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JÄGER UNTER WASSER Ihr Job ist nicht nur anstrengend, sondern auch explosiv: Diese Einheit der Deutschen Marine ist darauf spezialisiert, Sprengkörper zu entschärfen. Dass es kaum Nachwuchs gibt, liegt auch an der Ausbildung – denn die hat es in sich. TEXT BJÖRN WÖLKE FOTOS PATRICK OHLIGSCHLÄGER HERR DER TIEFE Einer von mehreren Dutzend Minentauchern der Bundeswehr im schleswig-holsteinischen Eckernförde – sie wurden darauf getrimmt, Sprengkörper in bis zu 54 Meter Tiefe zu entschärfen 56 DRÄGERHEFT 408 | 2 / 2020

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JÄGER UNTER WASSER

Ihr Job ist nicht nur anstrengend, sondern auch explosiv: Diese Einheit der Deutschen Marine ist darauf spezialisiert, Sprengkörper zu entschärfen. Dass es kaum

Nachwuchs gibt, liegt auch an der Ausbildung – denn die hat es in sich.

TEXT BJÖRN WÖLKE   FOTOS PATRICK OHLIGSCHLÄGER

HERR DER TIEFE Einer von mehreren Dutzend Minentauchern der Bundeswehr im schleswig-holsteinischen Eckernförde – sie wurden darauf getrimmt, Sprengkörper in bis zu 54 Meter Tiefe zu entschärfen

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A nkertaumine oder Wasch-maschine? Das ist für Christian M., des-sen vollständiger Name nicht genannt werden darf, eine ernste Frage. Die Ant-wort kann über Leben und Tod entschei-den, wenn der 33-Jährige in die Ostsee hinabtaucht. Sehen kann er dann meist wenig, und ein falscher Handgriff hät-te fatale Folgen. Berufsrisiko. Sein Job ist einer der härtesten, den die Deutsche Marine zu bieten hat. Chris, wie ihn sei-ne Kollegen nennen, ist seit acht Jahren Minentaucher.

HARTE AUSBILDUNGDamit zählt der gebürtige Sachse zur Tau-cher-Elite der Bundeswehr. Die Anforde-rungen in dieser spezialisierten Einheit sind hoch. Rund 120 Stellen bietet die Minentaucherkompanie am Stützpunkt in Eckernförde/Schleswig-Holstein, nicht einmal die Hälfte ist besetzt. Nachwuchs wird intensiv gesucht. Ein achtwöchiges Auswahlverfahren bereitet die Bewerber auf ihren ersten Meilenstein vor: den Sport-eingangstest. Er umfasst fünf Kilometer laufen in weniger als 23 Minuten, 1.000 Meter schwimmen in maximal 24 Minu-ten, 30 Meter Strecken- und 60 Sekunden Zeittauchen, sechs Klimmzüge, zehnmal 50 Kilo Bankdrücken sowie zwei Fünf-Kilo-

Ringe aus drei Meter Tiefe heraufholen. Zu guter Letzt: zwei Minuten Liegestütze und Sit-ups – davon so viele wie möglich! Wer hier besteht, durchläuft im Anschluss, je nach Dienst- und Spezialisierungsgrad, eine bis zu 42-monatige Ausbildung. Die meisten Anwärter tauchen dabei zum ers-ten Mal mit einem Gerät, lernen diese Dis-ziplin also von Anfang an. Sie absolvieren mehrwöchige Lehrgänge, um verschie-dene Kampfmittel und Sprengfallen, im Militärjargon IEDs (Improvised Explosi-ve Devices) genannt, samt deren Eigen-schaften und Verhalten kennenzulernen – bis hin zur Kampfmittelbeseitigung. „Die Selbstgebauten sind am gefährlichsten, da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt“, sagt Minentaucher Chris.

„WIDRIGKEITEN SCHRECKEN NICHT“Auch das Ausbildungsniveau ist hoch. Welche Arten von Kampfmitteln gibt es? Wo rin unterscheiden sie sich? Wie las-sen sie sich sprengtechnisch öffnen? Wel-che Mengen Sprengstoff gilt es, wo anzu-bringen? Wie sprengt man sie am besten? Und vor allem: Wie gelingt es, dass einem in lebensbedrohlichen Situationen die Psyche keinen Streich spielt? Dagegen erscheint die Abschlussprüfung gerade-zu ein Klacks – hier müssen die Solda-ten einen 20-Kilometer-Gepäcklauf absol-vieren und anschließend zehn Kilometer zurückschwimmen. Mehrere Stunden in der kalten Ostsee, das erfordert körperli-che und mentale Fitness. Nur wer bei-des mitbringt, und regelmäßig an seine Belastungsgrenze geht, wird dem Motto der Minentaucher gerecht: „Nec aspera terrent“; „Widrigkeiten schrecken nicht“. Bislang hat es keine Frau in diese Männer-domäne geschafft. „Wir kümmern uns um

alles, was unter Wasser explodieren kann, aber auch um vieles an Land“, beschreibt Chris, Vater eines Sohnes, seine Aufgaben. „Vieles davon findet im Kopf statt“, sagt der Hauptbootsmann. Man müsse Ruhe bewahren können, wenn man sich in 54 Meter Tiefe allein mit einem Sprengkör-per befindet. Die meisten sind Überbleib-

MINEN IN NORD- UND OSTSEESeeminen teilen sich nach der Art ihrer Positio-nierung in Grundminen und Ankertau minen sowie nach der Art ihres Zünders in Berüh rungs- und Fernzündungsminen auf – sie können in nahezu allen Wassertiefen verlegt werden. Ankertau- minen sind am Meeresboden verankert und treiben unterhalb der Wasser ober fläche, ihre Spreng- kraft kann ganze Schiffe versenken. In den Welt-kriegen wurden gigan tische Minensperren ausgelegt – danach auch massenhaft unbenutzte Bomben und Granaten versenkt. Alte Explosiv- und Chemie-Munition ist ein Problem. Experten schätzen, dass allein in Nord- und Ostsee noch immer mehr als 1,5 Millionen Tonnen davon liegen.

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sel aus dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 1,5 Millionen Tonnen dieser Altlasten lie-gen in Nord- und Ostsee verstreut. Selbst 75 Jahre nach Kriegsende ist der Meeres-boden noch immer mit diesen explosi-ven Hinterlassenschaften übersät. Jahr-zehntelang hat sich niemand so richtig darum gekümmert. Die Kampfmittel ein-fach im Meer zu belassen birgt einige Risi-ken. Schadstoffe vergiften die Unterwas-serwelt, Terroristen könnten sie recyceln, der Bau von Windparks und Kabeltrassen wird behindert. Und Mine ist nicht gleich Mine. Einige sind so klein wie eine Bier-dose, andere tonnenschwer und mehrere Meter lang. Die Formen reichen von Tor-pedos über Kugeln bis zu Tellern. Chris erkennt meist schnell, um welches Modell es sich handelt. Sollte das einmal nicht der Fall sein, schätzt er sie und macht sich unter Wasser auf Plastiktafeln Notizen zu Form, Länge und Lage – um dann, zurück an Bord, das weitere Vorgehen mit dem Einsatzleiter zu besprechen.

ÜBERRASCHUNGEN AM MEERESGRUNDDie verschiedenen Varianten hat er am Stützpunkt in Eckernförde in einer Hal-le kennengelernt. Hier stehen, liegen und hängen Hunderte, wenn nicht Tausende Kampfmittel aus aller Herren Länder – alle fein säuberlich sortiert. Chris und sei-ne Kollegen suchen auch nach Waffen, die im Meer verklappt wurden; selbst in Kri-sengebieten, per Nato-Mandat. Die Waf-fen stellen nicht zuletzt für die Schifffahrt eine große Gefahr dar. Mit entsprechen-der Technik ausgestattet geht es in speziel-len Booten auf Jagd. Wird ein Gegenstand mit dem Sonar detektiert, klassifiziert man ihn als minenähnlichen Kontakt (MILCO; mine-like contact). Es liegt dann

in der Entscheidung des Kommandan-ten, ob es zu einem Minentaucherein-satz kommt und der Gegenstand genauer unter die Lupe genommen wird. Manch-mal treffen Chris und seine Kollegen auf Überraschungen, wenn sich das „Ding“ am Meeresgrund als Haushaltsgerät ent-puppt – das ist allerdings die Ausnahme.

STÖRENDE MAGNETFELDERNähert sich ein Minentaucher einem „Kontakt“, tastet er sich langsam vor, bevor er ihn berührt. Behutsam fahren seine Finger über die meist dicht überwucher-te Oberfläche, um einen Hinweis darauf zu bekommen, was da genau vor ihm liegt: eine Waschmaschine, heimlich entsorgt, oder doch Altmunition? Falls Letzteres: aus Frankreich, Großbritannien, der ehemali-gen Sowjetunion oder Deutschland? Scharf oder nicht? In jedem Fall sollte er nicht all-zu fest zupacken, denn selbst nach mehr als einem Dreivierteljahrhundert im Meer ist mancher Zünder noch vollkommen intakt – und könnte eine Explosion aus-lösen, wenn die Mine zu starken Erschüt-terungen ausgesetzt wird. Während die-ser Erkundung gehen die Minentau cher, in speziellen Taucheranzügen sowie mit verschiedenen Geräten und Werkzeugen ausgestattet, ans Werk. Dabei sind sie ganz auf sich gestellt und mitunter star-ken Strömungen ausgesetzt. Die Sicht dort

AUCH 75 JAHRE NACH KRIEGSENDE STECKT DAS MEER NOCH IMMER VOLLER

EXPLOSIVER ÜBERRASCHUNGEN

GARTEN VOLLER MINENAn diesem besonderen „Garten“ kommen angehende Minentaucher am Marinestützpunkt in Eckernförde nicht vorbei; er ist fester Bestandteil der Ausbildung. Im sogenannten Minengarten lernen sie, Sprengkörper zu erkennen, aufzuspüren und zu identifizieren. Die Bedingungen sind, bis auf die geringe Tiefe, realistisch. Die Unterwasserminen sind echt, wurden aber entschärft. In 5–10 Meter Tiefe gibt es einen Parcours für mili tä-rische Unterwasser-Einheiten: Liegt dort eine überwucherte Mine oder wurde ein elektronisches Altgerät entsorgt? Droht der Blindgänger zu explodieren? Ausgebildete Minentaucher sind Spezialisten, die in Wassertiefen bis zu 54 Meter agieren und Sprengkörper jeglicher Art beseitigen können.

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DER MOTOR SIND WIR! Kleine muskelbetrie-bene Boote taugen als Angriffsmittel, zudem bringen sie einen fast überallhin: Minentaucher sichern auch Küsten-abschnitte, die sie mit dem Kajak erreichen und mithilfe von Metall- Detektoren auf ver-grabene Sprengkörper untersuchen – noch bevor andere Einheiten anlanden

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unten ist eher schlecht. Chris sieht gera-de mal die Hand vor Augen, ansonsten ist er nahezu blind und muss sich seine Umgebung ertasten. Fasst er in den Boden, wirbelt das Schlamm auf. Dann sieht er meist gar nichts mehr. Der Tauchcom-puter am Handgelenk zeigt ihm die Tie-fe und Dauer des Tauchgangs an: „Selbst wenn ich den direkt vor die Augen halte, ist das, als würde ich durch ein Schnee-gestöber gucken.“ Warum nutzt er keine Taschenlampe? „Das käme einem Selbst-mord gleich – manche Minen reagieren auf Veränderungen des Erdmagnetfeldes, was unter anderem durch den Stromkreis einer Taschenlampe verursacht werden kann“, erklärt Chris. Da verwundert es nicht, dass die komplette Ausrüstung anti-magnetisch ist.

SÄGEFISCH UND ANKERTAUMINESogar kleinste Atemgeräusche unter Was-ser können Kampfmittel zum Explodieren bringen. Für Tauchgänge bis 24 Meter nutzen die Minentaucher deshalb ein Kreislauftauchgerät (Typ: Dräger LAR VII Combi); entweder als Brustgerät mit Sauerstoff (für flache Tauchgänge bis sie-ben Meter) oder inklusive Rückengerät mit Nitrox B, einem NATO-Gemisch, dass sich aus 60 % Sauerstoff und 40 % Stick-stoff zusammensetzt (für tiefere Tauch-

gänge von sieben bis 24 Meter). Bei die-sem komplexen System, auch Rebreather genannt, gelangt das verbrauchte Atem-gas nicht ins Wasser, sondern wird (von Atemkalk gereinigt) mit Sauerstoff ange-reichert und dem Taucher wieder zuge-führt. Der Atemkalk hat die Aufgabe, das Kohlenstoffdioxid (CO2) der ausgeatmeten Luft zu binden. Seit einigen Jahren stuft die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) den Atemkalk als gefähr-lichen Abfall ein. Getrennte Sammlung und Nachweis über die Verwertung sind seither Pflicht. In regelmäßigen Abstän-den wird die Trockenchemikalie ausge-tauscht, weil sich deren Absorptionsfä-higkeit mit der Zeit erschöpft. Dräger bietet Kunden für Kalk und Kartuschen ein umfassendes Rückhol- und Wiederver-wertungskonzept an (siehe auch Seite 49). Die von Spezialeinheiten in aller Welt ein-gesetzten Dräger-Geräte sind nicht nur robust, zuverlässig und leicht zu hand-haben – sie zeigen auch ein gutes Atem-verhalten und erlauben bis zu vier Stun-den lange Tauchgänge.

Wenn Chris über seinen Beruf spricht, klingt das sehr bescheiden. Das, was er macht, sei einfach sein Job. Dass er jeder-zeit sein Leben einsetzt, ist ihm bewusst. Professionalität und Kameradschaft bil-den auch bei Minentauchern ein sichern-des Netz. Die Stimmung ist gelöst und locker. Geradezu kumpelhaft. Mindestens 24 Pflichtstunden muss jeder von ihnen pro Jahr unter Wasser verbringen – das klingt erst einmal wenig, doch Tauchgän-ge am Meeresgrund sind schnell erschöp-fend. Dort könnte man in manchen Gegen-den sogar auf einen der heute seltenen

MINENTAUCHER RISKIEREN STÄNDIG IHR LEBEN. PROFESSIONALITÄT UND KAMERADSCHAFT

BILDEN EIN SICHERNDES NETZ

Sägefische treffen; zusammen mit einer Ankertaumine das Kompanieabzeichen der Minentaucher. Die Raubfische sind in der Lage, ihre Körpertemperatur etwas höher zu halten als die Umgebungstemperatur. Ein Forscherteam der australischen Uni-versity of Queensland fand zudem he raus, dass sie ihre Augen aufheizen, um im kalten Wasser besser sehen zu können. Wären Chris und seine Kollegen dazu in der Lage, sie müssten sich Ihre Umgebung in 54 Meter Tiefe nicht mehr ertasten.

TREFFEN SICH ZWEIWer die Ausbildung zum Minentaucher besteht, bekommt eine Münze mit seiner Dienstnummer und einem Sägefisch, dem Symbol der Minentaucher. Dieser „Challenge Coin“ kann schnell den Spieltrieb der sonst so hartgesottenen Jungs wecken, denn die Münze muss immer griffbereit sein. Jederzeit. Wird ein Minentaucher beim „Coin Check“ ohne dieses Abzeichen erwischt, muss er die nächste Runde bezahlen. Haben hingegen alle Minentaucher die Münze dabei, hat der Fragende ein Eigentor geschossen – und zahlt die Runde.

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PROBE AUFS EXEMPEL Vor jedem Tauchgang müssen die Funktionsfähigkeit des benutzten Gerätes (hier: Dräger LAR VII Combi) sowie die Vollständigkeit und der betriebs-bereite Zustand der gesamten Ausrüstung überprüft werden

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