Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011 · 2012. 7. 5. · Jahresbericht 2009/2010 und...

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JAHRESBERICHT 2009/2010 UND FORSCHUNGSPLAN 2011 © IRKS Oktober 2010 www.irks.at institut für RECHTS– & KRIMINAL soziologie

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  • Jahresbericht 2009/2010

    und Forschungsplan 2011

    © irks

    Oktober 2010

    www.irks.at

    institut für R E C H T S – &KR

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    Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    I. Abgeschlossene und laufende Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5A. DepartmentRechtssoziologie–Überblick2009/2010 . . . . . . . . . . . . . . . .7B. DepartmentRechtssoziologie–AbgeschlosseneProjekte . . . . . . . . . . . . . . .9 GrenzenderRechtsdurchsetzungamBeispielirregulärerPflege

    durchMigrantinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9 DienstleistungendesIRKSfürdieAGverbesserteDatengrundlagen

    fürdieKriminaljustiz–PhaseII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 ADEL–AdvocaciesforFrailandincompetentElderlyinEurope:

    Comparativeanalysisofnationalsystemsandinnovativeapproaches . . . . . . . .14 RestorativeJusticevs.JuvenileDelinquency:Thebalticstates

    ineuropeandimension–acomparativereport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18 LeistungskennzahlenVereinssachwalterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20C.DepartmentRechtssoziologie–LaufendeProjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . .21 StudiezurpraktischenAnwendungundWirksamkeitdesVbVG

    (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21 Berichtzur„RechtsfürsorgeinÖsterreich“–Bausteinzueiner

    umfassendenJustizberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 EvaluationderTestimplementationdesIndikators„Leistungskennzahlen

    fürdieVereinssachwalterschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 VictimsandRestorativeJustice:Anempiricalstudyoftheneeds,

    experiencesandpositionofvictimswithinrestorativejusticepractices . . . . . . . .31 NeurophysiologischeDefizitealsRisikofaktor:KriminelleKarrieretäter

    des21.Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32 DienstleistungendesIRKSfürdieAGVerbesserteDatengrundlagen

    fürdieKriminaljustiz–PhaseIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33D.DepartmentKriminalsoziologie–Überblick2009/2010 . . . . . . . . . . . . . . .35E. DepartmentKriminalsoziologie–AbgeschlosseneProjekte . . . . . . . . . . . . . .37 PEUS–ProjektzurwissenschaftlichenEvaluationderUmsetzung

    desStrafprozessreformgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 GefährlicheDrohungenunddieSchutzfunktionenderstaatlichen

    Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46F. DepartmentKriminalsoziologie–LaufendeProjekte . . . . . . . . . . . . . . . . .51 RechtsextremeStraftatenimKontext.Modul1:EinÜberblick

    überEntwicklung,Verlauf,ErklärungsansätzeundIndikatoren . . . . . . . . . . .51 KEYS–Integrationoflearningandworkinginadultprisons . . . . . . . . . . . .54 LICOS–LearningInfrastructureforCorrectionalServices . . . . . . . . . . . . . .57 BIGJUDGES–Theroleofjudgesinthetransitionmanagement

    fromcustodytocommunity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .60

  • 4 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    II. Forschungspläne und eingereichte Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . .65G.ForschungsvorhabenRechtssoziologie2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67 Alter,RechtundTechnologie.ProblemevonunterstützendenTechnologien

    inderAltenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69 LebenohneEinschränkung:VereinfachungundErleichterung

    vonNotwendigkeitenDemenz-Erkrankter(LEVENDE) . . . . . . . . . . . . . . .70 Neuro-Lawahead?Observationsattheintersectionoftheneurosciences,

    themediaandcriminalpolicy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72 Addiction–LabellingInternetusageamongChildreninEurope(ALICE) . . . . .74 StrategienzurholistischenSicherheitinJustizgebäuden . . . . . . . . . . . . . . . .75 DasVolkhatanderRechtssprechungmitzuwirken.DieRolle

    vonLaienrichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77 Improvingsafetycultureinpublictransportation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78 „Gefährder“–TäterohneTat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .80H.ForschungsvorhabenKriminalsoziologie2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .81 DokumentationundKommentierungpolizeirelevanterForschung

    inÖsterreich2008–2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .82 AußergerichtlicheSchlichtungalsopferstützendesInstrument . . . . . . . . . . . .84

    III. Tagungen, Vorträge, Ausbildungs- und redaktionelle Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .87

    OrganisationundDurchführungvonVeranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . .89 TeilnahmeanundVorträgebeiTagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90 MitwirkunganKomitees,Arbeitskreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94 Ausbildungstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95 Redaktionelle-undHerausgebertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .96

    ListederVeröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97

  • i. abgeschlossene und lauFende proJekte

  • 7Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    a. department rechtssoziologie – Überblick 2009/2010

    ImJahr2010endeteneineReihevonProjekten,diewiebereitsimVorjahreinenSchwerpunktimBereichderrechtlichenFürsorgeundBetreuunghaben.ZugleichsindeinigeVeränderungenundSchwerpunktverschiebungenzuvermelden.ImBereichderForschungen zur rechtlichenFürsorgehat derBereich „Qualitäts-sicherungsmaßnahmen der Justiz“ an Bedeutung gewonnen, was nicht zuletztderdenöffentlichenHaushaltenauferlegtenfiskalischenDisziplingeschuldetist.Damit istzugleicheinneuerTypusvonProjektenentstanden: lageinSchwer-punktbisheraufForschungen,dieGesetzesvorhabenevaluierthaben,sohabenwirjetztzumerstenMaleinProjektübernommen,indessenRahmenesumdieEntwicklungeinesLeistungsindikators imBereichderRechtsfürsorge (und imweiterenVerlaufumdessenpraktischeImplementationundEvaluation)geht.

    Ferner haben wir weiterhin versucht, die Basis der Forschungsförderung fürunsere Projekte zu erweitern, d.h. zum einen stärker uns in internationalenNetzwerkenzuengagierenundzumanderenneueFinanzierungsquellenzuer-schließen.DahinterstehtdieÜberlegung,dasseslangfristigauchimAngesichtder sichveränderndenForschungsförderungslandschaft sowiederanstehendenpersonellenÄnderungenimIRKSunumgänglichist,einebreitereBasisfürdieFinanzierungdesInstitutszufinden.Wirhabendaherbegonnen,einemöglichstgroßeZahlvonAnträgenbeiunterschiedlichstenFördergeberneinzureichenimvollenBewusstsein,dassbeieinerzunehmendsinkendenFörderquotenureinTeildieserAnträgeauchzufinanziertenProjekten führenwird.NäheresdazufindetsichimAbschnittüberForschungspläneundeingereichteProjekteindie-semBericht.Wirwollenmittelfristigdahinkommen,dasswireineAnzahlvonThemen in Bearbeitung haben, zur gleichen Zeit mehrere Forschungsanträgeparallelvorbereiten,eineentsprechendeAnzahlvonAnträgeninBegutachtungistund–sobleibtzuhoffen–eineausreichendgroßeZahlvonbewilligtenAn-trägenzurFinanzierungdereigentlichenForschungsarbeitbeiträgt.ZunächstjedochkurzeineDarstellungderabgeschlossenenundlaufendenPro-jektedesDepartmentsRechtssoziologie.

    Nebendeninternationalenbzw.beinationalenFörderorganisationeneingereich-tenProjektenbearbeitetedasDepartmentwieimmertraditionelleineReihevonForschungsprojekten,dieausderZusammenarbeitmitdemBundesministeriumfürJustizentstandensind.SchwerpunkteergabensichhierinmehrerenFeldern:einProjekt,das,modularaufgebaut,sichausmehrereneinzelnzubearbeitendenTeilaufgabenzusammensetzt,beschäftigtsichmitdenDatengrundlagenderJus-

  • 8 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    tizberichterstattung.WielässtsichdievielschichtigeTätigkeitderJustizaufderGrundlageder sehrumfangreichenDatenbestände,diedort anfallen, sinnvollundaussagekräftigerfassenundwelcheDatenundFormatebietensichan,umhierdieunterschiedlichenÖffentlichkeitenmitnützlicherInformationzuver-sorgen.EngverknüpftmitdiesemProjektisteinweiteres,ebenfallsausdenMittelndesBundesministeriumsfürJustizgefördertesForschungsvorhaben,beidemmodell-hafteinJustizberichtzumThemenbereichRechtsfürsorgeerarbeitetwerdensoll.Ein weiteres Projekt analysiert die Wirkung des Verbandsverantwortlichkeits-gesetzes(VbVG).HiergehteszumeinenumdieWirkungdiesesGesetzesimengerenSinne,aberauchumdiegrundlegendereFragenachdenMöglichkeitenderSteuerungwirtschaftlicherProzessemitdenMittelndesRechtsundspezielldesStrafrechts.LastnotleastbearbeitenwirimAnschlussandieEntwicklungeinesLeistungs-indikatorsfürdieTätigkeitderVereinssachwalterschafteinProjekt,dasdietest-weiseImplementationdiesesInstrumentszurdifferenziertenErfassungderdurchdieSachwaltervereineerbrachtenLeistungenwissenschaftlichbegleitet.

  • 9Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    b. department rechtssoziologie – abgeschlossene proJekte

    EineReihevonForschungsprojektenwurdeimJahr2010erfolgreichabgeschlos-sen.EinigedieserProjekte fandeneineFortsetzung inneuenProjektanträgen.Die ausführliche Darstellung der abgeschlossenen Projekte findet sich in denJahresberichtender vergangenen Jahre.Daherwerden sie hier nurmehr kurzaufgeführt.

    ImEinzelnenhandeltessichdabeiumfolgendeProjekte.

    grenzen der rechtsdurchsetzung am beispiel irregulärer pflege durch migrantinnen

    Projekt finanziert vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank Projektleitung: Arno PilgramProjektdurchführung: Andrea KretschmannProjektlaufzeit: April 2008 – März 2010

    DieGewährleistungderPflegeundBetreuung von älterenund/oder krankenMenschen wird in westlichen Gesellschaften zunehmend als gesellschaftlichesProblem verstanden, so auch in Österreich. Immer mehr Pflege benötigendeältereMenschengibt es, immermehr sind inZukunft imVerhältnis zurGe-samtgesellschaftzuerwarten,immerlängerwirddietatsächlichePflegezeit,dieproPerson inAnspruchgenommenwird.Wernichtauf institutionellePflegeinHeimenzurückgreifenkannoderwill, fürdenoderdie stelltdiehäuslichePflegederzeitdieeinzigeAlternativedar.Haushaltenichtnurausgehobenen,sondernauchausmittlerenSchichtenlassendiereproduktive,affektiveArbeitzunehmendvoneinerdrittenPersonaufbezahlterBasisverrichten.Vorallembei einem intensiveren Pflege- und Betreuungsbedarf von bis zu 24 StundentäglichwirdinÖsterreichseitMitteder90erJahrevermehrtaufdasAngebotvonPflegearbeiterinnenausden„neueren“EU-Beitrittsländern,vorrangigausderSlowakei,zurückgegriffen.DieneuenCare-Ökonomienstützensichaufeinevergeschlechtlichte,ethnifizierteund–vordemHintergrundeinerrestriktivenAusländerbeschäftigungspolitik–bisvorkurzemrechtlichfastausschließlichir-reguläreFormderArbeitsteilung.

  • 10 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    Dieweithinverborgengeleistete, irreguläre24-Stunden-PflegeundBetreuungwurde jedochab2006 imZugeeineröffentlichenPflegedebatte sichtbarundschließlich für Migrantinnen aus den neuen EU-Beitrittsländern durch einenationaleGesetzgebungeingefasst.Derzwischen2006und2008stattfindendeProzessderVerrechtlichungdertransnationalenCareökonomienistThemadesrechtssoziologischenForschungsprojekts.

    Die Frage nach den Mechanismen und Organisationsstrukturen informellerPflege-undBetreuungsökonomiensowiederdarinenthaltenenGestaltungsspiel-räumefürTransmigrantinnen,AngehörigevonGepflegtenundBetreiberInnenvonVermittlungsagenturenbildetedenAusgangspunktderUntersuchung.Vondortauswurdereflektiert,ob,inwiefernundaufwelcheWeisediereguläreFormder24-Stunden-Pflege,diesogenannte„Betreuung“,vondenbefragtenAnge-hörigenundPflegearbeiterinnengewähltbzw.umgangenoderunterlaufenwird.

    Die Methodik der Studie war qualitativer Art und konzentrierte sich auf dieAuswertungdermit allenBeteiligtengruppengeführten InterviewsunterVer-wendungderGroundedTheory.UntersuchtwurdenPflege-undBetreuungs-verhältnisse,indenenslowakischeFraueninPrivathaushalteninÖsterreichtätigsind.Insgesamtwurden40InterviewsmitHausärztInnen,Pflegearbeiterinnen,Angehörigen Gepflegter und BetreiberInnen von Vermittlungsagenturen ge-führt.

    Ergebnisse

    DieinterviewtenPflegearbeiterinnenundAngehörigenderGepflegtentendier-tenüberwiegendzueinerVerrechtlichungdesArbeits-bzw.Careverhältnisses.AlleAnmeldungenbetrafendas selbständigeGewerbe.Die irregulärenPflege-arbeitsverhältnissesinddamitüberwiegendinatypischeBeschäftigungsverhält-nissetransferiertworden.

    Die indernationalenRechtsreformenthalteneGleichsetzungvonnationalemTerritoriummitdemzuregierendenSozialenführtdabeijedochzumsystema-tischenHerausfallenderinzweinationalenRäumengleichzeitiglebendenPfle-gearbeiterinnenausdenrechtlichenRegelungen.Indemarbeits-undsozialrecht-licheRegelungen für transnationalePhänomene in einemnationalräumlichenContainerdenkmodell verfangen bleiben, bleiben Pflegearbeiterinnen de factoinihrensozialenRechtenbeschnitten.DiesescheinbarunintendierteFormderExklusivitätdesnationalenRechtsistalseinespezifischeFormdesAusschlussesvordemHintergrundderNicht-ZugehörigkeitzueinemRechtsraumbzw.demVerwiesenseinaufeinenanderenRechtsraumzubenennen.

  • 11Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    Der Arbeitsplatz Privathaushalt bleibt vor dem Hintergrund eines nur gerin-genZugewinnsansozialenRechtendeshalbauchinseinerverrechtlichenFormweiterhin ein informell kontrollierter Raum. In der als privat konstruiertenhäuslichenSphärebleibenunterdereinschließendenAusschließungderPflege-arbeiterinneninden‚Familienverband‘weiterhinkollektiveNormengegenübergesetzlichdefiniertenAnspruchsrechtendominant.DieVerrechtlichunghäusli-cher24-Stunden-CarearbeitvonTransmigrantinnenbringtdeshalbnichtohneweiteresVeränderungenderArbeits-undLebensverhältnissevonAngehörigenund in einem noch geringeren Maße der Pflegearbeiterinnen mit sich. UnterAusblendungdertransnationalensozialenWirklichkeitenreifiziertdieneueGe-setzeslagequaFormalitätdamiteineSphäredesInformellen,welchedurcheth-nisierte,gegenderteundanderweitigmachtasymmetrischeBeziehungen struk-turiertbleibt.

    InsofernhatdieneueRechtsentwicklungzwar ineinemgewissenMaßeeinengrößerenSchutzund eine größereTeilhabedurchdenZugewinn anRechtenbereitgestellt,gleichzeitigaberauchzur„Versteinerung“sozialerUngleichheitenbeigetragen. Zwar hat die Rechtsreform der 24-Stunden-Pflegearbeit zu einererstmaligen ausländerbeschäftigungsrechtlichenAnerkennungderjenigenMig-rantinnen,dieinÖsterreichalsPflegearbeiterinnenarbeiten,geführt.DeroffeneZugang zu alternativen,wenigerdereguliertenBeschäftigungen,beispielsweiseinder(institutionellen)PflegeinÖsterreich,bleibtihnenjedochweiterhinver-wehrt.DiemitderRechtsreformvorgenommeneLiberalisierungderAusländer-beschäftigungspolitik muss insofern in erster Linie als Instrument einer post-wohlfahrtsstaatlichen Ausgestaltung der Pflegeversorgung betrachtet werden,dasaufeinemdurchabgestufteArbeitsmarktbeschränkungenhervorgerufenen“laborsupplysystem”aufbaut.

  • 12 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    dienstleistungen des irks für die ag verbesserte datengrundlagen für die kriminaljustiz – phase ii

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für JustizProjektleitung: Arno PilgramProjektmitarbeit: Alexander NeumannProjektlaufzeit: Juli 2008 bis Juli 2010

    Inder2.PhasedesProjektsDienstleistungen fürdie„AGVerbesserteDaten-grundlagenfürdieKriminaljustiz“desBMJwurdenseitensdesIRKSUnterstüt-zungsleistungeninzweiSchwerpunktbereichenerbracht,• derRe-EtablierungderWiederverurteilungsstatistik(WVS)und• derVerbesserungderEinstellungs-undDiversionsstatistik.

    HinsichtlichderRe-EtablierungderWiederverurteilungsstatistik, derMitwir-kungbeiderNeu-Konzeption,UmsetzungundVeröffentlichung imRahmenderGerichtlichenKriminalstatistik,desStatistischenJahrbuchs,imSicherheits-bericht(fürdieJahre2008und2009)sowieinwissenschaftlichenMedienseiaufdenProjektzwischenberichtimletztenJahresberichtverwiesen.

    ImBerichtszeitraumwurde insbesondereanderAuswertungder ineinerUn-tergruppeder„AGVerbesserteDatengrundlagenfürdieKriminaljustiz“biszurErstellung eines Pflichtenheftes entwickelten neuen Einstellungs- und Diver-sionsstatistik gearbeitet. Diese nunmehr unter demTitel „Justizstatistik Straf-sachen“firmierendeStatistikbietetdieMöglichkeit, die justizielleErledigungvon Strafsachen integriert, d.h. einheitlich und synoptisch über das gesamtestaatsanwaltschaftlicheundgerichtlicheEntscheidungsrepertoirehinwegabzu-bilden–unddiesnichtnur„geschäftsstatistisch“,sondernvorallem„kriminal-statistisch“ (d.h.personenbezogenundnachPersonenkategoriendifferenziert)abzubilden.(EinedeliktsspezifischeAbbildungbleibtspäterenPhasendesPro-jektsvorbehalten.)Dieneue„JustizstatistikStrafsachen“wurdevomBRZerstmalsfürdasJahr2009erstellt und konnte für den Sicherheitsbericht 2009 genutzt werden, für dendasBMJnunerstmalseineneigenenBandpräsentiert.DessensystematischereGliederungunterscheidetsichvonfrüherenBerichtenundgehtaufeinKonzeptdesIRKSzurück.AlleKapitelindiesemBericht,welchedieTätigkeitderStaats-anwaltschaftundGerichtesowiediesozialenDienstleistungenvonNEUSTARTbeiVollziehungvonDiversions-undambulantenSanktionsmaßnahmenbetref-fen,wurdendurchdieProjektmitarbeiterdesIRKSverfasst.Eshandeltsichum

  • 13Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    die Abschnitte 1.2 (Erledigung vonVerfahren durch die StaatsanwaltschaftenundGerichte,BetrachtungnachPersonen),2.1(Verurteilungen.DieEntwick-lung nach Personengruppen), 2.2.1 (Verurteilungen. Die Entwicklung nachDeliktsgruppen.Überblick),2.3.1(VerurteilungennachPersonen-undDelikts-gruppen.Überblick)und3(ReaktionenundSanktionen).DieseAbschnittestel-lensogenannte„Pilotkapitel“auchfürdiekünftigeJustizberichterstattungdar.

  • 14 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    adel – advOcacies fOr frail and incOmpetent elderly in eurOpe: cOmparative analysis Of natiOnal systems and innOvative apprOaches

    Projekt in Kooperation mit dem Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (Köln) sowie dem Danish Institute of Governmental Research (Kopenhagen), dem Gabinet d’Estudis Socialis (Barcelona) und der Palacky Universität (Olomouc) als weitere Sozialforschungsinstitute einerseits und Rechtsexperten der juristischen Fakultäten der Universitäten Göttingen, Kopenhagen und Innsbruck sowie der Rechtsanwaltskanzlei Vidal & Cànovas andererseitsProjektfinanzierung durch die VW-StiftungProjektleitung Österreich: Arno PilgramProjektmitarbeit: Walter FuchsProjektlaufzeit: Oktober 2008 bis September 2010

    Gesellschaftliche Relevanz des Projekts

    ImZugederdemografischenEntwicklungwächstindenmeisteneuropäischenLändernderrelativeAnteilderälterenBevölkerung.DieseAlterungderGesell-schaftwirdprimärunterdemAspektderBelastungderPensionssystemesowiedergesundheitlichenundpflegerischenVersorgungthematisiert.NichtwenigerbedeutsamistaberdieFragederPartizipationältererMenschenamgesellschaft-lichenLeben(z.B.ZugangzuRessourcenundsozialerSicherung)undderMög-lichkeit,einselbstbestimmtesLebenzuführen.

    MitdersteigendenZahlältererMenschenwirdaucheineZunahmevonMen-schenerwartet,dieaufgrundpsychischer,geistigeroderkörperlicherBeeinträch-tigungenbesondererUnterstützungundrechtlicherVertretungbedürfen.BereitsindenvergangenenJahrensinddieZahlenderangeordnetenSachwalterschafteninÖsterreichoderderrechtlichenBetreuungeninDeutschlandkontinuierlichangestiegen,begleitetvoneinerdramatischenEntwicklungderdafüranfallen-denKosten.NebenderdemografischenEntwicklungwirddieserAnstiegauchdurchgesellschaftlicheVeränderungen(Familienstrukturen,Verrechtlichung…)bewirkt.

    GesellschaftenverfügenüberverschiedeneEinrichtungender„Advokatur“ fürältereMenschen,diedenSchutzvonPersönlichkeitsrechtenundgesellschaftli-chePartizipationsmöglichkeitensicherstellenundsiealsKundenoderzumindestAnspruchsberechtigte schützen sollen, insbesondere die Betreuung (deutscherTerminus)oderSachwalterschaft (österreichischerTerminus)sowieEinrichtun-genderPatientenanwaltschaft,Heimbewohnervertreter,Ombudsleuteetc.Die

  • 15Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    steigenden quantitativen und mitunter auch qualitativen Anforderungen stei-gernaberauchdenDruckaufdieseEinrichtungenundführenteilweisezuderenÜberforderung.

    Untersuchungsziele und Fragestellungen

    Vor diesem Hintergrund wurden in diesem Projekt unterschiedliche AnsätzezurBewältigungdessteigendenBetreuungsbedarfsinausgewähltenLändernderEuropäischenUnionuntersucht.DieAuswahl der Staaten folgtenebenprag-matischenauchtheoretischenGründen:Soist–inAnlehnungandieTypolo-gie der “Worlds ofWelfare”-Forschung (Esping-Andersen)mitDänemark ein„skandinavisch-sozialdemokratisches“ Land (mit einem besonderen Pflegesys-tem) vertreten, während Spanien dem „südeuropäisch-familiären“Typus ent-spricht. Österreich und Deutschland weisen als „korporatistisch-konservative“Staaten – mit einer stark auf Dogmatik und Kodifizierung bauenden Privat-rechtstradition – nach dem „Prinzip der minimalen Fallkontrastierung“ zahl-reiche Gemeinsamkeiten, aber gerade deshalb auch interessante Unterschiedeauf.DieTschechische Republikals„transitorisches“LandistschließlichmiteinemgemeinhinalsveraltetangesehenenRechtsvertretungsregimekonfrontiert.Ange-strebtwirdeineüberdenreinenVergleichvonRechtssystemenundEckdatenderBevölkerungsentwicklunghinausgehendeForschungskooperation,dieeinerseitsdiegesellschaftlichenEntwicklungenmiteinbeziehtundandererseitsauchderHandhabungdesRechtesbesondereempirischeAufmerksamkeitschenkt.WiewerdendieProblememitrechtlichenMittelnerfasst,undwiewerdendierecht-lichenMöglichkeiteninAnspruchgenommen?

    Fragestellungen des Projekts

    (a) Deskription der Rechtssysteme• WelcheRechtssystemeder ‚Advokatur‘ für ältereMenschen gibt es in ver-

    schiedeneneuropäischenLändern?• WiehabensichdienationalenRechtssystemehistorischentwickelt,undwel-

    che spezifischen Perspektiven bzw. nationalen Besonderheiten haben dieseEntwicklunggeprägt?

    • DurchwelcheUnterschiedezeichnensichdieSystemeausinHinblickaufdieAbgrenzungdesRegelungsbereichs,dieOrganisationderBetreuungunddieanvisiertenAlternativen?

    (b) Empirische Realität der Betreuung• WiewerdendiejeweiligenRechteangewendetundumgesetzt?• Wie stellt sich die Situation anhand der verfügbaren statistischen Daten

    dar?

  • 16 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    • Welche Daten zur statistischen Entwicklung der Betreuung (Zahl der Be-treuungen,Ausgaben fürBetreuungen,AnteileberuflichundehrenamtlichgeführterBetreuungenetc.)erlaubeneineninternationalenVergleich?

    • WiewerdendievorhandenenSystemefinanziertundwiegestaltet sichdieKostenentwicklung?

    (c) Alternative Konzepte• Welche Möglichkeiten der persönlichen Vorsorge (Vorsorgevollmacht, Pa-

    tientenverfügungoderähnlicherAlternativen)gibtesindenLändern?• WelcheMöglichkeitendergesetzlichenVorsorgefürBetreuung/Vertretungs-

    handlungendurchAngehörigeoderdurchInstitutionenexistieren?• GibtesHinweisedarauf,obaufdiesemWegetraditionelleBetreuungsformen

    vermiedenwerdenkönnen?

    (d) Problemwahrnehmung und Kapazität zur Problemlösung• InwieweitsinddieRechts-undOrganisationssystemedaraufvorbereitet,den

    gegenwärtigen und insbesondere künftig zu erwartenden demografischenEntwicklungenunddendamitverbundenenVeränderungenundAnforde-rungenzubegegnen?

    Projektschritte und -ergebnisse

    ImForschungsberichtdesVorjahreswurdeüberdreiProjekttreffenundderenGegenstandsowieüberdie1.InternationaleProjektkonferenzinBerlinimSep-tember2009berichtet.SeitherfandenzweiweitereProjekttreffeninPrag(März2010)undBarcelona(Juni2010)statt.Beim4.ProjekttreffeninPragwurdendieaktuellen,dierechtlichenBetreuungs-und Stellvertretungssysteme betreffenden Reformdebatten in den beteiligtenStaaten behandelt. Auf der Grundlage von Dokumentenanalysen zu Rechts-reformenundExperteninterviewswurdediejeweiligenationaleProblemwahr-nehmung und wurden Vorstellungen hinsichtlich adäquater Alternativen zu“guardianship”verglichen.Das5.ProjekttreffeninBarcelonabeschäftigtesichmitZukunftsszenarienfürdie rechtlichenBetreuungs-undStellvertretungssystemeunterBeachtung sta-tistisch-demographischerPrognosenwiepolitischerVerhältnisse.ZudemwurdedieRelevanz internationalerRechtsentwicklungundKonventionen fürnatio-naleEntwicklungenerörtert.BeideröffentlicheninternationalenProjektabschlusskonferenzinBerlinimSep-tember2010wurdendieErgebnissedesProjektsimÜberblickdargestellt.VondenProjektmitarbeiternausdemIRKSwurdenzweiSchlüsselreferategehalten(WalterFuchs:“SystemsofAdvocaciesinaComparativePerspective–Similari-tiesandDifferences”;ArnoPilgram:“FutureScenarios–ResultsfromADEL”).

  • 17Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    An der Panel Discussion “Rethinking guardianship” nahm als östereichischerExperteReinhardKreisslteil.Die Ergebnisse wurden ferner im Rahmen der Konferenz „Perspektiven desAlterns“ des Zentrums für Alterskulturen und der Volkswagenstiftung am22.10.2010inBonnvorgestellt.AnderPublikationeinesumfassendenProjekt-berichtswirdgearbeitet.

  • 18 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    restOrative justice vs. juvenile delinquency: the baltic states in eurOpean dimensiOn – a cOmparative repOrt

    Projekt im Auftrag des European Forum for Restorative Justice im Rahmen eines Forschungsverbunds, finanziert durch die Generaldirektion für Justiz, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms “Criminal Justice” und dem Programm “Europe for Citizens” der Europäischen Kommission. Gesamtleitung des Projekts: Prof. Dr. Ivo Aertsen, Katholische Universität Leuven. Projektleitung am IRKS: Arno Pilgram, Projektmitarbeit: Christa Pelikan

    DieserSubauftragdesEuropeanForumforRestorativeJusticesollteeineverglei-chendeAnalysedesStellenwertsderRestorativeJusticeimBereichderJugend-kriminalität indendreiBaltischenStaaten liefern.DieGrundlagendafürbil-detenentsprechendeLänderberichte,dieinLitauen,LettlandundEstlandvonlokalenjuristischenExpertInnenausgearbeitetwordenwaren.

    Theorientationtowardpushingbackpunishmentandpromotingitsplaceastheultimaratioreactionisasimportantasitsparticipatoryelement,theinvolvementandtheactiveparticipationofthoseaffectedbythewrongdoingthatstandsatthebeginning–oristheinstigatorofthestatereaction,thereactionoftheCJS.ThisbegsthequestiontowhatextentthoseelementshavecometoberealisedintheBalticstates.Asregardsthe‘reparativeelement’itseemstobequitedifficulttomakeadecisivestanceontheideathatreactionsthatrefrainfrommetingoutpunishmentandareonlygearedtowardrestoringthedamagedonetothevictimaresufficientandabletoconveythemessagethatwhathashappenedoughtnothavehappened, inotherwords:accomplishthefunctionofaconfirmationofthenorm.Lookingatthelanguageofthenumbersastheyportraythecriminalpolicyandtheapplicationofdifferent sanctionscomparedtootherEuropeancountries, there is stillquite somerelianceondeprivationof liberty,althoughithasdeclinedconsiderablyinthecourseofthelast3to5years.‘Mediation’isperceivedpredominantlyasreconciliation,i.e.bringingthevictiminandassist-ingintheprocessofsuchareconciliation.Difficultiesseemalsotoexistwithregardtotheparticipatoryelement.Theno-tionofanimpositionofrestorativemethodsprevailsinthelegaltexts,albeititismentionedthatthesemeasuresaffordtheconsentofthevictim.Aspecial feature is theway ‘diversionarymeasures’ areplacedwithin theCJSof theBaltic states.Theconstructionof therelease fromcriminal responsibil-itycanbefoundmostpronouncedinLithuaniaandalsoinLatvia,albeit less

  • 19Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    so in Estonia; there the legal provisions resemble more closely the provisionspertainingtodiversion.Thisreleasefromcriminalresponsibilityisbyandlargeunderstood as ‘release from punishment’. It has proved difficult to make theconceptunderstoodwithintheprofessionallegaldiscourse.Partly,‘releasefromcriminalresponsibility’wasseenasnegating(ornullifying)theoffence.Confu-sionmightensuefromthisconceptwhenusingit inacomparativeEuropeancontext.Usually,andquiteexplicitlysointheRecommendationoftheCouncilofEurope‘OnMediationinPenalMatters’(Rec.No.R19(99))theacceptanceofresponsibilityforthefactshavinghappenedonthesideofthesuspectisstatedasapreconditionforstartingmediation!Thereisasomewhatpuzzlingtendencytohavealternativeorreformativemeas-uresbothasapreconditionofreleasefromcriminalresponsibilityandasacon-sequenceofthisvery‘release’.Thisseemstobeoneoftheexamplesofafeeble,ornotyetfullyachievedclearsystematicstructureofthewholeedificeofjuvenilejustice.Butitcanalsobeperceivedasanattemptatopeningascaleofoppor-tunities to apply those alternative measures, of whichVOM is an important‘ingredient’.ThestateofaffairsregardingRJintheBalticcountrieshastodowiththeenor-mousandfar-reachingchangesthathavehappenedsince1990–andevenmoreacceleratedduringthelast7to8years.Thereis,forsure,thelegacyofthepastthatstillbearsonthestructureandtheinstrumentsthatcometobeusedinthispartoftheworld.Butthereis–moreimportant,theefforttojointheEuropeanstates,tointegratetheinternationalinstrumentsandtostandintheranksoftheprogressivestates.Theseeffortsmeritrecognition,moreover:admiration.Byandlarge,onecansaythattodaytheBalticcountriesareuptothemarkofotherEuropeancountries.Thisholdsmostvisibly–andmosteasytoassess–regardingtheagelimits;thereIcouldcontendthatinallthreeofthesecountriesthe‘CentralEuropean’ageboundariesofhavingcriminalresponsibilitystartedat14andthespecialstatusofjuvenilereachinguntiltheageof18arecompliedwith.Itseemsthatthesecountrieshavestillsomewaytogotoinfusethechildandyouthwelfaresystemaswellasthejuvenilejusticesystemwiththespiritofvol-untariness,ofcooperationandofparticipation.Ontheotherhand,noseverebackswingcanbediscernedinthispartofEuropeandmanyhighlydedicatedprofessionalsaswellas representativesofdifferentagencies seemtobewillingandcompetenttocarryforwardthecaseofRJandthroughthatamorehumanewayofdealingwithcrime.

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    leistungskennzahlen vereinssachwalterschaft

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für JustizProjektleitung Reinhard Kreissl Projektmitarbeit: Arno Pilgram und Alexander Neumann

    AufdieausführlicheBeschreibungdesProjektsimJahresbericht2008/2009darfhierverwiesenwerden.DerAbschlussberichtdiesesProjektsbildetedieGrund-lagefüreinAnschlussprojekt,beidemderumfassendeEinsatzdesalsPrototypentwickeltenLeistungsindikatorsübereinenZeitraumvonzweiQuartalenwis-senschaftlichbegeleitetwerdensoll.DieDarstellungdiesesProjektesfindetsichbeidenlaufendenProjekten.

  • 21Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    c. department rechtssoziologie – lauFende proJekte

    studie zur praktischen anwendung und wirksamkeit des vbvg (verbandsverantwOrtlichkeitsgesetz)

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für Justiz Projektleitung: Arno Pilgram, Reihard Kreissl Mitarbeit: Walter Fuchs, Wolfgang Stangl Laufzeit: März 2010 bis Februar 2011

    Untersuchungsziele

    MiteinerEntschließungdesNationalratsausdemJahr2005(E138-NR/XXII.GP)wurdedem/derBundesministerInfürJustizeindoppelterAuftragerteilt,zumeinendenUmfangderAnwendungdesVbVGfestzustellen,zumanderendieWirksamkeitdesgesetzlichenInstrumentariumszubewerten.BeidererstenFragedesAnwendungsumfangssinddabeidieabsolutenZahlenderdiversionellenundurteilsförmigenErledigungen,aberauchderenRelationzumAnwendungspotenzialzubestimmen.DieUntersuchungdesAnwendungs-potenzials und des Nicht-Anwendungsbereichs des VbVG ist keine geringeHerausforderungfüreineEvaluationsstudie.HinsichtlichderzweitenFrage,derWirksamkeitsprüfung, wären die Konsequenzen der abgeschlossenen Verfah-renfürdieBeteiligtenundderenweitereHandlungspraxiszubewertenebensowiediepräventivenEffektedesGesetzesaufdasVorgehenvonVerbändenbzw.Unternehmen.DasProjektvorhabenwurdeimletztenJahresberichtausführlichdargestellt.ImZugederVerhandlungenmitdemProjektauftraggeberwurde gegenüberdemExposéeinestärkereSchwerpunktsetzungbeidengeneralpräventivenundNeben-wirkungendesGesetzes aufUnternehmenskulturen vereinbart,wohingegen–nicht zuletzt der beschränkten Anwendung, aber auch forschungstechnischerGründewegen–der„spezialpräventive“Wirkungsaspektzurückgestelltwurde.InBezugaufdieAnalysederpraktischenHandhabungdesGesetzesdurchJustiz-organewurdederqualitativenErforschungderHandlungsmotivederStrafver-folgungsbehörden ein stärkererVorranggegenüberderquantifizierendenAus-wertungderelektronischenVerfahrensregisterderJustizeingeräumt.

    Untersuchungsschritte und -methoden

    1/ (Experten-)Befragung von Rechts- und Wirtschaftsdienstleistern nach derNachfrageundderVerbreitungvonRechtsinformationzumVbVG.

  • 22 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    2/BefragungvonRechtsadressaten,d.h.vonFunktionsträgern inVerbänden/Unternehmen dreier ausgewählter Branchen mit erhöhtem Risiko (Trans-portwirtschaft, Abfallwirtschaft, Lebensmittelwirtschaft) und unterschied-licherGrößenachInformationüberdasVbVGundüberpraktischeKonse-quenzeninderUnternehmensführung.

    3/QuantitativeundqualitativeAuswertungeinerStichprobevonTagebüchernderStAsowievonGerichtsaktenzu(VJ-dokumentierten)FällenbeendeterVerfahren,indenendasVbVGzurAnwendungkam.

    4/ Interviews mit Staatsanwälten über konkrete Anwendungsfälle des VbVGsowieüberausgewählteFällevonVerfahrenwegenvergleichbarerStraftatenim beruflichen Kontext, in denen von einer Verbandsverfolgung Abstandgenommenwurde,d.h.InterviewsüberdieAusübungdesgesetzlicheinge-räumtengroßenVerfolgungsermessensunddietheoretischenundpragmati-schenBegründungendafür.

    Arbeitsschritt1istabgeschlossen,2wirddurchgeführt,3und4werdenderzeitvorbereitet.

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    bericht zur „rechtsfürsOrge in österreich“ – baustein zu einer umfassenden justizberichterstattung

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für JustizProjektleitung: Arno Pilgram Mitarbeit: Gerhard Hanak, Reinhard Kreissl, Alexander Neumann, Christa Pelikan Laufzeit: März 2010 bis Feber 2011

    Zur Situation der Justizberichterstattung und zum Stellenwert eines „Rechtsfürsorgeberichts“ für die Darstellung der Justiz

    IngroßenTeilenderöffentlichenVerwaltungistmittlerweileeinemehroderwe-niger regelmäßige und standardisierte Berichterstattung gegenüber der Öffent-lichkeitzumUsusgeworden.ZumTeilgibtesdafürgesetzlicheoderparlamen-tarischeAuftragsgrundlagen,zumTeilberuhenBerichteaufpolitischenInitiativenzurLagebeurteilung,Leistungsschau,BedarfsfeststellungundHandlungsbegrün-dung.EineDarstellungundRechenschaftderJustizinFormsystematischerJustizbe-richterstattunggegenüberderÖffentlichkeitexistiertinÖsterreichnurimAn-satz.Amlängsteneingeführtundbekannt istdieBeteiligungdesBMJanderErstellungdesjährlichenSicherheitsberichtsderBundesregierung.DieserwirdjedochinderÖffentlichkeitnichteigentlichalsJustizberichtwahrgenommen,sondernalsAnhangzumBerichtdesInnenressortsüberdieKriminalitäts-undSicherheitsverhältnisseimLande.

    Der besondere Bereich der Rechtsfürsorge kann ein erster Baustein für einenJustiz-bzw.RechtspflegeberichtneuerArtsein.Dazuprädestiniertihn• dieSignifikanzvonRechtsfürsorgeleistungenfüreinsozialstaatlichverfasstes

    Rechtssystem,• das Interesse der Gesellschaft bzw. der rechtsuchenden Bürger an einer

    niedrigschwelligenundChancengleichheiteröffnendenJustiz,• aberauchdie(wenigstensinTeilbereichen)relativgünstigeDatenlage.

    „Rechtsfürsorge“ ist sowohlvon faktischer,wieauchvongroßer symbolischerBedeutungfürdieRechtspflege.„Rechtsfürsorge“stehtandersalsdieRechtspre-chungselbstnichtfürdiehoheitlicheSeitederJustiz,sondernsymbolisiertimbesonderenMaßdieKunden-undService-,diesozialeundGrundrechtsorien-tierungderJustiz.

  • 24 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    Elemente der „Rechtsfürsorge“ in Österreich, Gegenstandsbereich eines „Justizberichts Rechtsfürsorge“

    ImösterreichischenRechtssystemwerdenfolgendemöglicheDefizitebzw.Belas-tungenoderGefährdungenaufSeitenderRechtsuchendenrealisiert,wovonje-weils eine bestimmte kompensatorische Maßnahme veranlasst wird. Nachfol-gendes Schema zeigt die verschiedenen Veranlassungen zur „Rechtsfürsorge“sowiedieAbhilfemaßnahmenimÜberblick–zugleichauchMöglichkeitenderGliederungeines„Rechtsfürsorgeberichts“.

    Defizite, Belastungen, Gefährdungen Rechtsfürsorgemaßnahme

    Informationsdefizite „Beratungshilfe“, Rechtsauskunft am Amts-tag (§ 54 GO d. Gerichte 1. u. 2. Instanz)

    andere kulturtechnische Defizite (sprachli-che Defizite, physische Einschränkungen)

    „Übersetzungshilfe“, Dolmetsch (auch für Gehörlose) (§ 56 StPO; § 61 StPO)

    eingeschränkte Selbstvertretungs- und Rechtsfähigkeit – Unmündigkeit/Minderjährigkeit

    Kollissionskurator (§ 271 AbGB), „Kinderbei-stand“; Unterhaltsvorschuss (UVG);Beigebung eines Verteidigers (§ 39 JGG)

    eingeschränkte Selbstvertretungs- und Rechtsfähigkeit – mentales Defizit (psych. Erkrankung, geistige Behinderung)

    Sachwalterschaft (§ 268 AbGB); Beigebung eines Verteidigers (§ 61(2) Z. 2 StPO)

    materielles Defizit Verfahrenshilfe (§ 63 ZPO); Beigebung eines Verteidigers (§ 61 (2) StPO)

    psychische Belastung, Ehe- und Pfleg-schaftsstreitigkeiten

    Familienberatung bei Gericht, Familienmediation (auf gerichtl. Empfeh-lung)

    psychische Belastung, ViktimisierungGewaltschutz (GeSchG); Opferhilfe (VOG, VRÄG); Prozessbegleitung (§ 66 StPO; § 73b ZPO)

    Gefährdung in besonderen Gewaltverhält-nissen, Kriminalisierung, Prisonisierung

    Beigebung eines Verteidigers (§ 39 JGG), Beigebung eines Verteidigers (§ 61(1) StPO)

    Gefährdung in besonderen Gewalt-verhältnissen, Hospitalisierung, Zwangs-behandlung

    Patientenvertretung (UbG);Bewohnervertretung (HeimAufG)

    InAnbetrachtderTatsache,dasssichdasRechtsgeschehenzugroßenTeilenau-ßerhalbderSettingsseinerjustiziellenPflegeabspielt,dassdieseraußerjustizielleBereichderRechtspflegejedochstaatlicherRegulierungundMitverantwortungunterliegt, wäre in einem Justizbericht auch ein Eingehen auf dieVerfassungdesRechtsdienstleistungsmarktesundaufsonstigöffentlichundgesellschaftlich

  • 25Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    organisierteRechtshilfegrundsätzlichnichtfehlamPlatz.DieUnübersichtlich-keitdiesesGeschehensundseinerudimentäreErfassungundwissenschaftlicheAnalyse setzeneiner„Justizberichterstattung“darüber jedochvorerstGrenzen.ImRahmendeshier skizziertenProjektes eines „Rechtsfürsorgeberichts“wirdmansichdaherzunächstpragmatischbeschränkenmüssen.

    Arbeitsprogramm: Bearbeitung administrativer Basisdaten und Programmierung ergänzender Untersuchungen

    IneinemerstenSchrittzueinem„JustizberichtRechtsfürsorge“giltes,einfacheFaktenfestzuhalten,wasdieRechtsgrundlagen,vorallemaberdenrealenUm-fang,dieReichweiteunddasfinanzielleVolumendereinzelnenRechtsfürsor-gemaßnahmenbetrifft.BisherfehlteineDarstellungdiesesBereichsüberFall-zahlen und Nutznießer in absoluten Größen und in Relation zum gesamtenGeschäftsanfallderJustiz,nachBereichenundRegionendifferenziert,indenendie Fürsorge unterschiedlich breit wirksam wird, sowie im zeitlichenVerlauf.NebendenFallzahlenund ihrer regionalenStreuungundEntwicklung inderZeitwerdendieeinzelnenLeistungeninihrerfinanziellenDimensiondarzustel-lensein.Zeit-undKostenaufwandlassensichausderSichtderJustizverwaltung,aberauchjenerderParteienbzw.Justizklientelbetrachten.AusadministrativenDokumentenFaktenüberdie justizielle „Rechtsfürsorge“zusammelnundineinemerstenJustizberichtbausteinzupräsentieren,verliertnichtanRelevanz,auchwennderStellenwertdieser„Rechtsfürsorge“imweites-tenSinnfürdieLösungvonAlltags-undLebensproblemeninderBevölkerungmangels weitergehender Untersuchungen zunächst nicht abgeschätzt werdenkann.Auchwenneinerster„Rechtsfürsorgebericht“anhanddesadministrativenWissens eingehende Untersuchungen nicht erübrigt, braucht es diese Daten-sammlung,undseiesauchnur,umdieFragenihrerInterpretationaufzuwerfenunddamitdienotwendigenergänzendenStudienzuinitiierenundzuinspirieren.

    Modul 1: Überblick über Justizberichterstattung (vor allem im Bereich der Zivil gerichtsbarkeit), staatliche Forschungsprogramme und Forschungsergebnisse in anderen StaatenErgebnisdiesesLeistungsmodulswirdeinBerichtseinübergutePraxisderBe-richterstattunginanderenLändern(insbes.auchzurZivilgerichtsbarkeit),überBestrebungeninternationalerOrganisationenzurVereinheitlichungundZusam-menführungnationalerBerichterstattungsowieüberdieErkenntnisse(summa-risch)unddieÜbertragbarkeit vonverwaltungsnahen sozialwissenschaftlichenForschungenzuRechtsproblemeninderBevölkerung,ZugangzuRechtsdienst-leistungenunddessenstaatlicheGewährleistung(„Rechtsfürsorge“).

  • 26 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    Modul 2: Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung – Kommentierter statistischer JahresberichtDankderVorarbeitenundErfahrungimIRKSwirdmitdiesemModuleiners-tes„Pilotkapitel“zueinem„JustizberichtRechtsfürsorge“nichtnurkonzipiert,sondernunmittelbarumgesetztwerdenkönnen.

    Modul 3: Machbarkeitsstudie für eine umfassende (statistische) Darstellung von Rechtsfür sorgemaßnahmen auf der Grundlage vorhandener Register, Berichte und Budgetdaten ÜberweiteTeilbereicheder„Rechtsfürsorge“jenseitsvonSachwalterschaft,Pati-entenanwaltschaftundBewohnervertretung(vgl.Modul2)existierenentwederkeinevergleichbaraufbereitetenoderkeineveröffentlichtenDatenoder ledig-lich rudimentäreBerichte. DieQualität vorhandenerLeistungs- undBudget-vollzugsberichtevondiversenAkteurenderRechtsfürsorgeandasBMJunddiesekundäreVerwertbarkeitsolcherBerichtefüreinesystematischeBerichterstat-tungsinderstzuüberprüfen.DieMachbarkeitsstudiefürdieeinzelnenKapiteleines„Rechtsfürsorgeberichts“umfasst diese Überprüfung sowie Gespräche mit Experten in den Fach- undBudgetabteilungen der Justizverwaltung sowie des BRZ hinsichtlich Existenz,QualitätundVerknüpfbarkeitvonDaten(etwaausdemBereichderVerfahrens-undderWirtschaftsverwaltung),fernerProbeauswertungenvonelektronischenDokumentensowievonWahrnehmungs-undRechenschaftsberichtenvonPart-nernbeiderLeistungserbringung.JenachVerfügbarkeitvonDatenausreichenderQualitätzudeneinzelnenBerei-chensollenKapitelunterschiedlicherVorläufigkeitzum„JustizberichtRechtsfür-sorge“erstelltwerden.DerBereichderOpferhilfebietetsichfüreineausführli-chereDarstellungan.InanderenBereichenwirdmansichvorerstnochaufeinenStrukturentwurfbeschränkenmüssen.AusdenErkenntnissenüberdieunterschiedlicheDatenlageunddieunterschied-lichen Machbarkeitsvoraussetzungen für die Berichterstellung soll ein Stufen-planfürdieVerwirklichungeinesumfassenden„JustizberichtsRechtsfürsorge“miteinerAbschätzungdesZeit-undKostenaufwandserstelltwerden.WasdenBereichderVerfahrenshilfenbetrifft,sinddieMöglichkeitendersta-tistischen Darstellung auf der Basis derVJ bisher nicht genutzt worden. DieNutzungsmöglichkeitensollenaufgezeigtundinFormeinesPflichtenheftesfürdasBRZoperationaldefiniertwerden.

  • 27Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    Modul 4: Entwicklung eines mittelfristigen Forschungsprogramms zur Ergänzung periodischer JustizberichterstattungAusdenBefundenüberinternationaleForschungsansätze(Modul1)sowieübernational vorhandene und verwertbare sowie über fehlende oder mangelhafteDokumentationen über die einzelnen Felder der „Rechtsfürsorge“ wird abzu-leitensein,wassicheinerperiodischenBerichterstattungerschließtundwelcheFaktenerstüberfallweiseStudienermitteltwerdenkönnenodererstübersolcheindenrichtigenKontextgestelltwerdenmüssen.MitModul4solleindieBerichterstattungergänzendesForschungsprogrammskizziertundeinzelneProjekteinihremrechtspolitischenundjustizpraktischenNutzencharakterisiertundkalkuliertwerden.

  • 28 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    evaluatiOn der testimplementatiOn des indikatOrs „leis tungskennzahlen für die vereinssachwalterschaft“

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für JustizProjektleitung: Reinhard KreisslMitarbeit: Arno Pilgram, Alexander NeumannLaufzeit: September 2010 bis April 2011

    Problemstellung und Untersuchungsziele

    ZurVerbesserungderLeistungsermittlungenderSachwaltervereinesollinZu-kunfteindifferenzierterIndikatorverwendetwerden,deraufdieunterschiedlicheArbeitsbelastung,diedurcheinzelneFälleverursachtwird,Rücksichtnimmt.DieEntwicklungeinesPrototypsfüreinensolchenIndikatorwarGegenstandeinesAuftragsdesBMfürJustizandasIRKS.DieserPrototypliegtnunvor.ErwurdeanhandausgewählterDatensätzeausdemJahr2009validiert.Dieheran-gezogenenFallmerkmalewurdenmitallenBeteiligten(VertreterderSachwalter-vereine,Betriebsräte,VertreterdesBMfürJustiz)abgestimmtunddiegetroffeneAuswahl,sowiedieMetrikderGewichtung,wurdeneinvernehmlichfestgelegt.

    DieBesonderheitdesbisherigenTestlaufsbestehtinderBeschränkungaufdiekleinerenVereineundnurdreiGeschäftsstellendesVereinsVertretungsnetz,vorallemaber inderBeschränkungaufeineeinzigeStichtagserfassungderKlien-telderSW-Vereinezum31.12.2009.DieseretrospektiveErfassungerfolgteindenVereinen/GeschäftsstellenaufunterschiedlicherGrundlage(elektronischenDokumentationssystemen,Papierakten,persönlichenAngabenundWertungender MitarbeiterInnen). Dies hat zur Folge, dass unterjährige VeränderungenimDiagnose-, imWohnform-,imProzessmerkmals-undimBetreuungsände-rungsscorenochnichtberücksichtigtwerdenkonnten.Zudemistnichtauszuschließen,dassaufgrunddesTestcharaktersderzugrundegelegtenKategorien,diesichinderEntwicklungsphasebefanden,eszuunter-schiedlichen Interpretationenbei derBewertung individuellerFälle kam.DasCodebookfürdieAnwendungderBewertungskategorien(Scores)liegterstjetztmitdemendgültigenPrototypvor.

    BevordieserIndikatorfürLeistungskennzahlendefinitivzurGrundlagederBe-wertungderLeistungendereinzelnenVereinedurchdasBMfürJustizgemachtwird, istein6-monatigerTestlaufunterRealbedingungen inallenbetroffenenVereinen(VertretungsNetz,NÖLV,SalzburgerHilfswerk,IfSVorarlberg)vorge-sehen.DabeigehtesumdieIntegrationderErfassungvonLeistungsmerkmalenindiebestehenden,bereits laufendenKlientendokumentationsprogrammeder

  • 29Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    VereineundihrerMitarbeiterInnen.DieshatineinerWeisezugeschehen,dasszumindest vierteljährlich aktualisierte Kennzahlen zur Verfügung gestellt unddie variablenMerkmale, vor allenDingenProzess(leistungs-)merkmale, dyna-misch abgebildet werden können. (Im Besonderen gilt dies für das MerkmalBIPLE–„besondereinderPersonliegendeErschwernisse“).

    ZieldiesesTestlaufsistsomitzumeinendieFeinabstimmungderFallgewichtungundderdabeiverwendetenKategorien,zumanderendieAnalysederindenVer-einenzumEinsatzkommendenDokumentationspraktiken.Einemöglichstein-heitliched.h.überdieVereinehinwegvergleichbareDokumentationspraxisisteinewichtigeVoraussetzungfüreinemöglichstobjektiveBewertungderLeistun-genderSachwaltervereine.FernersollineinerzeitnahenAnalysederanfallendenFälle(bzw.gemeldetenfallspezifischenDatenfürdieeinzelnenFälle)übereinensechsmonatigenBeobachtungszeitraumuntersuchtwerden,inwieweitsichVer-änderungenimBestandderbetreutenFällebzw.inderBeschaffenheiteinesFallsaufdenLeistungsindikatorauswirkenundsichdarinniederschlagen.

    DieImplementationeinessolchenneuenInstrumentserforderteineAnpassungdereingespieltenDokumentationsroutinenindenGeschäftsstellenderbetrof-fenenVereine.DiePraktikenderFalldokumentationunterscheidensichsowohlzwischendenVereinenalsauchzwischendeneinzelnenGeschäftsstellen.DurchdieImplementationdesneuenLeistungsindikatorssollhiereinestärkereVerein-heitlichungerreichtwerden.Ein erster vorbereitender Schritt in dieser Richtung ist die Einführung einerFallidentifikationsnummer, aus der sowohl derVerein, die Geschäftsstelle, alsauch die betreute Person hervorgehen. Ein nächster Schritt zielt auf dieVer-wendung der in dem neuen Leistungsindikator vorgegebenen Kategorien zurBewertungder„Schwere“ individuellerFälle.DieseKategorienkönnen indieentsprechendeDokumentationssoftware– soeine solchevorhanden ist–ein-gepflegtwerden.EbensowichtigistdieSchaffungvoneindeutigen,gemeinsamgeteiltenDefinitionenbeiderVerwendungdieserKategorien.DieDefinitionendieserKategorien sind in einemCodebookniedergelegt, das indenVereinenonlineundalsAusdruckzurVerfügungstehenwird.EssollquasialsHandbuchfürdieVerwendungdesLeistungsindikatorsdienen.IndervorgesehenenTestphasederImplementationwirdeinbesonderesAugen-merk auf die Präzisierung und gegebenenfalls Anpassung bzw. explizierendeDefinition der Beschreibungen der Kategorien in diesem Codebook zu legensein.DadieQualitätdererhobenenDatenmitderklarenDefinitionundeindeutigvorgegebenenAnwendungdereinzelnenMerkmale(Kategorien)desIndikatorsstehtundfällt,giltes,dieunmittelbareDokumentationspraxisvorOrtgenauzuerfassenundzuanalysieren.SinnvollerweisewirdaufgrundderErgebnissedieser

  • 30 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    AnalysedesTestlaufsunterRealbedingungeneineReihevonSchulungsmodulenzuentwickelnsein,mitderenHilfedieMitarbeiterderSachwaltervereineindieLage versetzt werden können, die Dokumentation nach einheitlichen Regelndurchzuführen.SolcheSchulungsmodulekönnendieFormvon„Modellfällen“annehmen,anhanddererdieMitarbeiterInnenderVereineeineinheitlichesVer-ständnisfürdieAnwendungderKategorienzurFallbewertungeinübenkönnen.Eine einheitliche, kontinuierliche und präzise Dokumentationspraxis in denGeschäftsstellenderVereine istaberaucheinewichtigeVoraussetzung fürdieNachvollziehbarkeitdervorgenommenenFallbewertung.

  • 31Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    victims and restOrative justice: an empirical study Of the needs, experiences and pOsitiOn Of victims within restOrative justice practices

    Projekt gefördert durch die Generaldirektion für Justiz, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms “Criminal Justice”. Das IRKS ist als Partner mit der Durchführung einer der Länderstudien beauftragt. Projektleitung: Prof. Dr. Ivo Aertsen, Katholische Universität LeuvenProjektmitarbeiter: Christa Pelikan, (Walter Fuchs)Gesamtprojektlaufzeit: November 2010 – Juni 2011; Laufzeit der am IRKS durch-geführten Studie: Mai 2011 – März 2012

    Thegeneralobjectiveoftheprojectistogainmoreinsight–through empirical evidence –abouttheneeds,experiencesandpositionofvictimswhenparticipat-inginRJprogrammes.TheaimistosetupempiricalresearchinseveralEuropeancountries,inacomparativeway.Theproposedproject,ofwhichtheglobalsetuphasresultedfrommutualconsultationbetweenpractitionersandresearchersintheEuropeanfieldsofvictimsupportontheonehand,andrestorativejusticeontheother,intentstomovebeyondthelevelofmereimpressions,fragmentisedfindingsorsmall-scalestudies.Forthisnewstep,anempirical approachwillbeusedby,amongstotherresearchactivities,interviewinggroupsofvictimsintheparticipatingcountries.Theenhancedknowledgemustfinally support theas-sistancetovictimsandthesoundimplementationofRJprogrammesinEurope.Theresearchwilldealwithboththemicro-andthemacro-levelofRJpractices(i.e.thepersonallevelandtheinstitutionallevel).

  • 32 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    neurOphysiOlOgische defizite als risikOfaktOr: kriminelle karrieretäter des 21 jahrhunderts

    Projekt finanziert aus Mitteln des Jubiläumsfonds der ÖNBProjektleiter: Reinhard KreisslMitarbeit: Veronika Hofinger.(Das Projekt ruht derzeit aufgrund der Karenz der Projektbearbeiterin, soll aber im Lauf des Jahres 2011 wieder aufgenommen werden).

    AktuelleEntwicklungenaufdemGebietderNeurowissenschaftenerweckendenEindruck,dassesaufderBasisbildgebenderVerfahrenundmittelsDNA-oderHormonanalysenerstmaligmöglichsei,dieDispositioneiner„kriminellenPer-sönlichkeit“zuerkennen:das(Nicht)AuftretenoderdieKombinationbestimm-terGene,physiologischeBesonderheiten imBereichdesVorderhirnsodereinMangeldesNeurotransmittersSerotoninstündenmit„Antisozialität“,Aggres-sivitätundKriminalitätinengemZusammenhang.AufderanderenSeiteent-wickeltdasKriminaljustizsysteminZusammenarbeitmitderkriminologischenWissenschaftneueumfassendeDatenbankenfür„Mehrfach-undIntensivtäter“;diesesollenesermöglichen,jenePersonenherauszufiltern,die–obwohlnureinekleineMinderheit–alsfürdieMehrzahlallerVerbrechenverantwortlichgelten.DiesebeidenaktuellbeobachtbarenEntwicklungenprägeneinneuesBildvom„Karrieretäter“,dasnichtnurAuswirkungenaufdengesellschaftlichenDiskursüberStraftäterhat,sondernauchaufkriminalpolitischePraktiken.Istder“HighRiskOffender”,klassifiziertaufBasiseinerKombinationvonsozialen,psycho-logischenundbiologischenFaktoren, der ein Sicherheitsrisiko für dieGesell-schaftdarstelltunddaherdurchintensiveKontrollebishinzupräventiverHaft„unschädlich“gemachtwerdenmuss,der„kriminelleKarrieretäterdes21. Jahr-hunderts“?

  • 33Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    dienstleistungen des irks für die ag verbesserte datengrundlagen für die kriminaljustiz – phase iii

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für Justiz Projektleitung: Arno PilgramProjektmitarbeit: Alexander NeumannProjektlaufzeit: Juli 2009 bis Dezember 2010

    ÜberdiesesProjektwurdeimForschungsberichtdesVorjahresausführlichbe-richtet. Auf diesen Bericht darf verwiesen werden. Seine Laufzeit wurde bisDezember2010verlängert.

  • 35Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    d. department kriminalsoziologie – Überblick 2009/2010

    ImArbeitsjahr2009/2010wurdenzweiProjekte,diebereitsimJahrzuvorbe-gonnenwurden,abgeschlossen.DabeihandeltessichzumeinenumdasProjekt„GefährlicheDrohungunddieSchutzfunktionenderstaatlichenIntervention“,zumanderenumdieStudie„ProjektzurwissenschaftlichenEvaluationderUm-setzungdesStrafprozessreformgesetzes“(PEUS).BeidessindProjekte,indenenGegenstand der Analyse das Handeln von Akteuren staatlicher Institutionenwar.BeidergefährlichenDrohungbestanddieFragedarin,wiePolizeibeamteimFallihrerMobilisierungbeieinergefährlichenDrohungenvorgehen,worindieDrohungbesteht,werwenbedroht,welcheMaßnahmendiePolizeivorOrtsetztundwelcheWirkunghinsichtlichderDeeskalationderKonfliktsituationdurchdaspolizeilicheEinschreitensichausdenPolizeiaktenrekonstruierenlässt.WiewohlsichausderMehrheitderAktenkeinekonkreteInformationüberdiekünftigeProblementwicklung ableiten lässt, drängt sich fürdieüberwiegendeMehrheit der Fälle die Diagnose auf, dass mit weiteren Konflikteskalationennichtzurechnenist.UmgekehrtwirdinderStudiedavongesprochen,dassineinemAnteilvonetwa15%deranalysiertenFälleangenommenwerdenkann,dasspolizeilicheundstrafjustizielleInterventionen–imVerbundmitweiterenMaßnahmen–nichtdazuführen,dassderbestehendeKonfliktalsberuhigtodernachhaltigentschärftangesehenwerdenkann.DasProjektPEUShattedasZiel,dieUmsetzungderreformiertenSTPOdurchdasJustizpersonalzuerhebenundzuanalysieren.Informationenaus5000Aktenwurden erhoben, 83 Experteninterviews geführt und ausgewertet, schließlicheinLiteraturberichtüberdenrechtswissenschaftlichenMeinungsstandzuFragenvonReforminhaltenerarbeitet.ImRahmendesForschungskonsortiumswardasIRKSfederführendbeiderPlanungundAnalysederExperteninterviewszustän-dig.ZieldesqualitativenTeilswar,dieErfahrungenvonRechtsanwälten,Krimi-nalbeamten,StaatsanwältenundHaft-undRechtsschutzrichternmitdemneuenGesetzzuerhebenundzuinterpretieren.DabeizieltendieFragennichtnuraufdeneigenenUmgangmitdemneuenGesetz,sondernwirfragtenauchdanach,wiediejeweilsanderenJustizakteureinihrerArbeitdurchdieBefragtengesehenundbeurteiltwerden.AufdieseWeiseergabsicheine„dichteBeschreibung“derUmsetzungdesStrafprozessreformgesetzes.ImHerbst2010plantdasBMJVeranstaltungenmitExperten ausder Justiz,indenendieErkenntnisseausdemProjektdiskutiertundSchlussfolgerungengezogenwerdensollen.

  • 36 Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    ZuberichtenistauchüberdasProjekt„RechtsextremeStraftatenimKontext“,dessen erstesModul zurZeit inArbeit ist. Indiesemerstenvonweiterenge-plantenModulengehtesdarum,Beobachtungs-undEinschätzungskriterienzurKategorie„rechtsextrem“invierForschungsschrittenzuentwickeln:Der erste Schritt besteht in einerDokumentationundDarstellungder zeitli-chenEntwicklungderAnzeigen-undSanktionspraxisgemäßdereinschlägigenösterreichischen Gesetze. Die Entwicklung von Interpretationsansätzen durchReflexion und Analyse dieser Daten ist der nächste Arbeitsschritt auf dessenGrundlage inweitererFolgeHypothesengeneriertwerden.DieseHypothesensollenindernachfolgendenAktenanalysegeprüftundweiterentwickeltwerden.DieweiterenForschungsmodulesindbereitsskizziertundsollennachAbschlussdeserstenModulsundnachAbstimmungenmitderSicherheitsakademieeinge-reichtwerden.EinSchwerpunktderArbeitdesDepartmentslagauchimBerichtsjahrwiederbeiThemenrundumdenStrafvollzug,diedurchwegsininternationalenKoope-rationenbearbeitetwerden.VieleeuropäischeInitiativenundProjektederletz-tenJahrebefassensichmitBildungsmaßnahmenund–angebotenfürStrafge-fangenebzw.derenIntegrationspotential.DasIRKSbeteiligtsichseitmehrerenJahrenansolchenProjektenundInitiativenundzwarsowohlmitForschungs-arbeitenzumThemaalsauchberatendundunterstützend.ImProjekt“KEYS–Integrationoflearningandworkinginadultprisons”,dassichvorallemmitderVerbindungvonArbeitundBildungimStrafvollzugbefasst,berätundun-terstütztdas IRKSdie JustizanstaltStein inderEntwicklungundUmsetzungentsprechenderAngebote.“LICOS–LearningInfrastructure forCorrectionalServices”befasstsichmitderNutzungundWeiterentwicklungvonE-LearningimStrafvollzug.DasIRKSistandiesemProjektvorallemmiteinerErhebungzumStatusQuovonE-LearningineuropäischenVollzugssystemenbeteiligt.Die europäische Forschungskooperation “Big Judges – The Role of Judges intheTransitionManagementfromCustodytoCommunity”entstandnachdemKollegen aus einigen Ländern festgestellt hatten, dass Richter zwar meist fürdiezentralenEntscheidungeninBezugaufvorzeitigeEntlassungausdemStraf-vollzugzuständigsind,im„Übergangsmanagement“aberkaumodernurwenigeingebundensind.DasProjektgehtderdiesbezüglichenRechtslageundPraxisindenbeteiligtenLändernnachundwidmetsichderFrage,was“goodpractice”indiesemBereichseinkönnte.

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    e. department kriminalsoziologie – abgeschlossene proJekte

    peus – prOjekt zur wissenschaftlichen evaluatiOn der umsetzung des strafprOzessrefOrmgesetzes

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für JustizForschungskonsortium: IRKS, Institut für Strafrechtswissenschaften der Johannes Kepler Universität Linz (Alois Birklbauer, Helmut Hirtenlehner, Barbara Starzer und Christoph Weber), Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Karl Franzens-Universität Graz (Richard Soyer, Heidelinde Luef-Kölbl, Maximilian Hotter)Projektleitung am IRKS: Wolfgang StanglProjektmitarbeit am IRKS: Roland Gombots, Walter HammerschickProjektlaufzeit: März 2009 bis September 2010

    ZurKooperationdesKonsortiumsistfestzuhalten,dassdasTeamausLinzfürdenbreitangelegten,quantitativenTeilderUntersuchungfederführendverant-wortlichwar.DieKollegInnenderUniGrazkonzipiertenundverfassteneinenLiteraturberichtsowiedieineinemExkursdargestellteAuswertungvonOLG-EntscheidungenübererhobeneEinsprüche.DenMitarbeiterndesIRKSoblagdie Planung, Organisation und Interpretation von 83 Experteninterviews ausdem Kreis der Staatsanwaltschaften, der Haft- und Rechtsschutzgerichte, derKriminalpolizeiundderStrafverteidigung.AndenErhebungenzumquantita-tivenundzumqualitativenTeildesProjekteswarendieMitarbeiterInnenallerKonsortiumspartner beteiligt. Aus dem qualitativen Berichtsteil des Gesamt-berichtswirdnachfolgendzusammenfassendberichtet.

    Zusammenfassung aus den polizeilichen Erfahrungen mit der reformierten StPO

    DieInterviewsmitPolizistenzuihrenErfahrungenmitdemneuenErmittlungs-verfahrenergibtnurimBereichderOpferrechteeineinigermaßeneinheitlichesBild. Die Regelungen hinsichtlich der Vertretung von Opfern werden durchdieInterviewtenzustimmendbewertet,Opferdarüberhinausteilweiseexplizitunterstützt.VereinzelteKritikanOpferrechtenkannmanalsgenerelleÜberfor-derungdurchdieKomplexitätderStPOoderaberauchalsgeringeVertrautheitmitOpferrechtenverstehen.DieserinsgesamtgesehenpositiveDiskursistindieser(relativen)EinheitlichkeitindenTeilenderProzessordnung,diesichaufdieneueRolledesBeschuldigten

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    beziehen,nichtauffindbar.WasdieBeschuldigtenrechteanlangt,sofindenwirnebeneinerbetontrechtsstaatlichenPositionaucheinedieerweitertenRechteablehnendeEinstellung,weilsiealsübertrieben,zeitkonsumierend,dieBeschul-digtenzusehrschützendeingestuftwerden.BesondersplastischwirddieindenInterviewszuTagetretendedifferenziertePolizeikulturbeiderFragederRechts-belehrung der Beschuldigten durch die Polizei sichtbar. Dabei stehen sich indenInterviewsdieexplizitenBefürworterdieserpolizeilichenPflicht,einermehroder weniger akzeptierenden und schließlich einer diese Beschuldigtenrechtevehement kritisierenden Haltung gegenüber. Die Kritik wird mit der Unver-ständlichkeit der Rechtsbelehrung, dem dafür nötigen Zeitaufwand und demUmstandbegründet,dassdieBelehrungderEffektivitätderpolizeilichenVer-nehmungschade.AuchhinsichtlichderErfahrungmitAnwälten,soweitsieüberhauptgemachtwerden,dadiese in„Standardfällen“vorderPolizei fastniemalstätigwerden,zeigtsichdiesedieBeschuldigtenrechtezustimmendewieauchablehnendePoli-zeikultur.WasdenJournaldienstderRechtsanwälteanlangt,istdasErgebnisderBefragungeindeutig:Gleichgültig,wiediePolizistendenJournaldienstbewer-ten,sosindsichalledarineinig,dassvondieserMöglichkeitderVerteidigungvondenBeschuldigtenkaumGebrauchgemachtwird.BeweisanträgewerdenseltenundnurvonanwaltlichvertretenenBeschuldigteneingebracht,gleichesgiltfürdasRechtderAkteneinsicht.

    WasdieLeitungdesErmittlungsverfahrensdurchdieStAanlangt,soistdieSichtderPolizeieindeutig:dassdieLeitungskompetenzinStandardfällen(leichtebismittlere Kriminalität ohne den Einsatz von Zwangsmaßnahmen und Ermitt-lungsmaßnahmen verbunden mit Grundrechtseingriffen) bei der Polizei liegtunddieStAüberdieFälleerstdurchdenAbschluss-bzwZwischenberichter-fährt.DaswirdvondenPolizistenauchzumüberwiegendenTeilpositivbewer-tet.VereinzeltwürdevonBeamtendieVernehmungvonBeschuldigtendurchdie StA begrüßt, die jedoch in diesem Deliktsbereich praktisch nie passiert.DementsprechendseltensindwirindiesemKriminalitätsfeldaufBerichteüberKooperationenzwischenPolizeiundStAimSinnevonRücksprachenderPoli-zistenbeidenStA,gemeinsame taktischeÜberlegungenoderBesprechungen,gestoßen.DavonzuunterscheidensindSpezialgebietewiederDrogen-undWirtschafts-strafbereich.HierwirdindenInterviewseineverdichteteformellewieinformelleKommunikation mitgeteilt. Während in Wirtschaftsstrafsachen nach unserenInformationendieStAdieLeitungskompetenzwahrnimmt,istdiesimDrogen-bereichnichtsoeindeutigzusagen.SoweitesdieAnordnungvonZwangsmittelbetrifftundauchdierechtlicheRahmungvontaktischenÜberlegungen,liegtdieLeitunginHändenderStA.DiefaktischeLeitungvorOrtistdieDomänederermittelndenBeamten.

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    HinzuweisenistaufdaseinheitlicheUrteil,demzufolgeJournalstaatsanwälteausSichtderPolizeiguterreichbarundeffizienthandelndwahrgenommenwerden.

    Nach den bisherigen, zusammenfassenden Ausführungen kann nicht über-raschen,dassdieBilanzüberdieErfahrungender interviewtenPolizistenmitdemneuenErmittlungsverfahrennichteinheitlichausfällt:AuchhiersehenwirBefürworter der Reform, die die Klarheit des Aufbaus des Gesetzes, die Ko-operationmitderStAunddiefürdiePolizeigegebeneRechtssicherheitloben.ZumanderenWortmeldungen,indenenKontinuitätdespolizeilichenHandelnshervorgehobenunddieInnovationenderreformiertenStPOzurückhaltendbe-urteiltoderauchnegiertwird.SchließlichKritiker,die ihreVorbehalte inderBegrifflichkeiteines„wahnsinnigen“„Formalismus“und„Bürokratismus“vor-tragen,diesieinderArbeitbehindern.

    Zusammenfassung aus den staatsanwaltschaftlichen Erfahrungen mit der reformierten StPO

    DieProzessphilosophiederneuenStPO,diesiezumdominuslitisdesErmitt-lungsverfahrensgemachthat,wirdvondenStAbegrüßtunddiedamitverbun-deneLeitungskompetenz imSinnederProzessökonomieundderRationalitätdesVerfahrensbejaht.Wasdie InterviewsmitdenStA zurFrageder faktischenLeitung imErmitt-lungsverfahrenbetrifft,ergibtsicheinBild,dasmitjenemkorrespondiert,daswir schon aus den Auswertungen der Befragungen von Polizisten gewonnenhabenundfürAnwälteGegenstandderKritikbildet:InStandardfällenliegtdieLeitungderErmittlungenbeiderPolizei, in speziellenDeliktsfeldernwiederWirtschafts-undDrogenkriminalität1verschiebtsichdieLeitunghinzurStA.IndiesenBereichengibteseinedichteKommunikationzwischendenBehörden,wobei–mitBlickaufdieErgebnisseausdemPolizeikapitel–„Drogenpolizisten“auchnachAussagenderStAvorOrtgroßetaktischeFreiheitengenießen.

    DieKooperationzwischendenBehördenhatsichoffenbarauchausSichtderStA eingespielt, Klagen über Kooperationsverletzungen führen durch die StAjedenfalls nicht zu dokumentierten Konflikten. Was die Dokumentation derPolizeikontaktedurchStA anlangt,wird eineheterogenePraxis indenMate-rialiensichtbar.DerBogenderÜbungreichtvonpeniblerbishinzuvereinzelterundsummarischerDokumentation.Antworten zum Thema der Rechtsbelehrung von Zeugen und BeschuldigtendurchdiePolizeiergeben,dassdieStAnichtweiß,wannundwiedieseerfolgt.Festzuhaltenistauch,dassdiesoffensichtlichkeinGegenstandderDiskussionzwischendenBehördenistundauchkeinThemafürSchulungen.DieRecht-mäßigkeitdesVerfahrenserschließtsichfürfastalleInterviewtenausderTat-

    1 WirhabenwenigMaterialausdemBereichderSexualdelikte.EskanndaherzurFragederLei-tungskompetenzindiesemspeziellenDeliktsbereichhierleiderkeineAussagegetroffenwerden.

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    sache,dasssichdasFormularüberdieRechtsbelehrungunterschriebenimAktfindet.Auch die wenigen Interviewten, die größere Zweifel an der diesbezüglichenVorgangsweisederKriminalpolizeihegen,ziehendarauskeineVerbindungzurgeringenFrequenzvonRechtsbehelfen,dievonBeschuldigtenimErmittlungs-verfahreneingebrachtwerden.ÜberdieedukativenundsozialenVoraussetzun-genderdurchschnittlichenStrafprozessklientel,rechtlicheBelehrungenineinemMaßezuverstehen,umdarausSchlussfolgerungenfürsichzuziehen,wirdinderStAgemäßunsererInterviewsnichtgesprochen.StAsindsichhingegensicher,dassdieOpferumfassendhinsichtlichihrerrechtlichenundpsychosozialenUn-terstützungsmöglichkeitendurchdiePolizeiinformiertwerden–eineÜberzeu-gung,diedurchdiepolizeilichenMitteilungenunterstütztwird.

    ÜberblicktmandasDatenmaterialhinsichtlichderempirischenFrage,welcheRolledasRecht, inAktenEinsicht zunehmen,Beweisanträge zu stellenunddie neuen Rechtsbehelfe der Beschuldigten im Ermittlungsverfahren im Ar-beitsalltag der StA spielen, so zeigt sich, dass Beschuldigte in aller Regel ihreRechtewenignutzenundbeinahe ausschließlich vonRechtsanwältengenutztwerden. ImEinzelnenwird zuProtokoll gegeben,dassEinsprüchewegenbe-haupteter subjektiverRechtsverletzung nach §106kaumeingebrachtwerden,gleichesgilt auch fürEinstellungsanträgenach§108.AlsGründenennendieInterviewtendieantizipierte,wahrscheinlicheErfolglosigkeitdereingebrachtenRechtsbehelfe,SchuldeinsichtundSchamderBeschuldigtensowiediekorrektePraxisderSicherheitsbehördenwieauchderStA.EinZusammenhangzwischendeminallerRegelvorliegendenniedrigensozialenStatusund/oderderKultur-fremdheitderBeschuldigtenunddergeringenQuotevonEinsprüchendurchBeschuldigtewirdvondenStAnichtangesprochen.

    VonderinformellenKommunikationzwischenAnwältenundStA,vonderdieinterviewtenStrafverteidigerwieauchOpferanwältesprechen,berichtendieStAnicht.

    InsgesamtwerdendieRechte vonOpfern imErmittlungsverfahrendurchdieStAgünstig,wennauchinDetailsambivalentbiskritischbeurteilt.Besonderskritischhervorgehobenwerden indenInterviewsdasmangelndeKostenrisikobeiFortführungsanträgenunddiedamitverbundeneArbeitsbelastungderStAimKontext der geringenErfolgsquoteder oftmals vonunvertretenenOpferneingebrachten Anträge und weiters die zahlreichen Verständigungspflichtenals Folge des weiten strafprozessualen Opferbegriffs. Die derzeitige Regelung,wonachdasLGFortführungsanträgeprüft,istindenStAnichtunumstritten.DiepsychosozialewierechtlicheVertretungwirdausSichtderStAvonOpferngenutzt. Kritisiert wird allenfalls eine wahrgenommene „Überbetreuung“ von

  • 41Jahresbericht 2009/2010 und Forschungsplan 2011

    viktimisiertenFrauen.DieEinsprüchedurchOpfernach§106 spielenkeine,BeweisanträgeeinegeringeRolle.

    InÜbereinstimmungmitderquantitativenAnalysezeigtauchdieAuswertungdesqualitativenMaterials,dassdieHäufigkeitdesKontaktszwischenderStAunddenHR-GerichtenvonuntergeordneterBedeutungist,zumalinStandard-fällenwederZwangsmittelbeantragtnochBeschwerdeneingebrachtwerden.ImBereichderDrogenkriminalitätsindhingegenhäufigereKontaktaufnahmendieRegel.GemäßderzuProtokollgegebenenInformationenderStAgestaltetsichdasVer-hältniszwischenStAundHR-GerichtnichtzuletztvordemHintergrundkonst-ruktiverinformellerBeziehungenbefriedigend.DazugehörtdieSchaffung„neu-traler“Orte(Kaffeeecken,Mittagstische)undaußerprotokollarischerVerfahren(z.B.Telefonanrufe), umdifferierendeRechtsansichten auszutauschenund zudiskutierenundumDissensinKonsenszutransformieren,oderumandernfallsverbleibendeunterschiedlicheRechtsauffassungen„ohneGesichtsverlust“indasaktenförmigeVerfahrenüberzuführen.GelingtdiesebegleitendeInformalisierungdesformalenVerfahrensnicht,istmitReibungsverlustenzurechnen.

    Zusammenfassung aus den gerichtlichen Erfahrungen mit der reformierten StPO

    InderZusammenschaudesrichterlichenBefragungsmaterialsfindetsicheindieReformphilosophieunterstützenderDiskurs,indemauchdasdurchdieReformveränderteTätigkeitsprofilvonStAundKriminalpolizeigewürdigtunddieneueRolledesGerichtsimErmittlungsverfahrenpositivdefiniertwird.Zugleich signalisieren Richter aber auch Kritik an der praktischen TätigkeitbeiderBehörden:Zunächstwerden,vergleichendzumaltenSystemdesUnter-suchungsrichters,dieinvielenFällenzugeringestaatsanwaltschaftlicheErmitt-lungstätigkeitunddieunterihrerLeitunggeleisteteErmittlungsarbeitderKri-minalpolizeikritischbeurteilt.ZumeinenwirddabeiaufdienichtzielführendenVernehmungenbzw.ErhebungenderKriminalpolizeiundzumanderenaufdaspassiveLeitungsverständnisderStaatsanwaltschaftverwiesen.DerGrundwirdin überforderten staatsanwaltschaftlichen Kanzleien und den vielen „Neben-tätigkeiten“derStAgesehen,wobeivorallemdieumfänglichenVerständigungs-pflichtenalszeitkonsumierendangesprochenwerden.ZusammenmiteinerausrichterlicherSichtschlechtenPersonalausstattungderStAwirddieserDiskurs-strangunterdemAspektdes„Noch-nicht-umgehen-Könnens“ mitdemneuenRecht abgehandelt, sowie als (noch) nicht gelungene Umsetzung der Reformbewertet.

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    NebenpositivenErfahrungenmiteinermittlerweileeingespieltenKooperationzwischen den Gerichten und den Strafverfolgungsbehörden gibt es einen kri-tischen Diskurs hinsichtlich der Folgeprobleme, die sich für die HV aus dererwähnten Leitungsproblematik der StA ergeben. Die Auswirkungen könnenambestenmitHilfederKausalkette–(a)dieErmittlungsarbeitseiinmanchenFällennichtabgeschlossenunddaherverlageresich(b)einTeilderBeweisauf-nahmeindieHauptverhandlung,derenQualitätsichdadurchveränderthabe –konkretisiertwerden.Summa summarum läst sich festhalten, dass das hierarchische Kooperations-modellzwischenStaatsanwaltschaftundKriminalpolizeiausSichtderRichtermiteinigenUmsetzungsproblemeninderPraxisbehaftetistunddaherdenIn-tentionendesGesetzgebers(vorerst)nurzumTeilentspricht.

    MitderneuenRollealsHR-RichterunddendamitverbundeneAufgabendesGerichts sind imwesentlichen zweiKontrollbereiche im strafprozessualenEr-mittlungsverfahrenverbunden:ZunächstobliegtdemGerichtdieKontrolledesGrundrechtsschutzes und eine weitere wichtige Kontrollaufgabe des GerichtsliegtimBereichdesRechtsschutzes.BeidegerichtlichenAufgabenkumulierenineinemneuenRollenbildderRichterundbeideAspektewarenzentralerGe-genstandderqualitativenAnalyse.Fasst man die Ergebnisse im Bereich des Grundrechtsschutzes zusammen, sozeigtsich,dassdasEnsemblevoneinzelnenErfahrungen,ausdenendiegene-rell positiveBilanzierungbesteht, sich ausdurchausdifferenzierten,nuancier-ten, teils kritischen Beschreibungen der gegenwärtigen Praxis zusammensetzt.Summasummarumhabenwiresmit zweientgegengesetztenBildernvonEr-fahrungenzutun:AufdereinenSeitedieprogrammatischeRolledesHaft-undRechtsschutzrichters als „Herr der Grundrechte“, der innerhalb bestimmterGrenzendasstrafprozessualeGeschehen,unddiedaringetätigtenstaatsanwalt-schaftlichenundkriminalpolizeilichenHandlungsvollzügeüberwachtundkont-rolliert.AufderanderenSeitediedefactoRolledesHaft-undRechtsschutzrich-ters,dieinderAufgabenhierarchiedesprozessualenErmittlungsverfahrensmitBedeutungsverlustundmiteinemReduziert-Seinassoziiertwird.Gleichgültig,obdieneueRollereduziertoderbefriedigendbeschriebenwird,sowirddiekon-trollierendeTätigkeitalssehrpositivundzumrichterlichenKerngeschäftgehö-rend erlebt und die Ausübung der gerichtlichen Kontrollfunktion als wichtigeingeschätzt.Der ChangeProzessvonderaltenzurneuenProzessordnungwirdals„abge schlossen“ perzipiertunddieKooperationinsbesonderemitderStaatsan-waltschaftalsmittlerweile„eingespielt“beschrieben.AusSichtderRichterwirdausschließlichdieuneinheitlicheAktenführungundderAktenlaufkritisiert,dadarausProbleme inderWahrnehmungdergerichtlichenKontrollfunktioner-wachsen und unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes bedenklicheEntscheidungen„erzwungen“werden.KritisiertwirdvonHR-Richternindie-

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    semKontextdie gelegentlich (zu)kurzeZeit,umU-Haftentscheidungendif-ferenziert treffen zukönnen,wennauchbetontwird, jedenfalls inhaltlichdieAnordnung der StA zu prüfen, auch wenn durch die Stampiglie entschiedenwird.

    DieTatrekonstruktionspieltindergerichtlichenPraxiseineperiphere,diekont-radiktorischeVernehmungzwaraucheinezahlenmäßiguntergeordnete,aberbe-deutsamereRolleimGerichtsalltag,diealsMittelderBeweisaufnahmewichtigundsinnvollerachtetwird.DassfürBeschuldigtekeinAnwaltszwangherrscht,wirdkritisiert.

    DieErgebnisse imBereichderRechtsschutzfunktion lassen sichdahingehendzusammenfassen,dassdieneuenRechtsschutzmöglichkeitenalsFortschrittan-gesehenwerden–auchwennsie inderPraxis (noch)keinebedeutendeRollespielen.EinsprüchewegenRechtsverletzungennach§106,AnträgeaufEinstel-lungdesVerfahrensnach§108undBeschwerdennach§87gelangenseltenandasGericht–dieserBefundstimmtmitallendiesbezüglichenErgebnissendesEvaluationsberichtsüberein.MitAusnahmederFortführungsanträge,dieauchvonunvertretenenParteieneingebrachtwerden,wirddiesesneueRechtsinstru-mentariumausschließlichvonRechtsanwältenbenutzt,diejedochimStrafver-fahrenselteninErscheinungtreten.AusSichtderRichteristdieErfolgschancevonBeschwerdenundEinsprüchensehrgering.MitBlickaufdieHäufigkeitdesmobilisiertenRechtsschutzesmeldendieRichterihrenZweifelan,obdiegängigenPraktikeninderRechtsbelehrungtatsächlichleisten,wassievorgebenzuleisten,alsoinsbesondereunvertreteneBeschuldigteindieLageversetzen,ihreprozessualenRechteauchzunutzen.WasdieerweitertenOpferrechtebetrifft,sowirdinsbesonderederweitgefasstOpferbegriffkritisiertunddamitaufdiemöglichennegativenFolgenimstraf-prozessualenErmittlungsverfahrenhingewiesen.

    Zusammenfassung aus den Erfahrungen von Rechtsanwälten mit der reformierten StPO

    Unabhängigdavon,welcheKlientelAnwälteinderRegelvertreten,anwelchenOrtenundinwelchenBereichenderKriminalitätsieüblicherweisetätigsind,soistdasUrteileinheitlich:DieStaatsanwaltschaftenalsdeiureermittlungsleitendeBehördenleiteninderüberwiegendenWahrnehmungvonRechtsanwältendasErmittlungsverfahreninFällender„Alltagskriminalität“nicht.Leitungskompe-tenz wird allenfalls einzelnen Staatsanwälten oder Staatsanwaltschaften mitbesonderenAufgabenzugebilligt (imBereichderVerfolgungvonWirtschafts-kriminalität,Suchtgiftdelikten,Sexualstraftaten),dieStaatsanwaltschaft jedochnichtalserhebungsleitendeBehördeinsgesamtwahrgenommen,allerdingsvon

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    Anwälteneingefordert.AlsGrundfürdasLeitungsdefizitwirdübereinstimmendvonÜberlastungderStAgesprochen.

    RechtsanwältezeigensichindenInterviewssehrzufrieden,dasssienunmehrdasRechtbesitzen,beidenpolizeilichenVernehmungenanwesendseinzukönnen.DaswirdalsFortschrittbewertet.AllerdingswirdvonAnwälten,dieBeschul-digte aus migrantischem Milieu vertreten, vereinzelt trotzdem die unwürdige(rassistische)BehandlungihrerMandantenzurSprachegebracht.

    WährendnureinRechtsanwaltüberguteErfahrungenbeiderRechtsbelehrungdurch die Polizei berichtet, findet sich in den übrigenWortmeldungen vehe-menteKritikandervorherrschendenPraxis,wiediePolizeiBeschuldigteundteilweiseauchOpferüberihreRechte(ineinzelnenFällenauchfalsch)aufklärt.Letzteressteht ineindeutigemWiderspruchzumSelbstbilddermeisten inter-viewtenPolizeibeamten,diesichzumeistsehropferzugewandtäußerten.

    WasdieAkteneinsichtbeiderPolizeianlangt,soergibtdasMaterialeinhetero-genesBildundderErfahrungsbogenreichtvonzuvorkommenderbishinzusehrunangenehmerBehandlung.DerUmstand,dassAnwälteeherOpferodereherBeschuldigtevertreten,spieltbeidiesenErfahrungenkeineRolle.Scharfkriti-siertwerdendieexorbitanthohenKopierkosten,diealsBeeinträchtigungeinergeordnetenRechtspflegebewertetwerden.ÜberdieselteneMobilisierungdesJournaldienstesderRechtsanwälteherrschtIrritationundeswurdedieVermutunggeäußert,dassdiediesbezüglicheInfor-mationvonderPolizeizumindestnurzurückhaltendweitergegebenwird.

    WasdenFragenkreisderBewilligungvonZwangsmittel anlangt, so siehtnureinkleinerTeilderBefragteneineninhaltlichenSchutzdurchdiePrüfungdesHR-Gerichtsgegeben.Überwiegendwerde,sodievorherrschendeAuffassung,demAntragderStAgefolgt,eineEinschätzung,diejenerderStAnurgraduellwiderspricht.VonderMöglichkeit,Beweisanträgezustellen,wirdvonallenInterviewtengarnichtoderzurückhaltendGebrauchgemacht.Begründetwirddiesmitprozess-taktischen,wieauchmitpsychologischenErwägungen.AuchdieErfahrungdergeringenErfolgsausichtenspielteineRolle.DieAntworten zurErfahrungmitEinsprüchenwegenRechtsverletzungnach§106undderBeschwerdenach§87StPO warenähnlichreserviert.HingegenwurdeinallendiesenFällenvoninformellenZugängenzurStAalsMittelderprimärenWahlgesprochen.

    DiekontradiktorischeVernehmungisteinThema,dasinderAnwaltschaftdif-ferenziertwahrgenommenwirdunddievonOpferanwälteneinheitlichbegrüßt

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    wird.EsgibtdarübereinenakzentuiertaffirmativenDiskurs,der jedochauchmitkritischenPositionendurchsetzt ist,diesichgemeinsamausderKritikander Verletzung des Prinzips der Unmittelbarkeit im Strafverfahren herleiten.DieserMangelseinachteiligfürBeschuldigte,sagendieeinen,nachteiligauchfürOpfer, sagen andere.Bemängelt oder auch alsKritik akzeptiertwirdwei-tersderUmstand,dasskeinVerteidigerzwangaufSeitenderBeschuldigten inderkontradiktorischenVernehmungbesteht.DieDurchführungeinerkontra-diktorischenVernehmunginderHauptverhandlungsehenmancheAnwältealsReformmöglichkeit.Der ablehnendeDiskurs siehtdie Interessen vonOpfernausreichendgeschützt,wenndiesemitBeschuldigtennichtphysischkonfron-tiertwerden.

    BeiderBewertungderOpferrechteinderStPOteilensichdieMeinungeninAbhängigkeitdavon,obAnwälteBeschuldigteoderOpfervertreten.WasfürdieeineSeitealsgroßerWurfgilt,gehtderanderenzuweitunddieAntwortenkor-respondierenmitjenenhinsichtlichderkontradiktorischenVernehmung.WasdieFortführungsanträgeanlangt,sosindsichalleAnwälteeinig,dassdiederzeitigeRegelung,dieAntragstellernkeinKostenrisikoauferlegt,Anträgean-zieht.DieswirdauchvonOpferanwältenkonzediert.ReformideendazugeheninRichtung einer (graduellen)KostenbeteiligungderAntragsteller, aber auchdieausführlichereBegründungderVerfahrenseinstellungendurchdieStAwirdeingefordert,dadadurchgleichfallswenigerAnträgegestelltwürden.DieAnzahlderEinbringungenistwohlinsgesamtalsgeringeinzuschätzenundstimmtmitdenquantitativenErgebnissenüberein;zurFragederErfolgsquotesinddieAnt-wortenrechtvage,siewirdvonAnwältenjedochinderBilanzgünstigbeurteilt.

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    gefährliche drOhungen und die schutzfunktiOnen der staatlichen interventiOn

    Projektauftrag durch das Bundesministerium für JustizProjektdurchführung: Gerhard Hanak, Brita KrucsayProjektlaufzeit: März 2009 bis Dezember 2009

    Ausgangspunkt des Projekts war die rechtspolitische und rechtsanwendungs-bezogeneProblematikdesTatbestandsdergefährlichenDrohung:Dieangeru-fenen staatlichen Institutionen (insbesondere Polizei, Strafjustiz) stehen regel-mäßigvordemProblem,aufgrundbegrenzterInformationenzumSachverhaltund den beteiligten Personen eine Abschätzung bestehender Risken und Ge-fährdungspotentialevorzunehmenundzueinerrealistischenEinschätzungderjeweiligenSchutzbedürfnissedesOpferszugelangen.(EsspiegeltsichdarindastheoretischewiepraktischeSpannungsfeldvonSicherheitundFreiheit,esstellensichFragen derVerhältnismäßigkeit der Intervention, die sowohl dieBürger-rechtedesAngezeigten/Beschuldigtenberücksichtigen,andrerseitsaberauchdieSchutzbedürfnisse des Opfers, gegebenenfalls auch dritter Personen, in Rech-nungstellen.)SpektakuläreFälle,indenendieInterventionderBehördenoffen-sichtlichnichtausreicht,umdenSchutzderOpferzugewährleistenoderderenEinschätzungbestehenderGefahrensichnachträglichalsfalscherweist,werdenindenMedienundinderrechtspolitischenDiskussionregelmäßigaufgegriffenundinderFolgezumAnlassvonJustizkritik.

    AnhandeinergrößerangelegtenAktenauswertung–circa180rechtskräftigab-geschlossene Verfahren des Jahres 2008 aus insgesamt drei Gerichtssprengeln(Wien,Steyr,Feldkirch)undmittelseinerkleinerenZahlvonExperten-Inter-views(VertreterInnenvonPolizei,Staatsanwaltschaften,Opferhilfe-Einrichtun-gen) sollte festgestellt werden, welche Fallkonstellationen typischerweise miteinemüberdurchschnittlichenbishohenGefährdungspotentialverbundensind.

    Fälle mit überdurchschnittlichem Gefährdungspotential

    DieAktenenthaltenfürdieüberwiegendeZahlderFällekeinekonkretenIn-formationen, aus denen sich eine konkrete bzw. fundierte Einschätzung oderPrognosederkünftigenEntwicklungableitenließe.DennochdrängtsichfürdieüberwiegendeMehrheitderFällederSchlussauf,dassweitereKonflikteskalationundbesondereGefährdungspotentialenichtanzunehmensind–auchwennmit-unterkeinesfallsauszuschließenist,dassangesichtsfortdauernderBeziehungen,gelegentlicherKontakteoderaufgrundräumlicherNähesichweitere(indenFol-

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    genbegrenzteundundramatische)Auseinandersetzungenergebenkönnten,dieaberkaumspeziellerPräventionsmaßnahmenbedürfen.Umgekehrtfindetsichein(begrenztes)KontingentvonFällen(Größenordnung:15ProzentderFälle),fürdasdavonauszugehenist,dassbestehendeKonfliktlagendurchpolizeiliche,strafjustizielleundsonstigeinstitutionelleInterventionenvorerstnichtbereinigtoderentschärftwerdenkönnen.

    EineBilanzderAnalysedeshierinteressierendenSegmentsdesGesamtmaterialszeigtzunächst,dassvorallemeinespezielleFallkonstellationüberproportionalvertretenist:Partnerschaftskonflikte,unddarunterwiederumKonflikteimZu-sammenhangmitbereitsbeendetenodereinseitigaufgekündigtenPartnerschaf-ten, wobei dieseTrennung vom Beschuldigten nicht akzeptiert wird und dieDrohungimZugeseinerBemühungen,umdieFortsetzungderBeziehungzukämpfenbzw.dieExpartnerineinzuschüchtern,erfolgen.DarunterfindensichsowohlFälle,indenendieDrohungundihreAnzeigeinderPhasederTrennung(bzw.alsunmittelbareReaktiondarauf )erfolgt,alsauchsolche,wodieTren-nungdefactoseiteinigerZeitvollzogenist,dieemotionaleundalltagspraktischeEntflechtungderBeziehungabernochnichtgelungenistundvordemHinter-grundweiterbestehenderRessentiments (vor allemdesBeschuldigten)Gewaltund Einschüchterung praktiziert werden. Besondere Brisanz gewinnen derar-tigeKonstellationen,wennzudem„obsessive“VerhaltensweisendesBeschuldig-ten erkennbar werden, die in wiederholten oder andauernden Belästigungen,Bedrängungen und Konfrontationen resultieren. Bemerkenswert erscheint andiesenKonstellationen, dass dieBedürfnisse derOpfermeist um „AbstellungderBelästigung/Bedrängung/Bedrohung“kreisenundvorallemeineRückkehrzunormalenLebensbedingungen(eben:ohnepermanenteBedrängung/Bedro-hungdurchdenExpartner)angestrebtwird,wogegenandereAspektederBear-beitungdesProblemsallenfallsvonsekundärerBedeutungerscheinen.Eshan-deltsichdabeizumeistumFälle,indenensicherheitspolizeilicheMaßnahmen(Betretungsverbote,VerbotderKontaktaufnahmeunddgl.)durchausgeeigneterscheinen,umdiebestehendeProblematikzuentschärfen.Obsiedarüberhi-nauseinenBeitragzueinerdauerhaftenLösungdesProblems(imSinnevon:Vermittlung vonEinsicht beimBeschuldigten,AkzeptanzderAutonomiedesOpfers,Normverdeutlichung)zuleistenvermögenodermituntersogarweitereparanoideDeutungenseitensdesBeschuldigtenerzeugenoderzuverstärkenver-mögen,kannhiernichtbeantwortetwerdenundbleibtweiterenUntersuchun-genvorbehalten.

    VondenTrennungskonfliktendeutlichzuunterscheidensindFallkonstellatio-nen,diezunächstvorallemdurchmehroderwenigerhabitualisierteGewaltdesBeschuldigten gekennzeichnet sind, wobei die Beziehung an sich aufrecht istundzumeistauchschonlängereZeitandauert.DasAgierendesBeschuldigten

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    istdabeidesöfterendurchgravierendeAlkoholproblemeund/oderpsychischeAuffälligkeitengeprägt.DassdieBeziehung auch angesichtswiederholterGe-waltvorfälle weiterbestanden hat und anscheinend keine Trennungsabsichtenartikuliertwerden,dürfteindiesenFällenmiterheblichen(materiellenund/oderemotionalen)AbhängigkeitendesOpferszuerklärensein,dasjedenfallswenigAlternativenzurFortführungderBeziehungsieht.DieProblematikdesOpfer-schutzesstelltsichhierunterdeutlichanderenGesichtspunkten:EsgehtjanichtumdieHerstellungvonräumlicherDistanz,sondernumeineInterventioninBeziehungen,die(jedenfallsvomOpfer)ansichnichtinFragegestelltwerden.Das legt zumindest in manchen Fällen eine therapeutische Option nahe, dieaberihrerseitseinbestimmtesAusmaßanProblembewusstseindesBeschuldig-tenvoraussetzt.

    Zusehenistaberauch,dassdasquantitativbegrenzteSegmentderFällemitbe-sondersungünstigerZukunftsprognosegeradeauchdurchdenUmstandgekenn-zeichnetist,dassseitensderBeschuldigtenwenigReflexion(undnochwenigerSelbstkritik) bezüglich de