auf -e kann, wie A. Morpurgo in ihrem Lexicon S.V.

se-re-mo-ka-ra-o-i treffend bemerkt, nach dem ganzen Zusammenhang kaum etwas anderes als Instr. Singular sein. Da gerade in dem Ta-Tafeln bei sonst gleichen Wörtern vielfach singularische und pluralische Instrumentalformen mit einander abwechseln, z. B. a-di-ri-ia-te und a-di-ri-ia-pi (&VapLcX.V-r-), po-ni-ke und po-ni-ki-pi (cpOLVLX-), ka-ru-we und ka-ru-pi (X()(pu~?) 17, passt auch der Wechsel von Sing. se-re-mo-ka-ra-o-re und Plur. se-re-mo-ka-ra-a-pi. Bei dieser Deutung wird ausserdem die syntaktische Schwierigkeit behoben, welche beim Fehlen einer Kongruenz zwischen ku-ru-so und qo-u-ka-ra-o-i (oder se-re-mo-ka-ra-o-i, s. oben) besteht: ein Dativ oder Instrumental Sin­gular ku-ru-so Xpucr(;h, bezw. xpucrw (?) ist einwandfrei.

15 Brief von J. Chadwick aus Cambridge vom 9. August 1965. Herzlich danke ich ihm und E. Bennett für diese Mühe.

18 Vergl. z.B. M. Lejeune. Memoires 142 Anm. 49. 17 Vergl. M. Lejeune. Memoires 175. C. Gallavotti. RFIC 90. n.s. 40. 1962, 139.

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Myk. seremokaraore 61

So bleibt nur die Frage, wie diese Bildung auf -or- morphologisch zu rechtfertigen ist. Hierzu müssen wir etwas weiter ausholen. Allen diesen diskutierten Formen liegt ein altertümliches Neutrum für " Kopf" zugrunde, das in verschiedenen indogermanischen Sprachen Verwandte mit der Bedeu-tung " Kopf" oder" Horn" hat, die sich auf *kera- oder *keras- zurückführen lassen 18. Öfters finden sich daneben um -(e)n- erweiterte Formen. So wird im Altindischen siraJ;, (siras) "Kopf" (der Form nach nahezu identisch mit griech. xepcx<;; " Horn ") in allen Kasus ausser dem Nom.-Akk. Sing. durch sir~dn- «*kfsen--, *krasen-) zu einem suppletiven Paradigma ergänzt: Gen. Sing. sir~ndJ;" Lok. Sing. sir~dni, Lok. Plur. sir~dsu u.s.w. (*kfsn-es, *kfsen-i, *kfs1'J-su, s. Wackernagel-Debrunner, Ai. Gr. IU 315). Da im Griechischen die n-stämmigen Neutra allgemein zu solchen auf -CX't"- erweitert worden si1'l;d, erwartet man als Entsprechung zu den aind. Formen bei Schwund des inter­vokalischen s xpacx't"-o<; U.S.W. oder xcxPeXcx't"-o<; U.S.W., und zwar je nachdem, ~~ ob f (ara) durch poc oder durch cxpcx vertreten ist. Die erstere Form ist bei Homer tatsächlich bezeugt 1

9• Statt des im Hexameter unbrauchbaren *xcxPeX-

CX't"o<; verwendet das Epos das metrisch bequeme, im Vokal an xeXp"IJ ange-passte xcxp~cx't"o<;;. Der n-Stamm als solcher ist immerhin im Plur. xeXp"IJvcx (wohl < *xeXpcxcrv-cx), ferner in verschiedenen Ableitungen wie z. B. XPOCVLOV ßouxpocvo<; u.s.w. erhalten. Ähnlich wie im Altindischen hat auch hier der Nom.-Akk. Sing. eine isolierte Form, nämlich xeXp"IJ (bei Homer) und xeXpoc (bei att. Dichtern, dazu xcx't"wxeXpoc "kopfvoran "), deren Erklärung bisher noch nicht restlos gelungen ist 20.

18 Der Übergang von der einen zur andern Bedeutung vollzog sich wohl am leich­testen beim gehörnten Tier. Wenn z.B. eine Ziege mit den Hörnern stösst, dann stösst sie mit dem Kopf. Welches die ältere Bedeutung ist, ist damit nicht gesagt (etwa" Kopf mit Hörnern" ?). Zu dieser indogerm. Wortsippe vergl. J. Pakamy, Idg. etym. Wb. I 574 ff.

lf Das ii (statt 1]) von Xpa/XTOC; gilt allgemein als Äolismus (so z.B. H. Frisk, Gr. etym. Wb. I 785). Da aber die kontrahierte Form XpiiT6c; U.S.w. (zunächst xpiiToc;?, wohl < *xpeiiToc; < *XPlJ/XTOC;) bereits bei Homer am häufigsten ist, liegt es m. E. näher, XpG./XTOC; als eine Art "zerdehnte " Form Wbetrachten, bei der die ältere, aus metri­schen Gründen beibehaltene dreisilbige Form im Vokalismus an die jüngere zweisil-bige angepasst worden ist. .

20 Siehe H. Frisk, Gr. etym. Wb. I 784 f. (Lit.). Gegen die verbreitete Annahme, dass x:xpii aus *xocP:X/X< *xocP/XCJQ. kontrahiert sei, wobei das 1] bei Homer ein vermutlich durch den Plur. xocP1]v/X < xocpiiv/X < *xocP/XCJV/X veranlasster Hyperionismus wäre (so z.B. P. Chantraine, Gramm. horn. I 231, M. Leumann, Horn. Wörter 159, H. Frisk, l.c.), spricht - m.E. entscheidend - die metrische Verwendung bei Homer, der gerade bei diesem altem Wort keine unkontrahierten Formen kennt (z.B. *x:XP/X/X mit positionslanger letzter Silbe) und ausser in K 271 -P1] regelmässig in die Hebung (meistens die 4.) setzt. Zudem ist ist die Ausdehnung des /X « v) auf den Nominativ (etwa in Analogie zu iSvofJ.x: 6v6fJ./XTOC;) bei solchen Wörtern, vom unsichern lXAEtC{l/X abgesehen (H. Frisk, Gr. etym. Wb. I 68), sonst nicht bekannt: es gibt z.B. kein *()S/X zu *()lh'wc; oder *ou/X zu OtJ/XTOC;. Anders, aber nicht überzeugend G. P. Shipp, Essays in Mycenaean and Homeric Greek 6 f. Anm. 15 (x:Xp1] < ·x:XP/Xc; wie x:XP1]v/X < ·x:XP/XCJV/X). S. unten Abschnitt V.

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62 Ernst Risch

Nun haben bekanntlich Neutra auf -1X't"- (idg. -n-) im Nom.-Akk. Sing. oft einen -r-Stamm, z.B. ~7tIXP ~7tIX't"O~, lat. ißcur iocinoris (statt *iocinis) 21

" Leber ", i)~UlP i)~IX't"O~, heth. wätar wetenas "Wasser ". Nach dezp. Vorbild solcher alter, im Hethitischen besonders gut erhaltener r/n-Neutra konnten auch beim Wort für" Kopf" (oder" Horn ") Formen mit r gebildet werden. Zwar ist der von Anti~achos (fr. 76) gebrauchte Nom. XlXplJOCP vermutlich eine jüngere Analogiebildung nach ()'II~LOCP o'lldoc't"oc u.s.w. Ältere Bildungen mit P zeigen aber Komposita wie horn. op.s-6xPOCLPOC "mit geraden Hörnern" (ßOW\I, bezw. 'II~W'II op&OXpOCLPIXUl'll am Versende, dazu ßoucrl.'II eUXpOCLplJLcrL'II h. Merc. 209 u .ä .), att. ~!LLXPOCLPOC " Kopfhälfte " (Ar. Th. 227 u.a.) und das eigenartige Wort 'IIOCUXPOCpo~, daraus umgestaltet 'IIOCUXAlJPO~ "Schiffsherr" (s. H. Frisk, Gr. etym. Wb. II 291 f.), ferner die Hesych-Glosse XOCplXpOC· X~rpOCA~

(wohl < *XOCPlXcrp~) 22. Bei dieser Sachlage sind jedenfalls mykenische Formen mit einer r-Erweiterung nicht überraschend.

Die Dürftigkeit der mykenische Zeugnisse erlaubt uns leider nicht, ein auch nur einigermassen vollständiges Paradigma aufzustellen. Wir wissen auch nicht, ob die Komposita mit qo-u-, o-no- und se-re-mo- gleich wie das

I Simplex, von dem nur der Insy. Plur. bekannt ist, deklinierten. Der pyli­sche Personenname re-u-ko-roj~o-pu2-ru Jn 415,2, d.h. A~uxpo6rppu~ «*A~uxo-6rppu~) zeigt, dass im Mykemschen auch dort Komposita ohne irgendwelche Umgestaltung des Hintergliedes gebildet werden konnten, w'o das im spä­teren Griechisch nicht mehr möglich war 23. Anderseits sind Differenzen im Ablaut ohne weiteres zu erwarten, wie sie auch später bei &.'II~p - rp&~L~'IIUlP

u.s.w. bekannt sind, vergl. myk. Namen o-pe-ra-no, etwa 'Orp~A-IX'IIUlP (PY Jn 658,9 725,6), Gen. o-pe-ra-no-ro (MY Ui 651,5), Dat. o-pe-ra-no-re (MY Oe 126). Auch lässt der Umstand, dass in älterer Zeit Formen mit P beim Wort für " Kopf" oder" Horn" nur in Komposita belegt sind, vermuten, dass sie vorzugsweise hier zu Hause waren und wir etwa ein Paradigma *(ßoU)-Xp~Ulp, -xpiXopo~, Fern. -xpiXeLpoc, -XPOCLP~ «*xpiXpj~?) hatten 24.

Von den tatsächlich bezeugten mykenischen Formen passt das Simplex ka-ra-a-pi zu xpiXoc't"- oder XOCPOCOC't"- (bezw. XOCplJlX't"-) . Ob wir die ersten zwei Zeichen als krä- oder als kara- lesen müssen, ist nicht zu entscheiden, im übrigen auch ziemlich belanglos , Auch ist es recht gleichgültig, ob wir ka-ra-a-pi

21 Verg1. dazu H. Rix, Münchner Studien zur Sprachwissenschaft 18, 1965, 79 ff. 2. Der Bildung nach ähnlich ist lat. cerebrum< *keras-r-om, verg1. E . Benveniste,

Origines 11, C. Gallavotti, RFIC 90, n.s. 40, 1962, 143 f. - Anders über xO:p"/)tJ:P E. Ben­veniste, 1. c. 111 .

• 3 Ein ähnliches Beispiel ist wohl der Personenname im Genetiv e-te-wa-tu-o/9 (-tu-o ?) KN C 912, 5, der uns einen Nominativ *'ETEflXcr-ru~ (statt *'Enf6-flXcr-ru.:;?) ver­muten lässt.

2. Vergl. etwa auch das P in den Komposita vom Typus fLe:A&:v-u8po.:; zu ö8cop Ö8IXTO':;. Hierher gehört vielleicht auch der homerische Personnenname IIoAUxTcop, falls < *IIoAu­XTECOP zu XTEIXTIX (" mit viel Besitz "), s. Verf., Horn. Wortbildung 202.

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Myk. seremokaraore

unmittelbar mit aind. sir$dbhilJ « * kfs1}-bhis) gleichsetzen oder annehmen, dass hier bereits die Dentalerweiterung vorliege (also *xpiXtxTqn oder *XIXP<XIXT<p~) und diese nachträglich im Instr. sowie im Dat.-Lok. Plur. unsichtbar gewor­den sei 25. Dagegen müssten wir, wenn zwischen den beiden a wirklich ein s geschwunden ist, eigentlich *ka-ra-a2-pi mit a2 , d.h. ha erwarten. Jedenfalls wird in Pylos sonst, soweit wir feststellen können, ha durch a2 wiedergegeben.

Beim Kompositum sind drei Kasusformen bezeugt: Nom. (?) Sing. -ka-ra, Instr. Sing. -ka-ra-o-re und Instr. Plur. -ka-ra-a-pi. Dass auch andere Kasus -or- hatten, ist anzunehmen, wenn wir auch über den Umfang dieser Erscheinung nichts Sicheres sagen können. Offen bleibt nach dem, was wir oben ausgeführt haben, ob wir mit C. Gallavotti, RFIC 90, n.s. 40, I962, I43 ff. auch im Simplex solche Formen annehmen dürfen. Der Instr. Plur. -ka-ra-a-pi ist vermutlich mit dem Simplex gleich; eine Lesung X(IX)P<XlXp<p~

ist zwar möglich, aber m.E. nicht sehr wahrscheinlich. Dagegen scheint mir bei der immerhin zweimal belegten Form qo-u-ka-ra die Annahme einer Erwei­terung mit -r- (oder auch -n-) ausgeschlosse-fl. Am einfachsten dürfte es sein, sie mit dem Simplex x<XpiX (horn. x<XP">1) gleichzusetzen und dazu eventuell als Zeichen des geschlechtigen Nominativs die Endung -s anzunehmen, also ßou­x<XpiX (ßou-xpiX) oder eher ßou-x<xpci; (ßou-xp~) 26.

v

Wir sind bisher davon ausgegangen, dass hinter xpiX-, XIXPIX- u.s.w. ein s geschwunden sei, das bei den entsprechenden altindischen Formen erhalten geblieben ist 27. Wie wir oben gesehen haben, spricht die mykenische Schrei­bung ka-ra-a-pi mit a statt mit a2 eigentlich dagegeI:1. Auch in andern Sprachen sind neben Formen mit s solche ohne s bekannt, z.B. mit n lat. cornu (ursprüng-

25 Aus der weitgehenden Parallelität dieser beiden Kasusformen erklärt es sich auch, dass vor -CPL zwar der Guttural erhalten, der Dental aber geschwunden ist: po-ni­ki-pi CPOL'ILXCPL wie cpolv~1;L, aber po-pi, re-wo-pi wie 7tOcrL, *Mfovcn (vergl. pa-si 7tOCvcrL). Der Unterschied ist im Instrumental also nicht eigentlich lautgesetzlich, sondern viel­mehr morphologisch bedingt. S. auch C. Gallavotti, RFIC 90, n.s. 40, 1962, 145.

21 M. Lejeune, Rev. Phil. 32, I958, 216 Anm. 93 schreibt ßOUKpOCC;. Doch ist sein Vergleich mit den Hesychglossen e:ÜKPOCC; (cod. e:UKpOCC;)· e:uKeepcc)..oc; und )..e:UKOKpOCC;· )..e:u­KOKecpiXAoc; insofern irreführend, als es sich bei diesen Wörtern vermutlich um sekundär gebildete Nominative zu Gen. (e:ü)-KpiX'roc; u.s.w. handelt, vergl. Plur. )..e;uK6KpOC're:C; (cod. -Kep~'re:c;) Hsch. Sie setzen also bereits die Kontraktion von KPOCiX'rO'; zu xpoc'r6c; voraus, die im Mykenischen wohl undenkbar ist.

27 Trotz dem unerwarteten Anlaut wird man auch heth. !;arsan- " Kopf" zum min­desten in der Stammbildung nicht davon trennen dürfen. Mit dem aind. sir$dn- der Form nach identisch, aber mit abweichender Bedeutung ist das baltisch-slavische Wort für " Hornisse ", z.B. lit. sirsuö, s. E. Fraenkel, Lit. etym. Wb. 988. Dazu, aber mit r statt n lat. cräbrö < *kfsr-ön-, vergl. oben Abschnitt IV und Anm. 22 .

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Ernst Risch

lich etwa *kor-u, Gen. *kr-n-es), got. haurn mit der Ableitung ahd. (h)rind " Horntier", aind. srnga- " Horn". Im Griech. kann xP!Xvo<; "Helm" « *krn-o-s) hierher gehören. Infolge lautgesetzlicher Veränderung ist es aber oft nicht mehr feststellbar, ob ein s ursprünglich vorhanden war oder nicht. Vor allem im Griechischen ist das s in einem weiten Bereich geschwun­den. Sicher mit s ist hier ausser xepcx,; eigentlich nur noch xp!Xcme:oov, während homerisch xp~oe:!Lvov, aber auch Formen wie hd x!XP u.ä. kein s zeigen (s. H. Frisk, Gr. etym. Wb. 1784 f.). Auch x!XpiX. (x!XPY)) lässt sich m. E. kaum befrie­digend auf eine Form mit s zurückführen, s. Anm. 20. Vielmehr bleibt offen­bar x!XpiX die älteste vom Griechischen her erschliessbare Form, die - wie wir oben angenommen haben - auch im Kompositum qo-u-ka-ra steckt. Ohne jetzt auf die Frage der Struktur der indogermanischen Wurzeln und Stämme näher einzugehen, möchte ich doch die Vermutung aussprechen, dass x!XpiX letzten Endes nichts anderes ist als *krb2 , d.h. der Stamm II zum Stamm I *kir~2 28.

Während im Altindischen zu siras (mit s) für die andern Kasus der Stamm sir$dn- (ebenfalls mit s) gebildet wurde, hat das Griechische, wenn wir dem Zeugnis des Mykenischen (ka-ra-a-pi und nicht ka-ra-a2-pi) wirklich trauen dürfen, neben x!XpiX (ohne s) auch in den übrigen Kasus Formen ohne s. Der Hiat würde in diesem Fall letzten Endes auf ein ~2 zurückgehen, also etwa *kr~21}-(t)-. Die griechischen und die altindischen Bildungen sind dann nicht identisch sondern nur parallel, wobei die Verallgemeinerung des s als eine Neuerung zu betrachten wäre.

Innerhalb des Griechischen hätte aber x!XpiX xP!Xoc't"o~ verschiedene ge­naue Entsprechungen, vor allem die Wörter für " Ohr" und " Knie". Man findet also:

Nom. Akk. Stamm der an dem Kasus OUOCT- < *ous1}-t-

VI

y6vu aind. siras

y6vfocT- x(OC)P!XOCT- sir$dn-

Zum Schluss muss noch die Frage gestellt werden, was diese Komposita eigentlich bedeuten. Soweit man aus den Übersetzungen schliessen kann, werden sie im Allgemeinen als Determinativkomposita (Typus !LY)TPO-7t!XTWp), also als "Stierkopf ", "seremo-Kopf", "Eselskopf " oder ähnlich aufge-

28 Es verhält sich also ähnlich wie got. kniu (*gnew-om) " Knie" zu lat. genu, heth. genu " Knie". Bei xa.p& (statt xp& = *krea') wird der Vokal der ersten Silbe irgendwie aus schwundstufigen Formen, z.B. etwa *kora- > xeep- (vor Vokal), stammen. Gegenüber *ker- (in den oben genannten, auf *krn- zurückgehenden Beispielen) ist -a- in *kera­bereits" Wurzelerweiterung ".

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Myk. seremokaraore

fasst: " bull's heads " (Docs. p. 407, L. Palmer, Interpretation 350), " stag's(?) heads" (L. Palmer, ebd. 349), "due teste di sirena (?) " (M. Doria, Avvia­mento 159, nicht ganz klar 234 " ornati di teste di sirene "), " Le Due Teste d' Asino" (M. Doria, ebd. 249, und zwar trotz -o-re; besser 145 "in localita Testa d'Asino") u.s.w. Einzig die Form qo-u-ka-ra wird öfter als Possessiv­kompositum (Typus po8o-Mx:t"UAO~) "mit Stierköpfen versehen" (oder ähnl.) betrachtet: "bovinis capitibus ornata" (A. Morpurgo, Lexicon s.v.), " decorated with boucranion" (L. Palmer, Interpretation 451), "a forma di bucranion " (M. Doria, Avviamento 233) u.s.w. 2

9•

Vom Griechischen aus ist letztere Auffassung ohne Zweifel in Ordnung. Dagegen muss betont werden, dass hier Determinativkomposita im Gegen­satz etwa zum Deutschen ausgesprochen selten sind (s. Verf., IF 59, 1944, I

ff., bes. 5). Nach allem, was wir von der griechischen Wortbildung wissen, müssen wir vielmehr Possessivkomposita erwarten 3? ,fSo1che sind aber an sich adjektivisch/ Da nun alle Stellen allsser Ta 7II (qo-u-ka-ra) substantivische Verwendung zeigen, wird man annehmen, dass diese Komposita früh substan­tiviert worden sind. Dabei sind verschiedene Möglichkeiten denkbar. Wie z.B. 8~-xp(Xvov "das mit den zwei Hörnern oder Zinken" zur " zweizinkigen Gabel" wird, so kann auch" das mit dem Stierkopf " (oder" Stierhörnern " ?) zum "Stierkopf-Ornament" und "das mit dem seremo-Kopf" zum "se­remo-Kopf-Ornament" werden. Beim Ortsnamen o-no-ka-ra-o-re wird man zunächst an " Berg (oder Ort) mit einem Eselskopf " denken. Nicht ausge­schlossen scheint mir aber, dass mit qo-u-ka-ra-o-re, se-re-mo-ka-ra-o-re und se-re-mo-ka-ra-a-pi, vielleicht sogar mit o-no-ka-ra-o-re nicht bloss Ornamente oder Landschaftsformen in der Form von Köpfen, sondern mythische oder dämonische Wesen mit Stierköpfen und dergl., also Gestalten von der Art des Minotauros gemeint sind. Eselsköpfige Dämonen sind bekanntlich auf einem Fresco aus Mykene dargestellt (vergl. L. A. Stella, La civilta micenea 250 und fig. 107) 31.

Zusammenfassung

Als Resultat dieser Untersuchung kann festgehalten werden:

I. An allen Stellen ist -ka-ra-o-re zu lesen, was Dativ oder Instr. Sing. ist. Eine angebliche Dualform -ka-ra-o-i gibt es offenbar nicht; sie wäre auch

.. So offenbar auch M. Lejeune, Rev. Phi!. 32, 1958. 216 Anm. 93. 80 Determinative Bedeutung liegt natürlich dann vor, wenn man se-re-mo-ka-ra-o-re,

-]no-ka-ra-o-re als Zusammenrückungen (unechte Komposita) :Ee:Lpijf.l0~ x., bezw. Kuvo~ x. nimmt. Vergl. oben Abschnitt I.

n Falls hierher gehörig, sind natürlich auch die Personennamen ai-ka-ra und mu­ka-ra (s. Anm. 7) Possessivkomposita, etwa AtxcipiX~ oder AtxpiX~ .. der Ziegenköpfige ". Das Adjektiv a-ka-ra-no &.xcipiXvo~ oder &xpiXvo~? (s. An,m. 7) wäre ein gewöhnliches Pos­sessivkompositum mit einem um -0- erweiterten Stamm.

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66 Ernst Riscb

aus sprachhistorischen und andem morphologischen Gründen unwahr­scheinlich.

2. Belegt sind also folgende Formen:

Nom. (?) Sg. qo-u-ka-ra Instr. Sg. qo-u-ka-ra-o-re se-re-mo-ka-ra-o-re o-no-ka-ra-o-re Instr. PI. ka-ra-a-pi se-re-mo-ka-ra-a-pi

3. Da sich eine Stammerweiterung mit p bei der Wortsippe xcXpoc" Kopf" auch im spätem Griechisch findet, sind Formen mit r im mykenischen Para­digma nicht überraschend. Möglicherweise gab es sie aber nur im Kompositum.

4. Bei einer alten Bildung ist ein Possessivkompositum (Typus po8o­MX'rUAO~) viel wahrscheinlicher als ein Determinativkompositum (Typus (J."1J'rPO-7tcX'rwp), Statt von der Bedeutung "Stierkopf " muss man daher von 11 stierköpfig, mit einem Stierkopf versehen" u.s.w. ausgehen.