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JAZZ JAZZ Avishai Cohen Trio From Darkness •••oo Razdaz/Warner (42 Min., 5/2014) Er hatte sich einen Namen in den 9oer Jahren als höchst fingerferti- ger Bassist an der Seite von Chick Corea gemacht und schon eine Reihe beachtlicher Aufnahmen unter eigenem Namen vorgelegt. Aber seinen richtigen Durchbruch feierte Avishai Cohen 2008 mit seiner Trio-Einspielung „Gently Disturbed", die sich weltweit über 100.000 Mal verkaufte. Sieben Jahre und einige Alben später, die Cohen mal als Sänger, mal als Orchestraler größerer Be- setzungen zeigten, wagt sich der Israeli wieder an eine Trio-Einspie- lung heran. Zwei junge Landsmän- ner stehen nun an Cohens Seite: der Schlagzeuger Daniel Dor und der Pianist Nitai Hershkovits, der seinen Einstand imCohen-Univer- sum schon 2012 mit der Duo-Plat- te „Duende" gegeben hatte. Es ist höchst spannend, wenn man nun „Gently Disturbed" mit „From Darkness" vergleicht. Da sind immer noch die krummen Metren und die nahöstlich inspi- rierten Kadenzen, die bestimmend für Cohens Stil sind, und auch Hershkovits zeigt sich ähnlich stark von der Klassik beeinflusst wie sein Vorgänger Shai Maestro. „From Darkness" wirkt freilich raffinierter und feiner justiert in seinen eigenwilligen Songaufbau- ten, die auf erkennbare Themen als Fundament verzichten und be- vorzugt mit Akkord-Turnarounds, Latin-Grooves und quirligen Kla- vier-Ostinati als Kittmasse arbei- ten. Auch wenn die drei Musiker mit erstaunlicher Sensibilität vor dem Hintergrund der rhythmisch komplexen Fingerübungen agie- ren - bestes Beispiel dafür ist Dors wunderbares, die Stille als star- kes Ausdrucksmittel nutzendes Schlagzeug-Solo in „Bailad For An Unborn" - so berührt einen die Mu- sik des Trios überraschend selten. Der Album-Rausschmeißer, Charlie Chaplins „Smile", zeigt das Problem deutlich: Das an sich so simpel herzerwärmende Stück wird mit salonmusikhaftem De- bussy-Schmelz und 5/4-Takt-Au- genzwinkern geradezu überfrach- tet. Das kann man beeindruckend und schlau finden, in seiner gänz- lichen Ironiefreiheit jedoch auch irgendwie arrogant. Vielleicht hat „Gently Disturbed" die Latte für Cohens Trio-Musik einfach zu hoch gelegt. IOSEF ENGELS Georg Breinschmid Double Brein ••••O Preiser Records/ Naxos (2CDs, 152Min., 4/2010-9/2014) Der Mann ist ein Original. Georg Breinschmid, 1996 bis 1999 Mit- glied der Wiener Philharmoni- ker, bringt zusammen, was nach landläufigen Vorstellungen nicht zusammenpasst. Er singt in der Tradition der Liedermacher und Kaffeehausmusiker Stücke mit skurrilen Texten, er verwandelt Franz Liszts „Mephistowalzer" in einen wilden Parforceritt für Kla- vier, Geige und Kontrabass und für „Brein's Knights" rockt er mit zwei Geigern, einem Cellisten und dem eigenen Kontrabass wild und kunstvoll los. Seine Version des zweiten Satzes aus Johann Sebas- tian Bachs a-Moll-Violinkonzert groovt mit Kontrabass, Vibrafon und Klavier, und seine Version der Verdi-Arie „La Vecchia" bezieht neben einem Geiger einen Akkor- deonisten ein. Zwei Discs umfasst das Al- bum, die eine eher von klassi- schen Themen geprägt und die andere mit Trompeter, Saxofonis- ten und Vibrafonisten als Part- nern etwas näher am Jazz. Klassik, Jazz, Balkanfolklore, Samba, Klez- mer, Walzer, Blues, Gipsy-Swing und Rock: Das sind nur einige Be- standteile der Breinschmid'schen Welt und gleichzeitig ein Spiegel seiner musikalischen Biografie nach dem Ausscheiden aus dem Weltklasseorchester. Die führ- te ihn unter anderem ins Vien- na Art Orchestra und die Wein- rich Group. Dabei macht er sich mit wechselnden Besetzungen ei- nen Spaß daraus, den Stücken mit überraschenden Brüchen eine vorab kaum zu ahnende neue Richtung zu geben, ins Burschi- kose abzudriften, Klischees zu zi- tieren, zu überhöhen und zu ver- werfen, Melodienseligkeit durch Kratzgeräusche auf dem Kon- trabass zu zerstören. Die Fül- le der Stilzitate schafft eine fal- sche Vertrautheit, doch der Brein- schmid'sche Klanganarchismus verscheucht jedes Gefühl der Hei- meligkeit. Das alles klappt nur, weil Breinschmid ein solch exzel- lenter Kontrabassist ist, dass auch die wildesten Brüche nie zu Unsi- cherheiten oder ins unkontrollier- te Chaos führen. Das macht das 2010 bis 2014 bei Konzerten und in diversen Studios aufgenomme- ne Doppelalbum zu einem Riesen- spaß. WERNER STIEFELE JackDeJohnette Made In Chicago ••••O ECM/Universal (78 Min., 8/2013) Es war so etwas wie ein Klassen- treffen. Der Schlagzeuger Jack De- Johnette, damals noch Pianist, und die Saxofonisten Roscoe Mit- chell und Henry Threadgill hat- ten 1962 zusammen am Wilson Junior College studiert. Und ge- jammt. In der Free-Periode des Jazz: Der Nukleus der „Associati- on for the Advancement of Crea- tive Musicians" (AACM) wurde dort gegründet. Rund fünfzig Jah- re später nutzte Jack DeJohnette, mittlerweile Schlagzeuger, eine Wild Card des Chicago Jazz Fes- tival, trommelte die alten Freun- de zusammen, ergänzte noch den Pianisten Muhal Richard Abrams und den Bassisten Larry Gray und ließ die alten Zeiten der freien Im- provisationen, der überraschen- den Wendungen, der ungewöhn- lichen Klangkonstellationen wie- der aufleben. Sie probten sechs Stücke - jedes weit entfernt von den üblichen Chorusstrukturen, jedoch auf klar erkennbaren The- men und Kooperationskonzepten basierend. Einzig die Zugabe, die fünfminütige Nummer „Ten Mi- nutes", verlässt dieses Grundprin- zip zu Gunsten einer völlig freien Kollektivimprovisation. Der sieb- zehnminütige „Chant" wandelt sich von hornissenartig schwir- renden Bläsersounds in eine Fülle von Begegnungen, das vierzehn- minütige „Jack Five" ist über weite Passagen gelassener, bringt aber auch eruptive Momente und stellt DeJohnette ins Zentrum. Fast zer- brechlich wirken die zwölf Minu- ten des leisen, von Flöten gepräg- ten „This", während das dreizehn- minütige „Museum Of Time" aus dichten Klavier-Clustern über eine mystisch klagende Phase zu ei- nem pulsierenden, fast swingen- den Finale führt. Das zehnminüti- ge „Leave Don't Go Away" vereint schließlich vergnügt pulsierenden Free Jazz mit einem ungestümen Zwischenspiel. Wie ein Museums- besuch wirkt die Disc, und sie er- innert daran, dass es eine Phase in der Jazzgeschichte gab, in der Musiker ihr Genre von der Wurzel her neu fassen wollten. Im Grun- de ist diese Reminiszenz aktueller und für die Fortentwicklung des Genres wichtiger als all die netten Crossover-Produkte mit Jazzantei- len. WERNER STIEFELE Jürgen Friedrich Reboot Nwog/Edel (57 Min., 4/2013 & 1/2014) Auch mit seinem neuen Trio ver- folgt Jürgen Friedrichs konsequent sein Ideal des intimen offenen Musizierens. Wie der Mittvierzi- ger Friedrich selber kommen auch 52

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J A Z Z

J A Z Z

Avishai Cohen Trio

From Darkness

•••ooRazdaz/Warner

(42 Min., 5/2014)

Er hatte sich einen Namen in den

9oer Jahren als höchst fingerferti-

ger Bassist an der Seite von Chick

Corea gemacht und schon eine

Reihe beachtlicher Aufnahmen

unter eigenem Namen vorgelegt.

Aber seinen richtigen Durchbruch

feierte Avishai Cohen 2008 mit

seiner Trio-Einspielung „Gently

Disturbed", die sich weltweit über

100.000 Mal verkaufte.

Sieben Jahre und einige Alben

später, die Cohen mal als Sänger,

mal als Orchestraler größerer Be-

setzungen zeigten, wagt sich der

Israeli wieder an eine Trio-Einspie-

lung heran. Zwei junge Landsmän-

ner stehen nun an Cohens Seite:

der Schlagzeuger Daniel Dor und

der Pianist Nitai Hershkovits, der

seinen Einstand im Cohen-Univer-

sum schon 2012 mit der Duo-Plat-

te „Duende" gegeben hatte.

Es ist höchst spannend, wenn

man nun „Gently Disturbed" mit

„From Darkness" vergleicht. Da

sind immer noch die krummen

Metren und die nahöstlich inspi-

rierten Kadenzen, die bestimmend

für Cohens Stil sind, und auch

Hershkovits zeigt sich ähnlich

stark von der Klassik beeinflusst

wie sein Vorgänger Shai Maestro.

„From Darkness" wirkt freilich

raffinierter und feiner justiert in

seinen eigenwilligen Songaufbau-

ten, die auf erkennbare Themen

als Fundament verzichten und be-

vorzugt mit Akkord-Turnarounds,

Latin-Grooves und quirligen Kla-

vier-Ostinati als Kittmasse arbei-

ten. Auch wenn die drei Musiker

mit erstaunlicher Sensibilität vor

dem Hintergrund der rhythmisch

komplexen Fingerübungen agie-

ren - bestes Beispiel dafür ist Dors

wunderbares, die Stille als star-

kes Ausdrucksmittel nutzendes

Schlagzeug-Solo in „Bailad For An

Unborn" - so berührt einen die Mu-

sik des Trios überraschend selten.

Der Album-Rausschmeißer,

Charlie Chaplins „Smile", zeigt

das Problem deutlich: Das an sich

so simpel herzerwärmende Stück

wird mit salonmusikhaftem De-

bussy-Schmelz und 5/4-Takt-Au-

genzwinkern geradezu überfrach-

tet. Das kann man beeindruckend

und schlau finden, in seiner gänz-

lichen Ironiefreiheit jedoch auch

irgendwie arrogant. Vielleicht hat

„Gently Disturbed" die Latte für

Cohens Trio-Musik einfach zu

hoch gelegt. IOSEF ENGELS

Georg Breinschmid

Double Brein

••••OPreiser Records/

Naxos

(2CDs, 152 Min.,

4/2010-9/2014)

Der Mann ist ein Original. Georg

Breinschmid, 1996 bis 1999 Mit-

glied der Wiener Philharmoni-

ker, bringt zusammen, was nach

landläufigen Vorstellungen nicht

zusammenpasst. Er singt in der

Tradition der Liedermacher und

Kaffeehausmusiker Stücke mit

skurrilen Texten, er verwandelt

Franz Liszts „Mephistowalzer" in

einen wilden Parforceritt für Kla-

vier, Geige und Kontrabass und

für „Brein's Knights" rockt er mit

zwei Geigern, einem Cellisten und

dem eigenen Kontrabass wild und

kunstvoll los. Seine Version des

zweiten Satzes aus Johann Sebas-

tian Bachs a-Moll-Violinkonzert

groovt mit Kontrabass, Vibrafon

und Klavier, und seine Version der

Verdi-Arie „La Vecchia" bezieht

neben einem Geiger einen Akkor-

deonisten ein.

Zwei Discs umfasst das Al-

bum, die eine eher von klassi-

schen Themen geprägt und die

andere mit Trompeter, Saxofonis-

ten und Vibrafonisten als Part-

nern etwas näher am Jazz. Klassik,

Jazz, Balkanfolklore, Samba, Klez-

mer, Walzer, Blues, Gipsy-Swing

und Rock: Das sind nur einige Be-

standteile der Breinschmid'schen

Welt und gleichzeitig ein Spiegel

seiner musikalischen Biografie

nach dem Ausscheiden aus dem

Weltklasseorchester. Die führ-

te ihn unter anderem ins Vien-

na Art Orchestra und die Wein-

rich Group. Dabei macht er sich

mit wechselnden Besetzungen ei-

nen Spaß daraus, den Stücken mit

überraschenden Brüchen eine

vorab kaum zu ahnende neue

Richtung zu geben, ins Burschi-

kose abzudriften, Klischees zu zi-

tieren, zu überhöhen und zu ver-

werfen, Melodienseligkeit durch

Kratzgeräusche auf dem Kon-

trabass zu zerstören. Die Fül-

le der Stilzitate schafft eine fal-

sche Vertrautheit, doch der Brein-

schmid'sche Klanganarchismus

verscheucht jedes Gefühl der Hei-

meligkeit. Das alles klappt nur,

weil Breinschmid ein solch exzel-

lenter Kontrabassist ist, dass auch

die wildesten Brüche nie zu Unsi-

cherheiten oder ins unkontrollier-

te Chaos führen. Das macht das

2010 bis 2014 bei Konzerten und

in diversen Studios aufgenomme-

ne Doppelalbum zu einem Riesen-

spaß. WERNER STIEFELE

Jack DeJohnette

Made In Chicago

••••OECM/Universal

(78 Min., 8/2013)

Es war so etwas wie ein Klassen-

treffen. Der Schlagzeuger Jack De-

Johnette, damals noch Pianist,

und die Saxofonisten Roscoe Mit-

chell und Henry Threadgill hat-

ten 1962 zusammen am Wilson

Junior College studiert. Und ge-

jammt. In der Free-Periode des

Jazz: Der Nukleus der „Associati-

on for the Advancement of Crea-

tive Musicians" (AACM) wurde

dort gegründet. Rund fünfzig Jah-

re später nutzte Jack DeJohnette,

mittlerweile Schlagzeuger, eine

Wild Card des Chicago Jazz Fes-

tival, trommelte die alten Freun-

de zusammen, ergänzte noch den

Pianisten Muhal Richard Abrams

und den Bassisten Larry Gray und

ließ die alten Zeiten der freien Im-

provisationen, der überraschen-

den Wendungen, der ungewöhn-

lichen Klangkonstellationen wie-

der aufleben. Sie probten sechs

Stücke - jedes weit entfernt von

den üblichen Chorusstrukturen,

jedoch auf klar erkennbaren The-

men und Kooperationskonzepten

basierend. Einzig die Zugabe, die

fünfminütige Nummer „Ten Mi-

nutes", verlässt dieses Grundprin-

zip zu Gunsten einer völlig freien

Kollektivimprovisation. Der sieb-

zehnminütige „Chant" wandelt

sich von hornissenartig schwir-

renden Bläsersounds in eine Fülle

von Begegnungen, das vierzehn-

minütige „Jack Five" ist über weite

Passagen gelassener, bringt aber

auch eruptive Momente und stellt

DeJohnette ins Zentrum. Fast zer-

brechlich wirken die zwölf Minu-

ten des leisen, von Flöten gepräg-

ten „This", während das dreizehn-

minütige „Museum Of Time" aus

dichten Klavier-Clustern über eine

mystisch klagende Phase zu ei-

nem pulsierenden, fast swingen-

den Finale führt. Das zehnminüti-

ge „Leave Don't Go Away" vereint

schließlich vergnügt pulsierenden

Free Jazz mit einem ungestümen

Zwischenspiel. Wie ein Museums-

besuch wirkt die Disc, und sie er-

innert daran, dass es eine Phase

in der Jazzgeschichte gab, in der

Musiker ihr Genre von der Wurzel

her neu fassen wollten. Im Grun-

de ist diese Reminiszenz aktueller

und für die Fortentwicklung des

Genres wichtiger als all die netten

Crossover-Produkte mit Jazzantei-

len. WERNER STIEFELE

Jürgen Friedrich

Reboot

Nwog/Edel

(57 Min., 4/2013 &

1/2014)

Auch mit seinem neuen Trio ver-

folgt Jürgen Friedrichs konsequent

sein Ideal des intimen offenen

Musizierens. Wie der Mittvierzi-

ger Friedrich selber kommen auch

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