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Jules Verne Die Blockadebrecher Erzählung ngiyaw eBooks n

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Jules Verne

Die Bloc kadebrecherErzäh lung

ngiyaw eBooksn

Jules Verne (1828-1905)

Die BlockadebrecherLes forceurs de blocus

A. Hart leben Verlag, Wien, Pest, Leip zig, Band 19, 1877.

Über tra gen von Martha Lion.Die Illu stra tio nen stam men von Jules-Descartes Férat (1819-1889).

Die Illu stra tio nen wur den für diese Aus gabe über ar bei tet, die Zei chen set zung wurde bei den

Dia lo gen ange paßt, ein deu tige Feh ler wurden verbessert, einige wenige unglückliche

Formulierungen in der Übertragung geändert.

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Gesetzt in der Baskerville Book.

n

Erstes Capi tel.Die Del phin.

Der erste Fluß, der unter den Rädern eines Damp -

fers schäumte, war der Cly de fluß, und zwar ge -

schah dies im Jahre 1812. Das Boot hieß die Komet

und ver sah mit einer Schnel lig keit von sechs (engl.)

Mei len pro Stunde regel mä ßi gen Dienst zwi schen

Glas gow und Gree nock. Seit jener Zeit sind wohl

über eine Mil lion Stea mer oder Packetboote den

schot ti schen Strom auf- und abge fah ren, und die

Bewoh ner der gro ßen Han dels stadt haben nach ge -

rade Gele gen heit gehabt, sich mit den Wun dern der

Dampf schif fahrt ver traut zu machen.

Trotz dem befand sich am 3. Decem ber 1862 eine

unge heure Volks menge, die aus Rhe dern, Kauf leu -

ten, Arbei tern, See leu ten, Manu fac tu ri sten, Frauen

und Kin dern bestand, in Glas gow auf dem Wege

zum Kel vin-Dock, einem gro ßen Schiffs bau platz,

der den Her ren Tod und Mac Gre gor gehörte. Der

letz tere die ser bei den Namen beweist zur Genüge,

daß auch die berühm te sten Abkömm linge der High -

lan ders unter die Indu striel len gegan gen sind und

die alten Vasal len der ehe ma li gen Clans zu Hüt ten -

ar bei tern gemacht haben.

In Zeit von weni gen Minu ten hat ten die Schau -

lustigen ihr Ziel erreicht, und nun ergoß sich ein

wah rer Men schen strom über die uner meß li chen

Werf ten am rech ten Ufer des Clyde; kein Platz auf

den Kais, keine Wharf mauer, ja nicht ein mal die

Dächer der Maga zine blie ben von Neu gie ri gen un -

be setzt.

Der Grund die ser all ge mei nen Auf re gung war

durch aus keine sel tene Cere mo nie, es sollte ganz

ein fach ein Schiff von Sta pel gelas sen wer den, und

doch konnte man anneh men, daß dies für die Be -

woh ner von Glas gow kein unge wöhn li ches Ereig -

niß sei. War an der Del phin — so hieß das von

den Her ren Tod und Mac Gre gor erbaute Fahr -

zeug — etwas so ganz Beson de res? Offen gestan -

den: nein! es war ein gro ßes Schiff wie andere auch,

von 1500 Ton nen Gehalt, in Eisen blech erbaut, bei

dem alle Ein rich tun gen nur dar auf hin aus lie fen,

eine vor züg li che, schnelle Fahrt zu erzie len; seine

Hoch druck maschine, die aus den Werk stät ten

einer Lan ce field-Schmiede her vor ge gan gen war,

besaß 500 Pfer de kraft und setzte zwei Zwil lings -

schrau ben in Bewe gung, die auf jeder Seite des

Hinterstevens in den dün nen Par tieen des Hin ter -

theils lagen und von ein an der voll kom men unab -

hän gig waren. Es ist dies eine neue Anwen dung

des von Herrn Dud geon aus Mill wal erfun de nen

Systems, das den Schif fen große Schnel lig keit ver -

leiht und ihnen die Mög lich keit gestat tet, auf sehr

beschränk tem Raum zu schwen ken. Was den Tief -

gang der Del phin anbe traf, so waren die sach ver stän -

di gen Beob ach ter dar über einig, daß er sehr gering

sein müsse, und schlos sen dar aus, daß das Schiff

nur für Fahr was ser mitt le rer Tiefe bestimmt sei. All

diese Eigent hüm lich kei ten konn ten jedoch nicht

das all ge meine Inter esse recht fer ti gen, das die Ein -

woh ner schaft von Glas gow an ihm nahm, denn

Alles in Allem genom men, zeich nete sie sich vor vie -

len ande ren Damp fern nicht aus.

War bei ihrem Ablauf viel leicht ein mecha ni sches

Hin der niß zu über win den? Auch das nicht; der

Clyde hatte schon manch Fahr zeug von stär ke rem

Ton nen ge halt in seine Gewäs ser auf ge nom men,

und der Sta pel lauf der Del phin mußte dem nach auf

die aller ge wöhn lich ste Weise von Stat ten gehen.

Als sich die Ebbe bemerk lich machte, wur den die

Vor keh run gen getrof fen, Ham mer schläge fie len im

Tact auf die Keile nie der, die den Schiffs kiel heben

soll ten, ein Zit tern theilte sich schon jetzt dem gan -

zen mas si ven Bau mit; die glei tende Bewe gung

entwic kelte sich mehr und mehr, wurde dann

schnel ler und schnel ler, und in weni gen Augen blik -

ken ver ließ die Del phin den sorg fäl tig ein ge seif ten

Sta pel und tauchte, ringsum wei ßen Gischt auf sprit -

zend, in den Clyde. Sein Hin ter theil stieß gegen

den Schlamm bo den des Flus ses, dann hob sie

sich auf einer rie si gen Woge und hätte, von ihrem

Schwunge fort ge ris sen, an den Kais der Werf ten

von Govan zer schel len kön nen, wären nicht all ihre

Anker zugleich mit furcht ba rem Geräusch hin un ter

gelas sen, und ihr Lauf hier durch gehemmt wor den.

Der Sta pel lauf war voll stän dig gelun gen, und die

Del phin wiegte sich jetzt ruhig auf den Flut hen des

Clyde. Alle Zuschauer klatsch ten dem Fahr zeuge

Bei fall zu, als es von sei nem natür li chen Ele ment

Besitz ergrif fen hatte, und von bei den Ufern er -

schallte ein Hur rah ru fen, das nicht enden wollte.

Wes halb denn aber all dies Geschrei und Bravo -

rufen? Jeden falls wären die Lei den schaft lich sten

unter den Zuschau ern in Ver le gen heit gerat hen,

wenn sie den Grund zu ihrem Enthu si as mus hät ten

ange ben sol len; woher rührte also die beson dere

Theil nahme, die die sem Schiff gezollt wurde?

Ledig lich von dem Geheim niß, das seine Be -

stimmung umhüllte. Nie mand hatte eine Ahnung,

wel cher Art von Han dels ver bin dun gen es die nen

sollte, und wenn man die Grup pen von Neu gie ri -

gen befragt hätte, wären die ver schie den ar tig sten

Ver mut hun gen hier über an den Tag gekom men.

Die Bestun ter rich te ten, oder die es doch zu sein

glaub ten, kamen über ein daß dies Dampf boot in

dem schreck lichen Kriege, der zu jener Zeit die

Vereinigten Staa ten Nord ame ri kas deci mirte, eine

Rolle spie len solle. Zu wei te ren Schlüs sen aber ver -

stie gen auch sie sich nicht, und ob die Del phin ein

Kaper schiff oder zum Trans port bestimmt, ob sie

ein Schiff für die Süd staa ten oder die nord staat li che

Marine war, blieb uner forsch lich.

Die Einen rie fen »Hur rah« und ver si cher ten

Jeden, der es hören wollte, daß die Del phin auf Rech -

nung der Süd staa ten gebaut sei.

»Hip! Hip! Hip!« schrieen wie der Andere und

schwu ren Stein und Bein dar auf, daß nie bis

jetzt ein so schnel les Schiff an den ame ri ka ni schen

Küsten gekreuzt hätte.

Was hier die Menge anzog, war also das Geheim -

niß volle, Unbe kannte; denn um genau zu wis sen,

was man von der Bestim mung der Del phin zu hal ten

habe, hätte man eben Asso cié oder doch zum min -

de sten der intime Freund des Hau ses Vin cent Play -

fair u. Co. in Glas gow sein müs sen.

Letz te res galt als ein rei ches, bedeu ten des und

intel li gen tes Han dels haus, des sen Inha ber von den

soge nann ten Tobacco Lords abstamm ten, die einst

den schön sten Vier tel der Stadt erbaut hat ten und

ihren ange se hen sten, älte sten Fami lien ange hör ten.

Diese inge niö sen Kauf leute hat ten in Folge der

Unions acte die ersten Comp toirs in Glas gow be -

grün det, indem sie einen Han del mit Vir gi nia- und

Mary land-Tabak began nen; sie sam mel ten uner -

meß li ches Ver mö gen und schu fen einen neuen Mit -

tel punkt für den Han dels ver kehr. Bald erho ben

sich auch Spin ner eien und Schmelz hüt ten auf allen

Sei ten der Stadt, und in weni gen Jah ren stieg der

Wohl stand auf den höch sten Punkt; Glas gow war

eine Indu strie und Manu fac tur stadt gewor den.

Das Haus Play fair hatte von dem unter neh men -

den Gei ste sei ner Vor fah ren nichts ver lo ren; noch

immer stürzte es sich in die kühn sten Ope ra tio nen

und hielt die Ehre des eng li schen Hau ses hoch.

Sein jet zi ges Ober haupt war Vin cent Play fair, ein

Mann in den fünf zi ger Jah ren, der bei allen Din gen

wesent lich den prak ti schen und posi ti ven Gesichts -

punkt in’s Auge faßte, aber trotz dem von küh nem

Tem pe ra ment — kurz, ein ech ter Voll blut rhe der.

Nichts, was außer halb der com mer ciel len Fra -

gen lag, ja nicht ein mal die poli ti sche Seite der

Geschäfte, machte Ein druck auf ihn, nichts de sto -

wen iger aber bil de ten Loya li tät und strenge Recht -

lich keit einen Haupt zug sei nes Cha rak ters.

Der Gedanke an den Bau und die Aus rü stung der

Del phin war jedoch nicht sei nem Hirn ent sprun gen,

son dern dankte seine Ent ste hung Herrn James Play -

fair, den wir hier mit die Ehre haben, als den etwa

30-jäh ri gen Nef fen des alten Herrn und einen der

tüch tig sten Skip per der Han dels ma rine vor zu stel -

len.

Als James Play fair sich eines Tages mit sei nem

Onkel in dem Ton tine-Cof fee-Room unter den

Arca den des Stadt saa les befand und dort mit gro -

ßem Eifer die ame ri ka ni schen Zei tun gen stu dirt

hatte, legte er Herrn Vin cent fol gen den, sehr aben -

teu er li chen Plan vor:

»Onkel, wir könn ten in einem Zeit raum von höch -

stens zwei Mona ten zwei Mil lio nen gewin nen.«

»Und was würde der Ein satz sein?« fragte Onkel

Vin cent.

»Ein Schiff mit Ladung.«

»Wei ter nichts?«

»Nun, etwa noch die Haut des Kapi täns und der

Mann schaft, aber das wird nicht mit in Rech nung

gebracht.«

»Diese Erör te rung wäre näher zu erör tern,«

bemerkte Onkel Vin cent, der die sen Pleo nas mus

liebte.

»Alles bereits erör tert!« rief James Play fair. »Hast

Du die Tri bune, den New-York Herald, die Times, den

Enqui rer of Rich mond und die Ame ri can Review gele -

sen?«

»Zwan zig Mal zum Min de sten, lie ber Neffe.«

»Und bist Du auch der Ansicht, daß der Krieg

unter den Ver ei nig ten Staa ten noch lange wäh ren

wird?«

»Noch sehr lange sogar.«

»Du weißt, Onkel, wie sehr diese Kämpfe ganz

Gro ß bri tan nien, beson ders den Han del von Glas -

gow schä dig ten?«

»Und des Spe ciel le ren noch die Inter es sen des

Hau ses Play fair u. Co.,« fügte Onkel Vin cent seuf -

zend hinzu.

»Das ist That sa che,« bestä tigte der junge Kapi tän.

»Es ist das mein täg li cher Ärger, James, und ich

denke mit Schrec ken der com mer ciel len Unglücks -

schläge, die die ser Krieg nach sich zie hen wird.

Nicht, als ob das Haus Play fair schwan ken könnte,

lie ber Neffe, aber seine Cor re spon den ten kön nen

es im Stich las sen. Ach diese Ame ri ka ner! Ob sie

nun Skla ven züch ter oder Abo li tio ni sten sind, mei -

net we gen kön nen sie Alle zum Teu fel fah ren!«

Herr Vin cent Play fair hätte so nicht spre chen

dürfen, weil über all die große Huma ni täts-Prin ci -

pien frage über die per sön li chen Inter es sen die Ober -

hand behal ten muß; man konnte ihm jedoch nicht

Unrecht geben, wenn die rein com mer cielle Seite

der Frage Berücks ich ti gung fand. Der wich tig ste

Stoff des ame ri ka ni schen Export ge schäfts fehlte auf

dem Markte von Glas gow gänz lich; der »Cot ton

Famine« wurde von Tag zu Tage dro hen der, und

Tau sende von Arbei tern sahen sich gezwun gen,

von Almo sen zu leben. Glas gow besitzt 25 000

mecha ni sche Pro fes sio ni sten, die vor dem ame ri ka -

ni schen Kriege 625 000 Meter Baum wolle täg lich,

und das will sagen 50 000 000 Pfund jähr lich span -

nen. Hier nach möge man die indu striel len Stö run -

gen beur thei len, die in der Stadt her vor ge ru fen

wur den, als das Webe ma te rial fast gänz lich aus ging,

stünd lich wur den Fal lis se ments erklärt, in allen

Werk stät ten mußte die Arbeit ein ge stellt wer den,

und unter den nie de ren Schich ten der Bevöl ke rung

wüthe ten Hun gers noth und ver hee rende Krank -

heiten.

Durch den Anblick die ses ent setz li chen Elends

war James Play fair auf sei nen küh nen Plan ge -

kommen.

»Kostet es was es wolle,« sagte er, »ich werde

Baum wolle besor gen.«

Da er aber ebenso wie sein Onkel Vin cent

»Geschäfts mann« war, beschloß er, die Ope ra tion in

Gestalt eines Tausch han dels zu entri ren.

»Onkel Vin cent, soll ich Dir mei nen Gedan ken

näher aus ein an der set zen?«

»Die ses Vor ha ben wäre näher zu erör tern,

James.«

»Wir müs sen erstens ein Schiff von gro ßer Trag -

fähigkeit und schnell stem Gange bauen.«

»Das ginge ja wohl an.«

»Und dann hät ten wir es mit Kriegs mu ni tion,

Lebens mit teln und Klei dungs stüc ken zu be -

frachten.«

»Das würde sich dann schon machen.«

»Ich selbst über nehme den Ober be fehl auf dem

Stea mer, wir lau fen allen Schif fen der nordstaat -

lichen Marine an Schnel lig keit den Rang ab und bre -

chen die Blo kade in einem der süd li chen Häfen.«

»Du könn test Deine Ladung theuer an die Con fö -

der ir ten ver kau fen; sie wer den der glei chen brau -

chen,« sagte der Onkel.

»Ja natür lich, und dann gedenke ich mit einer

Ladung Baum wolle zurück zu kom men …«

»Die sie Dir umsonst geben wer den.«

»Das habe ich mir auch gedacht, Onkel Vin cent;

wird’s gehen?«

»Ja wohl. Wirst Du aber durch kom men?«

»Mit einem guten Schiffe, ja.«

Ich will Dir eins expreß dazu bauen las sen. Aber

wie steht’s mit der Mann schaft?«

»Darum keine Sorge! ich brau che nur so viel

Leute, um manœuvriren zu kön nen; wir wol len die

Nord staat li chen ja nur in ihrem Lauf über ho len

und uns nicht mit ihnen her um schla gen.«

»Über ho len sollt Ihr sie,« erklärte Onkel Vin cent

sehr ent schie den. »Jetzt sage mir aber, James, wel -

chen Punkt der ame ri ka ni schen Küste Du Dir zu

Dei ner Ope ra tion aus er se hen hast.«

»Bis jetzt ist schon die Blo kade von New-Orleans,

Will ming ton und Sav an nah durch bro chen wor -

den, ich mei nest heils denke gera des wegs in Char le s -

ton ein zu zie hen. Kein eng li sches Fahr zeug ist noch

in sein Fahr was ser vor ge drun gen, mit Aus nahme

der ›Ber muda‹ höch stens. Ich werde es genau so

machen wie sie, und wenn mein Schiff gerin gen

Tief gang hat, werde ich einen Weg ein schla gen, auf

dem mir die nord staat li chen Schiffe nicht fol gen

kön nen.«

»Char le ston ist mit Baum wolle voll ge pfropft, das

ist erwie sen,« hub Onkel Vin cent nach einer klei -

nen Pause wie der an. »Man soll sie sogar ver bren -

nen, nur um sie aus dem Wege zu schaf fen.«

»Das hat seine Rich tig keit,« bestä tigte James;

»außer dem ist die Stadt fest umzin gelt, und es fehlt

Beau re gard stark an Muni tion; er wird mir meine

Ladung ohne allen Zwei fel mit Gold auf wie gen.«

»Schön, mein lie ber Neffe, und wann gedenkst

Du abzu fah ren?«

»In sechs bis sie ben Mona ten; ich brau che

lange Nächte, Win ter nächte, um leich ter durch zu -

kom men.«

»Ich will Dir das Schiff zu rech ter Zeit fer tig stel -

len, Neffe.«

»Also abge macht, Onkel?«

»Abge macht.«

»Unter Discre tion?«

»Discre tion — ver steht sich!«

Und fünf Monate nach die ser Unter re dung

wurde ein Stea mer, des sen Bestim mung Nie mand

kannte, von den Werf ten von Kel vin dock abge las -

sen — es war die Del phin.

Zwei tes Capi tel.Anker lich ten.

Die Aus rü stung der Del phin nahm nicht viel Zeit in

Anspruch; ihre Beta ke lung war fer tig, sie mußte

nur noch adju stirt wer den. Die Del phin führte drei

Schoo ner ma sten, und dies war fast als über flüs si ger

Luxus anzu se hen, denn er rech nete nicht auf den

Wind, um den nord staat li chen Kreu zern zu ent -

kom men, son dern nur auf die mäch tige Maschine

in sei nen Sei ten, und er that Recht daran.

Gegen Ende Decem ber wurde die Del phin in der

Bucht des Clyde geprobt, und es war schwer zu

bestim men, ob er den Kapi tän oder den Erbauer

mehr zufrie den stellte. Der neue Stea mer glitt präch -

tig dahin, und das »Patent Log« zeigte eine Schnel lig -

keit von sie ben zehn Mei len in der Stunde, was bis

jetzt weder bei einem eng li schen, fran zö si schen

noch ame ri ka ni schen Schiffe erreicht wor den war.

Bei einem Wett lauf mit den rasche sten Fahr zeu gen,

bei einem Match zur See hätte die Del phin jeden falls

um meh rere Län gen gewon nen.

Am 25. Decem ber sollte die Befrach tung vor sich

gehen, und der Stea mer legte sich zu die sem Zweck

an den Steam-boat-Kai, etwas unter halb der Glas -

gow- Bridge, der letz ten Brüc ke, die vor sei ner Mün -

dung über den Clyde führt. Unge heure Wharfs

waren dort mit Klei der-Maga zi nen, Waf fen und

Muni tion gefüllt, wel che Vor räthe so schnell wie

mög lich in den Rumpf der Del phin über gin gen.

Diese Ladung ver rieth nun frei lich die Bestim mung

des Schif fes, und das Haus Play fair konnte nicht

länger sein Geheim niß ver schwie gen hal ten. Kein

ame ri ka ni scher Kreu zer war gegen wär tig in den

eng li schen Gewäs sern signa li sirt wor den, und da

die Abfahrt der Del phin nahe bevor stand, mußte

doch auch die Mann schaft ange wor ben wer den.

Auch hier bei war es natür lich nöt hig, daß das

Schwei gen gebro chen wurde, denn wenn man die

Leute ein schiffte, mußte man ihnen doch auch ihre

Bestim mung und das Ziel der Reise mit thei len.

Man for derte, daß sie ihre Haut zu Markte tra gen

soll ten, und solch Ver lan gen war nur gerecht fer tigt,

wenn man ihnen rei nen Wein dar über ein ge schenkt

hatte, wie und zu wel chem Zweck.

Die Bestim mung des Schif fes hielt indes sen Nie -

man den von der Reise zurück; der Sold war hoch,

und jedem Manne wurde von vorn her ein ein An -

theil an dem Unter neh men zuge si chert. James

Playfair hatte nur zu wäh len, denn es erschie nen

bewährte, tüch tige See leute in Menge, und man

mußte geste hen, er wählte mit schnel lem Auge und

rich ti gem Ver ständ niß, nach Ver lauf von vier und -

zwan zig Stun den waren die Namen von drei ßig

Matro sen in die Beman nungs li ste ein ge tra gen, die

der Yacht Ihrer aller gnä dig sten Maje stät Ehre ge -

macht haben wür den.

Die Abreise der Del phin wurde auf den 3. Januar

fest ge setzt, und schon am 31. Decem ber war sie

bereit; ihr Rumpf war mit Muni tion und Lebens mit -

teln ange füllt, die Kam mern strotz ten von Koh len,

kurz, Nichts hielt sie mehr zurück.

Am 2. Januar befand sich James Play fair an Bord

und über schaute noch ein mal mit dem Blick eines

Kapi täns sein Schiff, als ein Mann am Hin ter deck

an der Öff nung im Schiffs borde erschien und den

Skip per zu spre chen wünschte. Ein Matrose führte

ihn auf die Brüc ke.

Es war ein kräf ti ger, breit schul ter iger Mensch

mit sehr rot hem Gesicht, hin ter des sen harm lo sem,

fast ein fäl ti gem Aus druck ein gewis ser Fonds von

Schlau heit und Mun ter keit ver bor gen zu sein

schien. Man sah bald, daß er in see män ni schen

Gebräu chen nicht bewan dert war, auch blick te er

um sich wie Jemand, der noch nicht viel auf ein

Schiffs ver deck gekom men ist, trotz dem aber suchte

er sich das Anse hen eines alten See bä ren zu geben,

betrach tete das Takel werk der Del phin und schlen -

derte nach Art der Matro sen.

Als er vor dem Kapi tän stand, sah er ihm fest in’s

Auge und fragte:

»Kapi tän James Play fair?«

»Ja, was wün schest Du von mir?«

»Möchte mich an Bord ein schif fen.«

»Ich habe kei nen Platz mehr. Die Mann schaft ist

voll zäh lig.«

»Ein Mann mehr wird Nichts scha den; im Gegen -

theil.«

»So, meinst Du?« sagte James Play fair, und sah

ihn scharf an.

»Ja, das meine ich,« ant wor tete der Matrose.

»Wer bist Du denn?«

»Ein schlich ter See mann, ein star ker Kerl und ein

ent schlos se ner Kum pan, dafür stehe ich gerade.

Ein paar so kräf tige Arme, wie ich sie Ihnen hier prä -

sen tire, sind an Bord gewiß nicht zu ver ach ten.«

»Es giebt noch mehr Schiffe als die Del phin, und

andere Kapi täne wie James Play fair, warum

kommst Du gerade hier her?«

»Weil ich an Bord der Del phin und unter Kapi tän

James Play fair die nen will.«

»Ich kann Dich nicht brau chen.«

»Einen kräf ti gen Mann kann man immer brau -

chen, wenn ich meine Kräfte ein mal mit drei oder

vier von den Stärk sten Ihrer Mann schaft mes sen

soll …«

»Du gehst ja drauf los!« meinte James Play fair;

»wie heißt Du?«

»Crock ston, zu die nen.«

Der Kapi tän trat einige Schritte zurück, um den

Her ku les, der sich ihm auf so »acht kan tige« Weise

vor stellte, bes ser zu mustern. Hal tung, Wuchs und

matro sen haf tes Anse hen straf ten seine Ansprü che

auf Kraft nicht Lügen; man sah sofort, daß er unge -

wöhn lich stark und zu Allem ent schlos sen war.

»In wel chen Mee ren bist Du gefah ren?« fragte

Play fair.

»So ziem lich über all.«

»Und Du weißt, was die Del phin dort unten zu

thun hat?«

»Darum gerade will ich mit.«

»Nun, Gott straf’ mich, wenn ich mir sol chen Kerl

ent ge hen lasse; frage nach dem Ober steu er mann,

Mr. Mat hew, und laß Dich von ihm ein schrei ben.«

Nach die sen Wor ten erwar tete James Play fair,

daß sein Mann Kehrt machen und sich nach dem

Vor dert heil des Schif fes bege ben würde, aber weit

gefehlt, Crock ston rührte sich nicht von der Stelle.

»Nun, hast Du mich ver stan den?« fragte der

Kapitän.

»Ja wohl, Herr Kapi tän, aber das ist noch nicht

Alles; ich wollte Ihnen noch einen Vor schlag

machen.«

»Ach was! ärgere mich nicht, ich habe keine Zeit,

mich län ger mit Dir auf zu hal ten,« rief James unge -

dul dig.

»Ich werde Sie nicht wei ter auf hal ten, Herr Kapi -

tän, ich wollte Ihnen nur sagen — ich habe einen

Nef fen.«

»Da hat er einen net ten Onkel, das muß wahr

sein!«

»Nun, nun!« begü tigte Crock ston.

»Wirst Du bald zu Ende kom men?« fragte der

Skip per; er war nach ge rade ver drieß lich gewor den.

»Ja, Herr Kapi tän, die Sache ver hält sich so: wenn

man den Onkel nimmt, muß man den Nef fen auch

mit neh men.«

»So, wirk lich?«

»Ja, das macht man gewöhn lich so, Einer geht

nicht ohne den Andern.«

»Erkläre Dich deut li cher; wer und was ist Dein

Neffe?«

»Ja, sehen Sie, Herr Kapi tän, es ist ein jun ger

Mensch von fünf zehn Jah ren, dem ich mein Hand -

werk bei bringe. Er hat recht guten Wil len und wird

gewiß ein mal einen tüch ti gen See mann abge ben.«

»Potz Tau send, Mei ster Crock ston, Du hältst

wohl gar die Del phin für eine Schiffs jun gen schule?«

»Ver ach ten Sie nicht die Schiffs jun gen, Herr Kapi -

tän, es hat ein mal Einen gege ben, aus dem ist der

Admi ral Nel son gewor den, und noch Einen, aus

dem wurde der Admi ral Frank lin.«

»Potz Blitz! Freund, Du könn test mir gefal len.

Bringe Dei nen Nef fen her, aber wenn sein Onkel

solch ein tüch ti ger Kerl nicht ist, wie er vor giebt,

wird er’s mit mir zu thun bekom men. Mach Dich

fort und sei in einer Stunde wie der hier.«

Crock ston ließ sich das nicht zwei Mal sagen, er

grü ßte ziem lich lin kisch und begab sich auf den Kai

zurück. Eine Stunde spä ter traf er mit sei nem Nef -

fen, einem Bürsch chen von vier zehn bis fünf zehn

Jah ren, wie der ein. Der kleine Kerl sah sehr furcht -

sam und erstaunt aus und schien eine ziem lich zarte

Con sti tu tion zu haben, von den kör per li chen Eigen -

schaf ten sei nes Onkels hatte er jeden falls nicht viel

geerbt. Crock ston mußte ihm sogar schon jetzt

Muth ein spre chen:

»Nur immer dreist und mun ter,« raunte er ihm zu,

als sie auf’s Ver deck stie gen, es ist immer noch Zeit

zum Umkeh ren.

»Nein, nein!« rief der Kleine, »Gott bewahre uns

davor!«

Noch an dem sel ben Tage wur den der Matrose

Crock ston nebst sei nem Lehr ling John Stiggs in die

Beman nungs li ste der Del phin ein ge tra gen.

Am fol gen den Mor gen um fünf Uhr waren die

Feuer unter den Kes seln kräf tig geschürt, das Ver -

deck bebte unter den Schwin gun gen des Kes sels,

und der Dampf ent wich zischend durch die Ven tile.

Die Stunde der Abfahrt war gekom men.

Eine Menge Volks drängte sich trotz der frü hen

Tages zeit auf den Kais und auf der Glas gow-Bridge,

um zum letz ten Mal den Stea mer zu grü ßen, und

auch Vin cent Play fair hatte sich ein ge fun den, um

sich von Kapi tän James zu ver ab schie den und ihn

zu umar men; er benahm sich wie ein alter Römer

aus längst ver gan ge ner Zeit; seine heroische Fas -

sung ver ließ ihn kei nen Augen blick, und die bei den

kräf ti gen Küsse, die er sei nem Nef fen rechts und

links auf die Wan gen appli cirte, lie ßen auf eine

große Seele schlie ßen.

»Reise glück lich, James,« lau te ten seine Ab schieds -

worte, »reise schnell und kehre noch schnel ler wie -

der heim. Beson ders aber ver giß nicht, die Situa tion

aus zu nut zen; ver kaufe so theuer wie mög lich und

kaufe bil lig wie der ein; die Ach tung Dei nes Onkels

soll Dir dann gewiß sein.«

Nach die ser letz ten Anemp feh lung, die aller Wahr -

schein lich keit nach dem »Hand buch des per fec ten

Kauf manns« ent lehnt war, trenn ten sich Neffe und

Onkel, und alle Besu cher ver lie ßen das Schiff.

Crock ston und John Stiggs stan den neben ein an -

der auf der Schanz, und der Matrose sagte zu dem

Klei nen:

»Du sollst es sehen, Alles geht präch tig. In zwei

Stun den sind wir auf hoher See, und ich ahne, daß

uns die ganze Reise nach Wunsch gehen wird, nun

wir mit dem Anfang solch gutes Glück gehabt

haben!«

Statt aller Ant wort drück te der Lehr ling sei nem

Onkel die Hand.

James Play fair gab den letz ten Befehl zur Abfahrt.

»Ist vol ler Dampf?« fragte er den Ober steu er -

mann.

»Ja, Herr Kapi tän.«

»Die Anker taue auf win den!«

Das Manœuvre wurde sofort aus ge führt, die

Schrau ben setz ten sich in Bewe gung, die Del phin

ging zwi schen den Schif fen, die im Hafen lagen, hin -

durch und ent schwand bald den Augen der Menge,

die ihr noch mit einem letz ten Hur rah einen Gruß

nach sandte.

Die Fahrt aus dem Clyde ging leicht von Stat ten;

man kann wohl behaup ten, daß die ser Fluß von

Men schen und zwar von Mei ster hand geschaf fen

sei. Seit sech zig Jah ren hat er, Dank den Bag gern

und dem unauf hör li chen Aus schläm men, min de -

stens fünf zehn Fuß an Tiefe gewon nen, und seine

Breite zwi schen den Kais der Stadt ist ver drei facht

wor den. Bald ver lor sich der Wald von Masten und

hohen Schorn stei nen in Rauch und Nebel, das Ge -

räusch der Schmie de häm mer und der Äxte von

den Schiffs werf ten erlosch in der Ferne, und auf

Schiffs bau plätze und Werk stät ten folgten Land häu -

ser, Vil len und Lust schlös ser. Die Del phin mäßigte

jetzt ihre Dampf kraft und machte ihre Evo lu tio nen

zwi schen den Dei chen, die den Fluß höher als seine

Ufer ein däm men und ihm oft nur sehr enges Fahr -

was ser gewäh ren. Es ist dies ein Übel stand, der nur

von gerin ger Bedeu tung ist, da die Tiefe für einen

schiff ba ren Fluß wich ti ger ist, als die Breite. Der

Stea mer glitt, von einem vor züg li chen Loot sen des

Irlän di schen Mee res geführt, ohne Stoc kung zwi -

schen den schwim men den Bojen, den Säu len von

Stein und von »Big gings« dahin, auf deren Spitze

das Fahr was ser durch dort ange brachte Baken

bezeich net wird. Bald kam das Schiff auch über den

Markt flec ken Ren frew hin aus, und nun, am Fuße

der Hügel von Kil pa trick, wurde der Clyde brei ter

und ergoß sich vor der Bucht von Bowling, in

deren Hin ter grund sich die Mün dung des Canals

öff net, der Edin burgh mit Glas gow ver ei nigt.

End lich sah man auch vier hun dert Fuß hoch das

Schloß Dum bar ton, wie es seine vom Nebel halb

ver wisch ten Umrisse von dem Fir ma ment abhob,

und bald dar auf tanz ten und schwank ten die

Schiffe am lin ken Ufer des Hafens unter den von

der Del phin auf ge wühl ten Wogen. Noch einige Mei -

len wei ter, und man kam an Gree nock, der Vater -

stadt von James Watt, vor über. Die Del phin befand

sich nun an der Mün dung des Clyde und an dem

Ein gang des Busens, durch den er seine Was ser in

den Nord ca nal ergießt. Dort ver spürte er die ersten

Wel len be we gun gen des Mee res und fuhr an dem

male risch schö nen Küsten strich der Insel Arran

entlang.

Das Vor ge birge von Can tyre, das sich quer in den

Canal erstreckt, wurde umschifft, und man bekam

die Insel Rat te lin in Sicht; der Lootse begab sich

jetzt in sei ner Scha luppe auf den klei nen Kut ter

zurück, der auf der See kreuzte, und die Del phin,

jetzt wie der der Auto ri tät des Kapi täns unter stellt,

schlug nörd lich von Irland eine von Schif fen weni -

ger fre quen tirte Straße ein und befand sich, nach -

dem ihr die letzte euro päi sche Küste aus dem

Gesicht geschwun den war, allein auf der Höhe des

Mee res.

Drit tes Capi tel.Auf hoher See.

Die Del phin hatte eine gute Beman nung, zwar keine

Kampf ma tro sen oder Enter ma tro sen, aber lau ter

Leute, die gut zu manœuvriren ver stan den; es

waren sämmt lich ent schlos sene Män ner, aber auch

sämmt lich mehr oder weni ger gewinns üch tig; sie

jag ten dem Glück und nicht dem Ruhme nach. Es

lag ihnen äußerst wenig daran, ihre Flagge zu zei -

gen oder gar, sie mit Kano nen schüs sen zu ver thei di -

gen; auch wäre ihnen dies letz tere wohl schwer

gewor den, denn die ganze Artil le rie an Bord be -

stand aus zwei klei nen Dreh bas sen, die nur dazu

geeig net waren, Signale zu geben.

Die Del phin schoß außer or dent lich rasch durch

die Wel len; sie erfüllte auf’s Schön ste alle Hoff nun -

gen ihrer Erbauer wie auch des Kapi täns und hatte

bald die Grenze der bri ti schen Gewäs ser hin ter sich

gelas sen. Übri gens war kein ein zi ges Schiff in Sicht

und die weite Straße des Oce ans voll stän dig frei;

außer dem hätte aber auch kein Fahr zeug der nord -

staat li chen Marine die Del phin unter eng li scher

Flagge angrei fen dür fen, wenn es ihm natür lich

auch frei stand, dem Damp fer zu fol gen und ihn am

Durch bre chen der Blo ka de li nie zu hin dern. Doch

James Play fair hatte, eigens um solch eine Ver fol -

gung zu ver mei den, Alles beim Bau sei nes Schif fes

auf Schnel lig keit berech net und man chen ande ren

Vor zug geop fert, um die sem Haupt ge sichts punkt

gerecht zu wer den.

Für alle Fälle wurde an Bord genaue Wache gehal -

ten, trotz der Kälte befand sich fort wäh rend ein

Mann im Mast werk, der bereit war, das fern ste

Segel, das am Hori zont auf tauchte, zu signa li si ren.

Als der Abend her ein brach, ließ James Play fair

dem Ober steu er mann, Mr. Mat hew, die genaue sten

Instruc tio nen zukom men.

»Las sen Sie Ihre Wachen nicht zu lange auf dem

Mast korbe,« emp fahl er ihm; »die Kälte kann sie

sehr leicht über wäl ti gen und in sol cher Lage ist an

scharfe Beob ach tung nicht zu den ken. Die Leute

müs sen sich häu fig ablö sen.«

»Ganz Ihrer Mei nung, Herr Kapi tän,« stimmte

Mr. Mat hew bei.

»Ich emp fehle Ihnen noch beson ders Crock ston

zu die sem Dienst, der Kerl behaup tet, ein vor züg li -

ches Auge zu haben; wir wol len seine Aus sage auf

die Probe stel len. Über ge ben Sie ihm die Früh wa -

che wäh rend der Mor gen ne bel, und wenn irgend

Etwas vor kom men sollte, benach rich ti gen Sie mich

sofort.«

Nach die sen Wor ten zog sich James Play fair in

seine Cajüte zurück, wäh rend Mr. Mat hew Crock s -

ton kom men ließ und ihm die Befehle des Kapi täns

mit theilte.

»Du wirst Dich mor gen früh um sechs Uhr nach

dem Beob ach tungs po sten auf dem Fock mast bege -

ben.«

Crock ston gab keine eigent li che Ant wort, son -

dern begnügte sich damit, einen Ton, der allen falls

ein affir ma ti ves Grun zen vor stel len konnte, her vor -

zu sto ßen; aber kaum hatte Mr. Mat hew den Rük -

ken gewandt, als er sehr beun ru higt vor sich

hin brummte und schließ lich aus rief:

»Was in aller Welt meint er eigent lich mit sei nem

Fock mast?«

In die sem Augen blick trat der Neffe, John Stiggs,

auf dem Deck zu ihm heran.

»Nun, mein wack rer Crock ston, wie geht Dir’s?«

begann er.

»Nun, es geht nur soso, lala,« erwi derte der On -

kel. »Der Racker von Boot schüt telt sich hin und

her wie ein Hund, der seine Flöhe los wer den will;

mir wird schon ganz schlimm und übel.«

»Armer Freund,« sagte mit lei dig der Lehr ling, in -

dem er Crock ston mit einem dank ba ren Blick

ansah.

»Und wenn ich denke, daß ich bei mei nem Alter

die See krank heit bekomme! Ach, was ich doch

für ein altes Weib bin! Das Alles mag indeß noch

ange hen, davor habe ich keine Bange; es soll aber

irgendwo hier herum soge nannte Fock masten ge -

ben, die mir jetzt zu schaf fen machen …«

»Du guter Crock ston, und das Alles für mich …«

»Und für ihn,« fiel Crock ston ein. »Aber kein

Wort dar über, John; wir wol len unsere Hoff nung

auf Gott set zen, er wird Sie nicht ver las sen.«

Nach die ser Unter re dung bega ben sich John

Stiggs und Crock ston auf den Matro sen po sten zu -

rück, und der See mann schloß seine Augen erst

zum Schlaf, als er sah, daß der junge Lehr ling

ruhig in der engen Cajüte, die ihm ange wie sen war,

schlum merte.

Am andern Mor gen um sechs Uhr erhob sich

Crock ston von sei nem Lager, um den bezeich ne ten

Posten ein zu neh men; er begab sich auf das Ver deck

und erhielt vom Ober steu er mann den Befehl, auf

das Mast werk zu stei gen und genauen Aus guck zu

hal ten.

Der See mann sah zuerst etwas unent schie den

aus, dann aber schien er einen plötz li chen Ent -

schluß zu fas sen, denn er machte eilig Kehrt und

steu erte flott auf das Hin ter theil der Del phin los.

»Heda, wo willst Du hin?« rief der Ober steu er -

mann.

»Natür lich wohin Sie mich schic ken,« ant wor tete

Crock ston.

»Ich habe Dir gesagt, Du sollst auf den Fock mast

gehen.«

»Hm, ja, ich gehe ja schon,« erwi derte der Ma -

trose mit uner schüt ter li cher Ruhe und machte sich

wie der nach dem Deck zimmer zu auf den Weg.

»Höre, Kerl, willst Du mich hier fop pen?« rief

Mr. Mat hew übel gelaunt; »oder gedenkst Du den

Fock mast auf dem Besan mast zu suchen. Du sähst

mir gerade aus wie ein Cock ney, der nichts davon

ver steht, einen Sei sing zu schlin gen oder ein paar

Taue zu splis sen! An Bord von wel cher Schute bist

denn Du gefah ren, alter Freund? Zum Fock mast

sage ich, Du Esel, zum Fock mast.«

Die wache ha ben den Matro sen waren bei den

Wor ten des Ober steu er manns her zu ge eilt und

konn ten sich eines schal len den Geläch ters nicht

erweh ren, als Crock ston, voll stän dig fas sungs los,

wie der nach dem Mit tel deck zurück kam.

»Ja so!« sagte er und schaute am Mast empor, des -

sen Ende sich ganz unsicht bar im Mor gen ne bel ver -

lor. »Ja so! Da oben soll ich hin auf klet tern?«

»Ja,« sagte unge dul dig Mr. Mat hew, »beeile Dich

nur; beim hei li gen Patrik, ein nord staat li ches Schiff

hätte Zeit, sein Bug spriet mit unse rer Take lage zu

verwic keln, ehe die ser Tau ge nichts an sei nen Po -

sten kommt. Nun, wird’s end lich?«

Crock ston sagte kein Wort und schwang sich

müh sam auf die Ver schan zun gen; dann fing er

an, mit aus neh men der Unge schick lichkeit, wie Je -

mand, der nicht weiß, was er mit sei nen Hän den

und Füßen machen soll, die Wan tung zu erklim -

men. Als er end lich am Fock mast ange kom men

war, blieb er, statt sich leicht hin auf zu schwin gen,

unbe weg lich ste hen und klam merte sich krampf -

haft an das Takel werk, wie wenn er vom Schwin del

ergrif fen wäre. Mr. Mat hew erstaunte über eine sol -

che Unbe hol fen heit; das Blut stieg ihm vor Zorn zu

Kopfe, und er befahl Crock ston, sofort wie der auf’s

Ver deck herab zu stei gen.

»Der Kerl ist nie in sei nem Leben Matrose gewe -

sen!« wandte er sich an den Boots mann; »sehen Sie

doch ein mal nach, John ston, was er in sei nem Bün -

del hat.«

Der Boots mann begab sich eilig nach dem Matro -

sen po sten.

Crock ston suchte indes sen mit vie ler Mühe wie -

der her un ter zu kom men, aber er glitt mit einem

Fuße aus und pur zelte unsanft auf’s Ver deck nie der.

»O, Du Süß was ser ma trose! Du unge schick ter Töl -

pel!« rief Mr. Mat hew ihm als Trost zu; »wes halb, in

aller Welt, bist Du an Bord der Del phin gegan gen?

Für einen tüch ti gen See mann giebt sich der Kerl

aus und kann nicht den Fock mast vom Besan mast

unter schei den! Warte, wir wol len ein Wört chen mit

ein an der reden!«

Crock ston erwi derte nichts; er stand, den Buckel

her aus ge kehrt und den Kopf gesenkt, da, wie Je -

mand, der sich dar ein ergiebt, alle Unbill des Schick -

sals auf sich ein stür men zu las sen. Eben jetzt kam

der Boots mann von sei ner Inspi ci rung zurück.

»Dies ist abso lut Alles, was in dem Bün del die -

ses ver damm ten Bau ern zu fin den war; eine Brief -

tasche mit ver däch ti gen Brief schaf ten,« rap por tirte

er.

Mr. Mat hew nahm das Ding an sich und warf

einen Blick auf die Papiere.

»Briefe mit dem Stem pel der Ver ei nig ten Staa ten

von Nord ame rika, sagte er, Mr. Hal li burtt aus Boston!

Ein Abo li tio nist! ein Nord staat li cher … Kerl, Du

bist ein Spion, Du hast Dich an Bord geschli chen,

um uns zu ver rat hen! Nun, warte! wir wol len Dir

Deine Schli che aus trei ben, Du sollst die neun -

schwän zige Katze zu kosten bekom men! Boots -

mann, benach rich ti gen Sie den Kapi tän, und ihr

Ande ren bewacht hier den Schuft.«

Crock ston hatte ein Gesicht gemacht, wie ein ein -

ge fleisch ter Teu fel, als all diese Com pli mente auf

ihn ein stürm ten, aber kein Wort kam über seine Lip -

pen; man hatte ihn an das Gang spill gebun den, so

daß er weder Hände noch Füße regen konnte.

Wenige Minu ten spä ter trat James Play fair aus

seiner Cajüte und kam auf das Mit tel deck zu,

Mr. Mat hew trat ihm sofort ent ge gen und setzte ihn

von dem Gange der gan zen Ange le gen heit in Kennt -

niß.

»Was hast Du dar auf zu erwi dern?« fragte James

Play fair, der nur mit Mühe sei nen Ärger zurück

hielt.

»Nichts,« ant wor tete Crock ston.

»Was hast Du auf mei nem Schiffe thun wol len?«

»Nichts.«

»Was denkst Du, daß ich jetzt mit Dir machen

werde?«

»Nichts.«

»Wer bist Du? — nach die sen Brie fen zu schlie ßen,

ein Ame ri ka ner?«

Crock ston gab keine Ant wort.

»Boots mann, fünf zig Hiebe mit der neun schwän zi -

gen Katze hier die sem Men schen!« rief James

Playfair; »wird die Por tion groß genug sein, Crock s -

ton?«

»Das wird man ja sehen,« ant wor tete der Ma -

trose, ohne eine Miene zu ver zie hen.

»Heran, Ihr da!« com man dirte der Boots mann.

Sofort ent blö ß ten zwei kräf tige Matro sen Crock s -

ton sei ner wol le nen Bluse, ergrif fen das furcht bare

Instru ment und schwan gen es schon, um die Ope ra -

tion zu voll zie hen, als plötz lich der Lehr ling John

Stiggs außer sich und blaß wie der Tod auf das Ver -

deck stürzte.

»Kapi tän, Kapi tän!« rief er.

»Ah so, der Neffe,« bemerkte James Play fair.

»Herr Kapi tän,« schluchzte der Kleine her vor,

nach dem er seine Auf re gung so weit bekämpft

hatte, daß er reden konnte, »las sen Sie Crock ston

nicht schla gen, ich will Alles sagen, was er ver -

schwei gen wollte. Ja, es ist wahr, er ist ein Ameri -

kaner, er und auch ich — wir alle Beide. Wir sind

auch Feinde der Skla ven hal ter, aber Spione sind wir

nicht, Herr Kapi tän, und nichts liegt uns fer ner, als

die Del phin zu ver rat hen und sie den nordstaat -

lichen Schif fen zu über lie fern.«

»Was habt Ihr dann hier zu suchen gehabt?«

fragte der Kapi tän mit stren ger Miene, indem er

den Kna ben von Kopf bis zu Fuß musterte.

Der Kleine zögerte ein wenig mit der Ant wort,

dann sagte er mit fester Stimme:

»»Herr Kapi tän, dürfte ich wohl einige Minu ten

unter vier Augen mit Ihnen spre chen?«

Wäh rend John Stiggs sich zu die ser Bitte ent -

schloß und sie dem Kapi tän vor trug, hatte die ser

ihn fort wäh rend genau beob ach tet, das junge,

sanfte Gesicht des Lehr lings, seine eigent hüm lich

sym pa thi sche Stimme, die Zart heit sei ner Händ -

chen, die sogar unter einer Lage Ruß kennt lich war,

seine gro ßen Augen, deren Erregt heit ihren sanf ten

Aus druck nicht beein träch ti gen konnte, kurz, das

ganze Ensem ble ließ einen Gedan ken in dem Kapi -

tän auf kom men, den er von Minute zu Minute mit

grö ße rer Gewiß heit ver folgte.

Als John Stiggs seine Bitte aus ge spro chen hatte,

schaute Play fair fra gend auf Crock ston, der als

Erwi de rung nur mit den Ach seln zuck te; dann sah

er for schend zu dem Lehr ling hin über, aber die ser

konnte den Blick des Kapi täns nicht ertra gen, denn

er errö thete hef tig und schlug die Augen nie der.

»Kom men Sie,« sagte James Play fair zu ihm.

John Stiggs folgte sei nem hohen Vor ge setz ten

auf’s Hin ter deck, und hier öff nete der Kapi tän die

Thür zu sei ner eige nen Cajüte, stellte sich an den

Ein gang und sagte mit höf lich ein la den der Hand -

bewegung:

»Haben Sie die Güte ein zu tre ten, Miß.«

John Stiggs, der vor her bleich gewe sen war vor

inne rer Erre gung, errö thete bei die ser Anrede über

und über, und zwei große Thrä nen ran nen aus sei -

nen Augen.

»Bitte, beru hi gen Sie sich, Miß,« sagte jetzt James

Play fair mit bei wei tem sanf te rer Stimme, »und thei -

len Sie mir gefäl ligst mit, wel chem Umstande ich

die Ehre ver danke, Sie an Bord zu haben.«

Das junge Mäd chen zögerte einen Augen blick mit

der Ant wort, als aber ein güti ger Blick des Skip pers

ihr neuen Muth ein ge flößt hatte, ent schloß sie sich

zu reden:

»Herr Kapi tän, ich wollte mei nen Vater auf -

suchen, er ist in Char le ston; da aber die Stadt vom

Lande her ein ge schlos sen und von der See aus blo -

kirt ist, war es unmög lich durch zu drin gen, und ich

befand mich nahezu in Ver zweif lung. Da erfuhr ich,

daß die Del phin die Blo kade bre chen wollte, und bot

Alles auf, was in mei nen Kräf ten stand, um mit auf

Ihr Schiff zu kom men. Bitte, ver zei hen Sie mir, daß

ich ohne Ihre Ein wil li gung gehan delt habe, Herr

Kapi tän, aber wenn ich Ihnen mein Ver lan gen offen

dar ge legt hätte, wür den Sie es mir aller Wahr schein -

lich keit nach ver wei gert haben.«

»Gewiß würde ich das,« bestä tigte rück haltlos

James Play fair.

»Dann habe ich also doch wohl daran get han, Sie

nicht darum zu bit ten,« fügte die junge Dame mit

feste rer Stimme hinzu.

Der Kapi tän schlug die Arme über ein an der und

schritt einige Mal in sei ner Cajüte auf und ab,

dann blieb er ste hen und begann von Neuem sein

Ver hör:

»Wie ist ihr Name?«

»Jenny Hal li burtt.«

»Ihr Vater ist, wenn ich aus der Adresse der auf ge -

fan ge nen Briefe schlie ßen darf, aus Boston?«

»Dem nach befin det sich die ser Mann des Nor -

dens in einer Stadt des Südens, im Kriegs ge tüm mel

der Ver ei nig ten Staa ten.«

»Mein Vater ist gegen wär tig Gefan ge ner, Herr

Kapi tän; er hielt sich bei den ersten Flin ten schüs sen

des Bür ger krie ges, und als die Unions trup pen von

den Con fö der ir ten aus Fort Sum ter ver trie ben wur -

den, in Char le ston auf. Die Ansich ten mei nes Va -

ters gaben ihn dem Haß der Skla ven hal ter preis,

und so wurde er auf Befehl des Gene rals Beau re -

gard gegen alles Völ ker recht in Char le ston ein ge -

ker kert. Was mich betrifft, so befand ich mich

da mals in Eng land bei einer alten Ver wand ten, die

vor Kur zem aber gestor ben ist, und so war es jetzt

mein sehn lich ster Wunsch, mit dem Bei stand des

treue sten Die ners unse rer Fami lie nach Char le ston

zu gelan gen, um dort die Ker ker haft mit mei nem

Vater zu thei len.«

»Und wer ist Mr. Hal li burtt?« fragte James Play -

fair.

»Mein Vater ist ein loya ler, bra ver Jour na list,« ant -

wor tete Jenny, indem sie ihr Auge stolz erhob, einer

der ehren wert he sten Redac teure der Tri bune und

uner schroc kener Ver thei di ger der Schwar zen.«

»Ein Abo li tio nist also!« rief der Kapi tän hef tig;

»einer von den Män nern die unter edel klin gen dem

Vor wande ihr Vater land mit Rui nen bedeckt und

mit Blut gedüngt haben.«

»Herr Kapi tän, Sie beschimp fen mei nen Vater!«

erwi derte Jenny Hal li burtt erblei chend, »ver ges sen

Sie nicht, daß nur ich ihn hier ver thei di gen kann.«

Eine hohe Röthe stieg dem jun gen Kapi tän in die

Wan gen, und ein Gefühl der Scham, aber auch des

Zor nes bemäch tigte sich sei ner. Viel leicht schwebte

ihm schon eine harte Erwi de rung auf der Zunge,

aber er beherrschte sich noch zu rech ter Zeit und

ging, indem er das Gespräch abbrach, nach der

Thür sei ner Cajüte und öff nete sie.

»Boots mann!« rief er hin aus.

Die ser eilte sogleich her bei.

»Diese Cajüte gehört von jetzt an Miß Jenny Hal -

li burtt; sor gen Sie dafür, daß mir eine Hän ge -

matte im Hin ter grund des Deck aufbaues

ein ge rich tet wird; wei te res ist für mich nicht von

Nöt hen.«

Der Boots mann schaute über rascht auf den jun -

gen Lehr ling, der ihm soeben unter weib li chem

Namen vor ge stellt war; aber auf ein Zei chen James

Playfair’s ent fernte er sich sofort.

»Und nun, Miß, haben Sie die Güte, sich hier als

zu Hause anzu se hen,« sagte der junge Kapi tän der

Del phin, machte Fräu lein Jenny Hal li burtt eine Ver -

beu gung und zog sich zurück.

Vier tes Capi tel.Crockston’s Bos hei ten.

Bald war die ganze Mann schaft in Miß Halliburtt’s

Geschichte ein ge weiht, denn Crock ston nahm kei -

nen Anstand, sie über all zu erzäh len. Er war auf

Befehl des Kapi täns vom Gang spill los ge bun den

wor den und hatte mit gro ßer Befrie di gung gese hen,

wie die neun schwän zige Katze wie der in ihre Behau -

sung zurück kroch.

»Ein net tes Thier chen,« meinte er »— beson ders

wenn es schläft.«

Sobald der treue Die ner wie der auf freien Fuß

gesetzt war, stieg er in die Matro sen kam mer hin -

ab, nahm ein klei nes Fell ei sen und über brachte es

Miß Jenny; das junge Mäd chen konnte nun wie der

Frau en klei der anle gen, blieb aber heute den gan zen

Tag in ihrer Cajüte ein ge schlos sen und erschien

nicht wie der auf Deck.

Was Crockston’s See manns dien ste anbe traf, so

war es an den Tag gekom men, daß er nicht mehr

davon ver stand, als der erste beste Stall knecht; man

mußte wohl oder übel dar auf ver zich ten, daß er

sich an Bord nütz lich machte.

Indes sen durch dampfte die Del phin mit gro ßer

Schnel lig keit den Atlan ti schen Ocean; seine bei den

Schrau ben durch wühl ten die Flut hen mit unge heu -

rer Macht, und die Wache an Bord wurde mit

großer Vor sicht und Auf merk sam keit ver se hen.

Am Tage nach der geschil der ten Scene, die das

Incog nito der Miß Jenny ver rieth, ging Kapi tän

James Play fair schnel len Schrit tes auf der Brüc ke

auf und ab. Er hatte kei nen Ver such gemacht,

sich dem jungen Mäd chen wie der zu nähern, oder

die Unter hal tung vom vori gen Tage mit ihr wie der

auf zu neh men.

Wäh rend sei nes Spa zier gangs bemerkte er, daß

Crock ston ihm wie der und immer wie der in den

Weg kam und ihn mit einer Gri masse unver -

kennbarer Befrie di gung angrin ste. Augen schein lich

wünschte er mit dem Kapi tän zu plau dern, denn er

zeigte eine Beharr lich keit ihn anzu star ren, die die -

sen end lich ver droß.

»Was, zum Teu fel, willst Du von mir?« redete er

ihn end lich an; »der Kerl dreht sich um mich

herum, wie ein Schwim mer um die Boje! was soll

das hei ßen?«

»Neh men Sie’s nicht für ungut, Herr Kapi tän,«

sagte Crock ston blin zelnd und zog sei nen Mund

von einem Ohr bis zum andern, »ich hätte Ihnen

wohl etwas zu sagen.«

»Nun wird’s bald?«

»O, Herr Kapi tän, es ist nichts Beson de res; ich

wollte Ihnen nur ein mal rund her aus sagen, daß Sie

im Grunde ein wackerer Mann sind.«

»So! warum denn im Grunde?«

»Im Grunde und auch auf der Ober flä che, Herr

Kapi tän.«

»Es ist gut, Du kannst Dir Deine Com pli mente

spa ren.«

»Keine Com pli mente, Herr Kapi tän; die werde

ich Ihnen erst machen, wenn Sie Alles fer tig ge -

bracht haben.«

»Wie denn ›Alles fer tig‹?«

»Nun, wenn Ihre Auf gabe zu Ende ist, meine ich,

Herr Kapi tän.«

»So! ich hätte also eine Auf gabe zu erle di gen?«

»Natür lich, Herr Kapi tän! Sie haben mich und

das Fräu lein an Bord auf ge nom men — gut. Sie

haben Miß Hal li burtt Ihre Cajüte gege ben — gut,

sehr gut! Sie haben mir das Kätz chen ge schenkt —

sehr ange nehm, ganz aus ge zeich net, Herr Kapi tän!

Sie wol len uns direct nach Char le ston fah ren! das

ist herr lich! aber Alles ist das doch nicht, Herr

Kapitän.«

»Wie, noch nicht Alles?« rief James Play fair, über

solch anspruchs vol les Gebah ren erstaunt.

»Gewiß nicht, Herr Kapi tän,« ent geg nete Crock s -

ton mit sei nem listi gen Blin zeln; »der Vater von

Fräu lein Jenny wird da unten gefan gen gehal ten.«

»Nun, und?« …

»Nun, und wir müs sen doch den Vater befreien.«

»Den Vater der Miß Hal li burtt soll ich befreien?«

»Gewiß, Herr Kapi tän; ein ehren wert her Mann,

ein mut hi ger Bür ger, unser Herr Hal li burtt? es

lohnt schon, daß man für ihn Etwas ris kirt.«

»Höre Crock ston,« sagte James Play fair nach

einer klei nen Pause, »Du scheinst mir ein Spaß -

vogel erster Sorte zu sein! aber wenn ich Dir rat hen

soll, so merke Dir ein für alle Mal: ich habe keine

Lust, mit Dir meine Scherze zu machen.«

»Sol len Sie auch nicht, Herr Kapi tän, ich spre che

im voll sten Ernst. Mein Vor schlag mag Ihnen zu -

erst wohl abge schmackt schei nen, aber wenn Sie

sich Alles über legt haben, wer den Sie zu der An -

sicht kom men, daß Sie nicht anders han deln

können.«

»Du behaup test also, ich müßte Mr. Hal li burtt

befreien?«

»Gewiß, Herr Kapi tän; Sie wer den von Gene ral

Beau re gard seine Frei las sung for dern, und er wird

sie Ihnen nicht ver wei gern.«

»Und wenn er sie mir nun ver wei gert?«

Diese Quer frage des Kapi täns setzte Crock ston

kei nen Augen blick in Ver le gen heit:

»Dann wen den wir eben ein Kraft mit tel an,«

meinte er, ohne sich zu besin nen, »und ent füh -

ren den Con fö der ir ten ihren Gefan ge nen vor der

Nase.«

»So?« rief James Play fair, empört über diese Zu -

mut hung; »nicht genug, daß ich durch die nord -

staat li che Flotte dringe und die Blo kade von

Char le ston bre che, soll ich auch noch unter den

Kano nen schüs sen der Forts wie der meine Rück -

reise antre ten, und das Alles wes halb? Um einen

mir wild frem den Herrn, einen Abo li tio ni sten, den

ich ver ab scheue, zu befreien, einen Feder fuch ser,

der sich damit begnügt, Tinte zu ver sprit zen, statt

sein Blut für’s Vater land zu ver gie ßen!«

»Ein Kano nen schuß mehr oder weni ger wird der

Del phin nichts scha den, Herr Kapi tän,« bemerkte

Crock ston.

»Ver stehe mich recht, Mei ster Crock ston,« sagte

jetzt Play fair: »Unter stehe Du Dich noch ein mal,

mir von die ser Geschichte zu spre chen, so schic ke

ich Dich für die ganze Dauer der Fahrt in den unter -

sten Schiffs raum; dort kannst Du ler nen, Deine

Zunge bes ser im Zaum zu hal ten.«

Der Ame ri ka ner machte sich eiligst aus dem

Staube, mur melte aber, als er eine Strec ke ent fernt

war, ver gnügt vor sich hin:

»Ich bin durch aus nicht unzu frie den mit die ser

Unter hal tung! Die Sache ist jetzt ein ge fä delt und

wird sich machen!«

Als James Play fair von einem Abo li tio ni sten, den

er ver ab scheue, gespro chen hatte, war seine Zunge,

wie man wohl zu sagen pflegt, mit ihm durch ge gan -

gen. Er war nichts weni ger als ein Anhän ger der

Skla ve rei, aber er mochte nicht zuge ste hen, daß

die Skla ven frage die vor wie gende in dem Bür ger -

kriege der Ver ei nig ten Staa ten sei, trotz dem Prä si -

dent Lincoln dies in den for mell sten Ausdrüc ken

erklärt hatte. Behaup tete er viel leicht, daß die Süd -

staa ten — acht gegen sechs und drei ßig — prin ci piell

Recht hat ten, sich abzu son dern, da sie sich doch

frei wil lig dem Bun des staat ange schlos sen hat ten?

Auch das nicht; er war gegen die Män ner des Nor -

dens ein ge nom men, und zwar weil sie, ehe ma lige

Brü der, sich von der gemein sa men Fami lie los ge ris -

sen hat ten, eigent lich Eng län der, die eben nur für

gut befun den hat ten zu thun, was er, James Playfair,

jetzt bei den con fö der ir ten Staa ten bil ligte. So weit

die poli ti schen Ansich ten des Kapi täns, vor allen

Din gen aber war ihm der ame ri ka ni sche Krieg per -

sön lich lästig, und er hegte ein Gefühl der Erbit te -

rung gegen Die jen igen, von denen er aus ging. Nach

alle dem begreift man wohl, wes halb James Play fair

den Vor schlag, einen Ver thei di ger der Skla ven zu

befreien und gegen die Con fö der ir ten, seine Han -

dels freunde, zu agi ren, mit sol cher Indig na tion auf -

nahm.

Gleich wohl konnte er sich die Insi nua tio nen

Crockston’s nicht ganz aus dem Sinn schla gen, und

als Miß Jenny am fol gen den Mor gen ein wenig auf

das Ver deck kam, konnte er ihr nicht gerade in das

Gesicht schauen.

Und abge se hen von allem Andern, war das

schade, denn das junge Mäd chen sah mit ihrem

hüb schen blon den Haar und dem sanf ten, ver stän -

di gen Blick so lieb lich aus, daß sie immer hin einen

wohl ge fäl li gen Blick von dem drei ßig jäh ri gen jun -

gen Mann ver dient hätte. Aber James konnte sich

in ihrer Gegen wart einer gewis sen Ver le gen heit

nicht erweh ren; er fühlte, daß sie eine große, edel -

müt hige Seele besaß, die in der Schule des Un -

glücks gereist war, und begriff, daß sein Schwei gen

dem jun gen Mäd chen gegen über die Ver wei ge rung

ihrer lieb sten Wün sche bedeu tete. Was Miß Jenny

anbe traf, so suchte sie den Kapi tän weder auf, noch

ver mied sie ihn; doch kam sie wäh rend der ersten

Tage über haupt sehr wenig aus ihrer Cajüte her aus

und wäre wohl nie auf den Gedan ken gekom men,

James Play fair anzu re den, hätte nicht Crock ston

eine Kriegs list erson nen, um die bei den Par teien ein -

an der zu nähern.

Der wür dige Ame ri ka ner war, wie schon er -

wähnt, ein treuer Die ner der Fami lie Hal li burtt; er

hatte von Jugend auf im Hause sei nes Herrn gelebt

und war ihm und der Fami lie des sel ben gren zen los

erge ben. Ver stand und Muth waren sei nem Gei ste

in eben so hohem Maße eigen, wie sei nem Kör per

die Kraft; außer dem wohnte ihm eine gewisse Ela -

sti ci tät bei, die ihn die Ereig nisse die ses Lebens mit

einer beson dern Phi lo so phie anschauen ließ und

die Ent mut hi gung von vorn her ein aus sei nem

Geistesleben ver bannte. Selbst den ungün stig sten

Con junctu ren pflegte Crock ston noch eine gute

Seite abzu ge win nen, und über all wußte er sich aus

der Affaire zu zie hen.

Die ser Mann nun hatte es sich in den Kopf

gesetzt, Mr. Hal li burtt zu befreien, zu sei ner Ret -

tung die Del phin und Kapi tän Play fair zu benut zen

und dann nach Eng land zurück zukehren. So dachte

er, wenn auch das junge Mäd chen kei nen andern

Zweck hatte, als ihren Vater auf zu su chen und seine

Gefan gen schaft zu thei len. Crock ston hatte des halb

den Plan gefaßt, den Kapi tän ent schie de ner in die

Ange le gen heit zu ver flech ten, und wie wir bereits

gese hen haben, eine erste Salve bereits abge feu ert,

frei lich bis jetzt ohne den gewünsch ten Erfolg.

»Miß Jenny und der Kapi tän müs sen sich durch -

aus ver stän di gen,« brummte er vor sich hin; »wenn

sie wäh rend der gan zen Fahrt in die ser Weise mit

ein an der schmol len, kann nichts aus mei nem Plan

wer den. Spre chen müs sen sie und mit ein an der dis -

cu ti ren und strei ten; vor allen Din gen aber muß er

mit ihr plau dern, und ich will mich hän gen las sen,

wenn James Play fair nicht im Lauf der Unter hal -

tung dazu kommt, selbst das vor zu schla gen, was er

mir ver wei gert hat.«

Als aber Crock ston sah, daß Jenny und Play fair

sich gegen sei tig aus dem Wege gin gen und ver mie -

den, gerieth er mehr und mehr in Ver le gen heit.

»Wie wär’s, wenn man die Sache for cirte?« fragte

er sich. Und am Mor gen des vier ten Tages trat er

selbst zu frie den lächelnd und sich die Hände rei -

bend in die Cajüte von Miß Hal li burtt.

»Gute Nach richt, Miß, gute Nach richt! Wenn Sie

wüß ten, was der Kapi tän soeben mit mir für Pläne

geschmie det hat! Wirk lich ein sehr vor treff li cher

jun ger Mann, sehr brav, wirk lich!«

»Wie,« rief Jenny, »deren Herz hef tig zu klop fen

begann, er hat mit Dir über unsere Ange le gen hei -

ten gespro chen und mit Dir Pläne gemacht?« …

»Mr. Hal li burtt zu befreien, ihn den Con fö der ir -

ten zu ent füh ren und dann mit ihm nach Eng land

über zu set zen.«

»Ist das wirk lich wahr?«« rief Jenny aus.

»Wie ich Ihnen schon sagte, Miß; ein edles Herz,

die ser Kapi tän Play fair! Aber so sind die Eng län der,

ent we der ganz gut oder ganz schlecht. Nun, auf

meine Dank bar keit kann er rech nen, ich würde

mich von jetzt an für ihn in Stüc ke hauen las sen,

wenn er’s wün schen sollte.«

Jenny war innig erfreut, als sie Crock ston so

reden hörte. Sie hätte nie gewagt, einen Plan zur

Befrei ung ihres Vaters zu machen, und jetzt wollte

gar der Kapi tän der Del phin sein herr li ches Schiff

nebst Mann schaft auf’s Spiel set zen, um ihr dazu

behilf lich zu sein!

»Ja, so ist er,« fügte Crock ston noch schließ lich

hinzu, »und ich dächte, Miß Jenny, solch Beneh men

wäre schon einen Dank von Ihrer Seite werth.«

»O mehr, viel mehr als mei nen Dank,« rief das

junge Mäd chen begei stert! »meine Ver eh rung und

Freund schaft für immer!«

Und sie ver ließ sofort die Cajüte, um James Play -

fair auf zu su chen und ihn ihrer über quel len den

Gefühle zu ver si chern.

»Nun ist die Kugel im Rol len,« mur melte der Ame -

ri ka ner, »wir wol len hof fen, daß sie schnel ler und

schnel ler läuft und end lich am Ziel ankommt.«

James Play fair ging Nichts ahnend auf den Deck -

zimmern spa zie ren und war nicht wenig über rascht

und erstaunt, als er das Fräu lein in tie fer Bewe gung,

thrä nen den Auges auf sich zukom men sah. Sie

streck te ihm sogleich ihre Hand ent ge gen und rief,

indem sie ihn voll und dank bar anschaute:

»Wie innig danke ich Ihnen, Herr Kapi tän, für

Ihren Edel muth gegen mich, eine Fremde, die sol -

che Auf op fe rung nie erwar tet haben würde.«

James Play fair machte ein Gesicht, wie Jemand,

der nicht begrei fen kann, um was es sich han delt.

»Ich weiß wirk lich nicht, Miß …« begann er.

»O doch! Herr Kapi tän,« rief Jenny; »Sie wol len

mei net wil len so vie len Gefah ren Trotz bie ten, viel -

leicht gar Ihr eige nes Inter esse schä di gen und ha -

ben doch schon so viel für mich get han, indem Sie

mir auf Ihrem Schiffe eine Gast lich keit gewähr ten,

auf die ich nicht im Min de sten ein Recht hatte.«

»Ver zei hen Sie, Miß Jenny,« nahm jetzt James

Playfair das Wort, »ich ver si chere Ihnen, daß ich

Ihre Worte nicht ver stehe; ich habe mich gegen

Sie benom men, wie sich jeder wohl er zo gene Mann

gegen eine Dame beneh men würde, aber meine

Hand lungs weise ver dient weder so viel Erkennt lich -

keit, noch irgend wel che Dank sa gun gen.«

»Herr Play fair,« sprach Jenny in unerschütter -

lichem Glau ben an ihre Sache, »Sie suchen ver geb -

lich, sich mei nem Dank noch län ger zu ent zie hen;

Crock ston hat mir bereits Alles mit get heilt.«

»Ah so!« sagte Kapi tän Play fair ein wenig ge -

dehnt, »Crock ston hat Ihnen Alles mit get heilt?

Aber dann begreife ich, offen gestan den, noch viel

weni ger, was Sie aus Ihrer Cajüte her vor ge lockt

hat, um mich Worte hören zu las sen, die …«

Als der junge Mann so sprach, war er in nicht

gerin ger Ver le gen heit; er erin nerte sich noch sehr

genau an die bru tale Art und Weise, mit der er den

Ame ri ka ner abge wie sen hatte, aber Jenny ließ ihm

zum Glück keine Zeit, sich wei ter zu erklä ren, und

unter brach ihn mit den Wor ten:

»Herr James, ich hatte von vorn her ein nur die

Absicht, nach Char le ston zu rei sen, und hoffte, daß

die Skla ven hal ter dort, so grau sam sie auch sein

mögen, mir nicht ver wei gern wür den, das Gefäng -

niß mit mei nem Vater zu thei len.

Auf eine mög li che Rück kehr nach Eng land hätte

ich nie gehofft; da aber Ihr Edel muth so weit geht,

daß Sie mei nen armen gefan ge nen Vater befreien

und Alles zu sei ner Ret tung ver su chen wol len,

seien Sie mei ner auf rich tig sten Dank bar keit ver si -

chert und gestat ten sie mir, Ihnen die Hand zu rei -

chen.«

James wußte nicht, was er zu alle dem sagen, wie

er sich dabei beneh men sollte; er biß sich auf die

Lip pen und wagte die Hand des jun gen Mäd chens

nicht anzu neh men. Natür lich sah er, daß Crock ston

ihn »com pro mit tirt« hatte, um ihm den Rück zug

abzu schnei den, und doch kam es ihm nicht in den

Sinn, sich in eine so böse Geschichte, wie die Be -

freiung Mr. Halliburtt’s füg lich wer den konnte, zu

verwic keln.

Ander er seits konnte er sich nicht ent schlie ßen,

die Hoff nun gen, die das arme Mäd chen gefaßt

hatte, mit grau sa mem Schlage zu ver nich ten; wie

konnte er die sen Hän de druck ableh nen, den sie

ihm in so herz li chem Freund schafts ge fühl zuge -

dacht hatte? Er brachte es nicht über das Herz, die

Thrä nen der Dank bar keit, die jetzt ihren Augen ent -

ström ten, in Thrä nen der Scham und des Schmer -

zes zu wan deln.

So ver suchte denn der junge Mann, aus wei chend

zu ant wor ten und sich die Frei heit sei ner Hand -

lungs weise für die Zukunft vor zu be hal ten.

»Miß Jenny,« begann er und nahm ihre kleine

Hand in die seine, »glau ben Sie mir, daß ich thun

werde, was in mei nen Kräf ten steht, um …«

Aber bei dem sanf ten Druck ihres Händ chens

fühlte er, wie sein Herz weich wurde und seine

Gedan ken sich ver wirr ten; die Worte, um auszu -

drüc ken, was er sagen wollte, fehl ten ihm in die sem

Augen blick, und er stam melte nur unbe stimmte

Ausdrüc ke, wie:

»Miß … Miß Jenny … für Sie …«

Der Ame ri ka ner hatte unter des sen von ferne

gestan den und die Bei den beob ach tet; jetzt rieb er

sich die Hände und brummte vor sich hin:

»Es wird etwas! wahr haf tig, es wird etwas! Ich

glaube bei nahe, es ist schon was gewor den!«

Wie sich James Play fair aus die ser ver le ge nen

Situa tion ohne jeden Zwi schen fall her aus ge hol fen

haben würde, ist wohl eine schwer zu ent schei -

dende Frage; aber zum Glück für ihn, wenn auch

nicht für sein Schiff, ließ sich in die sem Augen blick

die Stimme des Matro sen vom Mast korbe ver neh -

men:

»He! Offi cier von der Wache!«

»Was giebt’s?« fragte Mr. Mat hew.

»Ein Segel vor dem Winde!«

James Play fair ver ab schie dete sich eilig von dem

jun gen Mäd chen und stürzte in die Wan tung des

Besan ma stes.

Fünf tes Capi tel.Die Kugeln des Iro ke sen und Miß Jenny’s

Beweis gründe.

Die Reise der Del phin war bis jetzt sehr glück lich

und mit stau nens wert her Schnel lig keit von Stat ten

gegan gen, es war dies das erste Schiff, das sich in

Sicht zeigte und von der Wache signa li sirt wurde.

Die Del phin befand sich gerade unter 32° 15’ Breite

und 57° 43’ Länge westl. von dem Meri dian von

Green wich, sie hatte also bereits drei Fünf tel ihrer

Fahrt zurück gelegt. Seit acht und vier zig Stun den

bedeck te ein Nebel, der jetzt zu stei gen begann, die

Was ser des Oce ans; wenn die Del phin auch ihrer -

seits von die sem Nebel begün stigt, das heißt ver bor -

gen wurde, so hin derte der selbe sie ander er seits,

das Meer auf eine weite Flä che hin zu beob ach ten,

und sie konnte, um sich so auszu drüc ken, Bord an

Bord mit Schif fen fah ren, die sie allen Grund hatte

zu mei den.

Die ser letz tere Fall war nun ein ge trof fen, denn

das signa li sirte Schiff befand sich in einer Ent fer -

nung von kaum drei Mei len vor dem Winde.

Als James Play fair die Kreuz höl zer erreicht hatte,

bemerkte er auf einer lich ten Stelle deut lich eine

große, nord staat li che Cor vette, die mit vol lem

Dampfe arbei tete und auf die Del phin zusteu erte,

um ihr den Weg abzu schnei den.

Nach dem der Kapi tän das Schiff sorg fäl tig beob -

ach tet hatte, stieg er wie der auf’s Ver deck herab

und ließ sei nen Ober steu er mann kom men.

»Was hal ten Sie von die sem Schiff, Herr

Mathew?« begann er.

»Ich kann nichts ande res anneh men, Herr Kapi -

tän, als daß es ein Damp fer der nord staat li chen

Marine ist, der unsere Absich ten bearg wöhnt.«

»Über seine Natio na li tät ist aller dings kein Zwei -

fel mehr mög lich da, sehen Sie!«

Wirk lich wurde soeben an der Gaf fel auf der Cor -

vette die Stern flagge der Ver ei nig ten Staa ten von

Nord ame rika auf ge zo gen, und ihre Echt heit mit

einem Kano nen schuß veri fi cirt.

»Das ist so viel wie eine Ein la dung, unsere Far ben

zu zei gen,« sagte Mr. Mat hew. »Das kön nen wir ja

thun, wir brau chen uns ihrer nicht zu schä men.«

»Aber zu wel chem Zweck, Mr. Mat hew? Unsere

Flagge würde uns nicht decken und die Leute kei -

nen Augen blick davon abhal ten, uns ihren Besuch

abzu stat ten. Nein, ich halte es für bes ser, dar auf

zuzu fah ren.«

»Und wir müs sen eilen,« ver setzte Mr. Mat hew;

»wenn mich meine Augen nicht trü gen, habe ich

diese Cor vette schon in der Umge gend von Liver -

pool bemerkt, wo sie sich auf hielt, um den Bau

einiger Fahr zeuge zu über wa chen. Ich will nicht

Mat hew hei ßen, wenn auf dem Gemälde ihres

Taffrail nicht Der Iro kese steht.

»War es ein guter Seg ler?«

»Mit einer der Besten von der gan zen nordstaat -

lichen Marine?«

»Wie viel Kano nen führt er?«

»Acht.«

»Oho!«

»Ver las sen Sie sich dar auf, Kapi tän,« erwi derte

Mat hew mit ernst haf tem Ton; »von den acht Ka -

nonen gehen zwei auf Angeln, die eine, ein Sech -

zigpfün der, steht auf der Schanze, die andere, ein

Hun dert pfün der, auf dem Ver deck? beide gezo -

gen.«

»Teu fel!« rief James Play fair, »es sind Par rotts; sie

tra gen drei Mei len weit!«

»Drei Mei len und wei ter, Kapi tän.«

»Nun, Herr Mat hew, ob es nun Hun dert pfün der

oder Vier pfün der sind, ob sie drei Mei len oder fünf -

hun dert Mei len weit tra gen, wenn wir schnell ge -

nug fah ren, um ihren Kugeln zu ent ge hen, kann

uns das gleich gil tig las sen. Wir wol len die sem Iro ke -

sen zei gen, was ein Damp fer ver mag, der eigens

zum Schnell fah ren gebaut ist. Las sen Sie die Feuer

schü ren.«

Der Ober steu er mann über mit telte sofort dem

Inge ni eur die Befehle des Kapi täns und bald wir bel -

ten schwarze Rauch säu len über den Schorn stei nen

des Stea mers.

Diese Sym ptome schie nen dem Geschmack der

Cor vette nicht zu beha gen, denn sie gab der Del phin

ein Zei chen back zu legen. Aber James Play fair küm -

merte sich um diese Anwei sung äußerst wenig und

änderte die Rich tung sei nes Schif fes nicht im

Gering sten.

»Jetzt wol len wir sehen, wozu sich der Iro kese ent -

schlie ßen wird, er hätte die schön ste Gele gen heit,

sei nen Hun dert pfün der zu ver su chen und zu erpro -

ben, wie weit er trägt. Allen Dampf bei ge setzt!«

»Gut!« meinte Mr. Mat hew, »wir wer den bald

schöne Grüße bekom men.«

Als der Kapi tän auf das Deck zimmer zurück kam,

sah er Miß Hal li burtt, die ruhig neben dem Gelän -

der saß.

»Miß Jenny,« wandte er sich an sie, »wir wer den

sehr wahr schein lich von der Cor vette, die Sie dort

vor dem Winde sehen, ver folgt wer den, und da sie

sich uns vor aus sicht lich mit Kano nen schüs sen ver -

ständ lich machen wird, erlaube ich mir, Ihnen

meinen Arm zu bie ten, um Sie in Ihre Cajüte

zurück zuführen.«

»Ich sage Ihnen mei nen besten Dank, Herr Play -

fair,« ant wor tete das junge Mäd chen, indem es

ruhig zu dem Kapi tän aufblick te, »aber ein Kano -

nen schuß macht mich nicht erzit tern.«

»Die Sache kann aber trotz der Ent fer nung gefähr -

lich wer den, Miß.«

»O! ich bin nicht zu dem furcht sa men Mäd chen

erzo gen wor den, für das Sie mich zu hal ten schei -

nen, wir wer den in Ame rika an Alles gewöhnt, und

ich ver si chere Ihnen, daß ich bei den Kugeln des Iro -

ke sen ruhig und ohne Furcht blei ben werde.«

»Sind Sie mut hig, Miß Jenny.«

»Wenn Sie das zuge ben, wer den Sie mir auch

gestat ten, hier bei Ihnen zu blei ben; nicht wahr,

Herr Play fair?«

»Es liegt mir fern, Ihnen Etwas zu ver wei gern,

Miß Hal li burtt,« erwi derte der Kapi tän, als er die

ruhige Sicher heit des jun gen Mäd chens sah.

Kaum hatte er diese Worte aus ge spro chen, als aus

den Ver schan zun gen der nord staat li chen Cor vette

ein wei ßer Dampf auf stieg, aber bevor das Kra chen

bis zur Del phin her über schallte, schoß ein cylin -

dro-koni sches Pro jec til, das sich mit wir beln der

Geschwin dig keit um sich selbst drehte, auf den Stea -

mer zu. Man konnte das Geschoß auf sei ner Bahn

ver fol gen, da es sich mit rela ti ver Lang sam keit fort -

be wegte, denn die Pro jec tile kom men weni ger

rasch aus der Mün dung gezo ge ner Kano nen, als

aus jeder ande ren mit glat tem Rohr.

Als das Pro jec til nur noch in einer Ent fer nung

von zwan zig Klaf tern stand, senkte sich seine Flug -

bahn sehr merk lich, und es streifte die Wogen,

indem es auf sei nem Wege eine Reihe klei ner Was -

ser fälle bil dete; dann gerieth es in neuen Schwung,

sprang wie der bis zu einer gewis sen Höhe empor,

ging über die Del phin fort, indem es den Steuer -

bordarm der Fock raa durch schnitt, fiel drei ßig Klaf -

ter jen seits des Schif fes wie der herab und ver sank in

den Flut hen.

»Teu fel!« rief James Play fair, »vor wärts! vor wärts!

die zweite Kugel wird nicht lange auf sich war ten

las sen.«

»Nun, es bedarf schon einer gewis sen Zeit, um

solch ein Geschütz stück wie der zu laden,« be -

merkte Mr. Mat hew.

»Das ist wahr haf tig inter es sant mit anzu se hen,«

meinte Crock ston, der wie ein ganz unbe thei lig ter

Zuschauer mit über ein an der ge schla ge nen Armen

der Scene bei wohnte. »Und dabei muß man sich

nun sagen, daß unsere Freunde uns mit sol chen

Zusen dun gen beeh ren.«

»Ah! Du bist es!« rief James Play fair, indem er den

Ame ri ka ner vom Kopf bis zu den Füßen maß.

»Ja, frei lich, Herr Kapi tän,« erwi derte der Ame ri -

ka ner, ohne sich im Gering sten aus dem Con cept

brin gen zu las sen; »ich will mir auch mit anse hen,

wie die bra ven Nörd lin ger schie ßen. Nicht übel,

wahr haf tig, gar nicht übel!«

Die Ant wort des Kapi täns wäre wohl ziem lich

unver blümt aus ge fal len, aber eben jetzt wurde

seine Auf merk sam keit abge lenkt, denn ein zwei tes

Pro jec til schlug quer durch die Steu er bord-Wöl -

bung in’s Meer.

»Aus ge zeich net!« rief James Play fair; »wir haben

schon zwei Kabel län gen vor dem Iro ke sen vor aus.

Deine Freunde fah ren wie auf einer Boje, Mei ster

Crock ston, hörst Du?«

»Das kann ich nicht bestrei ten,« ver setzte der

Ame ri ka ner, »und zum ersten Mal in mei nem

Leben ist mir das sehr ange nehm.«

Eine dritte Kugel blieb weit hin ter den bei den

ersten zurück, und in weni ger als zehn Minu ten war

die Del phin außer Schuß weite der Kano nen auf dem

Cor vet ten damp fer.

»Das wiegt alle Patent-logs der Welt auf, Herr

Mathew,« sagte James Play fair mit gro ßer Befrie di -

gung. »Dank die sen Kugeln wis sen wir nun, was

wir an Schnel lig keit lei sten kön nen. Las sen Sie jetzt

die Feuer im Hin ter theil mäßi gen, wir wol len Feue -

rungs- Mate rial nicht unnöt hig ver schwen den.«

»Sie haben ein gutes Schiff unter Ihrem Com -

mando,« wandte sich jetzt Miß Hal li burtt an den

jun gen Kapi tän.

»Ja, Miß Jenny, die Del phin legt mit Bequem lich -

keit ihre sie ben zehn Kno ten zurück, und noch ehe

sich heute der Tag zu Ende neigt, wer den wir diese

Cor vette der Nord staa ten aus dem Gesicht ver lo -

ren haben.«

James Play fair über trieb nicht, als er so die nau -

tischen Vor züge sei nes Fahr zeu ges rühmte; die

Sonne war noch nicht unter ge gan gen, als die Mast -

spit zen des ame ri ka ni schen Schif fes hin ter dem

Hori zont ver schwan den.

Miß Halliburtt’s Beneh men bei die sem Zwi schen -

fall hatte dem Kapi tän ihren Cha rak ter von einer

ganz andern Seite gezeigt, auch war das Eis der küh -

len Zurück haltung mit der Stunde gemein sa mer

Gefahr dahin ge schmol zen, und der Ver kehr zwi -

schen Kapi tän Play fair und sei ner jun gen Reise -

gefährtin gestal tete sich von nun an bei Wei tem

zwang lo ser und ange neh mer, ihre Unter hal tun gen

wur den immer häu fi ger und von län ge rer Dauer.

Jenny Hal li burtt zeigte sich dem jun gen Kapi tän

mehr und mehr als ein ruhi ges, kraft vol les Mäd -

chen, das ver stän dig nach dachte, nach Art der Ame -

ri ka ner frei müt hig ihre Gedan ken aus sprach, sich

so ziem lich über Alles, was ihr zugäng lich war, ihre

eigene Ansicht bil dete und diese mit einer Über zeu -

gung zur Gel tung brachte und ver thei digte, die

James Play fair in man chen Bezie hun gen unwill kür -

lich beein flu ßte.

Die junge Dame war ihrem Vater lande mit gro ßer

Liebe erge ben und ver focht begei ste rungs voll die

Idee der Union, sowie ihre Über zeu gung in Bezug

auf den ame ri ka ni schen Krieg.

Es geschah bei sol chen Gele gen hei ten mehr mals,

daß James Play fair ihr nicht sogleich zu ent geg nen

wußte, denn oft fan den sich die Ansich ten des

»Geschäfts man nes« in argem Dilemma; Jenny griff

sie oft mit scho nungs lo sem Nach druck an und

wollte auf kei nen Com pro miß ein ge hen. Anfangs

dis cu tirte James sehr eif rig und ver suchte die Con fö -

der ir ten gegen die Nord staat li chen zu ver thei di gen

und zu bewei sen, daß das Recht auf Seite der Seces -

sio ni sten sei; auch ver si cherte er, daß Leute, die

freiwillig eine Ver ei ni gung ein ge gan gen seien, sich

auch ebenso wie der tren nen könn ten. Das Fräu lein

aber wollte in die sem Punkte nicht nach ge ben; sie

bewies, daß die Skla ven frage in die sem Kampf der

Ame ri ka ner des Nor dens gegen die des Südens als

die Haupt sa che zu betrach ten sei, daß es sich weit

mehr um die Prin ci pien der Sitt lich keit und Huma -

ni tät, als um die der Poli tik handle, und James

mußte ihre Behaup tun gen zuge ben, ohne die sei ni -

gen auf recht hal ten zu kön nen.

Übri gens begnügte er sich bei die sen Erör te run -

gen mei stens damit, zuzu hö ren; ob er hie bei mehr

von den Beweis grün den Miß Jenny’s hin ge ris sen

wurde oder von dem Zau ber ihrer Rede und ihres

Wesens, mag dahin ge stellt blei ben; schließ lich aber

mußte er aner ken nen, daß die Skla ven frage im

Kriege der Ver ei nig ten Staa ten ein haupt säch li ches

Moment sei, und daß sie als ein letz ter Über rest bar -

ba ri scher Zei ten gelöst wer den müsse.

Indes sen, wie schon erwähnt, die poli ti sche Mei -

nung des Kapi täns war ihm nicht von gro ßem

Belang, und viel leicht hätte er noch weit ern stere

Ideen Argu men ten geop fert, die in so fes seln der

Form vor ge tra gen wur den; er gab also seine Ansich -

ten auf die sem Gebiet leicht auf. Aber hier mit war

es noch nicht genug; Miß Jenny griff direct seine

näch sten Inter es sen an und oppo nirte gegen die

Han dels be stim mung der Del phin, in Bezug auf die

Kriegs mu ni tion, die er den Con fö der ir ten zuführte.

»Ja, Herr James,« erklärte Miß Hal li burtt eines

Tages, »die Dank bar keit gegen Sie kann mich nicht

daran hin dern, offen und frei müt hig meine Mei -

nung aus zu spre chen, im Gegen theil: gerade weil

Sie ein tüch ti ger See mann und gewand ter Kauf -

mann sind, und weil das Haus Play fair sei ner

Ehren haf tig keit wegen weit und breit berühmt ist,

bedaure ich um so mehr, daß es mit die ser Ope ra -

tion gegen seine Prin ci pien ver stößt.«

»Wie!« rief James, »Sie behaup ten, daß das Haus

Play fair kein Recht hätte, bei die ser Gele gen heit

seine Han dels in ter es sen wahr zu neh men?«

»Gewiß behaupte ich das; die Del phin führt den

Unglück lichen, die in offe ner Empö rung gegen die

geord nete Regie rung des Lan des begrif fen sind,

Kriegs mu ni tion zu, und das heißt so viel, als einer

schlech ten Sache Waf fen lei hen.«

»Nun, Miß Jenny, ich will nicht wei ter mit Ihnen

über das Recht der Con fö der ir ten dis pu ti ren, aber

meine Ent geg nung ist, daß ich Geschäfts mann bin

und mich als sol cher von den Inter es sen mei nes

Hau ses lei ten lasse, ich suche über all Gewinn, wo

er sich bie tet.«

»Das gerade ist sehr tadelns werth, Herr James,«

fiel das junge Mäd chen ein; »der Gewinn ent schul -

digt nicht. In die sem Augen blick, wo Sie den Leu -

ten des Südens die Mit tel lie fern, einen ver bre che ri -

schen Krieg fort zu set zen, sind Sie ebenso straf bar,

als wenn Sie den Chi ne sen Opium lie fer ten, der sie

zu Thie ren ernied rigt.«

»Nein, Miß Jenny, dies Mal sind Sie aber wirk lich

zu schroff, und ich kann nicht zuge ben …«

»Was ich sage, ist voll kom men rich tig, Herr Kapi -

tän, und wenn Sie die Sache objec tiv anse hen, und

über die Fol gen Ihrer Hand lungs weise nach den ken

woll ten, für die Sie in den Augen jedes Urt heils fä hi -

gen ver ant wort lich sind, so wer den Sie mir auch in

die sem Punkte Recht geben müs sen.«

James Play fair stand bei die sen Wor ten des jun -

gen Mäd chens ärger lich und ein wenig con ster nirt

da. Er ver ab schie dete sich ohne ein wei te res Wort,

denn er wußte auf sol che Beweis gründe Nichts zu

erwi dern, und schmollte eine halbe Stunde, wenn

es hoch kam, ein Stünd chen, um dann wie der zu

Fräu lein Jenny zurück zukehren und sich ihren Be -

weis grün den und ihrem lie bens wür di gen Lächeln

von Neuem auf Gnade und Ungnade zu erge ben.

Kurz, obgleich Kapi tän James Play fair es sich sel -

ber nicht ein ge stand, war seine Unab hän gig keit

dahin, und man konnte ihn nicht mehr »den Herrn

nächst Gott« an Bord sei nes Schif fes nen nen.

Auch die Ange le gen hei ten Mr. Halliburtt’s schie -

nen sich zu Crockston’s gro ßem Jubel äußerst gün -

stig zu gestal ten, der Kapi tän war augen schein lich

ent schlos sen, Alles in’s Werk zu set zen, was zur

Befrei ung von Miß Jenny’s Vaters die nen konnte,

und sollte auch die Del phin dar über Ladung und

Mann schaft auf’s Spiel set zen und der Zorn des

wür di gen Onkels Vin cent her auf be schwo ren

werden.

Sech stes Capi tel.Das See gatt der Insel Sul li van.

Zwei Tage nach der Begeg nung mit dem Irokesen

befand sich die Del phin auf der Höhe der Ber mu das -

Inseln und hatte daselbst eine gewal tige Winds -

braut aus zu hal ten. Diese Brei ten wer den häu fig

von außer or dent lich hef ti gen Orka nen heim ge -

sucht und sind in Folge des sen durch Unglücks fälle

berühmt; Shake speare hat diese Gegen den zum

Schau platz der auf re gend sten Sce nen sei nes Dra -

mas: »Der Sturm«, in dem Ariel und Cali ban sich

um die Herr schaft der Flut hen strei ten, gemacht.

Die Wind stöße waren furcht bar, und James Play -

fair gab einen Augen blick dem Gedan ken Raum,

auf Main land einer der Ber mu das-Inseln, anzu le -

gen, wo die Eng län der einen Mili tär po sten haben,

doch hätte dies einen argen Quer strich durch seine

Pläne gemacht. Glück licherweise zeigte sich die Del -

phin wäh rend die ses Unwet ters als ganz vor treff -

lich, und nach dem er einen gan zen Tag vor dem

Orkan geflo hen war, konnte er seine Fahrt in der

Rich tung nach der ame ri ka ni schen Küste wie der

auf neh men.

Aber wenn die Lei stun gen der Del phin James Play -

fair zufrie den stell ten, so war er von dem Muth und

der Kalt blü tig keit des jun gen Mäd chens nicht min -

der ent zückt; Miß Hal li burtt hatte die schlimm sten

Stun den des Orkans bei ihm auf dem Ver deck zuge -

bracht, und der Kapi tän mußte sich mehr und mehr

geste hen, daß eine lei den schaft li che, tiefe Liebe zu

dem jun gen Mäd chen ihn ergrif fen hatte.

»Ich kann es nicht leug nen,« sagte er, »das tap fere

Mäd chen hat mehr Ein fluß über mich und mein

Thun erlangt, als ich je für mög lich gehal ten hätte;

ich beuge mich vor ihr, wie ein Schiff vor dem

Sturm, ja ich fühle, daß ich mich erge ben muß. O,

was würde Onkel Vin cent sagen! Was macht die

Liebe aus uns! ich glaube, ich wäre im Stande, diese

ganze ver wünschte Ladung Con tre bande in’s Meer

zu wer fen, wenn Jenny es von mir ver langte.«

Zum Glück für das Haus Play fair u. Co. for derte

indes sen Miß Hal li burtt dies Opfer nicht; trotz dem

aber war der arme Kapi tän ihr mit Leib und Seele

erge ben, und Crock ston, vor dem sein Herz dalag

wie ein auf ge schla ge nes Buch, rieb sich ein Mal

über das andere mit sol cher Vehe menz die Hände,

daß er sich die Epi der mis zer scheu erte.

»Jetzt haben wir ihn im Schlepp tau,« brummte er

ver gnügt vor sich hin, »und ich will dar auf wet ten,

daß mein Herr, ehe noch acht Tage ver ge hen, in der

besten Cajüte an Bord der Del phin instal lirt ist.«

Obwohl Miß Jenny sich dar über klar wurde, was

sie in dem jun gen Kapi tän für Gefühle wach geru -

fen hatte, und ob ihr Herz ihm gleich falls ent ge gen -

schlug? Das ver mochte Nie mand zu sagen und am

wenig sten James Play fair. Das junge Mäd chen hielt

sich voll kom men reser virt, wie das bei ihrer ame ri -

ka ni schen Erzie hung nicht anders zu erwar ten war,

und ihr Geheim niß blieb tief in ihrem Her zen ver -

bor gen.

Wäh rend die Liebe bei dem Kapi tän so rasche

Fort schritte machte, dampfte die Del phin mit nicht

gerin ge rer Geschwin dig keit auf Char le ston zu.

Am 13. Januar signa li sirte die Wache Land auf

zehn Mei len Ent fer nung im Westen, eine nied rige

Küste, die mit der Was ser li nie am Hori zont fast ver -

schwamm. Crock ston schaute scharf aus, und als er

Mor gens um neun Uhr einen Punkt an einer lich -

ten Stelle des Fir ma ments erspähte, rief er aus:

»Der Leuchtt hurm von Char le ston!«

Wäre die Del phin bei Nacht hier ange kom men, so

würde die ser hun dert und vier zig Fuß über der Mee -

res flä che gele gene Thurm schon seit meh re ren

Stun den bemerkt wor den sein, denn der Glanz sei -

nes Dreh lichts zeigt sich vier zehn Mei len weit.

Nach dem die Lage der Del phin durch diese Wahr -

neh mung genau bestimmt war, blieb James Play fair

nur noch übrig, sich zu ent schei den, durch wel ches

Fahr was ser er in die Bucht ein lau fen wollte.

»Wenn sich uns nicht beson dere Hin der nisse in

den Weg legen, kön nen wir bin nen drei Stun den in

den Docks des Hafens und in Sicher heit sein.«

Die Stadt Char le ston liegt an einem Wasser bek -

ken, das sie ben Mei len lang und zwei Mei len breit,

und in das die Ein fahrt ziem lich schwie rig ist, da es

sich zwi schen der Insel Mor ris im Süden und der

Insel Sul li van im Nor den stark ver engt. Zu der

Zeit, als die Del phin ver suchte, die Blo kade zu bre -

chen, gehörte die Insel Mor ris schon den Trup pen

der Nord staat li chen, und Gene ral Gill more ließ

dort Bat te rien auf pflan zen, wel che die Rhede, be -

strei chen konn ten und sie somit beherrsch ten. Die

Insel Sul li van hin ge gen war in den Hän den der

Con fö der ir ten, die in dem Fort Moul trie Stand

hielten. Dem nach war es für die Del phin sehr

vortheilhaft, so nahe wie mög lich an den nörd li -

chen Gesta den hin zu strei fen und so das Feuer der

Bat te rien von der Insel Mor ris zu ver mei den.

Man kann auf fünf ver schie de nen Ein fahr ten in

das Wasser bec ken gelan gen; erstens durch das See -

gatt der Insel Sul li van, dann das nörd li che See gatt,

fer ner das See gatt Over all, dann das Haupt see gatt,

und end lich das See gatt Law ford; dies Letz tere darf

jedoch nur dann von Frem den befah ren wer den,

wenn sie aus ge zeich nete Sach ver stän dige an Bord

haben und ihre Schiffe mit weni ger als sie ben Fuß

Tief gang fah ren. Das nörd li che See gatt und das See -

gatt Over all waren gegen wär tig von den nordstaat -

lichen Bat te rien ein ge schlos sen, der Gedanke, sie

zu pas si ren, mußte also von vorn her ein auf ge ge ben

wer den. Hätte James Play fair sich einen Weg wäh -

len kön nen, so würde er sein Schiff in das Haupt -

seegatt gelenkt haben, da dies das Beste, und

nach vor züg li chen Kar ten leicht zu ver fol gen ist;

aber man mußte sich wohl oder übel den Umstän -

den anbe que men und nach der Lage der Dinge ent -

schei den.

Übri gens kannte der Kapi tän auf das Genaue ste

alle Geheim nisse und Gefah ren der Bucht, die

Tiefe ihrer Gewäs ser bei Ebbe und Fluth und

ebenso ihre Strö mun gen; er war also im Stande,

sein Fahr zeug mit voll kom me ner Sicher heit durch -

zu brin gen, sobald es nur in eine der engen Was ser -

rin nen ein ge lau fen war; die große Frage hieß nur:

Wie hin ein kom men?

Jeden falls war dies Manœuvre nicht aus zu füh ren,

ohne eine große See tüch tig keit und die specielle

Kennt niß der Del phin und sei ner Eigen schaf ten.

Es kreuz ten gerade zwei nord staat li che Fre -

gatten in den Gewäs sern von Char le ston, und

Mr. Mathew ver fehlte nicht, sie als bald der Auf -

merk sam keit des Kapi täns zu signa li si ren.

»Es scheint, als woll ten sie uns fra gen, was wir in

die sen Gewäs sern zu suchen haben.«

»Nun, wir wer den ihnen die Ant wort schul dig

blei ben,« ver setzte James Play fair; »sie wer den die

Fol gen ihrer Neu gier allein zu tra gen haben.«

Inzwi schen steu er ten die Kreu zer mit vol lem

Dampf auf die Del phin los, wäh rend diese ihre Fahrt

ruhig fort setzte und nur dar auf bedacht war, sich

außer Schuß weite ihrer Kano nen zu hal ten. Um

indes sen Zeit zu gewin nen, bediente sich James

Play fair der List, süd west lich zu steu ern, damit man

glau ben sollte, die Del phin beab sich tige, sich in die

Fahr was ser der Insel Mor ris zu bege ben; dort aber

befan den sich Bat te rien und Kano nen, von denen

eine ein zige Kugel hin rei chend gewe sen wäre, um

die Del phin in den Grund zu boh ren. Die Nord staat -

li chen lie ßen des halb die Del phin ruhig nach Süd we -

sten lau fen, ohne beson ders leb haft Jagd auf sie zu

machen, und begnüg ten sich damit, sie zu beob ach -

ten.

So ver ging eine Stunde, ohne daß sich die respec -

tive Lage der Schiffe ver än derte. Übri gens hatte

James Play fair, um eine Täu schung über den Gang

der Del phin zu begün sti gen, das Spiel der Schie ber

mäßi gen las sen und fuhr nur mit gerin ger Dampf -

kraft; man hätte jedoch an den dicken Rauch wir -

beln, die aus den Schorn stei nen dran gen, sehen

kön nen, daß er ihr Maxi mum an Druck und dem zu -

folge auch an Geschwin dig keit zu erlan gen suchte.

»Sie wer den nicht wenig erstaunt sein, wenn wir

ihnen plötz lich unter den Hän den davon glei ten,«

dachte James Play fair.

Und wirk lich, als sich der Kapi tän der Insel

Morris ziem lich nahe und vor einer Linie Kano nen

sah, deren Trag weite ihm unbe kannt war, wech selte

er plötz lich seine Rich tung, ließ sein Schiff um sich

selbst schwen ken und fuhr nord wärts, wäh rend die

Kreu zer zwei Mei len vor dem Wind hin ter ihm

zurück blieben. Als diese das Manœuvre sahen und

die Absicht des Stea mers begrif fen, began nen sie

eine sehr ent schie dene Ver fol gung der Del phin, aber

ver ge bens, es war zu spät. Der schnelle Damp fer

gewann ihnen unter vol ler Thä tig keit sei ner Schrau -

ben bald den Rang ab und näherte sich wie der der

Küste; es pfif fen zwar noch einige Kugeln hin ter ihr

her, aber die Nord staat li chen ver schos sen ihre Pro -

jec tile umsonst, sie tauch ten schon auf hal bem

Wege von ihrem Ziel in die Flut hen. Um elf Uhr

Mor gens fuhr der Stea mer dicht an der Insel Sul li -

van vor über und steu erte, von sei nem gerin gen

Tief gange begün stigt, mit vol ler Dampf kraft in das

enge Fahr was ser hin ein. Hier befand er sich voll -

kom men in Sicher heit, denn kein nordstaat licher

Kreu zer hätte es wagen dür fen, ihm in dies See gatt

zu fol gen, das bei nied ri gem Was ser stande nicht

über elf Fuß tief ist.

»Nun wahr haf tig!« rief Crock ston, »das hätte ich

mir schwe rer gedacht.«

»O, die Gefahr ist noch nicht vor über, Mei ster

Crock ston,«« ent geg nete James Play fair, »wir sind

zwar glück lich hin ein ge kom men, aber die Haupt -

schwie rig keit liegt im Aus lau fen.«

»Bah!« erwi derte der Ame ri ka ner, »dar über

mache ich mir keine Sorge; mit einem Schiff wie

die Del phin und einem Kapi tän wie Sie, Herr

James Play fair, läuft man ein und aus, ganz nach

Belie ben.«

James Play fair unter suchte, mit dem Fern glase in

der Hand, auf merk sam die zu ver fol gende Straße.

Er hatte aus ge zeich nete Küsten kar ten vor sich, die

ihm gestat te ten, ohne Hin der niß und Zögern vor -

wärts zu gehen.

Als die Del phin glück lich in das enge See gatt, das

sich längs der Insel Sul li van hin zieht, ein ge lau fen

war, steu erte James eine Strec ke, indem er die Mitte

des Forts Moul trie West-halb-Nord peilte, bis sich

im Nord-Nord-Osten das an sei ner düste ren Farbe

erkenn bare Schloß Pick ney auf einem iso lirt lie gen -

den Insel chen, »Shute’s Folly«, zeigte. Auf der an -

dern Seite dampfte er an dem Hause des Forts

John son vor über, das um zwei Grad nörd lich von

dem Fort Sum ter offen daliegt.

In die sem Augen blick wurde die Del phin von eini -

gen Kugeln begrüßt, die von den Bat te rien der Insel

Mor ris abge feu ert wur den, ohne ihn jedoch zu errei -

chen. Er setzte seine Fahrt fort, ohne auch nur um

ein Haar breit abzu wei chen, ging vor Moultrieville

vor bei, das am äußer sten Ende der Insel Sul li van

liegt, und lief in die Bucht ein. Bald ließ er auch das

Fort Sum ter zur Lin ken und wurde durch das selbe

vor den nord staat li chen Bat te rien mas kirt.

Dies in dem Kriege der Ver ei nig ten Staa ten be -

rühmte Fort liegt über drei Mei len von Char le ston

und unge fähr eine Meile von jeder Seite der Bucht

ent fernt, es ist ein abge stutz tes Fünf eck, auf einer

künst li chen Insel, von Gra nit aus Mas sa chu setts

erbaut, des sen Auf füh rung zehn Jahre gedau ert

und mehr denn 900 000 Dol lars geko stet hat.

Aus die sem Fort wur den am 13. April 1861 Ander -

son und die nord staat li chen Trup pen ver jagt, und

gegen das selbe der erste Schuß der Sepa ra ti sten

abge feu ert. Die Mas sen von Eisen und Blei, mit

denen es sodann von den Kano nen der Nord staat li -

chen bewor fen wurde, ent zie hen sich jeder Schät -

zung. Das Fort lei stete jedoch bei nahe drei Jahre

lang Wider stand und fiel erst einige Monate nach

der beschrie be nen Durch fahrt der Del phin unter

den drei hun dert pfün di gen Kugeln der gezo ge nen

Par rot-Kano nen, die Gene ral Gill more auf der Insel

Mor ris auf pflan zen ließ; damals aber stand es noch

in sei ner vol len Kraft, und die Fahne der Con fö der -

ir ten schwebte über dem unge heu ern Pen ta gon von

Gra nit.

Als das Fort pas sirt war, kam die Stadt Char le s -

ton, zwi schen den bei den Flüs sen Ashley und Coo -

per hin ge la gert, in Sicht; sie bil dete eine scharf

her vor tre tende Spitze.

James Play fair steu erte mit ten durch die Bojen,

die das See gatt bezeich nen, und ließ den Leucht -

thurm von Char le ston süd süd west lich lie gen; jetzt

flat terte an der Gaf fel sei nes Schif fes lustig die

Flagge Eng lands.

Nach dem die Del phin die Boje der Quar an taine

auf Steu er bords seite gelas sen hatte, rück te er frei

in der Bucht vor. Miß Hal li burtt stand auf dem

Deck und schaute gedan ken voll auf die Stadt, in

der ihr Vater gefan gen gehal ten wurde; ihre Augen

schwam men in Thrä nen.

End lich wurde auf den Befehl des Kapi täns der

Gang des Schif fes gemä ßigt; die Del phin dampfte an

den Bat te rien des Südens und Ostens vor über, und

bald warf sie ihren Anker am Kai in dem

»North-Com mer cial Wharf«.

Sie ben tes Capi tel.Ein Gene ral der Süd staa ten.

Als die Del phin an den Kais von Char le ston ankam,

war sie von einer gro ßen Volks menge mit stür mi -

schem Hur rah begrüßt wor den. Die Ein woh ner

dieser von der See seite so strenge blo kir ten Stadt

waren seit lange nicht mehr den Besuch euro päi -

scher Schiffe gewohnt und frag ten sich erstaunt,

was die ser große Stea mer, der so stolz die Flagge

Eng lands wehen ließ, in ihren Gewäs sern wolle. Als

man aber den Zweck sei ner Reise erfuhr, und wes -

halb er das Fahr was ser von Sul li van durch bro chen

hatte, als sich das Gerücht ver brei tete, daß ihre

Seitentheile eine ganze Ladung Kriegs con tre bande

ent hiel ten, nahm das Bei falls ru fen und Freu den ge -

schrei kein Ende.

James Play fair setzte sich, ohne einen Augen blick

Zeit zu ver lie ren, mit dem Gene ral Beau re gard,

dem Comm an dan ten der Stadt, in Ver bin dung. Die -

ser emp fing den jun gen Kapi tän der Del phin mit gro -

ßer Zuvor kom men heit, denn er sah dem Ersatz an

Uni for men und Kriegs mu ni tion für seine Armee

mit Freu den ent ge gen. Es wurde zwi schen den

beiden Her ren abge macht, daß die Aus la dung des

Schif fes unver züg lich vor sich gehen sollte, und

zahl rei che Arme kamen hier bei den eng li schen Ma -

tro sen zu Hilfe.

Bevor James Play fair noch sein Schiff ver ließ,

hatte er von Miß Hal li burtt die drin gend sten Wei -

sun gen in Betreff ihres Vaters erhal ten; der junge

Kapi tän stellte sich ihr voll stän dig zu Gebote.

»Sie kön nen auf mich rech nen, Miß Jenny, hatte

er zu dem jun gen Mäd chen gesagt, ich werde thun,

was in mei nen Kräf ten steht, um Ihren Vater zu ret -

ten; und ich hoffe, daß diese Ange le gen heit keine

über steig li chen Schwie rig kei ten bie ten wird; ich

werde noch heute mit dem Gene ral Beau re gard zu -

sam men kom men und von ihm zu erfah ren suchen,

in wel cher Lage er sich befin det; ob er auf Ehren -

wort frei umher geht oder wie ein Gefan ge ner gehal -

ten wird; ein direc tes Ver lan gen aber gedenke ich in

die ser Bezie hung heute noch nicht an den Comm an -

dan ten zu stel len.«

»Mein armer, lie ber Vater, klagte Jenny; er hat

keine Ahnung davon, wie nahe ich ihm bin. Ach,

warum kann ich nicht in seine Arme eilen?«

»Noch ein wenig Geduld, Miß Jenny; bald wer -

den Sie Ihren Vater umar men. Ver las sen Sie sich

dar auf, daß ich mit der grö ß ten Auf op fe rung, dabei

aber auch als ver stän di ger Mann mit Über le gung

han deln werde.«

Nach dem James Play fair die kauf män ni schen

Inter es sen sei nes Hau ses wahr ge nom men hatte, die

Ladung der Del phin dem Gene ral über lie fert und

ein unge heu rer Vor rath von Baum wolle zu äußerst

nied ri gem Preise ein ge kauft war, brachte er das

Gespräch auf die Ereig nisse des Tages.

»Sie glau ben also auf den Tri umph der Skla ven hal -

ter?« fragte er den Gene ral Beau re gard.

»Ich zweifle nicht einen Augen blick an unserm

ganz defi ni ti ven Siege, und was spe ciell Char le ston

anbe trifft, so wird die Armee Lee’s wohl bin nen

Kur zem die Ein schlie ßung auf he ben. Was läßt sich

übri gens von den Abo li tio ni sten erwar ten? Wenn

wirk lich, was jedoch nie der Fall sein wird, die Han -

dels städte Vir gi niens, der bei den Caro li nas, Geor -

giens, Ala ba mas und Mis sis sippi in ihre Gewalt

fie len, was dann? sie wür den Her ren des Lan des

sein, ohne es doch beset zen zu kön nen, und so

würde ihr Sieg, wenn es näm lich zu einem sol chen

käme, sie nur in Ver le gen heit brin gen.«

»Und sind Sie Ihrer Sol da ten ganz sicher?« fragte

der Kapi tän; »fürch ten Sie nicht, daß Char le ston

einer Bela ge rung müde wer den könnte, die die

Stadt rui nirt?«

»Nein! wir haben kei nen Ver rath zu fürch ten, übri -

gens wür den die Ver rät her erbar mungs los geop fert

wer den, und ich selbst würde mit Feuer und

Schwert die Stadt zer stö ren, wenn ich in ihr die

gering ste unio ni sti sche Bewe gung entdeck te. Jef fer -

son Davis hat mir Char le ston anver traut, und Sie

kön nen sich ver si chert hal ten, daß die Stadt in

treuen Hän den ist.«

»Haben Sie Gefan gene von den Nordstaat -

lichen?« fragte James Play fair, der hier mit an dem

inter essanten Gegen stand der Unter hal tung an -

langte.

»Ja, Kapi tän,« lau tete die Ant wort des Gene rals;

»in Char le ston wurde der erste Schuß in die sem

Kriege abge feu ert; die Abo li tio ni sten, wel che sich

gerade hier befan den, ver such ten Wider stand zu lei -

sten, unter la gen aber und wer den jetzt als Kriegs -

gefangene hier zurück gehalten.«

»Sind ihrer viele?«

»Etwa hun dert.«

»Gehen sie frei in der Stadt umher?«

»Ich gestat tete das bis zu dem Tage, wo eine Ver -

schwö rung unter ihnen ent deckt wurde; es war

ihrem Rädels füh rer gelun gen, sich mit den Bela ge -

rern in Ver bin dung zu set zen; ich habe natür lich

sofort die gefähr li chen Gäste ein ker kern las sen,

und meh rere Gefan gene wer den ihre Zelle nur ver -

las sen, um sich auf den Gla cis vor zehn Kugeln der

Con fö der ir ten zu stel len.«

»Wie, sie sol len erschos sen wer den?« rief der

junge Kapi tän unwill kür lich von einer Bewe gung

ergrif fen, die er mit Mühe zurück hielt.

»Ja, und vor Allem ihr Rädels füh rer; es ist ein

sehr ent schlos se ner, in einer bela ger ten Stadt ge -

radezu gefähr li cher Mensch. Ich habe seine Cor -

respondenzen der Prä si dent schaft in Rich mond

über sandt, und in einem Zeit raum von acht Tagen

wird zwei fels ohne sein Schick sal besie gelt sein.«

»Wer ist der Mann, von dem Sie soeben spre -

chen?« fragte James Play fair, schein bar mit voll kom -

me ner Gleich gil tig keit.

»Ein Jour na list aus Boston, ein enra gir ter Aboli -

tionist und gewis ser ma ßen die rechte Hand

Lincoln’s.«

»Wie heißt er?

»Jonat han Hal li burtt.«

»Der arme Teu fel!« meinte James, der sich Gewalt

ant hun mußte, um seine Erre gung zu beherr schen.

»Wie sehr er auch sein Schick sal ver dient haben

mag, man kann doch nicht umhin, ihn zu bedau ern.

Sie glau ben also, er wird erschos sen wer den?«

»Ich zweifle kei nen Augen blick daran,« erwi derte

Beau re gard; »wir weh ren uns, so gut wir kön nen.

›C’est la guerre!‹«

»Man muß sich so objec tiv wie mög lich zu der ar ti -

gen Sce nen stel len,« sagte der Kapi tän; »über dies

werde ich, wenn die Hin rich tung statt fin det, sehr

wahr schein lich nicht mehr in der Stadt sein.«

»Wie! Sie den ken schon wie der an Ihre Abreise?«

»Ja, Herr Gene ral; ich bin vor allen Din gen

Geschäftsmann, und meine Han dels in ter es sen ge -

bieten mir in See zu ste chen, sobald meine Baum -

wol len la dung gestaut ist. Es ist mir zwar ge lungen,

glück lich nach Char le ston hin ein zu kom men, die

Haupt frage bei mei nem Unter neh men bleibt aber

doch, wie ich wie der her aus komme. Die Del phin ist

ein gutes Schiff und kann es in Bezug auf Schnel lig -

keit mit allen Fahr zeu gen der nord staat li chen Ma -

rine auf neh men, aber eine hun dert pfün dige Kugel

in ihrem Lauf zu über ho len, würde ihr doch schwer

wer den, und solch ein Stück Eisen in ihrem Rumpf

oder ihrer Maschine könnte mei nen kauf män ni -

schen Com bi na tio nen einen argen Fehl schlag be -

reiten.«

»Ganz wie es Ihnen am Besten scheint, Herr Kapi -

tän,« bemerkte Beau re gard, »ich habe Ihnen in sol -

cher Lage kei nen Rath zu erthei len und würde an

Ihrer Stelle wahr schein lich wie Sie han deln. — Übri -

gens hat der Auf ent halt in Char le ston wenig Ange -

neh mes, und eine Rhede, auf der es so häu fig

Bom ben reg net wie bei uns, ist den Schif fen nicht

gera dezu zu emp feh len. Rei sen Sie also ab, wann

Sie für gut fin den. Aber eine Nach frage wer den sie

mir erlau ben; wie ver hält es sich mit der Macht und

Zahl der nord staat li chen Schiffe, die vor Char le s -

ton kreu zen?«

James Play fair befrie digte, so gut er konnte, die

Wiß be gierde des Gene rals und ver ab schie dete sich

von ihm im besten Ein ver neh men. Dann kehrte er

mit sor gen schwe rem Her zen über die soeben emp -

fan ge nen Nach rich ten nach der Del phin zurück.

»Was werde ich Miß Jenny sagen,« fragte er sich;

»soll ich sie voll stän dig über die schreck liche Lage,

in der Mr. Hal li burtt schwebt, auf klä ren, oder ist es

bes ser, das arme Kind in Unkennt niß über die

Gefahr zu las sen, in der ihr Vater schwebt?«

James Play fair war in die sen Über le gun gen noch

zu kei nem Resul tat gekom men, als plötz lich Crock s -

ton auf sei nem Wege neben ihm auf tauchte; der

wür dige Ame ri ka ner hatte ihm, seit er das Schiff

ver ließ, nach ge spürt und hier auf ge lau ert.

»Wie steht’s, Herr Kapi tän?«

James Play fair sah Crock ston mit einem gewis sen

star ren, unheil ver kün den den Blick an, und die ser

begriff sofort, daß er keine gün sti gen Nach rich ten

erhal ten würde.

»Haben Sie mit Beau re gard über ihn gespro -

chen?« fragte er.

»Ja,« ant wor tete zurück haltend James Play fair.

»Und haben Sie ihn über Mr. Hal li burtt aus ge -

forscht?«

»Er hat mir sel ber von ihm erzählt.«

»Nun Herr Kapi tän?«

»Kann man Dir Alles anver trauen, Crock ston?«

»Ja, Herr Kapi tän, Alles!«

»Nun, um mich kurz zu fas sen, Gene ral Beau re -

gard hat mir mit get heilt, daß Dein Herr in spä te -

stens acht Tagen erschos sen wer den soll.«

Ein Ande rer wäre bei die ser Nach richt zor nig

aufgelodert oder hätte sich von sei nem Schmerz

hinreißen las sen, aber unser Ame ri ka ner, der nie -

mals unschlüs sig war, lächelte nur ver ächt lich und

sagte:

»Bah, was thut’s?«

»Kerl, bist Du des Teu fels?« rief James Play fair.

»Ich sage Dir, daß Mr. Hal li burtt in acht Tagen

erschos sen wer den soll, und Du ant wor test mir:

Was thuts?«

»Frei lich, Herr Kapi tän; was thut’s, wenn er in

sechs Tagen an Bord der Del phin ist, und wir in sie -

ben Tagen auf hoher See schwim men?«

»O, jetzt ver stehe ich Dich,« sagte James Play fair

und drück te Crock ston die Hand. »Ich sehe, Du

bist ein ent schlos se ner Mann; ich mei nest heils

würde mich, Onkel Vin cent und der Ladung der

Del phin zum Trotz, für Miß Jenny in die Luft spren -

gen las sen.«

»Nicht von Nöt hen, Herr Kapi tän, das käme nur

den Fischen zug ute,« erwi derte der Ame ri ka ner.

»Die Haupt sa che ist jetzt, Mr. Hal li burtt zu be -

freien.«

»Das wird aber seine Schwie rig kei ten haben!«

»Wird so schlimm nicht sein!« rief Crock ston.

»Es han delt sich darum, mit einem streng bewach -

ten Gefan ge nen in Bezie hung zu tre ten.«

»Nun frei lich!«

»Und eine fast unmög li che Ent füh rung in’s Werk

zu set zen!«

»Bah,« meinte Crock ston, »ein Gefan ge ner sinnt

mehr dar auf zu ent flie hen, als sein Ker ker mei ster

daran denkt, ihn zu bewa chen, also müßte es eigent -

lich jedem Gefan ge nen gelin gen, das Weite zu

suchen, alle Chan cen sind für ihn. Und auch

Mr. Hal li burtt wird mit unse rer Hilfe ent kom men.«

»Ich hoffe, Du behältst Recht, Crock ston.«

»Wie immer, Herr Kapi tän.«

»Aber wie wer den wir die Sache ein fä deln? wir

müs sen einen Plan machen und aller lei Vor keh run -

gen tref fen.«

»Ich werde nach den ken, Herr Kapi tän.«

»Aber wenn Miß Jenny erfährt, daß ihr Vater zum

Tode ver urt heilt ist, und daß der Befehl zu sei ner

Hin rich tung jeden Tag ein tref fen kann …«

»Sie muß es eben nicht erfah ren.«

»Ja, wir wol len es ihr ver ber gen, es ist so bes ser

für sie und für uns.«

»Wo ist Mr. Hal li burtt ein ge ker kert?« fragte

Crock ston.

»In der Cita delle.«

»Vor treff lich! Aber jetzt kom men Sie mit an Bord,

Herr Kapi tän!«

Ach tes Capi tel.Die Flucht.

Miß Jenny saß auf dem Deck zimmer der Del phin

und erwar tete unge dul dig die Rück kehr von James

Play fair, und doch konnte sie, als er ihr end lich

gegen über stand, kein Wort her vor brin gen, und nur

ihre Blic ke spra chen die Frage aus, die ihr Mund

ver schwieg.

James Play fair theilte nun, von Crock ston unter -

stützt, dem jun gen Mäd chen mit, was er über die

Ein ker ke rung ihres Vaters erfah ren hatte. Er sagte

ihr, daß er Beau re gard vor sich tig über die Kriegs -

gefangenen aus ge forscht, aber bald gemerkt habe,

daß der Gene ral ihnen nicht gün stig gestimmt sei.

»So hielt ich es für ange mes sen,« fuhr er fort, »mit

mei nen Wün schen zurück zuhalten und mich von

den Umstän den lei ten zu las sen. Da Mr. Hal li burtt

nicht frei in der Stadt umher ge hen darf, wird seine

Flucht aller dings grö ßere Schwie rig kei ten bie ten,

aber ich hoffe doch mit Bestimmt heit, mein Ziel zu

errei chen. Ja, ich schwöre Ihnen, Miß Jenny, daß

die Del phin die Rhede von Char le ston nicht ver las -

sen soll, ohne daß Ihr Vater mit an Bord ist.«

»Danke, Herr James,« sagte Jenny, »mei nen wärm -

sten, innig sten Dank!«

James Play fair fühlte, wie ihm des Herz bei diesen

Wor ten stür misch klopfte. Er näherte sich feuch ten

Blic kes dem jun gen Mäd chen und hätte viel leicht,

von der Macht des Augen blicks über wältigt, seine

Gefühle für Jenny ver rat hen; aber Crock s ton

sprang gleich sam dazwi schen und rief:

»Nichts für ungut, Herr Kapi tän, aber für Rüh -

rung haben wir jetzt keine Zeit; es ist noch Viel zu

ver ab re den und zu beschlie ßen.«

»Hast Du einen Plan gefaßt, Crock ston?« fragte

die junge Dame.

»Natür lich! ich habe immer Pläne, das ist meine

Spe cia li tät,« ant wor tete der Ame ri ka ner.

»Aber ob auch immer gute, das bleibt noch dahin -

ge stellt,« bemerkte der Kapi tän.

»Dies mal ist mein Plan aus ge zeich net,« ver si -

cherte Crock ston, »so aus ge zeich net, daß alle

Minister in Washing ton kei nen bes se ren ersin nen

könn ten. Er ist eigent lich so gut, als wenn

Mr. Halliburtt schon hier an Bord wäre.«

Crock ston sprach mit sol cher Zuver sicht und

Treu her zig keit, daß nur ein ungläu bi ger Tho mas

noch Miß trauen in seine Worte hätte set zen

können.

»Wir sind bereit zu hören,« sagte James Play fair.

»Gut. Sie, Herr Kapi tän, ver fü gen sich zum Gene -

ral Beau re gard und bit ten ihn um eine Gefäl lig keit,

die er Ihnen gewiß nicht ver wei gern wird, Sie bit ten

ihn näm lich um Erlaub niß, einen lie der li chen Kerl,

den Sie an Bord haben, einen Strolch, der wäh rend

der Über fahrt Ihre Leute zur Empö rung auf ge hetzt

hat, wäh rend Ihres hie si gen Auf ent hal tes in der

Cita delle ein schlie ßen zu dür fen. Bei Ihrer Abreise

gedäch ten Sie ihn wie der an Bord zu neh men und

nach Eng land zurück zufahren, um ihn dort dem

Lan des ge richt zu über lie fern.«

»Gut, das läßt sich wohl machen,« sagte lächelnd

James Play fair, »Beau re gard wird mir sol che Bitte

gewiß nicht abschla gen.«

»Davon bin ich über zeugt, Herr Kapi tän.«

»Mir fehlt dazu nur eins,« meinte James Play fair.

»Und das wäre?«

»Nun, der Strolch.«

»Der Strolch steht vor Ihnen, Herr Kapi tän.«

»Wie? der abscheu li che Kerl …?«

»Bin ich, Herr Kapi tän, es darf Ihnen aber nicht

unan ge nehm sein.«

»O, Du mut hi ges, treues Herz!« rief Jenny und

drück te mit ihren klei nen Händ chen die gro ßen har -

ten Hände des Ame ri ka ners.

»Jetzt ver stehe ich Dei nen Plan,« rief Play fair

»und bedaure nur, daß ich nicht Deine Stelle ein neh -

men kann.«

»Jeder nach sei ner Kunst und sei nen Gaben, Herr

Kapi tän,« erwi derte Crock ston; »wenn Sie meine

Rolle als Strolch spie len soll ten, wür den Sie sehr in

Ver le gen heit gerat hen, wäh rend das bei mir nicht

der Fall sein wird. Sie wer den spä ter genug zu thun

haben, um uns unter den Kano nen schüs sen der

Con fö der ir ten aus der Rhede zu steu ern; der -

gleichen Auf ga ben wür den mir wohl schwer lich

gelingen.«

»Gut, Crock ston, nur wei ter!«

»Also ich bin in der Cita delle und sehe mich

genau um. Das Wei tere muß dann vom Zufall

abhän gen; davon seien Sie aber über zeugt: ich

werde meine Sache nicht schlecht machen. Sor gen

Sie unter des sen nur dafür, daß die Geschäfte in Ord -

nung kom men und die Ladung der Del phin been -

digt wird.«

»Was frage ich jetzt nach Geschäf ten?« rief James

Play fair, »der glei chen ist gegen wär tig Neben sa che!«

»Wie so? durch aus nicht! was würde dazu Onkel

Vin cent sagen? Unsere Gefühle und Han dels ope ra -

tio nen kön nen ja Hand in Hand gehen; auch müs -

sen Sie die Geschäfte gehö rig wahr neh men, damit

kein Arg wohn auf kommt. Wie ist’s? kön nen Sie in

Zeit von sechs Tagen fer tig sein?«

»Ich will es so ein rich ten.«

»Hal ten Sie die Del phin zum 22. Januar bela den

und zur Abfahrt bereit. Sodann schic ken Sie am

Abend des sel ben Tages ein Boot mit Ihren besten

Leu ten nach White-Point, an das Ende der Stadt,

mit der Wei sung, dort bis neun Uhr zu war ten, und

Sie wer den Mr. Hal li burtt und sei nen Die ner da -

selbst erschei nen sehen.«

»Aber wie wird es Dir mög lich sein, Mr. Hal li -

burtt zu befreien und dabei auch selbst zu ent kom -

men?«

»Das über las sen Sie mir, Herr Kapi tän.«

»Du willst Dein Leben auf’s Spiel set zen, um mei -

nen Vater zu ret ten, lie ber Crock ston!« rief Jenny.

»Beun ru hi gen Sie sich nicht um mich, Miß Jenny,

wenn ich bit ten darf, ich setze durch aus gar Nichts

auf’s Spiel.«

»Wann soll ich Dich ein schlie ßen las sen?« fragte

James Play fair.

»Wenn irgend mög lich, noch heute; Sie ver ste -

hen, Herr Kapi tän, ich demo ra li sire Ihre Leute, es

ist keine Zeit zu ver lie ren.«

»Soll ich Dich mit Geld ver sor gen? es könnte Dir

in der Cita delle viel leicht nüt zen.«

»Geld, um den Ker ker mei ster zu beste chen, mei -

nen Sie? Nein, das ist zu theuer, und, neh men Sie’s

nicht übel, Herr Kapi tän, auch zu ein fäl tig. Wenn

man der glei chen anfängt, behält der Ker ker mei ster

das Geld und den Gefan ge nen oben drein; und der

Mann hat Recht! Nein, mein Mit tel ist siche rer.

Aber ein paar Dol lars nehme ich an, man muß zu

Zei ten auch ein Gläs chen trin ken kön nen.«

»Respec tive den Ker ker mei ster berauscht ma -

chen.«

»Nein, Herr Kapi tän, auch das nicht. Ein

berausch ter Ker ker mei ster würde mir Alles ver der -

ben. Las sen Sie mich nur machen, ich habe schon

meine Idee.«

»Hier, mein lie ber Crock ston, nimm diese zehn

Dol lars.«

»Zehn Dol lars sind zu viel, Herr Kapi tän, ich

werde Ihnen das Übrige sei ner Zeit wie der her aus -

ge ben.«

»Bist Du nun bereit?«

»Ja, Herr Kapi tän, bereit, um ein Erz strolch zu

wer den.«

»Dann vor wärts!«

»Crock ston,« sagte das junge Mäd chen mit beweg -

ter Stimme, »Crock ston, Du bist doch der beste

Mensch auf der gan zen Welt.«

»Das glaube ich schon,« ant wor tete der Ameri -

kaner, indem er hell auf lachte; »aber Ihnen, Herr

Kapi tän, möchte ich noch etwas Wich ti ges anemp -

feh len.«

»Nun?«

»Im Fall der Gene ral Ihnen vor schla gen sollte,

Ihren Strolch hier in Char le ston hän gen zu las sen —

Sie wis sen, alte Sol da ten pfle gen in sol chen Din gen

nicht viel Feder le sens zu machen — so ant wor ten

Sie ihm, daß Sie sich’s noch über le gen woll ten.«

»Das ver spre che ich Dir.«

Noch am näm li chen Tage wurde Crock ston zum

gro ßen Erstau nen der Mann schaft, die nicht mit

in’s Geheim niß gezo gen war, an Hän den und

Füßen gebun den und von etwa zehn See leu ten an’s

Land gebracht. Eine halbe Stunde spä ter kam er in

der Cita delle von Char le ston an und wurde, trotz

hef ti gen Wider stan des von sei ner Seite, in die

Gefan ge nen-Liste ein ge tra gen.«

Wäh rend die ses und dem dar auf fol gen den Tage

betrieb Kapi tän Play fair mit gro ßer Eile die Aus la -

dung der Del phin, und die Bevöl ke rung der Stadt

wohnte der inter es san ten Ope ra tion in gro ßen Men -

gen bei und legte hier und da mit Hand an, indem

sie den Matro sen half und ihnen Artig kei ten erwies.

James Play fair ließ jedoch sei nen Leu ten nicht viel

Zeit, das freund li che Ent ge gen kom men der Ame ri -

ka ner zu erwi dern; er trieb sie mit förm lich fie ber -

haf ter Hast an, die Arbeit zu beschleu ni gen, wozu

die See leute aller dings den Grund nicht ahn ten.

Drei Tage spä ter, am 18. Januar, wur den die

ersten Baum wol len bal len im Schiffs rumpfe auf ge -

sta pelt. Obgleich dies für James Play fair gegen wär -

tig keine Frage von gro ßer Wich tig keit war, muß

hier doch erwähnt wer den, daß das Haus Play fair

u. Co. ganz vor züg li che Geschäfte machte, da es

die ganze Masse von Baum wolle, wel che in den

Wharfs von Char le ston lagerte, zu sehr gerin gem

Preise erstan den hatte.

Von Crock ston hatte man keine Nach richt mehr

erhal ten, und Jenny befand sich in grö ß ter Sorge

und Auf re gung. Wenn das arme Mäd chen auch

keine Klage laut wer den ließ, so sprach doch ihr

Blick und der nie der ge schla gene Aus druck ihres

lieb li chen Gesichts deut li cher als viele Worte. James

Play fair suchte sie, so gut er ver mochte, zu trö sten

und zu beru hi gen.

»Ich habe das beste Ver trauen auf Crock ston,

er ist Ihnen mit uner schüt ter li cher Treue erge ben,

sagte er; und Sie, Miß Jenny, die Sie ihn so viel län -

ger ken nen als ich, müß ten sich doch jetzt beru hi -

gen kön nen. Ehe noch drei Tage ver ge hen, wer den

Sie Ihren Vater umar men, glau ben Sie es mir auf

mein Wort.«

»Ach, Herr James, wie werde ich Ihnen je so viel

Auf op fe rung dan ken kön nen? wie wird es mei nem

Vater und mir mög lich sein, Ihnen Ihre Güte zu loh -

nen?«

»Das werde ich Ihnen sagen, Miß Jenny, wenn wir

uns in eng li schen Gewäs sern befin den,« ant wor tete

der junge Kapi tän.

Jenny sah ihn einen Augen blick fra gend an und

schlug die Augen nie der, dann zog sie sich in ihre

Cajüte zurück.

James Play fair hatte gehofft, daß das junge Mäd -

chen, bis ihr Vater in Sicher heit sei, Nichts von der

furcht ba ren Gefahr sei ner Lage erfah ren würde,

aber wäh rend des letz ten Tages erlangte sie durch

die Indi scre tion eines Matro sen Kunde von dem

wah ren Sach ver halt. Die Ant wort aus dem Cabi net

zu Rich mond war mit einer Esta fette, wel che die

Vor po sten li nie durch drun gen hatte, am Abend

angekommen; sie ent hielt das Todes urt heil des

Bürgers Jonat han Hal li burtt, und die ser sollte am

andern Mor gen in der Frühe erschos sen wer den.

Die Kunde von der bevor ste hen den Hin rich tung

hatte sich schnell in der Stadt ver brei tet und wurde

von einem der Matro sen der Del phin an Bord

gebracht. Der Mann theilte die ver meint li che Neuig -

keit sei nem Kapi tän mit, ohne zu ahnen, daß Miß

Hal li burtt sich in Hör weite befand.

Die junge Dame schrie herz zer rei ßend auf und

stürzte bewußt los auf dem Ver deck zusam men, wor -

auf James Play fair sie in ihre Cajüte trug und es

durch die ange streng te sten Bemü hun gen dahin

brachte, daß sie wie der zum Leben zurück kehrte.

Als sie wie der die Augen auf schlug, schaute sie

auf den jun gen Kapi tän, der ihr mit einem Fin ger

auf den Lip pen stren ges Schwei gen gebot. Sie ge -

wann es über sich, ruhig zu blei ben und die Auf wal -

lun gen ihres hef ti gen Schmer zes zu bezwin gen. Als

James Play fair sah, daß sie sich ein wenig erholt

hatte, neigte er sich herab und flü sterte ihr zu:

»Jenny, in zwei Stun den wird Ihr Vater in Sicher -

heit und hier bei Ihnen sein, und wenn ich mei nen

Tod bei sei ner Ret tung fin den sollte.«

Dann ver ließ er die Cajüte und sprach vor sich

hin:

»Jetzt muß er um jeden Preis ent führt wer den und

wenn seine Frei heit mit mei nem Leben und mit mei -

ner gan zen Mann schaft erkauft würde!«

End lich war die ent schei dende Stunde gekom -

men; die Del phin hatte am Mor gen den letz ten Theil

sei ner Baum wol len la dung ein ge nom men, und alle

Koh len kam mern waren mit Brenn ma te rial ange -

füllt. In zwei Stun den konnte das Schiff die Anker

lich ten; James Play fair hatte sie bereits aus dem

»North-Com mer cial-Wharf« her aus ge lootst und

auf die Rhede gebracht, und so wie die Fluth, die

um neun Uhr Abends voll sein mußte, ein trat,

konnte die Reise vor sich gehen.

Als James Play fair Miß Hal li burtt ver ließ, schlug

es gerade sie ben Uhr; die Vor be rei tun gen zur

Abfahrt muß ten in’s Werk gesetzt wer den. Bis jetzt

war das Geheim niß zwi schen ihm, Jenny und

Crock ston strenge gewahrt wor den, aber nun hielt

er es für geeig net, Mr. Mat hew in die Situa tion ein -

zu wei hen, und er that dies sofort.

»Zu Befehl,« ant wor tete Mr. Mat hew, ohne die

gering ste wei tere Bemer kung zu machen. »Also um

neun Uhr?«

»Ja; las sen Sie die Feuer anzün den und kräf tig in

Brand set zen.«

»Zu Befehl, Herr Kapi tän.«

»Die Del phin ruht auf einem Not han ker; wir wer -

den unser Anker tau durch hauen und abdamp fen,

ohne nur eine Secunde Zeit zu ver lie ren.«

»Ganz recht.«

»Las sen Sie an der Spitze des gro ßen Mastes eine

Laterne befe sti gen, die Nacht ist dun kel, und es

steigt Nebel auf. Wir dür fen nicht in Gefahr lau fen

uns zu ver ir ren, wenn wir an Bord zurück kommen.

Las sen Sie Vor sicht hal ber von neun Uhr ab die

Schiffs gloc ke läu ten.«

»Ihre Befehle wer den pünkt lich aus ge führt wer -

den, Herr Kapi tän.«

»Und nun las sen Sie das Gig fer tig machen, Herr

Mat hew,« fügte James Play fair hinzu; »beman nen

Sie es mit unse ren kräf tig sten Män nern, wir wer den

sogleich nach White-Point abfah ren. Ich emp fehle

Ihnen noch Miß Jenny wäh rend mei ner Abwe sen -

heit; Gott behüte uns, Herr Mat hew.«

»Gott behüte Sie, Herr Kapi tän,« sagte der Ober -

steu er mann. Sodann gab er die nöt hi gen Befehle

zur Beman nung des Boots und zur Hei zung der

Kes sel. In weni gen Augen blic ken bestieg James

Play fair, nach dem er Jenny noch ein Mal Lebe wohl

gesagt hatte, sein Gig und konnte noch, als er

abstieß, wahr neh men, wie Ströme schwar zen Rau -

ches sich in der dun keln, neb li gen Atmo sphäre ver -

lo ren.

Es war außer or dent lich fin ster; der Wind hatte

sich gelegt, und eine voll kom mene Stille herrschte

auf der wei ten Rhede, die Fluth schien im Schlum -

mer zu lie gen. Einige kaum erkenn bare Lich ter zit -

ter ten hier und da durch den Nebel.

James Play fair stand am Steuer und lenkte sein

Boot mit siche rer Hand nach White-Point zu; er

hatte etwa zwei Mei len bis dort hin zu machen. Wäh -

rend des Tages hatte James seine Auf nah men voll -

stän dig fest ge stellt, so daß er die Spitze von

Char le ston in gera der Linie errei chen konnte.

Als das Gig mit sei nem Vor dert heil White-Point

berührte, schlug es an der St. Phi lipps kir che acht

Uhr.

James hatte jetzt noch eine Stunde vor dem von

Crock ston fest ge setz ten Moment zu war ten; der

Kai war voll stän dig ver ödet, nur der Posten der

Süd- und Ost-Bat te rie ging in einer Ent fer nung von

zwan zig Schrit ten auf und ab. James Play fair zählte

unge dul dig die Minu ten; wie lang sam und schwer -

fäl lig schie nen sie ihm hin zu ge hen!

Um halb neun Uhr hörte James end lich ein

Geräusch von nahen den Schrit ten, er befahl sei nen

Leu ten mit ein ge leg ten Rudern zu war ten, und

begab sich etwa zehn Schritte vor wärts. Aber hier

traf er auf einen Posten Küsten wäch ter, etwa zwan -

zig Mann, die soeben die Runde mach ten. Der Kapi -

tän zog einen Revol ver aus dem Gür tel, er war fest

ent schlos sen, sich im Noth fall mit der Schuß waffe

zu ver thei di gen. Was konnte er jedoch gegen diese

Sol da ten machen?

Nun kam der Anfüh rer der Wache auf ihn zu, er

hatte das Boot bemerkt und fragte:

»Was ist das für ein Boot?«

»Das Gig der Del phin.«

»Und Sie sind? …«

»Kapi tän James Play fair.«

»Ich glaubte, Sie seien schon abge reist und befän -

den sich bereits im Fahr was ser von Char le ston.«

»Ich bin zur Abreise fer tig … ich sollte sogar

schon unter wegs sein aber …«

»Aber?« fragte unge dul dig drän gend der Anfüh -

rer.

Ein plötz li cher Gedanke stieg in dem Kopf des

Kapi täns auf, er erwi derte ruhig:

»Ich habe einen von mei nen Matro sen in der Cita -

delle ein sper ren las sen und hätte ihn bei nahe ver ges -

sen. Zum Glück dachte ich im letz ten Augen blick

noch daran und habe soeben Leute abge schickt, um

ihn zu holen.«

»Aha, der lie der li che Kerl, den Sie nach Eng land

zurück transportiren wol len?«

»Der selbe.«

»Wir hät ten ihn ebenso gut hier hän gen kön nen,«

sagte der Wacht ha bende und lachte über seine Be -

mer kung.

»Davon bin ich über zeugt, es ist aber doch bes ser,

daß die Dinge ihren regel mä ßi gen Gang gehen.«

»Nun, Glück auf, Herr Kapi tän! und hüten Sie

sich vor den Bat te rien auf der Insel Mor ris.«

»Danke, ich bin unbe sorgt. Da ich ein Mal durch -

ge kom men bin, denke ich auch ohne Unfall wie der

her aus zu kom men.«

»Glück liche Reise!«

»Besten Dank.«

Die Truppe ent fernte sich wie der, und der Strand

hüllte sich aber mals in tiefe Stille.

In die sem Augen blick schlug es neun Uhr, das

war der ver ab re dete Moment. James fühlte, wie

sein Herz zum Zer sprin gen klopfte — ein Pfiff ließ

sich hören — der Kapi tän erwi derte sofort mit

einem glei chen Zei chen. Dann war tete er, emp fahl

sei nen Matro sen mit einem Zei chen der Hand

Schwei gen und horchte mit vor ge beug tem Haupt

in die Dun kel heit hin aus. Plötz lich erschien eine

Män ner ge stalt, die in einen wei ten Tar tan gehüllt

war und sich spä hend nach allen Sei ten umblick te.

James eilte auf ihn zu:

»Mr. Hal li burtt?«

»Ich bin’s,« lau tete die Ant wort.

»Gott sei Dank!« rief der Kapi tän. »Stei gen Sie

sofort ein, wir haben kei nen Augen blick Zeit zu ver -

lie ren. Wo ist Crock ston?«

»Crock ston?« fragte Mr. Hal li burtt im Tone höch -

sten Stau nens. »Wen mei nen Sie damit?«

»Nun, den Mann, der Sie befreit und hier her

geführt hat.«

»Mich hat nur der Ker ker mei ster der Cita delle

hier her beglei tet,« ant wor tete Mr. Hal li burtt.

»Der Ker ker mei ster?« James Play fair wußte nicht,

was er nach die sen Aus sa gen den ken sollte, und tau -

send Befürch tun gen stürm ten auf ihn ein.

»Der Ker ker mei ster! nun ja natür lich! das wäre

mir der Rechte dazu gewe sen, ließ sich plötz lich

eine wohl be kannte Stimme ver neh men. Der Ker -

ker mei ster schläft wie ein Mur melt hier in mei ner

Zelle.«

»Crock ston, Du! Du bist’s!« rief Mr. Hal li burtt.

»Keine weit läu fi gen Auf klä run gen jetzt, mein

Herr; in weni gen Minu ten wer den Sie Alles erfah -

ren. Es han delt sich um Ihr Leben, eilen Sie!«

Die drei Män ner nah men im Boote Platz.

»Vor wärts!« befahl der Kapi tän.

Die sechs Ruder fie len zugleich in ihre Dol len.

»Holt an die Rie men!« gebot James Play fair; und

das Gig glitt schnell und geräusch los wie ein Fisch

durch die Wogen von Char le ston-Har bour.

Neun tes Capi tel.Zwi schen zwei Feu ern.

Das Gig flog, von den sechs star ken Rude rern

geführt, pfeil schnell auf den Was sern der Rhede

dahin, der Nebel ver dich tete sich mehr und mehr,

und James Play fair konnte sich nur mit gro ßer

Mühe auf der Linie sei ner Auf nah men hal ten.

Crock ston hatte sich vorne in’s Boot gestellt, und

Mr. Hal li burtt saß hin ten, neben dem Kapi tän; er

hatte in der ersten Über ra schung, sei nen Die ner

wie der zu fin den, mit ihm spre chen wol len, es war

ihm jedoch drin gend Schwei gen gebo ten.

Als aber das Boot einige Minu ten spä ter auf

hoher Rhede war, ent schloß sich Crock ston, zu

spre chen; er wußte wohl, wie so man che Fra -

gen sich jetzt in Mr. Halliburtt’s Innern drän gen

mußten.

»Ja, mein lie ber Herr,« begann er jetzt, »unser Ker -

ker mei ster befin det sich in die sem Augen blic ke in

mei ner Zelle; er brachte mir mein Abend es sen, und

ich war so undank bar, ihm dafür zwei tüch tige

Faust schläge, einen in’s Genick und einen auf den

Magen als Nar co ti cum zu ver ab rei chen. Dar auf

habe ich mir seine Klei der und das Schlüs sel bund

ange eig net und mich daran gemacht, Sie auf zu su -

chen, was mir auch als bald gelang. Wie ich Sie

dann vor den Augen der Sol da ten fort und aus der

Cita delle führte, brau che ich nicht wei ter zu erzäh -

len. Die ganze Sache machte sich sehr leicht und ein -

fach.«

»Und meine Toch ter?« fragte Mr. Hal li burtt.

»Miß Jenny erwar tet uns an Bord des Schif fes, das

uns jetzt nach Eng land brin gen soll.«

»Wie! meine Toch ter ist hier? sie erwar tet mich?«

rief der Ame ri ka ner und sprang in gro ßer Erre gung

von sei nem Sitz auf.

»Ruhig, Mr. Hal li burtt!« mahnte Crock ston.

»Noch wenige Minu ten, und wir sind geret tet.«

Das Boot schoß mit gro ßer Schnel lig keit, aber ein

wenig auf’s Gera the wohl, durch die Fin ster niß

dahin, denn James Play fair konnte die Laterne der

Del phin nicht bemer ken; er war zwei fel haft über

seine Rich tung, und die Dun kel heit war so dicht,

daß die Matro sen nicht das Ende ihrer Ruder erken -

nen konn ten.

»Nun, Herr James?« fragte Crock ston.

»Wir müs sen bereits über andert halb Mei len zu -

rück gelegt haben. Siehst Du nichts, Crock ston?«

»Nein, und ich habe doch scharfe Augen. Aber

ich habe keine Sorge, wir wer den schon ankom -

men … und in der Cita delle haben sie noch keine

Ahnung …«

Crock ston hatte seine Worte noch nicht been det,

als plötz lich eine Rakete in die Luft empor zischte

und hoch oben ver schwand.

»Ein Signal!« rief James Play fair.

»Teu fel!« fluchte Crock ston, »das muß von der

Cita delle aus ge hen.«

Eine zweite, und gleich dar auf eine dritte Rakete

stie gen in der sel ben Rich tung auf wie die erste, und

als bald wurde das selbe Signal eine Meile vor dem

Boot wie der holt.

»Das kommt von dem Fort Sum ter,« rief Crock s -

ton, »und bedeu tet, daß ein Gefan ge ner ent flo hen

ist. Schnell dar auf los ge ru dert. Alles ist ent deckt!«

»Holt fest an, Matro sen!« feu erte James Play fair

seine Leute an. »Die Rake ten haben mir die Fahr -

straße erhellt, und ich habe die Del phin in einer Ent -

fer nung von kaum acht hun dert Yards bemerkt.

Halt! jetzt höre ich auch die Schiffs gloc ke. Tüch tig

dar auf los; wenn wir in fünf Minu ten an Bord sind,

sol len zwan zig Pfund Euer sein.«

Die Matro sen fuh ren in grö ß ter Schnel lig keit mit

dem Gig davon; es schien fast über die Flut hen hin -

zu schwe ben. Aller Her zen schlu gen hef tig. Soeben

war ein Kano nen schuß von der Stadt seite her abge -

feu ert, und Crock ston hörte mehr als er sah, wie ein

Kör per auf zwan zig Faden Ent fer nung von dem

Boot schnell vor bei fuhr. Es mußte eine Kugel gewe -

sen sein.

Nun begann die Gloc ke der Del phin aus vol ler

Macht zu läu ten; das Boot näherte sich — noch

wenige Ruder schläge, und man legte bei. Einige

Secun den dar auf sank Jenny ihrem Vater in die

Arme. Das Gig wurde sofort auf ge hißt, und James

Play fair stürzte auf das Ver deck.

»Herr Mat hew, haben wir vol len Dampf druck?«

»Ja, Herr Kapi tän.«

»Las sen Sie das Anker tau durch hauen, und dann

mit größt mög lich ster Schnel lig keit vor wärts!«

Wenige Minu ten spä ter trie ben die bei den Schrau -

ben den Damp fer nach dem Haupt fahr was ser und

brach ten ihn so aus der gefähr li chen Nähe des Fort

Sum ter.

»Wir kön nen nicht daran den ken, das Fahr was ser

der Insel Sul li van zu wäh len,« erklärte James

Playfair dem Ober steu er mann Mr. Mat hew; »wir

würden direct durch das Feuer der Con fö der ir ten

müs sen. Fah ren wir also mög lichst nahe an der rech -

ten Rhede hin, und las sen wir uns eine Salve von

den Bat te rien der Nord staat li chen gefal len. Haben

Sie einen zuver läs si gen Mann am Steuer?«

»Ja, Herr Kapi tän.«

»Las sen Sie die Later nen und die Schiffs lich ter

aus lö schen; wir füh ren schon zu viel, viel zu viel

Licht an dem Reflex der Maschine mit uns; das

aber kön nen wir nicht ändern.«

Wäh rend die ser Unter re dung fuhr die Del phin

mit fast unglaub li cher Schnel lig keit dahin; als sie

jedoch schwen ken mußte, um die rechte Seite von

Char le ston-Har bour zu errei chen, mußte sie einem

See gatt fol gen, das sie für kurze Zeit wie der in die

Nähe des Fort Sum ter brachte, und sie befand sich

keine halbe Meile von dem gefähr li chen Punkt ent -

fernt, als es plötz lich in allen Schie ß schar ten des

Forts auf leuch tete, und mit ent setz li chem Getöse

ein eiser ner Orkan über den Stea mer hin weg fegte.

»Zu früh, Ihr Haupt kerle, zu früh!« rief James

Play fair und lachte laut auf. »Vor wärts! Herr Inge ni -

eur! wir müs sen zwi schen zwei Feu ern hin durch.«

Die Hei zer schür ten von Neuem die Gluth, und

die Del phin erzit terte unter den Anstren gun gen der

Maschine, als wollte sie von ein an der ber sten.

In die sem Momente ließ sich ein zwei tes Kra chen

hören, und ein neuer Hagel von Pro jec ti len pfiff hin -

ter dem Stea mer her.

»Zu spät, Ihr Dumm köpfe!« rief der junge Kapi -

tän mit Don ner stimme.

Crock ston stand gleich falls auf dem Deck zimmer

und rief wohl ge muth:

»Eins wäre pas sirt. Nur noch ein paar Minu ten,

und wir sind mit den Con fö der ir ten fer tig.«

»Du scheinst zu glau ben, daß wir von dem Fort

Sum ter nichts mehr zu fürch ten haben?« fragte

James.

»Ja, aber dafür Alles von dem Fort Moul trie am

äußer sten Ende der Insel Sul li van. Von dort aus

droht uns jedoch nur eine halbe Minute lang

Gefahr, und wenn man uns tref fen will, muß der

geeig nete Augen blick wahr ge nom men und rich tig

gezielt wer den; wir kom men nahe.«

»Gut! die Lage des Fort Moul trie wird uns gestat -

ten, gerade in das Haupt see gatt ein zu lau fen! Also

Feuer! Feuer!«

Im näm li chen Augen blick, und als ob James Play -

fair das Feuer selbst com man dirt hätte, wurde das

Fort von einem drei fa chen Blitz erhellt. Man

vernahm ein furcht ba res Getöse, und gleich dar auf

krachte es gewal tig an Bord des Stea mers.

»Dies Mal haben sie getrof fen!« meinte Crock s -

ton.

»Herr Mat hew, was giebts?« rief der Kapi tän sei -

nem Ober steu er mann, der auf dem Ver deck stand,

zu.

»Der Klü ver baum in See.«

»Haben wir Ver wun dete?«

»Nein.«

»Nun, dann zum Teu fel mit dem Mast werk,

gerade in das Fahr was ser! gerade! und steu ern Sie

auf die Insel zu.«

»Die Skla ven hal ter geprellt!« rief Crock ston;

»wenn wir schon Kugeln in unser Gerippe bekom -

men sol len, wol len wir nord staat li che haben; die

sind leich ter zu ver dauen!«

Wirk lich war die Gefahr noch nicht vor über,

denn wenn auch die grö ß ten Geschütz bat te rien erst

einige Monate spä ter auf die Insel Mor ris gebracht

wur den, so konn ten die dort befind li chen Kano nen

und Mör ser ein Schiff, wie die Del phin, doch mit

Leich tig keit in den Grund boh ren.

Die Nord staat li chen auf der Insel so wie auch die

Blo ka de schiffe waren durch die Sal ven auf den

Forts Sum ter und Moul trie alarm irt wor den. Die

Bela ge rer konn ten zwar nichts von die sem nächt -

lichen Angriff, der nicht ihnen zu gel ten schien,

begrei fen, sie muß ten sich jedoch bereit hal ten, ihn

zu erwi dern, und hiel ten sich dazu bereit.

Das Alles bedachte James Play fair, als er in dem

Fahr was ser der Insel Mor ris vor wärts dampfte,

und er hatte Grund zur Besorg niß, denn nach Ab -

lauf einer Vier tel stunde wurde hier und da die Fin -

ster niß von Lich tern erhellt, und ein Schauer

klei ner Bom ben fiel um den Stea mer nie der, so daß

das Was ser hoch auf und bis über seine Ver schan -

zun gen spritzte. Einige die ser Geschosse fie len

sogar auf dem Ver deck der Del phin nie der, aber

glück licher Weise mit ihrer Grund flä che nach

unten, so daß die furcht bare Gefahr für das Schiff

vor über ging.

Eigent lich wur den diese Bom ben in der Absicht

geschleu dert, daß sie in hun dert Stüc ke zer sprin gen

und dann eine Flä che von hun dert und zwan zig

Quadratfuß mit einem grie chi schen Feuer bedek -

ken soll ten, das durch nichts zu löschen war und

zwan zig Minu ten lang brannte. Eine ein zige die ser

Bom ben hätte ein Schiff in Brand stec ken kön nen,

wenn sie sich näm lich bewähr ten; zum Glück für

die Del phin aber waren sie erst neu er dings erfun den

und noch sehr unvoll kom men con struirt. Wenn die

Bom ben in die Luft geschleu dert waren, hielt eine

fal sche Rota tions be we gung sie mit dem Boden

nach unten geneigt, so daß sie mit der Grund flä che

nie der schlu gen und nicht mit der Spitze, in wel cher

der ganze Per cus sions ap pa rat ent hal ten war. Ein zig

und allein die ser Con struc tions feh ler ret tete die

Delphin von einem gewis sen Ver der ben. Der Fall

dieser an und für sich nicht beson ders gewich ti gen

Bom ben ver ur sachte dem Schiffe kei nen gro ßen

Scha den, und er setzte unter dem Druck des über -

trie be nen Damp fes sei nen Weg rüstig fort.

In die sen gefähr li chen Augen blic ken nah ten sich

dem Kapi tän trotz sei ner gegen thei li gen Befehle

Mr. Hal li burtt und des sen Toch ter. James Play fair

wollte Beide nöt hi gen, wie der in die Cajüte zurück -

zukehren, aber umsonst — Jenny bestand dar auf,

zur Seite des Kapi täns blei ben zu wol len.

Mr. Hal li burtt hatte soeben von Jenny erfah ren,

wie groß her zig und vol ler Edel muth sein Ret ter

sich gegen sie gezeigt habe; er drück te dem Kapi tän

nur schwei gend die Hand.

Die Del phin dampfte nun mit enor mer Geschwin -

dig keit dem hohen Meere zu, er hatte nur noch drei

Mei len in die sem Fahr was ser zurück zulegen, um in

die Flut hen des Oce ans zu gelan gen; zeigte sich sein

Weg an der Ein fahrt frei, so war er geret tet. James

Play fair kannte, wie schon erwähnt, alle Geheim -

nisse der Bucht von Char le ston auf das Genaue ste,

und er lenkte mit unver gleich li cher Sicher heit sein

Schiff durch Fin ster niß und Klip pen.

Schon glaubte er, die Gefah ren sei ner küh nen

Unter neh mung über wun den zu haben, als ein Ma -

trose vom Hin ter deck her rief:

»Ein Schiff!«

»Wo?« fragte James.

»An Back bord.«

Der Nebel war gestie gen, und man konnte in

Folge des sen eine große Fre gatte bemer ken, deren

Manœuvres augen schein lich dar auf gerich tet

waren, das Fahr was ser zu ver sper ren und der Del -

phin ein Hin der niß in den Weg zu legen. Man

mußte sie an Schnel lig keit über ho len, und um dies

zu ermög li chen, die Maschine zu noch grö ße rer

Geschwin dig keit brin gen. Gelang dies nicht, so war

Alles ver lo ren.

»Holen an Steu er bord! ganz!« don nerte der Kapi -

tän. Dann stürzte er auf die Brüc ke über der

Maschine. Er ließ hier eine der Schrau ben hem men

und schwenkte nun mit fabel haf ter Geschwin dig -

keit, in so kur zem Radius, daß es schien, als habe

die Del phin sich um sich selbst gedreht. Auf diese

Weise hatte er ver mie den, auf die nord staat li che

Cor vette zu sto ßen, und rück te, genau wie sie, nach

dem Ein gange in das Fahr was ser vor. Jetzt war der

Sieg nur noch eine Frage des Wet tren nens, und

James Play fair sagte sich, daß die glück liche Lösung

der sel ben mit der Ret tung Jenny’s, sei ner selbst und

der gan zen Mann schaft iden tisch sei.

Die Fre gatte war der Del phin noch um ein Bedeu -

ten des vor aus, aber man sah an den Strö men

schwar zen Rauchs, die ihren Schorn stei nen ent -

ström ten, wel che Kraft sie ein zu set zen gedachte,

um sie zu über ho len. Kapi tän James Play fair war

nicht der Mann danach, ohne hei ßen Kampf zu

unter lie gen.

»Wie steht’s?« schrie er dem Inge ni eur zu.

»Auf dem Maxi mum des Druc kes,« ant wor tete

Mr. Mat hew; »der Dampf ent weicht durch alle Ven -

tile.«

»Bela sten Sie die Ven tile,« befahl James Play fair.

Das Com mando wurde aus ge führt, und zwar auf

die Gefahr hin, das ganze Fahr zeug in die Luft zu

spren gen.

Die Del phin begann noch schnel ler dahin zu schie -

ßen; die Kol ben stöße folgten sich mit ent setz li cher

Hast; alle Grund plat ten der Maschine beb ten unter

den Stö ßen, die ein an der über stürz ten — es war ein

Moment, in dem auch das ruhig ste, kühl ste Herz

erzit tern mußte.

»Das Feuer for cirt, noch immer mehr for cirt!« rief

James Play fair.

»Unmög lich,« ent geg nete der Inge ni eur, »die Ven -

tile sind her me tisch ver schlos sen und unsere Feuer

voll bis oben hin.«

»Fül len Sie sie mit wein geist ge tränk ter Baum -

wolle; wir müs sen um jeden Preis an die ser ver -

wünsch ten Fre gatte vor bei und sie über ho len!«

Bei die sem Befehl sahen die uner schroc kensten

Matro sen ein an der an, aber sie zöger ten nicht, ihn

aus zu füh ren.

Einige Ballen Baum wolle wur den in den Maschi -

nen raum hin un ter ge wor fen, einem Fasse Wein geist

der Boden aus ge schla gen und die ser Brenn stoff

dann, nicht ohne Gefahr, in die wei ß glü hen den Feu -

er schlünde ein ge führt. Das Brül len des Feu ers war

bereits so stark, daß die Hei zer ein an der nicht mehr

ver ste hen konn ten; die Feu ert hü ren wur den wei ß -

glü hend; die Kol ben flo gen auf und nie der wie an

einer Loco mo tive; die Mano me ter gaben eine fast

unglaub li che Span nung an.

Der Stea mer flog über die Wel len dahin; ihre

Fugen krach ten, ihre Schorn steine spieen Flam men -

ströme empor, die sich mit den Rauch wir beln ver -

misch ten; die Del phin wurde von einer rasen den,

wahn sin ni gen Schnel lig keit fort ge ris sen, der Raum

zwi schen ihr und der Fre gatte ver rin gerte sich,

schwand dann gänz lich, und jetzt ging der Stea mer

an dem feind li chen Schiff vor bei, sie hatte sie über -

holt.

»Geret tet!« jubelte der Kapi tän.

»Geret tet!« froh lock te tri um phi rend die Mann -

schaft.

Schon war der Leuchtt hurm von Char le ston im

Süd we sten nicht mehr deut lich sicht bar, der Glanz

sei nes Feu ers erbleichte und man fing an zu glau -

ben, daß alle Gefahr über stan den sei, als eine

Bombe, die von einem auf hoher See kreu zen den

Kano nen boot abge feu ert war, pfei fend durch die

Fin ster niß dahin fuhr. Man konnte an dem Zün der,

der eine Feu er li nie hin ter sich zurück ließ, ihre Spur

ver fol gen, und es war dies ein Moment der Angst,

der jeder Schil de rung spot tet, Nie mand sprach ein

Wort oder ließ einen Aus ruf der Furcht oder des

Schrec kens hören; aber die ver stör ten Augen hin -

gen mit furcht ba rer Erwar tung an der von dem Pro -

jec til beschrie be nen bal li sti schen Curve. Man

konnte nichts thun, um dem Geschoß aus zu wei -

chen, und nach Ver lauf einer hal ben Minute fiel es

mit ent setz li chem Geräusch auf das Ver deck der Del -

phin nie der.

Die See leute flüch te ten in namen lo sem Schrec ken

nach dem Hin ter deck, und Kei ner von ihnen

wagte, sich der Bombe auch nur einen Schritt zu

nähern, wäh rend der Zün der mit unheim li chem

Kni stern wei ter brannte.

Da lief ein ein zi ger Mann mut hig auf die furcht -

bare Zer stö rungs ma schine los, nahm die Bombe,

die tau send Fun ken aus ihrem Zün der her vor -

sprühte, in seine kräf ti gen Arme und schlen derte

sie mit über mensch li cher Anstren gung über Bord.

Die ser Mann war Crock ston.

Kaum hatte das Pro jec til die Ober flä che des Was -

sers erreicht, als ein ent setz li cher Krach erfolgte.

»Hur rah! Hur rah!« schrie enthu sia stisch die

ganze Mann schaft der Del phin, Crock ston aber

stand ver gnügt bei Seite und rieb sich die Hände.

Einige Zeit dar auf durch fuhr der Stea mer rasch

die Was ser des Atlan ti schen Oce ans; die ame ri ka ni -

sche Küste ver schwand in der Fin ster niß, und die

Feuer, die sich fern am Hori zont kreuz ten, ver kün -

de ten, daß zwi schen den Bat te rien der Insel Mor ris

und den Forts von Char le ston-Har bour ein grö ße -

rer Angriff statt fand.

Zehn tes Capi tel.Saint-Mungo.

Bei Son nen auf gang des fol gen den Mor gens war die

ame ri ka ni sche Küste voll stän dig ver schwun den,

nicht ein ein zi ges Schiff zeigte sich am Hori zonte,

und die Del phin, die nach und nach ihre Schnel lig -

keit mäßigte, fuhr ruhi ger auf die Ber mu das-Inseln

zu.

Von der Fahrt über den Ocean ist wenig zu be -

richten, kein Unfall unter brach ihren regel mä ßi gen

Ver lauf, und zehn Tage nach der Abreise von Char -

le ston bekam man die Küste Irlands in Sicht.

Was sich nun zwi schen dem jun gen Kapi tän und

Miß Jenny zutrug, wer den selbst die wenigst Scharf -

se hen den errat hen; und wie konnte Mr. Hal li burtt

sich bes ser für den auf op fern den Muth sei nes Ret -

ters dank bar bewei sen, als dadurch, daß er ihn

zum Glück lichsten aller Sterb li chen machte? James

Play fair hatte nicht abge war tet, bis man sich in eng li -

schen Gewäs sern befand, um dem jun gen Mäd -

chen und ihrem Vater von den Gefüh len sei nes

Her zens Kunde zu geben, und wenn man Crock s -

ton glau ben darf, so nahm Miß Jenny dies Geständ -

niß mit glück seligem Lächeln ent ge gen.

So ereig nete es sich, daß am 14. Februar des Jah -

res 1863 eine große Volks menge unter den kolos sa -

len Gewöl ben der Kathe drale Saint-Mungo in

Glas gow ver sam melt war. Man sah unter ihnen See -

leute, Geschäfts män ner, Indu strielle und Beamte,

kurz Mit glie der aller Stände und Pro fes sio nen.

Unser alter Crock ston mußte heute als Trau zeuge

bei Miß Jenny, die im Braut staat prangte, fungiren.

Der brave Ame ri ka ner hatte sich höchst fei er lich in

einen apfel grü nen Frack mit blan ken Knöp fen

gewor fen. Onkel Vin cent stand stolz neben sei nem

Nef fen.

Kurz, man fei erte die Hoch zeit von James Play fair

aus dem Hause Vin cent Play fair u. Co. zu Glas gow

und Miß Jenny Hal li burtt aus Boston.

Die Cere mo nie wurde mit ange mes se nem Glanz

voll zo gen; Jeder kannte die Geschichte der Del phin,

und Jeder war der Ansicht, daß die Auf op fe rung

des jun gen Kapi täns hier ihren gerech ten Lohn

fand. Nur er allein behaup tete, daß er über Ver -

dienst beglückt sei.

Am Abend die ses Tages fand ein gro ß ar ti ges

Souper, dem ein pom pö ser Ball folgte, bei Onkel

Vin cent statt; und was das Gast mahl anbe traf, so

ver dient Crockston’s Aus nah me lei stung rüh mende

Erwäh nung: er ver rich tete wahre Wun der eines

guten Appe tits!

Unter die in Gor dan-Street ver sam melte Menge

ließ Onkel Vin cent zu Ehren des denk wür di -

gen Tages eine beträcht li che Masse Schil linge ver -

theilen.

Über all fand das frohe Fest den unge trüb te sten

Wie der hall, was man, neben bei bemerkt, nicht

immer von Fei er lich kei ten die ser Art sagen kann.

Man freute sich sowohl des eige nen Vor theils wie

des Glücks der zunächst Bethei lig ten.

Als spät am Abend die Gäste sich ver ab schie det

hat ten, küßte James Play fair sei nen Onkel auf beide

Wan gen.

»Nun, Onkel Vin cent?« fragte er.

»Nun, lie ber Neffe?«

»Bist Du zufrie den mit der rei zen den Ladung, die

ich an Bord der Del phin mit heim ge bracht habe?«

Und er wies auf seine lie bens wür dige junge Frau.

»Ich sollte mei nen!« rief der wür dige Kauf herr.

»Ich habe meine Baum wolle mit drei hun dert fünf -

und sie ben zig Pro cent Gewinn ver kauft!«