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JUGEND OHNE CHANCE? Jugendliche mit Migrations- hintergrund im Ländervergleich Österreich – Frankreich – Deutschland – Slowakei

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JUGEND OHNE CHANCE?

Jugendliche mit Migrations­hintergrund im Ländervergleich Österreich – Frankreich – Deutschland – Slowakei

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©2007by

ZeMiT–ZentrumfürMigrantInneninTirolBlasius-Hueber-Straße6,A–6020InnsbruckT ++43-(0)512-577170–0M [email protected] www.zemit.at

Projektleitung:VerenaFinkenstedt(alleArtikelbisaufuntengenannte)Team:StephanBlassnig(MigrationsgeschichteÖsterreich,DeutschlandundFrankreich),GerhardHetfleisch(Vorwort,Konzept),AnitaKonrad(Lektorat),VeraSartori(Konzept),DominikAuer/VerenaFinkenstedt(RomainderSlowakei),ArminBrugger(FotosundFotoauswahl)

Übersetzung:EdwinVierheilig,CarmenKonzettLayout&Satz:ChristinePetschauernachEntwurfvonBarbaraTriendlFotografien:AlleBildervonZeMiT,ausgenommenUmschlagbild,FotoS.10vonArchivHürriyetundFotoS.16vonwww.pixelio.de.Motiv„Thesilentchairman“(HelenThompson):ExponatderAusstellung„MigrationinBildern“(ZeMiT2006)

DieseBroschüreisturheberrechtlichgeschützt.AlleRechtebleibenderHerausgeberinvorbehalten,insbe-sonderedieRechtederVerbreitung,Vervielfältigung,Übersetzung,desNachdrucksundderWiedergabe,auchbeiauszugsweiserVerwendung.

AlleAngabenindieserBroschürewurdenvondenAutorInnensorgfältiggeprüftundentsprechendemStandApril2007.EineGarantiefürdieRichtigkeitderDatenkanndennochnichtübernommenwerden.

GefördertausMittelndesEuropäischenSozialfondsunddesBundesministeriumsfürWirtschaftundArbeit.

EinProduktdertransnationalenPartnerprojekteJoinIn–EqualCapacité–V.I.T.A.25–Spolutodokázeme.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort...............................................................................................................................4Definitionen........................................................................................................................5

Geschichte der Migration in Österreich, Deutschland und Frankreich..............8

Österreich...........................................................................................................................8Deutschland.....................................................................................................................13Frankreich........................................................................................................................18

Soziokulturelle Profile Österreich – Deutschland – Frankreich........................24

„Heimatbistdu…“LebenssituationenvonJugendlichenmitMigrationshintergrundinÖsterreich.................................................................................24„DesGlückesUnterpfand…“JugendlichemitMigrationshintergrundinDeutschland.....................................................31Diversitécontreuniversalité!JugendlichemitMigrationshintergrundinFrankreich.......................................................38

Exkurs: Roma in der Slowakei.....................................................................................43

GeschichtederslowakischenRoma................................................................................43LebenssituationenderRomainderheutigenSlowakei...................................................45ProgrammezurBesserungderLagederRoma..............................................................48

Portraits der transnationalen Partnerprojekte......................................................50

JoinIn...............................................................................................................................50V.I.T.A.25.........................................................................................................................56EQUALCapacité..............................................................................................................61Spolutodokázeme..........................................................................................................66

Anhang.................................................................................................................................68

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Vorwort

SpätestensmitdenAufständenderJugend-licheninfranzösischenBanlieuesimHerbst2005isteinProblemsichtbarundeinerbreitenÖffentlichkeitinEuropabewusstgeworden,dasvomAusdruckherspezifischfranzösischerscheinenmag,jedocheinege-samteuropäischeDimensionundWurzelhat.

AlleLänderEuropashabensichseitherver-stärktmitderFragebeschäftigt,obdiesesoderjenesKonzeptzurIntegrationvonEin-gewandertenverfehltsei,oderalleKonzepteletztlichaneinergemeinsamensozialenGegebenheitscheitern:HinterdemVorhangführendiehierarchisch-diskriminierendenStrukturenunsererGesellschaftenRegie,womitalleWertederGleichheit,FairnessundChancengleichheitadabsurdumgeführtwerden.

DieGemeinsamkeitinderDifferenzamBeispielvonFrankreich,Deutschland,derSlowakeiundÖsterreichdarzustellen,istdasAnliegendieserBroschüre,dieimRahmendertransnationalenPartnerschaftvonvierPro-jektenderEU-GemeinschaftsinitiativeEQUALvonJuli2005bisJuni2007entstandenist.

SchnellwurdeallenBeteiligtendertrans-nationalenPartnerschaftbewusst,dasswir–wollenwirdieinFrankreichsichtbarmöglicheZukunftantizipieren-unsdieje-weiligeSituationdervierLänderanhandvonKernfragenvergegenwärtigenmüssen,umzueinemgegenseitigenVerständniszuge-langen.DieKlärungvonBegriffen,vorallemabereinhistorischerRückblickaufdie

MigrationsgeschichteunddieBeschreibungdersoziokulturellenLagevonJugendlichenmitMigrationshintergrundindenjeweiligenLändernistdasErgebnisdaraus.DerExkurszurLagederRomainderSlowakeischeintzunächstnichtindenKontextzupassen,unddochwirddamitderKerndesgesellschaft-lichenAusschlussesvonMenscheninallenLändernEuropasgetroffen.RomaundSintisindinalleneuropäischenGesellschaftendieprototypischenFremdenundrassistischDiskriminierten,obsienunStaatsbürgerdesjeweiligenLandessindoderauchnicht.

DieDarstellungderKonzeptiondervierProjektebegründetabschließenddieunter-schiedlichenMaßnahmen,dieJugendlichen,diedurchsozialeundethnischeDiskriminie-rungausgegrenztwerden,denEinstiegindenArbeitsmarkt(wieder)eröffnensollen.DieVielfaltderbeteiligtenOrganisationenspiegeltsichindiesenAnsätzen.EssentielleFragenstelltensich,dieinderPartnerschaftauchandiskutiertwurden:IstdieStärkungdernationalenWettbewerbsfähigkeitdasZielvonEQUAL?KönnenneoliberaleWirt-schaftsprinzipiendieGrundlagefürsozialeArbeitdarstellen?

DienunvorliegendeBroschürebildetdenHintergrundab,vordemdiespannendenundletztlichfruchtbarenAuseinandersetzungenentstandensind,unddenenvieleweiterefolgensollen.

Dr.GerhardHetfleisch,GeschäftsführerderEqual-PartnerschaftJoinIn

4 JUGEND OHNE CHANCE?

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MigrantIn:NochexistiertfürdenBegriffkeineinternationalanerkannteDefinition.GenerellwirddaruntereinePersonverstan-den,diesichfreiwilligfüreinenOrtswechselentscheidet.MeistenswirdderTerminusMigrantInmitinternationalerArbeitsmigrationassoziiert.EineunfreiwilligeMigrations-entscheidungwirdals„forcedmigration“bezeichnet.ManunterscheidetzwischenBinnenmigration,demOrtswechselinnerhalbeinesStaates,undinternationalerMigration,sobalddieStaatsgrenzendesHeimatlandesüberschrittenwerden.DieUN-TerminologiedefiniertalsMigrantIneinePerson,dielängeralseinJahraußerhalbihresGeburtslandslebt.DerCharakterderEntscheidungwirddabeinichtberücksichtigt.OrtswechselaufgrundvonTourismus,nomadischemLeben,VerschleppungoderethnischenSäuberungenfallennichtunterdenBegriffMigration.

Jugendliche mit Migrationshintergrund:PersonenimAltervon15bis25Jahren,derenElternoderGroßelternalsImmigran-tInnenindasLandgekommensind,indemder/dieJugendlichegeborenwurdeundaufwuchsbzw.aufwächst.Vonentschei-denderRolleist,obdieJugendlichendieStaatsbürgerschaftdiesesLandesbesitzen.WennindervorliegendenBroschürevomfamiliärenHintergrundgesprochenwird,sowirddamitaufdasHerkunftslandderFamiliederJugendlichenverwiesen.Jugendliche,dieerstimLaufeihresLebensinihrderzeitigesGastlandgekommensind,werdengleichdenErwachsenenalsMigrantInnenbezeichnet.

AufihrspeziellesAlterwirddurchdasAttribut„Jugendliche/r“hingewiesen.“

AusländerInnen:Personen,dieinihremjeweiligenAufenthaltslandnichteingebürgertsind.UnterdieseDefinitionfallenMigran-tInnenaberauchJugendlichemitMigrations-hintergrund,dieaufgrunddesIusSanguinis(Abstammungsprinzip)dieStaatsbürger-schaftihrerElternbesitzen.DieBezeichnungAusländerInnenwird–obwohloftdiskrimi-nierendkonnotiert–indieserBroschüreverwendet,umdieunterschiedlichenLebens-situationenvoneingebürgertenundnichtein-gebürgertenMigrantInnenundJugendlichenmitMigrationshintergrundzuverdeutlichen.

GastarbeiterInnen:Personen,dieauf-grundderorganisiertenAnwerbungvonArbeitskräftenabden1950erJahrenausdensogenannten„Anwerbeländern“Ita-lien,Spanien,Griechenland,Portugal,demehemaligenJugoslawienundderTürkeialsmeistunqualifizierteArbeitskräfteindierei-chereneuropäischenIndustriestaatenwiedieBundesrepublikDeutschland,SchweizoderÖsterreichkamen.NachdemursprünglichgeplantenRotationsprinzipsolltendieArbei-terInnenwiederinihrHeimatlandzurückkeh-renunddurchneueersetztwerden.VieleließensichaberdauerhaftindenGastlän-dernnieder.Die„GastarbeiterInnen“wurdenvonderautochthonenBevölkerungseltenmitGastfreundschaftbehandelt.

Definitionen

5DEFINITIONEN

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Flüchtlinge:lautGenferFlüchtlingskonven-tionvon1951giltalsFlüchtling,wer„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Über-zeugung sich außerhalb des Landes befin-det, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in An-spruch nehmen kann oder wegen dieser Be-fürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder der sich als staatenlos infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in

welchem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“.MittlerweileverschwimmenjedochdieGrenzenzwischenArbeitsmigrationundFlucht,dieVerfolgungdurchnicht-staatlicheAkteurenimmtzu.DieGenferKonventionberücksichtigtaußerdemwederBinnenflüchtlinge(Personen,dienichtinsAuslandgeflohensind),nochFluchtvorElend,Kriegen,Naturkatastrophenoderneu-erdingsauchKlimaveränderungen.

Menschenwandertenundwandern–TeileeinermongolischenJurte

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AsylwerberIn(auch:AsylbewerberIn,Asylsu-chende/r):Person,dieineinemanderenLandSchutzvorVerfolgungsuchtundsichgemäßderGenferKonventionumdenStatuseines(durchdenjeweiligenStaat)rechtlichaner-kanntenFlüchtlingsbewirbt.SobalddieserSta-tusgewährtwird,giltdiebetreffendePersonalsKonventionsflüchtling.

AussiedlerInnen:NachdemZweitenWeltkriegflohenüber18Millionen„ethnische“Deutsche–AussiedlerInnengenannt–ausAngstvorpolitischerVerfolgungoderUnterdrückungausZentral-undOsteuropäischenStaatenunddemGebietderspäterenDDRindieBundesrepublikDeutschland.SeitdemgewährtdasdeutscheRechtAussiedlerInnenbeieinerImmigration

nachDeutschlanddiedeutscheStaatsbür-gerschaft.DiesesGesetzführteimLaufederJahrezuheftigenKontroversen.HeutesindDiskussionenummöglicheEntschädigungenfürAussiedlerInnenodereineRückkehrindieursprünglichenHeimatländerimGange.

SpätaussiedlerInnen:deutschstämmigePersonen,dienach1992ausosteuropäischenStaaten(vorallemausdenGebietenderehe-maligenSowjetunion,Estland,LettlandoderLitauen)nachDeutschlandimmigriertsind.SiewerdenindenStatistikennichtalsAuslände-rInnenerfasst,weilsieimBesitzderdeutschenStaatsangehörigkeitsind.TrotzdemsehensichvieleSpätaussiedlerInnenmitArbeitslosigkeit,SegregationundDiskriminierungkonfrontiert.

Weiterführende Links

nhttp://de.wikipedia.org/wiki/Migrantnhttp://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtlingnhttp://de.wikipedia.org/wiki/Konventionsfl%C3%BCchtlingnhttp://de.wikipedia.org/wiki/Gastarbeiternhttp://de.wikipedia.org/wiki/Asylsuchendenhttp://de.wikipedia.org/wiki/Aussiedlernhttp://de.wikipedia.org/wiki/Sp%C3%A4taussiedlernhttp://portal.unesco.org/shs/en/ev.php-URL_ID=3020&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html

für Österreich:nhttp://www.midasequal.com/de/downloads/glossary_report1_midas.pdf

für Deutschland:nhttp://www.bamf.de/cln_042/nn_566320/DE/Service/Glossar/__Function/glossar-catalog,lv2=566432.html

�DEFINITIONEN

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8 JUGEND OHNE CHANCE?

Österreich

Migration in Österreich von 1945 bis 1989

„ÖsterreichistkeinEinwanderungsland!“DieseAuffassungwirdauchheutenochvonetlichenPolitikerInnenundTeilenderGesell-schaftvertreten.DochdasGegenteilistderFall:ÖsterreichwarundistschonimmereinEinwanderungslandgewesen.Esgenügt,dasRadderZeit60JahrezurückzudrehenunddiehistorischeEntwicklungvonMigra-tioninundnachÖsterreichnachzuzeichnen,umdieseAussagezurevidieren.Der„Anschluss“Österreichsandasnatio-nalsozialistischeDeutschlandimJahre1938hattedasAlpenlandkurzvonderBildflächeverschwindenlassen(wasvieleÖsterreiche-rinnenundÖsterreicherabernichtdavonabhielt,sichaktivandenMenschheitsver-brechendesNS-Regimeszubeteiligen).ImFrühling1945wurdederzweite–diesmalerfolgreiche–Versuchgestartet,inÖs-terreicheinedemokratischeRepublikzuetablieren.KurznachKriegsendebeliefsichdieZahlderausländischenPersoneninÖs-terreichaufrund1,6Millionenbei7MillionenEinwohnerInnen.ÖsterreichwarzugleichAufenthalts-undTransitlandfürdieseMen-schenundanderesogenannte„DisplacedPersons“(DP),dieentwederKriegsgefan-gene,ZwangsarbeiterInnen,GefangenevonKonzentrations-undVernichtungslagernoderFlüchtendewaren.Vielesogenannte„Volksdeutsche“wurdeninAnbetrachtihrer

Sympathisierungund/oderKollaborationmitdemNS-RegimeausdenwiedererstandenenStaatenZentral-undMitteleuropasvertrie-ben.ImLaufederNachkriegsjahrewurdenetlicheder530.000ethnischenDeutscheninÖsterreicheingebürgert,sodassvorallemdiesteigendeNachfragenachArbeitskräftenindenökonomischboomenden1950erJahrenvorerstbefriedigtwerdenkonnte(Fassmann/Münz1996:211ff.).DieUngarnkrise1956/57mitderFluchtvoncirca200.000MenschennachÖsterreichstellteeinedergrößtenWanderbewegungeninderNachkriegsgeschichtedar.Fastalleder180.000Asylanträgewurdenpositiverle-

Geschichte der Migration in Österreich, Deutschland und Frankreich

“TheVoicelessChairman“vonHelenThompson,ExponatderAusstellung„MigrationinBildern“

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�GESCHICHTE DER MIGRATION

digt,dochnur20.000ungarischeFlüchtlingebliebendauerhaftinÖsterreich(ebd.212).AuchbeidenKriseninderTschechoslowakei1968/69undinPolen1980/81bewährtesichÖsterreichalsTransit-undkurzfristigesAuf-enthaltsland.

Beginn der Arbeitsmigration

DashoheWirtschaftswachstuminden1960erJahrenbedingteeineAusweitungderBeschäftigtenzahlen,umweiterhinwettbewerbsfähigzubleibenundumdamitwiederumden(Hoch-)Konjunkturzyklushinauszuzögern.DiespezielleBevölkerungs-struktur–einniedrigerAnteilvonErwerbstäti-gen–alsFolgedesZweitenWeltkrieges,der„Babyboom“unddamitdas(kurz-oderlang-fristige)AusscheidenvonvielenFrauenausdemErwerbslebenverschärftendenMangelanArbeitsressourcenzusätzlich.Außerdemkamerschwerendhinzu,dassvieleÖster-reicherInnenihreArbeitskraftvorallemindenbundesdeutschenundschweizerischenArbeitsmarkteinbrachten,wohöhereLöhneausbezahltwurden.Anfangder1960erJahrebeganndieorganisierteAnwerbungvonausländischenArbeitskräften.DamitsetztedieArbeitsmigrationnachÖsterreichimVer-gleichzudenanderenwestlichenIndustrie-nationenetwasverspätetein.DieSozialpartner,derOberbegrifffürdieneokorporatistischenVertretungenvonAr-beitgeberInnenundArbeitnehmerInneninderZweitenRepublik,inGestaltderWirtschafts-kammerundGewerkschaft,vereinbartenjedesJahrsogenannte„Fremdarbeiterkon-tingente“(dieDiktionerinnertandie„Fremd-arbeiter“imNS-Regime,erstEndeder1960erJahrewirdderBegriffdes„Gastarbei-ters“ausDeutschlandübernommen).Diese

KontingentewarenanbestimmteBranchengebundenunddurftennichtüberschrittenwerden.DamitunterlagdieBeschäftigungvonausländischenArbeitskräftennichtderRegierungsonderndenSozialpartnern.NachdenAnwerbeabkommenderRepublikÖsterreichmitderTürkei(1964)undJu-goslawien(1966)entwickeltesichdieZahlderArbeitsmigrantInnenstetigaufwärtsunderreichteimJahr1973mit227.000Beschäf-tigtenmitnicht-österreichischerStaatsbür-gerschafteinenHöhepunkt.DasentspracheinemAnteilvonfast9%andenunselb-ständigBeschäftigten(Fassmann/Münz1996:218bzw.Parnreiter1994:103).MitdemEinbrechendesHochkonjunkturzyklusunddemEinsetzenderÖl-undWeltwirt-schaftskriseMitteder1970erJahrewurdedieZahlderMigrantInnensystematischverringert(„Anwerbestopp“).BegleitenddazuerfolgteeinerestriktivereHandhabungderEinwanderungs-undBeschäftigungspolitik.DieErteilungvonArbeitsbewilligungen–bisdahineinejährlicheVereinbarungzwischendenSozialpartnern–wurdemitdemAus-länderbeschäftigungsgesetzkodifiziertundunterliegtseitdemJahr1976derBundesre-gierung.DieerlaubteEinwanderungreduziertesichabdiesemZeitpunktfastvölligaufdenFa-miliennachzug,d.h.diebereitsinÖsterreichlebendenMigrantInnenkonntennurihrenächstenVerwandtennachÖsterreichholen.DieAnzahlderausländischenBeschäftigtenhingegensankseit1975kontinuierlichunderreichte1984einenTiefststandvonknapp140.000Personen.ErstimJahr1991wurdedieAusländerbeschäftigungsratevon1973wiedererreicht(Fassmann/Münz1995:44).DasModelldesRotationsprinzips,dasdieBasisderAnwerbepolitikdarstellte,sollteso

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10 JUGEND OHNE CHANCE?

funktionieren,dassbeiArbeitskräfteknappheitArbeitsmigrantInnen„importiert“werden,dienachdemEndeihresBeschäftigungsverhält-nisseswiederinihrHeimatlandzurückkehrensollten.BeischlechterWirtschaftslagehin-gegensollteein„Export“vonArbeitslosigkeit(vgl.Parnreiter1994:140)durcheine„Ab-schiebung“dieserPersoneninihrHeimatlandgarantiertwerden.AllerdingsscheitertediesesSystemaufgrundmehrererFaktorenwiezumBeispiellängerfristigeBeschäftigungsverhält-nisse:dieMigrantInnengehörtenmittlerweilezurStammbelegschaftderUnternehmen,wo-raufhinvieleGastarbeiterInnenihrenLebens-mittelpunktnachÖsterreichverlegten.

Bevölkerungswachstum durch Immigration

DieausländischeWohnbevölkerungstiegzwischen1960und2000auchaufgrundderrestriktivenVergabederStaatsbürgerschaftfürdie„zweiteGeneration“derMigrantInnenüberproportionalan.IndiesenvierzigJahrenversiebenfachtesichdieZahlvon100.000aufüber700.000Personen(Gächter2005:11f.).DieVerleihungderStaatsbürgerschaftfolgtinÖsterreichnochimmerdemGrundsatzdesius sanguinis,d.h.KindererhaltendieNatio-nalitätihrerEltern(teile).ImGegensatzdazugiltinvielenandereneuropäischenLänderndasTerritorialprinzip,dasius soli,wodurchKinderautomatischdieStaatsbürgerschaftjenesLandeserhalten,indemsiegeborenwurden(IOMWien2004:6).IndenfünfzigJahrenzwischen1945und1995warÖsterreichfürfastvierMillionenMenschen„Immigrationsziel,GastlandoderbloßeDurchgangsstation“(Fassmann/Münz1995:53).ÜbereineMilliondieserMenschen

bliebinÖsterreich.DieseZahlenzeigen,dassImmigrationeinengroßenEinflussaufdasBevölkerungs-undArbeitspotenzialhatteundhat(ebd.:54).DamitsolltedieThese,dassÖsterreichkeinEinwanderungslandsei,endgültigderGeschichteangehören.

Migration in Österreich von 1989 bis heute

MitdemFalldesEisernenVorhangsunddemEndederkommunistischenHerrschaftssys-temeinEuropaändertesichauchdieEin-wanderungnachÖsterreichgrundlegend.DiegrößteImmigrationgabesindenJahren1990bis1993,miteinerjährlichenNettozuwande-rung(demSaldozwischenEmigrationundImmigration)vonüber80.000Menschen.Ös-terreichwarinnerhalbWesteuropasvomKriegindenNachfolgestaatenJugoslawiensbeson-dersbetroffen:ErstensalsdirekterNachbar-staatundzweitensdeshalb,weildasgrößte

BustransportIstanbul-Österreich,1971ArchivHürriyet1971

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11GESCHICHTE DER MIGRATION

EinwandererkontingentimZugederAnwer-bungvonArbeitsmigrantInnenausdieserRegionstammte(Bauböck1996:19f.).AlsReaktionaufdiesteigendeBeschäftigungvonMigrantInnenamArbeitsmarkteinigtensichdieRegierungsparteien1990aufdieEinfüh-rungeiner„Bundeshöchstzahl“.DiesejährlichfestzustellendeZahlsolltederGradmessersein,wievieleausländischeArbeitskräftesichamArbeitsmarktbefindensollten.DieBand-breiteerstrecktesichzwischeneinemAnteilvon8bis10%MigrantInnen(unselbständigBeschäftigteundArbeitslose)amgesamtenArbeitskräftepotenzial(IOMWien2004:15).

„Integration vor Neuzuzug“?

DieWohnbevölkerungmitnicht-österreichi-scherNationalitätverdoppeltesichvon1989bis1993auf690.000Personen.MehralsdieHälfte(60%)derEinwandererInnenkamenausdenNachfolgestaatendesehemaligen

JugoslawiensundderTürkei(IOMWien2004:14).DasvondenRegierungsparteienSPÖ/ÖVP1993beschlosseneAufenthalts-gesetzversuchteerstmals,Migrationzusteuern.MitdiesemGesetzwurdenObergren-zenfürdieZuwanderungvonMigrantInnengesetzt.AngesichtsderökonomischenunddemographischenEntwicklunginÖsterreichwurdenNiederlassungsbewilligungenanhandeinesQuotensystemsvergeben.BegleitendsolltenvonstaatlicherSeiteverstärktMaßnah-menfürMigrantInneninHinblickaufIntegra-tionsbestrebungenfinanziertundunterstütztwerden(Fassmann/Münz:18f.).Damitwurdedasalte„Gastarbeitersystem“zurückgebaut,gleichzeitigabereinneuesuntereinemanderenNamenaufgebaut.Un-terdemTitelder„Saisonniersbeschäftigung“erfolgtewiederumeineAnstellungvonMi-grantInnenaufZeitmitgeringerEntlohnungundinBerufenmitniedrigemSozialprestige.Hinsichtlichaufenthalts-,sozial-undarbeits-rechtlichenStandardsder„Saisonniers“waressogareinrestriktiverRückschritthinterdie1960erJahre(Gächter2005:10).NachdemEU-BeitrittÖsterreichs1995kanneinAnstiegderBeschäftigungausländischerArbeitnehmerInnenfestgestelltwerden.VorallemdievermehrteAnstellungvonSaisonar-beitskräftenu.a.indenBereichenGastrono-mieundLandwirtschaft(Erntehelfer)unddieGleichbehandlungEU-europäischerArbeit-nehmerInnenbedingtendenAnstiegderBe-schäftigungausländischerArbeitskräfte,dieimJuli2004mit379.000PersoneneinenHöhe-punkterreichte(IOMWien2004:16).DerAnteilderausländischenWohnbevölkerunganderGesamtbevölkerungbeträgtinÖsterreichzurzeit10%.Vondiesenüber700.000Men-schenohneösterreichischeStaatsangehörig-keitstammtfastdieHälfteausdenStaaten

EventvonJoinInamInnsbruckerBahnhofimMai2007

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12 JUGEND OHNE CHANCE?

desehemaligenJugoslawiens(320.000),knapp20%ausderTürkei(127.000)undrund10%ausDeutschland(72.000).ZähltmandiePersonen,dieimAuslandgeborenwurdenundjetztinÖsterreichlebenhinzu,steigtderProzentsatzauf14%.Anfangder1990erJahreverschärftesichmitdemAufstiegderrechtspopulistischenunddemrechtsextremenLagernaheste-hendenFPÖunterJörgHaider,diesichoffenausländerfeindlicherundrassistischerRessentimentsbediente,daspolitischeKlimagegenüberausländischenMitmenscheninÖsterreich.MigrantInnenwurdenals„Ver-brecherundKriminelle“sowieals„Sozial-schmarotzer“(einBegriffausderNS-Zeit)bezeichnet.DiesemenschenverachtendeFormdesRechtspopulismuswurdeundwirdnachwievorvonvielenMenscheninÖster-reichgeteilt.DieoffizielleösterreichischeMigrations-undIntegrationspolitikstehtnochimmerinderTraditioneinerAbwehrhaltunggegenüberMigrantInnen,wassichnebendenZu-gangsbeschränkungenimAufenthalts-undArbeitsrechtauchandemantiquierten„Ab-stammungsprinzip“fürdenErhaltderöster-reichischenStaatsbürgerschaftablesenlässt.

Migration in Tirol

DasBundeslandTirolhatfast700.000Ein-wohnerInnen,vondenenetwaeinFünftelinInnsbruckleben.RundeinSiebtelderWohn-bevölkerungTirols(83.000Menschenbzw.14%)wurdeaußerhalbderGrenzenÖsterrei-chsgeboren,circa10%derEinwohnerInnenbesitzeneineandereStaatsangehörigkeit.Knapp35%dieser64.000Menschenstam-menausdenNachfolgestaatendesehe-maligenJugoslawiens(22.000),einViertel

ausderTürkei(16.000)undeinFünftelausDeutschland(12.500).InTirolbeganndieAnwerbungvonArbeits-migrantInnenMitteder1960erJahre.ImGegensatzzudenanderenBundesländerninÖsterreich,woderGroßteilderausländischenArbeitskräfteindererzeugendenIndustrieundimBaugewerbebeschäftigtwar,warinTirolderAnteilanDienstleistungsberufenundhiervorallemimTourismussignifikanthöher.ImJahr1973warjede/rzehnteunselbständigBeschäftigteein/eArbeitsmigrant/in;einWert,dererstimJahr2000wiedererreichtwurde.BisEndeder1970erJahrelagderAnteilanausländischenArbeitnehmerInnenausdemehemaligenJugoslawienkonstantüber60%,derjenigevontürkischenArbeitnehmerInnenbeiknapp20%.AuchinTirolhattedieÖl-undWirtschafts-krise1973/74großeAuswirkungenaufdieBeschäftigungausländischerArbeitskräfte.BisMitteder1980erJahrehalbiertesichdieZahlderArbeitsmigrantInnenauf11.000Personen.EinespezielleFormderkurzfri-stigenBeschäftigungausländischerArbeit-nehmerInneninTirolistdiesogenannte„Saisonniersbeschäftigung“,eineneuereFormdesalten„Gastarbeitprinzips“.Seitdenbeginnenden1990erJahrenwerdenvomBundesministeriumfürWirtschafthalbjähr-lich(SommerundWinter)KontingentefürArbeitnehmerInnenintouristischenBetriebenfestgelegt.DieArbeitsverhältnissesindzeit-lichbefristet,meistensaufeinensokurzenZeitraum,dasskeinAnspruchaufSozialleis-tungengestelltwerdenkann.ImJahr2004wurdenaufdieseWeise7.000MenschenimTirolerTourismusbeschäftigt.

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13GESCHICHTE DER MIGRATION

Deutschland

Migration in Deutschland von 1945 – 1989

Alles,wasdieSituationausländischerPersonenindenNachkriegsjahreninÖs-terreichkennzeichnete(DisplacedPersons,Kriegsgefangene,KZ-Gefangene,Zuwan-derungbzw.Vertreibungvonsogenannten„Volksdeutschen“ausdenneuerstandenenStaatenMittel-undOsteuropas),warauchimNachkriegs-Deutschlandzubeobachten,allerdingsinanderenGrößenordnungen.DerZivilisationsbruchderShoahunddieErobe-rungskriegedesNS-RegimesundseinerMittäterInnenhattenEuropazueinemTrüm-merhaufenwerdenlassen.MitderGründungderbeidendeutschenStaatenBRDundDDRimJahre1949setzteindendarauffolgendenJahren(biszumMauerbau1961)eineMigra-tionsbewegungvonOstnachWestein,inderenZugemehrereMillionenMenschennachWestdeutschlandmigrierten.In(West)Deutschlandlassensichnach1945sechsPhasenderMigrationunterscheiden,vondenendieerstenbeidenobenbereitserwähntwordensind(Zuwanderungvonrund13Millionen„ethnischen“DeutschenundTransitlandfürDP’s,sowiedieOst/West-MigrationzwischenderDDRundderBRD).DieserBeitragbeziehtsichausschließlichaufdieMigrationsgeschichtederBundes-republik.

Dritte Phase: Anwerbung von „GastarbeiterInnen“ 1955 – 1973

DieBundesrepublikbegannschonfrüheralsÖsterreichmitderAnwerbungvonArbeits-migrantInnen.DieEinbürgerungderrund13

MillionenFlüchtlingewirktenurvorüberge-hendalsPuffergegendenArbeitskräfteman-gel.AnhaltendhohesWirtschaftswachstumunddiezunehmendeArbeitskräfteknappheitveranlasstendiedeutscheBundesregierungzumAbschlussvonsogenanntenAnwerbe-AbkommenmitStaatenausdemMittelmeer-raum.DemVertragmitItalien1955folgtenSpanienundGriechenland(1960),Türkei(1961),Marokko(1963),Portugal(1964),Tunesien(1965)undzuletztJugoslawienimJahr1968(Reißlandt2005).DieBeschäftigungundAnwerbungvonaus-ländischenArbeitskräftenfolgtestrengnachökonomistischenGrundsätzen(Rotations-system).Siewar–wieinallenwesteuro-päischenStaaten–andenBedürfnissendesArbeitsmarktesundderWirtschaftausge-richtet.DaderAufenthaltnurtemporärseinsollte,wurdendieseMenschenkurzerhandals„Gastarbeiter“bezeichnet.DasdeutscheWirtschaftswunderhätteinden1950erund1960erJahrenohnedieAnwerbungvonAr-beitsmigrantInnennichtsolcheAusmaßeanWohlstandproduzierenkönnen.DieBeschäftigungderArbeitsmigrantInnenerfolgtezueinemGroßteilinderIndustrieunddortinjenenBranchen,indenenderArbeitskräftemangelamhöchstenunddasSozialprestigedieserTätigkeitamniedrigstenwar.NichtnurdasWirtschaftswachstum,auchdieausländischeWohnbevölkerungnahminden1960erJahrenaufgrunddeseinsetzendenFamiliennachzugszu.Lebtenindenfrühen1950erJahrennurcircaeinehalbeMillionenMenschenmitausländischerStaatsangehörigkeitinDeutschland,sostei-gertesichdieseZahlimJahr1970aufüber3Millionen.DamitwardieBRDdasLandmitdergrößtenausländischenBevölkerung

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14 JUGEND OHNE CHANCE?

inWesteuropa(Bade2000:302).1973er-reichtedieZahlderausländischenArbeitneh-merInnen–zurselbenZeitwieinÖsterreich–mitrund2,6MillioneneinenvorläufigenHöhepunkt(Reißlandt2005).InderZeitzwischen1954und2000warDeutschlandfürüber30MillionenMenschenMigrationsziel.IndiesemZeitraumbetrugdieNettozuwanderungfastsiebenMillionenPer-sonen(Münz/Ulrich2000:23-25).DieZahlderArbeitsmigrantInnenkurzvorderÖlkrise1973wurdeinderspäterenGeschichtederBRDniemehrerreicht.

Vierte Phase: Anwerbestopp und Konsolidierung der ausländischen Wohnbevölkerung 1973-1989

DieersteÖlkriseunddasabflauendeWirtschaftswachstumführtenauchimDeutschlanddesJahres1973dazu,dassdieBundesregierungeinen„Anwerbestopp“vonausländischenArbeitskräftenerließ.DiestaatlichintendierteundorganisierteArbeits-migrationwardamitvorübergehendbeendet.IneinigenBundesländernwiez.B.Bayern,Nordrhein-WestfalenoderHessenwurdeso-gareineZuzugssperrefür„überlasteteSied-lungsgebiete“erlassen(Reißlandt2005).DieMigrationspolitikderBRDinden1970erund1980erJahrenorientiertesichandreiLeitlinien:ErstenseineBegrenzungdesZuzugsvonMigrantInnenvonaußerhalbderEU(damalsnochEG),zweitenseineansatz-weisesozialeIntegrationvoninDeutschlandlebendenAusländerInnenunddrittenseineSchaffungvon„Anreizen“fürdieRückkehrvonMigrantInneninihreHerkunftsländer.DiezuletzterwähnteMaßnahmebasierteaufeinemimJahr1983inKraftgetretenen„Ge-setzzurFörderungderRückkehrbereitschaft

vonAusländern“.DiehohenErwartungenderCDU/CSU/FDP-Koalitionwurdenabernichterfüllt,nurrund250.000MigrantInnenverlie-ßenDeutschland(Santel/Weber2000:113).Bereits1979konkretisiertederersteAus-länderbeauftragtederdeutschenBundes-regierung,HeinzKühn,ineinemnachihmbenanntenMemorandumdieForderungnacheinerinsichkonsequentenIntegrationspolitikunddamitdieAnerkennungDeutschlandsalsEinwanderungsland.AußerdemwurdeauchdieMöglichkeitpolitischerPartizipationfürMigrantInnenwiedaskommunaleWahlrechtundeinAbgehenvombisherigenVergabe-prinzipderStaatsbürgerschafteingefordert(Reißlandt2005).

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15GESCHICHTE DER MIGRATION

Migration in Deutschland von 1989 bis heute

Fünfte Phase: (Binnen) Migration zwischen Ost- und Westdeutschland – Zuzug von (Spät-)AussiedlerInnen – Begrenzung der Zuwanderung 1989 – 2000

DerFalldesEisernenVorhangsunddamitdasEndederBlockkonfrontationhattefürDeutschlandalsgeteiltesLandeinebeson-dereSymbolkraft.DerWiedervereinigungimJahr1990folgteeineenormeBinnenmigra-tionvonOstnachWest.EineBesonderheitinderdeutschenMigra-tionsgeschichteistdieAufnahmevonAussiedlerInnen(nach1992Spätaussiedler-Innengenannt).AlsAussiederlInnenwerdenPersonenbezeichnet,dieselbstoderderenElternnachdemEndedesZweitenWelt-kriegesausdenGebietenöstlichderGrenzezwischenderBRD/DDRundPolensowiederTschechoslowakei(Oder/Neiße-Linie)vertrie-benwurden.DerdurchdasBundesgesetzzurAufnahmevonDeutschennachdemBundesvertrie-benengesetz(BVFG)gesetzlichgeregelteZuzugbetrugbisindiefrühen1980erJahredurchschnittlich30.000PersonenimJahr.MitdemEndederBlockkonfrontationer-reichtedieZuwanderung1989und1990eineAnzahlvonfast400.000Spätaussied-lerInnenjährlich.DiemeistenkamenausdenStaatenderehemaligenSowjetunion,PolenundRumänien.Inden1990erJahrenreagiertederGesetzgeberaufdiegroßenMigrationsbewegungenundschränktedenZuzugdieserPersonengruppeein.ImJahr2000wurdeeineKontingentierungvon100.000Personenjährlicherlassen

(MigrationsberichtimAuftragderBundesre-gierung2004:26-28).

Sechste Phase: Neues Staatsangehörig-keitsgesetz und Schritte zu einer aktiven Migrationspolitik seit 2000

WohlauchmiteinGrundfürdiekonstantbleibendeZahlvonAusländerInneninDeutschland–nebenderrestriktiverge-handhabtenEinwanderung–wardasbiszurReformunterder1998neugewähltenrot-grünenBundesregierunggeltendeStaats-angehörigkeitsgesetz.Dasbisdahinange-wandte„Abstammungsprinzip“(ius sanguinis)stammtenochausderZeitdesWilhelmi-nischenKaiserreiches.NebendemschonlängstfälligenBekenntnis,dassDeutschlandeinEinwanderungslandsei,wurdeauchdieEinbürgerungvonMigrantInnenderersten

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16 JUGEND OHNE CHANCE?

undzweitenGenerationdurchdieReformdurchRot-Grünerleichtert(Santel/Weber2000:125ff.).DieZahlderausländischenWohnbevöl-kerungbliebindenJahren1995bis2005konstantbeica.7,3MillionenPersonen.DerAnteilanEU-BürgerInnenliegtbeirundeinemViertel(StatistischesJahrbuch2006:28).RegionaleUnterschiedesindvorallemzwischenOstundWestzuerkennen.Wäh-rendBayern,Baden-Württemberg,Bremen,Hessen,Hamburg,BerlinundNordrhein-WestfaleneinenAnteilvonüber10%anMenschenmitnicht-deutscherStaatsangehö-rigkeitaufweisen,liegtdieserinden„neuen“Bundesländernsignifikantniedriger.InBrandenburglebenzumBeispielnur67.000AusländerInnenbeieinerGesamteinwohner-Innenzahlvon2,6Millionen–dasentspricht

2,5%(StatistischesJahrbuch2006:29).Inte-ressantistdiesdeshalb,davorallemindenneuenBundesländernrechtsextremeundneonazistischeParteien,dieoffenrassistischundausländerfeindlichauftreten,beiWahlenreüssierenkönnen–obwohlderAnteilvonAusländerInnenindiesenBundesländernmarginalist.UnterdenMigrantInnen,dieheuteinDeutschlandleben,stellendieDeutsch-landtürkInnenmitrund2,1Millionen(davon700.000Eingebürgerte)diegrößteGruppe(Quelle:TürkischeGemeindeDeutschland).ÜberraschendanzweiterStelle–wohleineSpätfolgedesersten„Gastarbeiter-Abkom-mens“–sindItalienerInnenmitrund550.000Personen(8%),diedrittgrößteGruppesindBürgerInnenausdenNachfolgestaatendesehemaligenJugoslawiensmitcirca500.000

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1�GESCHICHTE DER MIGRATION

Personen(7,5%)(StatistischesJahrbuch2006:48).ImJahre2000besaßenzweiMillionenderinsgesamt23MillionenunselbständigBe-schäftigteneineausländischeStaatsange-hörigkeit.Aktuellsindesknapp1,7Millionenbeirund20Millionensozialversicherungs-pflichtigenArbeitnehmerInnen.Zuberück-sichtigensindindiesenStatistikendiehoheArbeitslosigkeit,vonderMigrantInnenstärkerbetroffensind,sowiediestaatlicheForcie-rungderneuenSelbständigkeit(Ich-AG’s)(StatistischesJahrbuch2006:91-92).

Migration in Schweinfurt

Schweinfurtistmit54.000EinwohnerInnendiedrittgrößteStadtimbayerischenBezirkUnterfranken.RundeinViertelderBevöl-kerungsindZugewanderteausüber100verschiedenenNationen.DiegrößteGruppebildendieSpätaussiedlerInnenmitrund6.400Personen,dienachdemEndedesOst-West-KonfliktsausdenLänderndesehemaligenkommunistischen„Ostblocks“nachDeutschlandkamen.DiezweitgrößteGruppebildenPersonenmittürkischerHerkunft.AbsolutgesehensindjedochdieinzweiKasernenstationiertenUS-ameri-kanischenSoldatenmitihrenAngehörigen(5.500Soldatenund7.000Angehörige)diegrößteGruppemitnicht-deutscherStaatsbür-gerschaft.DieStadtSchweinfurtzähltdieseaberinihrenStatistikennichtzurWohnbe-völkerung.SchweinfurtverdanktseinenwirtschaftlichenAufstiegundheutigenWohlstandderIn-dustrie.DieStadtistnebenWürzburgdasbedeutendsteHandels-,Industrie-undSchul-zentruminUnterfranken.AufgrundseinerhohenIndustrialisierungwarSchweinfurt

imZweitenWeltkriegsehrstarkvonZerstö-rungenbetroffen.NachdemWiederaufbauunddem„Wirtschaftswunder“inden1950erund1960erJahrenfolgteindieserZeitdieAnwerbungvonArbeitsmigrantInnenausdenMittelmeerländern.DieWirtschaftskriseinden1980erJahren,dievorallemdieerzeu-gendeIndustriebesondersstarkerfasste,ließdieArbeitslosenrateaufüber20%an-steigen.ImJahr2006hatsiesichaufknappüber10%eingependelt.HeutesindvorallemmittelständischeIndustrieunternehmeninSchweinfurtangesiedelt.DieAusnahmebil-dendreiinternationaleUnternehmen(ZFSachsAG,SvenskaKugellagerfabrikundFAGKugelfischer).AnhandeinerBetrachtungdereinzelnenStadtteilelässtsicheineSegregationimBereichWohnenzwischeneinheimischerundzugewanderterBevölkerungerkennen.DerStadtteil„Bergl“entstandzwischen1950undden1960erJahrenundsolltealsWohn-siedlungfürinderIndustriebeschäftigteArbeiterInnenundAngestelltedienen.IndenzahlreichenWerkswohnungenleben9.500Personen,wobeiderMigrantInnenanteilbeirund20%liegt,großteilstürkischerHerkunft.„Deutschhof“wurdealseineeigenekleineStadtfür25.000Personengeplant.DieserStadtteilhatdenhöchstenAnteilanSpätaus-siedlerInnen.ZumVergleich:DerStadtteil„Eselshöhe“,wodasgehobeneBürgertumwohnt,hateinenfastzuvernachlässigendenAusländerInnenanteilvon3%.AufgrunddesBestehensvonAufnahmeein-richtungenundÜbergangswohnheimenfürSpätaussiedlerInnenhatSchweinfurteinensignifikanthöherenAnteilanSpätaussied-lerInnenalsandereStädteinderBundes-republik.

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18 JUGEND OHNE CHANCE?

Frankreich

Migration in Frankreich von 1945 – 1989

DiekolonialeVergangenheitderfran-zösischenRepubliklässteinendirektenVergleichmitDeutschlandundÖsterreichnichtzu.WährendinDeutschlandab1955,inÖsterreichseitden1960erJahreneineorganisierteAnwerbungvon(Arbeits-)Migran-tInnenerfolgte,undsichdamitdieZusam-mensetzungderBevölkerungerstlangsaminRichtungPluralismusundMultikulturalitätveränderte,kannFrankreichaufeinelange–zuwesentlichenTeilennicht-europäische–TraditionderEinwanderungzurückblicken.DiestatistischeErfassungderHerkunftvonPersonenhatinFrankreichaufgrundderstriktenAuslegungdesrepublikanischenPrinzipsderGleichheitallerBürgerInnenunddemIusSolikeinengroßenStellenwertundwirdimGegensatzzuDeutschlandundÖsterreichnichtindieserWeisepraktiziert.DeshalbsindAussagenüberdieGrößederunterschiedlichenMigrantInnengruppeninFrankreichsehrschwierig.

Demographische Probleme und Arbeitskräfteknappheit: Die ersten Anwerbeabkommen und der Versuch einer organisierten Einwanderungs- politik 1945 – 1956

NachdemEndedesZweitenWeltkriegsstandFrankreichvorzweiwesentlichenProblemen:ErstenshattederHitlerscheVernichtungskriegeineBevölkerungslückehinterlassenundzweitensgabes–alsdirekteKonsequenz–vielzuwenigArbeits-kräfte.

DeGaullesAnsätzeinderEinwanderungs-politikorientiertensichaneiner„ethnischenundselektiven“Migration,dietatsächlichrestriktivundrassistischwarundineinerge-wissen–personellenundideologischen–KontinuitätzumfaschistischenVichy-Regimestand.MitderGründungeinesnationalenEin-wanderungsbüros1945(OfficeNationald’Immigration,ONI;heute:OMI,OfficedesMigrationsInternationales)begannFrankreichschonsehrfrüh,ausländischeArbeitskräfteinsLandzuholen.BevorzugtwurdendabeiMigrantInnenausSüdeuropa,wassichimerstenAnwerbe-AbkommenmitItalien1947,achtJahrevordemdeutsch-italienischenAbkommen,niederschlug.DiebeiderseitigenErwartungenwurdennichterfüllt,stattderjährlicherwarteten70.000kamenwenigerals40.000ItalienerInnennachFrankreich.Indenfrühen1950erJah-renentwickeltensichSpanienundPortugalzuwichtigeninnereuropäischen„Entsende-ländern“vonArbeitsmigrantInnennachFrank-reich.DazukamenderMaghrebunddiesubsaharischenStaaten.DiedurchgroßenVerwaltungsaufwandundStaatsdirigismusgekennzeichneteAnwerbungvonArbeits-kräftenkonnteaberdenBedarfnichtdecken,soentwickeltesicheineaufdemlaissez-faire-PrinzipberuhendeinformelleArbeits-migration,dieesUnternehmenermöglichte,RekrutierungennachberuflicherSelektionundökonomistischenKriteriendurchzusetzen(D’Amato2001:142-146).

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1�GESCHICHTE DER MIGRATION

Das langsame Ende des kolonialen Frankreich, informelle Migration und ein neuer Versuch organisierter Einwan-derungspolitik 1956 – 1965 bzw. 1973

DieFreizügigkeitgegenüberalgerischenMigrantInnenundderenPrivilegien,1947erlassen,endetenmitdemAusbruchdesAl-gerienkriegs1956.DieUmsiedlungvonübereinerMillionenAlgerien-Franzosen(„piedsnoirs“)nachdemFriedenvonEvian1963zwischenderfranzösischenRepublikundderAlgerischenNationalenBefreiungsarmee(FLN)wareinerderAnfängeeinerzuneh-mendenMarginalisierungderImmigrant-Innengruppen.DerschrittweiseZerfalldesfranzösischenKolonialreicheserhöhtedenMigrationsdruckaufdasfranzösische„Mut-terland“.UnterdiesemEindruckentwickeltesichinGroßbritannienundinFrankreichEndeder1960erJahreeinrassistischunter-fütterterDiskursüberEinwanderung,dermitdemBegriffdes„Eurorassismus“beschrie-benwerdenkann(Bade2000:308-310).ImJahre1965beganndiefranzösischeRegierung,ArbeiterInnenausderTürkeiundJugoslawienanzuwerben.ZudiesemZeitpunktwardiebisherigeEinwanderungs-politikunterdemEinflussdesstattlichenONIbereitsgescheitert.1966wurdenurmehreinFünftelderArbeitsmigrantInnenlegalüberdasnationaleEinwanderungsbüroangewor-ben.Dierestlichen80%derausländischenArbeitskräftekamenüberinformelleKontaktenachFrankreich.DamiteinhergehendkameszurmassivenVerschlechterungdersozia-lenBedingungenbishinzurVerelendungeinergroßenZahlvonArbeitsmigrantInnen.AufgrundihresirregulärenAufenthaltssta-tuswarensieOpfervonAusbeutung:sieerhieltenungesetzlichniedrigeLöhne,arbei-

tetenundlebtenindesolatenArbeits-undWohnbedingungen.Endeder1960erJahreversuchtediefranzö-sischeRegierungwiedermehrEinflussaufdieMigrationspolitikzugewinnen,unddasbis-herigelaissez-faire-Prinzipzurückzudrängen.ErsteSchritteindieseRichtungwarendieVerabschiedungeinesGesetzes,dasArbeits-migrantInneninBetriebendiegleichenRechtewiefranzösischenBürgerInnengewährte,so-wieweiteresozialpolitischeMaßnahmen,dieaberoftmalsunkoordiniertundfragmentiertblieben(D’Amato2001:147-149).

Anwerbestopp und steigender Rassismus 1974 – 1981

DerAmtsantrittdesliberal-konservativenPrä-sidentenGiscardd’EstaingfielzusammenmiteinerderschwerstenwirtschaftlichenKrisenimNachkriegseuropa.WieinDeutschlandundÖsterreichwurdeauchinFrankreichimJuli1974einsogenannter„Anwerbestopp“verkündet.DamitendetenfürFrankreichauchdiedreiDekadenumfassendensogenannten„TrenteGlorieuses“(glorreichenDreißig),dieseit1945sowohlvonstaat-lichorganisierteralsauchvoninformellerArbeitsmigrationundImmigrationgeprägtwar(IMIS-Beiträge1999:46).WieinallenanderenwesteuropäischenIndustriestaatentrugenArbeitsmigrantInnenwesentlichzumWohlstandderfranzösischenGesellschaftbei.EinesolcherartpositivbesetzteThemati-sierungerschienzuBeginnder1970erJahrejedochnichtopportun.UnterdemSchlagwort„IntegrationvorNeu-zuzug“wurdeEinwanderunginFrankreichaufFamiliennachzugbeschränktundnachdeutschemVorbildfinanzielleAnreizefürdieRückkehrangeboten.Weiterführende

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20 JUGEND OHNE CHANCE?

Bildungsprogrammewurdenzwarangedacht,abernichtrealisiert.DiestrukturelleKrisebe-günstigteauchextremepolitischePositionen,wiedieerstePräsidentschaftskandidaturJean-MarieLePensvonderrechtsextremenFrontNational(FN)imJahr1974zeigte.AufderanderenSeiteartikuliertenMigrant-Innenindenspäten1970erJahrenerstmalsihrenUnmutundtratenalspolitischeAkteur-InneninErscheinung.DamitentstandaucheineinnerfranzösischeDebatte,obdasrepublikanischePrinzipderAssimilationundEinbürgerungdasgeeignetsteMittelsei,umderethnischenundkulturellenHeterogenitätderRepublikzubegegnen(D’Amato2001:150-152).TrotzderrestriktivenMaßnahmenstiegderAnteilderausländischenWohnbe-völkerunginFrankreichzwischen1970und1982von2,6aufcirca3,7MillionenPer-sonen,waseinemAnteilvonrund7%anderGesamtbevölkerungentsprach(Bade2000:302-303).ZuBeginnder1980erJahrestelltenPortu-giesInnenzusammenmitAlgerierInnenundMarokkanerInnendiegrößtenMigrantInnen-gruppendar.MehralsdieHälftederauslän-dischenArbeitskräftekamauseinemdieserdreiStaaten.

Sozialistische Migrations- und Integrationspolitik unter Präsident Mitterand 1981 – 1989 (1993)

DieersteneineinhalbJahredersozialis-tischenRegierungsmehrheitbrachtenwe-sentlicheVerbesserungenfürMigrantInneninFrankreich.SpeziellesozialpolitischeMaß-nahmenwurdenfürbesondersbenachteiligteWohnviertelangedacht,wiezumBeispieldasZEP-Programm(Zoned’educationpriori-taire),dasvorallemdieprekäreSituationan

Schulenverbessernsollte.MitterandwardererstePräsident,dernichtdievollständige(kulturelle)AssimilationderMigrantInnenforderte,sondernihnendieMöglichkeiter-öffnete,beideszusein:Franzose/FranzösinundmitdenTraditionendesHerkunftslandesverbundenzubleiben.AußerdemwurdendiePartizipationsmöglichkeitenfürMigrantInnenweiterausgebaut;nebendemErhaltdesaktivenundpassivenWahlrechtsfürbe-trieblicheInteressenvertretungenwarennunAusländerInnenhinsichtlicheinergewerk-schaftlichenBetätigungihrenfranzösischenKollegInnengleichgestellt.AuchdieVereins-freiheitwurdefürausländischePersoneneingeführt,waszueinerGründungswellevonunzähligenVereinenführte.Dochschon1982endetendieReformversucheMitte-randsunddamitaucheinehumanereundliberalereMigrationspolitik(D’Amato2001:152-155).

MitdemErstarkendesFrontNationalundeinerVerschärfungdesöffentlichenMei-nungsklimasverschlechtertesichdieLagefürMigrantInnen.AusländerInnen,derenEinreisenichtdokumentiertwarunddiesichdemGesetznach„illegal“inFrankreichauf-hielten,wurdensystematischausgewiesen.WährenddererstenKohabitation(PräsidentundRegierungsmitgliedergehörennichtder-selbenParteian)Mitterandsmitdemgaul-listischenPremierJaquesChiraczwischen1986und1988wurdendieErrungenschaftendererstensozialistischenRegierungsjahreimBereichderMigrations-undIntegrationspo-litikteilweiserückgängiggemacht(D’Amato2001:155-157).

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21GESCHICHTE DER MIGRATION

Migration in Frankreich von 1989 bis heute

ImGegensatzzuÖsterreichundvorallemzuDeutschlandmarkiertedasWendejahr1989inFrankreichkeinesoeinschneidendeZäsur.Diefrühen1990erJahrenwarenge-prägtvoneinerVerschärfungderPolitikge-genüberMigrantInnen,aufeinrestriktiveresAsylrechtfolgteeineingeschränkterZugangzurStaatsbürgerschaft.MitdemInkrafttretendesSchengenerAbkommenszumAbbauderinnereuropäischenGrenzkontrollengingeineerschwerteEinreisevonNicht-EU-Bür-gerInnen,sogenannten„Drittstaatsange-hörigen“,indieEU-Mitgliedsstaateneinher.DieÖffnungderGrenzennachinnenführtegleichzeitigzueinemVerstärkenderEU-Au-ßengrenzen(„FestungEuropa“).Allgemeinkanngesagtwerden,dassdieserThemenbe-reichnunmehrGegenstandsicherheits-undinnenpolitischerDebattenwurdeundnichtmehr–wieimeigentlichenSinnevonInte-grationalsQuerschnittsaufgabe–alsBereich

fürsozial-,bildungs-undarbeitsmarktpoli-tischeAufgaben.FastdieHälftederderzeitinFrankreichlebenden3,6MillionenAusländerInnenstam-menauseuropäischenbzw.afrikanischenStaaten(45%bzw.40%).MenschenausehemaligenKolonienhabenerleichtertenZu-gangzurfranzösischenStaatsbürgerschaft.DiebeidenRegionenmitdemhöchstenAnteilanAusländerInnensindIle-de-FranceundRhône-Alpes(Quelle:http://www.frank-reich-experte.de).DiegrößtenMigrantInnen-gruppenbildetenzurJahrtausendwendePortugiesenInnenundMarokkanerInnenmitjeweilsüber500.000Personen,gefolgtvonalgerisch-unditalienischstämmigenMigrantInnenmit480.000bzw.200.000Per-sonen(Quelle:ADICE–AssociationpourleDéveloppementdesInitiativesCitoyennesetEuropéennes).DerprestigeträchtigeErfolgder„equipétrico-lore“beiderFußball-Heim-WMinFrankreichimJahr1998wurdevonderÖffentlichkeitaufgrunddermultikulturellenZusammenset-zungderMannschaftalsgroßerTriumphdesfranzösischenIntegrationsmodellsgepriesen.TatsächlichaberüberdecktedasTeamrundumZinedineZidane,SohnalgerischerImmi-grantInnen,nurfürkurzeZeitdieProbleme,denensichjungeMigrantInnenindenherun-tergekommenVorstädten,denBanlieues,ausgesetztsahen.Schoninden1990erJahrenführtendieprekärenZustände(hoheArbeitslosigkeit,desolaterWohnraum,feh-lendeBildungs-undSozialbetreuung,hoheKriminalität)indenVorortsiedlungendergroßenStädtezumehrtägigen,gewalttätigenUnruhenindenBanlieues.NacherneutenUnruhenimHerbst2005erklärtenvieleKommentatorInnenundBe-obachterInnendas„französischeModell“

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22 JUGEND OHNE CHANCE?

fürgescheitert.DeiurehabenJugendlichemitMigrationshintergrundinFrankreichaufgrunddesegalitären,republikanischenPrinzipsdieselbenChancenwieihreeinhei-mischenAltersgenossInnen.DefactogibtesabereineeklatanteDiskrepanzhinsichtlichderStartbedingungen.Dasgenuinfranzö-sischePrinzipderGleichheitlässteine„affir-mativeaction“,einepositiveDiskriminierungvonbenachteiligtenBevölkerungsgruppenzurHerstellungeinerechtenChancengleich-heit,nichtzu.UngleichheitenundDiskrimi-nierungen(undnatürlichauchrassistischeVorurteile),diedenZugangzumArbeitsmarktundzuverschiedenenöffentlichenDiens-tenverhindern,könnendurchdiefehlendeErfassunginStatistikennichterkannt,unddadurchnichtbekämpftwerden.

Migration in Mantes la Jolie

FrankreichsWirtschaftsboomforderteinden1950erund1960erJahrengenausowieindenanderenVolkswirtschaftenWest-europasimmermehrArbeitskräfte,dadaseinheimischeArbeitskräftepotenzialimIn-dustriebereicherschöpftwar.VorallemdieexpandierendeAutoindustriewarArbeitgeberfürMigrantInnenausdemMaghrebunddemSenegal,diesichindenBanlieuesansie-delten.DiefranzösischeRegierungstarteteunterdemMotto„ImGrünenlebenundarbei-ten“indieserZeiteinegroßeStädtebauiniti-ative,diedenArbeiterInnenundAngestelltenderboomendenWirtschaftsbranchenneuenPlatzzumLebenundWohnenbietensollte.ManteslaJolie,circa60Kilometernord-westlichvonParis,hatrund50.000Einwoh-nerInnen.DieStadtistindreivoneinanderabgegrenzteStadtteilegegliedert:deralteStadtkern,dessenBestehenbisindasMit-

telalterzurückreicht,einkleinbürgerlicherStadtteilmitEinfamilienhäusernunddiePlat-ten-undWohnbausiedlungValFoureé,einesogenannteBanlieue.Inletzteremwohnen25.000Menschen,derMigrantInnenanteilliegtbeiüber90%.ValFoureéisteinBeispieleinerimLaufederZeitgescheitertenWohn-undAn-siedlungspolitik.Indenwirtschaftlicher-folgreichen1960erJahrenalsmodernesAussiedlungsprojektfürsozialbenachteiligteBevölkerungsteileausdenPariserSlumge-bietengeplantundgebaut,verändertedieWirtschaftskrisezuBeginnder1970eJahredieZusammensetzungdesStadtteilsradi-kal.Werkonnte–diegutverdienende,meisteinheimischeMittelschicht–zogweg.Werblieb–verarmteBewohnerInnenzumGroß-teilmitMigrationshintergrund–hattemeistkeineandereWahlundvorallemkeineAr-beit.DasLebenundWohneninValFoureéwurdezursozialenSackgasse.EinDrittel

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derEinwohnerInnensindheutearbeitslos;indenfrühen1990erJahrengabesaufgrundhoherArbeitslosigkeit,derzusammenmitanderenFaktorendensozialenSprengstoffanstiegenließ,UnruhenindiesemStadt-

viertel.ImGegensatzzudenübrigenBan-lieuesbliebesaberwährendderUnruhenimOktober2005inValFoureéruhig–danklangjährigerengagierterundvorbeugenderSozialarbeit.

Bibliographie

Bade,Klaus:Europa in Bewegung.Migra-tionvomspäten18.JahrhundertbiszurGe-genwart.München2000Bade,KlausJ./Münz,Rainer:Migrationsre-port 2000.Fakten–Analysen–Perspekti-ven.Frankfurt2000Bauböck,Rainer:„Nach Rasse und Spra-che verschieden“.MigrationspolitikinÖster-reichvonderMonarchiebisheute.IHSReihePolitikwissenschaftNr.31/1996D’Amato,Gianni:Vom Ausländer zum Bür-ger.DerStreitumdiepolitischeIntegrationvonEinwandererninDeutschland,Frank-reichundderSchweiz.Münster2001Fassmann,Heinz/Münz,Rainer:Einwande-rungsland Österreich?HistorischeMigra-tionsmuster,aktuelleTrendsundpolitischeMaßnahmen.Wien1995Gächter,August: Im Laufe der Zeit.In:GAMS–Gleichbehandlungs-undAntidskriminie-rungs-Materialien-Sammlung.Wien2005VorstanddesInstitutsfürMigrationsfor-schungundInterkulturelleStudien(IMIS)derUniversitätOsnabrück:Post-1945 Migration to France.In:IMISBeiträge13/1999Migra-tionandSocialChangeinAustralia,FranceandGermany.S.43–74.IOM:Der Einfluss von Immigration auf die österreichische Gesellschaft.Wien2004

Migrationsbericht 2004imAuftragderBundesregierung.BerichtdesSachverstän-digenratesfürZuwanderungundIntegrationimAuftragderBundesregierunginZusam-menarbeitmitdemeuropäischenforumfürmigrationsstudien(efms)anderUniversitätBamberg.BundesministeriumdesInnern.Ak-tualisierteAusgabeNovember2004Münz,Rainer/Ulrich,RalfE.:Migration und zukünftige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland.In:Bade,KlausJ./Münz,Rai-ner:Migrationsreport2000.Fakten–Analy-sen–Perspektiven.Frankfurt2000.S.23–58Parnreiter,Christof:MigrationundArbeitstei-lung.AusländerInnenbeschäftigung in der Weltwirtschaftskrise.Wien1994Reißlandt,Carolin:Dossier zum Thema Migration in Deutschland.BundeszentralefürPolitischeBildung2005.URL:http://www.bpb.de/themen/T0P083,0,0,Migration_und_Integration_in_Deutschland.html(abgefragtam15.06.2007)Santel,Bernhard/WeberAlbrecht:Migra-tions- und Ausländerrecht in Deutschland.In:Bade,KlausJ./Münz,Rainer:Migrations-report2000.Fakten–Analysen–Perspekti-ven.Frankfurt2000.S.109–140

23GESCHICHTE DER MIGRATION

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24 JUGEND OHNE CHANCE?

I. Soziokulturelle Umgebungen und Identitäten

ÖsterreichsJugendlichemitMigrationshinter-grundsindvorallemKinderder„Gastarbeite-rInnen“ausderTürkeiunddenStaatendesfrüherenJugoslawien.ErstindenletztenJah-renkameszueinemvermehrtenZuzugvonEU-BürgerInnen,derenKindersichnuneben-fallsindieösterreichischeGesellschaftzuintegrierenbeginnen.UnterdenJugendlichen,derenFamilienausderTürkeioderdemehe-maligenJugoslawienstammen,lassensichzweiwesentlicheGruppenunterscheiden.Zumeinensindes14–bis17-Jährige,diemeistensinÖsterreichgeborenundaufge-wachsenundinihrenWeltanschauungenmehrheitlichvonderwestlichenJugendkulturgeprägtsind.SiemüssenmitdemzeitweiseschwierigenBrückenschlagzwischenderösterreichischenLebensweiseunddervondenElternvermittelten(Herkunfts-)Kulturzu-rechtkommen.ZusätzlichsindvielevonihnenohneAusbildungsplatzoderarbeitslos.NurwenigeschlageneinenhöherenBildungswegein.AusderGruppeder18-bis25-JährigensindvielenochimHeimatlandihrerElterngeborenundzumTeilauchaufgewachsen.IndiesemSinnkannmanvonihneneigentlichalsjungenMigrantInnensprechen.Esistnaheliegend,dasssiedemHeimatlandihrerFami-

lieemotionellundkulturellnäherstehenalsdieAltersgruppeder14-bis17-Jährigen.VielehabenbereitsselbstKinder,weshalbjungeFrauenoftdietraditionelleHausfrauen-undMutterrolleübernehmen.DadurchbleibensievonweitererAusbildungunddemArbeitsmarktausgeschlossen.DievondenJugendlichenamhäufigstengewähltenBerufesindBus-oderLKW-Fahrer,Koch/KöchinoderReini-gungskraft.StelltmandieFrage,wosichdieJugend-lichezuHausefühlen,korreliertdasGefühl

Soziokulturelle Profile Österreich – Deutschland – Frankreich

„Heimat bist du …“ Lebenssituationen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Österreich

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25SOZIOKULTURELLE PROFILE

einerösterreichischenIdentitätmitFremd-heitserfahrungenundDoppelidentitäten.DieJugendlichenfühlensichgleichermaßeninÖsterreichwieimHerkunftslandihrerElternzuHause(Weiss,2005:11f.).LeiderlässtsichamsozialenUmfeldderJugendlichenmitMigrationshintergrundablesen,dassesmitderIntegrationindieösterreichischeGesellschaftnichtzumBestensteht.DiemeistenJugendlichenaustürkischenoderehemalsjugoslawischenFamilienhabenkaumoderkeineösterreichischenFreunde.AuchinderPartnerwahlbleibensieeherinnerhalbihrerethnischenGemeinschaft.DaaberPartnerschafteninnerhalbdereigenenethnischenGruppestärkerderKontrolledurchFamilieundVerwandtschaftunterlie-gen,könnensiesozialeIntegrationsprozesseverlangsamenoderverhindern.JugendlicheausMigrantInnenfamilienandererHerkunftsindinihrensozialenKontaktenaufgeschlos-sener(Weiss,2005:10f.).„Dort wo es keine Chancen auf leistungsbezogenen Aufstieg gibt, hat individuelle Anstrengung wenig Sinn und es kann zum Selbstschutz der Gruppe zu einer Widerstandskultur kommen.“(Her-zog-Punzenberger2006:75)DieGefahreinerRe-Ethnisierung–desRückzugsindieeigeneethnischeCommunityalsAntwortauffehlendeIntegrationsbereitschaftvonSeitenderautochthonenMehrheitsgesellschaft–könntediebishererreichten,fragilenIntegra-tionserfolgezumScheiternverurteilen.

II. Familiäre Hintergründe

DieFamilienstrukturenstützensichoftaufhierarchischeundteilssehrpatriarchaleMuster.DerVateralsOberhauptderFamiliearbeitetgroßteilsalsan-oderungelernterArbeitermehrals40StundenproWoche,

umfürdenUnterhaltderFamilieaufkom-menzukönnen.MeistensbehälterseineberuflichePositioninderMigrationbei,nurinseltenenFällenerlebtereinenberuflichenAufstieg,wasbisherteilsüberprofessionelleMängelerklärtoderganzeinfachfürselbst-verständlichgehaltenwurde.InseinerFrei-zeitbesuchtermeistbefreundeteFamilienoderkulturelleundpolitischeVereineoderCafes,diedenMännernvorbehaltensind.DieMutter,sofernsieberufstätigist,arbeitetmeistensinderTextilindustrieoderalsReini-gungskraft.IhreMobilitätisteingeschränkteralsdieihresEhemannesundbeschränktsichaufBesuchevonVerwandtenundFreun-dinnen.InÖsterreichsindgenerellGhettoi-sierungsphänomeneseltenerzufindenalszumBeispielinFrankreichoderDeutschland,wodurcheineallzustarkeräumlicheSegre-gationderBevölkerungsgruppenbisjetztvermiedenwurde.DieElternnehmensowohlaufdieAlters-gruppeder14-bis17-Jährigen,alsauchaufdieder18-bis25-Jährigen,dieoftbe-reitseineeigeneFamiliegegründethaben,großenEinfluss.IndiesemAlternochunver-heirateteMädchensindoftgänzlichvonihrenElternabhängig.ImAltervonungefähr14JahrenbeginntdiestrengeTeilungderGe-schlechter.AufMädchenwirdvonSeitenderElternmeistmehrsozialerDruckausgeübtalsaufihreBrüder.OftmalsstehenKinderundJugendlicheunterdemDruckhoher,unrealistischerBildungsansprücheihrerEltern,diedamitdeneigenenWunschnachsozialemAufstiegaufdienächsteGenerationprojizieren,derihnenalssogenannterersterGenerationmeistverwehrtblieb.

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26 JUGEND OHNE CHANCE?

III. Bildung und Bildungsdefizite

TrotzderteilshohenErwartungenderElternschlageninÖsterreichnurwenigeJugendli-chemitMigrationshintergrundeinenhöherenBildungswegein.ZweiwesentlicheGründedafürliegeninderösterreichischenBildungs-politikundinderfrühenDifferenzierungin-nerhalbdesBildungssystems.DieösterreichischeBildungspolitikistnochimmervoneinerMigrationspolitikgeprägt,dieinMigrantInnennurtemporäreArbeitskräftesah,aberkeinezukünftigenBürgerInnen,derenKindereinmalindasösterreichischeSchulsystemaufgenommenwerdensollten.Dastrafzwarfürdie1960erundfrühen1970erJahrezu,hatsichmittlerweilejedochlängstalsüberholterwiesen(Biffl/Bock-Schappelwein2003:120).Während1981derAnteilderausländischenSchülerInnenÖs-terreichweitnur2,1%betrug,waren2002/03lautSchulstatistik9,5%derSchülerInneninÖsterreichausländischeStaatsbürgerInnen(bm:bwk2004).DieösterreichischeBildungs-

politikhatesverabsäumt,sichrechtzeitigaufdieneueSituationÖsterreichsalsEinwande-rungslandeinzustellen–einUnterlassung,derenKonsequenzennundieKinderderehemaligenGastarbeiterInnenzutragenhaben.KindervonMigrantInnen,dieinÖsterreichzudenunterstensozialenSchichtenzäh-len,sindinihrenAusbildungschancenauchdeshalbbesondersbenachteiligt,weildiefrüheundstarkeDifferenzierungdesösterrei-chischenBildungssystemsdazubeiträgt,so-zialeUngleichheitenbeizubehaltenundsogarnochzuverstärken.AlsdirekteKonsequenzprofitierennurwenigeKinderausMigrantIn-nenfamilienvomBildungsangebotderhöher-bildendenSchulen,überdurchschnittlichstarksindsiedagegeninHaupt-undSonderschu-lenvertreten.BesondersbedenklichistdersehrhoheAnteilvonMigrantInnenkinderninSonderschulen.DieAnzahltürkischstäm-migerSchülerInnenisthierdreimalsohochwiediederKindervonÖstereicherInnen,waseinenspäterenBerufseinstiegbedeutend

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2�SOZIOKULTURELLE PROFILE

erschwertundzusätzlicheQualifizierungs-förderungennotwendigmacht(Bauer2005:118).InsgesamtistdieZahlderJugendlichenmitMigrationshintergrundindenösterrei-chischenSonderschulenalarmierendgestie-gen.WarenesAnfangder1980erJahrenoch6,3%derGesamtschülerInnenzahl,sostiegihrAnteilbiszumEndeder1990erJahrebisauf23,1%(Biffl/Bock-Schappelwein2003:124).Generellistfestzustellen,dassderAnteilvonJugendlichenmitMigrationshintergrundmitAnsteigenderSchulstufesignifikantabnimmt.NochimmerwechselteinrelativgroßerTeilnachderneuntenSchulstufeauf-grundderfinanziellenLagederElternindieErwerbstätigkeit.Soweisen48%derJugend-lichenmitMigrationhintergrundalshöchstenBildungsabschlussdieHauptschuleund/oderdasandieHauptschuleanschließendePoly-technikumauf,währendimVergleichnur29%ihrerösterreichischstämmigenAlters-genossInnenandiesemPunktihreSchullauf-bahnbeenden(Weiss2005:2).WeitersunterscheidetsichderAusbildungsgradderJugendlichenstarknachderStaatsange-hörigkeitderEltern:16-jährigeJugendlicheausösterreichischenFamiliensindzu94,5%nochinAusbildungstehend,JugendlicheausFamilienausdenGebietendesehemaligenJugoslawienszu84,4%,JugendlicheausFamilientürkischerHerkunftdagegennurnochzu72%.VorallemderAnteildertür-kischstämmigenMädchendiesesAltersliegtnurnochbei66,8%–derdergleichaltrigenBurschenjedochbeimehrals75%.BeiMädchenmitMigrationshintergrundausdemehemaligenJugoslawienistkeinUnterschiedzuihrenmännlichenAltersgenossenfestzu-stellen(Bauer2005:118f.).DerRückzugdertürkischenMädchenundjungenFrauenaus

AusbildungundArbeitsmarktisteinPhäno-men,dasseitMitteder1990ervermehrtzubeobachtenist.Während1995noch24,5%dertürkischstämmigenMädchenimAlterzwischen15und24JahreneineSchulebe-suchten,warenes2002nurnoch21,8%.AlsKonsequenzwirdeingroßerTeilderFrauentürkischerHerkunftspätervonbesserbezahl-tenArbeitsplätzenundSozialleistungenaus-geschlossenbleiben(Biffl2004:45f.).TirolhinktmitdergeringstenAnzahlvonKindernausMigrantInnenfamilieninallge-meinbildendenhöherenSchulen(AHS)imbundesweitenVergleichdeutlichdenanderenBundesländernhinterher.Sindesösterrei-chweit11,6%(imVergleichbesuchen16,2%allerSchülerInnenmitDeutschalsErstspra-cheeineAHS,inTirol12,6%),sofallenTirolsmagere6,6%deutlichauf.EineähnlicheDifferenzistbeidenberufsbildendenSchulenzubeobachten:Österreichweitbesuchen26,9%derSchülerInnenmitDeutschalsErstspracheeineberufsbildendeSchule–inTirol26,7%JugendlichemitMigrationshin-tergrundfindensichandenberufsbildendenSchulenÖsterreichsnurzu16,7%undinTirolzu14,6%.WeitersistderAnteilderSchülerInnenmitMigrationshintergrundandenSonderschülerInneninTirolmehralsdoppeltsohochalsbeidenSchülerInnenmitDeutschalsErstspracheundliegtdamiterneutdeutlichüberdemösterreichischenDurchschnitt(Weiss2006:29f.).Auffallendistauch,dasssichinganzÖsterreichbisjetztnursehrwenigeSchülerInnenausFa-milienausderTürkeioderEx-JugoslawienzumBesucheinerlehrerbildendenSchuleentschlossenhaben.

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28 JUGEND OHNE CHANCE?

IV. Jugendliche mit Migrationshinter-grund am Arbeitsmarkt

DieersteEinwandererInnengenerationstehtheutekurzvorderPensionierung,wasdieFrageaufwirft,werihreArbeitsplätzeüberneh-menwird.IhreKinder,besondersdiejungenFrauenverfügengenerellübermehrBildung,siebeherrschendieSpracheundstellenan-dereAnsprüchealsihreEltern.ObwohlsiestarkunterDiskriminierungzuleidenhaben,erfahrenKindervonGastarbeiterInnenimVergleichöftereinenberuflichenundsozialenAufstiegalsihreEltern.Von1.000befragtenJugendlicheninganzÖsterreichkonnten43%ihrberuflichesNiveauverbessern,44%verbliebeninderselbenPositionwieihreVä-ter,undnur13%erlebteneinenberuflichenAbstieg(Weiss2005:4).TrotzdembleibenihreAufstiegschancenimVergleichmitderautochthonenBevölkerunggering.DieDiskriminierungvonJugendlichenmitMigrationhintergrundamArbeitsmarktkannverschiedensteFormenannehmen.ImAus-landerworbeneAbschlüssewerdenseltenanerkannt,oftnichteinmalinErfahrunggebracht,qualifizierteArbeitskräftearbeitendeshalboftunterihremAusbildungsniveau.„Unerwünschte“AkzenteoderäußerlicheMerkmalelassendieJugendlichenbeiderArbeitssuchehäufigaufAblehnungstoßen.“Wesentlich sind aber auch die spezifisch nationalen Strukturen des Arbeitsmarktes. In Österreich ist hier etwa im Vergleich zu Deutschland ein höheres Maß an Verfesti-gung und geringer Durchlässigkeit zu beo-bachten. (…) Außerdem ist für Österreich charakteristisch, dass der größte Dienstgeber – der öffentliche Dienst – Drittstaatsangehö-rigen so gut wie verschlossen bleibt.“(Weiss,Alexandra2006:41)

DieBeschäftigungsfähigkeit–englisch„employability“–istindenletztenJahrenimgesamtemEU-RaumzueinemSchlagwortgeworden,jedochistnichtwirklichklar,wasausArbeitgeberInnensichtdarunterverstan-denwird.ImKontextderDiskriminierungvonJugendlichenausMigrantInnenfamilienamArbeitsmarktfälltesunwilligenArbeitgebe-rInnenleicht,diesenBegriffnachBeliebenzudehnen:SpracheundSprachbeherr-schungkannfürvielesstehen–auchfürunerwünschteAkzenteundRhetorik,„sozialeKompetenz“meintoft„Kultur“undkulturelleHerkunft,einzuoffensichtlichnicht-österrei-chischesErscheinungsbildpasstnichtimmerinsUnternehmenskonzept(Gächter,VortragInnsbruck,November2006).

Generellfälltauf,dasssichJugendlichjenachHerkunftaufbestimmteBranchenkon-zentrieren:KinderaustürkischenFamiliensindvoralleminderTextil-,Leder-undBe-kleidungsindustrie,derchemischenIndustrie,derNahrungsmittelerzeugungundimHandelbeschäftigt,JugendlichemitjugoslawischenHintergrundarbeitendagegenmehrheitlichinderChemieindustrie,derHolz-undPapie-rerzeugung,demBau-undVerkehrswesenunddemHandel.Oft„vererben“ElternihreBerufs-undBeschäftigungssituationanihreKinder.Erstseitden1990ernisteinleichtesAnsteigendersozialenMobilitätunterJugend-lichenausMigrantInnenfamilienzubemerken(Biffl2004:52).Jugendliche,derenFamilienausdemfrüherenJugoslawienstammen,sindwesentlichhäufigeralsandereJugendlichemitMigrationshintergrundvonArbeitslosigkeitbetroffen.AnzweiterStellerangierenJugend-lichemittürkischemHintergrund.2002waren7,5%aller15-bis24-JährigenderersterenGruppeohneArbeit,3,5%derletzteren(Biffl

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2�SOZIOKULTURELLE PROFILE

2004:50).InTirolistdieArbeitslosigkeitderJugendlichenmitMigrationshintergrundgene-relldoppeltsohochalsunterihrenAltersge-nossInnenösterreichischerHerkunft.

V. Ausbildung und Arbeitsmarktsituation als direkte Determinanten der sozialen Mobilität

DiegeringesozialeMobilitätvonJugendlichenmitMigrationshintergrundinÖsterreichistbedenklich.DieUrsachenliegenzumTeilimfrühenAusscheidenausdemBildungsweg,zumTeilinDiskriminierungundAblehnungamArbeitsmarkt.„Der Bildungsstand der Eltern spielt hier eine wesentliche Rolle und so wird wiederum deutlich, dass hier (auch) schichtspezifische Faktoren ausschlaggebend dafür sind, dass die soziale Positionierung von einer Generation an die nächste weitergege-ben wird bzw. die soziale Mobilität äußerst ge-ring ist.“(Weiss,Hilde2005:3f.).ÖsterreichsWeigerung,sichalsEinwanderungslandzu

definieren,latentoderoffenrassistischeEin-stellungenseitensderpolitischenHandlungs-trägerundderösterreichischenBevölkerung,sowieeinestarkeVerankerungdes„Gastar-beiterInnen-Modells“inderösterreichischenMentalitäterschwerenundverhindernlangfri-stigtiefgreifendeIntegrationserfolge,Zukunfts-perspektivenunddensozialenAufstiegindieösterreichischeMittelschicht.

Resümee

ImGegensatzzutraditionellenImmigrations-ländern,derenMigrantInnenvorwiegendausderenehemaligenKolonienstammen,sinddieösterreichischenJugendlichendersogenann-ten„zweiten“und„drittenGenerationen“vorallemKinderder„GastarbeiterInnen“,dievonÖsterreichabden1960ernmassivangewor-benwurden.Österreichweigertsichbisheute,sichoffiziellalsImmigrationslandanzuerken-nen.DashatauchnegativeKonsequenzenfürdieKinderderMigrantInnen,dievorallemvomösterreichischenBildungssystemnichtgenügendUnterstützungerhaltenbzw.vomEinstieginhöhereBildungsstufenabgehaltenwerden.AuchamArbeitsmarktwerdensiedis-kriminiertundausgeschlossen.AndersalsinDeutschlandbleibendieösterreichischenJu-gendlichenmitMigrationshintergrundeherun-tersich,auchdiePartnerInnenwerdenmeistinnerhalbdereigenenethnischenGruppegewählt.DieGefahreinerRe-Ethnisierungistgegeben.DiesozialeMobilitätistinÖsterreichallgemeinsehrgering,speziellimFallderJu-gendlichenmitMigrationshintergrundwirddieZugehörigkeitderElternzursozialenSchich-tenmeistandieKindervererbt.MaßnahmenzurVerbesserungdersozialenAufstiegschan-cendurchAusbildungundBerufsinddaherdringendnotwendig.

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Literatur- und Filmtipps

LiteraturDinev,Dimitré:Ein Licht über dem Kopf.Erzählungen.Deuticke2005Knapp,Radek:Herrn Kukas Empfeh-lungen.Piper2003.

Film Das Arrangement.EinDokumentarfilmvonNatalieBorgers.A/F2004

Webnhttp://www.latzinator.comnhttp://www.join-in.at

Bibliographie

Bauer,Adelheid:Volkszählung 2001: Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung.In:StatistischeNach-richten2/2005,S.108–120.Bauer,Johann:Bildungsgleichheit und Bil-dungsbenachteiligung im weiterführenden Schulsystem Österreichs.EineSekundär-analysederPisa-Erhebung2000.In:SWS-Rundschau45/1,2005,S.37–62.Biffl,Gudrun:Die Chancen von jugend-lichen Gastarbeiterkindern in Österreich.In:WISO27/2004,37–55.http://www.isw-linz.at/media/files/2_2004/LF_biffl_2_04.pdfabgerufenam1.10.2007Biffl,Gudrun/Bock-Schappelwein,Julia:Soziale Mobilität durch Bildung?–DasBildungsverhaltenvonMigrantInnen.In:Fassmann,Heinz/Stacher,Irene(Hg.):ÖsterreichischerMigrations-undIntegrations-bericht.DemographischeEntwicklungen–sozioökonomischeStrukturen–rechtliche

Rahmenbedingungen.Klagenfurt/Celoves2003,S.120–120.Herzog-Punzenberger,Barbara:Gesell-schaftliche Ein- und Ausschlussmecha-nismen am Beispiel der 2. Generation in Österreich.In:BundesministeriumfürJustiz(Hg.):StraftatenausländischerJugendlicherundjungerErwachsener.Jugendrichter-wocheGamlitz19.bis22.Oktober2004.SchriftenreihedesBundesministeriumsfürJustiz,Bd.120,Wien2004,S.61–80.Weiss,Alexandra: Bildungschancen von jugendlichen MigrantInnen in Tirol.ZwischenberichtimRahmendesModuls4desEqual-ProjektsJoinIn.InstitutfürSozio-logiederUniversitätInnsbruck,2006Weiss,Hilde:Die zweite Generation: Integrationswege – Integrationserfolge?In:Dossier04/2005(URL:www.ksoe.at/mitteinhalt-akt-dos-042005.htm.LetzteAbfrage:14.06.2007)

30 JUGEND OHNE CHANCE?

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Am1.Januar2000tratinDeutschlanddasneueStaatsangehörigkeitsrechtinKraft.EshandeltsichdabeiumeinenKompro-miss,nachdemdieursprünglicheIdeeeinerallgemeinzugelassenendoppeltenStaatsbürgerschaftalsKonsequenzeinerUnterschriftenaktionimFrühjahr1999fal-lengelassenwurde.StattdessenwurdeeinOptionsmodellvorgelegt,dasvorsieht,inDeutschlandgeboreneKindervonAuslände-rInnenautomatischdiedeutscheStaatsange-hörigkeitzuzuerkennen,wenneinElternteildieneuenEinbürgerungskriterienwiez.B.8-jährigerunbescholtenerAufenthalterfüllt.DerZustanddoppelterStaatsangehörigkeitwirdspätestensmitdem23.Lebensjahrbeendet:dannmusssichder/dieJugendlichefüreineStaatsbürgerschaftentscheiden.DasneueGesetzisteinhöchstumstrittenesModell,dessenrechtspolitischeHaltbarkeitnichtga-rantiertist(www.bpb.de).ImFolgendensollaufdieLebenssituationvonJugendlichenmitMigrationshintergrundinDeutschlandanhandderBeispieletür-kischstämmigerAdoleszentenundjugend-licherSpätaussiedlerInneneingegangenwerden.HeranwachsendeaustürkischenFa-milienstellenzahlenmäßigdiegrößteGruppevonJugendlichenmitMigrationshintergrundundvereineninihremsoziokulturellenProfilvieleCharakteristika,dieauchaufGleich-altrigemitanderemMigrationshintergrundzutreffen.JugendlicheSpätaussiedlerInnen,dieKinderderab1992nachDeutschlandimmigriertenSpätaussiedlerInnen,nehmenunterdenJugendlichenmitMigrationshin-

tergrundeinenSonderstatusein:einerseitsaufgrundihresrelativkurzenAufenthaltsinDeutschland,andererseitssindsieimGe-gensatzzuvielenanderenAltersgenossInnenimBesitzderdeutschenStaatsbürgerschaft.

I. East goes West and back – Jugendliche aus türkischen MigrantInnenfamilien

UnterdenMigrantInnen,dieheuteinDeutschlandleben,stellendieDeutsch-landtürkInnenmitrund2,1Millionen(davon700.000Eingebürgerte)diegrößteGruppe.EinesdergravierendstenProblemeistdiehoheArbeitslosenrate:jede/rfünfte/rAuslän-derInistohneArbeit,beidentürkischstäm-migenMigrantInnensogarjede/rvierte/r.SprachproblemevonSchülerInnenmitMigrationshintergrundwerdengernealsUrsachefürdengeringerenGradderSchul-bildungangeführt.AllerdingsentscheidetdieSchichtzugehörigkeitwesentlichüberdenspäterenAusbildungsgradderKinder.DieZugehörigkeitzubildungsfernenSchichtenliegtbeitürkischenElternbeica.70%,beiElterndeutscherHerkunftbeica.13%,wobeiProblemederSchichtzugehörigkeitdurchdieMigrationssituationunddiemeistensnichtvollständiggelungeneIntegrationderFami-liennochverstärktwird.TürkischeMigrant-InnennehmendieunterstenPositionenimBeschäftigungssystemein.DieFamiliensindoftaufdenDoppelverdienstbeiderEltern-teileangewiesen.DieArbeitsbelastungensindüberdurchschnittlichunddiezeitlicheBelastungdesFamilienlebensdurchSchicht-

„Des Glückes Unterpfand …“ Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland

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32 JUGEND OHNE CHANCE?

arbeitundflexibleArbeitszeitenregelungimniedrigenDienstleistungsgewerbebesondershoch.HinzukommtdasFesthaltenanRück-kehrplänen,diemitbestimmtenSparzielenverknüpftsind.DieAnforderungendesArbeit-salltagesführenzueinerstarkenReduktiondesFamilienlebens.Eskannzueineremoti-onellenVernachlässigungderKinderundzueinerEntstrukturierungdesFamilienalltagskommen(Gaitanides2003:3).WeitersbescheinigtdiePisa-StudieDeutschlandsBildungssystemeinebeson-dersschlechteFörderungvonMigrantInnen-kindern.ZweiDritteldertürkischstämmigenJugendlichenhabenkeinenerweitertenHauptschulabschluss,nureinknappesDrittelabsolvierteineLehre–Tendenzrückläufig.Dagegenabsolvieren70%derJugendlichenmitdeutschemHintergrundeineAusbildung,nur20%habenkeinenSchulabschluss.SchulischschneidenunterdenJugendlichenmitMigrationshintergrundambestenJugendlichekroatischerHerkunftab,diesogarvorihrendeutschstämmigenAltersgenossInnenliegen.IhnenfolgenSchülerInnenmitspanischemundgrie-chischemHintergrund,nachihnenkommenSchülerInnenausFamilienausBosnien-Herzegowina.DietürkischstämmigenSchülerInnenliegennuranPlatzSechs,währenddasSchlusslichtderGruppeSchü-lerInnenausFamilienausItalienoderdemfrüherenJugoslawienbilden.ZuerklärenistdergroßeVorsprungderJugendlichenmitkroatischem,spanischemodergriechischemHintergrundgegenüberdenanderenMi-grantInnengruppendurchdieEigeninitiativeihrerEltern,diesichinVereinenundSelbst-hilfegruppenorganisierten,diedenschu-lischenErfolgihrerKinderzumZielhatten(Hunger/Thränhardt2001:53f.).

EinBlickaufdieGruppedertürkischenAuszu-bildendenzeigtfolgendesektoraleVerteilung:48%absolvierenihreAusbildunginIndustrieundHandel,39%imHandwerk.AuffreieBe-rufe(Arzthelferin,Rechtsanwaltsgehilfinu.ä.)entfallen10%derAusbildungen,währendimÖffentlichenDienstkaumtürkischeAuszubil-dendezufindensind(1%).DieBerufswahlselbstkonzentriertsichaufwenigeTätig-keiten.JungeFrauenlassensichvorallemalsFriseurin,Arzt-bzw.ZahnarzthelferinoderVerkäuferinausbilden.JungeMännerwählenbevorzugteineLehrealsKfz-Mechaniker,MalerundLackiereroderElektro-,Gas-undWasserinstallateur,obwohldieseBerufewenigzukunftsträchtigunddieAufstiegschancengeringsind.DierechteinheitlicheWahlvonwenigweiterqualifizierendenAusbildungs-plätzenbzw.dervollständigeVerzichtaufAusbildungseitensderMehrheitdergeringqualifiziertenjungenTürkenlässtsichdurchdieSozialisationsbedingungeninStadtteilenmithohemMigrantInnenanteilundniedrigerWohnqualitäterklären.DieElterngenerationhatinnerhalbihrerStadtteileinnerethnische

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Netzwerkeaufgebaut,dieauchdiezweiteGenerationberuflichnutzen.WährenddieseNetzwerkedieStellenvergabeinnerhalbdereigenenethnischenGemeinschafterleichtern,könnensiefürdieformalisierteStellenvergabeinderdeutschenGesellschafthinderlichsein(www.bpb.de).Andererseitssindinzwischenrund24.000StudierendetürkischerHerkunftandeut-schenHochschulenimmatrikuliert,vorallemindenStudienrichtungenWirtschaftundRechtsowieIngenieurwesenundKulturwis-senschaften.Siemachenrund8%der18-bis25-jährigenTürkischstämmigenausundhabenzu73,4%dasdeutscheSchulsystemdurchlaufen–einehöhereQuotealsbeiallenanderenausländischenStudierenden.Insge-samtstellendieStudentInnenmittürkischemHintergrund1,4%allerStudierendeninDeutschland.DieszeigteineEntwicklunghinzurIntegration,allerdingsmussmansichvorAugenführen,dassrund30%derdeutschenGleichaltrigenstudieren.ImVergleichstudie-rennur8%dertürkischstämmigenAltersge-nossInnen(ebd.).

Insgesamtverfügen33%derjungenTür-kischstämmigenzwischen18und30JahrenüberkeineberuflicheAusbildung.Immerhin52%erreichteneinenschulischenoderbe-trieblichenBerufsabschlussodersindgeradedabeiihnzuerwerben,3%habeneineMei-ster-oderTechnikerausbildungabsolviertund4%erreichteneinenUniversitätsabschluss.InsgesamtsindausderGruppederJugend-lichenbiseinschließlich24Jahren,dieeinerBeschäftigung(inklusiveAusbildung)nach-gehen,11%alsungelernteArbeitskräftetätig,knappeinViertelistangelerntundeinwei-teresViertelsindFacharbeiterInnen.Jede/rFünfteistAngestellte/raufderunteren,un-gefährjede/rZehnteaufdermittlerenEbene(ebd.).ErschwerendfürdieIntegrationinAusbildungundBerufkommthinzu,dassvieletürkischeJugendlichederzweitenGenerationeinewechselhafteBiographieerlebthaben–oftmitgravierendenBrüchenbereitsimfrühenAlter.InDeutschlandgeboren,beidenGroß-elterninderTürkeiaufgewachsen,dannwiederimSchulalterodernochspäter,jeden-fallsvordemEintrittdes16.Lebensjahrsals”Seiteneinsteiger”nachgeholt.EbensounklarbleibtdiezukünftigeAufenthaltsperspektive.VieleElternhaltenanteilsunrealistischenRückkehrplänenfest.Dieberuflichenundso-zialenAnforderungen,dieinderTürkeibzw.inDeutschlandandieJugendlichengestelltwerden,sindjedochgänzlichverschieden.DieserpermanenteAmbivalenzkonfliktbzw.dieMöglichkeiteiner(scheinbaren)RückkehrkanndieBerufswahlundMotivationundFru-strationsgrenzeninSchuleundAusbildungnegativbeeinflussen.Andersalsmanvielleichterwartenwürde,lebenJugendlichetürkischerHerkunftjedochkeineswegszwischenzweiWelten,ohne

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sichineinerderbeidenwirklichzuHausezufühlen.EherkennensiesichmitdenRegelnbeiderGesellschaftengutausundpassensicherfolgreichderjeweiligenSituationan.DiemeistenhabensowohltürkischealsauchdeutscheFreundInnen.FürMädchentürkischerHerkunftwirdesmitdemBeginnderPubertätjedochimmerschwieriger,einedeutsche,„beste“Freundinzuhaben,weildieErziehungderdeutschenGleichaltrigennichtnachdenstrengeren,traditionelltürkischenundislamischenWertenerfolgt(Matter2002:254).IndenletztenJahrenkommtesaller-dingszueinerverstärktenRe-Ethisierungderjungen,inDeutschlandaufgewachsenenTür-kInnen.ArrangierteHeiratenmitLandsleuten,meistausderHerkunftsregionoderdemHeimatdorfihrerElternspielendabeieinewichtigeRolle(ebd.249;Kelek2005:170f.).Über60.000AnträgeaufNachzugvonFamilienmitgliedernnachDeutschlandwer-denjährlichvomAuslandausgestellt;über30.000vomInlandaus,nachderEinreisemitTouristenvisum.DiemeistenNachzugs-anträgeentfallenaufdentürkischenBevöl-kerungsteil.DienachgeholtentürkischenSchwiegertöchterund-söhnebewirken,dassdiedeutscheSpracheindenneugegrün-detenFamilienkaumEinzughaltenkannundtragenwesentlichzurEntstehungeinerParallelgesellschaft,diemitderautochthonenBevölkerungkaumnochBerührungspunktehat,bei(www.bpb.de).Besondersschwieriggestaltetsichdieso-zialeundberuflicheSituationvonMädchenundjungenFrauentürkischerHerkunft.IhreIdentitätsentwicklung,AusbildungunddasHeranreifenvonLebenskonzeptenfindetzwischendenPolenzweierkulturellerWer-tesystemenstatt.DieMädchenerfahrenimElternhausmeisteinestrengrollenkonforme

Erziehungundwerdenwährendihrergesam-tenSozialisationmitdenunterschiedlichenWertenundNormenzweierKulturkreisekonfrontiert.DiekulturspezifischenVorstel-lungen,wiesiealsFrauenihrLebenführensollen,widersprechensich.DiesenWider-spruchmüssendieMädchenalleine,undmeistohneHilfevonaußenlösen.Trotzdie-serSchwierigkeitenistdieberufs-undquali-fikationsorientierteHaltungjungertürkischerMädchengewachsen.QualifizierteAusbil-dungundlangfristigeBerufstätigkeitgehörenimmermehrzudenZukunftsvorstellungenjungerFrauentürkischerHerkunft.DennochsindihreberuflichenStartchancengeringbisgleichNull.SiewerdenaufmehrerenEbenengleichzeitigdiskriminiert:alsFrauen,alsAus-länderinnen–undhierspeziellaufgrundihrertürkischenHerkunft–undalsJugendlicheohneeigenständigeExistenzmöglichkeiten.Siegehörendamitzuden„BenachteiligstenderBenachteiligten“aufdemArbeitsmarkt(Förstere.a.2002:62).

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II. Die Deutschen aus Russland und Kasachstan – Jugendliche SpätausiedlerInnen

Bisindiefrühen1980erJahredesletztenJahrhundertsimmigriertendurchschnitt-lich30.000AussiedlerInnenjährlichnachDeutschland.SieverfügtenüberhoheSprachkompetenz,IntegrationsbereitschaftundtrafenaufeineVielzahlvonIntegrati-onsleistungendesStaates.Endeder1980erJahrestiegdieZahlderneuankommendenAussiedlerInnenvondurchschnittlich30.000auf200.000jährlich,bissieschließlich1989und1990mitfast400.000einenabsolutenRekorderreichte.DerstarkeZuzugwardieFolgederLiberalisierung,DemokratisierungundderLockerungderAusreiseregelungenindenStaatendesehemaligenOstblocks.DerdeutscheStaatreagiertemitrestriktivenGesetzesänderungen,diedenNeuzuzugvonSpätaussiedlerInnenbremsensollte.ImJahr2000wurdeeineKontingentierungauf100.000Personenjährlichverhängt.AuffallendistdergeringeAltersdurchschnittunterdenSpätaussiedlerInnen:rund43%sindjüngerals25Jahre.DieursprünglichhoheSprachkompetenzderneuankommendenSpätausiedlerInnenistüberdie1990erJahrehinwegstarkgesunken.VieleKinderundJu-gendlichesprechennurwenig,oftüberhauptkeinDeutsch.DieSozialarbeitgebrauchtfürsiedenAusdruck„sprachloseJugendliche“undberichtetgleichzeitigvongroßenZu-gangsproblemezudenJugendlichen.DieDeutschdefizitetragenzursprachlichenundsozialenAusgegrenztheitbei,führenzueinge-schränktensozialenBeziehungenundfördernGhettoisierung(BayerischesStaatsministe-riumfürArbeitundSozialordnung,FamilieundFrauen2002:28).

DieLagederjugendlichenSpätaussied-lerInnen–vorallemausRusslandundKasachstan–istbedenklich.SiehabenzwareinendeutschenPass,findensichjedochausgegrenzt.IhreBerufschancensindgering,siesprechennurwenigdeutschundwohnenhäufiginrussischsprachigenAussiedler-Innenghettos–Lebenssituationen,dieinihrerCharakteristikandieJugendlichenmitMigrationshintergrundinFrankreicherinnern.DieambivalenteSituationeineroffiziellen,rechtlichenAnerkennung,dieabernichtmiteinersozialenAkzeptanzundeinergesell-schaftlichenIntegrationHandinHandgeht,erzeugtFrustration.DerMarburgerJugend-forscherBennoHafenegersiehtindenSpät-aussiedlerInnenkindernvorallemderfünfneuenBundesländern,diehäufiggegenihreneigenenWillennachDeutschlandgekommensind,„eine latente Nicht-Anerkennung und derzeit noch ungerichtete Aggression“.DieProblematikkönne–ähnlichdenUnruheninFrankreich–virulentwerden,wenndiegegenwärtignocherfolgenderechtstringenteAnbindungandasdeutscheBildungs-undAusbildungssystemsowiedieEinbindungindassozialeNetznachließe.ZuweilenwerdenheuteingrößerendeutschenAgglomerati-onenbereitsBandenauseinandersetzungenzwischenrussischsprachigenAussiedlernundtürkischstämmigenMigranten–zumeistjungenMännern–registriert.Trätendiesein-tensiviertauf,inihrerGewaltbereitschaftbei-spielsweisekatalysiertdurchGroßereignisse,würdeeinesolcheBewegungeinenanderenCharakterhaben,alsimOktober/November2005indenfranzösischenVorstädtenzube-obachtenwar.HierwürdewenigervomStaat‚Respekt’eingefordert,sondernvielmehrintergruppalTerrainsabgesteckt.(Becker2007:12)Esbleibtabzuwarten,obsichdie

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SituationderjugendlichenSpätaussiedle-rInneninDeutschlandindenkommendenJahrenverbessert,oderobDeutschlandeinemähnlichenProblemwieFrankreichgegenübertretenmuss,sollteesversäumen,rechtzeitigdiegesellschaftlicheIntegrationderbetroffenenJugendlichenzufördern.

Resümee

GleichwieinÖsterreichsindesinDeutschlandvorallemdieKinderder„GastarbeiterInnen“,diezudenbenachtei-ligstensozialenGruppengehören.AuchinDeutschlandhatesdasBildungssystemversäumt,MigrantInnenkinderrechtzeitigspeziellzufördern.Ausbildungsdefizite

undhoheArbeitslosigkeit,dieeineverstär-kteSegregationdieserGruppemitsichbringen,sindheutedieFolge.VorallemMädchenundjungeFrauenmittürkischemHintergrundgehörenamArbeitsmarktzuden„BenachteiligstenderBenachteili-gten“.DieAnkunftzahlreicherjugendlicherSpätaussiedlerInnenstelltDeutschlandindenletztenJahrenvorneueHerausfor-derungen.DieseJugendlichenbesitzenzwardiedeutscheStaatsbürgerschaft,sindjedochoftgegenihrenWillenvonihrenElternnachDeutschlandgebrachtwordenunderfahrenähnlicheSchwierigkeitenwieJugendlichenmitMigrationshintergrundausanderenLändern.

Literatur- und Filmtipps

LiteraturDasumfangreicheOeuvrederdeutsch-türkischenAutorinSalihaScheinhardtÖzdamar,EmineSevgi:Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus.Kiepenheuer&Witsch1992Dies.:Die Brücke zum goldenen Horn.Kie-penheuer&Witsch1998Kelek,Necla:Die fremde Braut.Kiepen-heuer&Witsch2005Dies.:Die verlorenen Söhne.Kiepenheuer&Witsch2006TuschickJamal(Hrsg.):MorgenLand. Fischer2000

Film TefvikBasers:Abschied vom falschen Pa-radies,1988u.a.FatihAkin:Gegen die Wand,2004u.a.

Web n www.kanak-attak.de

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Bibliographie

BayerischesStaatsministeriumfürArbeitundSozialordnung,FamilieundFrauen:Integra-tion von Spätaussiedlern in Bayern.http://www.stmas.bayern.de/migration/material/be-richte.htm#aussied,abgefragtam30.1.2007Becker,JohannesM:Frankreichs Vorstädte brennen wieder – eine Analyse in acht Schritten.http://web.uni-marburg.de/konflikt-forschung//working-papers/wp01.html,S.12,abgefragtam24.01.2007Gaitanides,Stefan:Migrantenjugendliche – Lebenslagen und Risiken beim Auf-wachsen.WasfolgtfürdieJugendhilfe?InKerner,H.-J./Marks,E.(Hg.):Internet-dokumentationDeutscherPräventionstag.Hannover.http://www.praeventionstag.de/content/8_praev/doku/gaitanides/index_8_gaitanides.html,abgefragtam27.1.2007Hunger,Uwe/Thränhardt,Dietrich:Vom „ka-tholischen Arbeitermädchen vom Lande“ zum „italienischen ‚Gastarbeiterjungen‘ aus dem bayrischen Wald“–ZudenneuenDisparitätenimdeutschenBildungssystem.InBade,KlausJ.(Hg.):IntegrationundIlle-galitätinDeutschland.Osnabrück.2001

Förster,Heike/Kuhnke,Ralf/Mittag,Hart-mut/Reißig,Birgit(Hg.):Lokale Koope-ration bei der beruflichen und sozialen Integration benachteiligter Jugendlicher–Praxismodelle.München2002Kelek,Necla:Die fremde Braut–BerichteausdemInnerendestürkischenLebensinDeutschland.Köln2005Matter,Max:Türkisches Leben in Deutsch-land.In:Heller,Hartmut(Hg.):NeueHeimatDeutschland–AspektederZuwanderung,AkkulturationundemotionalenBindung.Nürnberg2002,S.241–265.FarukSen:Türkische Minderheit in Deutschland.Inhttp://www.bpb.de/publikationen/7LG87X,5,0,T%FCrkische_Minderheit_in_Deutschland.html#art5,abge-fragtam19.2.2007JosefSchmid:Bevölkerungsentwicklung und Migration in Deutschland.Inhttp://www.bpb.de/publikationen/WM82IQ,2,0,Bev%F6lkerungsentwicklung_und_Migra-tion_in_Deutschland.html#art2,abgefragtam19.2.2007

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FrankreichnimmtunterdentraditionellenImmigrationsländernEuropaseineSonder-stellungein:einerseitsaufgrundderwieder-holten,gewalttätigenEskalationenzwischendenJugendlichendersogenannten„zweitenunddrittenGeneration“unddenstaatlichenAutoritäten,andererseitswegendereinzigar-tigenpolitischenundkulturellenBewegung,dieebendiese„zweitenunddrittenGenera-tionen“hervorgebrachthaben.2006lebtenüber4,5MillionenAusländer-InneninFrankreich.Dabeiistzubeachten,dassinFrankreichgeboreneKindervonImmigrantInnenaufgrunddesinFrankreichgeltendenIusSoliautomatischdiefran-zösischeStaatsbürgerschafterhaltenunddaherindenStatistikenalsFranzosen/Fran-zösinnenaufscheinen.ProzentualgesehensetztsichdiefranzösischeBevölkerungaus90,4%gebürtigenFranzosen/Französinnen,5,6%AusländerInnenund4,0%Neubürger-Innenzusammen.DiemeisteninFrankreichlebendenAusländerInnenstammenauseuropäischenLändern(44,9%)undAfrika(39,3%).DeutlichwenigerPersonenkamendagegenausAsien(12,8%)undAmerika(3%)(www.insee.fr).DiezahlenreichsteethnischeGruppestellenPortugiesInnenmit17%,gefolgtvonPersonenmaghrebinischenUrsprungs(vorallemAlgerienundMarokko)undMigrantInnenausdensubsaharischenStaaten.GeografischbetrachtetfindetsichindenRegionenIledeFrance,Rhône-Alpes,PacaundKorsikaderhöchsteAusländerIn-nenanteil(mehrals10%).Frankreichist,wiebereitserwähnt,aufgrundseinerkolonialen

VergangenheiteintraditionellesEinwande-rungsland.NochimmermachenjährlichvielePersonenausdenehemaligenKolonienvonihremRechtaufdiefranzösischeStaatsbür-gerschaftGebrauch.EinfranzösischesSpe-zifikumsinddieenormenTrabantenstädteindenVorstädtendergroßenMetropolen,dieBanlieues,indenenhauptsachlichMigrant-Innengezwungensind,unterprekärenUmständenundohnejeglicheZukunftspers-pektivezuleben.

I. Die brennenden Banlieues – Proteste gegen Marginalisierung und Arbeitslosigkeit

ObwohldasBildungsniveauvonJugend-lichenmitMigrationshintergrundinFrank-reichgenerellhöheristalszumBeispielinDeutschland,sindandieHälftederJugend-lichenmitMigrationshintergrundohneAr-beits-oderAusbildungsplatz(Becker2007:12).Damitistzusätzlichzurräumlich-kultu-rellenSegregationdurchdasLebenindenPlattenbautenderBanlieuesaucheinAus-schlussvonderErwerbsarbeitgegeben,dienachwievoralseinesderwichtigstenMerk-malegesellschaftlicherIntegrationgilt.DasfranzösischeBildungssystemistderinterkul-turellenHerausforderungnichtgewachsenundhatbishervorallemmitderVerteidigungtraditionellerStrukturenreagiert.Beispieledafürsindderseit1989/90ausgetragene„foulard-Streit“(IstmuslimischenMädchenindenSchulendasTragenvonKopftüchernerlaubt?)unddieDebatteumeinemögliche

Diversité contre universalité! Jugendliche mit Migrationshintergrund in Frankreich

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VerwendungdesArabischenalsUnterrichts-sprache.DieProblemezwischenMuslimIn-nenundstaatlichenEinrichtungenentstehenvorallemwegendesstriktenBeharrensderstaatlichenAutoritätaufdemPrinzipder„lai-cité“,desLaizismus,dasreligiöseSymboleimöffentlichenBereichzurGänzeverbietet.DerKopftuch-StreitwurdevonderpolitischenRechtenauchgenutzt,umRessentimentsgegendiemuslimischeBevölkerungzuschü-ren.DiezumTeilfanatischgeführtenDebat-tenbewirktenvorallemeines:einweiteresAuseinanderdriftendermigrantischenundderautochthonenBevölkerung,vorallemaufKostenderbetroffenenJugendlichen.MarginalisierungundArbeitslosigkeitvonMigrantInnenundJugendlichenmitMi-grationshintergrundhabeninFrankreichzusozialenUnruhengeführt,dieindieserHeftigkeitinandereneuropäischenIndustrie-gesellschaftenbishernichtvorkamen.Seitden1990erJahrenrevoltiertenJugendlichemigrantischerAbstammunggegenihresozi-aleSituationundzeigtenöffentlichihreWutüberWohn-undBildungsprobleme,familiäre(Generationen-)Konflikte,Diskriminierung,RassismusundihreprekärefinanzielleLage.InvielenVororten,indenenMigrantInnenvorallemmaghrebinischerHerkunftwieineinemGhettoleben,stecktenJugendlicheausPro-testAutosinBrand,demoliertenöffentlicheVerkehrsmittelundEinrichtungen,wobeiauchMenschenverletztwurden.VersuchederPolizei,derwachsendenGewaltindenVorstädtenmitihrenriesigenKomplexensozialenWohnungsbaus(„citésHLM“)Herrzuwerden,endetenregelmäßigineinerEs-kalationgewalttätigerAktionenbeiderSeiten.DiestaatlicheAutoritätmusstevielerortsihreOhnmachteingestehen.ZuletztgingendieBilderderAusschreitungenimHerbst2005

durchdieinternationalePresse.ObrundumdieGroßstädteParis,Lyon,Marseille,Rou-baix,SaintEtienneundStrasbourgoderaufdemLandwiezumBeispielimlothringischenFarebersvillers–indenZuwanderInnenghet-tosisteinradikalerBruchzwischenJugend-lichenundErwachsenenzubeobachten.DieUnruhenhabenleiderauchdenRufnach„RechtundOrdnung“verstärktunddieWäh-lerschaftderrechtsextremenFrontNational(FN)Jean-MarieLePensunddesMouve-mentNationalvonBrunoMégretvergrößert.InteressanterweisewerdendieseProtestejedochnichtausschließlichalsKonsequenzfehlgeschlagenerIntegrationgedeutet.DerrenommierteSozialwissenschaftlerEmma-nuelToddhältdieUnruhennichtfüreinenBeweisdesScheiternsdesfranzösischenIntegrationsmodells,sondernfürdenBeweisseinesFunktionierens.SeineEinschätzungisteher,dassdieRevoltenzurIntegrationbeitragenwerden:„DennsofunktioniertdieAssimilierungauffranzösisch.“(Becker2007:15undSchmitt2007:21).Auffallendist,dassdieProtestezwarpolitisch,bisjetztabernichtreligiösgefärbtwaren.ObwohlausdenStaatendesMaghrebstammendeMus-limInneneinenGroßteilderrevoltierendenJugendlichenausmachen,undderisla-mischeFundamentalismusindenBanlieuesindenletztenJahrenzunimmt,könnendiegewaltsamenEskalationeninFrankreichalsreinsozialeKonflikteverstandenwerden(Im-busch2007:25).Betontwerdenmusseben-falls,dassindenBanlieueskeine„Fremden“,sondernFranzösInnenrevoltierenundsich,andersalsinandereneuropäischenStaaten,verschiedeneethnischeGruppen–Jugend-lichemaghrebinischerundsubsaharischerHerkunft–inihremProtestvereinten.

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2. Kunst, Kultur und Politik – die Bedeutung der „génération beure“

DietraditionellnationalgeprägteKultur-undGeschichtsauffassungderfranzösischenMehrheitskultur,dievondenImmigrantInneneinetotaleAssimilationverlangte,wirdseitden1980erJahrendurchdieimmerstärkerePräsenzderImmigrantInnenkultureninFragegestellt.Das„RechtaufkulturelleAndersartig-keit“mitzunehmendemErfolgeingefordertzuhaben,istvorallemeinVerdienstderRebel-lionderBeurs.DieindenVorstädtenaufwach-sendenKindermaghrebinischerArbeiterInnenwehrensichgegeneineStigmatisierungals„zweiteGeneration“undwollensichnichtaufdenImmigrantInnenstatusihrerElternfestle-genlassen.SiesindinFrankreichgeborenundfühlensichalsFranzösInnen.SoentstandderBegriff„Beurs“,zudemesmehrereErklä-rungengibt.Einerseitsgilt„Beurs“alssozio-lektischesKürzelfür„BerbèresenEurope“,andererseitsist„Beurs“einVerlan-Ausdruckundstehtfür„Araber“.VerlanistdieSpiel-sprachederfranzösischenJugendlichen,dieaufderUmkehrungvonSilbenbasiert.Mitt-lerweilehatsichinFrankreichdankderBeurseineinEuropaeinzigartigeJugendkulturentwickelt,diediekulturelleIdentitätunddaspolitischeSelbstbewusstseinderinFrankreichgeborenenKindervonMigrantInnenstärktundihnenzugleichalskünstlerischeAusdrucks-möglichkeitundpolitischesSprachrohrdient.Vorallemliterarisch,cineastischundmusika-lischverarbeitendieBeursihreErfahrungeninundmitderfranzösischenGesellschaft(Armbrecht2001:163ff.,Miliani2001:185ff.).AuchsprachlichforderndieBeursihrRechtaufkulturelleAndersartigkeitein:siesprechen„Rhor“–einFranzösischmitabsichtlichkräftig„arabisch“rollendemR.

Die„générationbeure“hatbedeutendeLite-ratInnenundMusikerInnenhervorgebrachtund/oderinspiriert.DieAutorInnenTaharBenJelloun,AssiaDjebar,AminMaalouf,DrissChraibiundHudaBarakatwurdenalsältereGenerationzuinterkulturellenVermittlerfigurenzwischenFrankreichunddenarabischenKul-turen,währendAzouzBegag,AhmedGhayetoderNinaBouraouialsVertreterInnenderjün-gerenGenerationzwischenderfranzösischenMehrheitsgesellschaftunddenEinwandere-rInneneineliterarischeBrückeschlagen.AuchdiefranzösischeMusikkulturiststarkvonLiedermacherInnenundBandsausdemMa-ghrebgeprägt.Seitden90erJahrenstürmtenimfranzösischenExillebendeRai-MusikerwieKhaled,ChebMami,CheikhaRimitti,FaudeloderNatashaAtlas,aberauchCrossover–Bandswie„RachidTaha&CartedeSéjour“,das„OrchestreNationaldeBarbès“,HipHop-Gruppenwie„Zebda“unddie„MafiaMaghré-bine“oderdieBeur-Boygroup„SawtElAtlas“(StimmedesAtlas)diefranzösischenCharts–undnichtnurdiederSender„BeurFM“oder„RadioMaghreb“.

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CineastischwurdedieSuchenacheinerneuenIdentitätseitden1990ernindutzen-denSpielfilmenausgedrückt–unterdenbedeutendstenRegiseurInnenYaminaBenguigu,RachidBoucharebundMehdiCharef–undesentstandunteranderemaucheineigenesGenreder„Banlieue-Western“.AuchimSporthabendieBeursihrneuesSelbstbewusstseinbewiesen.DieErfolgedermultikulturellenfranzösischenFußball-Nationalmannschaft(„blacks,blancs,beurs“)rundumdenalgerischstämmigenWeltstarZinedineZidanebegeisternnatio-nalundinternational.AuchderKapitänderRugby-Nationalmannschaft,AbdellatifBe-nazzi,istmarokkanischerHerkunft.Bedeu-tendistauchdieArbeitderOrganisationen„NiPutesNiSoumises“und„Kelma“,welchefürdieRechtevonFrauenundHomosexuel-lenmaghrebinischerAbstammungeintreten.DasgroßeVerdienstder„générationbeure“isteinefrankreichspezifischeFormderkultu-rellenundpolitischenBewegung,dieIntegra-tionnichtmitAssimilationgleichsetzt.Indieserstarkenundselbstverständlichenkulturellen

PräsenzgeradederaußereuropäischenKul-turenunterscheidetsichFrankreichdeutlichvonandereneuropäischenLändern,diedieBedeutungderMigrationinderoffiziellenNa-tionalgeschichteweiterhinausklammernundauchderkulturellenIdentitätderMigrantInnenundihrerNachkommenkeinenPlatzinderMehrheitskultureinräumenwollen.

Resümee

FrankreichsJugendlichemitMigrationshinter-grundnehmeneuropaweiteineeinzigartigeStellungein.SiehabeneinekreativeundpolitischeKulturhervorgebracht,dieinner-halbdesKontinentsnichtihresgleichenhat,andererseitsverstörenundzerstörensieseitJahrzehntendurchgewalttätigeProteste,dieoftinblindesumsichSchlagenausarten.DaFrankreichimGegensatzzuandereneuro-päischenLändernallenaufseinemStaats-gebietgeborenenKindernautomatischdieStaatsbürgerschaftgewährt,sinddieJugend-lichendurchwegsFranzösInnen.IhnenfehlenaberdieZukunftsperspektiven,dieGleich-altrigenausfranzösischenFamilienoffenstehen.DieArbeitslosigkeitunterderzweitenunddrittenGenerationbeträgtinvielenfran-zösischenBanlieuesoftbiszu50%.DieWutüberdiesozialeLageunddiepermanenteFrustrationwerdenmusikalisch,literarischundfilmischverarbeitetoderentladensichimExtremfallinöffentlichenGewaltakten.DieBeurs,wiesichdiejungenFranzösInnenmitMigrationshintergrundselbstnennen,spaltenaufgrundihresambivalentenVerhaltensdasöffentlicheBewusstsein.

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Film- und Literaturtipps

LiteraturliterarischesOeuvrevonAzouzBegag,AhmedGhayetundNinaBouraoui

FilmMehdiCharef:Le Thé au harem d’Archi Ahmed,1985RachidBouchareb:Baton Rouge,1985MathieuKassovitz:La Haine,1995,MerzalAllouache:Salut cousin!,1996ChristopheRuggia:Le Gone du Chaâba,1997YaminaBenguigui:Mèmoires d’immigrés, l’héritage maghrébin,1998MouradBoucif:Au-delà de Gibraltar,2001AbdellatifKechiche:L’esquive,2005

Bibliographie

Armbrecht,ThomasJ.D.:„Beur“ Writing as a Self- Definition.In:Gafaiti,Hafid(Hg.):CulturestransnationalesenFrance–Des“Beurs”aux…?Paris,2001,S.163–185.Becker,JohannesM.:Frankreichs Vor-städte brennen wieder – eine Analyse in acht Schritten.In:http://web.uni-marburg.de/konfliktforschung//working-papers/wp01.html,S.11–17,abgefragtam24.1.2007.Imbusch,Peter:Französische Zustände verstehen – ein Resümee der Proteste.In:http://web.uni-marburg.de/konfliktforschung//working-papers/wp01.html,S.8–11,abge-fragtam24.1.2007.

Miliani,Hadj:De la culture d’exil au sync-rétisme culturel(Lamusiquesde«Beurs»enFrance).In:Gafaiti,Hafid(Hg.):CulturestransnationalesenFrance–Des“Beurs”aux…?,Paris,2001,S.185–227.Schmitt,Lars:Wie ausgeschlossen muss man sein, um zu protestieren?SozialerProtestundseineVoraussetzungen.In:http://web.uni-marburg.de/konfliktforschung//working-papers/wp01.html,S.17–22,abge-fragtam24.1.2007.http://www.insee.fr/fr/ffc/chifcle_fiche.asp?ref_id=NATCCI02124&tab_id=427&souspop=4,abgefragtam24.1.2007.

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43EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI

Geschichte der slowakischen Roma

DieeuropäischenRomawandertenim13.und14.JahrhundertinmehrerenMigra-tionswellenausZentralindienüberÄgyp-ten,KleinasienunddieBalkanländerein(Vašecka2006:7).ImGebietderehemaligenTschechoslowakeiwurdensie1219alsSchmiede,Musikanten,Sattler,TrogmacherundGoldwäschererstmalsurkundlicher-wähnt(ebenda:53).DieursprünglicheSym-pathiederMitteleuropäerInnen,diedieRomazuerstfürägyptischePilgerhielten,schlugbaldinoffeneFeindseligkeitum.WährenddesaufgeklärtenAbsolutismusMariaThe-resiasundJosephsII.solltendiefahrenden„Zigeuner“zwangsweiseassimiliertundsess-haftgemachtwerden.InderFolgezeitderindustriellenRevolutionließensichdieRomaalsmeistschlechtausgebildeteLohnarbeiter-InnenindenIndustrieregionennieder.DienachdemZerfallderösterreichisch-un-garischenDoppelmonarchie1918gegrün-deteTschechoslowakischeRepublikverfolgte–gleichandereneuropäischenStaaten-einerepressiveRomapolitik,derenZieleswar,die(wenigen)immernochnomadischlebendenRomasesshaftzumachen.Spezielle„Zigeu-ner–Kennkarten“,aufdiesichspäterdieNa-tionalsozialistenbeiderErfassungderRomastützten,wurdeneingeführt.EbenfallsfandenseitdemMittelaltervergessengeglaubtePo-gromewiederstatt(ebenda:8)VielenRoma-

elternwurdenihreKinderweggenommenundinWaisenhäusernaufgezogen(Daniel1998:152).DerEinmarschderdeutschenWehrmacht1938wardasvorläufigeEndedestschecho-slowakischenStaatenbundes.FürdieRomaherrschten–bis1944–inderSlowakeiundTschechiensehrunterschiedlicheLebens-bedingungen.ZwarwardieslowakischeMehrheitsbevölkerungauchgrößtenteilsan-tiziganistischeingestellt,dochkamesinder–zumindestoffiziell–vonDeutschlandunab-hängigenSlowakeizukeinenDeportationenvon„Zigeunernmitstetemundnichtnoma-dischem“Lebenswandel(Necas1998:187f.).AllerdingswarensiegleichJüdInnenvonderNutzungvonöffentlichenVerkehrsmittelnundParkanlagenausgeschlossen,undihnenwaruntersagt,ihreSiedlungennäherals

Exkurs: Roma in der Slowakei

Die Minderheit der Roma in der Slowakei

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2KilometeranöffentlicheStraßenzubauen.RomawurdenalsArbeitskräftereservoirineinigenslowakischenZwangsarbeitslagernausgebeutet(Vašecka2006:8).EineZäsurfürdieRomastelltedieBesetzungderSlowakeidurchdeutscheTruppennachdemNationalaufstandvon1944dar,anwelchemauchRomaalsPartisanenmitgekämpfthabensollen(Daniel1998:157).EskamzuMassenerschießungenvonRomadurchdeutscheEinsatzgruppen,wobeigenaueZahlenschwerauszumachensind.FürdieSlowakeiwerdenca.4000Opferangenom-men(Necas1998:188)Insgesamtforderteder„Porrajmos“–derShoahandenRoma–500.000,odernachneuerenSchätzungenbiszu2MillionenMenschenleben(Voulas-ranta2006:21).Indemnach1945neugegründetentsche-choslowakischeStaatenbundCSSRwurdendietraditionellbesserentwickeltenGebieteinBöhmenundMährenvonderkommunis-tischenFührungschnellzuindustriellenZentrenausgebaut,dieeinunerschöpflichesReservoiranArbeitskräftenohnebesondereVorkenntnissebenötigten.EskamindiesenJahrenzugroßenAbwanderungswellenvonRomaausderSlowakeiindiesenLandesteil,auchweildiedortursprünglichlebendenRomazueinemgroßenTeilwährenddesPorrajmosindendeutschenVernichtungs-lagernumgekommenwar.

ZunächstversuchtedieneuesozialistischeRegierungdiewenigennochnomadischenRomazurSesshaftigkeitzuzwingen,dennlautRegimewidersprachensolche„vorsozia-listischen“und„asozialen“LebensweisendemIdealdes„neuenMenschen“völlig.DasstaatssozialistischeSystemarbeitetenichtmitBegriffenwie„Nationalitäten“.Roma

galteninderNachkriegszeitalsBürgerInnen„vonzigeunerischemUrsprung“undoffiziellbesaßensiediegleichenBürgerInnenrechtewiedieMehrheitsbevölkerung.TraditionelleRomabräuche,SportklubsunddiePubli-kationvonRoma-LiteraturundPeriodikawarenjedochverboten(Vašecka2006:8).Abden1970erJahrenlockertesichdieRoma-politikmehrinRichtung„Integration“.ZudenpositivenEffektendieserPeriodezählt,dasseseinigenRoma(beiArrangierungmitdemSystem)möglichwar,einensozialenAufstiegzuschaffen.EbenfallswarArbeitslosigkeitkeinsovorrangigesThemawieheute.DieSchaffungvonWohnraumfürdiegesamteBevölkerung,schlugimFallederRomaje-dochfehl.DieRomaempfandendiefürsieerrichtetenWohnblöcke,diedietraditionellenGroßfamilienstrukturenderRomanichtbe-rücksichtigten,alsbeengend,undweigertensich,diesezubenutzen.AußerdemwolltenvieleRomaausAngstundMisstrauennicht,dassihreKinderdiestaatlicheSchulebe-suchten.BeidenslowakischenNicht-RomastießdiesesVerhaltenwiederumaufAbleh-nungundentzweitedieBevölkerungsgrup-penweiter(ebenda:8).

EinbesonderstragischesundbisheutenichtgänzlichaufgearbeitetesVerbrechenistdieZwangssterilisierungvonRomafrauen.DiesewurdeentwederohnederenWissen,oderohneAufklärungüberdieUnumkehrbarkeitderOperationvorgenommen.WievieleFrauendavonbetroffenwaren,istbisheutenichtbekannt.Entschädigungenwurdenbis-herkeinegeleistet.DieRomawarenbesondersvondenStruk-turveränderungennach1989betroffen.UnrentableZweigederIndustriewurdenimRahmenderPrivatisierunginderneuen

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45EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI

föderativentschechoslowakischenRepublikstillgelegt.DieRoma,diedortalsunqua-lifizierteHilfsarbeitertätigwaren,verlorenalsersteihreArbeit.DieUnabhängigkeits-erklärungderSlowakei,fand1993gegendenausdrücklichenWillenvonRoma–Ver-treterInnenstatt.DiesebefürchteteneineVerschlimmerungihrerLagevoralleminderSlowakei.Das„Romaproblem“wurdezueinemZankapfelderbeidenStaaten.SowohlMinisterpräsidentVladimirMeciarsRomapolitikalsauchdieseinesNachfolgersMikulasDzurindaswarvonNationalismusundoffenerAblehnunggeprägt.DieBedingungen,unterdenendieRomalebten,wurdenfastzumStolpersteinfürdenEUBeitrittderSlo-wakei.FüreinenVollbeitrittmusstennichtnurwirtschaftlicheKriterienvondenKandi-datenländernerfüllt,sondernauchgewisseStandardsinMinderheitenfrageneingehaltenwerden.DievonderEUvergebenenGeld-mittelimRahmendesPHARE-ProgrammeszurRekonstruktiondesosteuropäischenWirtschaftsraumestrugenwesentlichzurFörderungderRomabei.DieSlowakeihateinenTeilvonPHARE–GeldernfürdieUn-terstützungvonProjektenzurVerbesserungderSituationderRomaverwendet,unteranderemzurFörderungvonToleranz,zurBesserungderWohnverhältnisse,sowiederVerbesserungderBildungs-undBeschäfti-gungsmöglichkeiten.DerBeitrittderSlowa-kischenRepublikzurEUimMai2004warfürallesozialschwacheSchichtenderSlowakeieinestarkeBelastung,dochtrafendieAuswir-kungenderneoliberalenMarktvorgabenderEUamstärkstendieRoma-Minderheit.VielevorallembesserausgebildeteRomaemi-griertennachEnglandoderIrland.

Lebenssituationen der Roma in der heutigen Slowakei

OffiziellmachtdieMinderheitderRoma1,7ProzentderslowakischenGesamt-bevölkerungaus(FischerWeltalmanach2004:143).Wahrscheinlicheristesaber,dassbiszu500.000Personen–alsofast10Prozent–dieserBevölkerungsgruppeangehören.DieDifferenzlässtsichdadurcherklären,dassbeiVolkszählungenRomaaufgrundderjahrhundertlangenVerfolgungundDiskriminierungnurungernihreIdentitätpreisgeben.DieMinderheitistdurchvierethnischeUntergruppenundeineArtinneres„Kastenwesen“starkinsichfragmentiert,waseinepolitischeEinigungnachAußenhinerschwert.DieAltersstrukturderRomaweisteinefürEuropaäußerstaußergewöhnliche,nurmitStaatenineinervorindustriellenEnt-wicklungsstufevergleichbareMerkmaleauf:dengrößtenAnteilstellenmitüber40%dieunter14jährigen.MiteinigemAbstandfolgendie15-bis29-jährigen(30%),währenddie30-bis40-jährigen17%ausmachen.DerAn-teilder41-bis59-jährigenliegtnurnochbei6%unddieüber60jährigenhabenmitetwa3,5%nurnocheinenverschwindendkleinenProzentsatzanderAlterstatistik.(Vašecka2006:7).

Arbeitslosigkeit und Segregation

DasHauptproblemderwirtschaftlichpre-kärenSituationderslowakischenRomaistdiehoheArbeitslosenratevonbiszu83%.DerAusfallanVerdienstmöglichkeitennach1989–diePrivatisierungderIndustrietrafvieleRomaalsungelernteArbeitskräftebesondershart–triebvieleRomaindieKleinkriminalitätundProstitutionDieslo-

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46 JUGEND OHNE CHANCE?

wakischeMehrheitsbevölkerungsahdamitihrealthergebrachtenRessentimentserneutbestätigt.ArbeitslosigkeitwurdeundwirdalspersönlichesVerschulden,nichtalsvor-wiegendstrukturellesProblemverstanden.ArbeitswilligeRomawerdenabersowohlvonArbeitgeberInnen,alsauchvoneinzelnenBeamtInnenderArbeitsämterdiskriminiert.InAbhängigkeitvonlokalenGeldverleihernge-rateneRomaendenoftunfreiwilligalsorgani-sierteBettlerInneninreicherenEUStaaten.SowohldieEU,alsauchdiejeweiligenslo-wakischenRegierungensahenundsehendieVerbesserungderBildungderRomaalsLösungvonsozialenProblemenan.SiewollendiehoheArbeitslosigkeitundauchdiehoheGeburtenratedurchBildungundAufklärungsenken.AndersjedochalsinderMehrheitsbevölkerunghat(Schul-)Bildungim„klassischen“SinninderRomakulturkeinenhohenStellenwert,undstaatlichenInstitutionenwirdvonSeitenderRomaofteinüberJahrhunderteangewachsenes

Misstrauenentgegengebracht.Solcher-arttradierteAbneigungenlassensichnuräußerstschwerdurchbrechen,zumalauchdenmeistenJugendlicheneineabgeschlos-seneodergarhöhereSchulbildungaufgrundderdiskriminierendenEinstellungspraktikenvonArbeitgeberInnenkeinebesserenBe-rufschancengarantierenwürde.DurchdaserwähnteambivalenteVerhältnisderRomazurinstitutionellenBildungunddieoftnochimmerpraktizierte,automatischeZuweisungvonRomakinderninSonderschulenbleibtdieBildungssituationderMinderheitbisheuteBesorgniserregend.DieSegregationvonRomasiedlungenvonbenachbartenOrtenverschärftdiekollektiveMarginalisierungderRoma.SchoninderZeitdesSozialismusentstandenGettosied-lungen,diebisheutekaumüberdienötigeInfrastrukturverfügen.EsfehlensowohlbefestigteStraßen,Beleuchtung,Stromver-sorgungundKanalsysteme,alsaucheinegesicherteVersorgungmitsauberemTrink-

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4�EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI

wasser(Vašecka2006:47).Diekatastro-phalenhygienischenBedingungeninderWohnsituationschlagensichineinemge-nerellschlechtenGesundheitszustandderRomanieder.DieSäuglingssterblichkeitliegtmassivüberdemLandesdurchschnitt,dieLebenserwartungistbedeutendniedrigeralsdiederübrigenslowakischenBürgerInnen.NeuereUntersuchungenzeigen,dassdiemedizinischeSituationderRomaselbstinZeitenderCSSRwesentlichbesserwar,unddasssiesichaktuellsogarnochweiterver-schlechtert.ZudemsorgendiskriminierendePraktikendurchAmbulanzdiensteoderÄrzt-InnenfürweiteremedizinischeUnterversor-gungderRoma(ebenda:49).VonderMehrheitsbevölkerungwerdendenRomavorallem„Alltagsrassismen“undtra-ditionelleRessentimentsentgegengebracht.PopulistischePolitikerInnenbenützendiesealteAbneigungzumWählerInnenfang.So-wohlMitgliederderaktuellenRegierungalsauchderOppositionpolemisierengegen„dieZigeuner“.EinganginSchlagzeilendergroßenPrintmediendesLandesfindetdieBevölkerungsgruppefastausschließlichdurchSensationsmeldungenundfastimmeralssozialesProblem.Die„RomaPressAgency“,eineslowakischeNRO,versuchtdieserWahr-nehmungdurchgezielteInformationenundAufklärungsarbeitentgegenzuwirken(www.amnesty.org).ObwohldierechtlicheSituationderRomainderSlowakischenRepublikoffi-zielldeneuropäischenStandardsentspricht,werdenimmerwiederVerstößegegendieGe-setzgebung,sowohlimöffentlichen,alsauchimprivatenBereichgemeldet.PolizeikräftesindoftnichtanderVerfolgungvonoffen-sichtlichrassistischbegründetenGewalttateninteressiert.AufregionalerundSelbstverwal-tungsebeneunddenArbeitsämtern

kamesimmerwiederzuapartheidähnlichenVorkommnissenundauchinderslowakischenArmeewurdenRomadiskriminiert(Vašecka2006:59).

Politische Partizipation und Vertretung

EinerderartinhomogenenMinderheitwiediederRoma,diezudemselbstkaumübereineintellektuelleEliteverfügt,istdieAnteilnahmeanderPolitikerschwert.NebenderinternenFragmentierungspieltebensoeineRolle,dasseingroßerTeilderRomabevölkerungnochnichtdaswahlberechtigteAltererreichthat.Kurznachder„SamtenenRevolution“1989entstandenweitüber20konkurrierendeRomaparteien.Diegrößteundeinfluss-reichstewardieROI,die„BürgerinitiativederRoma“,diesogardenEinzugindiezweiteKammerdesdamaligentschechoslo-wakischenParlamentesschaffte.NachderTrennungderbeidenTeilstaatenkonntedieROIjedochdenEinzugindenslowakischenNationalratnichtmehrerreichenundlöstesich2005schließlichauf.DiefürdieRegis-trierungnotwendigenStimmenkonntennurnochzweiRomaparteienerhalten,die„RomaKoalition“SRKunddie„RomaInitiativeSlowakei“,dieRIS(Homepagewww.rpa.sk).AllebisherigenVersuchederpolitischenEinigungderRomasindgescheitert.ZwarstellendieRomaaufLokalebeneeinigeGe-meindeabgeordneteundGemeindevorsteher–allerdingsmeistinfastausschließlichvonihnenbewohntenGebieten.NochdazugibtesvorallemzwischenromafeindlichenKom-munalbehördenunddenzentralstaatlichenInstitutionenoftKonflikteumdieUmsetzungvonGesetzen,diezurVerbesserungderSituationderRomabeitragensollten(Voulas-ranta2006:22).

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48 JUGEND OHNE CHANCE?

Programme zur Besserung der Lage der Roma

Bestrebungen des slowakischen Staates

DiegrößtenKompetenzenbeiderLösungvonMinderheitenfragenliegeninderEuropäischenUnionimmernochaufNatio-nalstaatsebene.TrotzderbislangsehrambivalentenHaltung,diedieslowakischeRegierungderMinderheitgegenübereinnimmt,sindforcierteMaßnahmenimWohnungs-undBildungsbereich,sowiedieVerbesserungderInfrastrukturinRoma-ghettosgeplant.AußerdemsollenRomaendlichauchindiePolizeikräftedesLandesaufgenommenwerden,umweiteregegenRomagerichteteGewaltzuverhindern.MinisterpräsidentFicoweihtekurznachdenWahlendasersteDenkmalein,dasandenPorrajmos–denRoma-Shoah–erinnert.EinschwererRückschlagwarjedoch,dassdasslowakischeVerfassungsgerichtdiepositiveDiskriminierungvonMinderheitenfürverfassungswidrigerklärte,wodurchMaßnahmenzurSchaffungeinerintellek-tuellenRomaelitedurch„affirmativeaction“erschwertwurden.AußerdemversäumendieslowakischenBehördenweiterhin,dieimmernochvorkommendeZwangssterilisierungenvonRomafrauenzuunterbinden(www.am-nesty.org).

Bemühungen der Europäischen Union

TrotzderweitgehendinHändenderMit-gliedstaatenliegendenKompetenzenbeiMinderheitenfragenversucheneinigeEU–Programme,aufeinepositiveEntwicklungderRomapolitikhinzuwirken.InnerhalbderEuropäischenKommissiongibteseine

dienststellenübergreifendeFachgruppefürRoma-Fragen,dieaus14verschiedenenAbteilungenbesteht.DiefinanziellenZu-wendungensind,wiedienationalenBestre-bungenauch,aufeineVerbesserungdermedizinischenVersorgung,derInfrastruktur,derBekämpfungvonArbeitslosigkeitundderFörderungderAus-undWeiterbildungderRomaausgerichtet.AuchderEuroparathatRechtsnormenausgearbeitet,dievorallemMinderheitenbetreffen,wiedieEuropäischeMenschenrechtskonvention,dieEuropäischeSozialchartaunddasEuropäischeKulturab-kommen.DieEuropäischeKommissionge-genRassismusundIntoleranz(kurzECRI),dieebenfallseineInstitutiondesEuroparatesist,verabschiedetperiodischeBerichte,indenenimmerwiederdieMenschenrechtslagederRomaauchinderSlowakeikritisiertwird(Voulasranta2006:21).

Internationale Organisationen und NGOs

SowohldieEntwicklungsabteilungderVer-eintenNationen,dieUNDP,alsauchdieOSZEversuchen,sichdesRomaproblemsinOsteuropaanzunehmen.

ErwähnenswertsindauchdieBemühungendes„EuropeanRomaInformationOffice“,des„CommitteeonRomaniEmancipation“,unddes„EuropeanRomaRightsCentre“.LetzeresisteineunabhängigeOrganisation,aufderenAgendadieForderungvonAnti-Diskriminie-rungsgesetzen,dieFörderungderBildungvonjungenRoma,diejuristischeAufarbeitungvonZwangssterilisierungsfällen,dieVer-besserungderRoma-FrauenrechteunddieVerbesserungderallgemeinenInfrastrukturderRomasiedlungeninderSlowakeistehen(http://www.errc.org/About_index.php).

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ZurSelbstorganisationderRomazähltderinden1970erJahren,nachdemMusterdesJewishNationalCongressgegründete„RomaNationalCongress“(RNC).ErbetreibteinInformationsnetzwerkmitdemNamen„Romnews“undveranstaltetunterandereminternationaleKonferenzengegenAntiziga-nismus.ZieldesRNCistjedoch,andersals

esbeim„JewishNationalCongress“war,nichtdieGründungeineseigenenRomaStaates,sondernvorallemdieStärkungdesSelbstbewusstseinsderRoma,wozuauchdieSchaffungeinerRoma–NationalhymneundNationalflaggebeitragensoll(http://www.romnews.com/).

Weiterführende Links

nhttp://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/Druck/CA5B6D09E3CC200BC1256E85n004B886D?OpenDocument,abgerufenam29.1.2007.nhttp://www.rpa.sk/rpa.php?lang=EN&m=SPR&id=VOLB&show=3645,abgerufenam29.1.2007.nhttp://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/de6cfa00f934d141c12571ab00337c92?OpenDocument,abgerufenam28.1.2007.nhttp://www.errc.org/About_index.php,Abrufdatum10.12.200699.nhttp://www.romnews.com/,abgerufenam10.12.2006.

4�EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI

Bibliographie

MichalVašecka(2006):Human Develop-ment Report on Roma in Slovakia.InstituteforPublicAffairs,Bratislava.Daniel,Bartolomej(1998):Geschichte der Roma in Böhmen, Mähren und der Slo-wakei.In:StudienzurTsiganologieundFol-kloristik,Band23,Frankfurt/Main.DerFischerWeltalmanach:EU-Erweiterung.Frankfurt/Main2004.Necas,Ctibor(1998):Sinti und Roma im Protektorat Böhmen und Mähren sowie in der Slowakischen Republik in den Jahren

1939–1945.In:Dlugoborski,Waclaw(Hrsg.).SintiundRomaimKLAuschwitz-Birkenau1943–44,VordemHintergrundihrerVerfol-gungunterderNaziherrschaft,Oswiecim.Voulasranta,Miranda(2006):Roma und Sinti – Europäische Identitäten, Antizi-ganismus muss erkannt und bekämpft werden.In:Toivanen,Reetta/Knecht,Michi(Hrsg.).BerlinerBlätter,EuropäischeRoma–RomainEuropa,Heft39,Münster.

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Laufzeit:Juli2005–Juni2007Partner:ZeMiT–ZentrumfürMigrantInneninTirol•ArbeitsmarktförderungdesLandesTirol•VereinMultikulturell•FBI–InstitutfürgesellschaftswissenschaftlicheForschung,BildungundInformation•TIBS–TirolerBildungsservice•HafelekarUnternehmens-beratung•InstitutfürSoziologiederUni-versitätInnsbruck•AbteilungJuff–ReferatIntegrationdesLandesTirol•Erziehungs-beratungTirol•WirtschaftskammerTirol•ArbeiterkammerTirol

JoinInisteinregionalesEQUAL-Projekt,dassichzumZielgesetzthat,inTiroldieChancenvonJugendlichenmitMigrations-hintergrundamheimischenArbeitsmarktzufördernunddenZugangzuhöherqualifi-ziertenBerufsfeldernzuerleichtern.WeitersbemühtesichJoinIn,unterderTirolerBevöl-kerungmehrBewusstseinundVerständnisfürdieJugendlichenundderenschwierigeSituationzuschaffen.HinterJoinInstandeninsgesamtelfPart-nerorganisationenausPolitik,Verwaltung,Wirtschaft,BildungundGesellschaft,dem-entsprechendsetzteJoinInaufverschie-denenEbenenan.

Netzwerke

JoinInarbeiteteintensivdaran,Netzwerkeanzuregenundzufördern.DurcheinebreitangelegteAkquisitionsarbeitwurdeder„Pool

Diverse“–einNetzwerkvonJugendlichenmitMigrationshintergrundimAltervon15bis25Jahren–aufgebaut.EinMädchen-Netz-werkgingaufdieThemenundProblematikenderweiblichenJugendlichen,speziellderjungenFrauenmittürkischemHintergrund,ein.DenvernetztenJugendlichenwurdenzahlreicheWorkshopsmitexperimentellenAnsätzenangeboten.ImSubnetzwerk„Diver-sityThinkTank“vernetzensichExpertInnenmitundohneMigrationshintergrundzuFragenderArbeitsmarktintegrationvonMi-grantInnen.ZuletztfandimHerbstunterdemTitel„Integration<25“eineTagungmitErfah-rungsaustauschzudiesemThemastatt.

Qualifizierungsworkshops

VerschiedensteWorkshopsvermitteltendenJugendlichenneueKompetenzen,dieihnenbeimEinstiegindenArbeitsmarkthilfreichseinwürden.DieTeilnehmerInnengewannenmehrVertraueninihreeigenenFähigkeitenoderkonnteninverschiedeneBerufsbilderhineinschnuppern.AndereWorkshopshal-fen,kreativesPotenzialzuentdeckenundzuentfalten.DazuzähltenTanzworkshops,interaktiveKunstaktionen,Graffiti,Video,Fotografie,WorkshopszudenThemen„NeueMedien“,„PressearbeitundSchreibwerkstatt“,„KörperspracheimBerufsleben“,Rhetorik-undEnglischkurseunddieEinbindungderJugendlichenineineeigeneJugendzeitungalsfreieRedakteurInnenundAutorInnen.Die

Portraits der transnationalen Partnerprojekte

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50 JUGEND OHNE CHANCE?

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51PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

„Kompetenzwerkstatt“sollteJugendlichenmitMigrationshintergrundihreTalenteundFähigkeitenbewusstmachenundsiedarinbestärken,dieseberuflichauszubauenundzunützen.ImRahmeneinesSommercampskonntendieTeilnehmerInnengemeinsammitJugendlichenausDeutschlandundFrankreichineinermethodischaufgebautenAbenteuer-wochegrundlegendeOutdoor-Überlebens-technikenerlernenundsozialeInteraktioninnichtalltäglichenSituationenüben.WeitersbotJoinIndieMöglichkeit,aneinemAus-tauschmitdentransnationalenPartnerorgani-sationeninDeutschland,FrankreichundderSlowakeiteilzunehmen.

Wanderausstellung zur Tiroler Migrationsgeschichte

DieWanderausstellung„MigrationinBildung“erzähltedie(Arbeits)-MigrationinTirolvon1960bisheute.AudiovisuelleInstallationen,

interaktivePC-SpielesowiefürdieAusstel-lunggeschaffeneKunstwerkeermöglichtenesdenBesucherInnen,sichüberdieGe-schichtederMigrationinTirolzuinformierenundimUmgangmitanderenKulturenzusen-sibilisieren.SeitderVernissageimMai2006inInnsbruckreistedieAusstellungdurchdieTirolerBezirkeundwurdedabeistän-digerweitert.DieJurte,einemongolischesNomadenzeltunddasSymbolvonJoinIn,begleitetedieAusstellungaufihrerReise,dientealsBlickfang,Informationszentrale,WorkshopraumundstandsymbolischfürdieWanderungdernachÖsterreichgekom-menenMigrantInnen.

Berufsberatung für Eltern und Jugendliche

ElternundFamilienmitgliedernehmeneineSchlüsselrollebeiderBerufswahlvonJu-gendlichenein.JoinInsetzteauchdortan:

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52 JUGEND OHNE CHANCE?

ElternvonMigrantInnenwurdenüberdasBildungs-undBerufssysteminÖsterreichinformiertundfürdieBedeutungderBe-rufsentscheidungundhöherqualifizierterBerufsfeldersensibilisiert.DazufandeninverschiedenenOrtenTirolsBildungs-undBerufsinformationsmessenstatt,esgabEin-zel-undGruppenberatunginJugendzentrenundSchulen.

Interkulturelles Mentoring

ImBerufslebenerfolgreichePersonenen-gagiertensichalsMentorInnenundvermit-teltenihreErfahrungenineinerpersönlichenKarriereförderunganeineGruppevonJu-gendlichen.Die18MentorInnenundebensovieleMenteesmachtensichgemeinsamaufArbeitssucheund/odersetztenersteSchritteineineneueKarriere.BerufserfahreneMen-torInnenunterstützten,berietenundfördertendieJugendlichenganzpersönlichinihremberuflichenFortkommen.

Interkulturelles Clearing

EinweiteresZielvonJoinInwares,zueinerProfessionalisierungderBeratungstätigkeitvonNGOsbeizutragen.EswurdenaufBasiseinerumfangreichenRechercheinEuropaneueundinnovativeClearing-Instrumenteerarbeitet.DasAngebotistnachdemGradderVermittlungshemmnisseabgestimmt.FürJugendlichemitgravierendenDefizitenwurdeeinumfassendesBetreuungsangebotinFormeinesCaseManagementModellsentwickelt.

Sozialwissenschaftliche Feldforschung

UmbesserüberdieLebenssituationvonJu-gendlichenmitMigrationshintergrundinTirolinformiertzuseinunddiesesWissenprak-tischumsetzenzukönnen,arbeiteteJoinInmitdemInstitutfürSoziologiederUniversitätInnsbruckundderfreienForschungsein-richtungFBI–Institutfürgesellschafts-wissenschaftlicheForschung,BildungundInformationzusammen.ZweiPilotstudienwurdendurchgeführt,dieeinerseitsspezielldieBildungschancenvonjugendlichenMi-grantInneninTiroluntersuchten,andererseitsallgemeineDatenzurSituationderbetrof-fenenJugendlichenerhoben.

Öffentlichkeitsarbeit

EinzentralesElementvonEQUAL-ProjektenistdieKommunikationmitderÖffentlichkeit,umzusensibilisieren,zuinformierenundwichtigeMultiplikatorInneninSchule,Arbeit,PolitikundKultureinzubinden.Wichtigistdabei,nichtnurimZentrumaktivzusein.JoinIntourtedahermitderJurteundderAusstellung„MigrationinBildern“durchTirol,nahmanlokalenVeranstaltungenteilundorganisierteigeneEvents.Sowurdez.B.imOktober2006eineWochelanginLandeckHaltgemacht.NebenderAusstellung,Vorträ-gen,einerBildungs-undBerufsinformations-messefürElternundJugendlichefanden16WorkshopsindenBereichenNeueMedien,softskills,Argumentation,Rhetoriku.v.m.statt.DasAnliegenwar,einerseitsQualifika-tionsdefizitebeidenJugendlichenzuidentifi-zieren,andererseitsihnenihrevorhandenenKompetenzenbewusstzumachenundsiezubestärken.WichtigwardabeidieEinbindunginörtlicheStrukturenunddieEinbindungvon

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53PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

Brückenpersonen,umdieJugendlichenüber-hauptzuerreichen.

Kräfte bündeln

EineIdeevonEQUAListes,Kräftezubün-deln.DaherarbeiteteninJoinIndieobengenannten11Organisationenmitunter-schiedlichenZugängenzuJugendfragenzusammen.EswarendieSozialpartnervertreten,dasReferatfürIntegrationdesLandesTiroleingebundenundmehrereNGO(TIBS–TirolerBildungsservice,VereinMultikulturell,FBI-Institutfürgesellschafts-wissenschaftlicheForschung,BildungundInformation).DasZeMiT–ZentrumfürMigrantInneninTirol–übernahmdieKoor-dinationderEntwicklungspartnerschaft,dasMarketingunddieÖffentlichkeitsarbeit.UmdasThemaabzurunden,europaweitErfah-rungenauszutauschenundtransnationale

Netzwerkeknüpfenzukönnen,wurdemitPartnerprojektenausFrankreich,Deutsch-landundderSlowakeikooperiert.Beein-druckendwarimHerbst2005derBesuchinderPariserBanlieueVal-FourréinManteslaJoliezurZeitderJugendunruhen.DieDokumentation„AmEndederBannmeile“,dienebenanderenMaterialienvonderHomepagewww.join-in.atgeladenwerdenkann,dokumentiertdenBesuchderTirolerInnenundzeigtdieerfolgreicheArbeitderfranzösischenProjekt-partner.

Herausforderungen, Erkenntnisse und Erfolge

DasMisstrauenderElterngegenüberdenkostenlosenAngebotenfürJugendlicheundmangelndeZeitressourcenderJugendlichenselbstwarendiegrößtenHerausforderungenbeimAufbaudesJugendnetzwerkes.GingJoinInbeiderDefinitionderZielgruppeursprünglichdavonaus,dassdieseJugend-lichenohneBeschäftigungseien,zeigtesichinderRealitäteinetwasanderesBild.FastalleJugendlichen,auchwennsieausdemSchulsystemherausgefallenoderarbeitslossind,gehenVerpflichtungennach,seiesdasAushelfenimFamilienbetrieb,Gelegenheits-jobsoderdieMithilfebeiderErziehungderGeschwistersowieimelterlichenHaushalt.AngesichtsdeskostenlosenAngebotsanQualifizierungsmaßnahmenhatteneinigeElternAngst,manwürdezueinemspäterenZeitpunkteineGegenleistungverlangenundwolltenzunächstihreKindernichtteilnehmenlassen.DurchvielepersönlicheGesprächeunddenEinsatzderJugendassistentInnenkonntedasVertrauenderElternjedochge-wonnenwerden.

JugendlagerinFiss,Sommer2006

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54 JUGEND OHNE CHANCE?

DurchdenrelativgroßenAltersunterschiedinnerhalbderZielgruppe(15bis25Jahre)istderReifeprozess–damitdasBewusstseinüberdieWichtigkeitderAuseinandersetzungmiteigenemBildungs-undBerufsweg–unter-schiedlichausgeprägtundhatwesentlichdieProzesseinnerhalbdesProjektsbestimmt.BeidenverschiedenenWorkshopszeigtesichdieSchwierigkeit,dieJugendlichenaufeinerabstrakt-intellektuellenEbeneanzu-sprechen.DieVermittlungvonLerninhaltenmussdaheraufeinerunmittelbar,prak-tischenEbeneerfolgen.IndenWorkshopswareinedeutlicheGeschlechterdifferenzerkennbar:MädchenarbeitetenvoralleminderSchreibwerkstattundimWokshop„Presse-undÖffentlichkeitsarbeit“–undindenFotoworkshopskonzentrierter,enga-gierterundkreativer.GenerelllässtsichfürdieWorkshopsfolgendesResümeeziehen:dieZielgruppeistdenvermitteltenInhaltengegenüberdurchausoffenundinteressiert,

wennmandieausderSchulegewohnteDistanzzwischenLehrendenundLernendenabbautunddieeinzelnenTeilnehmerInnengezieltaufeinerpersönlichenEbenean-spricht,umdieArbeitmöglichstinteraktivundpraktischzugestalten.

AusSichtdesProjektmanagementskannfürdieVernetzungderOrganisationeninnerhalbderEntwicklungspartnerschaftabschließendgesagtwerden,dassdurchdasorganisa-tionelleLernenunddieinhaltlicheAusei-nandersetzungalleBeteiligtenvoneinanderprofitiertenundeinegutesMiteinandererreichtwerdenkonnte.BeiderAuswahlderProjektmitarbeiterInnenwurdevonBeginnandieStrategieverfolgt,dieZielgruppebereitsaufdieserEbeneeinzubinden.ImIdealfallhattendieMitarbeiterInnennichtnurErfahrunginderJugendarbeit,siestammtenzudemselbstausmigrantischenFamilien.DadurchkonntensiedenZugangzuden

InformationsmesseinInnsbruck,März2007

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55PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

JugendlichenundihrenFamilienverbes-sern,dasVerständnisfürdieProblemlagenoftauseigenerErfahrungaufbringenundnichtzuletztdurchihreMehrsprachigkeitalsBrückenpersoneneingesetztwerden.DamittrugensiewesentlichzumErfolgdesProjektsbei.DerpartizipativeAnsatzwurdenichtnurtheoretischinderPlanungberücksichtigt,sondernganzkonkretdurchdieEinbindungvonJugendlichenindieProjektarbeit(z.B.alsModulassistentInnenundimRahmenderÖffentlichkeitsarbeit)umgesetzt.DassDiversityManagementgeradeineinemzeitlichkurzangesetztenProjekt(22bis24Monate)indertagtäglichArbeitsorganisationebenfallseineHerausforderungdarstellte,sollnichtverschwiegenwerden.JoinInkannjedochrückblickendaufallenEbenenalsgelungenes„workinprogress“bezeichnetwerden.AufstrukturellerEbeneistallenEQUAL-ProjekteneinebesondereSchwie-rigkeitzuEigen:derhoheadministrative

Aufwand.TrotzdergutenZusammenarbeitmitderAbteilungArbeitsmarktförderungdesLandesTirol,demfinanziellverant-wortlichenPartnerderEP,wardersichdarausergebendeAblaufinOrganisation,AbrechnungundDokumentationfürProjekt-partner,MitarbeiterInnen,TeilnehmerInnenundMultiplikatorInnenoftnichtnachvoll-ziehbar.NureinMaximumanTransparenzundKommunikationkonntehierentgegenwirken.EineweitereHürdeergabsichausderhoheZwischenfinanzierungslast.SiewirdzumfastschonunüberwindbarenHindernis,umanProjektlinienwieEQUALteilzuneh-men.DurchdiehohenAnforderungenwarvonBeginnanfürdenGroßteilderTirolerMigrantInnenvereine,diegeradenocheinVereinslokal,jedochkeineEDVodersonstigeInfrastrukturfinanzierenkönnen,eineBeteili-gungalsProjektpartnerunmöglich.

JugendlagerinFiss,Sommer2006

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Laufzeit:Juli2005–2007Partner:AgenturfürArbeitSchweinfurt•ARGELandkreisSchweinfurt•AgenturfürArbeit•DienststelleBadKissingen•ARGELandkreisBadKissingen•Options-kommuneStadtSchweinfurt

ZielvonV.I.T.A.25istes,arbeitslosejungeMenschen–deutscheroderausländischerStaatsbürgerschaft–ausdemgesamtenBezirkderArbeitsagenturSchweinfurtwiederindiewichtigstenSektorenamArbeitsmarkteinzugliedern.SonjaPaltner,eineMitarbei-terinvonV.I.T.A.25dazu:„Für V.I.T.A. 25 ist das oberste Ziel, junge Leute unter 25 wieder in eine Arbeit zu bringen. Die Teil-nehmer haben eine Berufsausbildung oder auch Berufserfahrung und werden dann be-rufsbezogen in unseren Werkstätten für ein Praktikum eingesetzt und anschließend in ein Firmenpraktikum gebracht, das im Endeffekt die Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis bringen soll.“ DieMaßnahmendauernfürje-denTeilnehmermaximal24Wochen.

Ausgangssituation

2005zeigtedieEntwicklungaufdemAr-beitsmarkt,dassdieursprünglicherhoffte,massiveunddauerhafteEntspannungbeiderZielgruppederArbeitslosenbis25Jahregegenwärtignichtabsehbarwar.AuchdurchdenEinsatzeinesJugendsofortprogrammeskonntedasanvisierteZielderSenkungderJugendarbeitslosigkeitundderUnmotiviert-heitnichterreichtwerden.NachdenStatis-tikenderArbeitsagenturSchweinfurtvom

Februar2004wardieZahlderarbeitslosenJugendlichenunter25JahrenseitNovember2003wiederum350Personenaufinsgesamt3.082PersonenimBezirkderAgenturfürAr-beitSchweinfurtgestiegen.HierbeiergabensichfolgendeFallzahlenfürdieeinzelnenGeschäftsstellen:

Hauptagentur Schweinfurt: 960Jugendliche

Geschäftsstelle Bad Kissingen: 810Jugendliche

Geschäftsstelle Bad Neustadt: 595Jugendliche

Geschäftsstelle Hassfurt: 717Jugendliche

AufgrunddieserZahlenwaresdringendnotwendig,fürdieobengenanntenZiel-gruppe,dienochamAnfangihresberuflichenWerdegangesbzw.derUmsetzungihrerbishererreichtenQualifikationenundderKenntnisseihrererlerntenFertigkeitenundFähigkeitensteht,eineöffentliche,alternativePlattformeinzurichten,diedieJugendlichendurchindividuellesCoachingbetreuensollte.AusdiesemGrundwurdedasProjektV.I.T.A.25insLebengerufen,dasseinenTeilneh-mernInnendiesePlattforminFormeinesVermittlungsladensbzw.einesInformations-bistrosanbot.AuchdieArbeitsverwaltungderRegionSchweinfurtbefürworteteinhaltlich,alsauchdieZielgruppebetreffend,einderar-tigesProjekt.

V.I.T.A. 25

56 JUGEND OHNE CHANCE?

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Zugang zu V.I.T.A. 25

DerZugangzuV.I.T.A.25verliefnebenderZuweisungüberdieAgenturfürArbeitoderdieVerwaltungsstellefürSozialhilfeempfän-gerSchweinfurtüberverschiedeneWege.InteressierteJugendlichekonntensichbeiderArbeitsagenturumeinenPlatzimVer-mittlungsladen/Informationsbistrobewerben.DurchMundpropagandavonBesucherInnendesVermittlungsladens/InformationsbistroserfuhrenvielearbeitsloseJugendlichevonV.I.T.A.25.AuchvondenTeilnehmerInnengestalteteWerbunginFormvonFlyern,PlakatenundZeitungsartikelntrugzurPo-pularitätdesProjektsbei.WeitersmachtenörtlichenBildungsträgerundbereitsbeste-hendeProjekte(z.B.Rabe,SchweinfurterBürgerdienst,Zweirad-Werkstatt,Textilwerk-statt,usw.)diearbeitslosenJugendlichenaufV.I.T.A.25aufmerksam.ZudenZugangsvoraussetzungenzähltenArbeitslosengeldbezugbeiderBundesa-genturfürArbeitoderderBezugdesneueingeführtenArbeitslosengeldesII,eineAltersgrenzevonmaximal25Jahren,be-ruflicheErsterfahrungoderabgeschlosseneBerufsausbildung.WeiterssolltendieTeilneh-merInnenüberausreichendeDeutschkennt-nisseundMotivationverfügen.

Projektverlauf nach der Zuweisung

ImVermittlungsladen/InformationsbistrowurdendieTeilnehmerInnendurcheinErst-gesprächindasProjektV.I.T.A.25aufgenom-men.DanachwurdemitdenTeilnehmerInneneineEingliederungsvereinbarunggeschlossen,diedieRechteundPflichtenderVertragspart-nerInnenregelteunddieSchaffungvonVer-bindlichkeiten(ZielvereinbarungzumVerlauf)

beinhaltete.AufgrundderunterschiedlichenWerdegängederTeilnehmerInnenerfolgteeineaufjede/neinzelne/nzugeschnittenePlanungdesProjektablaufes.Dieswarentwe-derdieZuweisungineinBeschäftigungsfeld,VermittlungineinBetriebspraktikumoderauchnurreineBeratungundBetreuungimVermitt-lungsladen/Informationsbistro.

Aktivitäten von V.I.T.A. 25

ImVermittlungsladen/InformationsbistrowurdedenTeilnehmerInnenfolgenderSer-viceangeboten:

nStändigesBeratungsangebotfürdieTeilnehmerInnendesProjektesneinePlattformzurBewerbung/EinmündungindenerstenArbeitsmarkt–TrainingdurchdieSelbstorganisationderPlattform–Prä-sentationvonFirmenmitPersonalbedarfnMöglichkeitfreieStellenanzubieten,Mög-lichkeitnachArbeitsstellenundAusbildungs-stellenzusuchen,MöglichkeitdieeigeneBewerbungauszuhängennMöglichkeitfürOrganisationen,In-stitutionen,Bildungsträgern,etc.,ihrDienstleistungsangebot,Fort-undWeiterbil-dungsangebotauszustellennWarenverkauf(ProdukteausdenWerk-stätten)nBistrobetriebnBewerbungstippsundBewerbungshilfennMöglichkeit,denvirtuellenArbeitsmarktkennenzulernennInformationzumThemaArbeitslosigkeit

NebendenInformationsplattformenVer-mittlungsladen/InformationsbistrowurdeeinNetzwerkausFirmen,Unternehmen,Verei-

5�PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

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58 JUGEND OHNE CHANCE?

nen,ProjektanbieterInnen,Ausbildungsein-richtungenundTeilnehmerInnenaufgebaut.MitdenJugendlichenimProjekttrafensichdieMitarbeiterInnenvonV.I.T.A.25inderRegelalle2bis3Wochenzueinemgemein-samenProjekttag.AndiesenTagenwurden,arbeitsrelevanteThemenbehandelt,Bewer-bungscoachingsabgehaltenunddieerreich-tenFortschritteundauftretendenProblemereflektiert.V.I.T.A.25botQualifizierungsmaßnahmenundZusatzausbildungeninfolgendenBeschäf-tigungsfeldernan:Hotelerie/Gastronomie,BereichMetall,BereichHolz,BereichHaus-wirtschaft(KücheundReinigung),BereichVerkauf,BereichMaßschneider,BereichBüro.IndiesenBereichsolltendieTeilnehmerInnenihrebereitserworbenenFähigkeitenundFer-tigkeitenindenprojekteigenenWerkstättenauffrischenundvertiefen.DieDurchführungdieserTrainingseinheitenerfolgtedurchfach-lichhochqualifiziertesPersonalintechnischgutausgestattetenWerkstätten.EineNeuerungvonV.I.T.A.25wardieindivi-duelleVerweildauerimProjektjenachZiel-vereinbarung.DazuwurdenvonV.I.T.A.25eigeneWerkstätten,sowieeineinternationaleJugendherbergeeingerichtet.DieindividuelleVerweildauerimProjektsetztesichjenachdenBedürfnissenderTeilnehmerInnenva-riabelausfolgendenFaktorenzusammen:TrainingineinemdervonV.I.T.A.25angebo-tenenBeschäftigungsfelder,betrieblicherEin-satzinFormeinesPraktikumsinmöglichstzweiverschiedenenBetrieben,BeratungundBegleitungwährenddesgesamtenProjektesimVermittlungsladen/Informationsbistro.DieGesamtdauerwurdemitmaximal24Wochenbegrenzt.BeieinerfrüherenEinmündungindenArbeitsmarktwarderAustrittausdemProjektjederzeitmöglich.

UmdieVermittlungschancenderTeilneh-merInnenzusätzlichzuerhöhen,bestanddieMöglichkeitdurchdieTrainingsbereicheoderBetriebspraktikabereitsvorhandeneFertigkeitenundKenntnissezuvertiefenoderaufzufrischenbzw.auchneueFertigkeitenundKenntnissezuerwerben.ImVermitt-lungsladen/InformationsbistrowurdendieBetriebspraktikaunddieerworbenenQualifi-kationenausdenTrainingsbereichenaufderVisitenkartehervorgehoben,uminteressiertenBetriebendieTeilnehmerInnenalspotentiellenArbeitnehmerInnenpositivvorzustellen.DievondenTeilnehmerInnengefertigtenProduktewurdenaußerdeminihrenBewerbungsmap-peninFormvonFotosgezeigt.SomithattenalleTeilnehmerInnendieMöglichkeit,sichüberdentäglichenBetriebdesVermittlungsla-dens/Informationsbistroszupräsentieren.EinetwasandererProjekttagwurdeimSom-mer2006durchgeführt.DieJugendlichenerhieltendenAuftrag,diesenTagselbstzuplanenundzuorganisieren.InfolgedessenentwarfendieJugendlicheneigenverantwort-licheineoffizielleEinladungunderstellteneinenTagesablaufplan.Dasbesonderedaranwar,dassdieserSommer-Projekt-Tagim„grünenKlassenzimmer“,alsoineinerParkanlagestattfand.NebenderüblichenReflexionwurdendanngemeinsamFreizeit-aktivitätenunternommen.ZieldiesesProjekt-tageswares,dieTeamfähigkeitzufestigenunddenJugendlichenzuzeigen,dassnebenderArbeitaucheinAusgleichnotwendigist.AußerdemludV.I.T.A.25dieJugendlicheaufExkursionenzuBetriebsbesichtigungenein.DabeiwurdeneinWälzlagerhersteller,einNon-Profit-UnternehmenundeinEDV-Unter-nehmenbesucht.

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5�PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

Resümee

V.I.T.A.25botQualifizierungen,Kompe-tenzfeststellungsverfahrenundArbeitserpro-bungenzurweiterenBerufswegplanung.DieProjektteilnehmerInnennahmendasAngeboteinerAnlaufstelleregean.Beson-dersschätztensiedasindividuelleCoaching,dieunbürokratische,effektive,persönlicheUnterstützunginProblemsituationen,dieServiceleistungenderAnlaufstelle(Bewer-bungstraining,Internetzugang,HilfestellungimUmgangmitBehörden)unddiePraktikainspeziellenBerufsfeldern.EinweitererPluspunktwar,dassdieTeilnehmerInnengezielteQualifizierungenerhielten.AuchnachAusscheidenausdemProjektwerdenderVermittlungsladenunddasInformations-bistrovonvielenTeilnehmerInnenweiterhinalsAnlaufstellezurKlärungvonberuflichenundprivatenProblemengenutzt.Eszeigtesich,dasseinigeTeilnehmerdurchauszurAnnahmeeinerArbeitsstelleimAuslandbe-reitwaren.WichtigwardenTeilnehmerInnendabeidieSicherheit,eineAnlaufstellevorOrtbeiProblemenkontaktierenzukönnen.

Schwierigkeiten im Projektverlauf

EinesdergrößtenProbleme,mitdemV.I.T.A.25konfrontiertwar,warvonAnfangandiespär-licheZuweisungvonTeilnehmerInnendurchdieAgenturfürArbeitSchweinfurtunddieVer-waltungsstellefürSozialhilfeempfängerInnenSchweinfurt.ImLaufedeserstenProjektjahresverbessertesichzwardieZusammenarbeit,einegroßeAnzahlderTeilnehmerInnenkonntejedochnurdurcheigeneAkquisitionundMund-zu-Mund-Propagandaerreichtwerden.EineweitereSchwierigkeitstelltediedeut-scheRegelungfürArbeitsloseunter25Jah-ren(U25)dar.VolljährigeMenschenunter25,dieAnspruchaufdasArbeitslosengeldIIhaben,bildengesetzlichmitihrenElterneineBedarfsgemeinschaftunddieJugendlichensindverpflichtet,beiihrenElternzuwohnen.EineBedürftigkeitwirddahernurinZusam-menhangmitdemEinkommenderElternfestgestellt.DurchdieneueRegelungdesArbeitslosengeldesIIerhieltenvieleJugend-lichewenigerodergarkeinestaatlicheUnter-stützungmehr.DiesbeeinträchtigtenatürlichauchdieKofinanzierungdesProjektes.AusdervorhergenanntenAnzahlvonüber3000arbeitslosenJugendlichenunter25Jah-renimBezirkderArbeitsagenturSchweinfurtbeabsichtigteV.I.T.A.25ursprünglich,durch-schnittlich25JugendlichendieTeilnahmeanV.I.T.A.25zuermöglichen.AufgrunddeserfolgreichenProjektverlaufswurdenletzt-endlichimZeitraumvom1.Juli2005bis31.Jänner2007insgesamt57TeilnehmerInnenbetreut.Davonwarenam31.1.200724Per-sonenwiederindenArbeitsmarkteingeglie-dert,5befandensichnochinAusbildung.LeiderendetdasProjektdefinitivzum30.06.2007undwirdindieserFormnichtweitergeführt.

JugendlicheinderGastronomieausbildung

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60 JUGEND OHNE CHANCE?

Best Practice

Jana, 23 Jahre, ledigGeburtsort:Fjodorowka/KasachstanEinreisenachDeutschland:11/2002Schulbildung:HauptschulabschlussBerufstätigkeit:09/2001–09/2002ArbeiterinbeiderWasserleitungsverwaltunginKasachstanbisherigeSprachkurseinDeutschland:11/2002–06/2003,08/2003–12/2003,12/2003–03/2004,09/2005–12/2005BerufsausbildunginDeutschland:AusbildungzurKöchin;AbbruchwegenSprachdefizitenDauerd.ArbeitslosigkeitvorProjektbeginn:6Monate

Projektverlauf:nindividuelleStärken-/SchwächenanalysenSelbst-undFremdeinschätzungdersprachlichenFähigkeitenanhandgezielterTestverfahrennVermittlungineinPraktikumimJugend-zentrumBadKissingenmitfolgenderZielset-zung:

•Konversationstraining•Kontaktverbesserung,Sozialisierung•ErhaltundTrainingvorhandenerArbeits-

technikendurchMitarbeitimSchülerbistronDieanfänglichenSprachdefiziteführtenzunächstzuProblemsituationen,dieschnellabgebautwurden.nNacherfolgreicherIntegrationimTeamdesJugendzentrumskonnteeinedeutlicheVerbesserungderSprachfähigkeitenerreichtwerden.nJanaabsolviertmomentaneinPraktikumineinemgastronomischenBetriebmitgutenAussichtenaufÜbernahmeineinAusbil-dungsverhältnis.

Roman, 25 Jahre, ledigGeburtsort:Fjodorowka/KasachstanEinreisenachDeutschland:06/1995Schulbildung:QualifizierenderHauptschul-abschlussBerufsausbildunginDeutschland:AusbildungalsKfz-MechanikerBerufstätigkeitinDeutschland:mehrerebe-fristeteArbeitsverhältnissealsArbeiterinderGroßindustriebisherigeSprachkurseinDeutschland:keineDauerd.ArbeitslosigkeitvorProjektbeginn:4Wochen

RomanabsolvierteseineAusbildungzumKfz-MechanikerbeiderBundeswehr.NachderAusbildungwareraufdemregionalenArbeitsmarktindiesemBerufschwerver-mittelbar,daihmdiepraktischenKenntnissefürzivileFahrzeugefehlten.BishernahmRomanerfolglosaneinemTestverfahrenfürBerufssoldatenbeiderBundeswehrteil,dieVerwirklichungeinerZweitausbildungimMetallbereichgestaltetsichausfinanziellenGründenalsschwierig.

Projektverlauf:nPraktikuminderV.I.T.A.25MetallwerkstattzurChancenabklärung.nWährenddesProjekteskristallisiertesichdasBestehendesTestverfahrensfürZivilsol-datenalswichtigstesZielfürRomanherausnBegleitungzueinemerneutenBeratungs-gesprächbeiderWehrdienstberatung.nUnterstützungbeidennotwendigenBe-werbungsformalitätenfürdieBundeswehrnIntensivesTraining/VorbereitenaufdenschriftlichenundpsychologischenTest.nRomanhatdasTestverfahrenerfolgreichbestanden.EristzumJuli2006alsZeitsoldatbeiderBundeswehr.

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61PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

Laufzeit:September2004–Dezember2007Partner:EuropäischerSozialfond•Minis-teriumfürLandwirtschaftundFischerei•StadtverwaltungManteslaJolie•Caissed’Epargne•Cap&Vie•BergerieNationale•ÉtudesetChantiersIledeFrance•CCAS•FNCIVAM

Nationale Aktivitäten

WiebereitsinKapitel„Universalitécontrediversité“ausführlichgeschildert,lebenJu-gendlichemitMigrationshintergundindenfranzösischenVorstädtenunterprekärensozialenundwirtschaftlichenBedingungen.JugendlicheundElternverzweifelnundresignierenangesichtsderschwierigenLebensumstände,zudemwirddieerzie-herischeKompetenzderElternvondenverantwortlichenInstitutionenundderöf-fentlichenMeinungoftmalsnichtanerkannt.DasProjektEQUALCapacitéversuchtnun,unterEinbeziehungderEltern,JugendlichenausdemBanlieueVal-FourréinManteslaJoliePerspektivenaufneueLebensweisenzueröffnenundihregeographischeMobilitätzufördern.EQUALCapacitégingauseinerPartnerschaftderOrganisationenCap&VieausManteslaJolie,BergerieNationaleausRambouillet,ÉtudesetChantiersIledeFrance,CCASausManteslaJolieundFNCI-VAMhervor.ImRahmendesProjektesEQUALCapacitéorganisiertenElternundOrganisationenausdemsozialbenachteiligtenViertelVal-FourréausManteslaJolieAufenthaltebeiländlichenFamilienfürKinderundihreEl-

tern.InderBanlieuevonVal-Fourréleben25.000Menschen,dasGrosvonihnensindMigrantInnen.DadasErlernenvonMobilitätunddasKennenlernenneuerUmgebungenbereitsinderKindheitundJugendbeginnensollten,favorisiertEQUALCapacitéAktivi-täten,dieimKindesalteransetzenunddieJugendlichenbisinsjungeErwachsenenalterbegleiten.Fürdieacht–biszwölfjährigenKinderwurde„UrlaubaufdemBauernhof“angeboten,dievierzehn-bisfünfundzwanzig-jährigenJugendlichenhalfeninWorkcampsmit,historischeBausubstanzzuerhaltenundzurenovieren.EQUALCapacitégingvonderIdeeaus,jeeineFamilieausdenBanlieuesmiteinerFa-milieausdemländlichenRaumzuverknüp-fen.ObwohleszuBeginnschwierigwar,dasVertrauenderElternundJugendlichenzuge-winnen,konntedasanfänglicheMisstrauendurchMitarbeiterInnenvonEQUALCapacité,dieebenfallsausmigrantischenFamilienstammen,baldüberwundenwerden.EsentwickeltesicheinNetzwerkzwischen200FamilienausVal-Fourréundüber100ländlichenFamilien.NebendemProgrammfürKinderundJugendlichewurdenBegeg-nungstagefürdieErwachsenenundWochen-endaufenthaltefürFamilienangeboten,vondeneninsgesamtmehrals200Erwachseneprofitierten.ImRahmendiesesAustauscheszwischenStadtundLandbesuchtendieGastfamilienauchdieFamilienihrerGastkinderindenBan-lieues.DurchgemeinsamesKochen,KonzerteundFeiernentfaltetesicheinregerkulturellerAustauschzwischeneinheimischenländlichenundmigrantischenurbanenFamilien.Prob-

EQUAL Capacité

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leme,diedieseAktivitätenerschwerten,wareneinerseitsdieverfügbareZeitderFamilien–vorallemfürdieFamilienvomLandwaresteilweisesehrschwierig,ihrenHoffüreinigeZeitalleinezulassen–andererseitswaresnichtimmerleicht,diesenkostenintensivenAustauschzufinanzieren.UmdasNetzwerkzwischenStadtundLandzukoordinieren,wurdenverschiedenelokaleOrganisationengegründet.AuchbereitsbestehendeländlicheVereineundOrganisationensowiedieLand-wirtschaftskammerunterstützendieAktivitätenvonEQUALCapacité.Insgesamtnahmenin16Departements,95Bauernhöfeund30UnternehmenandenAktivitätenvonEQUALCapacitéteil.FürdieGastfamilienwarensozialeundökonomischMotiveausschlaggebend:sozialbenachteili-gtenKindernundJugendlichenausdenVor-städtendasLebenunddieArbeitamLandinallseinenFacettennäherzubringen,dieKin-derfürökologischeLandwirtschaftzusensi-bilisieren,dieSolidaritätzwischenländlichenundstädtischenGebieten,verschiedenenKulturenundGenerationenzuverstärken,ihrFamilienlebenzuteilenundsoihreneigenenKinderndenZugangzuanderenKulturenundsozialenSchichtenzueröffnen.BäuerinnengabdieserAustauschzusätzlichnocheinenneuenberuflichenStatus.DasProgrammermöglichtedenBäuerinnenundBauernneueEinkunftsquellenohnegroßeInvestition,bestehendetouristische,thera-peutischeodererzieherischeAktivitätenwur-dendurchdieAufnahmederKinderausdenBanlieuesergänztunderweitert.DankderregionalenPartnerorganisationeninganzFrankreichstandEQUALCapacitéeindichtgeknüpftesNetzwerkzurVerfügung,mitdessenHilfebaldinteressierteBäuerinnenundBauerngefundenwerdenkonnten.Dabei

spieltenauchdieMundpropagandaundAuf-rufeinderregionalenPresseeinewichtigeRolle.BereitschaftundpersönlicheMotiva-tionwarendieausschlaggebendenFaktorenbeiderAuswahlderBäuerinnenundBauern,diesichbereiterklärthatten,JugendlicheausdenVorstädtenaufihrenHöfenaufzuneh-men.DieBäuerinnenundBauernbekameneinemehrtägigeSchulung,diesieaufihreRollealsGastgeberInnenvorbereitensollte.

EQUALCapacitéermöglichtejedesJahr250Urlaubsaufenthalte,imJahr2006wareninsgesamt110WochenanLehrgängenundWorkshopsrealisiertworden.AndemAus-tauschnahmendieGemeindenManteslaJolie,Sartrouville,LesMureaux,ChantelouplesVignesundEcquevillyundmehrerebäuerlicheGebieteinganzFrankreichteil:CantalCorrèze,PoutouCharentes,SeineMaritime,IndreetLoire,Ain,Finistère,Lan-guedocRoussillon,LoireAtlantiqueunddieAuvergne.

JugendlicheausVal-Fourré

62 JUGEND OHNE CHANCE?

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DieAktivitätenvonEQUALCapacitéer-laubtendenKindernundJugendlichendurchdenKontaktmiteinerihnenbisherunbekannten,ländlichenLebensweiseneuePerspektivenzugewinnen.DerVerbleibvie-lerKinderundJugendlicheinsegregierten,ethnischenGemeinschaftenkonnteaufdieseWeiseaufgebrochenwerden.DerBlickauftradierteGeschlechterrollenverändertesichdurchdasKennenlerneneinerneuenArbeits-undRollenverteilung.DieJungenwurdenaufunterhaltsameWeiseangeregt,ihrenAnteilanderHausarbeitzuübernehmen,dasSelbstvertrauenderMädchenwurdege-stärkt,indemsietechnischesKnow-howundKenntnisseinderTierpflegeerwarben.DieWorkcamps,andenendieälterenJugend-lichenteilnahmen,dientenzugleichalsVor-bereitungaufeinzukünftigesArbeitsleben.

Transnationaler Austausch

DieZusammenarbeitmitdeutschen,öster-reichischenundslowakischenPartnerorgani-sationengabdemProjekteineeuropäischeDimension.Seit2005fandenTreffeninÖsterreich,Deutschland,derSlowakeiundFrankreichstatt.DerproduktiveErfahrungs-austauschmachtedreigemeinsameProjektemöglich:

nEineBroschüre,diesichanExpertInnenrichtetunddiespeziellenCharakteristikaderfranzösischenImmigrationspolitikindenBereichenPolitik,BildungundArbeitsmarkterklärt.nEineBroschüre,diejugendlicheMigrant-InnenaufihreAnkunftinFrankreichvorbe-reitet.nEineWebseite,diediegemeinsameArbeitderPartnerorganisationenpräsentiert

AußerdemwurdeeinAustauschvonJu-gendlichenmitÖsterreichorganisiert:SechsfranzösischeJugendliche(dreiJungenunddreiMädchen)nahmenüberdieOrgani-sationenCap&VieunddasCentredeVieSocialedeManteslaJoliesimAugust2006amSommercampindenTirolerBergenteil.ImGegenzugfuhrendreiösterreichischeJu-gendlichenachFrankreichundhalfenbeiderRenovierungderhistorischenBausubstanzimSchlossRambouillet.

Best Practice

EQUALCapacitéerleichtertedenZugangzumArbeitsmarktfürdieJugendlichenausdenBanlieues,vorallemfürMädchen.Es-sentiellesElementwardabeieinNetzwerkvonBekanntschaften,dasumdieElternder

Cap&VieFamilienfest,November2005

63PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE 63PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

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Jugendlichenherumaufgebautwird.DieserBekanntenkreiswirdsystematischdurchdieIdentifizierunggeographischerundprofessi-onellerSektorenerarbeitet,dieArbeitskräftebrauchen.DurchdengesamtenVorganghindurchistdieRollederElterneinerderfürdenErfolgausschlaggebendenFaktoren.Nochmehr:dieVerantwortung,diedenElternindiesemProzessgegebenwird,vergrößertihrSelbstwertgefühlunddenRespektvonSeitenderKinder.DieAnnäherungderGe-nerationenwirdzudemdurchdieTeilnahmevonpensioniertenFreiwilligennochver-stärkt,diealsBegleitpersonenwährendderFerienundWorkcampsfungieren.AuchdieElternfühlensichberuhigter,wennVertrau-enspersonenwährenddieserZeitaufihreKinderaufpassen.DassozialeAnsehenderPensionistInnenwirdgestärkt,sieerhalteneineneueAufgabeunddieMöglichkeit,ihreZeitzumWohleihrerGemeinschafteinzu-setzen.ImSommer2007reistenJugendliche,dieandenvonEQUALCapacitéorganisierten„UrlaubamBauernhof“unddenWorkcampsteilnahmen,ineiner„TourdeFrance“mitdemFahrradvonBauernhofzuBauernhof.DasösterreichischePartnerprojektJoinInbegleitetedieseTourdeFrancederanderenArteinenTeildesWegesmitseinermongo-lischenJurte.Zwischendem6.und30.Julimachtedie„TourdeFrance“aninsgesamt10StoppsinderNormandie,derBreta-gne,inLoire-Atlantique,Poitou-Charentes,Limousin,GardundRhône-AlpesHalt,zwischendenenjeweilseinedrei-bisfünftä-gigeEtappelag.DieJugendlichenkonntensichaussuchen,inwelcher/nEtappensiemitfahrenwollten,jederStoppwurdevonkulturellenAktivitätenderlokalenPartneror-

ganisationenvonEQUALCapacitébegleitetwerden.

Schwierigkeiten

EinedergrößtenHerausforderungfürEQUALCapacitéwares,Hindernissezuidentifizieren,diemitderräumlichenMobilitätderJugendlichenverknüpftsindundihresozialeIntegrationunddenEinstiegindenArbeitsmarkterschweren.ManchmalwarderkulturelleSchock–Umgebung,Lebensweise,Essen–deneinigeKinderundJugendlicheaufdemLanderlebten,sogroß,dasssienachHausezurückkehrten.ImAllgemeinenhalfjedochdieAnwesenheitderPensionis-tInnen,diedieKinderundJugendlichenaufdieBauernhöfebegleiteten,ihneneinGefühlvonSicherheitzuvermitteln.EinProblemganzandererArtwarderim-menseadministrativeAufwand,dendasPro-jektmitsichbrachte,unddersichalseinesdergrößtenHindernisseimProjektverlaufherausstellte.

Resümee

AusgangslageDiesozialeAusgrenzungderFamilienausdenBanlieuesbringtalsFolgeerscheinungeinenerschwertenEintrittderJugendlichenindenArbeitsmarktmitsich.ObwohldieJugendlichenausdenBanlieuesoftgutebisbrillanteschulischeLeistungenerzielen,werdensievonderGesellschaftzurückge-wiesenundstigmatisiert.GleichzeitigwirdihrenElterndieerzieherischeKompetenzabgesprochen.DieGesellschaftverschließtdamitdiesenFamilien–undbesondersdenJugendlichen–vieleTürenzumArbeits-markt.

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Angestrebte LösungenDieBindungenzwischendenGenerationensollenwiederverstärktundGemeinsam-keitenzwischendenBanlieuesundländ-lichenGemeindengefundenwerden.EQUALCapacitéschlägtvor,dieMobilitätderJu-gendlichenderBanlieuesRichtungländlicheZonenundEuropazuverbessern,umneueMöglichkeitenzurpersönlichenundberuf-lichenEntfaltungzugewinnen.DabeistütztsichEQUALCapacitéaufdasInteresseunddieBereitschaftderurbanenFamilien,sichmitdemländlichenMilieuzuvernetzenundauszutauschen.ImGegenzugkonntendieTeilnehmerInnenausdenländlichenRegi-onenihreLiebezumbäuerlichenMetiermitdenJugendlichenteilenundprofitiertenvonderenormenkulturellenVitalitätderBanli-eues,waszurRevitalisierungderländlichenGebietebeitrug.

NachhaltigkeitDieOrganisationCap&VieorganisiertseitsiebenJahreneinenAustauschmit15ver-schiedenenRegionenFrankreichs.Dasaktu-elleProjektzieltdaraufab,dasFunktionierendesNetzwerkesausstädtischenFamilienundGastgeberInnenausdemländlichenBereichzuinstitutionalisieren,zuverstärkenundseinenFortbestandzugarantieren,damitsichdieJugendlichenausdenBanlieuesweiterhinaufdieseStrukturenstützenkön-nen.NotwendigeMaßnahmensindindiesemZusammenhang:

nDieZusammenarbeitzwischenländlichenundstädtischenTeilnehmerInnenzuverstär-ken,umdieKoordinationderAufenthalteundWorkcampszuverbessern.nDieFinanzierungzugewährleistenunddenökonomischen,kulturellenundsozialenBeitragdiesesrural–urbanenAustauscheshöherzuschätzen.nNeueTeilnehmerInnenzumobilisieren(städtischeundländlicheFamilien,Unter-nehmen,VereineundOrganisationen)undihnenzuhelfen,dieErfahrungenvonManteslaJolieauchinanderenStädtenFrankreichsumzusetzen.nDieZusammenarbeitmitSchulenauszu-bauenunddieBeziehungenzudenNetz-werkenderIAE(L‘InsertionparL‘ActivitéEconomique)undderEuropäischenUnionzuverbessern.nJugendlicheberuflichzumobilisierenundsichdabeiauffolgendeNetzwerkezustützen:einNetzwerkausländlichenUnter-nehmen,dasNetzwerkderIAEundeineuro-paweitesNetzwerk,umPraktikainandereneuropäischenLändernzuermöglichen.

Cap&VieFamilienfest,November2005

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Laufzeit:Juni2005–Februar2007Partner:AgentúraPodporovanéhoZamest-návaniaSomotor•IniciatívaSpolocenstva•CharticanoOz

DasHauptzieldesProjekteswares,dieAr-beitslosigkeituntermarginalisiertenGruppenzuverringernundihren(Wieder-)EinstiegindenArbeitsmarktzubegünstigen.InderRegionKošicehandeltessichdabeihauptsächlichumziganeBevölkerung.Em-ployabilityundSelbstbeschäftigungsollendurchgezielteMaßnahmenerhöhtwerden,auchdiesozialeIntegrationsolldurchPro-grammeunterstütztwerden,diespeziellaufdieBedürfnisseundkulturellenCharakteri-stikaderZielgruppezugeschnittenwurden.

ImRahmendesProjekteswurdendreiHaupt-aktivitätendurchgeführt,diejeweilsaufdieBe-dürfnissederziganenZielgruppeeingingen:

nlokaleBerufsberatungszentrenndieSchule„ZweiteChance–ZentrumfürintegrativeAusbildung“nspezifischesTrainingundgenaueVorbe-reitungderAusbildenden

ImLaufedesProjekteswurdenspezielleAusbildungsstrategienfürdieZielgruppeent-wickelt,dieeinlebenslangesLernprogrammbeinhalten.SpezielleLehrpläne,dieaufdieBedürfnissederZielgruppeangepasstsind,sowiespezielleSchulungenfürdieAusbil-dendenwarendieGrundsäulenfürdenEr-folgdesProjektes.

Innovative Maßnahmen

DiesozialeundberuflicheIntegrationwurdedurcheinenneuenAusbildungsansatzgeför-dert.ZusätzlichzuBasisqualifikationen,wur-densozialeFähigkeitenvermittelt,diefürdenErfolgsozialerundberuflicherIntegrationun-erlässlichsind.Jede/rTeilnehmerInwurdein-dividuellbetreutunddasTrainingsprogrammgenauihren/seinenBedürfnissenundFähig-keitenangepasst.Zusätzlichhalfeinmultidis-ziplinäresVorgehen,dieKräfteverschiedenerInstitutionenauflokalerundregionalerEbenezubündeln,umihreMöglichkeitenfürdieKli-entInnenvollauszuschöpfen.EinbesondererSchwerpunktderAusbildungwargezieltesEDV–TrainingunddieverstärkteVermittlungvonMultimedia–Kenntnissen.Einemotivie-rendeUmgebungsolltezuselbständigemArbeitenundaktivemLernenanregen.

Betreuung der KlientInnen

VordemBeginnderAusbildungwurdefürjede/nTeilnehmerIneineigenesBera-tungs–undAusbildungskonzepterstellt.An-handdiesesindividuellenKonzepteswurdendieTeilnehmerInnenspätereinzelnundinGruppenberatenundgeschult.UmspeziellaufdieBedürfnissederZielgruppeeingehenzukönnen,wurdenBeraterInnenundAus-bildendegenauaufdassoziokulturelleProfilihrerzukünftigenKlientInneneingeschult.EinSpezifikumderAusbildunginderSchulederzweitenChancewarunteranderemdasFallenlassenrigiderStrukturen:BeraterInnenundAusbildendefungierteneheralssozialeBegleiterInnen,anstattdastraditionelleLeh-

Spolu to dokázeme – „Schule der zweiten Chance“

66 JUGEND OHNE CHANCE?

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6�PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE

rerInnen–SchülerInnen-Verhältnisaufrechtzuerhalten.DadurchverbessertesichvorallemdieVertrauensbasismitdenjugendlichenTeilnehmerInnenenorm.

Vereinigung nationaler Partner in einer Entwicklungspartnerschaft

Wissen,ErfahrungundHandlungsmöglich-keitendereinzelnenPartnerwurdengezieltzueinerEntwicklungspartnerschaftvereint.DankihrerlangjährigenErfahrungkennensieArbeitsmarktundErfordernissederRegionSomotorgenau.GeeintwerdensiedurchdasgemeinsameZiel,dieArbeitslosigkeitderZielgruppezuverringern.EntscheidungenwurdenaufderBasisgemeinsamerVerant-wortunggetroffen.

Gemeinsame Aktivitäten der Entwicklungspartnerschaft

DienationalenPartnertauschtenInforma-tionenundMethodenaus,führtengemein-sameProjekteundAktivitätendurchundbesuchtendieLänderdereuropäischenPartnerorganisationen.DerAustauschzwischenRomaausderurbanenGegendLuníkIXundderländlichenRegionvonTo-kajkonnteverbessertwerden.TraditionelleFähigkeitenkonntenfürdenEinstiegindenArbeitsmarktgenutztwerden:sovermitteltedieslowakischeRoma-NGO„Chartikano“erfolgreichArbeitsloseinBerufeimtraditi-onellenSchmiedehandwerk.DieMobilitätundUnabhängigkeitvonJugendlichenderZielgruppezwischen16und25Jahrenwurdeerhöht,umeinenEinstiegindenArbeitsmarktzuerleichtern.

HolzwerkstattimRahmenvonSpolutodokázeme

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68 JUGEND OHNE CHANCE?

Anhang

Statistiken zu Österreich

Arbeitslose ausländische Jugendliche in Österreich nach Nationalitäten 2006

Serbien-Montenegro

Mazedonien

Kroatien

Bosnien-Herzegowina

Türkei

Österreich

0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000

Quelle:AMSÖsterreich

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6�ANHANG

Arbeitslose ausländische jugendliche nach Branchen 2006

Sonstiges

Schulabgänger

Erbringungvonsonstigen

Dienstleistungen

Erbringungvonunternehmens-

bezogenenDienstleistungen

Beherbergungs-undGaststättenwesen

Einzelhandel

HerstellungvonNahrungs-undGenussmitteln

0 200 400 600 800 1.000 1.200

Quelle:AMSÖsterreich

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�0 JUGEND OHNE CHANCE?

Statistiken zu Deutschland

Sektoriale Verteilung der türkischen Auszubildenden in Deutschland

Berufssektoren der türkischen Erwerbstätigen bis 24 Jahre

50

45

40

35

30

25

20

15

10

5

0

%

IndustrieundHandel Handwerk FreieBerufe(z.B.: ÖffentlicherDienst ArzthelferIn,RechtsanwaltgehilfIn)

Sektoren

25

20

15

10

5

0

%

ungelernte angelernte FacharbeiterInnenuntereAngestelltemittlereAngestellte Arbeitskräfte Arbeitskräfte

Sektoren

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�1ANHANG

Statistiken zu Frankreich

Beschäftigungsrate nach Geschlecht und Alter 1992 und 2002

Arbeitslosenrate nach Nationalitäten

2002lagdieArbeitslosenrateunterImmigrantInnenbei16,1%,beiderfranzösischenBevölkerunglagsiebei7,2%.Quelle:INSEE

Berufliche Position von Männern zwischen 30 und 59 Jahren und ihren Vätern

Quelle:INSEE

100

80

60

40

20

0 15–24 25–39 40–49 50–59 60Jahre undmehr

15–24 25–39 40–49 50–59 60Jahre undmehr

1992

ImmigrantenNicht-ImmigrantenImmigrantinnenNicht-Immigrantinnen

2002in %

30

25

20

15

10

5

0

in %

ImmigrantInnen

Nicht-ImmigrantInnen

Spanien Italien Portugal Algerien Marokko Tunesien Andere Türkei afrikan.Länder

70

60

50

40

30

20

10

0

in %

BefragtePerson

VaterderbefragtenPerson

Frei- Höhereund Angestellte Arbeiter Frei- HöhereundAngestellte Arbeiterberufliche Mittlere berufliche Mittlere Angestellte Angestellte

BeideElterninFrankreichgeborenBeideElternimAuslandgeboren

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NOTIZEN

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