Kahl. Die Lehre vom Primat des Willens bei Augustinus, Duns Scotus und Descartes. 1886.

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    PRIMAT DES WILLENSBEI

    AUGUSTINUS, DUNS SCOTUS UNI) DESCARTES.

    DARGESTELLT

    VON

    Dr. WILHELM KAHL.

    STRASSBURG.VERLAG VON KARL J. TRBNER.1886.

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    . Otto' 3 Buchdruckerei in Darmstadt.

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    SEINEN THEREN ELTERNIN KINDLICHER LIEBE UND DANKBARKEIT

    GEWIDMET

    VOM VERFASSER.

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    Vorwort.Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung einer

    Anregung, welche ich von Herrn Prof. Dr. Windelband em-pfangen habe. Sie bezweckt einmal eine etwas eingehendereBehandlung der Willenslehre des Johannes Duns Scotus, alssie bisher versucht worden ist; sodann will sie die historischeLinie aufzeigen, welche in der Auffassung des Willens-primates von Descartes durch die mittelalterliche Philo-sophie hindurch bis zu Augustin sich zurckverfolgen lsst. 1Ich muss es dem Urtheile einer wohlwollenden Kritik an-heimstellen, ob es mir gelungen ist, das Ziel zu erreichen,das ich mir gesteckt habe; meine Abhandlung bedarf derNachsieht, welche Erstlingsarbeiten fr sich in Anspruchnehmen drfen, in ganz besonderem Masse : wer jemals Ver-anlassung gehabt hat, sich mit der Philosophie des Mittel-alters zu beschftigen, wird die Schwierigkeiten zu wrdigenwissen, welche mir entgegenstanden.

    Durch die Themastellung war die Beziehung auf dasProblem der Willensfreiheit unmittelbar gegeben ; ich habedeshalb in dem ersten Abschnitte, und zum Theil auch noch

    1 vgl. Windelband Beitrge zur Lehre vom negativen Ur-tlieil in: Strassburger Abhamll. zur Philosophie, zu Ehren E. Zellers.1884. p. 174. Anm. 1.

    . /Ca.

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    VI im zweiten, in aller Krze Augustins Bedeutung fr die Ge-schichte des Problems der Willensfreiheit skizziert, wobeisich mir Gelegenheit bot, des Verstandesprimates zu gedenken,der sich in der voraugustinischen Philosophie ausgebildet hat,und zu dem Augustin in einen scharfen Gegensatz tritt. DasHauptinteresse meiner Untersuchungen concentrierte sich aufAugustin und Duns Scotus; es galt hier, wenn meine Dar-stellung ihrer Lehre vom Primat des Willens den Quellengerecht werden sollte, eine doppelte Aufgabe zu lsen.

    Der Willensprimat setzt in erster Linie voraus, dassder Wille als unabhngig vom Verstnde gedacht wird.Ich habe deshalb Augustin und Duns Scotus zunchstin ihrem kritischen Bemhen verfolgt, den intellectuellenDeterminismus abzuweisen, der die Willensentscheidung durchdas Verstandesurtheil bestimmt sein lsst. Hieran habe ichdie positiven Beweise fr den Willensprimat angeknpft.Weshalb bei Descartes diese Methode nicht mehr einge-halten werden konnte, ist an seiner Stelle vermerkt worden.

    Der dritte Abschnitt Der Wille in Augustins Er-kenntnisstheorie" wird vielleicht dem Vorwurf allzu grosserAusfhrlichkeit begegnen. Ich fand aber, dass AugustinsErkenntnisstheorie, namentlich was den Einfluss des Willensauf das Zustandekommen der Erkenntniss betrifft, bisher nochnirgends soweit mir die einschlgige Litteratur bekanntgeworden ist in erschpfender Weise behandelt wordenist; mehrere wichtige Stellen in Augustins Werken scheinendenen, die vor mir auf diesem Gebiete geforscht haben,gnzlich entgangen zu sein. So entschloss ich mich denn,hier etwas weiter auszuholen, um diese Lcke in unsererKenntniss des augustinischen Systems auszufllen: ich hoffedamit nichts Ueberflssiges geleistet zu haben.

    In den beiden folgenden Paragraphen habe ich einehistorische Ueberleitung von Augustin zu Duns Scotus ver-

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    VII suctit, mit besonderer Hervorhebung und Betonung derPunkte, welche fr die Geschichte des Willensprimates inBetracht kommen; es konnte natrlich nur in meiner Absichtliegen, aus der Flle der Einzelheiten das Wesentliche heraus-zuheben: auf Vollstndigkeit knnen diese Theile meinerArbeit ebenso wenig als 9 Anspruch machen.

    Ich habe anfnglich geschwankt, ob ich Descartes nochin den Kreis dieser Untersuchungen hineinziehen sollte, daer den Willensprimat nur in beschrnktem Umfange aner-kennt. Allein ich glaubte, dass das Verstndniss der Willens-lehre Descartes' mit ihren unverkennbaren Incousequenzendurch eine historische Gesammtbetrachtung , wie ich sie er-strebte, wesentlich gefrdert und erleichtert wrde und habemich aus diesem Grunde dafr entschieden, in meiner Dar-stellung neben Augustin und Duns Scotus auch Descarteszu bercksichtigen.

    Anderseits durfte ich mich aber in diesem letzten Ab-schnitte meiner Abhandlung krzer fassen als sonst, da essich hier hauptschlich um eine Reproduction und Zusammen-stellung bereits gekannter Thatsachen handelte, fr welchees die geschichtlichen Anknpfungen und Parallelen aufzu-suchen galt.

    Eine Hauptquelle fr Descartes' Freiheitslehre, von derich mir roichen Aufschluss versprach, ist mir leider bis jetztnicht zugnglich gewesen: es ist dies das Buch des P. Guil-laume Gibieuf: De libertate Dei et creaturae. Paris 1630,auf welches Descartes sich mehrfach zustimmend beruft.

    Ich richte an Jeden, der mir ber den Verbleib dieseravis rarissima Auskunft geben kann, die freundliche Bitte,mir eine gefllige Mittheilung zugehen zu lassen. 1

    1 Soeben erfahre ich, dass die Pariser Nationalbibliothek einExemplar des Gibieuf besitzt. Den vollstndigen Titel, den Herr

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    VIII Augustin benutzte ich in der Ausgabe von Migne

    Patrologise cursua completua tom. 3245, welche mir aufder Bibliothek des hiesigen philologischen Seminars zurVerfgung stand.

    Von Duns Sootus1 philosophischen Schriften existiertnur eine Gesammtausgabe , welche 1639 zu Lyon in 11Bnden erschien. ] Auf den deutschen Bibliotheken scheintsie ziemlich selten zu sein; erst nacli lngerem Suchenglckte es Herrn Prof. Dr. Windelband, auf der Stadt-bibliothek von Trier ein vollstndiges Exemplar dieser Aus-gabe ausfindig zu machen. Durch seine und des Directorsder hiesigen Universittsbibliothek, Prof. Dr. Barack. gtigeVermittlung wurde mir die Benutzung dieses Exemplars inStrassburg mglich gemacht. Descartes citiere ich nach derAusgabe von V. Cousin. Sonst ist die angezogene Litte-ratur je an ihrer Stelle verzeichnet.

    Die Belegstellen habe ich mit mglichster Genauig-keit mitgetheilt, um eine Confrontierung der im Texte auf-gestellten Behauptungen mit den Quellen jederzeit leicht zuermglichen. Dagegen habe ich von vornherein auf jedesbiographische Detail verzichtet.

    Sobald mir die Umstnde es gestatten, werde ich dieUntersuchungen, deren Resultate ich hiermit der Oeffentlieh-keit bergebe, an dem Punkte wieder aufnehmen, an demich sie jetzt habe fallen lassen, da ich beabsichtige, die Dar-stellung der Geschichte des \Villensprimates bis in unserJahrhundert, etwa bis zu Schoppenhauer hin. weiter zufhren.

    Dr. Marx mir gtigst mittheilto. werde ich weiter unten (p. 115) an-geben. Nhere Nachrichten ber den Inhalt da? Buches fehlen mir noch.

    1 Bei Migne sind Dun< Scoru>" Werke nicht abgedruckt, wieman nach der Angabe bei Potthast ibliorh. hi^tor. p. 75 vermuthenknnte. (Druckfehler? D un s - Scotus - E r ige n a !)

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    IX Es erbrigt mir noch, meinem hochverehrten Lehrer,

    Prof. Dr. Windelband, fr die liebenswrdige Leitung, dieer meinen philosophischen Studien angedeihen liess, im be-sonderen fr die reiche Frderung und Untersttzung, du-ich von ihm bei der vorliegenden Arbeit erfahren habe,meinen tiefgefhltesten Dank auszusprechen.

    Desgleichen danke ich den Verwaltungen der Biblio-theken von Strassburg, Mnchen, Leipzig, Trier, vor allemaber den Vorstehern der hiesigen Vniversitts- und Landes-biblothek fr die ausserordentliche Bereitwilligkeit, mit dersie jederzeit meinen oft weitgehenden Wnschen gerechtwurden.

    Der Verfasser.

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    Inhalt.Seite.

    Vorwort v 1. Augustins Stellung in der Geschichte des Problems der

    "Willensfreiheit 1 2. Augustins Indeterminismus 15 3. Der Wille in Augustins Erkenntnisstheorie '24 4. Geschichtliche Entwicklung der Lehre vom Verhltnisse

    des Willens zum Verstand in der mittelalterlichen Philo-sophie bis zur Reception des Aristotelismus. (IXXIII.. Jhdt) 42

    5. Willens - und Verstandesprimat in der Scholastik undMystik des XIII. Jhdts . 58

    6. Duns Scotus 1 Stellung in der Scholastik 76 7. Duns Scotus' Indeterminismus 82 8. Duns Scotus' Beweise fr den Primat des Willens ... 91 9. Indeterminismus und intellectueller Determinismus in der

    nachscotistischen Scholastik 107 10. Der Willensprimat bei Descartes 113

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    1.

    Augustins Stellung in der Geschichte des Problemsder Willensfreiheit.

    Der Versuch die Lehre Augustins von der Freiheit desmenschlichen Willens darzustellen, begegnet grsseren Schwie-rigkeiten, als sie sonst dem Verstndnisse seiner Philosophieentgegenstehen. Nicht als ob der Mangel an beweiskrftigemMaterial uns zu Hypothesen nthigte, die eines soliden Unter-baues entrathen : gerade hier steht uns eine Ueberflle von Stoffzu Gebote, die uns zu einer Reconstruction der augustinischenGedanken ausgiebige Belege an die Hand giebt. Die Schwierig-keiten liegen in der Sache selbst: Augustin scheint sich inder Bestimmung der Willensfreiheit nicht gleich gebliebenzu sein. 1 Seine Psychologie des Willens wurzelt im Inde-terminismus, 2 allein es fehlt nicht an Aeusserungen, welchedie entschiedene Hinneigung zu einem Determinismus be-kunden, der das liberum arbitrium aufzuheben droht. 3 Baldspricht Augustin von der Freiheit vor dem Sndenfalle, baldvon dorn Willen des empirischen Menschen, dann wieder vonder Freiheit, die uns im Zustande der Vollendung zu Theilwerden soll. 4 Wer diese verschieden gearteten Auffassungen

    1 Gan g au f Metaphysische Psychologie des hl. Augustinus Augs-burg 1852. p. 326. (leider unvollendet.)2 Storz Die Philosophie des hl. Augustinus. Freiburg 1882.

    p. 140. cf. Aug. de civ. Dei XII, 6 (VII, 354 ed. Migne); de doab.anini. X, 14. (VIII, 104).

    3 Hub er Die Philosophie der Kirchenvter 1859, p. 301. Aug.Kneh. ad Laur. 30 (VI, 246.) et'. Jodl Gesch. d. Ethik. I, 61.

    4 Gangauf p. 361.1

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    neben einander stellt, mag bei oberflchlicher Beurthoilungleicht dazu gefhrt werden, Augustin Inconsequenz undSophisterei vorzuwerfen. 5 Die scheinbaren Widersprchelsen sich aber, sobald man dem eigentmlichen Charakter,welcher der litterarischen Fixierung der augustinischen Philo-sophie anhaftet, gebhrend Rechnung trgt. Augustin gehrtnicht zu den Philosophen, die in einem einsamen Winkel desDaseins, fernab von dem Verkehr mit anderen Menschen,ihre Gedanken zu einem System ausreifen lassen. Er standmitten in dem wirreu Treiben einer bewegten Zeit, und imLrm der Welt, im engsten Contacte mit dem wirklichenLeben, hat sich, wie sein Charakter, so auch sein Denkenzu hoheitsvoller Grsse entfaltet. Er war ein Werdender :er hat wie Wenige um den Besitz der Wahrheit kmpfenmssen, und erst nach hartem Ringen ist ihm der Preis desSieges zugefallen. Aber auch dann, als er den festen Stand-punkt gewonnen hatte, von dem er nicht mehr weichensollte, hat er es nicht unternommen, das Ganze seiner Ueber-zeugung in einen systematischen Zusammenhang zu bringen.Die Werke, in denen er die Resultate seines Denkens nieder-gelegt hat, sind mit wenigen Ausnahmen Gelegenheits-schriften. Sie bezwecken entweder eine kritische Ausein-andersetzung mit den Philosophemen , welche Augustin aufden verschiedenen Etappen seiner Entwicklungsgeschichte be-einflusst hatten, oder wissenschaftliche Polemik gegen dieIrrlehren, welche den kirchlichen Dogmen entgegentraten,und deren Bekmpfung ihm durch das Amt, das er bekleidete,zur Pflicht gemacht war. In dieser kritisch -polemischenTendenz seiner Schriftstellerei finden die Inconsequenzen,deren man Augustin hinsichtlich der Lehre von der Willens-freiheit hat zeihen wollen, eine ausreichende Erklrung. Jenach den Gegnern galt es das Problem anders zu formu-lieren, bald diese bald jene Seite mehr hervorzukehren, unddarum ist es so schwer, Augustins Willenslehre auf eineneinheitlichen Ausdruck zu bringen.

    5 "Wiggers Augustinismus und Pelagianismus. Hamburg 1833.Gang auf p. 32.

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    - 3 Es kann unsere Aufgabe nicht sein, allen den feinen

    Wendungen nachzugehen, die Augustins Freiheitsbegriff imKampfe gegen die Manichaeer, gegen den astrologischenFatalismus der Alexandriner, gegen die Hresie des Pelagiusu. s. f. genommen hat. Am wenigsten liegt es in unsererAbsicht, hier in die Controverse einzutreten, welche seit mehrdenn drei Jahrhunderten ber Augustins Gnadenlehre in ihrerBeziehung auf die individuelle Freiheit gefhrt wird. DieBetrachtung des Willens als eines Momentes in der mensch-lichen Heilsgeschichte liegt dem Zwecke unserer Arbeit fern;wir beschrnken uns darauf, den Willen einzig als psychischeFunction ins Auge zu fassen, und versuchen den Nachweis,dass Augustin ihn im Sinne des Indeterminismus als absolutfrei von jedem usseren und inneren Zwange gedacht hat,vor allem frei und unabhngig vom Verstnde.

    Augustins Indeterminismus hat sich am Problem derSnde und des Bsen emporgearbeitet. Unde malum ? Woherstammt die Snde? Werde ich von aussen her durch einejener dunkelen Mchte , die im Weltgeschehen walten , un-entrinnbar zur bsen Willensentscheidung gedrngt, oder trageich in mir selber, in meinem freien Willen, den Grund derSnde? Ist mein Wille gebunden oder ist er frei? Undemalum? Von der Philosophie erwartete Augustin auf allediese Fragen eine Antwort. 6

    So steigt vor Augustin an der Schwelle seiner philo-sophischen Entwicklung das grosse Problem auf, das nichtnur sein Denken zeitlebens erfllt hat, sondern das auchseitdem in immer neuen Wendungen, bald mit religisen,bald mit ethisch-politischen Fragen verwoben, hier in psycho-logischer, dort in metaphysischer Einkleidung, die Philosophiealler Zeiten beschftigt hat. Das Alterthum hat die Aporieder Willensfreiheit hchstens als einfache psychologische Fragegekannt, aber nicht als das durch den Begriff der Verantwort-

    6 Aug. Conf. VII, 5. 7 (I, 736): Et quaerebam, unde malum etmale quaerebam, et in ipsa inquisitione mea mm videbam malum. Qaaeradix eins et quod seinen eius ? An omnino mm est? Cur ergo timemuset oavemus, quod non est?

    1*

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    _ 4 -lichkeit verdichtete Problem, wie wir es heute betrachten. Dennso lange nicht der Gegensatz eines Mssens, das auch die Thatendes Willens in den urschlich bedingten Naturverlauf hinein-zuziehen scheint, und eines Sollens , das den Menschen zurfreien Erfllung eines hheren Gebotes verpflichtet, in demWollen und den aus ihm resultierenden Handlungen sich oft qualvoll genug! fhlbar macht, so lange hat esweder ein theoretisches noch ein praktisches Interesse, dar-nach zu fragen, ob der menschliche Wille frei ist, ob wiraus selbsteigener Kraft und in zielbewusster Absicht unsereWillensusserungen lenken knnen, oder ob sie, wie dasphysische Geschehen unabnderlich dem Zwange der Causa-litt folgen mssen.7

    Erst als das Christenthum der natrlichen Ordnung derDinge die gttliche Gesetzgebung gegenberstellte, und alsmit der Verletzung dieses gttlichen Gebotes das Bewusstseinder Snde entstand, konnte daher die Freiheit als ProblemGegenstand des wissenschaftlichen Nachdenkens werden.

    Den christlichen Philosophen vor Augustin ist unserProblem nicht fremd geblieben , aber sie beschrnkten sich wenn wir von Origenes absehen meist darauf, dieWillensfreiheit als Postulat des Glaubens zu behaupten undhchstens in einer Art von Beweis darauf aufmerksam zumachen, dass Lohn und Strafe, berhaupt jede sittliche Zu-rechnung nur dann einen Sinn haben, wenn der Mensch,jedem Zwange entzogen, frei handeln kann. 8 Vor allem sindsie sich des Dilemmas kaum bewusst geworden, in welchesdas christliche Denken gerth, wenn es zwischen der Freiheitdes Individuums und dem allmchtigen Willen der Gottheit,deren Werk die ganze Welt, somit auch der Einzelwille mitseinen Entscheidungen ist, vermitteln soll.

    Augustin kommt das hohe Verdienst zu, zum erstenMale das Freiheitsproblem mit seinen mannigfachen anti-

    7 Windelband Praeludien. Freiburg 1884. p. 211.8 Clemens Alexandr. Strom I, 17. 83. ovc? 3'e ol Znctiroi ovrs

    xpoyoi ovre Tijuat /urj xrfi xlw^r^ Tfjg ^ovirji rtjv liovaiav T-qq OQjurjz xaiaipoour^. cf. Hauschild Tertullians Psychologie 1880. p. 72.

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    5 nomischen Auszweigungen in seiner ganzen Tiefe erfasst zuhaben : durch ihn ist die Philosophie zum Bewusstseinunseres Problems erwacht*! 9

    Eben darin liegt Augustins selbstndigste That; dennso sehr er sonst in vielen Bestimmungen seines Systems vondem antiken Denken, besonders dem Neuplatonismus, sichabhngig erweist, so konnte ihm an dieser Stelle die antikePhilosophie doch hchstens Andeutungen zu Lsungsversuchengeben, ihm die Schwierigkeiten des Problems nur aufzeigen,nicht auflsen. Wir werden aber die Originalitt und diegeschichtliche Bedeutung der augustinischen Willenslehre nurdann richtig wrdigen knnen, wenn wir, mit kurzen Wortenwenigstens , jener Anstze zu einer wissenschaftlichen Dis-cussion des Freiheitsproblems gedenken, welche fr Augustinin der griechischen und christlichen Philosophie vorlagen.

    Augustin verstehen heisst ihn historisch ableiten".Die Psychologie des Willens 10 trgt in ihren ersten

    Anfngen , in denen sie uns bei Socrates entgegentritt , einstark deterministisches Geprge durch die Beziehung allerWillensacte auf das hchste Gute, welches geradezu alsCorrelatbegriff des Wollens erscheint. Jeder will nur das,was gut ist, weil ein Jeder glcklich sein will. Das Guteaber, das der Wille begehrt, wird dem Willen durch dastheoretische Vermgen der Seele vorgestellt: alles Wollenist also abhngig von dem Wissen um das Gute, von demVerstandet 1 Es war die nothwendige Consequenz dieser Auf-fassung, wenn Socrates das Bse ausserhalb der freien Willens-entscheidung des Menschen setzte und es durch physische Ver-

    9 Schopenhauer. W. W. IV, 65.10 Zum Folgenden vgl. ausser Z e 11 e r Die Philosophie d. Griechen

    :

    Volk mann Lehrbuch der Psychologie. II, 461 (2. Aufl.). 1875.Wildauer Die Psychologie des Willens bei Socrates, Plato u Aristo-teles. I. Socrates 1878. II. Plato 1880. III. fehlt noch. Sieb eckGeschichte der Psychologie. I, 1 u. 2. 1880 u. 1884. Sieb eck I, 1. 166. Wildauer I, 21. 23. 31. Nach Xeno-phons Darstellung (Moni. III, 9. 4) ist die tpcdvijov; in durchaus utilisti-schem Sinne die Einsicht in das Ntzliche ,ura io/h i?iv. cf. Ziegler Geschichn 1 d. Ethik I, p. 57.

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    6 anlagung oder Trbung der Einsieht entstanden dachte. 12 Beider berwiegend auf das Ethische gerichteten Tendenz dessokratischen Nachdenkens vermissen wir freilich jede Ver-tiefung dieser psychologischen Fragen ; Socrates hat nirgendsangedeutet, wie wir uns im Einzelnen die Abhngigkeit desWillens vom Verstnde zu denken haben. Dem intellectuellenDeterminismus aber, den er ausgesprochen und dem er inder Identification von Tugend und Wissen, olqstiJ und im-nxrif.17] , einen prcisen Ausdruck gegeben hat, hat sich diegriechische Philosophie bis zu Plotin hin nicht entziehenknnen.

    Bei Plato begegnen wir dem ersten Versuche, denOrganismus der menschlichen Seele einer wissenschaftlichenBetrachtung zu unterziehen. 13 Plato vertheilt die Gesammt-heit der psychischen Thtigkeiten auf drei Seelentheile:to XoyiGTiy.v, to ^v/Lioudsg, to imS-v/iifjTtxov. Die Seele ist inden sinnlichen Krper aus einem hheren , reineren Lebeneingetreten-, das Erbtheil, das sie aus jenem Prexistenz-zustande mitgebracht hat, ist das koyiaTiy.ov, in ihm liegt derKern der menschlichen Persnlichkeit, das, was wir hieniedenmit den Gttern noch gemein haben. Aus diesem Grund-zuge der platonischen Psychologie, in die Intelligenz daseigenste Wesen der menschlichen Seele zu verlegen, lsst essich erklren, dass auch bei Plato das Wollen hinter demVorstellen zurcktritt, dass der Wille fast gnzlich im Ver-stnde aufgeht. 14 Doch muss zugegeben werden, dass beiihm schrfer als bei Socrates das Begehrungs- vom Vor-stellungsvermgen sich ablst; zudem hat er wenigstens ver-sucht, den Determinismus seines Lehrers auf eine wissen-schaftliche Grundlage zu stellen. Plato hat sich, um diepsychischen Vorgnge in dem Acte des Whlens zu veran-schaulichen, mehrmals 15 des Bildes der Wage bedient, und

    i 2 Xenoph. Memor. IV, 35. Plato Tim. p. 86 d.13 Zeller II, 1. 713 (3. Aufl.). Plat. Tim 41c. 70b.11 Plat. Phaedr. 237 d: Adi-a hpit^vt] rov aoiarov. Cratyl. 420 c.

    TTavra ravva (SC. ovXi'p ovl?o9'(XL, ovlftV$a9ai) fiolrj fnfxsva.15 Wild au er II, 221. Plat. Legg. p. 733 a. Protag. 356 b.

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    7 die Art und Weise, wie er dies Gleichniss durchfhrt, istnicht nur fr ihn, sondern berhaupt fr jeden intellectuellenDeterminismus ausserordentlich charakteristisch. Die Objecte,welche unserer Wahl sich prsentieren, erwecken in uns Vor-stellungen, welche uns das jeweilige Wollen resp. Nichtwollennahelegen. Diese Vorstellungen Lust- und Unlustmotive

    ,

    welche mit verschiedener Intensitt in uns auftreten, ver-theilen wir gleichsam auf die beiden Schalen einer Wageund beobachten alsdann, wie die Wage sich einstellt. Nachder Stellung des Zngleins der Wage richtet sich unsereWahlentscheidung. Wir steigern den Wunsch, einen Gegen-stand zu besitzen, zum thatschlichen Wollen und Begehren,wenn die Motive, die ihm innewohnen, ber die Motive einesanderen Objectes das Uebergewicht haben. Wir weisenanderseits denjenigen Gegenstand von uns ab, der in unsein Uebermass von Unlustvorstellungen erzeugt. Immerfolgt der Wille den strkeren Motiven. Wie aber, wennbeide Schalen gleichmssig belastet sind, wenn die Antriebezum Wollen oder Nichtwollen auf beiden Seiten gleich starksind? tau d'ctvti ooeov sxaTSpa tovtcov ovy (dg ovXo/ns&a e/oi/lisvav diaoayuv (Legg. 733b). Es ist in der That vom plato-nischen Standpunkte aus nicht einzusehen , wie der Willesich activ bethtigen kann, wenn er von zwrei Seiten gleichstark determiniert wird. Mit derselben Resignation lsstAristoteles den Menschen, der gleich weit von zwei Speisenentfernt" ist, verhungern. 16

    Gleichwohl ist durch diese Auffassungsweise die mensch-liche Freiheit nicht so vllig aufgehoben , als es vielleichtscheint: denn in letzter Linie bestimmen doch wir selbst dieIntensitt jener Motive, die in unseren Handlungen den Aus-schlag geben : sie sind unsere Vorstellungen , und insofernsind wir die freien Urheber unseres Thuns und Lassens.

    16 Aristot. de coelo. II, 13, 295 b 32 xtu d loyog tov nsivtovroq xa\oixfjwvTog (HpooQa ,ufr, O/.IOU01 Sf xm reu fataStfjitav xa\ nottav \aov an$yovTo$xa) yaQ TOVTOV ^ofiiflv arayx

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    8 Plato unterscheidet deshalb die freiwilligen Handlungen vonden unfreien; 17 er nennt die Tugend herrenlos und setzt ohneZweifel da , wo er das irdische Leben als Resultat einerWahl im Prexistenzzustande auffasst, die Wahlfreiheitvoraus. 18 Sobald er aber das liberum arbitrium auf diebsen Handlungen ausdehnen soll, bricht auch bei ihm derOptimismus des Griechenthums durch , der nicht zugebenmag, dass der Mensch aus freien Stcken Bses thut. 19 Dennfreiwillig ist Niemand schlecht" , so heisst es im Timaeus(86 D) und an anderen Stellen der platonischen Werke.Es erscheint begreiflich, dass man, auf solche Aeusserungengesttzt, darber hat streiten knnen, ob Plato berhaupteinen autonomen Willen angenommen hat. 20 Thatschlichist er sich der Antinomie, deren Thesis die Freiheit desWillens behauptet, deren Antithesis dem Menschen die Ver-antwortlichkeit fr die schlechten Thaten abnimmt, so wenigbewusst geworden, dass er nirgend den Versuch gemacht hatsie aufzulsen.

    Ueber den intellectuellen Determinismus, den Platopsychologisch unterbaut hat, ist auch Aristoteles nicht hinaus-gekommen. Zwar hat er schrfer als sein Lehrer die Freiheitdes Menschen betont , indem er sich nachdrcklich daraufberuft, dass jede moralische Zurechnung ohne sie undenkbarist. Mit aller Energie weist er daher den sokratisch- epi-charmischen Spruch : ov&dg sxcov novygog ovd^ av-mv jLidxagzurck. 21 Aber auch bei ihm ist die Freiheit mehr ein Pr-dikat des Verstandes als des Willens; denn Aristoteles hltmit Socrates und Plato daran fest, dass das Gute das alleinigeZiel unseres Begehrens ist, dass wir nur das wollen, was

    * 7 Plat. Republ. VII, 535 e; Polit. 293 a; Legg. 861 e. Republ. 617 e: niQSia&u) iov iS auvtVTcu ?i avayxqg ' aQFTrj

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    - 9 uns durch das Medium unseres Vorstellungsvermgcns hin-durch als gut erscheint. 22

    Ja, Aristoteles sagt ganz direct, dass das erkannteObject unseren Willen bewegt, dass alles Wollen nur eineThat des berlegenden Verstandes ist. 23

    Diese Unterordnung des Willens unter den Verstand,der ovhfiL; unter den vovg, hat auch in der aristotelischenEthik darin Ausdruck gefunden, dass Aristoteles die Glck-seligkeit des Menschen nicht in die praktische Lebens-bethtigung setzt, nicht in die Aeusserungen des Willens,sondern in das reine Denken , das unabhngig von ussererHilfe in sich selbst das Object und das Ziel seiner Thtig-keit hat 23 : die dianetischen Tugenden stehen darum demWerthe nach ber den ethischen. 25 So erstarkt im Aristote-lismus das Denken zu der selbstherrlichen Kraft, welche allebrigen Functionen der menschlichen Seele, und so auch denWillen, beherrscht und nach sich bestimmt.

    Der Stoa gebhrt das Verdienst, zum ersten Male derPhilosophie den Conflict zwischen dem freien Willen desIndividuums und dem causal - nothwendigen Ablaufe allesGeschehens zum Bewusstsein gebracht zu haben. 26 Kein

    22 Arist. Ethic. III, 6. 1113a 23: aga (pari-ov anhaq per xat xr'aty&fiav ovl nx6v flvat, raya^v. Metaph. XII, 7. 1072 a 27. Rhet. I, 10.1369 a 2: eOTt tj ufv ovXfjm; ayaitov OQfitc ' ov&f); yotQ ovXfrcn , aX/C ?]nrav ohjS-rj eivai ayit&v. Plat. Symp. 205a: TidrTag Tayu&a ov/.fa&ui.of. Thomas v. Aquino c. gent. III, 3: nam bonum est, quod omniaappetunt. Zell er II, 2. p. 582.

    23 Arist. de anira. III, 10. 433 a 27. ib. 434 a 7: tj fc ovX>;-Tixrj fv toIq Xoyiarixoig ' tit?qov yaq ngalfi rode r/ rSf Xoym/xov tjJt] FOTtvfgyov. Top. IV, 5. 126 a 13: rroa ydg ovXtjOiq, h reo XoywTixy. cf.Walter Die Lehre von der prakt. Vernunft in der griech. Philosophiep. 204.

    24 Arist. Ethic. X, 8. p. 1178 b 7: y fc rdisia cvSmuovi'a ort &*t*prtixii r4 laraf frf-'oyfia x.t.X. Metaphys. XII, 7 1072 b 24: y nooia toi'^tOTor xdt aQiTov. XeilOpll. Mem. IV, 5. 5: oorpin (ifjUTTOV ayaVr.Ziegler 1. c. I, 131.

    85 Zell er II, 2 p. 653. Der Primat de* Verstand documen-tiert sich weiter darin, dass Aristoteles aus der Th&tigkeit der Gtott-heit alles Wollen eliminiert; sie verharrt in ewiger >'>

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    10 anderes philosophisches System dos Alterthums hat den Be-griff der Causalitt in der Form der teleologischen Bedingt-heit mit solcher Conscquenz durchgefhrt wie die Stoa. 27Innerhalb dieses Determinismus'28 bleibt fr eine freie Activi-tt des Menschen kein Platz brig; es konnte daher denStoikern, welche wie Chrysipp die Freiheit zu Gunsten dersittlichen Zurechnung retten wollten, nur durch sophistischeKlgeleien gelingen, den Schein der Willensfreiheit aufrecht zuerhalten. Zwar ist der Wille, wie alles Andere, in die Ketteder natrlichen Ursachen verflochten; allein er ist frei, weiler nicht von aussen, sondern durch seine eigene Natur be-stimmt wird, durch die er den usseren Ursachen entgegen-wirken kann. Die freie" Handlung muss aber unaus-bleiblich erfolgen; denn: volentem fata ducunt, nolentemtrahunt. 29

    Der Intellectualismus, der typische Charakter der aristo-telischen Philosophie, ist im Neuplatonismus auf die Spitzegetrieben worden. Es darf uns nicht befremden, dass ineinem Systeme, welches alles Geschehen aus dem vovg ableitet,der Wille zu einer blossen Provinz des Denkens herabgesetztwird. 30 Plotins Ansicht vom Verhltnisse des Verstandes zumWillen gipfelt in einem absoluten Primate des Verstandes,der sich auch darin bekundet, dass die Eudmonie des

    27 Plutarch de fat. 11. p, 574 E xard Jk jov Ivavriov {loyov derStoiker) /jhoTa (ifv xat TTQtorov iivai S'ifif to juqdfy dv

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    11 Menschen in die reine, willenlose Vemunftthtigkeit verlegtwird, fr welche das praktische Handeln, berhaupt jederAct des Wollens, nur einen schwachen Ersatz zu bietenvermag. 31 Dabei hlt Plotin mit aller Entschiedenheit ander menschlichen Freiheit fest: 32 sie ist ihm eine Thatsachevon unmittelbarer Evidenz. Nur darf sie nach dem Ge-sagten nicht in dem Willen, sondern nur in der Vernunftgesucht werden: letztlich ist nur jenes interesselose, beralles Wollen erhabene Denken wahrhaft frei. 33

    Im Neuplatonismus raffte sich die antike Philosophiezur letzten, entscheidenden Reaction gegen das siegreichvordringende Christenthum auf. Noch einmal gelang es, diewissenschaftliche Opposition gegen die neue Religion zueinem einheitlichen, grossartig angelegten System zusammen-zufassen , das uns wie der letzte Scheidegruss einer unter-gehenden schnen Welt anmuthet. Doch auch diese Reactionward berwunden: nicht so, dass man sich vornehm von ihrabkehrte und ngstlich jede Berhrung mit ihr vermied,sondern dadurch, dass man den Inhalt des christlichenGlaubens in die Formen der Wissenschaft, die es zu be-kmpfen galt, eingoss, dass man die feindliche Philosophiemit ihren eigenen Waffen bestritt und besiegte. ZweiMnner sind fr diesen Process typisch: Origenes und Augu-stinus. Beide haben zu Plotins Lehre in nahen Beziehungengestanden, beide suchen ihr christliches Denken mit demNeuplatonismus auszushnen, doch nicht ohne ihm zuvorseine Spitze gegen das Christenthum abzubrechen, undbeiden gelingt dies durch eine gesteigerte Prononcierung desWillens, dessen Recht in der Philosophie des vov' ber Ge-bhr verkmmert war. Und doch besteht zwischen diesenbeiden (Jeistesheroen der Patristik wiederum ein grosser Unter-

    31 Plot. Enn. III, 8. 4 fit) xa\ uv&Qvmoi orav anfav^owaiv rtg rottfWQfir

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    12 schied, der in letzter Linie auf dem Gegensatze beruht, derden idealistischen Griechen vom realistischen Rmer trennt.

    Origenes sucht mit seiner Weltanschauung die hchstenProbleme der Kosmologie zu umspannen : was ist die Welt,wie ward sie, was wird sie sein? an solchen Fragen mhtsein grbelnder Geist sich ab: objectiv-kosmologisch ist dieRichtung seines Denkens. Anders Augustin ! Er vertieft sichin die Einzelfragen , welche dem Boden der empirisch fass-baren Wirklichkeit entstammen; der Mikrokosmus des Men-schen ist das Problem seiner Philosophie : er construiert seinSystem vom subjectiv - anthropologischen Standpunkt aus.Dadurch wird es auch erklrlich, dass wir bei Origenes einedurchgebildete Theorie des menschlichen Willens vergebenssuchen; ihm kommt es nur darauf an, dem neuplatonischenvovg den Willen Gottes als das absolute Weltprincip gegen-berzustellen, und nur, sofern der Mensch ein Theil desKosmos ist, findet auch sein Wille Bercksichtigung.Plotin Hess aus dem vovg der Gottheit, des SV, dienoXl durch einen Act nothwendiger Emanation hervorgehen.Origenes fasst die Zeugung des Sohnes, des Xdyog, und dieWeltschpfung als freie Willensthat des Vaters auf. 34 Inder gleichen Weise macht Augustinus um das hier einzu-schalten die Weltschpfung von dem freien Willen Gottesabhngig; und in der That Hess sich der Dualismus: Gottund Welt, den die antike Philosophie nicht zu berbrckenvermocht hatte , nur dadurch im Sinne eines christlichenMonismus berwinden , dass man die Weltentstehung derschpferischen Thtigkeit des gttlichen Willens zuwies. 34 aGott nun hat, wie Origenes lehrt, unzhlige Geister er-schaffen, welche sich vermittelst ihres freien Willens fr dasGute oder Bse entscheiden knnen. Die guten Geister sinddie Engel, die bsen die Dmonen, welche in freier Willens-entschliessung von Gott sich abgewandt haben. 35 Zwischenden Engeln und den Dmonen steht der Mensch, der seinem

    3* Origenes de princ. I. 2. 6 (p. 134 Migne) IV, 28 (p. 402).34a cf. Scipio Des Aurel. Augustinus Metaphysik. 1886. p. 22. 24.35 Hub er p. 159. 166. Redepenning Origenes. Eine Dar-

    stellung seines Lebens und seiner Lehre. II, 317. 321.

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    13 -Ursprnge nach ein vernnftiger Geist ist und durch seinenfreien Willen das Gute oder Bse whlen kann. 36 Origenesverlangt nachdrcklich die Anerkennung der menschlichenWillensfreiheit, des uvtos^ovoiov : ohne Freiheit wre derMensch von den Objecten des physischen Seins nicht ver-schieden. 37 Auch die gttliche Praescienz, wiewohl wir sieuns unbeschrnkt denken mssen, kann die Freiheit des In-dividuums nicht aufheben : denn nicht geschieht eine Hand-lung, weil Gott sie vorhergewusst hat, sondern weil sie ein-tritt, und zwar frei eintritt, weiss sie Gott vorher. 38 Aufeine psychologische Analyse der Willensthtigkeit hat sichOrigenes allerdings nicht eingelassen. Im Ganzen scheint erder aristotelisch-neuplatonischen Ansicht zugethan zu sein,welche die Willensfunctionen auf den Verstand basiert; inden acpopjiicd rov Xoyov tov sw^r/nou to y.aXov y.cd to aio/pov,so heisst es einmal

    ,

    39 liegt die Freiheit unserer Selbstbe-stimmung. Ueber die Vorstellungen, die von aussen her inden Innenraum unserer Seele eintreten, steht uns keine Machtzu; nur das Urtheil, mit dem die Seele sich ber jene Vor-stellungen erhebt und welches uns in unseren Handlungenbestimmend leitet, ist frei. Jenes kritische Verhalten in demMomente des Wollens und Whlens aber bezeichnet Origenesnicht als Aeusserung des Willens, sondern als That der freienVernunft: tov q? r\tuv Xoyov. 40 Auch in der Eschatologiezeigt sich Origenes durchaus in der neuplatonischen An-

    36 Redepenning II, 378.37 Orig. de princ. III, 1. 1 (p. 249).38 Orig'. y.ava Kilaov II, 20, p. 835: tjftfig fih tovto ov StSvrf; (pau'fy

    ouyt rov freontoavTa mnov eivcu rov eoopfvov, ensi noofinev auro yfrtjao ufvor,aXXa 16 Fafievov^ eao/uevov av, xa) (u// &firmaVf-'y, nt v alriav rw Trooyiyvtaa-xovtl naqea^rjxevat tov civto iiQofnrnv. Redepenning 11,367. Hub erp. 176. of. Aug. de civ. Dei V, 10 (VII, 153). Orig. de princ. III, 1. 3 (p. 252).

    40 Orig. de princ. III, 1. 3 (p. 251): ro ^r ovr v-no-ntoeir rode t,r yerojuena ^ friootq^ ovxa/.A.ov Ttvoq f-yyo)' ij ior * tjjuiV /.oyoii toru-, rt m, raoa /(f.- afo-yowros t/paq nqoq /, , mi ro xaAov TtQO^xaAov/ueifag x,-i to a-irqxm oppas ,rn\ in evavrfoi exrofnovros.

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    14 schauungsweise befangen. Nicht die Bethtigung des Willensin der idealen Form der Liebe erfllt das Glck der seligenGeister, welche durch die constante Richtung ihres Willensauf das Gute zu Gott zurckgekehrt sind, sondern die cognos-citive Erfassung der hchsten Wahrheiten , die speculativeVersenkung in das Weltall. 4I Gott schauend und erkennendgemessen die Verklrten die Wonnen der Seligkeit! So hatOrigenes in diesen Theilen seines Systems den Neuplatonis-mus nicht zu berwinden vermocht: so sehr er sonst bemhtist, alles Geschehen aus dem Willen, nicht aus dem vovg ab-zuleiten, so scharf er bei Gott die Prioritt des vterlichenWillens vor dem Xoyog betont, und so entschieden er dieUnerlsslichkeit des freien Willens fr die Heilsentwicklungder Creaturen hervorhebt, so wenig ist es ihm geglckt, dieConsequenzen seiner Auffassung bis zur Ablsung des em-pirischen Willens vom Verstnde durchzufhren. Auch beiihm ist das Wollen nur eine Differenzierung des Denkens;auch Origenes ist ber den intellectuellen Determinismusnicht hinausgekommen.

    Es blieb Augustinus, dem grssten Philosophen derabendlndischen Patristik, vorbehalten , die Functionen despraktischen Vermgens unserer Seele in ihrer Eigenart undin ihrer Sonderstellung im psychischen Organismus zum erstenMale dem wissenschaftlichen Bewusstsein aufzuzeigen. 42 SeinePsychologie des Willens, zu deren Betrachtung wir nunmehrbergehen , erhebt sich selbstndig und originell ber jeneAnstze , welche wir in der griechischen und christlichenPhilosophie aufweisen konnten, und fusst durchweg auf einerso sorgfltigen Beobachtung des empirischen Thatbestandes,dass sie von schematischem Formalismus und willkrlicherConstruction gleichweit entfernt ist.

    Die Eigenthmlichkeit der augustinischen Willenslehreliegt nun vor allem darin, dass Augustin, in vollem Gegen-satze zu seinen Vorgngern, den Willen an die Spitze der

    41 Orig. de princ. II, 11. 7 (p. 248). In omnibus autem cibus hieintelligendus est theoria et intellectus Dei. Hub er p. 181.

    42 vgl. Dilthey Einleitung in die GeistesWissenschaften 1883.I, 333.

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    15 seelischen Thtigkeiten setzt, dass er den Primat des Willensstatuiert. Diese Ansicht setzt aber voraus, dass jener in-tellectuelle Determinismus, welcher in der griechischen Philo-sophie uns entgegentrat, berwunden ist: damit ist unsererweiteren Untersuchung eine doppelte Aufgabe gestellt. Wirmssen einmal nach der negativen Seite hin zeigen, dassAugustin den Willen frei von jeglichen usseren und innerenMotiven denkt, dass er Indeterminist ist, und mssen danndarstellen, in welcher Weise nach seiner Annahme der Primatdes Willens sich gestaltet, inwiefern das theoretische Ver-mgen der Seele von dem praktischen sich abhngig erweist.

    Augustins Indeterminismus.Augustins Indeterminismus ist aus der Lsung des Pro-

    blems der Snde hervorgegangen.In der Zeit, in der Augustin durch die Leetre des

    ciceronianischen Hortensius 1 sich dazu begeistern Hess, nachWeisheit zu forschen und nach Wahrheit zu streben, warin Nordafrika Mani der Philosoph des Tages. Der hohesittliche Ernst, der dem Manichaeismus trotz seines grobenMaterialismus eigen war, und das poesievolle Gewand, indas er die Begriffe seines Systems einkleidete, bten aufAugustin eine grosse Anziehungskraft aus und bestrktenihn in dem Entschlsse, in der Schule Manis die Befriedigungseines metaphysischen Bedrfnisses zu suchen. 2

    Unde malum? so fragte er jetzt seine philosophischenLehrer. In den Kampf der beiden Weltmchte, des Gutenund Bsen, des Lichtes und der Finsteruiss, so ward ihmerwidert, ist auch der Mensch hineingestellt, der in dem

    *1 Aug. Conf. III, 4 (I, 685).2 Bindern an n Der hl. Augustinus. 1,37. Xaville St. Augustin.

    Etde sur le developpement de sa pense jusqu' a L'poque de boo Ordi-nation p. 17 ff.

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    - 16 Mikrokosmus seiner Seele die Elemente des Lichts und derFinsterniss enthlt. 3

    Das Gute, das der Mensch wirkt, ist ein Ausfluss desguten Princips in ihm, und auch das Bse thut er nichtfreiwillig, da es von der bsen Seelensubstanz ausgeht. DieSndenschuld war damit von dem Menschen auf das materiell und substantiell gedachte Bse abgewlzt.

    Frs erste gab Augustin sich mit dieser Antwort zu-frieden. 4 Aber je tiefer er sich in das Problem der Sndeversenkte, um so weniger konnte ihm die manichische Auf-fassung ber alle Schwierigkeiten 5 hinweghelfen. Und wennAugustin gar daran dachte, dass nach den Consequenzendieser Lehre letztlich Gott selbst, der den Menschen demSpiele der finsteren Mchte berantwortet , die Snde imMenschen nicht bloss zulsst, sondern sogar verursacht, dannschrak er wohl vor dieser Gotteslsterung zurck und mochtees kaum wagen , jene Problemlsung zu Ende zu denken. 6Dazu kamen noch andere gewichtige Momente, die Augustinmehr und mehr vom Manichaeismus abdrngten und in ihmzunchst jene resignierte Skepsis hervorriefen , welche daswahrheitsuchende Denken ber Wahrscheinlichkeiten nichthinauskommen lsst. Augustin trat zur sogenannten zweitenAkademie ber; 7 aber nur kurze Zeit hindurch blieb er ihrSchler: denn fr ihn war, wie fr Kant, der Skepticismus

    3 Bin de mann I, 59. Naville p. 27.4 Conf. V, 10 (I, 714): Adhuc enim mihi videbar non esse nos

    qui peccamus, sed nescio quam aliam in nobis peccare naturam; etdelectabat superbiam meam extra culpam esse et cum aliquid malifecissem, non confiteri me fecisse.

    5 Conf. VIII, 10, 22 (I, 759): Nam si tot sunt naturae contrariae,quot voluntates sibi resistunt, non iam duae, sed plures sunt.

    e Conf. V, 10, 20 (I, 715).7 De beata vita I, 4 (I, 961): At ubi discussos eos (Manichaeos)

    evasi maximo traiecto isto mari diu gubernacula mea repugnantia Om-nibus ventis in mediis fluctibus Academici tenuerunt. Conf. V, 10. 19(I, 715): Etenim suborta est etiam mihi cogitatio prudentiores caeterisfuisse illos philosophos, quos Academicos appellant, quod de Omnibusdubitandum esse censuerant, nee aliquid veri ab nomine comprehendiposse decreverant.

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    17 nur der Durchgangspunkt zu seiner definitiven philosophi-schen Ueberzeugung.

    Augustin stand im beginnenden Mannesalter, als er dieSchriften der Neuplatoniker las, 8 um sofort ihren mchtigenEinfluss auf sich zu verspren. Der optimistische Idealismus,der ihm von jener Seite her entgegentrat, half ihm vorallem den Materialismus berwinden, in dessen Banden ergefangen lag, und bereitete ihn hierdurch auf den Uebertrittzum Christenthum philosophisch vor. 9 Der Neuplatonismusnun fasste das Bse als ein /ur/ oV, einen bloss relativen Be-griff.'10 Die Emanation, durch welche aus der berfliessendenRealitt des %v die iwlka hervorgehen, hat eine Schwchungdes Seins der geschaffenen Dinge zur Folge; je weiter eineSubstanz vom U> sich entfernt, um so geringer ist ihr An-theil am Sein; das Universum ist eine Hierarchie abgestufterSeinsintensitten. Gott ist aber auch das hchste Gut, undmit seinem Sein geht seine Gte in die Einzelwesen ber,so zwar, dass der Grad der Gte mit der Entfernung vomhchsten Gute stetig abnimmt. Aber alles in der Welt istgut: eine Substanz nennen wir nur darum bse, weil sie imVergleiche zu einem hher stehenden Sein einen Mangel anGte aufweist. 1 ' Diese Betrachtungsweise enthob Gott jederMiturheberschaft an der menschlichen Snde; denn nichtGott hat das Bse geschaffen, es existiert ja berhauptnicht als wesenhafte Substanz! sondern der Mensch wirddurch sich selbst bse, wenn er von Gott, dem hchstenGute, sich abkehrt und den minderen Gtern, den krper-lichen Dingen, sein Gefallen zuwendet 12

    8 Conf. VII, 9. 13 (I, 740).9 Bin de man n I, 25."). Na vi He p. 4i).10 Na vi 11c p. 54. Zcllov II, 2 p. 4S9. 502.11 Conf. VII, 12. IS (I, 74.".): Bfalumque illud , quod quaerebam

    ande ossrt, nun ost substantia, quia si Bubstantia esset, bonum esset. ib. p. 711. Et quaesivi, quid esset iniquitas et oon inveni Bubstantiam,sed a summa Bubstantia, te Deo, detortae in infima roluntatis perver-Bitatem.

    '- Do lib. arb. II, 19 (I, 1269): Malum est . . . aversio ab inoom-mntabili bono ei oonversio ad mutabilia bona, qnae tarnen aversio atqne

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    18 In diesen ersten Versuch einer Theodicee konnte sich

    nun die christliche Lehre, welche die Snde aus dem freienWillen des Menschen hervorgehen liess, sehr wohl einfgen,und wenn Augustin im Neuplatonismus gelernt hatte, dassGott der Urheber der Snde nicht sein kann , so erfuhrdiese Auffassung ihre nothwendige Ergnzung erst durch dasChristenthum, welches Augustin in der Frage: Unde malum?an die menschliche Willensfreiheit verwies. Erst im Christen-thum konnte das Problem der Snde seine definitive Lsungfinden.

    Durch den Neuplatonismus ward Augustin zu idea-listischer Weltanschauung gelutert und fr die ReligionChristi empfnglich gemacht, welche in Mailand durch denberedten Mund eines ihrer hehrsten Vertreter, den hl. Am-brosius, zu ihm sprach. Mit glhendem Eifer las Augustinnunmehr die Bcher der hl. Schrift, und die mannigfachenAehnlichkeiten und Uebereinstimmungen, welche er zwischender neuplatonischen und der christlichen Lehre entdeckte, 13mussten ihm das philosophische System, dem er die Be-freiung des Geistes verdankte, um so theuerer und werth-voller machen. Unter dem wirksamen Einflsse desNeuplatonismus vollzog sich Augustins Bekehrung zumChristenthum.

    Hier trat ihm nun der Begriff des freien menschlichenWillens , der durch den Intellectualismus des plotinischenSystems stark verdeckt war, sogleich mit voller Bestimmt-heit entgegen: denn die Willensfreiheit ist eine der Grund-voraussetzungen des Christenthums. Jetzt endlich warAugustin ein Weg gewiesen, auf dem er die endgltigeAntwort auf jene Frage, mit der er so lange und so schwergerungen hatte, finden konnte, 14 und es gelang ihm bald, jeconversio, quoniam non cogitur, sed est voluntaria, digna et iuxta eammiseriae poena subsequitur. Conf. VII, 9. 13 (I, 740).

    14 Conf. VIII, 3 (I, 755) : Audiebam liberum voluntatis arbitriuracausam esse, ut male faceremus et rectum iudicium tuum ut pateremur ....Cum aliquid vellem aut nollem, non alium quam me velle ac nolle cer-tissimus eram et ibi esse causam peccati mei iam i'amque animad-

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    19 inniger und tiefer er das Wesen der christlichen Lehreerfasste, die Bedenken zu besiegen, welche anfnglich derneuen Auffassung noch entgegenstanden, und immer mehrin sich die Ueberzeugung zu festigen, dass der freie mensch-liche Wille, und nur er, der Urheber des malum ist.Mit der ganzen Kraft und Energie seines Denkens er-griff Augustin diesen Gedanken, der sich ihm aus der Ver-knpfung der neuplatonischen und christlichen Anschauungs-weise ergeben hatte. Er begngte sich nicht damit, dieWillensfreiheit, wie Andere vor ihm gethan hatten, bloss zubehaupten, sondern er unternahm es auch, die gewonnenePosition nach allen Seiten hin zu sttzen und zu verthei-digen: seinen Indeterminismus wissenschaftlich zu begrnden.Eben darin bekundet Augustin den grossen Fortschritt gegen-ber den Denkern, die sich vor ihm mit der Freiheit desmenschlichen Willens beschftigt hatten, darin beruht seineBedeutung fr die Geschichte des Problems der Willens-freiheit.

    Der Wille, den Augustin als den Trger der gutenund der schlechten Handlungen erkannte , muss als frei vonjedem Zwange gedacht werden, frei von jeder usseren undinneren Nthigung, wenn auf seine Aeusserungen Lohn oderStrafe folgen soll. Aus dieser negativen Bestimmung ergiebtsich mit unmittelbarer Consequenz, dass derselbe positiv dieFhigkeit habeu muss, sich aus sich selbst heraus zu seinenActen zu determinieren; d. h. der Wille muss wahlfrei sein, erdarf in seiner Wahlentscheidung durch keinerlei ussere undinnere Motive unabnderlich beeinflusst werden. 15 Yoluntasvertebam. Unde igitur mihi male velle et bene nolle, ut esset cur iustepoeinis hierein P Quis in nie hoc posuit et insevit mihi plantariuniamaritudinis, cum totus Herein ;i duloissimo Deo meo? His cogitationibusdeprimebar. De vera relig. 14 (III, 133) antwortet auf dieses Be-denken: tales enim servos suos meliorea esse Heus iudieavit, si ei Ber-virent Liberaliter, quod nulle- modo Heri posset, si mm voluntate, sednecessitate servirent.

    16 Storz p. 138; G-angauf p. 332, namentlich Anm. .">. roselbslmehrere Definitionen des Willens zusammengestellt Bind; /.. 1>. Liberumarbitrium faciendi aliquid vel neu faciendi; potestas \el oonsentire \

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    20 est animi motus, so definiert Augustin ihn einmal, ad ali-quid non amittendum vel adipiscendum cogente nullo. 16 Diesem Indeterminismus cogente nullo stand der De-terminismus in mehreren Formen gegenber, gegen welcheAugustin seine Kritik richten musste. Stark deterministischwar vor allem jene manichische Auffassung , welche diebsen Handlungen als Ausfluss der bsen Seelensubstanzbetrachtete: wir haben bereits angedeutet, in welcher WeiseAugustin gegen diesen Determinismus opponierte. 17 Nochleichteres Spiel hatte er mit dem astrologischen Fatalismusder Alexandriner, der den empirischen und den intelligiblenCharakter des Menschen von der Constellation der Gestirneabhngig machte. i8 Augustin hat diese aberglubische An-sicht mehr mit Grnden des gesunden Menschenverstandes,mit Witz und Ironie, bekmpft, als mit philosophischen De-ductionen widerlegt. Schwieriger war es, einer dritten Phasedes usseren Determinismus wirksam zu begegnen, welche alsscheinbare Consequenz der christlichen Lehre von der gtt-lichen Praescienz auftrat. 19 Aehnlich wie die Stoa, mussteauch das Christenthum eine durchgngige Determination allesSeins durch den Weltschpfer annehmen, die finster waltendet\f,in(jf.LEvrj ward zur Allmacht und Allwissenheit Gottes ab-geklrt: auch hier lag also jene Antinomie vor, welche dieStoa nicht aufzulsen vermocht hatte. Gott weiss alles, waswar, was ist, was sein wird, ihm ist nichts verborgen. Alsomuss des Menschen Thun sich so gestalten, wie Gott esvorhergesehen hat: der menschliche Wille ist demnach, so

    16 De duab. anim. XII, 16 (VIII, 107).17 De duab. anim. XII, 19 (VIII, 108): An ut discerem hinc

    (Manich.) ostendi animarum duo esse genera, quod in deliberando nuncin malam partem, nunc in bonam nutat assensio ? Cur non magis hocSignum est unius animae, quae libera illa voluntate huc et huc ferri,hinc atque hinc referri potest? cf. Anm. 5 dieses .

    18 De div. quaest. 83, 45 (VI, 21); de civ. Dei V, 5 (VII, 145).!9 De lib. arb. III, 2. 4 (I, 1272): Ineffabiliter me movet, quo-

    modo fieri possit, ut et Deus praescius sit omnium futurorum et nosnulla necessitate peccemus.

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    - 21 scheint es, mit Notwendigkeit an das gebunden, was Gottvorher weiss. 20

    Augustin hat sich diesem Dilemma, das ihn lange Zeithindurch gengstigt hatte, durch die Betrachtungsweise ent-zogen, welche innerhalb des Christenthums die einzig mg-liche war, denn es galt, Gottes Allwissenheit in vollem Um-fange zu wahren und die Freiheit des creatrlichen Willensnicht zu gefhrden. Die gttliche Praescienz steht nichtnecessitierend ber dem Menschenwillen, sondern sie beziehtsich auf die zuknftigen Willensentscheidungen in analogerWeise wie das Gedchtniss auf vergangene Ereignisse.Ebenso wenig als im Gedchtniss der Grund dafr liegt,dass in der Vergangenheit dieser oder jener Zustand ein-getreten ist, ebenso wenig erzwingt Gottes Allwissenheit dieActivitt des menschlichen Willens. In die Reihe der Cau-salitten, welche Gott vorher weiss, ist der freie Wille desMenschen verflochten, dessen Aeusserungen von dem Vorher-wissen Gottes unabhngig sind. 21Das sind in gedrngter Uebersicht die Argumentationen,welche Augustin den verschiedenen Formen des usserenDeterminismus entgegengesetzt hat. Allein er ist noch weitergegangen : er hat gezeigt, dass der Wille, der keinen usserenZwang erleiden darf, auch keiner inneren Bedingtheit durchpsychische Mchte unterworfen ist, dass die Motive, die voninnen heraus seinem Wollen vorangehen, keine determinie-rende Gewralt auf ihn auszuben vermgen.

    Augustin hat sich zur Begrndung des Indeterminismusnach dieser Seite hin, und damit zur Widerlegung des psycho-logischen Determinismus, eines Beweises bedient, der nach-malig in dem Streit um das Problem der Willensfreiheit fterswiederholt worden ist, und der zu dem Bilde der Wage,

    20 ib. p. 1274: Si praeseivit Deus futuram voluntatem meani,quoniam nihil aliter potest fieri quam praeseivit, neeesso est, ut velim,quod ille praeseivit: si autein necesse est, non iam voluntate,necessitate id me velle fatendum est. cf. de civ. Dei V, 9. 2 (VII, 150).Hub er p. 297. vgl. auch 1. Anm. 30.

    ~ l vgl. die grndliche Auseinandersetzung bei Gang auf p.337 ff.,wo auch die diesbezglichen Citate sich finden.

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    22 -welches uns bei Plato begegnete, in eine eigentmlicheParallele tritt. 22

    Augustin geht von der Annahme aus, dass zwei Men-schen denkbar seien, welche hinsichtlich ihrer krperlichenund geistigen Veranlagung einander vollkommen gleich undausserdem durch ihre physische und psychische Stimmung zurWillensusserung gleichmssig disponiert sind, in denen alsodasselbe Object die gleichen Motive zum Wollen resp. Nicht-wollen hervorrufen wird. Wenn nun bei diesen beidenMenschen die Wahl einem und demselben Objecte gegen-ber gleichwohl zu verschiedenen Resultaten fhrt, so etwa,dass der Eine das Object begehrt, welches der Andere vonsich weist, obwohl der Gegenstand, welcher der Wahl unter-lag, bei beiden die Motive in gleicher Qualitt und Quantitterzeugte und obgleich der gemachten Annahme zu Folgedie Lust - und Unlustvorstellungen , welche als conditionessine qua non die Wrahl begleiten, bei beiden mit gleicherIntensitt auftraten: so glaubt Augustin diese Differenz derWollungen nur daraus erklren zu knnen , dass der Willeals das Vermgen freier Selbstentscheidung ber den Motivensteht und als solches, durch nichts determiniert, in der Wahlden Ausschlag giebt. Allerdings lsst sich mit Recht ber

    22 De civ. Dei XII, 6 (VII, 354); Si enim aliqui duo aequaliteraffecti animo et corpore videant unius corporis pulchritudinem, quavisa unus eorum ad illicite perfruendum moveatur, alter in voluntatepudica stabilis perseveret, quid putamus esse causae, ut in illo fiat, inillo non fiat voluntas mala? Quae illam res facit, in quo facta est?Neque enim puichritudo illa corporis, eam non facit in ambobus, quandoquidem amborum non dispariliter occurrit aspectibus. An caro intuentiscausa est? Cur non et illius? An vero animus? Cur non utriusque?Ambo enim et animo et corpore aequaliter affectos fuisse praediximus. . .Nam ut hoc quoque impedimentum ab ista quaestione tollatur, si eademtentatione ambo tententur et unus ei cedat atque consentiat, alter idem,qui fuerat, perseveret: quid aliud apparet, nisi unum voluisse, alterumnoluisse a castitate deficere ? Unde nisi propria voluntate , ubi eademfuerat in utroque corporis et animi affectio ? vgl. damit die Dar-stellung des adamitischen Sndenfalles: de lib. arb. III, 25. 74. (I, 1307):der erste Mensch ist zwischen das praeceptum Dei und die suggestiodiaboli gestellt und entscheidet sich mit freiem Willen fr den Kathdes Teufels,

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    23 die Gltigkeit der Voraussetzungen, auf welche Augustinseinen Beweis fr den Indeterminismus basiert, streiten;man wird namentlich die hypothetisch angenommene Wesens-identitt der beiden whlenden Subjecte als unbeweisbareFiction zurckweisen mssen, so dass hierdurch die Grund-lage des Beweises stark ins Schwanken gerth. In sptererZeit haben daher die Yertheidiger des Indeterminismus demaugustinischen Argumente eine andere Wendung dahin ge-geben, dass sie von der Beobachtung eines einzigen Menschenim Momente der Wahl ausgegangen sind ; und so sehr sichbezweifeln lsst, ob jemals in zwei Menschen dasselbe Objectein gleiches Mass von Motivationen hervorbringen wird, sowenig wird man in Abrede stellen knnen, dass bei einemeinzelnen Menschen Zustnde denkbar sind , in denen seinWille nach verschiedenen Richtungen hin gleichmssig deter-miniert und motiviert erscheint, so dass nunmehr die Vor-aussetzung einer Mehrheit von Gruppen gleicher Motive, berdenen der Wille als etwas selbstndiges steht, oder dochwenigstens zu stehen scheint, erfllt ist. Wie dem auch sei,Augustin hlt sich zur Annahme der vlligen Identitt zweierMenschen fr berechtigt und erachtet die Verschiedenartigkeitder Resultate ihrer Wahl bei sonst gleichen Umstnden, beigleichen Objecten und gleichen Motiven, nur dadurch frmglich , dass der Wille ber die Motive hinauszugreifen imStande ist, dass er durch die Vorstellungen, welche allemWellen voraufgehen, in keiner Weise urschlich bedingt ist.

    Whrend also Plato und Aristoteles, die Vertreter despsychologischen Determinismus, eine Suspension der Willens-thtigkeit fr den Fall statuierten, dass die Schalen derWage um auf Plato's Bild zurckzugreifen , auf derdie Seele bei der Wahl die Anreize zum Wollen und Kicht-wollen abwgt, gleichmssig belastet sind, so hlt Augustindie Activitt des Willens auch in diesem Falle noch auf-recht, weil der Wille keine Necessitieruug durch die Motiveerleidet, derzufolge er stets nach den strkeren Motiven sichentscheiden und bei Gleichheit der Motive zu wirken auf-hren msste; umgekehrt kommt vielmehr dem Willen der

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    24 Primat ber die anderen psychischen Funktionen zu, 23 vondenen er in keiner Weise abhngig ist.

    Diese Auffassung wird aber erst dann in das rechteLicht treten, wenn wir ausser Augustins Psychologie auchseine Erkenntnisstheorie in den Kreis unserer Betrachtungziehen. Es wird sich hierbei zeigen , dass Augustin sorg-fltigst bemht ist, den Antheil des Willens an dem Zu-standekommen der Erkenntniss nachzuweisen, und dass erauf diesem Wege den sichersten Beweis dafr erbringt, dassdie Verstandesfunctionen in directer Dependenz von derThtigkeit des Willens stehen.

    3.

    Der Wille in Augustins Erkenntnisstheorie.Der Dualismus der beiden Welten, der intelligiblen

    und der sensiblen, ! den Augustin aus dem Neuplatonismusunvermittelt bernahm, ist auf seine Erkenntnisstheorie nichtohne Einfluss geblieben. Alles, was wir anschauen oderdurch das Denken erfassen, ergreifen wir durch den Sinnoder die Yernunft. Das, was durch die Sinne erfasst wird,wird als usseres Sein wahrgenommen und existiert im Rume;das aber , was wir durch die Yernunft denken , wird , da esunrumlich ist, von der Erkenntniss an eben den Ort ver-legt, an welchem sich der erkennende Geist selbst befindet."2Die Sinne vermitteln unser Wissen um die Welt des usserenGeschehens, welche, in Raum und Zeit ausgebreitet, vor uns

    23 cf. de lib. arb. III, 3. 7. (I, 1274): nihil tarn in postestate nostraquam ipsa voluntas ; ib. I, 16. 34 (I, 1239) nulla re de arce dominandirectoque ordine mentem deponi nisi voluntate.

    1 Contra Acad. III, 17. 37 (I, 954) : Platonem sensisse duos essemundos, unum intelligibilem, in quo ipsa veritas habitaret, istum autemsensibilem , quem manifestum esse nos visu tactuque sentire. Itaqueillum verum, hunc verisimilem.

    8 De immort. anim. VI, 10 (I, 1026). Hub er p. 251.

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    25 -liegt; 3 durch die Vernunft erkennen wir in uns selbst dieintelligiblen Objecte, die, weil sie aller sensuellen Bestim-mungen baar sind, durch die Sinnlichkeit um kantisch zureden in uns nicht eingehen knnen. 4 Zwischen den Sinnenund der Vernunft nimmt der Verstand, der die Vorstellungen,welche die sinnliche Anschauung in uns erzeugt hat, discursivdenkt, 5 der Erfahrungswissen in Denkwissen verwandelt, eineMittelstellung ein. Durch die drei Erkenntnissstufen : sinn-liche Anschauung, Verstand, Vernunft, 6 steigen wir also vonder sensiblen Welt zu den hchsten absoluten Wahrheitenempor.Dem platonischen Charakter des augustinischen Denkensentspricht es vollkommen, wenn Augustin wahre und untrg-liche Erkenntniss durch die Sinnlichkeit nicht fr verbrgterachtet, weil ihre Objecte einem bestndigen Wechsel unter-worfen sind; 7 erst die Vernunfterkenntniss kann uns densicheren und unwandelbaren Besitz der Wahrheit gewhr-leisten. Doch hat sich Augustin von den Extremen eineseinseitigen Rationalismus ferngehalten und hat besonders inseinen spteren Schriften der Empirie ihr volles Recht nebender Speculation eingerumt. Es ist ihm nicht entgangen,

    3 De lib. arb. III, 25. 75 (T, 1309): Subiacent autem sensibuscorporis quaeeunque corporea. de genesi ad litt. XII, 6. 15 (III, 458).

    4 De iramort. an. YI, 10 (I, 1026) : ratio sonst braucht er da-fr intellectus cf. Storz p. 133 est aspectus animi, quo per seipsum,non per corpus, verum intuetur; aut ipsa veri contemplatio non percorpus. Hub er p. 252.

    5 De trin. XII, 2. 2 (VIII, 999): Sed sublimioris rationis estiudicare de istis corporalibus seeundum rationes incorporales et sem-piternas. An einer anderen Stelle de quam. anim. 27.52 (1, 10G5) unterscheidet Augustin zwischen ratio = dem Vermgen zu Urtheilenund ratiocinatio = dem Vermgen zu Schlssen. Spter hat er dieseriiterschcidung fallen lassen.

    6 vgl. bei Plotin: aXaSqaig] dtdvota u. Xoytopos] '

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    26 -welche Sttze das begriffliche Denken an dem sinnlichenBilde hat, und wie oft wir, selbst in den scheinbar abstrac-testen Gedankenprocessen dem Begriffe ein sinnliches Schemaunterschieben. 8

    In einer seiner letzten Schriften, den 15 Bchern detrinitate, die es sich zur Aufgabe setzen, die menschlichenAnalogien zur Dreieinigkeit aufzusuchen, hat deshalb Augustindie Sinnenerkenntniss einer eingehenden Untersuchung ge-wrdigt, die auf feinsinnigen Beobachtungen beruht. Nament-lich gebhrt ihr das Verdienst, zum ersten Male darauf auf-merksam gemacht zu haben, dass in jede Yorstellungsthtig-keit Willensfunctionen eingehen ; gerade nach dieser Richtunghin hat Augustin eine Flle usserst fruchtbarer Gedankenentwickelt, mit denen er weit ber seine Zeit hinausweist,und welche bisher, soweit ich sehen kann, eine gerechteWrdigung noch nicht erfahren haben. Wir folgen in unsererDarstellung dem Stufengange der Erkenntnissarten , wie ihnAugustin selbst angegeben hat, und behandeln zuerst diesinnliche Anschauung.

    I. Die sinnliche Anschauung.Die Geschichte der Psychologie verdankt Augustin die

    consequente Durchfhrung der Trennung des usseren undinneren Sinnes, welche von Aristoteles wohl ins Auge ge-fasst, aber nicht bis zu principieller Bedeutung durchgebildetwar. Die Objecte unserer Wahrnehmung spalten sich inzwei Abschnitte, in die Krperwelt, welche wir durch denusseren Sinn, und in die Welt der psychischen Thtigkeiten,welche wir durch den inneren Sinn erkennen. 9 Wenn ich

    8 De trin. XI, 1. 1 (VIII, 985): Ut si quando interiora spiritualiaaecomodatius distinguere atque facilius insinuare conamur, de corpora-libus exterioribus similitudinum documenta capiamus. vgl. Kant'sSchematismus der reinen Verstandesbegriffe.

    9 De lib. arb. II, 4. 10 (I, 1246): Sensu interiore et corporaliaper sensum corporis sentiri et ipsum corporis sensum. Storz p. 43.Siebeck I, 2 p. 338. Volk mann II, 178. vgl. brigens Arist. deanima III, 2 p. 425b 12.

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    27 -einen Krper sehe, so ist der Krper als wahrgenommenerGegenstand Object des usseren Sinnes ; das Sehen selbstdagegen, jener Act psychischer Lebendigkeit innerhalb desBcwusstseins, ist Object des inneren Sinnes. Um die Not-wendigkeit der Annahme eines inneren Sinnes zu erhrten,weist Augustin auch liier auf die motorischen Functionenaufmerksam darauf hin, dass wir ohne einen solchen voninnen heraus auf unsere Sinnesorgane nicht einwirken knnten.Wir wrden die Augen nicht schliessen, um eine unangenehmeGesichtsempfindung abzuhalten, wenn wir nicht wssten, dasswir mit geschlossenen Augen nicht sehen ; wir wrden dasAuge zum Zwecke des Sehens nicht ffnen , wenn uns nichtbekannt wre, dass nur bei emporgezogenen AugenlidernLichtreize auf uns einstrmen knnen. Die Sinne knnennur ussere Objecte wahrnehmen ; das Bewusstsein der Wahr-nehmungsthtigkeit setzt ein eigenes Organ voraus, welchesAugustin den sensus interior nennt.

    a. Der ussere Sinn.Mit dem usseren Sinne, der als Gesicht, Getast, Gehr,

    Geschmack, Geruch in fnffacher Weise thtig ist, 10 tretenwir in Verkehr mit der Aussenwelt; jeder Sinn hat seineigentmliches Wahrnehmungsgebiet, wenngleich einzelneObjecte durch mehrere Sinne zugleich wahrgenommen wer-den knnen.

    Die Entstehung einer Sinnesempfindung ist nun durchdas Zusammenwirken von drei Factoren bedingt: 1) desObjects, 2) des Bildes des Objects im Sinnesorgan, 3) desWillensactes, der das Organ auf das Object richtet undwhrend der Dauer des Scnsationsprocesses auf ihm fest-hlt. H Bei der Gesichtsempfindung diese bercksichtigt

    10 De trin. 1. c. : Iste sensus , quod faoile advertitur , quinquo-psrtitus est, videndo, audiendo, olfaoiendo, gustando, taugende.

    11 De trin. XI, 2, 2 (VIII, 985): Cum igitur aliquod corpus vide-nius, hacc tria . . . oonsideranda sunt et dignoseenda. Primo, ipsa res,quam videinus. . . . Deinde visio, quae non erat priusquam rem illamobieotam aensi sentiremus, tertio, quod in ea re, quae videtar, qoamdiuvuletur, sensum detinet oculorum, idest animi intentio; ib. p. 987 wirddiese intentio, quae rei sensibili sensum admovet in eoque ipsam visionem

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    28 Augustin, um nicht zu breit zu werden, allein; sie hat zu-dem mit der hheren Erkenntniss, die eine Art geistigenSchauens ist, die meiste Aehnlichkeit muss zunchst einusseres Object verhanden sein , welches gesehen werdenkann. Sobald nun das Auge in der Richtung des Objectsliegt, beginnt Jone eigenartige Wechselwirkung zwischendem Gegenstande und dem Auge, deren Resultat die Ab-bildung des Objects im Sehorgane ist. 12 Dieses Bild ist derInhalt der Gesichtswahrnehmung.

    Augustin fasst also den Vorgang des Sehens durchausnach der Analogie eines rumlichen Geschehens auf: er be-wegt sich hier in den Geleisen des naiven Realismus, derdas populre und wissenschaftliche Denken bis in die An-fnge der neueren Philosophie beherrschte, und mit demerst Kant definitiv gebrochen hat.

    Jenes Bild, welches der ussere Gegenstand im wahr-nehmenden Subjecte abprgt, haftet aber nicht fr immerim Organ der Wahrnehmung, so wie etwa der Abdruck einesSiegelringes in Wachs bleibt. Passender ist ein anderer "Ver-gleich: ein Krper, den man auf das Wasser wirft, bewirktnur solange eine seiner Oberflche adaequate Aenderungder gegenseitigen Lagerung der Wassertheilchen, als er dasWasser berhrt; auch der Gesichtssinn kehrt in seine frhereBeschaffenheit zurck, sobald der Gegenstand, der ihn affi-cierte, seinem Blickfelde entrckt ist. 13 Zum Beweise frden abbildlichen Charakter der Sensation verwerthet Augustintenet als voluntas animi bezeichnet, cf. Ritter Gesch. d. Phil. VI, 249.De quant. anim. 33, 71 (I, 1074) : Intendit se anima in tactum et eocalida, frigida, aspera, lenia, etc. sentit atque discernit. Nach RichterDie Psychologie des Plotin p. 68 hob bereits Plotin die Wichtigkeitder Aufmerksamkeit fr das Zustandekommen der sinnl. Wahrnehmunghervor; da es mir aber nicht geglckt ist, eine hierauf bezglicheStelle bei Plotin aufzufinden Richter giebt kein Citat , so weissich nicht, wie weit Plotin die Aufmerksamkeit als Willensact auffasst.

    12 De trin. XI, 2. 3 (VIII, 986): lila tarnen informatio sensus,quae visio dicitur, a solo imprimitur corpore, quod videtur, id est a realiqua visibili, ib. p. 987: Impressa eius (sc. corporis) imago sensui,quod est visio. cf. Brentano Psychologie d. Aristoteles p. 81.

    13 De trin. XI, 2. 3 (VIII, 986).

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    29 -eine Thatsache, welche die moderne Physiologie unter demNamen der Nachbilder" kennt. Wenn wir lange ins Hellesehen und darauf die Augen schliessen, so bewegen sichnoch einige Zeit nachher kleine Lichtkrperchen vor unserenAugen hin und her: das sind, so schliesst Augustin, dieletzten Reste jener Form , die in unserem Auge sich ab-prgte; denn wir knnen die Beobachtung machen, dassaus diesem Lichtspiel z. B. ein Fensterkreuz sich heraus-hebt, wenn wir vielleicht vorher ein Fenster ansahen. 14

    Mit der Abbildung des Gegenstandes im Subject hieltnun die gemeine Auffassung der antiken Psychologie dieGesichtsempfindung fr vollendet. Augustin geht tiefer.Er hat beobachtet, dass ussere Zustnde auf unsere Sinneeinwirken knnen, ohne dass wir etwas darum wissen, ohnedass eine bewusste Empfindung wie wir uns jetzt aus-drcken zu Stande kommt.

    Wir unterhalten uns mit Jemand, hren aber nicht alledie Worte, die zu uns gesprochen werden; wohl prgenjene Lautcomplexe in unserem Gehr sich ab, denn nichtshindert sie daran; allein unser Bevvusstsein ist zur Zeit sosehr von anderen Vorstellungsinhalten erfllt, dass der Willediese Reize nicht zu einer bewussten Gehrsempfindungsteigern kann. 15 Zahllose Reize treffen fortwhrend unsere

    14 ib. p. 987 : Plevumque cum diusoule attenderimua quaeque lu-minaria et deindc oculos clauserimus , quasi versantur in conspectuquidam lucidi colores varie se commutantes et minus minusque ful-gentes, donec omnino desistant: quos intelligendum est reliquias esseformae illius, quae facta erat in sensu. . . Nam et insertarum fene-strarum canoelli, si eos forte intuebamur, saepe in illis apparuere colori-bus: ut manifestum sit haue affectionem nostro sensui ex ea re, quaevidebatur, impressam. cf. Helmholtz Physiolog. Optik p. 327.

    15 De trin. XI, 8. 15 (VIII, 996): Quod animadvertere facileest, cum saepe ooram loquentem nobia aliquem aliud cogitando nonaudisse nobis videmur. Falaum est autem: audivimus enim, Bed nuntneminimus , Bubinde per aiirium Bensum Labentibus voeibua alienatoDutu voluntatis, per quem Bolent Lnfigi memoriae. Verius ita dixerimus:Non meminiinus quam: Non aiuliviinns. et', de mus. VT, 8. 21 (J, 1174).Fr die ebersetzung von meminisse durch sieh einer Sache bewusslsein'4 und memoria Hcwusstscin (als G-esammtheit des wirklichenVorstellen gefasst) sei besondersauf: de trin, MV, 12. 11 (VIII, 1048)

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    - 30 Sinne; sie alle knnen als Empfindungen ins Bewusstsein treten,aber sie werden erst dann aus dem Unbewussten in das Be-wusstsein hinaufgehoben, wenn wir auf sie aufmerken, wennwir sie wahrnehmen wollen, wenn wir den subjectiven Er-regungszustand gleichsam auf das Object zurckbeziehen.Dem Willen wird hierbei eine doppelte Aufgabe zu-geschrieben: einmal macht er unbewusste Vorstellungen zubewussten, sodann leistet er das, was man neuerdings dieObjectivation der Empfindung zu nennen pflegt, er verwandeltdurch den Act der Aufmerksamkeit subjective Vorstellungin objektive Erkenntniss. Der Wille, so sagt Augustin, 16verknpft die Form des gesehenen Krpers und die Form,die er im Sinne abprgt, so eng mit einander, dass es einesActes des unterscheidenden Verstandes bedarf, um beide inihrer realen Sonderheit zu erkennen. Erst durch eine Hand-lung des Willens vollendet sich also die bewusste und ob-jeetive Wahrnehmung.

    Dieser letzte und entscheidende Act im Wahrnehmungs-processe ist rein geistig, whrend der visio rei in oculis nochkrperliche Bestandteile anhaften. Mit einer Blendung desSehorgans ist deshalb keine Schdigung oder Verminderungdes Triebes zum Sehen" verbunden: 17 er steht ber demObjecte und macht sich auch dann noch geltend, wenn ihmverwiesen: Qua propter, sicut in rebus praeteritis ea memoria dicitur,qua fit, ut valeant recoli et recordari: sie in re praesenti, quod sibiest mens, memoria sine absurditate dicenda est, qua sibi praesto est,ut sua cogitatione possit intelligi. vgl. auch Conf. X, 14. 21 (I, 788).Mit Unrecht behauptet Volk mann I, 174, dass erst mit Descartes dieTheorie der unbewussten Vorstellungen beginnt; Augustin definiert: dequant. anim. 25, 48 (I, 1063) die Sinnesempfindung ausdrcklich alsomnis sensus passio corporis non latens anim am.

    16 De trin. XI, 1. 5 (VIII, 985): Duo priora vix intercedenteiudice ratione discerni valent, species videlicet corporis, quod videtur,et imago eius, quae fit in sensu, id est visio ; voluntas autem tantamvim habet copulandi haec duo , ut et sensum formandum admoveat eirei, quae cernitur et in ea formatum teneat.

    17 De trin. XI, 2. 2 (VIII, 986) : Sensus etiam passione corporis,cum quisque excaecatur, intereeptus extinguitur, cum idem maneatanimus et eius intentio. . . . Manet enim quidam videndi appetitusinteger, sive id possit fieri sive non possit.

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    31 das Organ geraubt ist, dessen er sich als seines Werkzeugesbedient; er eignet einzig der Seele zu, denn er ist eineAeusscrung des Willens.Wie beim Gesicht, so schliessen sich in jeder anderenusseren Wahrnehmung drei Elemente zu einer festen Ein-heit zusammen: die Form des Krpers, der wahrgenommenwird, dessen Bild im Sinne und der Willensact, der dieSinne an das sinnfllige Object heran bewegt und der da-durch jenes Bild im Subjecte zu einem bewussten undgegenstndlichen Erkenntnissinhalte erhebt.

    b. Der innere Sinn.Das Bild, das im usseren Sinne bei der Sensation ent-

    stand, hrt zwar auf im Wahrnehmungsorgan zu existieren,sobald das Impressionsoriginal" den Sinn nicht mehr affi-ciert. Sein psychisches esse ist damit aber nicht vlligvernichtet. Jene sinnlichen Bilder werden im Gedchtniss(memoria) hinterlegt und knnen von hier aus zu weitererpsychischer Activitt dem Bewusstsein wieder praesent ge-macht werden. 1S Der innere Sinn ist daher zunchst repro-duetiv thtig, sofern er frher erlebte ussere Empfindungenund Wahrnehmungen als innere reproduciert d. h. wiederbewusst macht. Augustin erkennt ihm aber weiterhin auchdie Fhigkeit zu , selbstthtig Vorstellungen zu verknpfenund dadurch neue psychische Gebilde entstellen zu lassen,denen nicht immer thatschliche Verhltnisse der Wirklich-heit zu entsprechen brauchen. 19 Der innere Sinn reprodu-

    18 De trin. XI, 3. 6 (VIII, 988): Etiam detraeta speeie corporis,quae corporaliter sentiebatur, remanet in memoria similitudo eius, quorursus voluntas eonvertat aciem, ut inde formetur intrinsoeus, sicut excorpore obiecto sensibili sensus extrinsecus formabatur. Atque ita fit illatrinitas ex memoria et interna visione et, quae u t r u m q u e C o p u 1 a t

    ,

    \ oluntate. Quae fcria cum in nimm coguntur, ab ipso coaotu cogitatiodicitur. Zur Uebersetzung von memoria cf. Anm. 15. vgl. auch PlatLlulcb. 34 a: atarrjQlmt rotwv ala9 taftoQ rqv ,>/i( v ke'ytor oqPmc v *u 2*w>,

    19 De trin. XT, 5. 8 (VIII, 990): Sed quin praevalet animus, nonsolum oblita, verum etiam non sensa neo experta confingere, ea, quaenon exciderunt, augendo, minuendo, oomnmtando et pro arbitrio oom-ponendo, saepe imaginatur quasi ita aliquid sit, quod aut seit nun itaesse, aut nescit ita esse. In quo cavendum est ne aut mentiatur, ut

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    32 eiert phantasise und produciert phantasmata. 20 Jone Re-prodaction steht in genauer Analogie zur unmittelbarenWahrnehmung, auch hier sind es wiederum drei Factoren,die zu einer einheitlichen Verbindung sieh zusammenfgen.An die Stelle der Aussenwelt mit ihrer Flle von sensiblenObjecten tritt die Innenwelt der memoria, die ihren repro-duciblen Inhalt durch Vermittlung des usseren Sinnes em-pfangen hat. Wie dort das Ding sich im Sinne abprgte,so erzeugen auch hier jene psychischen Objecte ihr Gegen-bild im inneren Sinne: damit ist der Inhalt der Vorstellung,welche reproduciert werden soll, gegeben. 21 Aber noch istder Process der inneren Wahrnehmung nicht abgeschlossen,ebenso wenig als zur usseren Wahrnehmung die Wechsel-beziehung zwischen Object und Sinn gengte. Es bedarfnoch des Hinzutretens eines eigenen Willensactes, der deninneren Sinn auf die psychischen Objecte, welche in ihmsich abgebildet haben, aufmerken lsst und der hierdurchdie Erinnerungsvorstellung zu einem bewussten Besitze derSeele und zur objeetiven Erkenntniss der betreffenden seeli-schen Zustnde macht. Auch hier ist die Verknpfung dervisio interna mit der similitudo corporis in memoria, welcheder Wille vollzieht, eine so feste, dass nur der Verstanddie Verschiedenheit beider erkennen kann. 22

    deeipiat, aut opinetur, ut deeipiatur. Quibus duobus malis evitatis,nihil ei obsunt imaginata phantasmata. Sieb eck I, 2 p. 388. Y ol le-rn ann II, 179.

    20 De music. VI, 11. 32 (I, 1180): Aliter enim cogito patremmeum, quem saepe vidi, aliter avum, quem numquam vidi. Horumprimum phantasia est, alterum phantasma. Illud in memoria invenio,hoc in eo motu animi, qui ex iis ortus est, quos habet memoria. Vo He-rn ann I, 471.

    2i De trin. XI, 3. 6 (VIII, 988): Pro illa specie corporis, quaesentiebatur extrinsecus, succedit memoria retinens illam speciem, quamper corporis sensum combibit anima, proque illa visione, quae foriserat, cum sensus ex corpore sensibili formaretur, succedit intus similisvisio, cum ex eo, quod memoria tenet, formatur acies animi et absentiacorpora cogitantur.

    22 ib. p. 989 : Voluntas ipsa , quomodo foris corpori obiectoformandum sensum admovebat formatumque iungebat, sie aciem re-cordantis animi convertit ad memoriam . . . Sicut autem ratione dis-

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    33 -Noch mehr als in den bisher besprochenen Vorgngen

    macht sich der Einfluss des Willens auf den Vorstellungs-mechanismus bei der produktiven Thtigkeit des innerenSinnes geltend.

    Die phantasmata so hat Augustin die durch denWillen producierten Vorstellungen genannt, welche durchkein unmittelbar vorhergegangenes Erlebniss bedingt zusein brauchen, kommen nun nicht etwa so zu Stande,dass das Wollen irgend einer Vorstellung deren unmittel-bare, bedingungslose Setzung im Bewusstsein zur Folge hat.Die Fhigkeit, Phantasmen zu bilden, ist vielmehr nurauf der Grundlage eines ausreichenden Bestandes von Vor-stellungselementen denkbar, welche als Residuen wirklicherErfahrungen unser Gedchtniss erfllen. 23 Diese Elementewerden nach der Willkr des erkennenden Subjectes zujenen Gebilden combiniert, welche der Geist in unerschpf-licher Mannigfaltigkeit aus sich heraus zu producieren ver-mag. Niemand kann eine Farbe , einen Ton , einen Geruchvorstellen wollen, wenn er diese Empfindungen nicht frhereinmal an sich erlebt hat; 21 einen schwarzen Schwan kannnur der sich vorstellen, dem die einfachen VorstellungenSchwan" und schwarz" bekannt sind. 25 Immer handelt escernebatur species visibilis ... et eius similitudo (alioquin ita erantconiunctae, ut omnino una eademque putaretur): sie illa phantasia . . .sie una et singularis apparet, ut duo quaedam esse non inveniantur,nisi iudicantc ratione, qua intellegimus aliud esse illud quod in memoriamanet ... et aliud fieri, cum recordamur, id est, ad memoriain redimuset illic invenimus eandem speciera.

    23 cf. Anm. 19.24 De trin. XI, 8. 14 (VIII, 995) : Nam neque colorem, quem num-

    quam vidit, neque figuram corporis nee sonum, quem numquam audivit,nee saporem, quem numquam gustavit . . . nee ullam eontreotationemcorporis, quam numquam sensit, potest quisquam omnino oogitare.

    De trin. XI, 10. 17 (VIII, 997): Quis enim vidit oyenum nig-rum ? et propterea nemo meminit. oogitare tarnen quis non petestfFacile est enim illam figuram, quam videndo eognovinius, aigro ooloreperfundere, quia nihilominufi in aliis corporibus vidimus. et*. Hugo aSt. Vict. De bestiis I, 53 (III, 51 Migne): Nullus enim meminit oygnumvidisse nigrum. . . . Cygnus plumam habet aiyeam, Bed earnem nigram,was dort mystisch ausgedeutet wird.

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    34 sich bei diesen absichtlichen'^ 6 Vorstellungen darum, bereitsvorhandene Bewusstseinsinhalte zu verbinden, zu trennen, zuvergrssern, zu verkleinern: 27 diese Variationen aber sindAusflsse der Willensthtigkeit , daran hlt Augustin fest.Zwar scheint es von ihm nicht unbeachtet geblieben zu sein,dass gerade diese Phantasmen sich oftmals unserem Geisteaufdrngen, ohne dass wir ihrer Herr sind, so besonders imTraum und in den Zustnden psychischer Alienation. Augustinist jedoch bemht, auch in diesen scheinbar unwillkrlichenGedankenablufen den Primat des Willens ber das Vor-stellungsvermgen zu wahren , indem er in solchen Flleneine dauernde Determination des Willens nach einer be-stimmten Richtung hin annimmt,28 welche die Phantasmen sichso und nicht anders gestalten lsst. Von einer Suspendierungder Willensfunktion , derzufolge die Vorstellungen nur nachihrer inneren Verwandtschaft sich reproducieren und asso-ciieren, scheint er nichts wissen zu wollen.

    In dem Rahmen dieser Auffassung, welche durchgngigdas Bestreben zeigt, das Wollen ber das Vorstellen zusetzen , findet auch der Irrthum , dem wir innerhalb dersinnlichen Erkenntniss so oft verfallen, seine gengende Er-klrung. Die Krper knnen uns nicht tuschen , weil siekeinen Willen haben und sich nach Augustins Realis-mus den Sinnen so darbieten, wie sie an sich sind. Ebenso-wenig trgen die Sinnesorgane: denn sie berichten der Seeleohne eigenes Zuthun nur, wie sie von aussen afficiert werden.Der Irrthum tritt erst mit dem Urtheile ber die Sinneswahr-nehmung ein. 29 Wenn Jemand glaubt, dass das Ruder im

    26 De trin. XI, 8. 13 (VIIT, 994): Unum quippe solem memini,quia sicuti est, unum vidi; si voluero autem, duos cogito vel tresvel quotquot volo etc. cf. Descartes Passions I, 20 (IV, 55).

    27 Epist. ad Nebrid. 7 (72) (II, 70): Unde ergo evenit, ut, quaenon vidimus, cogitemus? Quid putas nisi esse vim quamdam minuendiet augendi animae insitam. . . . Licet igitur animae imaginanti ex his,quae ille sensus invexit, demendo et addendo ea gignere, quae nullosensu attingit tota; partes vero eorum, quae aliis atque aliis rebusattigerat.

    28 De trin. XI, 4. 7 (VIII, 990).29 De vera relig. 33, 61 (III, 149): Corporea species, quia nullain

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    - 35 Wasser gebrochen ist, weil es gebrochen erscheint, so wirder von den Sinnen nicht falsch unterrichtet, sondern er ur-theilt falsch. Das Auge konnte kraft seiner Veranlagungnur das Bild eines gebrochenen Ruders erzeugen; den Irr-thum verursacht der Wille des irrenden Subjectes dadurch,dass er voreilig der Beziehung und Deutung des Bildes imSinne auf eine wirkliche Thatsache zustimmt, dass er etwasobjectiv erkennen will, dem nur subjective Realitt zukommt.30Noch leichter ist die Tuschung bei den willkrlichen Phan-tasmen zu erklren: nichts hindert uns daran, nach unseremBelieben durch die Combination gegebener Vorstellungenneue zu bilden; wir irren aber jedes Mal, wenn wir glauben,wenn wir wollen, dass diesen subjectiven Zustnden Verhlt-nisse der Wirklichkeit entsprechen. 31 In letzter Linie ist

    voluntatcm habet, non mentitur nee fallit. Sed ne ipsi quidem oculifallunt; non enira renuntiare possunt animo nisi affectionem suam.Quod si non solum ipsi, sed etiam omnes corporis sensus ita renuntiantut afficiuntur, quid ab eis amplius exigere debeamus ignoro. Tolleitaque vanitantes et nulla erit vanitas. Si quis remum frangi in aquaopinatur et, cum inde aufertur, integrari non malum habet internuntium,sed malus est iudex. Contra Acad. III, 11. 26 (I, 947): Xoli plusassentiri, quam ut ita tibi apparere persuadeas, et nulla deeeptio est. De genes ad litt. XII, 25 (III, 475).

    30 vgl. Anselm von Canterbury de ver. 6 p. 473 M. : Nonmihi videtur haec veritas vel falsitas in sensibus esse, sed in opinione. . .Similiter cum fustis integer, cuius pars est intra aquam et pars extra,putatur fractus ... et cum multa alia nobis aliter videntur visus et aliisensus nuntiare quam sit, non culpa sensuum est, qui renuntiant, quodpossunt, quoniam ita posse aeeeperunt, sed iudicio animae imputandumest, quod non bene discernit, quid possint illi aut quid debeant. Achn-lich Sanchez und Descartes, cf. R 1 1 e n a u e r Zur Vorgeschichtedes Kriticismus u. Idealismus. Freiburg 1882. p. 20.

    31 De trin. XI, 10. 17 (VIII, 997) : Cur falsa cogitamus, cum ea,quae sensimus non utique falso meminerimus : nisi quia voluntas illa,quam c oniunc t r i c cm ac sep a r atric em huiuscemodi verum, iamquantum potui demonstrare ouravi, formandam oogitantia aciem perabscondita memoriae ducit ut libitum est, et ad oogitanda ea, quae nonmeminimus, ex iis, quae memiuimus , aliud hine aliud inde ut Bumatimpellit: quae in unam visionem ooeuntia faciunt aliquid, quod ideot'alsmn dioatur, quia vel non est forig in rerum corporearum natura ?elnon de memoria videtur expr