JACC | 21. November 2013 | Nahostkorrespondent Johannes Gerloff | Naher Osten im Umbruch
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Transcript of JACC | 21. November 2013 | Nahostkorrespondent Johannes Gerloff | Naher Osten im Umbruch
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20. November 2013
Im Rahmen der Vortragsreihe Forum Frauenkirche
Schriftenreihe zu Grundlagen, Zielen und Ergebnissen der parlamentarischen
Arbeit der CDU-Fraktion des Schsischen Landtages
Naher Osten im Umbruch Israel und die arabische Welt
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cdu-fraktion-sachsen.de
twitter.com/CDU_SLT
facebook.com/cdulandtagsfraktionsachsen
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1Inhaltsverzeichnis
EinfhrungSteffen Flath MdLVorsitzender der CDU-Fraktion des Schsischen Landtages
BegrungSebastian FeydtPfarrer der Frauenkirche
Naher Osten im Umbruch Israel und die arabische WeltJohannes Gerloff Nahostkorrespondent des Christlichen Medienverbundes KEP e.V. und der Nachrichtenagentur www.israelnetz.com
4 6
2 3
7 21
SchlusswortDr. Fritz HhleEhrenprsident des Johann-Amos-Comenius-Clubs Sachsen
22 24 cdu-fraktion-sachsen.de
twitter.com/CDU_SLT
facebook.com/cdulandtagsfraktionsachsen
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2Sebastian Feydt
Begrung
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist Bu- und Bettag, Feiertag im Freistaat Sachsen und der Johann-Amos-Comenius-Club ist zu Gast in der Dresdner Frauen-kirche. Und in welcher Grenordnung! Wir haben eben berlegt, ob das heute ein Rekordbesuch ist.
Ich gre Sie alle herzlich. Als Gste und
Freunde des Clubs, als Brgerinnen und
Brger dieser Stadt, auch als Gste in
Dresden. Ich gre Sie als Verantwor-
tungstrger in der Kommunalpolitik, in
der Landes-, Bundes- und Europapolitik.
Diese Zusammenarbeit, die der Johann-
Amos-Comenius-Club jhrlich am Bu-
und Bettag mit der Stiftung Frauenkir-
che Dresden und insbesondere mit dem
Forum Frauenkirche, der Vortrags- und
Gesprchsreihe, hier in dieser Kirche ein-
geht, verdanken wir einer guten Tradition.
ber viele Jahre ist das so und das gibt mir
Anlass, Ihnen, lieber Herr Flath, fr diese
Kooperation herzlich Dank zu sagen.
Die biblische Botschaft am Bu- und
Bettag bestimmt in unseren Kirchen ein
Gleichnis, das der Evangelist Lukas er-
zhlt. Da hat einer einen Feigenbaum in
seinem Weinberg und er kommt um zu
schauen, ob dieser Baum Frucht trgt.
Und er spricht zu seinem Weingrtner:
Ich komme nun seit drei Jahren und die-
ser Baum trgt keine Frucht. Hau ihn ab!
Und der Weingrtner spricht: Herr, lass
noch dieses eine Jahr vergehen, bis ich
ihn umgegraben und gedngt habe. Viel-
leicht bringt er doch Frucht. Wenn aber
nicht, hau ich ihn ab!
Was trgt dieses berhmte biblische
Wort am Bu- und Bettag zu unserem
heutigen Thema bei: Naher Osten im
Umbruch? Ist die Axt schon angelegt
an den Baum des Friedens, der im Na-
hen Osten wachsen soll? Das Alte Testa-
ment, das erste Testament offenbart uns
den Feigenbaum als ein Zeichen des Frie-
dens und des Wohlstands. Vielleicht ha-
ben Sie diesen Baum vor Augen.
Ist nun die Axt nur angelegt oder ist der
Baum umgehauen, weil nicht ber drei
Jahre, nicht ber fnf oder zehn Jahre,
sondern jahrzehntelang keine Frchte
des Friedens zu sehen sind? Oder gibt es
doch das Wort von der Hoffnung? Viel-
leicht noch ein Jahr. Noch ein Versuch.
Innehalten. Zurcktreten. Umgraben.
Das Unterste zuoberst drehen, dngen,
um einige wenige Frchte des Friedens
zu sehen.
Gibt es dieses Wort der Hoffnung viel-
leicht. Ein Wort, das allen, die im Nahen
Osten leben, eine Perspektive auf ein Le-
-
3ben in Wohlstand, Sicherheit und Frieden
offenbart. Allen: Israelis wie Palstinen-
sern, Muslimen, Christen, Juden und vie-
len anderen Denominationen.
Um Antwort auf diese Frage ist heute Jo-
hannes Gerloff gebeten, den ich herzlich
begre. Sie sprechen als Nahostkorres-
pondent des Christlichen Medienverbun-
des KEPV e. V. Herr Gerloff, Sie sind un-
ter die Kuppel der Dresdner Frauenkirche
gekommen. Diese Kirche prgt mit ih-
rer Botschaft des Friedens. Und Sie pr-
gen heute Nachmittag diesen Raum mit
Ihren Ausfhrungen, vielleicht mit Ih-
ren Antworten auf Fragen, die ich in den
Raum gestellt habe. Neben Ihnen sitzt
Herr Flath und ihm ist es jetzt anheimge-
stellt, Sie vorzustellen und einzufhren.
Herr Flath, Sie haben das Wort.
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4Steffen Flath MdL
Einfhrung
Lieber Herr Pfarrer Sebastian Feydt, ich danke Ihnen fr die freundliche Begrung und die Gastfreundschaft hier in der wun-derbaren Frauenkirche. Seit Jahren pflegen wir eine Kooperation zum Bu- und Bettag zwischen der Stiftung Frauenkirche und der CDU-Landtagsfraktion. Und ich mch-te Ihnen sagen, ich empfinde das nicht als Selbstverstndlichkeit. Vielen Dank fr das gute Miteinander.
Ich begre Sie alle, meine Damen und
Herren, zur Veranstaltung des Johann-
Amos-Comenius-Clubs Sachsen. Lieber
Dr. Fritz Hhle, du hast diese beispiellose
Veranstaltungsreihe in den 90er Jahren
des letzten Jahrhunderts begonnen. Und
dass wir heute die bereits 71. Veranstal-
tung durchfhren, spricht fr sich. Dass
Sie alle gekommen sind, dafr danke ich
Ihnen sehr.
Ich begre Sie als Vorsitzender der CDU-
Landtagsfraktion natrlich stellvertretend
fr die Mitglieder. Ich freue mich, dass
Uta Windisch, meine Stellvertreterin und
Schatzmeisterin der Fraktion, hier ist und
ebenso Aline Fiedler, Thomas Colditz, Ger-
not Krasselt und Gert Mackenroth Platz
genommen haben. Wie so oft bei Veran-
staltungen des Comenius-Clubs sind auch
viele ehemalige Abgeordnete und Minis-
ter wie Dr. Hans Geisler, Dr. Rolf Jhnichen
oder die Staatssekretre Dr. Nees, Dr. Jork,
Dr. Mnch und Dr. Reinfried anwesend.
Ebenfalls begre ich die Herren Brger-
meister Kunze, Dr. Laub, Michaelis, Oer-
tel und Pallas und den Altlandrat Wilfried
Oettel. Die Treue halten uns auch in die-
sem Jahr viele Vertreter der Kirchen, ob
im Amt oder im Ruhestand, auch das ist
fr uns ein groartiges Zeichen der Ver-
bundenheit. Und unter Ihnen, meine Da-
men und Herren, sind viele Prsidenten
von Verbnden, Vorsitzende von Gewerk-
schaften, Aufsichtsratsvorsitzende, Ge-
schftsfhrer von Unternehmen sowie
Direktoren verschiedener Institutionen.
Alle, Herr Pfarrer Feydt hat uns schon
darauf hingewiesen, alle in Deutsch-
land, auer uns Sachsen, mssen heute
arbeiten. Wir haben Feiertag, den Bu-
und Bettag 2013. Bue und beten geh-
ren zum christlichen Leben. Aber wo-
fr? Nun, beten zum Beispiel knnten
wir, dass wir nach den Wahlen im Sep-
tember nun hoffentlich bald eine Regie-
rung in Berlin bekommen. Unser Minis-
terprsident Stanislaw Tillich ich darf
Sie herzlich gren arbeitet auch heute
in Berlin am Koalitionsvertrag mit. Er un-
tersttzt dabei Angela Merkel, die hof-
fentlich bald wieder zur Bundeskanzle-
rin gewhlt werden kann.
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5Beten zum Beispiel fr Asylsuchende, da-
mit sie in Deutschland unter uns keine
Angst haben oder im Mittelmeer ertrin-
ken mssen. Beten aber auch fr die, die
zum Beispiel neben der Landesaufnah-
mestelle fr Asylsuchende in Chemnitz
wohnen. Oder beten fr die Polizisten,
die dort manchmal nachts um sich schla-
gende Tschetschenen und Nordafrikaner
bndigen und wieder trennen mssen.
Vergessen wir nicht, auch diese Polizis-
ten haben Angst. Beten zum Beispiel fr
syrische Flchtlinge oder verfolgte Chris-
ten in vielen Lndern dieser Welt.
Und Bue wre, einmal darber nach-
zudenken, ob wir nicht etwas zu viel fr
uns selbst beanspruchen. Oder aber, ob
wir nicht oft zu schnell und zu oft auch
ungerecht ber andere urteilen.
Und sptestens jetzt, meine Damen und
Herren, sind unsere Gedanken in Israel
angekommen. Begleitet von Wolfgang
Baake, dem Geschftsfhrer des Christ-
lichen Medienverbundes, begren Sie
mit mir den Journalisten Johannes Ger-
loff, der heute Morgen von Jerusalem
hierher geflogen ist. Mir fllt ein Stein
vom Herzen, dass er gut angekommen
ist. Herzlich Willkommen im Johann-
Amos-Comenius-Club.
Johannes Gerloff ist Journalist und Theo-
loge, er ist verheiratet und hat mit seiner
Frau fnf Kinder. Seit fast 20 Jahren lebt
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-
6er in Jerusalem und vor sechs Jahren ha-
ben wir uns kennengelernt. Fritz Hhle
war es, der mich damals mit nach Israel
genommen hat. Ich war Kultusminister
und in Yad Vashem habe ich fr Sach-
sen einen Vertrag unterzeichnet. Wir
waren in einer Schule direkt am Gaza-
streifen und wir besuchten einen Ausch-
witz-berlebenden in seinem Haus im
Siedlungsgebiet.
Gespannt lauschte ich damals den Be-
richten und Einschtzungen von Johan-
nes Gerloff und ich hatte mir gedacht,
das knnte viele hier in Sachsen interes-
sieren. Und so habe ich versprochen, ihn
nach Sachsen zum Vortrag einzuladen.
Schlielich ist es Uta Windisch zu verdan-
ken, die sehr dazu beigetragen hat, dass
es tatschlich gelungen ist, nach sechs
Jahren ein Versprechen heute hier einzu-
lsen. Ich hoffe, wir alle verstehen nach
diesem Vortrag von Johannes Gerloff die
Menschen in Israel besser und sind et-
was vorsichtiger, wenn wir hier aus dem
warmen Wohnzimmer vorm Fernseher
sitzend, so manchmal urteilen. Ich freue
mich jetzt auf den Vortrag, lieber Johan-
nes Gerloff, Sie haben das Wort.
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7Sehr verehrte Damen und Herren,
seit nunmehr einigen Jahren sind wir
Zeitzeugen eines Umbruchs in Nordaf-
rika und dem Nahen Osten, der die Ge-
sellschafts- und Staatenordnung um-
strzt, die nach dem Ersten Weltkrieg
entstanden ist. Wohin der so genannte
Arabische Frhling fhren wird, wei
heute niemand. Allerdings knnen wir
jetzt schon sagen: Der Orient, wie wir ihn
bis vor zehn Jahren gekannt haben, wird
nie mehr derselbe sein.
Unvorstellbare Grausamkeiten haben
Wunden in Gesellschaften und Men-
schenleben gerissen. Hunderttausende
von Menschen wurden gettet. Das al-
les wird Generationen brauchen, um zu
heilen. Und im Moment sind wir noch
gar nicht an einem Punkt angelangt, an
dem wir von Wiederherstellung oder gar
Heilung reden knnten. Der Brand des
wunderschnen Basars von Aleppo in
Nordsyrien ist mir persnlich ein Sym-
bol dafr, dass diese Revolution histo-
rische Schtze zerstrt, die unersetzbar
sind. Uralte religise und kulturelle Ge-
meinschaften haben ihr Ende vor Augen.
Denken Sie nur daran, dass schon im
Neuen Testament (Apostelgeschichte 9)
Naher Osten im Umbruch Israel und die arabische WeltJohannes Gerloff
eine christliche Gemeinde in Damaskus
erwhnt wird. Erstmals in der Geschichte
hat die Strae in der arabischen Welt
Macht geschmeckt. Einfache Menschen
haben erkannt, dass sie sich ihre poli-
tische Ordnung nicht diktieren lassen
mssen. Allmchtig geglaubte Herr-
scher knnen gestrzt werden. Deshalb
ist der Arabische Frhling nicht nur Re-
bellion oder Aufstand, sondern eine Re-
volution. Schon jetzt wurde unumkehrbar
Neues hervorgebracht. Ob das notwen-
digerweise besser ist, bleibt abzuwar-
ten. Dabei ist die Gesellschafts- und Re-
gierungsform, die wir als Demokratie
propagieren, in keinem arabischen Land
auch nur als entfernte Option am Hori-
zont erkennbar.
Wenn ich Ihnen heute einige Beobach-
tungen und berlegungen aus meiner
Perspektive mitteile, ist Verzerrung und
Fehlurteil vorprogrammiert.
Ich arbeite und lebe mit meiner Fami-
lie in Israel. Der Vorteil des Standorts
Jerusalem liegt auf der Hand: Ich muss
nur die Haustr ffnen und sehe mich
Menschen gegenber, die aus Tunesien,
Marokko, Libyen und gypten, aus Sy-
rien, dem Jemen, dem Irak und dem Iran
stammen; die sich dort auskennen, die
-
8Landessprache sprechen und nicht sel-
ten mit Freunden und Verwandten in die-
sen Lndern regen Kontakt pflegen. Mit
der Grndung des Staates Israel wurden
Ende der 1940er Jahre nicht nur 700 000
bis 900 000 Araber zu Flchtlingen, son-
dern auch eine Million arabischer Juden
gezielt aus ihrer Heimat vertrieben. Dass
die Lnder der Arabischen Liga eine ge-
plante ethnische Suberung ihrer jdi-
schen Brger im Sinn hatten, ist heute
durch Dokumente im Archiv der Verein-
ten Nationen belegt.1
Wie eng die Verbindungen zwischen den
Lndern des Nahen Ostens sind, zeigte
sich im August. Damals erfuhr die Familie
Waqed aus Nazareth, dass bei dem Che-
miewaffen-Massaker in einem Vorort von
Damaskus 21 ihrer Verwandten ermordet
wurden darunter eine Mutter und ihre
sechs Kinder, sowie ein Ehepaar mitsamt
seinen vier Kindern. ber Verwandte in
Jordanien war die Nachricht nach Israel
gelangt. Beim selben Vorfall waren auch
elf Mitglieder der Familie Churani aus der
palstinensischen Stadt Dschenin ums
Leben gekommen. Die Opfer waren im
Alter von drei bis 75 Jahren.
Einerseits sind wir in Israel ganz nahe
dran am Arabischen Frhling. Gleich-
zeitig sind wir fast aber genauso weit da-
von entfernt wie Europa oder, um es mit
den Worten eines Israelis zu sagen: Wir
sind eine Villa im Dschungel. Die Ge-
fahr der Verzerrung und des Fehlurteils
kommen nun aus der Nhe Israels zum
Orient. Sie kommt aus unserer Nhe zu,
unserem Interesse fr und unserer Kon-
zentration auf den jdischen Staat und
dem eigenartigen Mythos, der Nahost-
konflikt also, der Konflikt zwischen
dem jdischen Staat und seinen arabi-
schen Nachbarn oder gar Israels Schwie-
rigkeiten mit den Palstinensern, sei
orientalisch blumig gesagt die Mut-
ter aller Konflikte. Tatsache ist, dass die
Auseinandersetzung zwischen Israelis
und Arabern mit den aktuellen Umwl-
zungen in der arabisch-islamischen Welt
berhaupt nichts zu tun hat. Daran n-
dert auch nicht, dass sich Juden und vor
allem Israelis selbst nur zu gerne fr den
Nabel der Welt halten, fr alles verant-
wortlich zu sein meinen und alles ver-
bessern meinen zu knnen. Politisch ge-
sehen ist Israel im Arabischen Frhling
schlicht irrelevant. Aber selbstverstnd-
lich hat der Arabische Frhling eine hohe
Relevanz fr die Zukunft Israels. Deshalb
ist es durchaus berechtigt, sich das Ge-
schehen im Nahen Osten aus israelischer
Sicht und mit besonderem Fokus auf Is-
rael zu betrachten.
Der Iran
ist zwar kein arabisches Land, aber ei-
ner der einflussreichen Spieler auf der
1 Cf. z.B. Jews Displaced from Arab Countries: A Story of Collusion, http://www.justiceforjews.com/chrono_web.pdf (zuletzt eingesehen am 17.11.2013).
-
9politischen Bhne des Nahen Ostens.
Mit der Wahl von Hassan Rouhani zum
7. Prsidenten der Islamischen Republik
Iran hat sich aus israelischer Sicht nichts
gendert. Der eigentliche Machthaber
im Land ist wie schon zu Zeiten seines
Vorgngers Mahmud Ahmadinedschad
der Oberste Fhrer Ayatollah Ali Kha-
menei. Seit der Revolution im Jahre 1979
ist aus dem Iran mit unterschiedlichen
Formulierungen und in verschiedenen
Variationen immer wieder zu hren, das
zionistische Gebilde msse von der
Landkarte verschwinden. Wohlgemerkt,
soweit mir bekannt, hat bislang kein ira-
nischer Fhrer direkt gefordert, der Iran
msse Israel vernichten. Es wird lediglich
prophezeit, Israel werde verschwinden.
Gleichzeitig deuten alle Indizien dar-
auf, dass der Iran nicht nur eine zivile
Nutzung der Atomkraft verfolgt, son-
dern ein waffenfhiges Programm auf-
zubauen sucht.
Und schlielich hat das Land in den ver-
gangenen Jahren Mittel entwickelt, die
es ihm ermglichen, eine Atombombe
an einen effektiven Explosionsort zu be-
frdern etwa durch sein weit reichen-
des Raketenprogramm.
In Israel ist sich jeder, der etwas vom Iran
versteht, darber im Klaren, dass die Ira-
ner kein Volk von traditionellen Israel-
hassern sind. Im Gegenteil wei man,
welche Rolle der Iran bei der Flucht und
Rettung der irakischen Juden Anfang der
1950er Jahre gespielt hat. Zur Zeit des
Schahs war Israel einer der engsten Part-
ner Persiens und das war offensicht-
lich nicht nur eine von oben verordnete
Freundschaft. Bis heute steht der Iran
nicht auf Israels Liste von Feindstaaten
und noch vor wenigen Jahren gerieten
Israelis in die Schlagzeilen, wenn sie auf
Iranreisen nachdrcklich zur Mitarbeit
fr den iranischen Geheimdienst aufge-
fordert wurden und aus diesem Grunde
ihr Urlaub im Iran unfreiwillig verlngert
wurde. Zu den ursprnglichen Partnern
des iranischen Atomprogramms gehrte
neben Deutschland auch Israel. Viele Ira-
ner bewundern die Israelis und der tra-
ditionelle Hass zwischen Schiiten und
Sunniten, ebenso wie der Graben, der
Araber und Perser voneinander trennt,
verbunden mit dem alten Reflex der
Feind meines Feindes ist mein Freund,
spricht eher fr eine tiefe iranisch-israe-
lische Verbundenheit. Nicht selten hre
ich von iranisch-stmmigen Israelis, wie
sehr sie sich in ihre alte Heimat und Kul-
tur zurcksehnen.
Aber der eigenartige Mix von Hege-
monialstreben, religisen Ambitionen,
apokalyptischen Spekulationen, anti-is-
raelischer Martial-Rhetorik und einem
hochentwickelten Nuklearprogramm las-
sen der israelischen Regierung ganz
unabhngig davon, wer sie nun stellt
-
10
kaum Spielraum fr intellektuelle Diffe-
renzierungen. Wir drfen nicht verges-
sen: Raison d'tre des Staates Israel ist
und bleibt, die Existenz des jdischen
Volkes sicher zu stellen. Dabei ist fr uns
Nichtjuden nur schwer nachvollziehbar,
dass das jdische Volk bis heute verbal
immer wieder in seiner bloen Existenz
in Frage gestellt wird. Fr uns Mitteleu-
roper gab es (zumindest kollektiv) im-
mer nur eine politische oder ideologische
Bedrohung. Fr Juden ist das etwas ganz
Anderes. Deshalb kann sich eine israeli-
sche Regierung mit nicht weniger begn-
gen als mit dem absoluten Ausschlieen
jeder Mglichkeit, dass die Islamische Re-
publik Iran eine Atombombe bekommt.
Dabei ist man sich in Jerusalem und Tel
Aviv durchaus darber im Klaren, dass
sich ein nuklear bewaffneter Iran mit
militrischen Mitteln nicht verhindern,
hchstens verzgern lsst. Und man wei
auch, dass ein einfacher Militrschlag ge-
gen das riesige Reich im Osten viel mehr
unerwnschte Nebenwirkungen etwa
in der Stimmung der iranischen Bevl-
kerung gegenber Israel und im Blick auf
die eigene Mullahkratie haben wird,
als dass er sich lohnen wrde. Zudem er-
scheint gar nicht so sehr ein nuklear auf-
gersteter Iran aus israelischer Perspek-
tive das Problem, als vielmehr die Frage,
wie man damit umgehen kann, wenn nu-
kleares Material in die Hnde von Ter-
rororganisationen gelangen sollte. Und
dann ist da das Gespenst eines unkon-
ventionellen Rstungswettlaufs zwi-
schen der schiitischen Welt unter der
Fhrung des Iran und der arabischen,
mehrheitlich sunnitischen Welt. Man be-
denke: Eine mutmaliche Atommacht Is-
rael war fr sunnitische Staaten wie die
Trkei, Saudi Arabien oder gypten kein
Grund, ber ein eigenes Atomwaffenpro-
gramm nachzudenken. Erst mit dem Auf-
stieg einer real vorstellbaren Atommacht
Iran hat sich das grundlegend gendert.
Heute denkt man in diesen Lndern laut
ber die Notwendigkeit eigener Nukle-
arwaffenprogramme nach.
Zum Arabischen Frhling
mchte ich Ihnen einige Beobachtun-
gen und Anmerkungen weitergeben. Ei-
niges habe ich bereits angedeutet. Ein
zusammenhngendes Bild zu vermitteln
ist heute noch kaum mglich. Der An-
teil dessen, was wir nicht wissen, ist weit
hher als das, was wir wissen. Was wir
wissen, sind Einzel- oder Puzzleteile, die
eher widersprchlich erscheinen, als ei-
nander erklren.
Der Arabische Frhling hat deutlich ver-
gegenwrtigt, dass der gesamte arabi-
sche Raum, vom Maghreb am Atlantik
im Westen bis ins Zweistromland, von
der Zentral-Sahara bis hinauf an die Kur-
dengebiete, ein zusammenhngender
Kulturraum ist. Was ein Mensch in Tu-
-
11
nesien twittert, geht die Menschen in
Syrien an. Wenn einer in gypten face-
booked, interessiert das im Jemen oder
auch in Marokko.
Gleichzeitig lsst sich kaum ein Land,
kaum eine Region in ihrem Wesen, in ih-
rer Zusammensetzung, in ihren Heraus-
forderungen und ihrer Entwicklung mit
einer anderen vergleichen. In gypten ist
es ein Militrregime, das mit der Muslim-
bruderschaft um die Vorherrschaft ringt.
In Libyen sind es drei groe Stammes-
verbnde, in Syrien eine Minderheiten-
koalition gegen die sunnitische Mehr-
heit. Am stabilsten erscheinen bislang
die Monarchien, die eine westliche Ori-
entierung mit einer religisen Legitimie-
rung ihres Machtanspruchs verbinden.
So leiten etwa Knig Abdallah II. von Jor-
danien und Knig Mohammed VI. von
Marokko ihre Herkunft direkt vom Pro-
pheten Mohammed ab.
Sptestens mit dem Fall von Saddam
Hussein im April 2003 ist in der arabi-
schen Welt ein Machtvakuum entstan-
den. Die Menschen fragen: Wer vertritt
uns und unsere Interessen glaubhaft ge-
genber der westlichen Welt? In die-
ses Machtvakuum hinein melden sich
Mchte mit uralten, teils aus der Antike
stammenden Machtansprchen zu Wort:
Der Iran, die Trkei, gypten. Nicht we-
nige Verhaltensweisen und politische
Entscheidungen dieser Spieler im Na-
hen Osten lassen sich auf diesem Hin-
tergrund erklren. Dazu gehren etwa
die antizionistischen Hasstiraden in Te-
heran, aber auch der propagandistisch
motivierte trkische Hilfskonvoi, der
Ende Mai 2010 vor der Kste von Gaza
ein unrhmliches Ende fand. Die Kehrt-
wende in der Politik der Trkei, die jahr-
zehntelang der engste Partner Israels im
Nahen Osten war, ist auf diesem Hinter-
grund zu verstehen. Nachdem die euro-
pische Option fr die Trken in immer
weitere Ferne zu rcken scheint, orien-
tiert man sich neu in Richtung islami-
sche Welt, erinnert sich daran, wer bis
1917 vierhundert Jahre lang den Nahen
Osten beherrscht hat und meldet die-
sen alten Herrschaftsanspruch neu an.
Die Politik des Westens vor allem Ame-
rikas hat in den vergangenen Jahren zu
einem sprbaren Glaubwrdigkeits- und
Vertrauensverlust gefhrt. Die Rede von
Prsident Obama Anfang Juni 2009 an
der Al-Azhar-Universitt in Kairo wurde
von nicht wenigen als Annherung der
Amerikaner an die Muslimbruderschaft
empfunden. Als die Amerikaner im Fe-
bruar 2011 ihren treuen Verbndeten
von drei Jahrzehnten innerhalb weniger
Tage fallen lieen, war jedem Menschen
in der Arabischen Welt ganz gleich wel-
cher politischen oder religisen Couleur
klar: Auf den Westen ist kein Verlass.
Wenn es deren Interessen dient, lassen
sie dich fallen wie eine heie Kartoffel.
-
12
De facto gilt die Untersttzung des von
Amerika angefhrten Westens im Na-
hen Osten heute den Gruppierungen,
die wir als Muslimbruderschaft, Salafi-
ten und Al-Qaida kennen auch wenn
es nicht offiziell ausgesprochen ist. Dass
dies nicht erklrten westlichen Absich-
ten entspricht, ist allen Beteiligten klar
trgt aber wenig dazu bei, die Glaub-
wrdigkeit des Westens zu rehabilitie-
ren. Interessant in diesem Zusammen-
hang ist die Politik Russlands, das wieder
ganz neu im Nahen Osten Fu zu fassen
sucht. Auch die Chinesen sind auf stille
Weise, meist hinter den Kulissen, aber
zielstrebig dabei, ihren Einflussbereich
auszuweiten.
Israel schottet sich zunchst einmal ab,
baut Grenzanlagen auf den Golanhhen
und im Sinai aus und lsst die Akteure,
wenn es zu Berhrungen kommt, wis-
sen, dass mit dem jdischen Staat nicht
zu spaen ist. Aber die Schotten dicht
machen, ist auf die Dauer nicht mglich.
Israel muss mit seinen Nachbarn leben.
Deshalb mht man sich, zu verstehen,
wer in den Nachbarlndern gegen wen
steht, wer welche Absichten hat und wel-
che Ziele verfolgt.
In Syrien etwa kommen uralte Stammes-
fehden und Religionskonflikte neu zur
Geltung. In Israel rtseln Akademiker
und Militrs, wer da gegeneinander zu
Gange ist, und suchen nach Definitio-
nen: Sunniten gegen Schiiten, Skulare
gegen Religise, Konservative gegen Ex-
tremisten. Die Liste liee sich fortfhren.
Gegen das Assad-Regime und seine Ver-
bndeten (Iran, die libanesische Hisbol-
lah) kmpft ein unberschaubares Heer
von Milizen und Dschihadisten aus aller
Welt. Ein Forscher am Interdisziplinren
Institut in Herzlia hat aufgrund von Bil-
dern aus dem Internet Kmpfer aus 83
Lndern identifiziert, darunter etwa eine
Gruppe von 50 Finnen. Auf die Frage,
was diese Leute verbindet und warum
sie sich ausgerechnet Syrien als Kriegs-
schauplatz ausgesucht haben warum
sie nicht etwa frher im Irak oder auf der
sdlichen Arabischen Halbinsel oder in
Somalia in hnlicher Weise zu Hauf ge-
kommen sind erhlt man gruselige, re-
ligis-ideologische Antworten. Einer der
Forscher hat herausgefunden, dass sie
die Wiederkunft von Jesus Christus er-
warten; dass er alle wahrhaft Glubigen
in Syrien sammeln werde, um sie dann
gegen den endzeitlichen Antichristen
und sein jdisches Heer in die Schlacht
zu fhren. Ich erspare Ihnen weitere Ein-
zelheiten.
Die Auswirkungen des Arabischen Frh-
lings auf Israel sind vielfltig. Viele Isra-
elis sind froh, dass es zu dem Frieden mit
Syrien, den etwa der ehemalige Minis-
terprsident Jitzchak Rabin angestrebt
hat, nie gekommen ist. Sonst stnden die
Dschihadisten heute am Ufer des See Ge-
-
13
nezareth. Arabische Christen in Israel ma-
chen sich Gedanken ber ihre Zukunft.
Sie treten wie in den vergangenen Mo-
naten geschehen an die ffentlichkeit
mit der Forderung, zur Wehrpflicht in die
israelische Armee einbezogen zu wer-
den. Pater Gabriel Naddaf aus der Nhe
von Nazareth scheut sich nicht, vor der
Presse zu verknden: Wenn wir heute
nicht Schulter an Schulter mit den Juden
Dienst an der Waffe tun, wird es uns in
fnfzig Jahren nicht mehr geben.
Natrlich bleiben von alledem auch
die israelisch-palstinensischen Beziehungen nicht unberhrt.
Die aktuellen Friedensverhandlungen fin-
den hinter verschlossenen Tren statt.
In der ffentlichkeit kann niemand et-
was zum tatschlichen Stand der Dinge
sagen.
Aber die Parameter fr eine Einigung zwi-
schen Israelis und Palstinensern sind
sptestens seit dem Clinton-Plan vom
Sommer 2000 klar. Es geht
1. um einen Palstinenserstaat auf ca. 94-96% der Westbank
2. in den Grenzen von 1967 das heit, korrekterweise muss man
sagen, den Waffenstillstandslinien
von 1949.
3. Die groen Siedlungsblcke bleiben bei Israel.
4. Im Austausch dafr bekommen die Palstinenser von Israel entspre-
chende Gebiete, die an die Palsti-
nensergebiete grenzen.
5. palstinensische Flchtlinge drfen nur in den Palstinenserstaat zu-
rckkehren,
6. der demilitarisiert sein wird.
Unklar ist nach wie vor die Zukunft des
Gazastreifens und Ostjerusalems.
Wenn man heute durch die Palstinen-
sische Autonomie fhrt, fllt der Bau-
boom auf. Dabei werden nicht nur Sozial-
wohnungen gebaut schon gar nicht fr
rckkehrwillige Flchtlinge sondern Lu-
xusappartements und Palste, die ihres-
gleichen im benachbarten Israel suchen.
Die Stdte Palstinas blhen. Die Super-
mrkte sind gefllt. Palstinenser reisen
in der ganzen Welt herum. Manch einer
fragt sich: Was ist eigentlich so schlecht
am Status quo? Das ist keine Rechtfer-
tigung von Missstnden, aber es geht
heute einem Durchschnittspalstinen-
ser im Nahen Osten nirgends so gut, wie
unter israelischer Besatzung.
-
14
Was verhindert ein Abkommen zwischen Israel und den Palsti-nensern? Da ist zunchst und das ist vielleicht
der entscheidendste Punkt! die Stim-
mung in der Bevlkerung. Sowohl auf is-
raelischer, wie auch auf palstinensischer
Seite sehen sich die Unterhndler vor der
schier unberwindbaren Herausforde-
rung, wie sie ihrem jeweiligen Elektorat
verkaufen sollen, was sie ausgehandelt
haben. Von Meinungsforschern habe ich
vor einiger Zeit gehrt: Die gemigts-
ten Palstinenser und die liberalsten Isra-
elis haben praktisch keine deckungsglei-
chen Bereiche in ihren Meinungen ber
die politische Zukunft und beide haben
keinerlei Chance einen nennenswerten
Rckhalt in ihrer jeweiligen Bevlkerung
zu bekommen. Ein israelischer Professor,
der in Talkshows in Deutschland gerne
zu Rate gezogen wird, meinte vor eini-
ger Zeit in einem privaten Gesprch: Die
Leute, die mich untersttzen, haben be-
quem in einer Telefonzelle Platz. Im Ja-
nuar 2011 verffentlichte der arabische
Nachrichtensender Al-Dschasira die so-
genannten PaliLeaks in Anlehnung an
Wikileaks:2 1.684 als vertraulich einge-
stufte Dokumente aus den vorhergegan-
genen elf Jahren israelisch-palstinensi-
scher Verhandlungen. Das Ergebnis war,
dass Chefunterhndler Saeb Erekat um
sein Leben frchten musste. Schleunigst
suchte man zu dementieren, was Schwarz
auf Wei geschrieben stand. Die Palsti-
nensische Autonomiebehrde bemhte
sich die Dokumente als Flschungen dar-
zustellen. Ein christlicher Palstinenser in
Bethlehem vertraute mir bereits vor eini-
gen Jahren an: Abu Mazen wie der pa-
lstinensische Prsident Mahmud Abbas
im Volk genannt wird muss sich ent-
scheiden zwischen Gesprchen mit Israel
und der Popularitt im eigenen Volk. Bei-
des zusammen geht nicht.
Fr Israelis sind die Rckzugserfahrun-
gen, im Jahr 2000 aus dem Sdlibanon
und 2005 aus dem Gazastreifen, wenig
ermutigend im Blick auf einen Friedens-
prozess, fr nicht wenige gar traumatisch.
Land fr Frieden hat noch nie in der Ge-
schichte funktioniert. In Israel wei heute
jedes Kind, dass man fr Land nur Raketen
und Radikalisierung und neue Bedrohun-
gen bekommt nicht aber Frieden.
Ein weiterer Grund fr das Scheitern ei-
ner politischen Einigung sind vollkom-
men berzogene und unrealistische Er-
wartungen in ganz unterschiedlichen
Bereichen die von westlichen Politikern
und Journalisten auch stndig am Leben
erhalten und geschrt werden.
Um Beispiele zu nennen: Ein Staat Pals-
tina wird niemals gleichberechtigt sou-
vern neben Israel stehen, solange in der
UNO auch nur ein Staat prophezeit, der
2 Todd Warnick, Palileaks Gone Wild (MONDAY, JANUARY 24, 2011): http://www.jerusalemcentral.com/2011/01/palileaks-gone-wild.html (14.10.2013).
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15
Schandfleck Israel [msse] von der Land-
karte verschwinden. Die Palstinenser
werden niemals gleichberechtigt mit Is-
rael eine Panzerarmee, eine Luftwaffe, U-
Boot-Marine haben, oder militrisch mit
ihren iranischen Freunden auf eigenem
Territorium zusammenarbeiten knnen,
wie das die Israelis etwa mit ihren ame-
rikanischen Freunden tun. Palstina wird
niemals existieren knnen als gbe es kein
Israel sowie auch der jdische Staat Israel
niemals ohne die umliegenden arabischen
Vlker existieren wird.
hnliches gilt fr die Frage der israeli-
schen Siedlungen auf den umstrittenen
Gebieten. Der Politikwissenschaftler Pro-
fessor Schlomo Avineri war unter Jitzchak
Rabin Generaldirektor des Auenministe-
riums. Er selbst ist davon berzeugt, dass
jedes jdische Haus auf Gebiet, das vor
1967 jordanisch war, eine politische Ver-
fehlung ist. Trotzdem ist er der Ansicht,
dass die von manchen westlichen Politi-
kern geforderte Rumung aller Siedlun-
gen politisch schlicht nicht durchsetzbar
wre. Avineri meint, dass auch eine Dikta-
tur keine fnf bis zehn Prozent ihrer Be-
vlkerung umsiedeln knnte es sei denn
nach einem total verlorenen Krieg.
Ein weiteres entscheidendes Problem fr
die Zweistaatenlsung ist, dass die Pals-
tinenser vielfach selbst gar keinen Staat
wollen. Vor einem halben Jahrzehnt habe
ich diese Behauptung noch aufgestellt,
um meine Gesprchspartner zu provozie-
ren und eine Diskussion in Gang zu set-
zen. Mittlerweile ist mir klar, dass es mehr
als eine provokante Behauptung ist. Im
Januar 2006 hat mir der Hamas-Scheich
Nayef Radschub aus Dura in den sdlichen
Hebronbergen erklrt, dass ein National-
staat unislamisch sei, eine europische
Erfindung und soweit im Nahen Osten
vorhanden ein kolonialistisches Diktat.
Tatschlich werden die Gesinnungsge-
nossen von Scheich Radschub heute im-
mer wortgewaltiger und sind politisch
wie militrisch nicht mehr einfach als ir-
relevant abzutun. Aber auch aus christ-
lichen Kreisen unter den Palstinensern
wird die Zweistaatenlsung nicht wirklich
bejubelt. In Kairos-Palstina-Dokument,
das in bestimmten Kreisen der Evangeli-
schen Kirche in Deutschland viel Beach-
tung fand, findet man keinen Hinweis auf
zwei Staaten fr zwei Vlker. Der evan-
gelikale Baptistenpastor und Mitbegrn-
der des Bethlehem Bible College, Alex
Awad, schreibt in einer grundstzlichen
theologischen Positionierung im Septem-
ber 2011: Der Verfasser wrde eine Ein-
Staaten-Lsung vorziehen, weil sie seiner
Meinung nach die demokratischste und
gerechteste Lsung wre. Ihm ist jedoch
klar, dass diese Lsung nicht zu erreichen
ist, weil sie von der Mehrheit der Israelis
abgelehnt wird. Es bleibt also nur die Zwei-
Staaten-Lsung, Israel und Palstina.3
3 Alex Awad, Studienleiter des Bethlehem Bible College, im September 2011 in der Ausarbeitung Grundstzliche theologische Positionen Bethlehem Bible College (BBC).
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16
Oder, um ein letztes Beispiel zu erwhnen:
In einem vom Christlichen Medienver-
bund KEP herausgegebenen Israelreport
aus dem vergangenen Jahr beantwortet
der in Deutschland lebende palstinen-
sische Israeli Ahmad Mansour die Frage,
was denn geschehen msse, damit es
zu einem umfassenden Frieden kommt:
Auf palstinensischer Seite brauchen wir
Krfte, die einen palstinensischen Staat
wollen und Israel akzeptieren.
Ganz bestimmt hilfreich fr den politi-
schen Prozess zwischen Israel und den
Palstinensern wre, wenn westliche Ak-
teure (Politiker, Journalisten, Mitarbeiter
von NGOs) mehr Bezug zur Realitt des
Nahen Ostens, zu seiner Geschichte und
den aktuellen Entwicklungen htten. Mit
mehr Realittsbezug meine ich nicht,
dass wir alles gut heien sollen, was wir
im Nahen Osten sehen. Aber wir soll-
ten die Realitt dort, das heit, histori-
sche Entwicklungen, Mentalitten und
Denkweisen sehen, zu verstehen suchen
und ernst nehmen. Ob uns das gefllt
oder nicht: Religion spielt im Nahen Os-
ten eine andere Rolle, als in Europa das
skulare Europa ist auf dem Rckzug und
wird mehr und mehr zum Ghetto.
Wenn wir im Nahen Osten ernst genom-
men werden wollen, mssen wir uns ent-
scheiden, zwischen unseren westlich-
christlichen Werten und der quidistanz
zu den Parteien in diesem Konflikt. Da-
bei steht unsere Glaubwrdigkeit auf dem
Spiel! Wir mssen Unterschiede zwischen
den Aussagen der Bibel und des Koran
wahrnehmen und es wagen, diese beim
Namen zu nennen. Wenn ein Muslim fried-
lich und wirklich gleichberechtigt Seite an
Seite mit einem selbstbestimmten Juden
leben will, muss er im Koran mehr umin-
terpretieren, neu verstehen oder auch
ignorieren, als ein seiner Tradition ver-
pflichteter Christ in der Bibel. Es ist wich-
tig, dass wir die Einstellung des radika-
len Islams zum jdischen Volk etwa den
kaum verhohlenen Traum von einer knf-
tig judenreinen Welt wahrnehmen. Die
Einstellung der islamischen Tradition zur
Wahrheit, zur Gewalt, zur Gleichberech-
tigung zwischen den Geschlechtern und
von Andersdenkenden, ist fr einen gro-
en Teil der Menschheit prgend. Araber
und Muslime haben andere Werte und er-
warten vom Leben etwas anderes als wir.
Zu einem Realittsbezug im Nahen Osten
gehrt auch, dass wir die jdischen Sied-
lungen sehen, als das, was sie tatschlich
sind, keine Politik von oben diktiert a la
Stalin oder Hitler, sondern eine Grass-
Roots-Bewegung, die letztendlich so
stark geworden ist und so viel Rckhalt
im Volk bekommen hat, dass Politiker
sich dem Druck beugen mussten.
Im vergangenen Herbst hat Israels Bot-
schafter a.D. in Kanada, Alan Baker, einen
Brief an US-Auenminister John Kerry
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verfasst. Mit Erlaubnis von Botschafter
Baker darf ich Ihnen daraus zitieren:
Alan Baker, Rechtsanwalt, Botschafter a.D.
The Hon. John Kerry, U.S. Secretary of State, The State Department, Washington D.C.
8. November 2013
Sehr geehrter Herr Auenminister Kerry,
nachdem ich in den vergangenen Wochen wiederholt gehrt habe, wie sie die israe-lischen Siedlungen als nicht legitim [ille-gal] bezeichnet haben, mchte ich mit allem Respekt, aber unmissverstndlich entgeg-nen: Sie irren sich und wurden schlecht bera-ten, sowohl im Blick auf die rechtliche Lage, wie auch faktisch.
In den Abkommen von Oslo und insbe-sondere im israelisch-palstinensischen In-terimabkommen (1995) ist die Frage der Siedlungen einer der Gegenstnde, die in den Endstatusverhandlungen ausgehandelt werden mssen. Fr die Vereinigten Staa-ten hat Prsident Bill Clinton als Zeuge die-ses Abkommen unterzeichnet, gemeinsam mit fhrenden Vertretern der EU, Russlands, gyptens, Jordaniens und Norwegens.
Ihre uerungen sind nicht nur eine Vor-wegnahme dieses Verhandlungsgegen-
stands, sondern unterminieren dieses Ab-kommen, wie auch die Verhandlungen, die Sie so begeistert untersttzen.
Ihre Behauptung, israelische Siedlungen seien illegitim, kann von einem rechtlichen Standpunkt aus nicht bewiesen werden. Das so hufig zitierte Verbot eines Bevl-kerungstransfers in besetzte Gebiete (Arti-kel 49 der 4. Genfer Konvention) war, laut der eigenen offiziellen Auslegung dieser Konvention durch das Internationale Ko-mitee des Roten Kreuzes, 1949 entworfen worden, um den Massentransfer von Bevl-kerung durch die Nazis im Zweiten Welt-krieg zu verhindern. Sie war niemals fr die israelische Siedlungsttigkeit gedacht. Anstrengungen in der internationalen Ge-meinschaft, diesen Artikel auf Israel anzu-wenden, entspringen eindeutig propagan-distischen Interessen, mit denen Sie und die USA sich jetzt identifizieren.
Formal kann diese Konvention nicht auf die umstrittenen Gebiete angewandt werden, weil sie niemals als Gebiete einer anderen, vorher dort prsenten, legitimen souver-nen Macht besetzt wurden.
Diese Gebiete knnen nicht als palstinen-sische Gebiete oder wie Sie selbst das hu-fig tun, als Palstina, bezeichnet werden. Eine so genannte Einheit existiert nicht und es ist Zweck der Endstatusverhandlungen durch ein Abkommen den Status der Ge-biete festzulegen, auf die Israel einen legiti-
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men Anspruch hat, auf der Grundlage von internationalem und historischem Recht. Wie knnen Sie sich anmaen, diese Ver-handlungen zu unterminieren?
In keinem der von Israel und den Palsti-nensern unterzeichneten Abkommen gibt es eine Verpflichtung, dass Israel die Sied-lungsttigkeit einstellt oder auch nur ein-friert. Das Gegenteil ist der Fall. Das oben erwhnte Interimabkommen von 1995 er-mchtigt beide Parteien in den Gebieten un-ter ihrer jeweiligen Kontrolle zu planen, in Zonen aufzuteilen und zu bauen.
Israels Siedlungspolitik nimmt weder den Ausgang der Verhandlungen vorweg, noch werden dadurch palstinensische Brger von ihrem Privatbesitz vertrieben. Tatsch-lich sieht sich Israel verpflichtet, die Sied-lungsfrage zu verhandeln, weshalb ber-haupt kein Anlass Ihrerseits besteht, die Verhandlungsergebnisse vorwegzunehmen.
Indem sie die unbegrndete Meinung wie-derholen, Israels Siedlungen seien illegitim, und wenn Sie Israel mit einer dritten pa-lstinensischen Intifada, internationaler Isolierung und Delegitimierung bedrohen, schlieen Sie sich in der Tat dem palsti-nensischen Propagandanarrativ an, gieen l ins Feuer und ben so unberechtigten Druck auf Israel aus. Dies gilt gleicherma-en fr Ihre falsch eingeschtzten und un-realistischen zeitlichen Rahmensetzungen fr die Verhandlungen.
Mit alledem positionieren Sie sich einseitig, kompromittieren ihre persnliche Glaub-wrdigkeit und die der Vereinigten Staaten.
Um Ihre eigene Glaubwrdigkeit und die der Vereinigten Staaten wiederherzustellen, und um mit sauberen Hnden an den Verhand-lungstisch kommen zu knnen, werden Sie hiermit respektvoll gebeten, ffentlich und frmlich ihre Stellungnahme im Blick auf die Illegitimitt von Israels Siedlungen zu-rckzunehmen und ihren Druck auf Israel einzustellen.
Hochachtungsvoll,
Alan Baker, Rechtsanwalt, Botschafter a.D. ehemaliger Rechtsberater des israelischen Auenministeriums ehemaliger Botschafter Israels in Kanada
Alan Baker reprsentiert mit seinen Aus-
sagen in diesem Brief nicht etwa eine ex-
tremistische Randgruppe, sondern die
israelische Mitte und eine Mehrheit der
Bevlkerung.
Mein Anliegen mit diesem Zitat und die-
sen Ausfhrungen ist nicht, Siedlungsbe-
frwortern oder Siedlungsgegnern eine
Stange zu brechen. Vielmehr wnsche
ich mir unsererseits mehr Sachkenntnis,
mehr Geschichtsbewusstsein, mehr Of-
fenheit, mehr Verstndnis fr die Kompli-
ziertheit der Sachlage und konstruktive,
kontroverse Diskussionen. Nur wenn wir
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19
uns offen und kontrovers miteinander
auseinandersetzen, besteht die Chance,
dass neue Ideen entstehen und uns neue
Tren ffnen in einem Prozess, der so
festgefahren ist. Wer sich heute der Rea-
litt verschliet, sich nur Gesprchspart-
ner auswhlt, die ihm nach dem Munde
reden, muss sich nicht wundern, wenn
er morgen ent-tuscht wird. Ich wei
nicht so recht ob ich mir das wnsche
und ich nicht lieber ein falscher Prophet
wre: Aber spannend wird sein, wie sich
Europa und Deutschland mit einem is-
raelischen Ministerprsidenten namens
Avigdor Lieberman arrangieren werden.
Zu mehr Realittsbezug unsererseits ge-
hrt auch, dass wir uns dem stellen, was
unsere Aktionen bewirken. Ich denke da
etwa an den von Christen vorangetriebe-
nen, von Kirchen propagierten und jetzt
auch von der EU vorbereiteten Boykott
von Produkten aus israelischen Siedlun-
gen. Dieser Boykott schadet und das
kann schon jetzt sehen, wer offene Au-
gen hat zu allererst
1. den Palstinensern,
2. den Schwchsten in der Gesell-schaft und
3. den letzten Resten tglich gelebter Koexistenz zwischen israelischen
Juden und palstinensischen
Arabern.
Es gehrt zur Ironie der Geschichte, dass
der westliche Boykott von Siedlungspro-
dukten heute schon dazu fhrt, dass sich
Palstinenser gezwungen sehen, ihr Land
an Juden zu verkaufen, nur um sich und
ihre Familien ernhren zu knnen. Und
das, whrend wenige Hundert Meter ent-
fernt von ihren eigenen Volksgenossen
protzige Palste in die Landschaft ge-
klotzt werden.
Ich denke, es wrde unserer Glaubwr-
digkeit und unserer Effizienz als beglei-
tende Gesprchspartner im politischen
Prozess zwischen Israelis und Palstinen-
sern entscheidend nutzen, wenn wir auf-
hrten, die Palstinenser als Unmndige
oder Menschen zweiter Klasse, als Ent-
wicklungsbedrftige zu behandeln.
Als Vater von fnf Kindern sehe ich die
Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit
als einen ganz entscheidenden, wenn
nicht den entscheidenden Faktor auf
dem Weg zu einer erfolgreichen Lebens-
gestaltung.
Die Palstinenser wurden von der westli-
chen Welt zur Unmndigkeit verdammt.
Das zeigt sich daran, wie viel Geld sie be-
kommen, ohne Rechenschaft dafr able-
gen zu mssen; dass Entwicklungspro-
jekte zu 100% finanziert werden ohne
die bliche Erwartung einer Selbstbetei-
ligung oder Eigenleistung; dass histori-
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sche Fehlentscheidungen und Fehlent-
wicklungen unter den Teppich gekehrt
werden oder gar die andere Seite, in
diesem Fall das jdische Israel, dafr ver-
antwortlich gemacht wird. Ich denke da-
bei etwa an das Massaker, das die jdi-
sche Gemeinde in Hebron im Jahr 1929
ausgelscht hat; an alle Angriffskriege
der Araber mit dem ausdrcklich for-
mulierten Ziel, Israel zu vernichten; an
alle kategorischen Nein zur Anerkennung
Israels, zu Verhandlungen und zu einem
Frieden mit Israel; Wer wei heute noch,
dass der Ausgangspunkt fr Oslo der ab-
solute Bankrott der PLO war nachdem
Arafat sich im Golfkonflikt auf die Seite
von Saddam Hussein gegen Kuwait und
die Welt gestellt hatte? Arabisches Un-
recht an Juden muss genauso beim Na-
men genannt werden, wie jdisches Un-
recht an Nichtjuden.
Ich wnsche mir mehr Mut bei unseren
Vertretern, in der ffentlichkeit, unsere
Werte genauso selbstbewusst einzufor-
dern, wie das Juden und Muslime tun.
Vielleicht knnten wir noch lernen etwas
liebevoller mit Andersdenkenden und An-
dersmeinenden umzugehen. Wahrhaftig-
keit und Glaubwrdigkeit sind entschei-
dend. In der hebrischen Bibel kommt
immer wieder das Wortpaar ,
Gnade oder Barmherzigkeit und Wahr-
heit vor. Nicht selten vergessen die Ver-
treter der Wahrheit die Barmherzigkeit.
Und leider geht politisch propagierte
Gnade meist zu Lasten der Wahrheit.
Beide gehren untrennbar zusammen,
Gnade und Wahrheit, wenn unsere Ent-
scheidungen und Aktivitten heute und
morgen gute Frucht bringen sollen.
Wir knnen nicht die Theologie der deut-
schen Christen ablehnen und die Theolo-
gie der palstinensischen Christen tole-
rieren oder gar propagieren. Wenn Jesus
Christus tatschlich geborener Jude war,
dann hat Martin Luther das nicht nur
deutschen Lutheranern ins Stammbuch
geschrieben, sondern auch palstinensi-
schen Lutheranern.
Wir sollten unsere palstinensischen Ge-
schwister, wenn sie von ihrer Lage erzh-
len, zur Wahrhaftigkeit anhalten. Fr je-
den Konflikt (zwischen Vlkern, Klassen,
Religionen, Lndern, Generationen und
Ehepartnern) gilt, dass der erste Schritt
in Richtung Vershnung ist, den Ande-
ren in seiner Wahrnehmung als gleichbe-
rechtigten Partner und Nchsten ken-
nen- und akzeptieren zu lernen. Es muss
angesprochen werden, dass Muslime,
die sich dafr entschieden haben, Jesus
Christus als ihren Herrn zu benennen und
nach den Mastben der Bibel zu leben,
heute in Bethlehem im Untergrund le-
ben mssen. Sie sagen mir: Wir werden
nicht von den Juden verfolgt; auch nicht
von den Muslimen, sondern von den tra-
ditionellen Christen. Die Unvershnlich-
keit von arabischen Christen gegenber
-
21
ihren muslimischen Mitbrgern muss an-
gesprochen werden.
Meiner Meinung nach liegt die Zukunft
von Israelis und Palstinensern nicht in
der Trennung, sondern im Zusammenle-
ben von Juden, Christen und Muslimen
ganz unabhngig davon, wie dieses Zu-
sammenleben politisch geregelt wird.
Deshalb fnde ich gut, wenn sich west-
liche Politiker heute darauf konzentrie-
ren wrden die humanitren Bedingun-
gen der Menschen, die tatschlich leiden,
zu verbessern: Es sollte darum gehen,
dass jeder in Wrde seinen Lebensunter-
halt verdienen kann, inklusive einer me-
dizinischen Versorgung. Es geht um Bil-
dungsmglichkeiten, Meinungsfreiheit,
Rechtssicherheit, Reisefreiheit
Bitte, sehen Sie mir nach, dass ich als
ein Mensch, der im Nachkriegsdeutsch-
land aufgewachsen und erzogen wurde,
wenig Verstndnis dafr habe, wenn je-
mand politisch-nationalistische Ambitio-
nen ber das Wohl seiner Mitmenschen
stellt. Das Elend der palstinensischen
Flchtlinge wurde von ihren arabischen
Brdern viel zu lange fr politische und
propagandistische Zwecke missbraucht.
Gerade als Deutsche drfen wir den Ju-
denhass, den Antisemitismus und die da-
mit verbundene antiisraelische Hetze in
der arabischen Welt nicht lnger berse-
hen. Wir sollten nicht einfach alle antise-
mitischen Mrchen glauben, auch nicht
wenn sie von Christen verbreitet wer-
den. Der Antisemitismus frisst letztend-
lich und vor allem den Antisemiten, ge-
nauso wie Hass vor allem den zerstrt,
der hasst. Das gilt brigens fr alle, die
am Nahostkonflikt beteiligt sind und
damit meine ich auch diejenigen unter
uns, die sich auf der einen oder anderen
Seite engagieren. Hass zerstrt zu aller-
erst denjenigen, der hasst.
Ich wnsche mir mehr Realittssinn
und dazu gehrt vielleicht auch, dass wir
den Traum von einer Lsung aufgeben.
Wir werden das grundstzliche Problem
dieser Welt nicht lsen, sondern hchs-
tens eindmmen knnen. Konflikte wer-
den zu unserem Leben gehren, solange
es dauert, solange es uns gibt. Vielleicht
sollten wir deshalb das so viel verachtete
Wort Konfliktmanagement wieder auf-
werten und von unseren Vorstellun-
gen von Konfliktlsung, die uns nur von
Ent-tuschung zu Ent-tuschung fh-
ren, Abschied nehmen.
Ich bedanke mich bei Ihnen fr Ihre Auf-
merksamkeit.
-
22
SchlusswortDr. Fritz Hhle
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bedanke mich im Namen des Johann-
Amos-Comenius-Clubs Sachsen bei Jo-
hannes Gerloff fr seinen eindrucks-
vollen, von eigenem Erleben geprgten
Vortrag. Fr mich zeigt das Gehrte ein-
mal mehr, dass es vermessen wre, aus
der Ferne gute Ratschlge zu erteilen.
Warum haben wir uns ein solch brisan-
tes auenpolitisches Thema gewhlt?
Auenpolitik ist Bundes- und nicht Ln-
dersache. Gleichwohl ist es wichtig, regi-
onale, kommunale und zwischenmensch-
liche Beziehungen zu pflegen, denn nur
so kann das Verstndnis freinander
wachsen und gedeihen.
Ich erinnere mich gern an die erste Is-
raelreise unserer Fraktion, 1994, gegen
Ende der ersten Legislaturperiode des
Schsischen Landtags. Mit groer Er-
leichterung haben wir damals feststel-
len knnen, dass wir in Israel freundlich,
ja freundschaftlich empfangen und be-
gleitet wurden. Ich und andere bestimmt
auch, sind mit groer Beklemmung nach
Israel gekommen, weil die Last dessen,
was Deutsche den Juden whrend der
Naziherrschaft in grauenvoller Weise an-
getan hatten, wohl niemals ganz weichen
wird. Mir geht es jedenfalls so.
Dass das heutige, das demokratische
Deutschland, fr das Existenzrecht Isra-
els eintritt, halte ich fr eine verpflich-
tende Selbstverstndlichkeit. Und die-
ses Existenzrecht soll aus unserer Sicht
nicht gegen andere gerichtet sein. An-
dere haben auch ein Existenzrecht, jeder
Mensch hat ein Existenzrecht und dabei
soll es bleiben.
Wir, die wir in der DDR leben mussten,
waren ja nicht beteiligt am beginnenden
Annherungs- und Vershnungsprozess.
Juden gab es bei uns sehr wenige. Die
Chemnitzer jdische Gemeinde hatte
meines Wissens kaum mehr als zehn
Mitglieder. Reisen nach Israel waren den
meisten verwehrt. Insofern hatten wir
nicht nur einen gefhlten, sondern einen
tatschlichen Nachholbedarf.
Sehr dankbar bin ich dafr, dass es kurze
Zeit nach dem politischen Umbruch und
dem demokratischen Neubeginn gelun-
gen ist, dass der Freistaat Sachsen von
Anfang an mithelfen konnte, den Frie-
densprozess im Nahen Osten zu unter-
sttzen und gute Beziehungen zu Israel
aufzubauen.
Whrend unserer erwhnten Israelreise
war eine kleinere Gruppe zu Gast an der
Bar Ilan-Universitt in RamatGan in der
-
23
Nhe von Tel Aviv. Im Ergebnis dieses
Besuchs wurde am 08. Februar 1995 das
Kuratorium der Frdervereine der Uni-
versitt in der Dresdner Staatskanzlei
gegrndet. Der Vorsitzende dieses Ku-
ratoriums war Ministerprsident Prof.
Biedenkopf. Der Freistaat Sachsen und
die Stadt Dresden beteiligten sich an
der Finanzierung des Josef-Burg-Lehr-
stuhls fr Erziehung zur Ethik, Toleranz
und Frieden an der Bar-Ilan-Universitt,
auf den am 12. Februar 1997 in Anwesen-
heit des schsischen Ministerprsidenten
Herr Prof. Yaakov Iram berufen wurde.
Prof. Iram war Gastredner des 12. Ge-
sprchsforums am 31. Oktober 1998 in der
Unterkirche der Frauenkirche. Da wurde
oberhalb noch gebaut. Das Thema hie
damals "Toleranz, Koexistenz und die
Verantwortung vor Gott und den Men-
schen.
In diesem Sinne hat sich seit 1990 viel
Gutes entwickelt. Ich denke an die Ein-
richtung des Simon-Dubnow-Instituts fr
jdische Geschichte und Kultur an der
Universitt Leipzig mit seinem Direktor
Prof. Dan Diner.
In Chemnitz, Dresden und Leipzig gibt es
wachsende jdische Gemeinden, neue Sy-
nagogen in Dresden und Chemnitz und das
Kultur- und Begegnungszentrum der Isra-
elitischen Religionsgemeinde in Leipzig.
Im Jahr 2008 durfte ich dabei sein, als der
damalige Kultusminister Steffen Flath in
Israel einen Vertrag ber den Schler-
und Lehreraustausch zwischen Israel und
Sachsen unterzeichnete. Steffen Flath ist
schon darauf eingegangen.
Das sind nur einige Beispiele dafr, wie
Vertrauen und gegenseitiges Verstnd-
nis nach und nach wachsen.
Ich will schlieen mit einem Zitat aus
dem Vortrag von Prof. Iram vom Refor-
mationstag 1998 in der Unterkirche der
Frauenkirche: Der eine Gott, der Frie-
den im Himmel schafft, wird uns Frieden,
Schalom, bringen.
Ich danke noch einmal Johannes Ger-
loff, ebenso Herrn Pfarrer Feydt und der
Stiftung Frauenkirche, Steffen Flath und
nicht zuletzt dem Frauenkirchenkantor
Herrn Matthias Grnert, von dem wir
zum Abschluss den letzten Satz aus dem
d-Moll-Concerto von Johann Sebastian
Bach hren werden.
Das nchste Gesprchsforum des Johann-
Amos-Comenius-Clubs Sachsen findet im
Frhjahr 2014 in Leipzig oder Chemnitz
-
24
statt. Die Vorbereitungen dazu sind noch
nicht ganz abgeschlossen. Sie erhalten
dazu rechtzeitig eine Einladung.
Und nun danke ich Ihnen, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren, wie immer fr
Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.
Kommen Sie gut nach Hause und blei-
ben Sie uns gewogen!
Vielen Dank!
-
Impressum
Zum Vertrauen in die Einhaltung von Recht und Gesetz zurckkehrenVeranstaltung am 20. November 2013
HerausgeberCDU-Fraktiondes Schsischen Landtages
RedaktionJan Donhauser
Satz, Gestaltung und DruckZ&Z Agentur Dresden
Dresden, Mai 2014
Diese Broschre wird im Rahmen der ffentlichkeitsarbeit der CDU-Fraktion des Schsischen Landtages herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern im Wahlkampf zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Den Parteien ist es gestattet, die Druck-schrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.