Jung & Liberal

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iII/2004 [Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen] F 54017 Allein unter Alten Zum Umgang mit dem Demographischen Wandel

description

Ausgabe Generationengerechtigkeit

Transcript of Jung & Liberal

Page 1: Jung & Liberal

i I I / 2 0 0 4

[M i t g l i e de rmaga z i n de r J ungen L i b e r a l e n ]

F 54017

Allein unter AltenZum Umgang mit dem Demographischen Wandel

terminal D I24

GegendarstellungMartin Woestmeyer ist, anders

als in der vergangenen Aus-gabe erwähnt, 33 Jahre alt.Auch hat er sich mittlerweilevom Studentenstatus getrenntund arbeitet nun als Verkaufs-

leiter einer Privattheater-gruppe.

Wir bitten um Entschuldigung.

AusblickDie Winterausgabe des

Jung & Liberal beschäf-

tigt sich mit demThema Ökologie.

Redaktionsschluss ist

am 19. November 2004

Page 2: Jung & Liberal

inhalt I2

impressum

„jung & liberal“ ist das Mitgliedermagazin des Bundesverbandes der Jungen Liberalen. Es erscheint viermal jähr-lich. Zu beziehen ist „jung & liberal“ per Abonnement, der Jahresbezugspreis beträgt 5 Euro. Für Mitglieder derJungen Liberalen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. „jung & liberal“ wird gefördert aus Mitteln desBundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Herausgeber: Bundesverband, Junge Liberale e.V., PF 540243, 10042 Berlin, Telefon 030-28388791, Telefax030-28388799, E-Mail [email protected], www.julis.de

Chefredaktion (V.i.S.d.P): Carl Philipp Burkert, Telefon 0721-3545944, [email protected]

Redaktion: Andreas Achtzehn, Patrick Arora, Jonas Hahn, Sven Janka, Sebastian Krell, Matthias Kussin, Petra Pabst, Christopher Vorwerk

Bildredaktion: Bernd Goldschmidt, Jonas Hahn, Ann-Kristin Hannel, Sebastian Krell, Stephan Redlich

Mitarbeit: Marco Buschmann, Marcel Klinge, Felix Marquardt, Joachim Stamp, Johannes Vogel, Stefan Wester-schulze

Auflage: 11 000

Titelfoto: Carl Philipp Burkert unter Mitwirkung von Ann-Kristin Hannel und dem „Aktiven Alter“, Karlsruhe.

Gestaltung: Löning Werbeagentur, Susanne Schuchardt

Mit dem Namen des Autors versehene Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht, Belegexemplar erbeten. Für unverlangt eingesandte Fotos undManuskripte übernehmen wir keine Haftung.

thema

Den Demographischen Wandel entschlossen anpacken Seite 04

Pro und Contra: Abwanderung aus dem Osten stoppen Seite 06

Die offene Gesellschaft und ihre Parteien Seite 08

„Die FDP in die Zange nehmen“ – Liberale Senioren im Gespräch Seite 10

Mein Leben 2050 Seite 11

freies denken

„Keine Spasspartei wie die FDP“ – Martin Sonneborn im Gespräch Seite 12

Joachim Stamp: Argumente statt Platitüden II Seite 13

Hartz IV oder Bürgergeld – Sozialstaat quo vadis? Seite 14

Kräftige Brise aus Nordwest – Der Windpark Butendiek Seite 16

liberal

Urwahl in NRW Seite 18

Aktionsberichte aus dem Verband Seite 19

Aktionsprogramm des Bundesvorstands Seite 20

Marcel Klinge: Unter der Kuppel Seite 22

Terminal D Seite 24

liberal I23

Zum Pro&Contra „Recht auf Privatko-

pie?“ Von Sebastian Marsching und

Marco Buschmann:

Die Fakten sind klar und deutlich.

Alleine im Jahr 2002 verursachten

“Copyfriends“ durch illegale Vervielfälti-

gungen von Musik, Software und Film

gigantische Milliardenverluste bei der

Unterhaltungsindustrie. Softwarekonzer-

ne erwirken Tausende von richterlichen

Anordnungen gegen Nutzer von Online –

Tauschbörsen und verklagen sie zu

knapp dreifachen Milliarden Schadens-

ersatzsummen.

Trotz dieser Drohungen sind viele

Unternehmen konzeptionslos und zerrei-

ßen sich selbst. Selbst Giganten wie Sony

verdienen auf der einen Seite sehr gut

durch den Verkauf von Brennern und

Rohlingen, auf der anderen Seite ver-

zeichnen sie auch einen unprognostizier-

baren Einbruch in ihre Musiksparte. Der

Verkauf von Brennern, den neusten

Abspielgeräten sowie von jährlich 486

Millionen Rohlingen in Deutschland –

das sind dreimal so viel wie zu Hoch-

Zeiten des Kassettenrecorders an Leer-

kassetten verkauft worden ist - symboli-

siert den starken Einfluss der Sparte bei

den Elektronikherstellern.

Da auch der neuste Kopierschutz

schnell geknackt wird, erprobt das deut-

sche Fraunhofer Institut, das einst

Formate wie MP3 erfand, eine Art von

digitalem Wasserzeichen, das jeden

Täter sofort identifiziert, der einen Film

oder Song als Erster ins Internet stellt.

Inwieweit es möglich ist, diesen Trend

anhand der Technik zu stoppen, ist noch

fraglich.

Seit Jahren drängen Musikkonzerne

die Regierungen in Europa und den USA,

die Gesetzesgrundlage zu verschärfen.

Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, in-

wieweit es möglich ist, solche konse-

quenten Gesetze durchzuführen.

Pascal Barkhausen

Leserbriefe

Zu „Mir gehört die Autobahn“ von Andreas Achtzehn:

Ich bezweifle den Sinn der Privatisierung von Straßen zur

Sanierung des maroden Staatshaushaltes. Die Straße ist ein

Umweltgut, das natürliche Potenziale besitzt, also Dienst-

leistungskapazitäten, die mehrfach in Anspruch genommen

werden können. Umweltgüter basieren zudem auf der

Annahme der absoluten Knappheit, das heißt sie sind nicht

reproduzierbar. Die Substituierbarkeit von Straßen ist eben-

falls starkt eingeschränkt. Die Nutzung von knappen Gütern

führt früher oder später zu einer Überschreitung der Nutz-

ungsgrenze. Dies führt zu Erschöpfungsproblemen wie Staus

und zerstörten Fahrbahnen.

An dieser Stelle kommt der Ruf nach Privatisierung der

Straße, was im Grunde der Regulierung der Nutzung über

den Preis entsprechen würde. Damit werden Personen von

der Nutzung der Straße ausgeschlossen, die es sich finan-

ziell nicht leisten können. Dieser Marktmechanismus führt

zu einer ineffizienten Allokation der Straße, da keine

Verteilung über die Nutzenstiftung stattfindet, sondern

allein über den Preis.

Öffentliche Güter sind dadurch gekennzeichnet, dass kein

Preis, aber eine relative Knappheit, in Bezug auf die

Nutzung, vorhanden sind. Öffentliche Straßen sind hier ein

Beispiel, für deren Nutzung kein Preis bezahlt werden muss.

Daher kommt es zu einer starken Nutzung dieses Gutes – es

bilden sich Staus auf den Straßen, wodurch deren Nutzung

eingeschränkt ist, wovon niemand etwas hat. Unter diesen

Gesichtspunkten wäre die Privatisierung von Straßen even-

tuell sinnvoll, doch dabei muss immer das gesamte Umfeld

betrachtet werden.

Im Fall der Privatisierung von Straßen würden Mautstellen

errichtet werden, an der der Autofahrer einen Preis für die

Nutzung der Straße zu bezahlen hat. Dieses würde im

Gegenzug zur Präferenzverlagerung von privaten auf öffent-

liche Straßen führen, auf denen es zur Übernutzung kommt.

Am Ende hat niemand etwas von der Privatisierung:

Weder die Nutzer, noch die Gesellschaft, die die private

Straße betreibt. Sie bleibt auf ihren Kosten sitzen, die bei-

spielsweise durch den Erwerb der Straße und die Errichtung

der Mautstellen entstanden sind. Im Gegenzug wird das

Gemeinlastprinzip für die Reparatur der öffentlichen Straße

aufkommen. Dieses geht auf die Kosten der Bevölkerung, da

das Gemeinlastprinzip über Steuergelder und Abgaben

finanziert wird. Die Privatierung von Straßen würde also nur

Sinn ergeben, wenn alle Straßen privatisiert würden, um

möglichen Präferenzverlagerung zu unterbinden.

Michael Fichtner

Page 3: Jung & Liberal

editorial I3

All

ein

un

ter

Alt

en

Mit der Deutschen Bahn quer durch das Land. Die

Menschen sehen alle so normal aus: Einige Junge,

viele im mittleren Alter und wenige Alte. Auch

wenn ich mich anstrenge, ich kann den Demographischen

Wandel nirgends entdecken. Weder im Großraum, noch in den

Abteilen; nicht einmal im Speisewagen! Werden wir wirklich

bald Allein unter Alten sein?

Auch wenn ich sie im ICE 652 nicht entdecken kann, in der

Statistik sind sie nicht zu übersehen. Die OECD sagt das Kippen

der Alterspyramide voraus und auch wenn man den Zahlen-

domteuren und ihren Prognosen misstraut: Auf die Stabilität

der Pyramide mag keiner mehr wetten. Die gestiegene Lebens-

erwartung ist ein Auslöser des Wandels, die geringe Geburten-

rate ein anderer. Die Lebensentwürfe der jungen Menschen

haben sich in den letzten Jahren geändert. Kommt der Kinder-

wunsch darin nicht mehr so stark vor wie bisher?

Durch gestiegene Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt und

einem stärkeren Drang nach Unabhängigkeit ist der Wunsch

nach mehr Bildung bei mehr Menschen stärker geworden. Das

auf diesem Weg gelernte Wissen später auch praktisch anwen-

den zu wollen, ist eine verständlich Konsequenz. Dieser Wun-

sch steht jedoch der Gründung einer Familie häufig diametral

entgegen.

So man dies ändern möchte, muss man nicht nur eine Fami-

lieninfrastruktur schaffen. Man muss auch für gesellschaftliche

Akzeptanz der Nutzung dieser Infrastruktur werben. Mag ein

Angebot an Kinderkrippen noch so gut sein: Mütter und Väter

werden ihre Kinder erst dort abgeben, wenn sie dafür im Be-

kannten- und Verwandtenkreis nicht nur unverständliche

Blicke ernten. Erst wenn dieser Schritt von der Gesellschaft ak-

zeptiert wird, werden sich wieder mehr Paare für Kinder ent-

scheiden. Erst dann werden wir eine Trendwende bei den Ge-

burtenraten sehen.

Es ist also nicht der Staat alleine, der durch seine Regulie-

rung und Förderung auf den Demographischen Wandel reagie-

ren muss: Es ist auch die Gesellschaft der Bürger.

Auf den kommenden Seiten blicken wir dennoch primär auf

den Staat. Nach einer thematischen Einführung von Johannes

Vogel streiten sich Sven Janka und Patrick Arora über Möglich-

keiten, die Abwanderung aus den östlichen Bundesländern zu

stoppen. Denn auch hier wirkt der Demographische Wandel:

Wo durch zu wenig Nachkommen die Hoffnung auf Zukunft

ausbleibt, werden auch die verbleibenden jungen Menschen

das Weite suchen. Matthias Kussin betrachtet, wie die liberalen

Parteien Europas auf Zuwanderung reagieren und Jonas Hahn

gewährt uns abschließend schon jetzt einen Einblick in sein

Leben im Jahr 2050. Viel Vergnügen bei der Lektüre.

Carl Philipp Burkert

Photo: P

eter Empl fotographie

Page 4: Jung & Liberal

Seit geraumer Zeit ist der „demo-

graphische Wandel“ aus der öf-

fentlichen Debatte in Deutschland

nicht mehr weg zu denken, und auch

die JuLis widmen ihm den Leitantrag

auf dem nächsten Bundeskongress (zu

finden unter www.julis.de). Umso

erstaunlicher, dass der Kern des Themas

oft scheinbar mehr „umkreist“, denn

direkt angesprochen wird. Viele schei-

nen sich hierzulande noch heute nicht

sicher zu sein, ob die Zusammensetzung

der Bevölkerung überhaupt ein Thema

ist, das der politischen Debatte und

politischen Zielvorstellungen unterlie-

gen sollte.

Insbesondere Liberale tun sich schwer,

da auch schnell die Sorge aufkommt,

man könnte staatlicherseits auf indivi-

duelle Lebensentscheidungen der Bürger

Einfluss nehmen wollen. Diese berech-

tigte Sorge stellt jedoch keinen Wider-

spruch zur politischen Betrachtung der

Demographie dar. Bereits auf der theo-

retischen Ebene bekennen sich natürlich

auch Liberale zum Konzept von Staat

und Nation. Auch in der konkreten Po-

litik definieren wir gewisse Dienste an

der Gemeinschaft - wie z.B. das Ehren-

amt oder der Militärdienst in Zeiten

außergewöhnlicher Bedrohungen - als

zu fördernden Selbstzweck. Die politi-

sche Betrachtung der Nation als Ganzes

ist uns also nicht fremd. Dies ist somit

auch bezüglich der demographischen

Zusammensetzung heute nur eine

Selbstverständlichkeit. Entscheidend ist

vielmehr, auf welchem Weg politische

Zielvorstellungen erreicht werden sol-

len.

Deutschland steht nicht nur wirt-

schaftlich im globalen Wettbewerb. Vie-

le haben noch nicht wirklich realisiert,

dass wir Wohlstand und den Status ei-

ner vorbildlichen Gesellschaft nicht ab-

onniert haben. Realistisch betrachtet

lässt sich eine Veränderung der Gesell-

schaft, wie z.B. das Altern der Bevölke-

rung, jedoch nicht aufhalten, noch

wäre dies wünschenswert. Diese Konstel-

lation wird durch die demographische

Veränderung verschärft. Es ist für die

gesamtwirtschaftliche Leistungsfähig-

keit und das Potenztial für Forschung

und Innovation in Deutschland nicht

gleichgültig, ob die Gesellschaft massiv

schrumpfen wird. Völlig lässt sich eine

Veränderung der Gesellschaft – so wird

diese in jedem Fall älter werden – rea-

listischerweise jedoch weder aufhalten,

noch wäre dies wünschenswert. Daher

ist auf die Herausforderungen nur mit

einer Doppelstrategie zu antworten, die

– entgegen einem oftmals erweckten

Eindruck– keinerlei Gegensatz oder Al-

ternative darstellt: Die Gesellschaft wird

sich an eine veränderte Zusammensetz-

ung anpassen – und gleichzeitig den

Prozess der Schrumpfung und Alterung

abfedern müssen.

Was ist also konkret zu tun?Die Familienpolitik in Deutschland

muss endlich allen Bürgern – und damit

im Vergleich zum Status quo vor allem

allen Frauen – die Erfüllung des Kinder-

wunsches bei gleichzeitiger Erwerbstä-

tigkeit ermöglichen. Dies ist die Erfül-

lung des Ideals der wirklichen Freiheit

zur individuellen Selbstverwirklichung

und wird zugleich zu einer Erhöhung

der Geburtenraten führen. Diese Klima-

veränderung hat einen entscheidenden

gesellschaftlichen Aspekt: Solange El-

tern mit kleinen Kindern im Alltag das

Gefühl haben, nicht überall erwünscht

zu sein, und z.B. in manchen Unterneh-

men immer noch nicht auf echtes Ver-

ständnis für die besonderen Probleme

thema I5thema I4

und Herausforderungen treffen, ist ein wirklich kinderfreundliches Klima meilen-

weit entfernt. Diese notwendige Veränderung betrifft jeden Einzelnen. Darüber hin-

aus gibt es jedoch auch eine massive Bringschuld des Staates: Dieser muss den

Kinderwunsch finanziell ermöglichen und BetreungsangeboteBetreuungsangebote

schaffen. Der internationale Vergleich zeigt eindeutig, wo hier in Deutschland das

Hauptproblem liegt: Betreuung und noch einmal Betreuung, qualitativ hochwertig,

ab Geburt und nicht nur vier Stunden am Vormittag.

Darüber hinaus kann auch die Zuwanderung – gesteuert nach wirtschaftlichen

Bedürfnissen – zur Abfederung von Bevölkerungsverlusten beitragen. Dies bedeutet,

dass wir neben einem möglichen Bedarf im Bereich der personenbezogenen Dienst-

leistungen vor allem hHochqualifizierte Zuwanderer zur Erhöhung der Erwerbs-

quote und des inländischen Know-How benötigen. Diese kommen jedoch nicht von

allein, sondern müssen ernsthaft gelockt und angeworben werden. Dies und erst

recht die enorme Herausforderung der Integration wird nicht zu erreichen sein,

wenn sich die Politik nicht endlich offensiv und entschieden zu der logischen Kon-

sequenz bekennt: Die Einwanderung nach Deutschland wird und muss sich verän-

dern - und zunehmen.

Da dennoch niemand die genaue Entwicklung der Gesellschaft vorhersehen kann,

müssen wir die Sozialsysteme „demographiefest“ machen, also vomn Verhältnis der

Erwerbstätigen zur Gesamtbevölkerung abkoppeln. Dies betrifft in erster Linie die

Rentenversicherung und etwas abgeschwächt auch die Krankenversicherung. An

einer Grundsatzentscheidung für eine völlige Privatisierung beider Systeme mit

gewissen sozialen Flankierungen führt hier kein Weg vorbei. So kann am konse-

quentesten die beschriebene Entkopplung erreicht werden. Der Umstieg wird zwar

in jedem Fall enorme Kosten verursachen – diese werden aber mit jedem Tag, der

ohne eine solche Radikalreform verstreicht, noch höher.

Da der demographische Wandel wie beschrieben den globalen Standortwettbe-

werb verschärft, werden politische Reformen auch in anderen altbekannten Feldern

umso dringlicher. Weniger Erwerbstätige zwingen uns noch stärker als bisher, Bil-

dung, Ausbildung und lebenslanges Lernen endlich mit oberster Priorität zu för-

dern. Der jüngst vorgestellte OECD-Bericht hat hier wieder einmal deutliche ge-

macht, dass wir in Deutschland immer noch nicht aufgewacht sind. Auch der in-

nerdeutsche Wanderungsdruck wird in einer kleineren und älteren Gesellschaft

noch verstärkt. Der Bundespräsident hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob wir

uns vom Ziel der Gleichheit der Lebensverhältnisse nicht verabschieden müssen.

Dies ist schlicht und ergreifend zu bejahend. Wir müssen allen Regionen endlich

faire Bedingungen für echten, autonomen Wettbewerb untereinander an die Hand

geben.

Zu guter Letzt darf aber in der gesam-

ten Debatte eines nicht vergessen wer-

den: Die Gesellschaft wird sich verän-

dern und älter werden. Dies ist aber

keine Horrorvision. In erster Linie heißt

es auch, dass wir alle mit geringerer

Wahrscheinlichkeit früh krank werden

und sterben. Wir werden uns in vielen

Bereichen auf neue Phänomene wie

„Seniorenstädte“ einstellen und z.B. auf

dem Arbeitsmarkt an die neue Situation

anpassen müssen. All das ist neu, muss

aber nicht negativ sein. Das wäre es

nur, wenn die beschriebenen dringend

notwendigen Anpassungen und Refor-

men weiter verschleppt würden. Denn

dies wäre verantwortungslos gegenüber

einer Gruppe, die auf die gesamte bis-

herige Entwicklung keinerlei Einfluss

hatte – die junge Generation.

Den demographischen Wandel entschlossen anpacken Johannes Vogel

Ann-Kristin Hannel für Jung & Liberal

Johannes Vogel ist Mitglied des Bundes-

vorstands, ehemaliger Chefredakteur

des Jung & Liberal. Er ist Mitautor des

Leitantrags „Deutschland fit machen

für den demographischen Wandel.“

Page 5: Jung & Liberal

„Wir brauchen hier Arbeitsplätze!“, „Die jungen

Leute hauen alle ab – und hier bleiben nur

noch die Alten und Dummen!“, „Wer soll

denn hier die Wirtschaft aufbauen, wenn keiner mehr da

ist?“ – so schallt es in die Mikrofone, wenn Ostdeutsche nach

den Perspektiven des Aufbaus Ost befragt werden.

Richtig ist, dass die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundes-

ländern durchschnittlich doppelt so hoch ist wie in den alten

Bundesländern. Richtig ist, dass viele junge und qualifizierte

Menschen die neuen Bundesländer verlassen, weil sie keine

Perspektive dort sehen. Und richtig ist auch, dass es mittler-

weile ganze Stadtteile in Städten in den neuen Bundeslän-

dern gibt, die entvölkert sind.

Was aber ist die Konsequenz aus dieser Entwicklung? Sollte

man jetzt mit staatlichen Mitteln versuchen, alle Menschen

in den neuen Ländern zum Bleiben zu bewegen? „Dableib-

prämien“ statt der bisher gezahlten Wegzugsprämien?

Wanderungen hat es in der Geschichte immer gegeben und

gibt es auch gegenwärtig nicht nur in Ost-West-Richtung. Im

19. Jahrhundert strömten die Leute ins Ruhrgebiet, weil es

dort im Bergbau Arbeit gab. Aus den strukturschwächeren

Gegenden im Westen (z.B. Nordhessen) ziehen die Leute

nach München oder ins Rhein-Main-Gebiet, weil es dort

Arbeit und Zukunft gibt.

Es ist unverantwortlich, Menschen in Neubrandenburg

oder in der Lausitz zu suggerieren, dass sich die Wirtschaft

in ihrer Region in kurzer Zeit so entwickeln wird, dass es sich

zu bleiben lohnt, anstatt sie zu motivieren, dorthin zu

gehen, wo es für sie eine Perspektive gibt.

Wir sollten Schluss machen mit dem Irrglauben, dass es

möglich ist, an allen Orten Deutschlands die gleichen Le-

bensbedingungen herzustellen. Bestärken wir die Menschen

doch in ihrem Wunsch, für sich und ihre Familie eine Zu-

kunft aufzubauen, sei es in München, Stuttgart oder Frank-

furt. Und machen wir Schluss mit der Lebenslüge, man müs-

ste nur noch mehr – in der Staatskasse nicht vorhandenes –

Geld in die neuen Bundesländer pumpen, dann würden

schon alle bleiben.

Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung sind in den

neuen Bundesländern im Moment nicht genügend Arbeits-

plätze vorhanden. Das kann in den kommenden Jahren so

bleiben oder es kann sich ändern. Keiner weiß dies. Niemand

sollte aber jetzt den Menschen in den neuen Bundesländern

einreden, dass sich die Lage auf jeden Fall bald bessern wird

und versuchen, sie bis dahin mit Subventionen und

Sozialleistungen dort zu halten.

Und wer weiß: Vielleicht sind ja die Chancen, die heute in

München, Stuttgart oder Frankfurt zu finden sind, in fünf-

zehn Jahren in Leipzig, Dresden oder Jena? Dann werden die

Menschen aus dem Westen eben dorthin ziehen.

Die fünf neuen Bundesländer ihrem Schicksal zu über-

lassen, wäre so, als ob ein Arzt die Behandlung des

Patienten abbricht, nur weil die Operation mühselig

und langwierig ist, und ihn somit seinem Schicksal über-

lässt.

40 Jahre Sozialismus lassen sich nicht über Nacht unge-

schehen machen, und auch nicht in 15 Jahren. Jedermann

weiß, dass es leichter ist, Dinge zu zerstören, als sie wieder

aufzubauen.

Wenn gegen die Abwanderung nichts unternommen wird,

werden nicht nur die Folgen für diejenigen, die nicht umzie-

hen wollen oder können, verheerend sein. Es handelt sich

dabei um einen Prozess, der, einmal zur Vollendung ge-

bracht, nicht wieder umgekehrt werden kann. Die soziale

und wirtschaftliche Infrastruktur in vielen Gegenden wird

vollends zum Erliegen kommen. Grundstücke verlieren mas-

siv an Wert, das Interesse an verkehrspolitischen Maßnah-

men in diesen verlassenen Gegenden wird rapide sinken.

Ohne diese Infrastrukturen werden sich auch in Zukunft

keine Unternehmen dort ansiedeln, eine „Rückwanderungs-

welle“ wird es niemals geben. Es wird sowohl ein regionaler

Markt fehlen, als auch der Anreiz für qualifizierte Arbeits-

kräfte, in Gegenden umzuziehen, die außer Geisterdörfern

und verfallener Straßen nicht viel zu bieten haben.

Dresden, Leipzig und Jena beweisen, dass es trotz schwieri-

ger Rahmenbedingungen möglich ist, passable Beschäfti-

gungsquoten und Zuwächse in der Wirtschaftskraft zu errei-

chen.

Blinde Förderung nach dem Gießkannenprinzip konnte

und kann auch zukünftig nicht zum Erfolg führen. Es gilt,

intelligente und flexible Konzepte zu entwerfen, die den

jeweiligen Anforderungen der problematischen Regionen

gerecht werden. Es gilt, Stärken herauszustellen und gezielt

zu fördern. Und es gilt, den Menschen Hoffnung zu geben,

ohne ihnen Illusionen zu machen. Dazu gehört auch, die

Realität eines möglicherweise auf geraume Zeit geringeren

Lebensstandards durch niedrigere Löhne zu akzeptieren.

Politik, Wirtschaft und die Bevölkerung haben eine ge-

meinsame Verantwortung gegenüber den Bürgern in Ost-

deutschland, ob sie dies wollen oder nicht. Dieser Verantwor-

tung gilt es sich zu stellen.

Resignation würde bedeuten, sich der Verantwortung aus

fiskalpolitischen Gründen zu entziehen und den Osten

Deutschlands ein für alle mal abzuschreiben. Die

Verfehlungen und Misswirtschaft der vergangenen Jahre

würde nicht nur akzeptiert, sondern auch toleriert, anstatt

aus den gemachten Fehlern zu lernen und mit Geduld und

Visionen den Aufbau voranzutreiben.

Contra: Jeder Versuch ist zwecklos!Patrick Arora

Pro: Abwanderung aus dem Osten stoppen!Sven Janka�

L/Halle Wolfen-Nord Photos: Schrumpfende Städte, Büro Philipp Oswalt, Berlin L/Halle Wolfen-Nord Abriß L/Halle Merseburg Zentrum

thema I6 thema I7

Der Demographische Wandel wirkt sich auch auf dieWanderungsbewegungen innerhalb unseres Landes aus.Wo es nur sehr wenige Jugendliche gibt, werden die ver-bleibenden abwandern, so sie keine Perspektive mehrsehen. Dies gilt insbesondere für die östlichenBundesländer. Sollte die Politik eingreifen?

Page 6: Jung & Liberal

thema I9thema I8

lische Verpflichtung Europas zur Auf-

nahme politisch Verfolgter und die

Bedeutung des „Rechts auf Asyl“.

Ihre Positionen für eine engagierte

Flüchtlings- und Asylpolitik begründen

die Liberalen vor allem mit normativen

Gründen – anders als ihre Vorschläge

in der Einwanderungspolitik. Die Förde-

rung von und Forderung nach Immigra-

tion wird hier vor allem mit dem Lan-

desinteresse begründet, wobei jedoch

nicht allein mit ökonomischen Kosten-

/Nutzenkalkülen argumentiert wird:

Ebenso profitiere Großbritannien von

den kulturellen Einflüssen der einge-

wanderten Minderheiten; die Partei be-

kennt sich nicht zuletzt deshalb zu einer

multikulturellen und multiethnischen

offenen Gesellschaft. Im Zuge einer

starken Akzentuierung dieses Themen-

bereichs wird vor allem die Regierungs-

politik kritisiert. So moniert Parteichef

Charles Kennedy nicht allein Entschei-

dungen auf tagespolitischer Ebene wie

beispielsweise die Kürzungen der Leis-

tungen für Asylsuchende, die Premier-

minister Tony Blair in der jüngsten Ver-

gangenheit durchgesetzt hat. Vielmehr

werfen er und seine Parteifreunde der

Regierung eine negativ ausgerichtete

Grundhaltung gegenüber Minderheiten

vor, die sich in innen- und rechtspoliti-

schen Fragen bis hin zum Irakkrieg

wiederfinden lasse. Die liberal demo-

crats betrachten sich auch aufgrund

dieser Entwicklungen als die Partei der

Einwanderer und ethnischen Minder-

heiten in England. Gerade diese Grup-

pen seien von der Politik von New La-

bour schwer enttäuscht – die Liberalen

böten diesen Menschen eine geistige

politische Heimat.

Liberalen fordert auch die D66 eine

europäische Asylpolitik. Politisch und

religiös Verfolgten soll nicht allein der

Aufenthalt in der EU gewährt werden.

Gleichzeitig plädiert die D66 für eine

Arbeitserlaubnis für Asylsuchende und

warnt vor eine Isolation dieser

Menschen in der Gesellschaft.

Das Drei-Säulen-Modell – das Beispiel Deutschland

Einen Streit zwischen Parteien um die

liberale Position in der Flüchtlings- und

Einwanderungspolitik wird es in

Deutschland auf absehbare Zeit vermut-

lich nicht geben – schließlich vertritt

mit der FDP in Deutschland derzeit al-

lein eine (ernstzunehmende) Kraft den

parteipolitisch organisierten Liberalis-

mus. „Zuwanderung steuern und be-

grenzen, Integration fördern“ – mit die-

sem Titel haben die deutschen Liberalen

ihr Kapitel zur Zuwanderung im soge-

nannten Bürgerprogramm, dem Pro-

gramm zur Bundestagswahl 2002, über-

schrieben, das auf drei Säulen fußt:

Diese sollen „eine stärkere Ausrichtung

der Zuwanderung am eigenen Interesse

unseres Landes, Wahrung der humani-

tären Verpflichtungen Deutschlands

und Verbesserung der Integrationsbe-

mühungen“ ermöglichen. Dabei setzt

die FDP an einer Erkenntnis an, über

Würde über eine konkrete Richtlinie zur Einwanderungs- und der Asylrechts-

politik in Europa im europäischen Parlament abgestimmt werden – die

Fraktion der Liberalen, die ALDE besäße vermutlich noch einen hohen

Abstimmungsbedarf. Bei Betrachtung der verschiedenen Parteiprogramme sowie der

Schwerpunktsetzung der liberalen Parteien zu diesem Politikbereich wird deutlich:

Die liberale Einwanderungs- und Asylrechtspolitik gibt es nicht. Zu unterschiedlich

erscheinen die Parteienstrukturen sowie länderspezifische Ausprägungen in diesem

Bereich.

Die Partei der ethnischen Minderheiten – das Beispiel GroßbritannienGinge es nach den britischen Liberalen, den liberal democrats, so besäßen wir

wohl dennoch bereits eine gemeinsame europäische Einwanderungs-, aber auch

Asyl- und Flüchtlingspolitik: Für die liberal democrats, drittstärkste Partei in Eng-

land und stärkste Gruppe der Liberalen im europäischen Parlament, ist zunächst

eine Trennung beider Bereiche ein unverzichtbarer Ausgangspunkt: Die Aufnahme

von Nicht-EU-Ausländern aus humanitären Gründen sei dabei eine Verpflichtung,

der sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gemeinsam zu stellen hätten.

Unter dem Begriff „Havens of Hope“ betonen die liberal democrats die starke mora-

Für eine strikte Immigranten-politik – das Beispiel Niederlande

So einig sich die britischen Liberalen

als Pro-Einwandungs und Pro-Asyl-

rechtspartei im englischen Parteien-

spektrum positioniert haben, so gespal-

ten erscheinen die niederländischen Li-

beralen in dieser Frage. Der politisch

organisierte Liberalismus in den Nieder-

landen wird von zwei Parteien, der eher

rechtsliberalen VVD und der tendenziell

linksliberalen, etwas kleineren D66,

vertreten, die beide gemeinsam mit den

Christdemokraten (CDA) die Regierung

bilden. Gerade in den vergangenen Jah-

ren gewann dabei in den Niederlanden

generell die Frage an Brisanz, ob das

lange verfolgte Ideal einer multikultu-

rellen Gesellschaft gescheitert sei; der

Rechtspopulist Pim Fortuyn fungierte

dabei als Sprachrohr für Bürger, die

dem über Jahrzehnte gewachsenen Kon-

sens der niederländischen Gesellschaft

im Umgang mit Einwanderern nicht

mehr folgen wollten.

Auch die VVD argumentiert tenden-

ziell in eine vergleichbare Richtung: „30

Jahre Einwanderung haben der Wirt-

schaft nichts eingebracht“, erklärte der

VVD-Vorsitzende Stef Block kürzlich den

stark restriktiven Kurs seiner Partei in

den Fragen der Einwanderungs- und In-

tegrationspolitik. Sprachkurse sollten

von Einwanderern künftig selbst finan-

ziert werden, da diese Kosten nicht

mehr vom Staat zu tragen seien. Zu-

gleich wirbt die Partei in Fragen der

Asyl- und Flüchtlingspolitik für eine

„strikte Immigrantenpolitik“. Asylver-

fahren sollen schnell abgewickelt und

Personen mit zurückgewiesenen Anträ-

gen umgehend abgeschoben werden.

Personen ohne Ausweise müssen sich in

abgeschlossenen Bereichen aufhalten,

bis der Vorgang geklärt ist. Bei Zweifeln

an einer vollständigen Kooperation mit

den Behörden ist schließlich die unver-

zügliche Ausweisung einzuleiten.

Die linksliberale D66 setzt, obwohl in

einer Regierungskoalition mit der

rechtsliberalen VVD, in ihren Program-

men beinahe gegensätzliche Schwer-

punkte. Ähnlich wie die englischen

Die offene Gesellschaft und ihre ParteienEine liberale Einwanderungspolitik gibt es in Europa nicht Matthias Kussin

Graphik: Bernd Goldschmidt für Jung & Liberal

Wie Zuwanderung die demographische Lage auch verschärfen kann

Ein stetiger positiver Zuwanderungssaldo (= Zahl der Zuwanderer minus Zahl der Abwanderer)kann eine Bevölkerungszahl auf Dauer erhöhen und das Durchschnittsalter senken. Allerdingskann ein solcher positiver Zuwanderungssaldo auch komplett das Gegenteil bewirken. Glaubtihr nicht? – Dazu ein kleines Gedankenspiel: Ein Land hat stabil 1000 Einwohner (Geburtenund Sterbefälle gleichen sich aus). In jedem Jahr sollen 200 Personen im Saldo hinzuwandern,d.h. 100 20-Jährige verlassen das Land und 300 90-Jährige kommen hinzu. Da die 90-Jährigen kaum noch über eine hohe Restlebenserwartung verfügen, also ohnehin in naherZukunft versterben, lässt sich stark vereinfacht behaupten, die geschilderte Situationbeschreibt im Grunde einen stetigen negativen Wanderungssaldo von 100 (nämlich der Zahlder jährlich abwandernden 20-Jährigen). Somit sinkt Jahr für Jahr die Bevölkerungszahl,wobei das Durchschnittsalter steigt. Auch wenn dieses Beispiel nur ein stark vereinfachtesModell ist, gilt dieses Prinzip jedoch gleichermaßen bei den realen Bevölkerungsbewegungen.Deshalb sollte es das politische Ziel sein, möglichst junge Menschen zuwandern zu lassen,zumal deren Familienplanung ja auch noch nicht vollendet ist.

Sebastian Petermann, 24, Diplom-Demograph, Kreisvorsitzender der Julis Rostock

die in Deutschland noch nicht über die

Parteigrenzen hinweg Konsens besteht:

Deutschland ist ein Einwanderungsland,

weshalb der faktisch stattfindende Zu-

zug von Menschen aus anderen Län-

dern gesteuert – und die Integration in

der Gesellschaft aktiv – zum Beispiel

durch effektiveres Erlernen der deut-

schen Sprache – befördert werden muss.

Das Interesse Deutschlands an Einwan-

derung wird dabei – ganz anders als

beispielsweise bei den englischen Libe-

ralen – vor allem als ein ökonomisches

und demographisches definiert. Statt

der Förderung einer multikulturellen

Gesellschaft soll damit vor allem der

Fachkräftemangel kompensiert werden.

Dieser skizzenhafte Blick auf drei

Beispiele aus der liberalen Parteien-

landschaft in Europa macht deutlich: In

der Einwanderungsfrage offenbaren sich

bei den europäischen liberalen Parteien

nicht allein differierende Positionen,

sondern vor allem auch unterschiedli-

che Mentalitäten, die sich auch mit

Blick auf weitere Länder erkennen las-

sen dürften. Von der Partei der ethni-

schen Minderheiten bis zu einer strikten

Einwanderungspolitik – für eine ge-

meinsame Position in der ALDE gäbe es

im Fall der Fälle vermutlich noch einen

hohen Abstimmungsbedarf.

Page 7: Jung & Liberal

thema 11thema I10

2. Dezember 2050Den ganzen Nachmittag online verbracht,

Weihnachtsgeschenke gesucht. Nichts gefun-

den außer selbstheizenden Socken. Debakel.

Gegen Nachmittag Olympia angeguckt.

Wieder nur 5 Goldmedaillen für Europa.

Unsere Olympioniken sind alle zu alt. Der-

zeit räumen immer afrikanische oder asiati-

sche Staaten im Medaillenspiegel ab. Dazu

sind die Zuschauerquoten mies. Und mal

ehrlich: 50-Jährige Synchronspringer, das

mag auch niemand angucken. Als meine

WG-Mitbewohner zurückkamen, war Woh-

nung schmücken dran. Fand den als

Deckenschmuck ausgewählten Dioden-Stern-

enhimmel übertrieben, aber sie meinten, er

sei so billig gewesen. Spätnachrichten brin-

gen Sondersendung zum 69. Geburtstag von

Britney Spears.

7. Dezember 2050Morgens Gymnastik. Meine WG-Mitbe-

wohner (70 und 73) und ich haben uns in so

einem Fitnessprogramm angemeldet. Verab-

reden uns mit Freunden für nächste Woche

im Freizeitpark, die bieten wieder den „Plus

70 Day“. An diesem Tag kommen nur Men-

schen über 70 in den Park. Prima Angebot,

Busfahrt mit inbegriffen. Mittagessen beim

Afrikaner. Afrika ist inzwischen überall. Ob

Kunst, Kultur oder Wirtschaft. Afrikanisch ist

der neue Trend nach dem chinesischen im

letzten Jahrzehnt. Ich mag das, weil sie ver-

nünftige Küche servieren. Politisches Streit-

gespräch zur kommenden Wahl gesehen.

Die Jusos fordern Steuerfreiheit von Familien

mit Kindern und Besteuerung der Lebensar-

beitszeit. Die Seniorenpartei ist strikt dage-

gen. Der Kanzler reagiert unwirsch auf die

Forderungen der Dreikäsehoch.

12. Dezember 2050Arbeite unentgeltlich bei einer Wirt-

schaftsberatung. Immer nur Freizeit ist lang-

weilig und ich fühle mich nützlich. Bräuchte

das Geld auch nicht. In den 30ern mit mei-

nen Aktien von Achterbahnherstellern

Reibach gemacht. In unserer Wirtschaftsbe-

ratung sind fast nur über 60-Jährige ange-

stellt. Wir helfen mit unserer Erfahrung aus.

Agenturen vermitteln sie dahin, wo sie be-

nötigt wird. Meistens an junge Leute, die

noch nicht wissen, wie der Hase läuft.

Kaffeepause. Gesprächsthemen Nummer

eins: Gesundheit und Geld. Die neuesten

Gen-Kuren, die beste Geldanlage fürs Alter.

Spreche mit der neuen 30-jährigen Mitarbei-

terin aus Indien. Sie hat zwei echte, eigene

Kinder! Zwei! Sie lässt sie in unserer Kinder-

tagesstätte betreuen. Von meinem Projekt-

koordinator erfahre ich, dass Kollegin Kropp,

selbst knapp über 90, einen neuen Lebensge-

fährten hat, der 50 ist. Das sei ja wohl ein

wenig geschmacklos, meint er, bei dem Al-

tersunterschied, ein junger Hüpfer sei das!

Der Kaffee ist schon alle. Zurück ins Büro.

Auf dem Nachhauseweg Schulklasse gese-

hen, die erste seit Monaten.

14. Dezember 2050Soll mich für die jährliche Weiterbildung

anmelden. Wahl zwischen den Kursen „Er-

fahrungen optimal vermitteln“ oder „Denk

dich jung!“ fällt mir schwer, ich werde mich

später entscheiden. Einkaufen gegangen, die

Bewegung tut mir gut. Zum Treffpunkt für

die Abfahrt zum Freizeitpark komme ich

pünktlich. Der Bus ist rappelvoll. Fahrt zum

Freizeitpark durch Nordhessen. Wo man hin-

blickt leere Landstriche. Nach der Ankunft

gleich ein paar Bananenchips gekauft. Na

klar: Der SpaceTorment-Scooter mit 150

Meter Höhe ist wieder überlaufen. Trotzdem

gewartet, das Ding ist der Knaller. Mitbe-

wohnerin kreischt vor Freude beim Fahren.

Immer noch keine Idee für Weihnachtsge-

schenk. Ich mag mir nicht vorstellen, wie

das zu Mutters 110. Geburtstag werden soll,

wenn mir jetzt schon die Geschenkideen

ausgehen.

17. Dezember 2050Heute sind Wahlen. Seniorenpartei

gewinnt haushoch mit 55%. Die Senioren-

partei ist eine Abspaltung der früheren CDU

und sie hält sich bereits erfolgreich seit fast

15 Jahren im Bereich der hohen Prozente.

Weihnachtsgeschenk gefunden! Verschen-

ke dieses Jahr eine lustige elektronische Ent-

scheidungshilfe. Habe 30 Stück bestellt, das

reicht für die wichtigsten Freunde und Be-

kannten.

Abends mal wieder digitale Zeitung gele-

sen. Spannender Artikel über den kommen-

den Babyboom. Was das für unsere Sozial-

systeme bedeuten könnte!

J&L: Werden die Liberalen Senioren (LISA) in

Zukunft die stärkste Kraft innerhalb der FDP?

Dr. Kurt Sütterlin: Die dominierende Kraft

sicherlich nicht – aber: sie werden eine

immer stärkere Kraft werden; auf jeden Fall

werden müssen. Denn die Teilhabe der älte-

ren Generation am politischen Willensbil-

dungsprozess, vor allem auch in der FDP ist

eine schlichte Notwendigkeit.

J&L: Wenn im Jahre 2050 auf 100 Erwerbs-

tätige knapp 100 Rentner kommen, haben Sie

sicherlich ein gutes Potential.

Dr. Kurt Sütterlin: Ich glaube nicht an diese

Zahlen. Sie interessieren uns auch im Au-

genblick nicht so sehr. Wir orientieren uns

daran, dass jetzt bei der letzten Bundestags-

wahl ein Drittel aller Wahlberechtigten Bür-

gerinnen und Bürger 60 und älter waren.

Das heißt: Diese Altersgruppe entscheidet in

großem Umfang das Wahlergebnis. Für uns

ist der wichtigste Punkt, dass diese Alters-

gruppe zunehmend differenziert wählt, also

nicht wie früher überwiegend konservativ.

J&L: Die Jungen Liberalen versuchen dem

Demographischen Wandel unter anderem mit

der Forderung nach einem kapitalgedeckten

Rentensystem zu begegnen.

Dr. Kurt Sütterlin: Wir sehen das im Prinzip

genauso. Die Schwierigkeit dabei ist, dass

diejenigen, die sich auf das alte System ver-

lassen haben, eine vernünftige Übergangs-

zeit brauchen. Das sind natürlich die heuti-

gen Rentner und vor allem diejenigen, die

relativ kurz vor der Rente stehen. Natürlich

kann ich nicht von heute auf morgen das

System komplett ändern.

J&L: Ein weiterer Baustein der Reaktion auf den

Demographischen Wandel ist die Familien-

politik. Ist das auch für die Liberalen Senioren

noch ein Thema?

Dr. Kurt Sütterlin: Unser Programm ist eine

Gesamtaussage vom Kindergarten bis zur

Rente. In einem vielleicht etwas überra-

schendem Punkt spüren wir das auch bei

unseren Aktivitäten: Sehr viele Ältere küm-

mern sich um ihre Kindergeneration, gar

nicht mit so viel Sorge. Sorgen machen sie

sich um ihre Enkel, weil sie deren Ausbil-

dungs- und Lebenschancen für problema-

tisch halten. Wir haben – etwas zugespitzt

gesagt – ein verstärktes Interesse der Großel-

terngeneration für die Enkel. Für uns ist eine

vernünftige Seniorenpolitik ohne eine akti-

ve, gesamtgesellschaftlich getragene Fami-

lienpolitik nicht machbar.

Frau Prof. Lehr, die früher unter Kohl mal

Familienministerin war, hat darauf hinge-

wiesen, dass es nicht zu viele Alte, sondern

zu wenig Junge gibt. Für uns ist eine ver-

nünftige Seniorenpolitik ohne eine aktive,

gesamtgesellschaftlich getragene Familien-

politik nicht machbar.

J&L: Die Liberalen Senioren und die Jungen

Liberalen umrahmen die FDP – sollten die bei-

den Organisation in Zukunft verstärkt

zusammenarbeiten?

Dr. Kurt Sütterlin: Wir haben schon jetzt

eine gute Zusammenarbeit und fördern dies

auch. Beide Organisationen haben an der

politischen Teilhabe bestimmter Bevölke-

rungsgruppen ein starkes Interesse und müs-

sen die politisch handelnde Generation, also

diejenigen die zwischendrin sind, regelrecht

in die Zange nehmen.

Das Gespräch führte Carl Philipp Burkert

„Die FD

P in die Zange nehm

en.“G

espräch m

it Dr. K

urt S

ütterlin

, stellvertretender B

un

desvorsitzender der L

iberalen S

enioren

Mein Leben 2050Jonas Hahn

Jonathan Keller dokumentiert im Internet seinen Alterungsprozess. Jeden Tag

stellt er ein neues Portrait auf seine Website http://www.c71123.com/daily_photo/

Page 8: Jung & Liberal

freies denken I13freies denken I12

16.-17.10.0429. Bundeskongress der JuLisin Lübeck

03.-05.12.04Politisch-programmatischesWochenende, Gummersbach

18.-20.03.0530. Bundeskongress der JuLis

05.-07.05.05FDP-Bundestagsparteitag in Köln

Nationale Termine

25.-28. 11. 2004IFLRY 26th Extraordinary Ge-neral Assembly und ExecutiveCommittee in Poznan, Polen

03.-05. 12. 2004LYMEC Executive Committee in Rom, Italien

Internationale Termine

J&L: Wo im politischen Spektrum positioniert

sich ihre Partei? Versteht sich Die Partei als

mehr als nur eine reine Protestpartei?

Martin Sonneborn: Ich betone, wir sind

keine Spaßpartei wie die FDP, wir sind die

linke Partei, von der wochenlang allerorten

gefaselt wurde. Aber ich sage auch ganz

offen, dass wir mit einem schmierigen und

populistischen Wahlkampf die Stimmen

auch der Protestwähler zu gewinnen denken.

J&L: Die Essenz für den Erfolg einer jeden Partei

ist ihre Jugendorganisation. Für wann plant Die

Partei den Aufbau einer Jugendorganisation?

Martin Sonneborn: Wir sehen das ähnlich

und haben bereits zwei komplette Jugendor-

ganisationen: Die PARTEI-Jugend für den

ganz jungen Nachwuchs, das ist die ehema-

lige „Prosecco-Jugend“ der PDS, die geschlos-

sen zu uns übergetreten ist, und für die

etwas älteren die „Turbo Jugend“, die sich

gerade der PARTEI angeschlossen hat.

J&L: Welches ist ihre Strategie für die bevorsteh-

ende Landtagswahl und insbesondere für die

Bundestagswahl 2006? Wird es einen Kanzler-

kandidaten Sonneborn geben?

Martin Sonneborn: Wenn die Wahl in NRW

im kommenden Mai zeigt, dass die Wähle-

rinnen und Wähler sich eine Regierungsbe-

teiligung oder sogar –übernahme der PARTEI

wünschen, werden wir sicherlich einen über-

zeugenden Kandidaten präsentieren. Aber

die Kandidatenfrage ist bei uns genauso

offen wie bei den Kollegen der CDU/CSU...

J&L: Wer wäre ihr Wunsch-Koalitionspartner

und was wären ihre ersten Maßnahmen?

Martin Sonneborn: Meine Wunschpartner

wären NPD und DVU. Vor allem deshalb,

weil diese Parteien sich in unserem demo-

kratischen System in öffentlich-rechtlichen

Medien offenbar nicht äußern dürfen: Da

bliebe mehr Medieninteresse für Die PARTEI.

Die erste Maßnahme wäre eine allgemeine

Entnazifizierung in der Zone – da ist, wie

man jetzt sieht, nach 1945 viel versäumt

worden– und in der Regierungskoalition. Mit

dem Erfolg, dass wir danach alleine regieren

könnten.

J&L: Ihre Kernforderung ist der Wiederaufbau

der Mauer. Auf welcher Seite davon wollen Sie

dann leben?

Martin Sonneborn: Da will ich mich auch

aus wahltaktischen Gründen jetzt noch

nicht festlegen. Aber auf unserem PARTEI-

Ausweis steht der Satz: „Mit diesem Mitglied-

sausweis darf man überall durch.“ Das gilt

natürlich auch und besonders in Bezug auf

die Mauer.

J&L: Der Name „Die Partei“ erinnert ein bis-

schen an DDR und SED. Hat Die Partei also

immer Recht?

Martin Sonneborn: Wir haben einen Na-

„Keine Spaßpartei wie die FDP“Der Bundeswahlleiter hat sie als Partei

genehmigt, mittlerweile hat die von der

Redaktion des Satiremagazins TITANIC

gegründete Partei DIE PARTEI gut 1.200

Mitglieder. Müssen sich JuLis und FDP auf

einen neuen Mitbewerber im Wettstreit

um Mitglieder und Wähler einstellen? Im

Gespräch mit dem Bundesvorsitzenden

Martin Sonneborn, der zugleich Chefre-

dakteur der TITANIC ist, versucht Christo-

pher Vorwerk für Klarheit zu sorgen.

men gesucht, der sowohl im Westen als

auch im Osten schon gut eingeführt ist, aber

natürlich hat Die PARTEI immer Recht.

J&L: Und zu guter Letzt: Was wollten Sie schon

immer einmal gesagt haben?

Martin Sonneborn: Der Satz, für den die

Zeit leider noch ganz nicht reif ist: Auf

Wiedersehen Schröder, Merkel, Westerwelle,

Gerhard, Sie haben ab jetzt sehr viel Zeit –

machen Sie was draus!

Photo: Tom Hintner / TITANIC

Im vergangenen Heft habe ich unter dem Titel „Argumente statt Plattitüden“ angeregt,

die Auseinandersetzung mit den Grünen zu verändern. Die Diskussion läuft und muss

weitergehen. Auch der designierte Generalsekreträr der FDP-NRW, Christian Lindner (25),

rückt die richtige Auseinandersetzung mit den Grünen in den Vordergrund. Das ist dringend

notwendig, wildern die Grünen doch immer stärker in liberalen Wählermilieus.

In vielen dieser Milieus finden wir „Alt-68er“ , die regelmäßig von FDP-Vorstandsgranden

als „Apo-Opas“ verspottet werden. Wir sollten aufhören, Teile unseres eigenen Klientels zu

beleidigen. Wieviele waren Ende der 60er Jahre bei den Protesten dabei, die sich in weiten

Teilen völlig zurecht gegen eine nicht-aufgearbeitete Vergangenheit, fehlende Gleichberechti-

gung, kulturelle Miefigkeit und die deutsche Unterstützung des brutalen Vorgehens der Ame-

rikaner in Vietnam auflehnten. Viele 68er haben über Köpfe wie Dahrendorf, Flach oder Mai-

hofer Anfang der Siebziger zu den Liberalen gefunden. Manche sind bis heute bei uns als

Mitglieder oder Wähler geblieben, andere haben wir gemeinsam mit vielen sehr jungen Mit-

gliedern 1982 durch die Wende und die Art des Regierungswechsels verloren.

Hier liegt ein demographisches Problem der FDP, haben wir doch im Alter zwischen Ende

30 und Ende 50 in vielen Kreisverbänden eine echte Delle. Genau in diesen Jahrgängen sind

die Grünen stark. Zufall? Natürlich nicht! Da hilft die Beschimpfung nicht weiter, sondern

nur die Differenzierung. „Karin Göring-Eckardt, die Streberin aus Thüringen, passt doch eh

besser zu Euch“, meinte letztens ein marxistischer Freund von mir. Recht hat er! Nun ist die

„Streberin aus Thüringen“ zwar keine Alt-68erin, aber könnte inhaltlich ähnlich gut auch in

unsere Reihen passen, wie die Berningers, Schlauchs und Metzgers. Wir sollten offen um diese

Leute und damit verbunden um ihre Wählerschaft werben. Denn es sind diese Realos, die

man auch als pragmatische Linksliberale etikettieren könnte, die ein vermeintlich liberales

Lebensgefühl verkörpern, mit denen es den Grünen gelingt, zu übertünchen, dass sie die

ganze Politik des Staatsbankrotts, der Zerstörung eines funktionierenden Wettbewerbs und

damit verbunden der Vernichtung von zigtausend Arbeitsplätzen mitverantworten.

Mit Verdi-Chef Frank Bsirske gehört auch ein Hauptübeltäter des gewerkschaftlichen

Crash-Kurses zu den Grünen. Verdi ist eine Gewerkschaft, die so massiv an attac-Deutschland

beteiligt ist, dass man schon von Tarnorganisation sprechen kann. Hier wird mit dem

Vorwand der Interessenvertretung der 3. Welt gegen Hartz IV und für die Besitzstandswah-

rung deutscher Arbeitnehmer gearbeitet. Da müssen wir einhaken und nachfragen, wie es

der liberale Oswald Metzger mit Bsirske in einer Partei aushält. Holen wir die Liberalen dort

heraus!

Aber wir müssen den verirrten Liberalen dann auch etwas bieten können. Wir müssen

bereit sein mit großem Engagement unsere Milieus zurückzuerobern. Und wir müssen eine

ernsthafte Alternative sein, die mehr liberales Lebensgefühl vermittelt als den Kampf gegen

Graffitis. Eine Alternative, die argumentativ besticht und die den Mumm hat, auch liebge-

wonnenem Klientel unbequeme Wahrheiten zu sagen, wenn es die liberale Überzeugung ver-

langt. Wer weiter debattieren möchte, erreicht mich per Mail [email protected]

Holt die Liberalen da raus!Fortsetzung zur Auseinandersetzung mit den Grünen Joachim Stamp

Page 9: Jung & Liberal

freies denken I14

Demonstration Leipzig, 30. August 2004 Photo: Steffi Reichert, Dessau

Demonstration Leipzig, 30. August 2004 Photo: Steffi Reichert, Dessau Demonstration Karlsruhe, 20. September 2004Photo: Carl Philipp Burkert für Jung & Liberal

Deutschlands Sommer 2004 wurde

durch das Schlagwort „Hartz IV“

bestimmt. Eine Meinung dazu scheint

jeder zu haben. Gleichwohl weiß kaum ein

Mensch, was tatsächlich dahinter steckt. Die

Bewertung aus liberaler Perspektive sollte

vor allem im Vergleich mit unserer eigenen

Sozialstaatsvision erfolgen: Einem pauscha-

lierten Negativ-Einkommenssteuer-

Transfersystem mit hälftiger Anrechnung

eigener Einkünfte – kurz Bürgergeld.

Die Kritik am Zustand des Sozialstaates

deutscher Prägung, die u.a. zu „Hartz IV“

geführt hat, ist nicht neu: Erstens wird das

Lohnabstandsgebot nicht beachtet. Daher

bestehen im Niedriglohnsektor keinerlei öko-

nomische Anreize, um legaler Erwerbsarbeit

nachzugehen. Das ist Mitursache für den

Sockel strukturell bedingter Arbeitslosigkeit

in unserem Land. Zweitens sind die recht-

lichen Verteilungsmechanismen zu kompli-

ziert. Das ist ungerecht, weil es die Findigen

statt die Bedürftigen belohnt. Für den

Steuerzahler ist es teuer, weil der daraus

resultierende Verwaltungsaufwand hoch ist.

Das Bürgergeld ist eine passgenaue

Antwort auf diese Probleme: Aufgrund ledig-

lich einer Teilanrechnung eigenen

Einkommens auf das individuelle

Transfervolumen wird ein Anreiz zu legaler

Erwerbsarbeit auf jedem Lohnniveau

gewährleistet: Jeder, der arbeitet, hat mehr

als einer, der nicht arbeitet. Durch die

Pauschalierung und Zusammenfassung aller

Leistungen zu einheitlichen Regelsätzen (auf

Niveau des materiellen Existenzminimums

mit Degression innerhalb einer

Haushaltsgemeinschaft) weiß jeder, was ihm

zusteht und der bürokratische Aufwand

minimiert sich.

Zum Teil wurde auch in der „liberalen

Familie“ behauptet, dass Hartz IV ein klei-

ner Schritt in diese Richtung sei.

Gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass die

Richtung stimme und nur handwerkliche

Fehler vorlägen. Das Schlagwort von der

Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit

der Sozialhilfe suggeriert in der Tat eine

Vereinheitlichung. Trotzdem bleibt eine reine

Mogelpackung oder um es mit Guido

Westerwelle zu sagen: Das Gegenteil von gut

– nämlich allenfalls gut gemeint. Bei allem

politischen Respekt davor, die „heilige Kuh“

Sozialstaat überhaupt einmal tangiert zu

haben, zählen nämlich letztendlich die

Fakten:

Hartz IV verletzt das LohnabstandsgebotZum Teil wird der Eindruck vermittelt, Hartz IV hätte massive Einkommensverluste für die

Leistungsbezieher zur Folge. Durchweg wird als Beleg der Regelleistungssatz von 345 Euro

(West) / 331 Euro (Ost) angeführt. Neben diesen tritt allerdings die Übernahme der gesamten

Kosten für eine angemessene Wohnung und Heizung. Hinzu kommen Zahlungen für

Angehörige.

Bei den Kosten für Unterbringung handelt es sich um eine glatte Ausweitung von Leis-

tungen: Vormals wurde nämlich lediglich eine Pauschale bezahlt (sog. Wohngeld).

Angemessenheit wird derzeit überwiegend mit 55 qm / Person und 10 qm für jede weitere

Person im Haushalt interpretiert, wobei die notwendigen Erlasse dafür noch nicht existieren.

In einer Stadt wie Bonn können die Kosten für eine angemessene Wohnung und Heizung

einer Familie ohne weiteres 700- 800 Euro oder mehr erreichen und werden auch im

Ruhrgebiet nicht unter 500-600 Euro liegen.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat errechnet, dass ein Familienvater mit

Frau und zwei Kindern, für die weitere Aufstockungen bezahlt werden, mit Hartz IV und

einem sog. „ein Euro-Job“ bereits ein Einkommen erzielt (ca. 12,50 Euro / Stunde), das z.B.

über dem Tariflohn für Facharbeiter in der Papierindustrie liegt (ca. 11,50 Euro / Stunde). Das

bedeutet, dass weiterhin Anreize bestehen, sich vom ersten Arbeitsmarkt fern zu halten.

Hartz IV beendet nicht das Nebeneinander zahlreicher EinzelleistungenHartz IV hat nicht aus vormals zwei Leistungen (Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe) eine ein-

heitliche gemacht, sondern eigentlich drei. Neben dem Regelsatz aus dem Arbeitslosengeld II

(AGL II) existiert das so genannte Sozialgeld, für das weiterhin die Sozialämter zuständig

bleiben, sowie die Leistungen für Angehörige der Bedarfsgemeinschaft des AGL II-Beziehers.

Durch die Einführung des neuen Rechtsinstituts der Bedarfsgemeinschaft, die sich inhalt-

lich nicht mit der Haushaltsgemeinschaft deckt, die aber wiederum weiterhin von Bedeutung

bleibt, ist das System der Zuteilung eher komplizierter als einfacher geworden.

Auch werden weiterhin Sonderbedarfe wie die Anschaffung eines neuen Kühlschranks,

Teppichbodens etc. vorfinanziert. Zwar müssen AGL II-Bezieher dafür wie bei einem Raten-

kredit Abzüge ihres Regelsatzes dulden. Diese sind aber – auch in Summe - auf maximal 10

% des Regelsatzes beschränkt. In Anbetracht der Größenordnung der Sonderbedarfe decken

diese Abzüge daher wohl nur selten die real entstehenden Kosten. Die Behauptung, dass

Sonderbedarfe in die Regelsatzpauschale integriert seien, ist also ökonomischer Unsinn. Sie

werden weiterhin überwiegend durch zusätzliche Leistungen finanziert.

Hartz IV bläht den Sozialstaat sogar für junge Menschen aufHinzu tritt eine weitere, in der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend zur Kenntnis genom-

mene Ausweitung staatlicher Leistungen: Künftig wird auch die Wohnungserstausstattung

vollständig durch die öffentliche Hand ent-

richtet, ohne dass dies bei den Regelsätzen

in Abzug gebracht würde. Wer vor seinem

geistigen Auge einmal aufsummiert, wie

teuer eine solche Erstausstattung (Möbel,

Küchengeräte, Fernseher etc.) ist, erkennt,

um welches Finanzvolumen es geht.

Wer also jung ist, keinen Bafög-Anspruch

dem Grunde nach besitzt (dieser verdrängt

nämlich den AGL II-Anspruch) und keine

Lust mehr auf seine Eltern hat, kann ohne

weiteres AGL II plus Erstattung der Unter-

bringungskosten plus Erstausstattung der

vollfinanzierten Wohnung verlangen, wenn

gegen seine Eltern kein entsprechend hoher

Unterhaltsanspruch existiert. Der Pubertät

sind also buchstäblich Tür und Tor geöffnet.

FazitBei Hartz IV liegen also nicht nur hand-

werkliche Mängel vor, sondern die Richtung

stimmt nicht: Das System der

Transferverteilung wird nicht einfacher, die

Verwaltungskosten sinken nicht und dem

Lohnabstandsgebot wird nicht zum

Durchbruch verholfen. Hier ist fundamenta-

lere Kritik angebracht als sie derzeit aus dem

liberalen Lager zu hören ist. Das Bürgergeld

als gerechtere und gerechnete Alternative

hätte es verdient, hier eine größere Rolle in

der Diskussion zu spielen.

Hartz IV oder Bürgergeld –Sozialstaat quo vadis?

Marco Buschmann

Marco Buschmann ist 27 Jahre alt,

Diplom-Jurist und juristischer Doktorand.

Er war sechs Jahre lang stellvertretender

Landesvorsitzender der JuLis NRW

Page 10: Jung & Liberal

Der Föhn dröhnt, der CD-Player

leiert und in der Mitte ein Kind,

das schreit: „Mama, wo kommt

eigentlich der Strom her?“ „Aus der

Nordsee, mein Kind.“ Bremen versorgt

mit umweltfreundlichem Strom aus

Windkraft. Weit draußen ragen die 80

Masten 125 Meter aus dem Wasser, so

dass sie sogar für Kommunalpolitiker

auf dem Land nur noch klein wie Spar-

gel zu sehen sind. 2006 in einer Stadt so

groß wie Bremen.

Zurück in die Gegenwart: Zahlreiche

windstarke Standorte an Land werden

schon genutzt und weitere Standorte

sind unter zunehmendem öffentlichen

Druck immer schwieriger zu finden, aus

diesem Grund weicht man aufs Meer

aus. Da die deutsche Nordsee allerdings

ein empfindliches Ökosystem ist, muss

ein Plangebiet für Windkraft sorgfältig

ausgewählt und geprüft werden. Der

Offshore-Bürgerwindpark (OSB) Buten-

diek hat dieses getan und ein Gebiet

mit einer Größe von ca. 30 km2, das ist

ungefähr die Fläche der Stadt Schleswig,

34 km westlich der Insel Sylt gefunden.

Dieses Gebiet ist aufgrund der brütenden Seetaucher in die international höchste

Wertstufe eingeordnet worden. Derzeit prüft die EU sogar, ob es sich bei diesem

Gebiet um eine Important Bird Area (IBA) handelt. Jedoch beeinträchtigen der Be-

trieb und der Bau der Anlagen die Seetaucher, Schweinswale, Fische, Bodentiere,

Vögel und den Meeresboden nur gering. Es entsteht außerdem keine Gefährdung

des Vogelzugs. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg hat

daher, unter Berücksichtigung des ökologischen Wertes dieses Gebietes, die Bauge-

nehmigung erteilen können.

Der Naturschutzbund NABU und der BUND haben allerdings Klage eingereicht,

um dieses Gebiet vor starken Beeinträchtigungen zu schützen. Das Gebiet wurde

während der Genehmigungsphase von Butendiek mehrfach geprüft. So ergab dies

eine Umweltverträglichkeit des Vorhabens nach heutigem Kenntnisstand. Die Klage

stand sogar laut Aussage des Bundesministeriums für Umwelt (BMU) „inhaltlich

auf schwachen Füßen“ und wurde schließlich abgewiesen. Allerdings mit der Be-

gründung, dass die Verbände kein Klagerecht besitzen. Denn der Windpark befindet

sich in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und damit außerhalb des

deutschen Hoheitsgebietes.

Die Untersuchungen zeigen, dass sich Windkraft sowohl umweltschonend als

auch landschaftsschonend betreiben lässt. Die Möglichkeit Windkraft in großem

Stil zu nutzen beeinträchtigt dabei nur in geringem Maße die Umwelt. Zudem wird

das Auge des Betrachters geschont, denn die Anlagen sind so weit entfernt, dass

diese durch die Erdkrümmung nur teilweise und auch nur bei klarer Sicht von der

Küste aus erkennbar sind.

An Land haben sich 8.412 zukünftige Windmüller gefunden, um die Investitions-

höhe von 400 Millionen Euro gemeinsam aufzubringen. Die Akzeptanz von Wind-

kraft ist in der Bevölkerung hoch. So

kommen 55% aus Nordfriesland, das

windkrafttechnisch sehr stark genutzt

wird.

Möglich wird diese Investition durch

das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG),

mit dem die Bundesregierung über

einen garantierten Preis die Vergütung

regelt. Forschung, Entwicklung und alle

anderen Aktivitäten regelt der Markt

dann unter sich. Ein Park wie Butendiek

bekommt in den ersten zwölf Jahren 9,1

Cent pro Kilowattstunde (kWh), nach

dieser Zeit 6,19 Cent/kWh. Derzeit zahlt

ein Konsument durchschnittlich 17

Cent/kWh.

Technisch gesehen ist es eine Heraus-

forderung, die in dieser Größenordnung

noch nicht gemeistert wurde. Nur der

Windpark „Horns Rev“ in Dänemark ist

mit 80 Anlagen und einer Gesamtleis-

tung von 160 MW, die einem Drittel

von Butendiek entspricht, vergleichbar.

In einer Wassertiefe von 20 Metern wer-

den Stahlrohre, sogenannte Monopiles,

30 Meter in den Boden gerammt, um

darauf die Windkraftanlage zu instal-

lieren. Der Rotor dreht sich dann um

die Nabe in einer Höhe von 80 Metern

über dem Meeresspiegel. Windmessun-

gen ergaben eine Windstärke in dieser

Höhe von ca. 10 Metern pro Sekunde.

Doch die Erfahrungen von „Horns

Rev“ sind gut, anfängliche Probleme

mit dem rauen Klima konnten behoben

werden. Die größeren Anlagen werden

derzeit an Land erprobt. So plant zum

Beispiel das dänische Umwelt- und En-

ergieministerium, in den nächsten 30

Jahren Anlagen mit einer Gesamtleis-

tung von 4.000 MW ins Meer zu bauen.

Dänemark könnte dann mit diesen und

den Anlagen an Land 50 % seines

Strombedarfs decken.

Auch in Deutschland wird der OSB

Butendiek nicht der einzige Offshore-

Windpark bleiben, so darf die Prokon

Unternehmensgruppe 45 km westlich

von Borkum bauen und gerade hat das

Projekt „Sandbank 24“ der Planungsge-

sellschaft Energie und Umwelt die Ge-

nehmigung für einen Park 50 km west-

lich von Sylt erhalten.

Kräftige Brise aus Nordwest

Der erste deutsche Offshore Windpark ist in Planung Felix Marquardt

Felix Marquardt ist stv. Kreisvorsitzender

in Karlsruhe Stadt und Mitglied des BAK

Umwelt, Infrastruktur und Innovation.

Kommentar:

„Windenergie hat Zukunft“ Felix Marquardt

Zu teuer! Unzuverlässig! Ökologisch? Das ist derzeit die Meinung über Windkraft in Deutschland.

Ja, es ist teuer. Allerdings ist der Preis nicht mit Strom aus Kernenergie vergleichbar. Die Erforschung

von Kernspaltung ist in Deutschland massiv finanziell unterstützt, der Bau vorangetrieben worden

und die Risiken werden derzeit auch, im Falle eines Unglücks, so unwahrscheinlich er auch sein mag,

vom Staat getragen. Die Rücklagen der Betreiber für Unfälle könnten die entstehenden Kosten nie-

mals decken.

Deutschland hat sich bei der Windkraftförderung für einen garantierten Preis entschieden. Das ist

zunächst teuer, doch der Erfolg spricht für sich: Noch Anfang der 80er Jahre baute man Anlagen mit

einer Nennleistung von 50 kW, heute um den Faktor 60 größere Anlagen und Nennleistungen um

die 5 MW werden derzeit schon entwickelt. Weitere Steigerungen in der Größe, der Zuverlässigkeit

und der Ausnutzung des Windes sind zu erwarten und höhere Effizienz bedeutet geringere Kosten.

Ja, Windkraft ist unzuverlässig, aber ist das ein Problem? Wind weht nicht ständig und auch nicht

gleichmäßig, doch soll man deswegen das riesige Potential ungenutzt lassen? Zum Beispiel eine

Kombination mit einem Gaskraftwerk ermöglicht eine konstante Produktion unter sehr umweltfreund-

lichen Bedingungen. Neue Prognosemethoden erlauben eine zunehmend genauere Vorhersage über

Windstärke und –richtung. Gaskraftwerke, die alleine keinen Beitrag zur CO2-Einsparung leisten,

können in ca. drei Stunden zugeschaltet werden und so die Schwankungen der Windenergie ausglei-

chen. So kann der wirtschaftliche Charakter von Gaskraftwerken, niedrige Investitionskosten bei rela-

tiv hohen Betriebskosten, bestens ausgenutzt werden.

Ja, Windenergie ist ökologisch. Anlagen, wie sie in dem Offshore-Bürgerwindpark Butendiek ver-

wendet werden, produzieren in ihrer Lebensdauer 50-70mal soviel Energie wie für Herstellung,

Aufstellen, Betrieb und Entsorgung benötigt werden. Und sie wird immer wichtiger sowohl in Bezug

auf die CO2-Produktion als auch angesichts der immer knapper werdenden Rohstoffe wie Öl und

Uran. Diesen Beitrag sollte man nutzen. Dabei ist Windkraft natürlich kein Substitut für sämtliche

andere Produktionsformen, jedoch eine umweltfreundliche Ergänzung. Forschungsaktivitäten führen

dabei zu weiteren Verbesserungen.

Windkraft ist nicht die einzige Lösung, mit der man alle Energieprobleme lösen kann, aber sie ist

fähig dazu beizutragen. Der Ausbau muss daher in windstarken Regionen, in denen es sich ökolo-

gisch und wirtschaftlich lohnt, mittelfristig auch unter wettbewerbsähnlichen Bedingungen, vorange-

trieben werden. Eine „Verspargelung“ von windarmen Gebieten ist abzulehnen, da dies ökologisch

mehr als fragwürdig ist. Muss man deswegen aber Windkraft gleich gänzlich ablehnen?

freies denken I16 freies denken I17

Photo: photocase.de

Derzeit noch nicht zu Wasser, sondern zu Land. Windkraftanlagen auf Fehmarn. Photo: Felix Marquardt für Jung & Liberal

Page 11: Jung & Liberal

I19liberal

Der Sprung ins

kalte Wasser oder

wir machen UrwahlStefan Westerschulze

Eine Urwahl als Inbegriff basisdemokratischer Mitbestimmung ist nicht nur ein Ideal,

sondern auch ein Projekt mit großem Zeit- und Kraftaufwand. So erlebt im

Urwahlverfahren zur Wahl des Spitzenkandidaten der Jungen Liberalen NRW für die

Landtagswahl 2005. Gewählt wird also ein Junger Liberaler, der einen sicheren Platz auf der

Reserveliste der FDP zur Landtagswahl bekommen soll. Der mögliche Abgeordnete wäre

dann Ansprechpartner und Vertreter der JuLis in der FDP Landtagsfraktion.

In der Urwahl hatte dabei jedes Mitglied eine Stimme in der Entscheidung. Geregelt ist die

Wahl in der Urwahlordnung, welche Bestandteil der Landessatzung ist. Auch wenn es diese

schon einige Jahre gibt, fand sie in diesem Jahr zum ersten Mal Anwendung, denn es gab

mehr als einen Bewerber für die Spitzenkandidatur. Eröffnet wurde das Verfahren durch die

schriftliche Bekanntmachung an alle Mitglieder im Februar dieses Jahres. Interessenten für

eine Kandidatur konnten sich bis Anfang Mai vorschlagen lassen, wobei auch

Selbstvorschlag möglich war. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist stand das Bewerberfeld mit

sieben Kandidaten fest. Jedoch hatte zu diesem Zeitpunkt schon einer das Handtuch gewor-

fen. Im Juni ging allen Kandidaten die Aufforderung zur schriftlichen Vorstellung zu. Zu die-

sem Zeitpunkt befand sich ein neuer Landesvorstand im Amt. So erläuterte der neue

Landesvorsitzende die Kriterien für die Vorstellung: Zwei Seiten, Times New Roman und

Schriftgröße 12. Der ersten großen Aufgabe waren offensichtlich nur drei der verbliebenen

Bewerber gewachsen. Denn dies war die Zahl der Eingänge nach Ablauf der Frist. Die

Kandidaturen wurden jedoch aufrechterhalten. Ein Vorzeichen für den weiteren Verlauf der

Urwahl.

Aber zuerst kamen die Vorstellungstermine. Laut Urwahlordnung hatte der

Landesvorstand für je eine dezentrale Veranstaltung in jedem Bezirk zu sorgen. Die

Kandidaten erwarteten neun Termine in zehn Tagen. Ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf

in einem Flächenland. Am 10.07. stand also der erste Termin in Bielefeld an. Dort und bei

den weiteren Terminen wurde die interessierte Mitgliedschaft auf den Rücktritt von weiteren

zwei Bewerbern aufmerksam gemacht. Das Feld schmolz also auf vier Bewerber um die

Spitzenkandidatur. Zwei Kandidaten stellten sich auf allen neun Terminen den Fragen der

JuLis. Leider nie mehr. Zum großen Bedauern der Organisatoren und der Kandidaten waren

die Runden immer sehr überschaubar besucht, dabei aber nie langweilig, auch wenn

Landesvorstandsmitglieder zuweilen mit Fragen das Eis brechen mussten. Gefragt wurde

immer nach liberalen Grundsätzen in Verband, Programm und Wahlkampf, den

Vorstellungen zu den Werbemitteln und dem „Standing“ in der Partei.

Die Urwahlunterlagen wurden verschickt und damit ging es dann ans Eingemachte. Nach

einem Punktwahlverfahren mussten sich die Mitglieder nun entscheiden, welchem der ver-

bliebenen drei Kandidaten welcher Punktwert (0-3) zuzuordnen sei. Warum man sich seiner-

zeit für ein Punktwahlsystem entschieden

hat, ist unklar, es führte allerdings zu nicht

geringer Verwirrung. Ein einfaches Kreuz ist

noch immer die deutlichste Art der Wahl.

Sodann mussten die Unterlagen im

Briefwahlverfahren an den Notar zurückge-

sandt werden. Damit die Urwahl Gültigkeit

erhält, müssen sich mindestens 20% der ca.

4500 Mitglieder der Jungen Liberalen in

NRW beteiligen. Also wurde auch in der

Wahlfrist eifrig Werbung für das Verfahren

gemacht und das Punktsystem erläutert.

Leider reichte der Rücklauf nicht aus.

So müssen wir die Urwahl als engagiertes

Projekt mit viel Arbeitseinsatz und Mühen

betrachten, welches aber in der

Mitgliedschaft leider nicht die erforderliche

Begeisterung auslöste. Organisatoren und

Kandidaten werden sich sicher in der

Nachbereitung noch einige Gedanken zu der

„Ordnung zur Wahl des

Landtagsspitzenkandidaten“ machen. Auch

der Verband muss sich klar werden, ob er

sich weiterhin ein so aufwendiges wie teures

Verfahren leisten kann und will. Fest steht

jetzt nur, dass der Spitzenkandidat zur

Landtagswahl nach guter alter Sitte auf dem

Landeskongress im Oktober gewählt wird.

Wasserkistenmauer

Aus Mineralwasserkisten bauten die JuLis inMecklenburg-Vorpommern am 13. Augusteine Symbol-Mauer: 2,5 auf 2,5 Meter maßdas Bauwerk, das – aufgestellt in Bad Dobe-ran – gleich die dort verkehrende Schmal-spurbahn Mölli in ihrer Weiterfahrt behinder-te. Mit der Aktion gedachte der Landesver-band der 43. Wiederkehr des Tages desMauerbaus.http://www.liberale-mv.de/

Programmatik in Marzipan

Ganz ohne graue Theorie versuchten dieJuLis in Düsseldorf die Forderung „Schlussmit der Schweinerei!„ in Sachen EU-Tier-transporte an den Wähler zu bringen. Ausge-rüstet mit Marzipanschweinchen und maß-stabsgerechten Holzkäfigen zogen die Akti-visten in die Innenstadt und so konnte dieZielgruppe schnell selber merken: DieseKäfige sind viel zu klein! http://www.julis-duesseldorf.de/

Entenrennen

Über 500 Besucher und unzählige gelbe Plastik-enten kamen zum JuLi-Entenrennen mit Kin-derfest am 25.7. nach Unterbiberg (Neubiberg).Zum Wettstreit wurden die teilnehmenden Plas-tikenten von den JuLis München Land auf demHachinger Bach ausgesetzt. Zusätzlich wurdenden Besuchern Attraktionen wie Ballon-modellieren und Kinderschminken geboten.Alle Einnahmen kamen dem lokalen Kinder-garten zu Gute, der sich nun über eine Spendevon 528 Euro freuen kann.www.entenrnennen-unterbiberg.de

Abgeseilt

Um zu zeigen wie verkehrt die Verkehrspoli-tik des politischen Gegners ist, seilen sich dieJuLis im Westerwald sogar von Brücken ab.Sie sehen Natur und Tourismus durch die vonden Grünen geforderte Reaktivierung einerGleisstrecke in Gefahr. Zudem bezweifeln sieden Nutzen: Eine parallel verlaufende Busve-rbindung wird bislang kaum genutzt.

www.julis-ww.de

AktionsberichteI18liberal

Sascha Settegast zu Patrick Aroras „Marktwirtschaft – nicht nur Gewinn-streben um jeden Preis“

Patrick Aroras Artikel ist ein gutes Bei-

spiel dafür, wie Verteidiger der Markt-

wirtschaft selbst semisozialistische Posi-

tionen annehmen können und sich somit

ein Eigentor schießen.

Eine Forderung nach (Teil ) Finanzie-

rung von Bildung für bestimmte Men-

schen durch andere Menschen bedeutet

eine Verletzung des Freiwilligkeitsprin-

zips. Einige Menschen werden gezwun-

gen ihr Glück und ihre Zukunft zum Vor-

teil anderer Menschen zu opfern – indem

sie ihnen den Erwerb des Wirtschaftsgu-

tes „Bildung“ erleichtern.

Ähnlich sieht es mit der Erbschafts-

steuer aus. Die Forderung Aroras, größe-

re Erbschaften höher zu besteuern als

kleinere, bedeutet einen Eingriff in das

Freiwilligkeitsprinzip. Um einem seltsa-

men wirtschaftlichen Gleichheitsideal

näher zu kommen, bestraft man diejeni-

gen, die ihr Leben lang gearbeitet haben

um ein Vermögen zu erwerben, dass sie

nach ihrem Tode ihren Kindern oder an-

deren Begünstigten hinterlassen wollen.

Man bestraft die Erfolgreichen, weil sie

erfolgreich sind. Man mindert also den

Anreiz erfolgreich zu sein und subventio-

niert so indirekt die Erfolglosigkeit.

Es gibt kein Recht auf die (staatlich

organisierte) Ausbeutung einiger Men-

schen durch andere. Arora bezeichnet

soziale Absicherung zudem als „An-

recht“, d.h. als ein Recht. Man darf den

Kollektivisten und ihrer Unmoral nie-

mals, egal ob implizit oder explizit,

Zugeständnisse machen. Man darf nie-

mals nur rein mit Effizienzargumenten

kontern, wenn die Globalisierungsgegner

schein-moralisch argumentieren. Wer

den liberalen Kapitalismus – und damit

Freiheit, Wohlstand und Glück für alle –

wirklich wirksam verteidigen will, der

muss ihn zuforderst moralisch konse-

quent verteidigen. Eine ungekürzte Versiondes Textes ist unter http://www.julis.de/ zu lesen.

Kandidatenvorstellung in Bielefeld

Stefan Westerschulze, 27 Jahre, hat als

Kandidat am Urwahlverfahren teilge-

nommen. Er ist Bezirksvorsitzender der

JuLis Köln/Bonn.

Leserbrief

Page 12: Jung & Liberal

I20liberal

J&L: Seit langer Zeit mal wieder ein neues Gesicht als Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Ist

einem klar, auf was man sich einlässt?

Jan Dittrich: Jedes Detail ist einem natürlich nicht von Anfang an klar - jedoch wusste ich

schon, was da auf mich zukommt. Ich hab mir jedoch nicht vorgestellt, dass es manchmal

doch so schwierig ist, alles gleichmäßig zusammenzufügen und zu koordinieren. In einem

Vorstand gibt es eben viele verschiedene Meinungen und viele verschiedene Interessen. Das

macht die Sache manchmal schwierig.

J&L: Gibt es Unterschiede in der Arbeitsweise zwischen altem und neuem Vorstand?

Jan Dittrich: Mit Sicherheit gibt es da Unterschiede. Aber ich denke, man kann den alten

und den neuen Vorstand nicht so einfach miteinander vergleichen. Schließlich sind viele von

uns das erste Mal im Bundesvorstand und da ist die Arbeitsweise des Gremiums per se eine

andere. Jeder hat eben seine Art mit Dingen umzugehen. Ich möchte mit allen gemeinsam

arbeiten, mit dem ganzen Bundesvorstand. Deshalb ist es mein Ziel, daß wir uns als Team

begreifen und auch so handeln.

J&L: Wie sieht das Arbeitsprogramm für die nächsten Monate aus?

Jan Dittrich: Wir haben ein großes Ziel: Wir wollen mehr Mitglieder für die Julis gewinnen.

Derzeit stagnieren die Mitgliederzahlen, wir wollen die Sache wieder anschieben und haben

deshalb eine Mitgliederkampagne vorbereitet, die vor allem ein Angebot an die Landes- und

Kreisverbände sein soll. Das ist das Wichtigste für den Verband: Wir wollen weiter wachsen.

Und wir haben uns vier Kernthemen überlegt. Zum einen das Thema Bürgerrechte, das wir

auch auf dem Bundeskongress in Magdeburg beschlossen und als Antrag zum

Bundesparteitag der FDP eingebracht haben. Damit haben wir auch eine Debatte in der FDP

losgetreten. Das Thema werden wir jetzt in Form von Aktionen, einem Themenflyer inhalt-

lich weiter untermauern und mit einer Kampagne nach außen tragen. Im Rahmen der

Pressetour durch Deutschland, die ich im Sommer gemacht habe, war eines der

Hauptthemen immer das Thema Bürgerrechte, was in den Zeitungen auch immer ganz gut

angekommen ist. Das zweite wichtige Thema ist ganz klar Bildung. Auch da haben wir eine

umfangreiche Beschlusslage, die wir auch hier zu einer Kampagne umformen wollen, um

dort unseren Schwerpunkt ein wenig zu verschieben: nämlich mehr in Richtung berufliche

Bildung. Dazu wird es dann auch im vierten Quartal 2004 bzw. dann ersten Quartal 2005

einen Flyer geben. So können wir – zum Beispiel mit Aktionen – berufliche Bildung direkt

angehen, um auch andere Interessentenkreise anzusprechen. Zum Bundeskongress in Lübeck

präsentieren wir unser Ergebnis zum Thema Demographischer Wandel. Das ist ein wichtiges

Thema für die ganze Gesellschaft, aber insbesondere natürlich für die junge Generation. Wir

versuchen hier zum ersten Mal mit einem einzigen Antrag die verschiedenen Aspekte des

Themas zusammenzubinden. Dies betrifft zum einen die Reform der sozialen

Sicherungssysteme. Aber wir schauen uns auch an: Was bedeutet dieser Wandel für die

Gesellschaft in Deutschland, was bedeutet er für Wanderungsbewegungen innerhalb des

Landes, was bedeutet er aber auch für den gesellschaftlichen Umgang miteinander. Aber wir

wollen das Phänomen auch nicht einfach nur hinnehmen: Wir schauen auf die Frage von

Familie und Beruf und stellen uns der Frage der Einwanderung nach Deutschland und der

Integration in Deutschland. Das Thema als Ganzes zu betrachten und nicht nur als Summe

der Einzelteile ist uns glaube ich bei dem Antrag besonders gut gelungen.

I21liberal

J&L: Sprechen wir über die strittigen Punkte des Leitantrags. Bei welchem Thema rechnest Du mit

der ausführlichsten Diskussion in Lübeck?

Jan Dittrich: Die Diskussion wird sich sicherlich an der Umstellung des Rentensystems entfa-

chen. Diesen Punkt halte ich für den radikalsten Ansatz in unserem Papier. Wir fordern, das

System radikal von einer Umlage auf eine rein kapitalgedeckte Finanzierung umzustellen.

Zudem muss dies sofort passieren, so dass sie nicht auf Kosten der jungen Generation alleine

läuft. Wir sagen aber auch deutlich, dass diese Umstellung nur mit Steuererhöhungen zu

schultern ist. Das ist mit Sicherheit ein Punkt, der großen Widerspruch hervorrufen könnte.

Ich bin jedoch immer noch der Meinung, dass man in der Politik auch ehrliche Antworten

geben muss und dass wir dort eine gefunden haben. Eine spannende Diskussion.

J&L: Demographischer Wandel, Bildung und Bürgerrechte hast Du schon erwähnt. Was wird das

vierte Thema in diesem Amtsjahr sein?

Jan Dittrich: Über dies haben wir im Vorstand lange diskutiert und uns letztendlich für das

Thema Umweltschutz entschieden. Bisher ist dies kein Thema gewesen bei dem einem zuerst

die Jungen Liberalen – oder überhaupt die FDP – eingefallen ist. Aber gerade deswegen wol-

len wir dieses Thema weiter ausarbeiten – bisher haben wir in diesem Bereich nur sehr weni-

ge Beschlüsse. Ziel ist es, eine programmatische Grundlage zu erstellen und das Thema nicht

alleine den Grünen zu überlassen. Es gibt auch umfassende, differenzierte, liberale Antworten

zum Thema Umweltschutz. Dazu wird es im Frühjahr ein Seminar in Zusammenarbeit mit

der Friedrich Naumann-Stiftung geben. Zusammen mit Fachreferenten wollen wir das Thema

weiter ausarbeiten, um es dann als Leitantrag zum Bundeskongress dem Verband zu präsen-

tieren.

J&L: Vier Kernthemen, ein Thema alle drei Monate, das in den Verband hineinzukommunizieren ist

– funktioniert das überhaupt. Wäre es nicht vielleicht besser, sich auf zwei Themen zu fokussieren?

Jan Dittrich: Uns ist bewusst, dass dies ein anspruchsvolles Ziel ist. Soweit ich weiß, sind wir

der erste JuLi Bundesvorstand, der sich so viele Themen für ein Jahr vorgenommen hat.

Bisher waren eher zwei oder drei üblich. Wir sind jedoch der Meinung, dass die Themen, die

bereits programmatisch aufbereitet sind, wichtig für die Kampagnen sind und sich zeitgleich

die anderen Themen programmatisch aufbauen lassen. Dort wollen wir in erster Linie einen

Diskussionsanstoß in den Verband geben. Man kann die Diskussion „Ist weniger mehr?“

natürlich immer führen. Bisher bekommen wir jedoch zu dieser Entscheidung durchweg gutes

Feedback aus dem Verband. Zudem ist es auch strategisch sinnvoll. Denn die erzielten

Ergebnisse können wir im kommenden Jahr in ausgereifter Form in die FDP bringen. Gerade

von dieser fordern wir ja immer, dass sie sich programmatisch breiter aufstellen muss. Da

sollten wir mit gutem Beispiel voran gehen.

J&L: Viel Erfolg bei der Arbeit und herzlichen Dank für das Gespräch.

„Umstellung nur mitSteuererhöhung zu schultern“Jan Dittrich, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen erklärt imGespräch mit Carl Philipp Burkert das Arbeitsprogramm des Bundes-vorstandes und warum die Umstellung auf das kapitalgedeckte Ren-tensystem sofort kommen muss.

Diskussion während der JuLi Bundesvorstandssitzung im Niedersächsischen Landtag.Photos: Carl Philipp Burkert für Jung & Liberal

Page 13: Jung & Liberal

Unter der KuppelUnter der Kuppel

Unter der KuppelUnter der Kuppel

Unter der KuppelUnter der Kuppel Marcel Klinge

Die Junge Union gibt sich dieser Tage mal wie-

der postmodern. Mit großem Aufwand wurde

der Relaunch der eigenen Webseite bereits

Wochen vor dem offiziellen Start angekündigt und

der Internetnutzer richtig gehend heiß gemacht.

Vor allem mit einem außergewöhnlich frischem

Design, das extra für die gezielte Ansprache junger

Menschen entwickelte wurde, wollte man bei Inte-

ressenten punkten und damit jede Menge Mitglie-

der für die JU gewinnen – zumindest theoretisch.

Denn bei einem bereits flüchtigen Blick auf die

angeblich so freche neue Seite, stellt sich schnell

Ernüchterung ein. Schlichtes Blau und Orange prä-

gen das biedere Erscheinungsbild. Im Flash-Banner

grinsen dem User mit dem allerfeinsten Zahnpasta-

Lächeln die Jugendikonen Helmut Kohl, Angela

Merkel und Endmund Stoiber entgegen. Darunter

prangert – völlig beabsichtigt – der Satz: „Willkom-

men bei der Generation JU“, was im gleichen Atem-

zug die Frage aufwirft, auf welches Jahrhundert die

Verantwortlichen hier eigentlich genau anspielen.

Mehr zum Lachen hatten die Internet- und TV-

Nutzer indes beim Sat.1-Frühstücksfernsehen. Dort

gibt es schon seit einigen Jahren die Rubrik „Mor-

ning-Star“, in der zumeist Hobbysänger ihr ver-

meintliches Stimm-Talent vorstellen und sich via

Telefonabstimmung der Zuschauermeinung stellen.

Zu Gast war kürzlich auch JuLi-Vize Oliver Möllen-

städt. Natürlich nicht als Sänger, sondern als Zu-

schauer, gemeinsam mit weiteren Mitgliedern sei-

nes Kreisverbandes Bremen, die auf Abgeordneten-

fahrt die Bundeshauptstadt besuchten. Ihr Glück

versuchten in der Sendung diesmal drei stimmge-

waltige Damen mit einem ihrer Lieblings-Volksmu-

siklieder. Während ihrer heiteren Vorführung

schwenkte die Kamera mehrfach ins Publikum –

auf den sich stets vor Lachen krümmenden Möllen-

städt. Glaubt man dem stöhnenden Postboten,

dann gingen im Anschluss an die Sendung in der

Juli-Bundesgeschäftstelle tagelang hunderte Be-

schwerdebriefe von aufgebrachten Volksmusikfans

ein. Von offizieller Seite wurde dies bislang aber

noch nicht bestätigt.

Eine gewisse Anziehung scheint Oliver aber nicht

nur auf Musik- und Briefliebhaber auszuüben, son-

dern auch auf kleine Kinder. Als er sich vor einigen

Wochen in Köln bei strahlendem Sonnenschein ein

kühles Bier gönnte, lief ihm ein aufgeregter kleiner

Junge schreiend mit den Worten „Mami,

Mami“ in die Arme, was am Biergartentisch

natürlich prompt zu großer Erheiterung führ-

te. Weniger zu Lachen hatten der JuLi-Vor-

sitzende Jan Dittrich und Pressesprecher Mar-

cel Klinge im Rahmen ihrer Sommerpresse-

tour. Während dieser kurvten sie unter ande-

rem auch durch das sächsische Städtchen

Döbeln.

Ihre A-Klasse verfügte – beinahe so modern

wie die JU – auch über ein Radio-Navigations-

system. Doch je ausgefeilter die Technik, desto

größer die Probleme, das merkten auch die

beiden. Denn das Gerät kam mit den örtlichen

Gegebenheiten nicht zurecht und navigierte

sie unbemerkt von der falschen Seite in eine

Einbahnstraße. Etliche Passanten auf dem

Gehweg bemerkten das Missgeschick und woll-

ten die Auswärtigen mit wilden Armbewe-

gungen darauf aufmerksam machen. Da die

Sachsen jedoch für ihre Gastfreundlichkeit be-

kannt sind, grüßten Dittrich und Klinge – wie

es sich gehört – freundlich zurück, bis sie

selbst den tückischen Navigationsfehler be-

merkten.

Im Deutschen Bundestag schmökerte Ex-

Juli-Chef Daniel Bahr währenddessen in der

„BILD“-Zeitung und blieb bei einer amüsan-

ten Homestory im Gesellschaftsteil der renom-

mierten Tageszeitung hängen. Wenige Zeit

später zeigte er den Artikel seinem Vorgänger

im Amt des Bundesvorsitzenden, Michael

Kauch, der sich eigentlich gerne in den Boule-

vardteilen deutscher Zeitungen tummelt. Doch

so recht konnte er sich nicht für die Bild-Ge-

schichte erwärmen und kommentierte nach

einem flüchtigen Blick trocken: „Also so was

seriöses würde mir mein Büro nicht vorlegen“.

Vielleicht sollte er mal im neuen Online-

shop des Bundesverbands rein schauen. Neben

T-Shits, Tassen, Jacken und Schlüsselbändern,

gibt es dort nämlich seit Neustem auch Unter-

wäsche – genauer gesagt: Boxershorts und

Tangas. Dabei handelt es sich natürlich um

keine Gewöhnlichen. Die Teile wurden näm-

lich entsprechend veredelt mit dem Juli-Slogan

„Machen wir’s besser“. Der scheint eben nicht

nur in der Politik Gültigkeit zu haben.

I22liberal

Page 14: Jung & Liberal

inhalt I2

impressum

„jung & liberal“ ist das Mitgliedermagazin des Bundesverbandes der Jungen Liberalen. Es erscheint viermal jähr-lich. Zu beziehen ist „jung & liberal“ per Abonnement, der Jahresbezugspreis beträgt 5 Euro. Für Mitglieder derJungen Liberalen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. „jung & liberal“ wird gefördert aus Mitteln desBundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Herausgeber: Bundesverband, Junge Liberale e.V., PF 540243, 10042 Berlin, Telefon 030-28388791, Telefax030-28388799, E-Mail [email protected], www.julis.de

Chefredaktion (V.i.S.d.P): Carl Philipp Burkert, Telefon 0721-3545944, [email protected]

Redaktion: Andreas Achtzehn, Patrick Arora, Jonas Hahn, Sven Janka, Sebastian Krell, Matthias Kussin, Petra Pabst, Christopher Vorwerk

Bildredaktion: Bernd Goldschmidt, Jonas Hahn, Ann-Kristin Hannel, Sebastian Krell, Stephan Redlich

Mitarbeit: Marco Buschmann, Marcel Klinge, Felix Marquardt, Joachim Stamp, Johannes Vogel, Stefan Wester-schulze

Auflage: 11 000

Titelfoto: Carl Philipp Burkert unter Mitwirkung von Ann-Kristin Hannel und dem „Aktiven Alter“, Karlsruhe.

Gestaltung: Löning Werbeagentur, Susanne Schuchardt

Mit dem Namen des Autors versehene Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht, Belegexemplar erbeten. Für unverlangt eingesandte Fotos undManuskripte übernehmen wir keine Haftung.

thema

Den Demographischen Wandel entschlossen anpacken Seite 04

Pro und Contra: Abwanderung aus dem Osten stoppen Seite 06

Die offene Gesellschaft und ihre Parteien Seite 08

„Die FDP in die Zange nehmen“ – Liberale Senioren im Gespräch Seite 10

Mein Leben 2050 Seite 11

freies denken

„Keine Spasspartei wie die FDP“ – Martin Sonneborn im Gespräch Seite 12

Joachim Stamp: Argumente statt Platitüden II Seite 13

Hartz IV oder Bürgergeld – Sozialstaat quo vadis? Seite 14

Kräftige Brise aus Nordwest – Der Windpark Butendiek Seite 16

liberal

Urwahl in NRW Seite 18

Aktionsberichte aus dem Verband Seite 19

Aktionsprogramm des Bundesvorstands Seite 20

Marcel Klinge: Unter der Kuppel Seite 22

Terminal D Seite 24

liberal I23

Zum Pro&Contra „Recht auf Privatko-

pie?“ Von Sebastian Marsching und

Marco Buschmann:

Die Fakten sind klar und deutlich.

Alleine im Jahr 2002 verursachten

“Copyfriends“ durch illegale Vervielfälti-

gungen von Musik, Software und Film

gigantische Milliardenverluste bei der

Unterhaltungsindustrie. Softwarekonzer-

ne erwirken Tausende von richterlichen

Anordnungen gegen Nutzer von Online –

Tauschbörsen und verklagen sie zu

knapp dreifachen Milliarden Schadens-

ersatzsummen.

Trotz dieser Drohungen sind viele

Unternehmen konzeptionslos und zerrei-

ßen sich selbst. Selbst Giganten wie Sony

verdienen auf der einen Seite sehr gut

durch den Verkauf von Brennern und

Rohlingen, auf der anderen Seite ver-

zeichnen sie auch einen unprognostizier-

baren Einbruch in ihre Musiksparte. Der

Verkauf von Brennern, den neusten

Abspielgeräten sowie von jährlich 486

Millionen Rohlingen in Deutschland –

das sind dreimal so viel wie zu Hoch-

Zeiten des Kassettenrecorders an Leer-

kassetten verkauft worden ist - symboli-

siert den starken Einfluss der Sparte bei

den Elektronikherstellern.

Da auch der neuste Kopierschutz

schnell geknackt wird, erprobt das deut-

sche Fraunhofer Institut, das einst

Formate wie MP3 erfand, eine Art von

digitalem Wasserzeichen, das jeden

Täter sofort identifiziert, der einen Film

oder Song als Erster ins Internet stellt.

Inwieweit es möglich ist, diesen Trend

anhand der Technik zu stoppen, ist noch

fraglich.

Seit Jahren drängen Musikkonzerne

die Regierungen in Europa und den USA,

die Gesetzesgrundlage zu verschärfen.

Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, in-

wieweit es möglich ist, solche konse-

quenten Gesetze durchzuführen.

Pascal Barkhausen

Leserbriefe

Zu „Mir gehört die Autobahn“ von Andreas Achtzehn:

Ich bezweifle den Sinn der Privatisierung von Straßen zur

Sanierung des maroden Staatshaushaltes. Die Straße ist ein

Umweltgut, das natürliche Potenziale besitzt, also Dienst-

leistungskapazitäten, die mehrfach in Anspruch genommen

werden können. Umweltgüter basieren zudem auf der

Annahme der absoluten Knappheit, das heißt sie sind nicht

reproduzierbar. Die Substituierbarkeit von Straßen ist eben-

falls starkt eingeschränkt. Die Nutzung von knappen Gütern

führt früher oder später zu einer Überschreitung der Nutz-

ungsgrenze. Dies führt zu Erschöpfungsproblemen wie Staus

und zerstörten Fahrbahnen.

An dieser Stelle kommt der Ruf nach Privatisierung der

Straße, was im Grunde der Regulierung der Nutzung über

den Preis entsprechen würde. Damit werden Personen von

der Nutzung der Straße ausgeschlossen, die es sich finan-

ziell nicht leisten können. Dieser Marktmechanismus führt

zu einer ineffizienten Allokation der Straße, da keine

Verteilung über die Nutzenstiftung stattfindet, sondern

allein über den Preis.

Öffentliche Güter sind dadurch gekennzeichnet, dass kein

Preis, aber eine relative Knappheit, in Bezug auf die

Nutzung, vorhanden sind. Öffentliche Straßen sind hier ein

Beispiel, für deren Nutzung kein Preis bezahlt werden muss.

Daher kommt es zu einer starken Nutzung dieses Gutes – es

bilden sich Staus auf den Straßen, wodurch deren Nutzung

eingeschränkt ist, wovon niemand etwas hat. Unter diesen

Gesichtspunkten wäre die Privatisierung von Straßen even-

tuell sinnvoll, doch dabei muss immer das gesamte Umfeld

betrachtet werden.

Im Fall der Privatisierung von Straßen würden Mautstellen

errichtet werden, an der der Autofahrer einen Preis für die

Nutzung der Straße zu bezahlen hat. Dieses würde im

Gegenzug zur Präferenzverlagerung von privaten auf öffent-

liche Straßen führen, auf denen es zur Übernutzung kommt.

Am Ende hat niemand etwas von der Privatisierung:

Weder die Nutzer, noch die Gesellschaft, die die private

Straße betreibt. Sie bleibt auf ihren Kosten sitzen, die bei-

spielsweise durch den Erwerb der Straße und die Errichtung

der Mautstellen entstanden sind. Im Gegenzug wird das

Gemeinlastprinzip für die Reparatur der öffentlichen Straße

aufkommen. Dieses geht auf die Kosten der Bevölkerung, da

das Gemeinlastprinzip über Steuergelder und Abgaben

finanziert wird. Die Privatierung von Straßen würde also nur

Sinn ergeben, wenn alle Straßen privatisiert würden, um

möglichen Präferenzverlagerung zu unterbinden.

Michael Fichtner

Page 15: Jung & Liberal

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[M i t g l i e de rmaga z i n de r J ungen L i b e r a l e n ]

F 54017

Allein unter AltenZum Umgang mit dem Demographischen Wandel

terminal D I24

GegendarstellungMartin Woestmeyer ist, anders

als in der vergangenen Aus-gabe erwähnt, 33 Jahre alt.Auch hat er sich mittlerweilevom Studentenstatus getrenntund arbeitet nun als Verkaufs-

leiter einer Privattheater-gruppe.

Wir bitten um Entschuldigung.

AusblickDie Winterausgabe des

Jung & Liberal beschäf-

tigt sich mit demThema Ökologie.

Redaktionsschluss ist

am 19. November 2004