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MIRÓ
Text: Susan HitchcochÜbersetzung: Dr. Martin Goch© Sirrocco, London (deutsche Fassung)© Confidential Concepts, worldwide, USA© Estate Miró / Artists Rights Society, New York,
USA / ADAGP, Paris
ISBN : 978-1-78042-652-5
Weltweit alle Rechte vorbehalten
Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright derArbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiverNachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich,die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wirum Benachrichtigung.
Joan
Miró
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Joan Miró i Ferrá kam in einem Raum zur Welt, dessen Decke mit Sternen übersät war. Er
wuchs in Barcelona auf, wo zähe Unabhängigkeit und Kreativität Hand in Hand gehen.
Miró erbte den individuellen Geist der Katalanen – die weder spanisch noch französisch
sind und ihre eigene Geschichte, Sprache und Kultur besitzen – sowie ein Gefühl der
Zugehörigkeit zur mediterranen Landschaft. Mirós Vater, der Sohn eines Schmieds, arbeitete
als Goldschmied und Uhrmacher; sein Großvater mütterlicherseits war Kunsttischler. Die
Familie seines Vaters stammte aus dem Küstendorf Montroig in der Region Tarragona und
seine Großmutter mütterlicherseits lebte immer noch in Palma, dem von der Sonne
überfluteten Dorf auf Mallorca. Sie alle stammten aus bäuerlichen Familien, und in Katalonien
ist der rebellische Bauer – der Mann mit roter Wollmütze, der das Land mit seinen bloßen
Händen kultiviert – ein Held. In der katalanischen Hauptstadt Barcelona dagegen ist der
Architekt ein Held: dies gilt besonders für Antonio Gaudí, der an der Wende zum
20. Jahrhundert die gotische Tradition aufnahm und auf faszinierende und höchst individuelle
Weise in etwas Modernes verwandelte. Joan Miró bewunderte sowohl den Bauer als auch den
Künstler.
Miró wurde am 20. April 1893 geboren. Er war das erste von zwei Kindern – seine
Schwester Dolores kam vier Jahre später auf die Welt - und kam als siebenjähriger in
Barcelona in die Volksschule. Miró war ein sehr schlechter Schüle, ein Träumer, der nur wenig
Kontakt mit seinen Mitschülern hatte. Sie hänselten ihn wegen seiner Empfindsamkeit und
nannten ihn „Eierkopf“. Um seine Schultage erträglicher zu machen, blieb Joan Miró bis spät
in den Nachmittag und belegte Zeichenkurse. „Für mich war dieser Kurs wie eine religiöse
Zeremonie“, schrieb Miró fast sieben Jahrzehnte später. „Ich wusch mir sorgfältig die Hände,
bevor ich das Papier und die Bleistifte berührte. Die Gerätschaften waren wie heilige Objekte,
und ich arbeitete so, als ob ich eine religiöse Zeremonie durchführte … Ich malte mit
liebevoller Sorgfalt die Blätter von Bäumen.”1
Seine Zeichnungen aus dieser frühen Phase sind bemerkenswert exakt, Schatten und Linien
sind sehr sorgfältig ausgeführt. Mirós erste Kunstwerke überhaupt sind lebensechte
Abbildungen eines Fisches und einer Blumenvase. Drei Jahre später jedoch begann seine
Vorstellungskraft bereits, mit der Wirklichkeit zu spielen. Eine Blumenvase aus dem Jahr 1906
steht auf einem beeindruckenden Sockel. Die Pflanze weist fast symmetrische Äste auf und ist
mit klar gezeichneten Blättern versehen, wobei die Blüten mit vier Blütenblättern das
Arrangement krönen. Die langen und unbeschwerten Sommerferien genoss Miró mit
Familienmitgliedern in Tarragona und auf Mallorca. Er war oft in Palma bei seiner Großmutter,
einer romantischen Frau, die zweifellos eine willkommene Erholung von seinem autoritären
und auf Disziplin achtenden Vater in der Stadt war.
1. Porträt von E.C. Ricart,
Der Mann im Pyjama,
1917. Öl auf Leinwand,
81 x 65 cm.
Privatsammlung,
Chicago.
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Seine Skizzenbücher füllte der junge Miró in Palma mit dem Kohlestift und einfachen
Umrisszeichnungen der örtlichen Szenerie: Fischerboote, die Kathedrale von Palma, die
Windmühlen von El Molinar und das Schloss Bellver. Der starke Gegensatz zwischen der
Schule und dem Sommer, zwischen der strikten Disziplin des Lebens in der Stadt und der
Freiheit auf dem Land sollte Mirós gesamtes Leben prägen. Er richtete sich nicht nur nach den
Jahreszeiten, indem er abwechselnd in Paris im Atelier und in Spanien auf dem Land arbeitete,
sondern sein Werk bewegte sich auch zwischen den beiden Polen seiner kreativen
Persönlichkeit, zwischen poetischer Spontaneität und systematischem Vorgehen. In seiner
Kunst machte er sich kraftvolle Unterschiede zunutze. Sein Werk oszillierte zwischen dem
Ornamentalen und harten Linien sowie flachen Farbebenen.
Im Jahr 1907 trat Miró auf Drängen seines Vaters in die Handelsschule ein. Gleichzeitig
suchte er, wie schon zuvor, in seiner Kunst einen Weg, sich mit dem Notwendigen zu
arrangieren. Er schrieb sich in Kunstkurse an der Escuela de la Lonja, einer akademischen und
2. Nord-Süd, 1917.
Öl auf Leinwand,
62 x 70 cm.
Privatsammlung, Paris.
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auf spätere Berufstätigkeit ausgerichteten Schule für angewandte Kunst ein, an der zehn Jahre
zuvor ein junger Mann namens Picasso die Lehrer beeindruckt hatte. Miró erwarb sich, da er
die Regeln weniger strikt befolgte, keinen vergleichbaren Ruf. „Ich war ein Wunder an
Ungeschicklichkeit“, erinnerte sich Miró an seine Zeit als Student in Lonja.2 Allerdings erwarb
er sich die Anerkennung einiger Lehrer, deren eigene Kunst die Grenzen des Praktischen
überwand, auch wenn sich dies in ihrem Unterricht nicht niederschlug.
Als er das Erwachsenenalter erreichte, trat Joan Miró pflichtbewusst eine Stelle als
Büroschreiber in einer Handelsgesellschaft in Barcelona an und gab seine Kunst zunächst auf.
„Ich war sehr unglücklich“, erinnerte er sich später. Die künstlerische Neigung saß jedoch so
tief, dass er sich nicht beherrschen konnte und in das Hauptbuch zeichnete. Er verfiel, wie er
sich später erinnerte, „… immer mehr in Tagträume und Aufmüpfigkeit“ und es dauerte nicht
lange, bis er ernsthaft an Depressionen erkrankte. Die Krankheit wurde durch Typhus noch
verschärft.
3. Der Weg, Ciurana,
1917. Öl auf Leinwand,
60 x 73 cm.
Privatsammlung, Paris.
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Er gab seinen Posten in der Stadt auf und erholte sich in Montroig in einem kurz zuvor von
seinem Vater erworbenen Bauernhaus. Diese Episode scheint seinen Vater überzeugt zu
haben, seinem Sohn nicht länger eine Laufbahn als Geschäftsmann aufzuzwingen, denn als
Miró sich erholt hatte, führte ihn sein Weg sofort in Francisco Galís Escola d’Art.
Im Gegensatz zur Escuela de la Lonja boten Galís Privatkurse eine Umgebung, in der Joan
Mirós Form der Wahrnehmung geschätzt wurde. Galí war eher als Lehrer denn als Maler
bekannt und viel mehr ein Förderer der neuesten Kunstrichtungen als selbst Künstler. Bevor er
Schüler annahm, führte er mit ihnen Aufnahmegespräche. Die jungen Künstler Barcelonas
diskutierten in Galís Schule den Impressionismus, den Fauvismus und sogar den sehr
avantgardistischen Kubismus, der von den neuen Arbeiten Pablo Picassos, dem Landsmann,
der in Pariser Kunstkreisen eine solche Sensation war, repräsentiert wurde. Joan Miró bewies
seinem Lehrer rasch sein Talent.
4. Montroig, Weinberge
und Olivenbäume,
1919.
Öl auf Leinwand,
28,75 x 24 cm.
Privatsammlung,
Palma de Mallorca.
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5. Stehender Akt, 1918.
Öl auf Leinwand,
153,1 x 120,7 cm.
Saint Louis Art
Museum, Saint Louis,
Missouri.