Jes 63/64, 2. Advent, 5. 12. 2010, Schlosskirche Bonn · PDF fileJes 63/64, 2. Advent, 5. 12....

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Jes 63/64, 2. Advent, 5. 12. 2010, Schlosskirche Bonn 1 Neuer Himmel – neue Erde Jes 63, 15 – 64,3 (2. Advent, 5. 12. 2010) Predigt in der Predigtreihe „Glaube – Liebe – Hoffnung“ Schlosskirche Bonn, Wintersemester 2010/11 Prof. Dr. Eberhard Hauschildt, Bonn Verlesung des Predigttexts Liebe Schlosskirchengemeinde! Im Advent treten Glaube, Liebe und Hoffnung in einen anderen Modus. Warten auf Weih- nachten, Warten auf das Fest der Liebe Gottes. Vorbereitung auf ein Christusfest, durchwo- ben von dem Glauben an ihn schon beim Blick auf das Kind in der Krippe. Und dies nun aber alles in einer Sprache der Hoffnung, Dabei stimmt uns unser Predigttext ein in die Hoffnung Israels. Das weitet den Advent hinaus über das Plätzchen backen und Weihnachtslieder üben; es dehnt gerade nicht das Christfest schon nach vorne aus, so wie es unter kommerziellen Ge- sichtspunkten immer weiter nach vorne ausgedehnt wird und einen fast schon übersättigt hat, wenn der Heilige Abend angebrochen ist. Der Predigttext weitet den Advent vielmehr so aus, dass er ihn hineinstellt in die Geschichte Israels. Advent als eine paradigmatische Situation des Volkes Gottes, des Judentums und eben auch des Christentums. Das Christen und Juden Verbindende am Advent tritt hier zuta- ge. Und wenn dieserart adventliche Haltung schon Christen und Juden verbindet, dann dürfte es auch so sein, dass sie den Menschen überhaupt gut tut. Es ist ja ein Gebet, aus dem unsere Verse für den Advent stammen. Ein Gebet, das von Gott viel erbittet und erwartet. Ein Gebet, das von sich selbst und den anderen eine deutliche La- gebeschreibung vornimmt. Lassen wir uns heute morgen entführen in die Welt dieses Ge- bets. I. Da ist die Bitte an Gott: „Schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrli- chen Wohnung.“ Greif ein: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab“ Im Ad- ventslied aufgenommen: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf“. Der Himmel reißt auf wie eine Zeltwand und Feuer kommt herab, „wie Feuer Reisig anzün- det und wie Feuer Wasser siedend macht“, ja sogar „dass die Berge … zerflössen“. Wie ein Blitz, wie ein Meteorit erscheint eine Macht. Und vor hat der Beter nun gerade keine Angst hat, sondern auf die er wartet. Was bei uns als Katastrophenszenario gilt, ist hier ersehnte Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie sein sollten. Denn in einer solch unanzweifelbaren und unangreifbaren Macht wird Gott sich zeigen. Dann ist es aus mit der Macht der Feinde, die dann erzittern werden. Uns geht solche Erwartung quer an. Sie ist ein Weltende-Szenario, dass wir uns nicht vor- stellen wollen. Der Meteroriteneinschlag erscheint uns als ein Vorgang, dessen Eintreten zwar irgendwann einmal alles andere als unwahrscheinliche ist, aber für praktische Zwecke der überschaubaren Zeit dann doch auch letztlich vernachlässigbar. Mehr etwas für Holly- wood-Katastrophen-Filme. Und es begegnet uns als Frage, bei der man dann wieder die Kinder, die davon hörten, zu beruhigen hat. Nein, das passiert schon nicht. Wie anders der Beter, der sich so das ersehnte Eingreifen Gottes vorstellt. Derweil schreiben wir es seiner naturwissenschaftlichen Unkenntnis zu, dass er sich einigermaßen in ihren Auswirkungen überdimensionierte Blitzeinschläge vorstellt, die ein lokales Ereignis darstel- len und dann auch wieder vorbei sind. Und dass Gott doch mal richtig eingreifen solle und müsse, haben wir uns abgewöhnt zu wünschen mit unserem Erwachsenenrealismus?

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Jes 63/64, 2. Advent, 5. 12. 2010, Schlosskirche Bonn 1

Neuer Himmel – neue Erde Jes 63, 15 – 64,3 (2. Advent, 5. 12. 2010)

Predigt in der Predigtreihe „Glaube – Liebe – Hoffnung“

Schlosskirche Bonn, Wintersemester 2010/11 Prof. Dr. Eberhard Hauschildt, Bonn

Verlesung des Predigttexts Liebe Schlosskirchengemeinde! Im Advent treten Glaube, Liebe und Hoffnung in einen anderen Modus. Warten auf Weih-nachten, Warten auf das Fest der Liebe Gottes. Vorbereitung auf ein Christusfest, durchwo-ben von dem Glauben an ihn schon beim Blick auf das Kind in der Krippe. Und dies nun aber alles in einer Sprache der Hoffnung, Dabei stimmt uns unser Predigttext ein in die Hoffnung Israels. Das weitet den Advent hinaus über das Plätzchen backen und Weihnachtslieder üben; es dehnt gerade nicht das Christfest schon nach vorne aus, so wie es unter kommerziellen Ge-sichtspunkten immer weiter nach vorne ausgedehnt wird und einen fast schon übersättigt hat, wenn der Heilige Abend angebrochen ist. Der Predigttext weitet den Advent vielmehr so aus, dass er ihn hineinstellt in die Geschichte Israels. Advent als eine paradigmatische Situation des Volkes Gottes, des Judentums und eben auch des Christentums. Das Christen und Juden Verbindende am Advent tritt hier zuta-ge. Und wenn dieserart adventliche Haltung schon Christen und Juden verbindet, dann dürfte es auch so sein, dass sie den Menschen überhaupt gut tut. Es ist ja ein Gebet, aus dem unsere Verse für den Advent stammen. Ein Gebet, das von Gott viel erbittet und erwartet. Ein Gebet, das von sich selbst und den anderen eine deutliche La-gebeschreibung vornimmt. Lassen wir uns heute morgen entführen in die Welt dieses Ge-bets.

I. Da ist die Bitte an Gott: „Schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrli-chen Wohnung.“ Greif ein: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab“ Im Ad-ventslied aufgenommen: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf“. Der Himmel reißt auf wie eine Zeltwand und Feuer kommt herab, „wie Feuer Reisig anzün-det und wie Feuer Wasser siedend macht“, ja sogar „dass die Berge … zerflössen“. Wie ein Blitz, wie ein Meteorit erscheint eine Macht. Und vor hat der Beter nun gerade keine Angst hat, sondern auf die er wartet. Was bei uns als Katastrophenszenario gilt, ist hier ersehnte Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie sein sollten. Denn in einer solch unanzweifelbaren und unangreifbaren Macht wird Gott sich zeigen. Dann ist es aus mit der Macht der Feinde, die dann erzittern werden. Uns geht solche Erwartung quer an. Sie ist ein Weltende-Szenario, dass wir uns nicht vor-stellen wollen. Der Meteroriteneinschlag erscheint uns als ein Vorgang, dessen Eintreten zwar irgendwann einmal alles andere als unwahrscheinliche ist, aber für praktische Zwecke der überschaubaren Zeit dann doch auch letztlich vernachlässigbar. Mehr etwas für Holly-wood-Katastrophen-Filme. Und es begegnet uns als Frage, bei der man dann wieder die Kinder, die davon hörten, zu beruhigen hat. Nein, das passiert schon nicht. Wie anders der Beter, der sich so das ersehnte Eingreifen Gottes vorstellt. Derweil schreiben wir es seiner naturwissenschaftlichen Unkenntnis zu, dass er sich einigermaßen in ihren Auswirkungen überdimensionierte Blitzeinschläge vorstellt, die ein lokales Ereignis darstel-len und dann auch wieder vorbei sind. Und dass Gott doch mal richtig eingreifen solle und müsse, haben wir uns abgewöhnt zu wünschen mit unserem Erwachsenenrealismus?

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II.

Das Verhältnis zu Gott, in das uns der Beter entführt, hat noch viele weitere Facetten. Scho-nungslos geht er mit sich und seinen Leuten und auch mit Gott um. Er klagt vor Gott und schildert seine Situation. Er schildert sie nicht in den Details, sondern so, dass sie auf Grundzüge des Verhältnisses von Gott und Mensch durchsichtig wird. Die Feinde haben das heilige Volk vertrieben und das Heiligtum zertreten. Was Gott zuge-hörig war, Menschen wie Orte, ist als solches nicht mehr da, nicht mehr erkennbar. Die Dif-ferenz, die die Gottesbeziehung ausmachen sollte, hat sich aufgelöst. „Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wur-de.“ Das ist der Gegenwart-Zustand. Gott macht keinen Unterscheid mehr aus bei denen, die sich doch als ihm zugehörig verstanden hatten. Säkularisierung im alten Israel gar nicht so viel anders als bei uns. Der Name Gottes, das Bewusstsein der Beziehung zu ihm, hat sich verflüchtigt. Gottlose Welt. Und so ist auch die Geschichte mit ihm ist in der Vergangenheit versunken. Auszug aus Ägypten zu lange her, Christliches Abendland – das war einmal. Wie kam es dazu? Wie kam es, dass die Zugehörigkeit zu Gott sich so auflöste? In der alttes-tamentlichen Sicht auf die Geschichte wird die Geschichte geschrieben als immer wieder begleitet vom Abfall, die Sünden des Volkes und die seiner Könige verursachten die Entfer-nung. Es ist die Unfähigkeit der Menschen, die zu dieser Entfremdung führt, die den feindli-chen Kräften Raum gibt, so dass am Ende der Name Gottes übertönt wird und ungehört bleibt. Der Beter hier geht über eine solche Sicht hinaus: Er ruft: „Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?“ Dem Beter erscheint der Verlust nicht nur eine Folge der Macht der Feinde und nicht nur eine Folge der Bosheit und Schwachheit der eigenen Leute, sondern es ist zusammenzudenken mit der Stärke Gottes. Und dann ist Gott selbst mitverantwortlich für den Zustand, ja letztverant-wortlich für das, was geschah: Er verstockte. Gott selbst wollte es so. Das ist das Rätsel der Gläubigen, so es denken zu müssen. Die Theodizeefrage ist damit auf dem Tisch. Die Frage nach dem Warum in der eigenen Biografie. Macht das aus Tätern Op-fer – wenn sie denn verstockt waren? Läuft das darauf hinaus. die eigene menschliche Ver-antwortlichkeit herunterzuspielen? Wir können ja doch nichts machen, wenn Gott es so zu-lässt

III. Der Beter tappt nicht in diese Falle. Denn sein Gebet verhandelt die Folgen nicht auf der Ebene der Anthropologie, sondern der der Theologie. Damit geht nun die ganze Spannung in das Gottesbild selbst hinein: Denn jetzt steht infrage, ob denn Gott sich selbst treu bleibt als der aktive barmherzige Gott. Infrage steht die Geschichte Gottes mit den Menschen. Und der Beter erinnert sich selbst und die die mit ihm beten daran und sagt es zugleich Gott, erinnert gewissermaßen Gott daran, ja klagt ihn geradezu an: „Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.“ Und er erinnert daran, dass das Sich-berufen auf die Macht der Tradition und die Kontinuität mit den Vätern ja nicht zählt. „Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht.“ Auch hier also ist es nicht, die Seite der Menschen, die den Ausschlag gibt: Nicht sind es die eigenen Väter, aus denen man ein Recht ableiten kann, sondern die Kontinuität liegt in Gott, als dem eigentlichen Ak-teur der Kraft der Geschichte. Gott als der, der wie ein Vater für einen sorgt. „Bist du doch unser Vater“. Im Alten Testament übrigens findet sich solche Rede von Gott als Vater nicht oft. Die Rede von Gott als Vater wurde meist vermieden als zu anthropomorphistisch, als würde wie in manchen Mythen der Umwelt, die Gott-Mensch-Schranke in solcher Vaterschaft überbrückt.

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Erst Jesus benutzte diese Metapher ungebrochen und diese wurde dann von den Christen ü-bernommen. Aber hier ist eben eine der wenigen Stellen, im Alten Testament, die ebenfalls von Gott als dem Vater reden: „Du Herr bist unser Vater;“ Gottes Vatersein ist das, was unsere Geschich-te mit Gott die Basis gibt. Und dann wechselt der Beter zu einem weiteren Begriff: „‘unser Erlöser‘, das ist von alters her dein Name.“ Gott soll doch seinem Namen entsprechen und als Vater und als Befreier auftreten. Christinnen und Christen sehen in Jesus Christus genau dies, dass Gott hier gegenüber Jesus und damit dann auch gegenüber uns als Vater sich zeigt. Und sie setzten darauf, dass Gott in Christus ihr Befreier, ihr Erlöser wurde.

IV. Advent ist eine Zeit der Anfechtung. Warum das Warten-Müssen, wenn doch Gott der Vater und Erlöser war in der Geschichte? Warum das Warten-Müssen auf die Ankunft des Retters, wenn der Sohn und Erlöser doch schon längst geboren ist, damals im Stall in Bethlehem, und für uns gestorben und auferstanden? Was für einen Unterschied macht das Christsein denn aus? Warum immer noch das Dunkel der Gottesferne statt der Glanz der Nähe Gottes? Der Beter baut so stark auf diese doch dem Volk Israel gegebenen Zusagen, dass er noch einen drauf setzen kann und geradezu blasphemisch redet. Er benutzt eine Vokabel, die ge-rade zu einen terminus technicus darstellt für die Buße, die eben von den abgefallenen Gläu-bigen erwartet wird: das Wort für Umkehren. Und hier eben nimmt sich der Beter raus, die-ses Wort nun auf Gott anzuwenden. „Kehr zurück“ Kehr um, „Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind.“ Du Gott, ich sage dir das, brauchst eine Umkehr.

V. So mit Gott reden und rechten ist Advent. Es ist etwas, das nur auf der Basis des Einschlus-ses in die Verheißungen der Vorzeit zu tun möglich ist. Das ist der Segen der Geschichte als einer Geschichte Gottes mit seinem Volk. Sie gibt allen, die auf dieser Basis mit Gott reden, einen Mut zum Gebet, eine Frechheit zum Gebet, wie sie anders nicht geschieht. Denn wer geschichtslos mit Gott reden will, der wird entweder Gott als Projektionsfigur al-ler Wünsche behandeln – einen adventlichen Wunschzettel machen. Oder ihm wird die Got-tesanrede über die Klage zu einer Anklage gegen Gott, die Gott dann nichts als verklagt und damit nur ihm den letzten Abschied gibt. Wenn das Christentum geschichtslos wird, die alt-testamentliche Geschichte als es selbst nicht mehr angehend verabschiedet, dann verliert es den Advent. Gerade dass es das Alte Testament hat, dass es das Alte Testament teilt, teilt mit den Juden heute, dass es die Verheißungen hört, anders hört als die Juden heute, aber doch gemeinsam mit ihnen als Verheißungen hört, das bewahrt den Advent davor sich zu verlie-ren entweder im Zuckerguss oder in der Theodizee-Anklage. So hören wir als Christinnen und Christen dankbar mit, wie es beim Beter in seinem Gebet ausgeht. Sein Gebet reicht bis zur Blasphemie, weil er so gegen Gott mit Gott richtet da-durch, dass er Gott zur Umkehr ruft mit dessen eigenen Zusagen aus der Geschichte. So wird aus der Adventszeit Advent. Und als Christen glauben wir, dass diese Zusagen auch in Christus da sind und dass Gottes Liebe in Christus ganz besonders klar zum Ausdruck kommt. Und so können wir gut einstimmen in die Worte, mit denen der Beter seinen Ge-betsabschnitt abschließt: „Kein Ohr hat je gehört, kein Auge hat gesehen, einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“ Das ist auch unsere Hoffnung. Das ist auch unser Advent!