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„Flirtcoach“ Julien Blanc, 26, wie er sich im Internet präsentiert Julien Blanc, gebürtiger Schweizer, zeigte in Seminaren Bilder von seinen Raubzügen: Er bedrängt eine Verkäuferin (l.) und drückt die Köpfe von Frauen an sich 72 11.12.2014

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„Flirtcoach“ Julien Blanc, 26,

wie er sich im Internet präsentiert

Julien Blanc, gebürtiger Schweizer, zeigte in Seminaren Bilder von seinen Raubzügen: Er bedrängt eine Verkäuferin (l.) und drückt die Köpfe von Frauen an sich

72 11.12.2014

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Er wirkt fast trunken vor Be­geisterung, wie er da vor einer Gruppe junger Männer herum­tänzelt und von seinen Abenteu­ern in der großen weiten Welt berichtet: Wie er in Tokio Frauen angehalten und in einer schnellen Bewegung ihre Köpfe in Richtung seines Hosenschlitzes gedrückt

habe. „Weiter, die nächste – bam! Und wieder: bam!“ Genauso habe es sich zuge­tragen, schwört er und zeigt Aufnahmen von der Aktion. „In Tokio“, schließt er unter Gelächter, „kannst du als weißer Mann machen, was du willst.“

Die Zuhörer sitzen auf Seminarstühlen, Schreibblocks auf den Knien. Via Twitter konnten sie bereits Fotos bewundern, die zeigen, wie derselbe junge Mann Frauen die Hand um die Kehle legt. Sein Name: Julien Blanc. Alter: 26 Jahre. Der Hashtag für seine Fotoreihe: #chokinggirlsaround­theworld – Weltweites Mädchenwürgen.

Der gebürtige Schweizer nennt sich selbst „Dating Coach“ – nur versteht er sich nicht als einer dieser Flirtberater für Tü­ren­Aufhalter und Rosen­Mitbringer. Nein, Julien Blanc will Männern beibrin­gen, „wie ihr Sex bekommt, wann und von wem ihr wollt“. Seine Methoden seien „beleidigend und schlagen emotionale Wunden, sind aber verdammt effektiv“, gesteht er freimütig. „Ich werde Ihnen bei­bringen“, verspricht er, „wie Sie bei Frauen einen Kurzschluss ihres emotionalen und logischen Denkens herbeiführen.“ Lernen kann man das für 1000 bis 3000 Dollar pro

Seminar, und wer ein Wochenende bucht, kriegt eine DVD gratis dazu. Julien Blanc ist ein Coach der „Datingberatung“ Real Social Dynamics, kurz RSD. Das Un­ternehmen mit Geschäftssitz Las Vegas macht einen Jahresumsatz von rund 25 Millionen Dollar mit Angeboten wie „Die Formel, mit der Sie drei Mädchen pro Tag kriegen“ oder „Wie Sie erreichen, dass sie ihren Freund betrügt“. Gegründet wurde RSD von Nick Kho und Owen Cook, der selbst Seminare leitet, unter seinem Pseu­donym „Tyler Durden“ – nach der von Brad Pitt verkörperten Kampfmaschine im Film „Fight Club“.

RSD hat weltweit bis zu 250 Mitarbeiter im Einsatz. Doch in den vergangenen Mo­naten regte sich internationaler Protest. Unter dem Hashtag #BringDownJulien­Blanc laufen zahllose Twitter­Kampagnen, um Blanc und RSD zu stoppen. Mit Er­ folg: Australien schmiss Julien Blanc aus dem Land; Großbritannien, Singapur und Südkorea verhängten ein Einreiseverbot. Petitionen laufen in Brasilien, Irland, Nor­wegen, Schweden, Island, Russland und auch Japan. In Deutschland versuchen Politikerinnen der Grünen und der Linken, ein Einreiseverbot für Blanc zu erwirken.

Der versuchte sich in einem CNN­Inter­view in Schadensbegrenzung. Seine Videos seien nur „ein schrecklicher Versuch, lustig zu sein“. Er lehre keine Gewalt, die Foto­reihe „Frauenwürgen“ sei großteils gestellt. Sein Chef und Mentor Owen Cook er ­ klärte: „Julien wollte schockieren. An die Folgen hat er nicht gedacht.“

Aber auch Cook ist jetzt in die Kritik geraten: In dem Videomitschnitt eines seiner Seminare schildert er eine Begeben­heit, die Merkmale einer Vergewaltigung trägt: „Ich hab diese Schlampe gehasst“, erzählt er da. „Ich habe sie einfach aufs Bett geschmissen ... und dachte noch: Mach schnell, die will das gar nicht.“

Möglich, dass alles nur eine auf Schock­wirkung ausgerichtete Marketingstrategie ist. Doch die Glaubenssätze, die Julien Blanc, Owen Cook und ihre Kumpel den Kunden auch abseits provozierender Sprü­che nahebringen, entstammen einer Sub­kultur, die auch in Deutschland immer mehr Männer in ihren Bann zieht: die Welt der Pick­up­Artists, der Aufrisskünstler.

The Game – das SpielBerlin, Friedrichstraße. Es ist schon dun­kel. Ein junger Mann in einer schwarzen Lederjacke schlängelt sich an den Passan­ten vorbei. Er braucht den perfekten Blick­winkel auf die andere Straßenseite: Dort pirscht sich gerade Björn*, einer seiner Schüler, an eine blonde Frau heran. Im Ohr trägt er einen kleinen Kopfhörer, über den er Anweisungen vom Lederjackenmann bekommt. Dessen Künstlername: Don Jon.

„Stopp sie, streck deine Hand aus, und halt ihre fest“, spricht der in sein Headset. „Frag sie, was sie gerade macht. Berühre ihre Schulter. Drei Minuten auf einen Kaf­fee? Ich weiß, du hast nicht viel Zeit. Lass uns Nummern tauschen!“ Der Schüler wie­derholt brav, was ihm ins Ohr diktiert wird. „Mach ein Date aus“, sagt Don Jon, „Treff­

Brich ihrEn WidErstand, und siE tut, Was du WillstEr nennt sich Aufriss-Trainer und verstört mit frauenverachtenden Aktionen. Mehrere Länder verhängten nun ein Einreiseverbot gegen Julien Blanc. Doch der ist nicht der Einzige seiner Art. Blick in eine stark wachsende Subkultur, in der Frauen als „Targets“ gelten: ZielobjekteVon Sylvia Margret Steinitz, Alexandra Kraft und Kalle Harberg

Gesellschaft

*Name geändert

John
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punkt in der Nähe deiner Wohnung.“ Und tatsächlich: Nach ein paar Minuten Ge-spräch lächelt die Blonde, zückt ein Stück Papier und schreibt ihre Nummer auf. „Jetzt bedank dich für ihre Offenheit. Sag, dass du das sehr an ihr schätzt.“

Der Coach ist John Damianov, 25, ehema-liger Journalistikstudent und professionel-ler Pick-up-Artist. Auf seiner Webseite sind Videomitschnitte zu sehen, die seine Meis-terschaft im Anbaggern beweisen sollen. „Jungfrau verführt – ihr Vater sieht zu“, heißt ein Clip. Nach einigem Zögern hat er sich bereit erklärt, den stern auf einen seiner Streif züge mitzunehmen.

Bedrohlich wirkt das Training mit sei-nem Schüler nicht, eher schräg. Auch die fast 125 000 Mitglieder des deutschen Pick-up-Forums zeigen sich mehrheitlich harmlos. „Sie meldet sich nicht – was tun?“, ist eine der häufigsten Fragen. Die Welt der Pick-up-Artists, lernt man schnell, ist keine homogene. Eine Gemeinsamkeit ha-ben sie jedoch alle: das Ziel, ihr „Game“ zu verbessern, das Spiel mit der Verführung.

Ihren Namen haben die PUAs, wie sie sich selbst abkürzen, von einem Flirt-ratgeber der 70er Jahre. „How to pick up Girls – Wie man Frauen aufreißt“, hieß das Werk, das seinen Erfolg dem Umstand verdankte, dass im Zuge der sexuelle Revo-lution Zigtausende unerfahrene Männer ratlos vor dem Angebot freier Liebe stan-den und sich fragten: Und was muss ich jetzt tun?

Eine echte Subkultur entstand allerdings erst mit Beginn des Internetzeitalters Anfang der 90er Jahre, als sich die Männer online vernetzten. Der kalifornische Bezie-hungscoach Ross Jeffries systematisierte die besten Aufrissmethoden und versah sein Konzept mit einer eigenen, von zahl-reichen Fachbegriffen durchsetzten Spra-che, was der Community einen gewissen Sektencharakter verlieh.

In diese Szene tauchte Anfang des neuen Jahrtausends der amerikanische Musikjournalist Neil Strauss ein. Seine Er-fahrungen mit dem damaligen König der Pick-up-Artists, Erik Horvat-Markovic alias „Mystery“, verarbeitete er im Best-seller „The Game“ (deutscher Titel: „Die perfekte Masche“). Das Buch gilt als die Bibel der Szene. Strauss schildert darin ver-schiedene Pick-up-Methoden – etwa den „Neg“, bei dem es gilt, das Selbstwertgefühl einer Frau herabzusetzen und sie dadurch zu verunsichern.

Beliebt ist auch der „Freeze-out“, das plötzliche Umschwenken von freundlich zu eiskalt. Die Frau, vom Stimmungsum-schwung verunsichert, tut nun womöglich alles, um die Zuneigung des neuen Bekann-ten wiederzugewinnen. Und geht dabei weiter, als sie ursprünglich vorhatte – oft genug ins Bett. „Die hübschesten Mädchen sind oft besonders unsicher“, twitterte RSD-Coach Julien Blanc vor einiger Zeit, „also denkt daran, sie wie Müll zu behandeln.“

In der Welt der PUAs hat Blanc trotz zweifelhafter Ratschläge seinen Platz ge-funden. So gibt er etwa damit an, dass er neue Bekanntschaften mitunter anlüge, um sie zu „knacken“. Man könne etwa behaupten, der Vater sei gestorben oder die Schwester vergewaltigt worden. Arglos versuche die Frau dann, den vermeintlich Untröstlichen aufzurichten, öffne sich ihm – und die Falle schnappt zu. „Close“ nennt das der Pick-up-Artist, Abschluss.

„Ich fand Julien immer schon men-schenverachtend“, sagt Stefan Schett, 21. Der Student aus Wien verfolgte einige Zeit die Pick-up-Lehrvideos von RSD auf You-tube, probierte einiges davon auch aus. „Tyler zum Beispiel hat echt gute Tipps pa-rat.“ Er sei früher bei Mädels nicht so gut angekommen wie seine Freunde, erklärt er. Das von PUAs empfohlene systematische Training, etwa einen Abend lang gezielt

Frauen anzusprechen, habe ihm geholfen, seine Nervosität abzulegen. „Und ich habe dadurch meine Freundin kennengelernt.“

Ein Pick-up-Artist nach der „reinen Leh-re“ sucht hingegen keine Freundin, son-dern die Herausforderung. „Verführung ist ein Muskel, den man trainieren muss“, sagt Don Jon, der Berliner PUA. Diesen „Mus-kel“ trainiert er mit großer Disziplin. Min-destens eine halbe Stunde täglich gehe er auf die Jagd, erzählt er, und versuche mit-hilfe einer Screening-Technik innerhalb von drei Minuten auszuloten, ob eine Frau für schnellen Sex zu haben sei. „Das klappt hervorragend.“ Mit jeder fünften bis zehn-ten lande er noch am selben Tag im Bett. Ist der Sex gut, werde mitunter eine Affä-re daraus. Im Moment habe er fünf davon.

Das Weltbild der Pick-up-Artists ist schlicht: Frauen, heißt es, wollten schon in der sprichwörtlichen Steinzeithöhle star-ke Typen, die sie versorgen und verteidi-gen konnten. Der Mann müsse nur diese Steinzeit-Programmierungen bedienen, sich dominant und bestimmend verhal- ten, dann habe er freie Bahn. „Brich ihren Widerstand, und sie werden dich umso an-ziehender finden“, lehrt ein RSD-Coach.

Training für ängstliche MännerDon Jons Klient Björn, der auf der Berliner Friedrichstraße übt, lebte bis vor Kurzem in einer festen Beziehung. Studiert hat der 31-Jährige Psychologie. Von der Mischung aus Versatzstücken von Evolutionstheorie und Küchenpsychologie, aus der sich die PUAs ihr Weltbild basteln, ist er nur be-dingt beeindruckt: „Teilweise ist das hane-büchen. Aber ich werde mit Jon bestimmt keine wissenschaftliche Debatte anfangen. Ich will einfach nur meine Möglichkeiten verbessern, Menschen zu treffen.“

Auch Björn soll trainieren, seine Ängste zu überwinden. In der Dessousabteilung von H & M etwa, wo er mit Don Jon nach

Owen Cook alias „Tyler“ ist Julien Blancs Mentor. Hier bei einem

Seminar seiner Flirtberatung „Real Social Dynamics“

in den USA

Die Stars der Szene: Erik Horvat-Markovic alias

„Mystery“ und Autor Neil Strauss. Sein Buch „The Game“ gilt

als die Bibel der Community

Der Student Elliot Rodger ermordete sechs Menschen, weil er sich von Frauen zurück-

gewiesen fühlte. Die Antwort eines Anbieters für Pick-up-Schulungen: „Er hätte

eines unserer Coachings machen sollen“

„Die hübschesten Frauen sinD oFt besonDers unsicher. also behanDle sie wie müll“ Julien Blanc

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Alexandra Kraft (l.) recherchierte in den USA und war schockiert, wie viele junge Männer den

Pick-up-Artists nacheifern. Sylvia Margret Steinitz nahm die deutsche Szene als vergleichs-weise harmlos wahr – viele suchen einfach eine Freundin. Kalle Harberg beobachtete in Berlin, wie mühelos „Don Jon“ Mädchen kennenlernte. Ein Coaching will er trotzdem nicht buchen

Mädchen sucht und der in sein Headset raunt: „Streich ihr durchs Haar“, und: „Lass sie raten, warum du hier bist.“

Wie der „approach“, die Annäherung, eines erfahrenen PUAs abläuft, demons-triert Don Jon später während einer S-Bahn-Fahrt: Völlig selbstverständlich setzt er sich zu einer jungen Frau und spricht sie an. Während er auf seinem Kaugummi kaut und sich lasziv auf die Lippen beißt, erzählt er, dass er gerade nach Berlin gezo-gen sei und als Flirtcoach arbeite. „Wie findest du das denn?“, fragt er. „Es gibt ja so viele Feministinnen …“ – „Ach, ich finde das ganz charmant!“, antwortet sie und wirft ihr Haar zurück. Dann gibt sie ihm ihre Telefonnummer. Aber eigentlich hat er sie nur zu Demonstrationszwecken an-gesprochen, das sei bloß eine Fingerübung für ihn. Sein neues Ziel sei ein flotter Dreier mit zwei Mädchen, die er am selben Tag auf der Straße kennengelernt hat.

Liebe ist eine KrankheitGewissensbisse? „Nö.“ Er sei immer offen zu den Mädchen, seine Geliebten wüssten voneinander. „Ich beute die Frauen nicht aus“, behauptet er kühn, „ich bereichere sie. Die fühlen sich glücklicher danach. Des-wegen will ich anderen Männern zeigen: Ihr müsst nicht unsicher sein! Ihr könnt Frauen ansprechen und verführen!“

An Monogamie glaubt Don Jon als „rich-tiger“ Pick-up-Artist nicht. Als schlimmste Krankheit unter PUAs gilt die „Oneitis“, von „One it is – die eine ist es“: der Glaube, nur eine bestimmte Frau könne einen glücklich machen. Don Jon lacht nur, als er auf das Thema Liebe und Zweisamkeit an-

angekündigt. „Ich bin allein und einsam“, klagte er. „Aber Frauen lehnen mich ab.“ Dafür sollten sie nun bestraft werden. „Ich werde euch zeigen, wer ich wirklich bin – der ultimative Alphamann.“ Nach den Mor-den erklärte ein Anbieter von Pick-up-Trai-nings auf seiner Webseite: „Genau das ist der Grund für unser Angebot – um diese Scheiße zu verhindern.“ Der kranke Mör-der habe nur einen Fehler gemacht: „Er hät-te eines unserer Coachings machen sollen.“ Im Weltbild der Pick-up-Artists ist das An-recht des Mannes auf Sex fest verankert. Frauen, die sich verweigern, werden eben bestraft – auf die eine oder andere Weise.

Auch deshalb haben aufmerksame Kräfte ein Auge auf die Community. Das Southern Poverty Law Center, eine Orga-nisation, die Aktionen sogenannter Hate Groups in den USA dokumentiert, listet neben dem rassistischen Ku-Klux-Klan und der antisemitischen „Aryan Nations“ auch einen Vertreter der PUA-Szene, der sogenannte hate fucks propagiert: schnel-ler, nur auf die eigenen Bedürfnisse ab-zielender Sex mit Frauen, die man nicht mag, gefolgt von komplettem Kontakt-abbruch zur zusätzlichen Erniedrigung.

Auch in der heimischen Szene soll es vereinzelt gefährliche Manipulatoren ge-ben. „Eine Freundin von mir fühlte sich von einem deutschen Pick-up-Artist miss-braucht“, erzählt Sophia Lierenfeld. „Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber sie sagte danach, er habe gegen ihren Willen weitergemacht. Sie war danach wochen-lang am Boden zerstört.“ Sie hoffe, dass der Skandal um Julien Blanc dazu führt, „dass die Community sich endlich entscheidet, Grenzen zu definieren.“

Julien Blanc und seine Kollegen von RSD haben jedenfalls die Notbremse gezogen: Geplante Coachings werden ins Internet verlegt, der Begriff „Pick-up-Artist“ ist von der Webseite verschwunden.

Auch die Stars der Szene verhalten sich derzeit überraschend still. Ein geplantes Interview mit dem stern sagte „The Game“-Autor Neil Strauss just an dem Tag ab, an dem Großbritannien ein Einreiseverbot für Blanc aussprach. Strauss ließ jedoch ausrichten, dass er gerade an einem neuen Buch schreibe, diesmal über die Liebe. 2

gesprochen wird. „Wenn dich eine Person extrem kickt, spielen sich einfach bioche-mische Prozesse im Körper ab“, sagt er. „Die Fixierung auf eine Frau ist etwas Krankes. Wenn ich mich verliebe, weiß ich damit umzugehen.“ Dann muss er los. Er hat noch ein Date mit einer Stewardess. Vielleicht klappt’s ja mit dem „same night lay“ – Sex noch am Abend des Kennenlernens.

„Im Nachhinein habe ich alle seine Ma-növer erkannt“, erzählt Karin*, 31, von ihrer Begegnung mit einem Pick-up-Artist. „Er hat mich zwar nicht mehr verletzt als ir-gendein anderes Arschloch. Was mir aber im Nachhinein Angst macht, ist, dass er mich nicht als Individuum wahrgenom-men hat. Für den war ich kein Mensch, nur eine Nummer, ein Objekt.“

Sophia Lierenfeld aus Berlin kennt den Effekt. Die Persönlichkeitstrainerin ist seit fünf Jahren in der deutschen PUA-Com-munity unterwegs. „Ein kleiner Teil be-treibt Pick-up tatsächlich auf diese Weise“, sagt sie. Die Szene sei allerdings ständig in Bewegung: „Es scheint im Leben von jun-gen Männern eine Phase zu geben, in der sie diese Lebenshaltung attraktiv finden. Viele kommen aber nach ein, zwei Jahren drauf, dass das ‚Game‘ sie auf Dauer nicht glücklicher macht.“ Sie treffe auch immer wieder Männer, die ihre einge lernten PUA-Glaubenssätze wieder abschütteln wollten. „Sie wollen lernen, wieder unbefangen auf Frauen zuzugehen.“

Im Mai dieses Jahres ermordete der 22-jährige, psychisch kranke Student El liot Rodger in Kalifornien sechs Menschen und richtete anschließend seine Waffe gegen sich selbst. Seine Tat hatte er auf Youtube

John Damianov, 25, alias „Don Jon“, ist Pick-up-Artist in Berlin. Im Einkaufszentrum Alexa gibt er seinem Schüler über

ein Headset Anweisungen, während dieser eine Frau anspricht (rechts oben). Wie er selbst es macht, demonstriert er wenig

später im S-Bahnhof Friedrichstraße (rechts unten)

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