Kain Von Spreewinkl-Ecce Homo ... Oder Nicht?

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Ecce Homo … oder nicht? Die Definition der anthropomorphen Kreatur II Philosophische Reflexionen von Kain L. von Spreewinkl ©KvS 2008 - 1 -

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Philosophische ReflexionenDie Definition der anthropomorphen Kreatur II

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Ecce Homo … oder nicht?

Die Definition der anthropomorphen Kreatur II

Philosophische Reflexionen

von

Kain L. von Spreewinkl

©KvS 2008 - 1 -

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InhaltInhalt...........................................................................................................................................2

Anstelle eines Vorwortes…........................................................................................................3

I. Blasphemistisches..................................................................................................................4

II. Defaitistisches.....................................................................................................................22

III. Deprimierendes.................................................................................................................67

Anstelle eines Nachwortes…....................................................................................................86

Anhang......................................................................................................................................87Zur neuen Rechtschreibung..................................................................................................88

Vorwort zur Internetveröffentlichung 1999......................................................................88Vorwort zur aktuellen Veröffentlichung 2007..................................................................88Einleitung..........................................................................................................................891. Eingedeutschte Fremdwörter........................................................................................892. Wort- und Silbentrennung.............................................................................................913. Die neue Zeichensetzung..............................................................................................934. Getrenntschreibung und neue deutsche Sprache...........................................................94Résumée – Resümee.........................................................................................................95

Personenregister....................................................................................................................97Die Zehn Gebote.................................................................................................................101

Dekalog – evangelischer Katechismus, 1962.................................................................101Dekalog – Katechismus der katholischen Kirche, 1993.................................................101

Auszüge aus den Evangelien..............................................................................................102Matthäusevangelium 3,3.................................................................................................102Markusevangelium 14,66 - 14,72...................................................................................102

Gesetzestexte.......................................................................................................................103Artikel 3 der Internationalen Menschenrechte................................................................103Artikel 2 Grundgesetz.....................................................................................................103Artikel 3 Grundgesetz.....................................................................................................103Artikel 5 Grundgesetz.....................................................................................................103§ 216 Strafgesetzbuch.....................................................................................................103§ 131 Strafgesetzbuch.....................................................................................................103

Literatur...............................................................................................................................105

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Anstelle eines Vorwortes…Anstelle eines unnötig den Inhalt des Werkes antizipierenden Prologes gibt hier der Autor kurz einige treffliche Apophthegmen diverser Philosophen zum besten, die ein wenig auf die spirituell-philosophische Grundstimmung des Buches vorbereiten sollen:

aequo animo audienda sunt imperitorum convicia1

Lucius Annaeus Seneca(um 4 a.Chr.n. - 65 p.Chr.n.)

+++

patet omnibus veritas; nondum est occupata2

Lucius Annaeus Seneca(um 4 a.Chr.n. - 65 p.Chr.n.)

+++

Men’s evil manners live in brass; their virtues we write in water3

William Shakespeare(1564 - 1616)

+++

res humanae instabiles sunt et nihil habent firmitatis4

Marcus Tullius Cicero(106 - 43 a.Chr.n.)

+++

dum vitant stulti vitia, in contraria currunt5

Quintus Horatius Flaccus(65 - 8 a.Chr.n.)

+++

Wenn sich die sogenannten Menschen hier auf Erden tatsächlich auch wie solche aufführten, einfach mehr Menschlichkeit, Humanität und Altruismus an den Tag legen würden,

müßte ich das alles hier nicht schreiben…6

Kain L. von SpreewinklDeutschland, im Sommer 2006

Mit herzlichem Dank an die sachverständigen, allzeit zuverlässigen und bewährten Revisoren, die dem Autor bereits während seiner letzten Publikationen reliabel, hilfreich und höchst motivierend zur Seite standen.

1 Gleichmütig muß man die Schmähreden Unkundiger hören (Epistulae morales)2 Die Wahrheit steht allen offen; sie ist noch nicht eingenommen worden (Epistulae morales)3 Der Menschen Sünden leben fort in Erz; ihr edles Wirken schreiben wir ins Wasser (Heinrich VIII.)4 Die menschlichen Dinge sind unbeständig und haben keine Stetigkeit5 Während die Toren einen Fehler vermeiden, verfallen sie einem anderen (Saturae)6 Spreewinkl 2006b, S. 91

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I. BlasphemistischesI

Ob der immens vielfältigen und ständig sich verfeinernden Analyse- und Experimentaltechniken der modernen Naturwissenschaften, seien es die ausgefeilten investigativen Methoden in Physik, Chemie, Biologie, Archäologie, Anthropologie, Geologie oder Astronomie (– um nur die wichtigsten zu nennen), wurden in den vergangenen zwei Jahrhunderten immer mehr der sogenannten Gottesbeweise und Theodizeeproblematiken jedweder aktuell praktizierten Glaubensrichtung widerlegt, akademisch begründet oder ad absurdum geführt. Die fortschreitenden Erkenntnisse in allen naturwissenschaftlichen Disziplinen engen den immer noch postulierten Realitätsanspruch der theistischen Glaubensrichtungen zunehmend ein und drängen deren spirituellen Inhalt immer weiter ins Vergangene, Transzendente. Zuerst erschütterte Charles Darwin mit seiner anno 1859 veröffentlichten Evolutionstheorie7 den bis dahin mehr oder weniger ungebrochenen Glauben an die Wirklichkeit der Gottesschöpfung des Menschen – wir sind eben doch bloß unbehaarte Affen mit ein wenig Selbstbewußtsein und einem Fünkchen Intelligenz (den einigermaßen aufrechten Gang nicht zu vergessen). Ferner wurde seit den Chemikern Stanley Miller und Harold Urey, respektive dem nach ihnen benannten Miller-Urey-Experiment aus dem Jahr 19538, auch die erstmalige Erschaffung des Lebens auf unserem Planeten der Göttlichkeit beraubt. Diese unbegrenzt wiederholbare Versuchsanordnung bewies, daß sich unter den chaotischen Bedingungen einer im Prinzip giftigen Uratmosphäre auf der prähistorischen Erde spontan organische Verbindungen, die ersten Bausteine des Lebens entwickeln konnten. Auch für die Entstehung unseres blauen Planeten vor etwa 4,6 Milliarden Jahren9 war den Astrophysikern zufolge kein Gott verantwortlich, sondern eine einstmals stattgefundene Supernova in Verbindung mit den für unsere Galaxis geltenden physikalischen Gesetzen, welche letztendlich die Sonne und das übrige System formten. Gegenwärtig dominiert deshalb die metaphysisch infizierte Diskussion über den wahren Ursprung des Universums vor etwa 14 Milliarden Jahren10, also den primären Auslöser des Urknalls (Big Bang), respektive was in der Zeit vor diesem war – wenn es denn so etwas wie eine Zeit in dieser elementaren Singularität gab. Die dementsprechend zurechtgelegte Argumentationstaktik der unerschütterlichen Religionsverteidiger, welche das proklamierte direkte Eingreifen Gottes zwangsweise immer weiter in die Vergangenheit zurückverlegen müssen, läuft nun darauf hinaus, daß die Gilde der Naturwissenschaftler selbst unumwunden zugeben muß, plausible physikalische Antworten hierauf nicht zu wissen – während eine geschickt eingeführte Gotteskomponente alle Fragen ex abrupto zu lösen scheint: Gott war, auf Grund seiner omnipotenten Charakteristiken, schon immer da, er verursachte auch den Urknall und erschuf so das Universum – der große göttliche Plan. Dramatisch, die menschliche Ratio ist doch wirklich eine zu einfache – kaum gibt es irgendein angeblich unlösbares Problem, schon war es ein allmächtiger Gott oder sonst irgendeine höhere Intelligenz. Doch diese Strategie präsentiert sich als zu einfach, denn nur, weil man auf eine diffizile Frage momentan noch keine zufriedenstellende Antwort weiß, heißt das noch lange nicht, daß es keine gibt, bzw. ein Gott die einzig annehmbare Ursache wäre. Vielleicht haben wir die rationale, logisch nachvollziehbare Erklärung des Phänomens einfach noch nicht entdeckt; eventuell weil unsere technischen Möglichkeiten dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlechterdings noch 7 Der lange Titel der Arbeit: On the origin of species by means of natural selection or the preservation of favoured races in the struggle for life (Ursprung der Arten durch Mittel der natürlichen Selektion oder die Erhaltung bevorzugter Rassen im Kampf um das Leben)8 Titel der Arbeit: A production of amino acids under possible primitive earth conditions (Herstellung von Aminosäuren unter möglichen Bedingungen einer einfachen Erde)9 4,65 (± 0,5) x 109 Jahre10 13,7 (± 0,5) x 109 Jahre

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nicht zulassen – wir brauchen also nur zu warten. Einst war ein Gott für den Wind in der irdischen Atmosphäre verantwortlich, bis der neugierige Mensch herausfand, daß die Luftströmung durch die permanente Erdrotation in Verbindung mit der Corioliskraft11

verursacht wird; einst schrieben diverse Religionen dem Planeten Erde ein Alter von nur ein paar tausend Jahren zu – wenn überhaupt –, heute weiß man auf Grund geo-archäologischer Funde und Berechnungen, daß unsere Welt erheblich älter ist, nämlich etwa 4,6 Milliarden Jahre. Immer wieder werden von wissensdurstigen Forschern neue, bahnbrechende Entdeckungen gemacht und innovative Problemlösungen gefunden, warum sollte nun ausgerechnet beim Urknall Schluß mit den szientifischen Erkenntnissen sein?

II

Rudolf Carnap schrieb einst in seinem Aufsatz Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache gegen den religionsphilosophischen Vorwurf, Religionen wären ohne Sinn, folgendes: „Wenn wir sagen, daß die Sätze der Metaphysik völlig sinnlos sind, gar nichts besagen, so wird auch den, der unseren Ergebnissen verstandesmäßig zustimmt, doch nicht ein Gefühl des Befremdens plagen: sollten wirklich so viele Männer der verschiedensten Zeiten und Völker, darunter hervorragende Köpfe, so viel Mühe, ja wirkliche Inbrunst auf die Metaphysik verwendet haben, wenn diese in nichts bestände als in bloßen, sinnlos aneinandergereihten Wörtern? Und wäre es verständlich, daß diese Werke bis auf den heutigen Tag eine so starke Wirkung auf Leser und Hörer ausüben, wenn sie nicht einmal Irrtümer, sondern überhaupt nichts enthielten?12“ Er schlug daher vor, sie als ‚Ausdruck des Lebensgefühls’ anzunehmen. Doch so einfach kann es sich eine solche Gegenargumentation nicht machen, denn schließlich enthalten diese angedienten Sätze zweifellos etwas – sie sind inhaltlich verständlich und logisch strukturiert –, dagegen kann man gar nichts sagen. Allein, der immanente Sinngehalt dieser letztendlich unüberprüfbaren Aussagen läßt sich doch eher in der Nähe von spirituell motivierten Märchen, Legenden, Fabeln und Romanen ansiedeln. Und solange metaphysische Sentenzen und Glaubenssysteme ausschließlich auf extraempirischer Erkenntnis und Offenbarung fundieren, also auf purer Imagination, kann im Prinzip jeder glauben und von sich geben, was er gerade will. Daß sich so viele kluge Köpfe mit dieser surrealen Materie befassen und sich in ihr verrannt haben ist ebenfalls verständlich, man verliert sich eben gern in transzendente Phantasiewelten, die man selbst gestalten und intentional verändern kann – die Faktizität der offerierten These nachprüfen kann ohnehin niemand, nur eine ebenso phantastische und gleichfalls unverifizierbare Gegenhypothese kann erstellt werden (– und schon haben wir einen philiströsen Ideologienstreit, den Djihad pro nihilo). Zum ‚Ausdruck des Lebensgefühls’ ist noch zu bemerken: ich möchte ungern unter mikrologisch veranlagten anthropomorphen Kreaturen leben, deren präferierter nonverbaler Ausdruck ihres zersetzenden Lebensgefühls es ist, andere Menschen mit minimal abweichender Ansicht im Namen einer arbiträren Religion gnadenlos abzuschlachten. Was für eine Art von Lebensgefühl soll das denn sein? (ganz offensichtlich ein lange schon überholtes steinzeitliches Rudiment sprachloser Primaten – und eines modernen homo sapiens schlicht nicht würdig)

III

Die abenteuerliche Annahme einer Erb- oder Ursünde kann selbstverständlich nur auf eine spirituell fundierte Ideologie, auf eine geoffenbarte Religion zurückzuführen sein – wer sonst 11 Die Corioliskraft besagt, daß bewegte Körper in einem rotierenden Bezugssystem aus Sicht eines mitrotierenden Beobachters abgelenkt werden; benannt nach dem französischen Mathematiker und Physiker Gaspard Gustave de Coriolis12 Rudolf Carnap: Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, in: Erkenntnis 2 (1931), S. 219-241 (S. 238)

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käme auf so eine abstruse Idee, die augenfällig allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zuwiderläuft? Rational absolut nicht begründbar (denn ohne Gott keine Schöpfung, ohne Schöpfung kein Urpärchen – Adam und Eva –, ohne Urpärchen keine Ursünde), kann ein solch allgemeingültiges Dogma eigentlich bloß dazu dienen, die eifersüchtig gehüteten Gläubigen unter klerikaler Kontrolle zu halten. Rechtlich gesehen zeigt sich die Hypothese der generellen Erbsünde eindeutig als unzulässige Sippenhaftung, und ist somit grundsätzlich gegen jede Art von nationalen und internationalen Menschenrechten. Doch so ist das mit juristisch anerkannten extraempirischen Glaubenssystemen: sie bilden einen Staat im Staat – mit eigenen Rechten und Gesetzen, deren wundersame Grundlagen zumeist im metaphysischen Jenseitigen liegen, und somit eben nicht immer mit Landesrecht, Grundgesetz, Wirklichkeit, Humanität und Altruismus vereinbar sind. Dieserart suspekte Kirchenrechte präsentieren sich sozusagen als opportune Phantasieprodukte einfallsreicher Glaubensführer, und sie dienen ausschließlich dazu, die soziokulturelle Positionierung der Religion – und folglich auch die ihrer Initiatoren – voranzutreiben und zu festigen; – semper idem.

IV

Wenn sämtliche Glaubensführer und Religionsanhänger mehr im Sinne ihrer angegebenen Konfession lebten und handelten, und nicht ständig in Aggression, Haß, Egoismus und Destruktion verharrten, die Welt wäre unweigerlich eine bessere und lebenswertere. Doch leider lassen sich die meisten Kriege, Kulturzerstörungen, Intoleranzen und Demütigungen auf ebendiese ach! so friedfertigen und menschenfreundlichen Religionen zurückführen. Wäre das kein guter, akzeptabler Grund, ihrer zu entsagen…?

V

Als primäre Ursache der Religiosität zeigt sich der fundamentale Egoismus des Menschen – weil er einfach nicht einsehen oder verstehen will, daß das, was er hat, und so, wie es ist, alles ist.

VI

Gotteslästerung gibt es nicht – nur Gläubigenbeleidigung…

VII

Die spirituelle Hypothese eines omnipotenten und vollkommenen Gottes mit allen Attributen impliziert natürlich eine unendliche Güte und unendliche Liebe, gleichzeitig aber auch eine unendliche Grausamkeit und unendlichen Haß. Und da alle negativen wie positiven Eigenschaften gleichberechtigt und zu gleichen Teilen in Gott vereint sind – genauer gesagt, vereint sein müssen, nämlich in unendlicher Vollkommenheit –, kann er weder Gut noch Böse zweifelsfrei zugeordnet werden – er ist sozusagen jenseits von Gut und Böse. Was soll man nun von einem solch ambivalenten Wesen halten, von dem man nicht weiß, ja, nicht einmal vermuten kann, ob es sich überhaupt für die kranken und wirren Aktionen der anthropomorphen Kreaturen auf diesem unbedeutenden Planeten interessiert oder nicht?

VIII

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Wann erkennen die pseudoreligiösen militanten Fundamentalisten endlich, daß sie auf dieser großen, weiten Welt niemand braucht und keiner will? inutile terrae pondus13 – überall werden sie beherzt bekämpft und, wie beispielsweise in Somalia im Januar des Jahres 2007, sukzessive zurückgedrängt und ausgeschlossen. Wann erkennen diese fanatisierten Extremisten endlich, daß sie mit subversivem Terror und brutaler Unterdrückung ihre eindimensionalen und egoistisch-megalomanischen Ziele nicht oder zumindest nur sehr begrenzt und kurzfristig, wie etwa die islamistischen Taliban in Afghanistan zu Beginn des dritten Jahrtausends, durchsetzen können? Stichwort: ‚Islamisches Emirat von Afghanistan’ (1997 - 2001) – gerade einmal vier lächerliche Jahre hatte es historischen Bestand, und gerade einmal drei Länder (Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Pakistan) erkannten es politisch an – erfolgreich war das wirklich nicht. Wann verstehen diese pathologischen Radikalisten endlich, daß die nackte Gewalt einer dunklen Diktatur nie zur anerkannten Grundlage soziokultureller Koexistenz mutieren kann? Deprimierende, aber absehbare Antwort: Sie werden es nie begreifen – und das ist die ewige, elende Crux mit diesen ideologisch indoktrinierten Chaoten. Neben ihrer offiziell vertretenen, äußerst enggefaßten ‚Weisheit’ hat einfach keine andere etwas zu suchen (– sie könnte ja besser sein –), dementsprechend wird alles vehement bekämpft und gnadenlos vernichtet, was nicht ihrer kleinkarierten Ansicht ist, respektive was sie in ihrer unidirektionalen Halbbildung nicht verstehen oder in ihrem Sinne negieren können. Psychopathische Schwachköpfe und destruktive Aggressoren, auf die die Welt getrost verzichten könnte, denn sie verkörpern den übelsten und unmenschlichsten Typus anthropomorpher Kreaturen…

IX

Dem Ansatz der religionsphilosophischen funktionalen Kritik der Religion, wonach die einstige Erfindung Gottes für den Menschen nicht primär harmlos, sondern im Gegenteil sogar höchst schädlich ist und absolut kontraproduktiv für die Verwirklichung des wahren Menschseins, kann ich so nicht zustimmen. Nicht die Religion selbst erweist sich als schädlich und kontraproduktiv, sondern meist nur das, was einige ihrer orthodoxen Anhänger in ihrer verdrehten Vorstellung meinen, daraus machen zu müssen – quos deus perdere vult, dementat prius14. Würden sich diese fehlgeleiteten Menschen mehr auf die philanthropischen und humanitären Seiten ihrer Glaubensrichtung besinnen, die Welt wäre mit Sicherheit eine erheblich friedlichere und lebenswertere.

X

Wenn es den gewaltbereiten orthodoxen Fundamentalisten wirklich um ihre Religion ginge, gäbe es sie nicht…

XI

Jerusalem15, du arme, bedauernswerte Stadt; durch deine jahrtausendewährende spirituelle Nähe zu drei großen Weltreligionen wirst du leider nie den Frieden finden, den sie alle drei predigen und der dir deinen Namen gegeben hat…

XII

13 Ein unnützes Gewicht für die Erde (Ludvig Holberg, Niels Klim)14 Die Gott verderben will, schlägt er zuvor mit Wahnsinn (Publilius Syrus, Sententiae)15 Uruschalim (hebr.: יבושלים; gr.: Ιεροσόλυμα; lat.: Hierosolyma); – vor 1.000 a.Chr.n. (ca.): Stadt des Schalim (Schalim war, den Ras Shamra-Texten zufolge, der kanaanitische Gott der Abenddämmerung, Bruder von Schachar, Göttin der Morgendämmerung; beide waren Kinder von El, dem obersten Gott und Weltenschöpfer in der altsyrischen Mythologie), nach 1.000 a.Chr.n. (ca.): Stadt des Friedens (hebr.: Schalom, arab.: Salam)

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Alle drei großen monotheistischen Welt- bzw. Mutterreligionen – das Christentum, der Islam und das Judentum (inklusive deren vielfältige Derivate und Abspaltungen; aber auch die Religionen der Baha’i, der Sikhs, der Drusen, der Mandäer und der Rastafari) – entwickelten sich bekanntermaßen aus dem altorientalischen Abrahamitischen Gedankengut des 20. vorchristlichen Jahrhunderts. Diese multiplexen Glaubensrichtungen bauen nun wechselseitig aufeinander auf, beeinflussen, durchdringen und vermischen sich, und jeder ihrer frommen Anhänger glaubt an den einen und einzigen Gott. Bei soviel ideologisch-kulturellen Gemeinsamkeiten in ihren metaphysischen Glaubens- und Jenseitsvorstellungen erhebt sich für einen aufgeschlossenen Agnostiker, der mit wachsendem Grausen das deprimierend extremistisch-fundamentalistische Weltgeschehen verfolgt, die simple, aber bislang unbeantwortete Frage, warum sie dann, bei diesen positiven und hervorragenden Prämissen, nicht einfach in Frieden, Freiheit und gegenseitigem Respekt miteinander leben können? Und warum ständig dieses abträgliche Klischee ‚mein Gott ist besser als deiner’, wenn sie doch alle unentwegt vorgeben, an ein und denselben Gott glauben? Die allseits bekannte, längst überstrapazierte Antwort: ‚…es sind halt auch nur Menschen…’ – einfach schauderhaft! (und außerdem – ‚Menschen’? Wohl eher anthropomorphe Kreaturen; denn wer sich nicht wie ein Mensch benehmen kann, sollte sich auch nicht so nennen dürfen…)

XIII

Die Theologie per se erweist sich nach aristotelischem Wissenschaftsverständnis – und nicht nur nach diesem – eindeutig als keine ‚echte’ Wissenschaft, sondern nur als eine nominelle16. Denn der Stagirit forderte schon im vierten Jahrhundert vor der Zeitenwende, daß die scientia ausschließlich auf Gewißheit und Beweisbarkeit basieren soll, ergo sich primär durch evidente Prämissen und logische Schlüsse auszuzeichnen hat. Die Theologie hingegen zieht ihre singuläre Existenzberechtigung einzig und allein aus diversen archaischen Schriftstücken, deren extraempirischer, angeblich göttlich geoffenbarter Inhalt von den investigativen Theologen mit einem im Prinzip suspekten, ex cathedra aufoktroyierten sacrificium intellectus17 als authentisch, sakrosankt und nicht hinterfragbar hingenommen werden muß. Bei kritisch-detaillierter Analyse zeigt sich die Theologie demnach auch als die einzige Wissenschaft, deren ausnehmend instabiles – um nicht zu sagen: rein imaginäres – Fundament lediglich aus altertümlichen Überlieferungen, metaphysischen Vermutungen und dogmatisierten Behauptungen besteht, welche jedoch sukzessive von den dank modernster Untersuchungsmethoden immer präziser werdenden Ergebnissen der echten Wissenschaften nachvollziehbar widerlegt oder in toto ad absurdum geführt werden. Angesichts dieser bedenklichen, nicht ungefährlichen Situation sollten die ixothymen Apologeten der Theologie – respektive die weisungsbefugten Glaubensführer und Kirchenoberhäupter – vielleicht auch einmal daran denken, daß es zu einer scienta selbstverständlich ebenfalls gehört, die eigenen Theorien und Hypothesen bei Bedarf modifizieren oder negieren zu können, spätestens jedoch dann, wenn eine andere akademische Disziplin diese Lehrmeinungen verifizierbar falsifiziert hat. Immer nur hartnäckig leugnen kann auf Dauer keine Lösung sein.

XIV

Wie kann es diese zutiefst destruktive, allzeit gewaltbereite Ansammlung von erbarmungswürdigen Unzulänglichkeiten, diese degenerierte Nachgeburt einer nie göttlich gewesenen Schöpfung, die sogenannte Menschheit, auch nur ansatzweise zu hoffen wagen,

16 Vgl. Spreewinkl 2006a, S. 258 ff.17 Opfer des Verstandes, i.e. die spirituelle Unterordnung des eigenen Verstandes unter die kirchliche Lehrmeinung, auch wider besseren naturwissenschaftlichen Wissens

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unbeschadet – oder gar zivilisatorisch sublimiert und spirituell stabilisiert – aus diesem selbsterschaffenen Meer der Tränen und der Finsternis aufzutauchen?

XV

Monotheistische Religionen sind per se statisch und kulturgebunden; das erschwert erheblich das verbissene Retten derselben über die Zeit. Denn wenn sich das geistige Fundament einer Kulturgesellschaft ändert, ändert sich auch ihre spirituelle Beziehung zu ihrem traditionellen Glauben, der so nach und nach veraltet und – im wahrsten Sinne des Wortes – unglaubhaft wird.

XVI

Allein die unersprießliche Tatsache, daß die chthonische Menschheit hier auf Erden noch existiert, beweist die schlechthinnige Inexistenz Gottes…

XVII

Unfehlbarkeit zeugt von Mangel an Phantasie…

XVIII

Manch autochthone Stämme in sogenannten heidnischen Gebieten wurden von den eifrigen christlichen Missionaren so intensiv und hingebungsvoll bekehrt – gutta cavat lapidem18 –, daß sie hinterher bis auf den letzten Indianer ausgerottet waren…

XIX

Märtyrer sind bzw. waren zu ihren Lebzeiten indoktriniert-idealistische Personen, die bei dem widersinnigen Versuch, anderen ungefragt und teilweise sogar rabiat unbeweisbare metaphysische Hypothesen aufzunötigen, gewaltsam ihr Ende fanden; das bedeutet also: eindeutig selbst schuld – hätten sie den Mund gehalten, würden sie vielleicht noch leben. Warum werden aber diese Individuen so inbrünstig verehrt? Ist es nun wegen ihrer perfiden Aufdringlichkeit oder wegen ihres unbeugsamen Starrsinns…?

XX

Schon allein der zum sakrosankten Dogma mutierte insolente Infallibilitätsanspruch19 des Papstes beweist die profunde Fehlbarkeit der katholischen Kirche – quod licet Iovi, non licet bovi20 – denn auch der frommherzigste Pontifex erweist sich letzten Endes als ein profaner Mensch, vollständig den seit jeher menschheitscharakteristischen Verkennungen und Überheblichkeiten unterworfen. Man braucht sich nur all die tod- und zerstörungsbringenden christlichen Irrtümer der letzten 2.000 Jahre vor Augen führen…

XXI

18 Steter Tropfen höhlt den Stein (Ovid, Epistulae ex Ponto)19 Verkündigt am 18. Juli 1870 im Konzilsdekret Pater aeternus auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (8.12.1869 - 20.10.1870) unter Papst Pius IX.20 Was einem Jupiter erlaubt ist, ist einem Rindvieh noch lange nicht erlaubt

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Religiöse Feste verkommen immer mehr und immer offensichtlicher zu profanen Lustbarkeiten. So sind christliche Feiertage wie Weihnachten und Ostern mittlerweile reine Kommerz- und Konsumveranstaltungen mit Orgelbegleitung, während viele Moslems im Verlauf des Ramadans mehrere Kilogramm zunehmen, weil sie nächtens mehr und kalorienhaltigere Nahrung verspeisen, als außerhalb des Fastenmonats. Der ursprüngliche Sinn, das primäre Anliegen solcher religiösen Aktivitäten – wie etwa Andacht, Besinnung und innere Reinigung – geriet völlig in Vergessenheit (bzw. wurde völlig verdrängt).

XXII

Die latent konfliktbeladene interreligiöse Toleranz, also die gegenseitige Akzeptanz der spirituellen Existenzberechtigung, sinkt bedauerlicherweise im gleichen Maße wie die Anzahl der jeweilig verehrten Götter. Am intolerantesten erweist sich demnach der in verschiedenen Varianten praktizierte dogmatische Monotheismus – und das hauptsächlich untereinander, also ein adorierter Gott gegen einen anderen, denn polytheistisch strukturierte Glaubensströmungen werden von ihnen selbstgefällig und vermessen a priori als häretisch bzw. heidnisch negiert.

XXIII

Die letzte große Frage der modernen irdischen Philosophien und Religionen lautet: Was löste vor etwa 14 Milliarden Jahren21 den Urknall aus und was war davor? Ist hier eigentlich noch Platz für einen omnipotenten und transzendenten Gott, respektive einer notwendigen prima causa22? Hier nun eine weitere häretische physikalische Hypothese, die ebenfalls eine denkbare Wirklichkeit sein könnte: Primär besteht ein zeit- und endloses Energiefeld, eine hochpotente Singularität, in welcher von Zeit zu Zeit (je nachdem, wie sich die Zeit für dieses Energiefeld definiert) an unterschiedlichen Stellen durch akzidentelle Quantenfluktuation ein Urknall stattfindet und sich ein massen- und dimensionsvariables Universum bildet. In etwa so wie unser eigenes, das sich also seit seinem Big Bang vor etwa 14 Milliarden Jahren mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet und an dessen Rändern immer noch die Hintergrundstrahlung dieses Urknalls feststellbar ist. Hierzu schrieb Pinske: „Die heute noch meßbare kosmische Hintergrundstrahlung23 am Rand des Weltalls wird als Nachhall des Big Bangs interpretiert und wurde 1964 von Arno Allan Penzias […] und Robert Woodrow Wilson […] entdeckt, wofür sie 1978 den Nobelpreis für Physik erhielten. Diese kosmische Hintergrundstrahlung (engl.: cosmic microwave background radiation; CMBR) ist eine Mikrowellenstrahlung von etwa 1 mm bis 21 cm Wellenlänge und mit einer Temperatur von 2,7 Kelvin – man kennt sie daher auch unter dem Namen 3-Kelvin-Hintergrundstrahlung. Sie entstand, als etwa 300.000 Jahre nach dem Urknall das Weltall transparent wurde. Vorher bestand das Universum aus undurchsichtigem ionisiertem Gas.24“ Je nach Masseinhalt eines solchen Universums endet die Expansion irgendwann in einem kalten Weltraumtod, oder es kollabiert und fällt wieder in die Singularität zurück25. Auf Grund der Unendlichkeit des primären Energiefeldes können so auch unendlich viele Universen entstehen, welche sich nie berühren oder auch nur entfernt voneinander wissen (so wird auch das Feinabstimmungsproblem umgangen – in irgendeinem entwickelt sich mit Sicherheit Leben). Es kann natürlich nicht explizit ausgeschlossen werden, daß zwei Universen miteinander kollidieren, man kann es aber auch nicht experimentell nachprüfen (außer es passiert demnächst mit unserem). Das war’s. Und wer nun noch einen spirituellen Sinn in dem ganzen suchen will, dem ist tatsächlich zu sagen, daß nicht immer 21 13,7 (± 0,5) x 109 Jahre22 Erste Ursache23 Unsöld & Baschek 200224 Pinske 2005, S. 1625 Vgl. Spreewinkl 2006b, S. 17 f.

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alles einen tieferen Sinn haben muß. Somit ist wohl auch das aposteriorische Argument des kosmologischen – sowie die Beweisführung des kausalen (z.B. nach Thomas von Aquin) und des teleologischen – Gottesbeweises ausreichend widerlegt. Der ontologische Gottesbeweis ‚Gott existiert zwangsläufig, weil ich ihn definieren, ihn mir vorstellen kann’ – formuliert per exemplum von Anselm von Canterbury in seinem Werk Proslogion26 (veröffentlicht um 1080), oder von René Descartes in seinen Meditationes de Prima Philosophia27 (publiziert 1641) – läßt sich hingegen am einfachsten kontestieren, denn diese unbefangene Hypothese würde in effectu bedeuten, daß schlechterdings alles real ist oder dereinst werden kann, was ich mir in meinen wildesten Träumen einzubilden vermag; – und ich kann mir allerlei ausmalen, was unter Garantie nie so war und ebenfalls mit Sicherheit nie so geschehen wird. Und auch der fromme Einwand, diese gottesfürchtig-philosophische Argumentation ließe sich eben nur auf Gott und allein in diesem singulären Fall anwenden, erweist sich als grundsätzlich ungültig, denn dies wäre letzten Endes nichts weiter als eine schlichte linguistisch-rhetorische Definitionsdefinition, ein rabulistischer Scholastizismus ohne jedweden fundierten Realitätsbezug. Doch – ich vergaß! – was hat schon Transzendenz mit Realität zu tun…?

XXIV

Der streitlustige Mensch erwies sich in seiner ausgeprägten Egozentrik und seiner unglaublichen Zerstörungswut schon immer mehr als hirnloser Kulturvernichter, denn als segensreicher Kulturbringer, -förderer und -bewahrer. Dies zeigt sich beispielsweise an der vollständigen Vernichtung sämtlicher antiker Büchersammlungen – so verbrannten im Jahre 146 vor der Zeitenwende die Römer die mehr als eine halbe Million Bücher der weltberühmten Bibliothek von Karthago in einer 17 Tage währenden Feuersbrunst. Oder die legendäre Bibliothek von Alexandria mit ihren etwa 700.000 Schriftrollen Papyri – mehrmals in Trümmer gelegt, endgültig ausgelöscht anno 640 von den Soldaten Kalif Omars. Wenn man sich unsere heutige rudimentäre Kenntnis der antiken Schriften kritisch ad oculos demonstriert, muß man bedauerlicherweise feststellen, daß weniger als ein Prozent der griechischen und römischen Literatur bis in die heutige Zeit überliefert wurde28. Das ist unglaublich wenig – wer weiß, was nicht alles an Bildung, Erfahrung und Weisheit auf uns kommen würde, hätten wir die desiderable Möglichkeit eines freien, uneingeschränkten Zugriffs auf die anderen, verlorengegangenen 99 Prozent. Leider zeigt sich diese destruktive Handlungsweise der aktiven, intendierten Wissensausrottung nicht nur während kriegerischer Auseinandersetzungen oder in den chaotischen Wirren anarchistischer Perioden – auch im kleinen und privaten richten die mikrologischen anthropomorphen Kreaturen alles zugrunde, was nicht ihrer kleinen, einfältigen Anschauung willfährig entspricht oder ihnen, respektive ihrer Habschaft und ihrem gesellschaftlichen Einfluß gefährlich werden könnte. So sammelte etwa der römische Kaiser Karl der Große29 mit akribischer Leidenschaft seltene, unersetzliche Heldenlieder der im Frankenreich lebenden Stämme, die aber nach dessen Tod von seinem christlich-fundamentalistischen Sohn Ludwig instantan restlos vernichtet wurden – ob ihm wohl das seinen euphemistischen Beinamen ‚der Fromme’ einbrachte?

XXV

Wer die Wurzeln und Anfänge der beiden monotheistischen Weltreligionen Christentum und Islam näher inspiziert, kommt unweigerlich zu dem Schluß, daß die heute weltweit bekannten

26 Anselm 196227 Descartes 198628 Vgl. Pinske 2005, S. 27 f.29 Regnum 800 - 814

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und hochverehrten Religionsgründer Jesus und Mohammed ursprünglich gar keine neue Glaubensrichtung stiften wollten, sondern nur das hehre Ansinnen hatten, die damals bestehende grundlegend in sich zu erneuern. Doch nun müssen wir bedauerlicherweise tagtäglich sehen und miterleben, was der mental unzulängliche Mensch in seiner konsequenten Inkonsequenz und seinem kleingeistigen Egoismus daraus gemacht hat – jeder beansprucht insistent eine erkleckliche Scheibe des numinosen Glanzes für sich, um sich die damit verbundenen spirituellen Machtbefugnisse zu sichern; doch nicht nur die, auch die inhärenten profanen Ermächtigungen sind durchaus nicht zu verachten. Und statt einer großen reformierten und in sich ausgereiften Religion des Friedens und der Toleranz gibt es nun mehrere similär angelegte, in sich wiederum segmentierte und klar abgegrenzte Splitterkirchen, die außer mehr oder weniger aggressiver Missionierung offensichtlich nichts besseres zu tun im Sinn haben, als sich permanent in ihrem unidirektionalen Fanatismus stur und uneinsichtig zu befehden; sic transit gloria mundi30. Die anthropomorphen Kreaturen besitzen leider die überaus unangenehme Eigenschaft, sich gegenseitig das kurze Leben schwerer zu machen, als es tatsächlich wäre, und der metaphysische Gottesglaube ist hier, ganz egal, ob monotheistisch oder polytheistisch fundiert, auf Grund seiner uneingeschränkten Unbeweisbar- und Interpretierbarkeit das äußerst dankbare und weidlich beanspruchte Spielfeld der fortgesetzten menschlich-allzumenschlichen spirituellen Eitelkeiten…

XXVI

Wer glaubt, beweist akritische Phantasie…

XXVII

Es heißt, der Tod sei nicht das Ende. Besagt das etwa auch, die Geburt war nicht der Anfang? – müßiges Geschwätz spiritualisierter Ewigkeits- und Resurrektionsfanatiker!

XXVIII

Die sukzessiv zunehmende, im Prinzip rein kommerzielle Halloween-Welle, aus Amerika zu uns geschwappt, nimmt immer ausuferndere Formen an. Nun regt sich in der Alten Welt langsam auch kirchlicher Widerstand ob dieser unchristlichen Gebräuche (– denn Halloween findet schließlich am gleichen Tag wie das keltische Hochfest Samhain statt). Doch warum verfährt sie damit nicht in der gleichen sakralen Weise, wie sie es mit Ostern oder Weihnachten auch getan hat? Diese Daten heidnischer Feste hat die Kirche doch auch annektiert und Glaubenskonform assimiliert. Frei nach dem klerikalen Motto: wenn du es nicht töten oder ausmerzen kannst, verbünde dich mit ihm, nehme ihm die ursprüngliche Bedeutung und nutze es zu deinem eigenen Vorteil…

XXIX

Die prinzipielle, wahrhaftige Infallibilität kann eigentlich nur einer inexistenten Phantasmagorie wirklich zugesprochen werden, denn jedes lebende Wesen, das grundsätzlich denken kann (– in welcher Form auch immer –), kann grundsätzlich auch irren (– in welcher Form auch immer –).

XXX

30 So vergeht der Glanz der Welt

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in nomine Domini incipit omne malum31 – das wußte man bereits im Mittelalter. Der freimütige Verfasser dieser Sentenz selbst blieb wohlweislich anonym, sonst hätte er seine offenherzigen Worte vermutlich nicht lange überlebt – auch das wußte man bereits im medium aevum.

XXXI

Extremismus, Fundamentalismus, Militarismus, Kommunismus, Nationalsozialismus, Faschismus – alles krankhafte Manifestationen eines weltweit verbreiteten unidirektionalen, psychotischen, wahnhaften Ideologienpriapismus (sit venia verbo32)…

XXXII

Ideologische Paradoxie: ein extremistischer Extremistengegner…

XXXIII

Es gibt nur zwei Arten der sogenannten religiös-fundamentalistischen Attentate und Entführungen: rein politisch oder rein kriminell motivierte – wobei die ideologischen Grenzen zumindest fließend sein können. Religiös begründet hingegen sind keine dieser menschenverachtenden Greueltaten. Die operativen Terroristen mögen zwar in ihrer situationsbedingten Unwissenheit annehmen, ihre gewalttätigen und bluttriefenden Handlungen lägen im spirituellen Einklang mit ihrem adorierten Glauben, doch das hat ihnen bloß ihr sinistrer spiritus rector33 eingeredet – und das ist meist ein schattenhaft politisierender Krimineller – ein skrupelloser Menschenfeind…

XXXIV

Auf die drängende Frage, wann es denn nun endlich zu einer friedlichen und konstruktiven Annäherung der verschiedenartigen Religionen käme, reagieren die sonst äußerst mitteilsamen Kirchenvertreter jedweder Couleur zumeist recht wortkarg und mit einem nebulösen, ausweichenden: ‚dazu brauchen wir noch Zeit’. Wie bitte? Ihr braucht dazu noch Zeit? Ihr hattet schon so viele Jahrhunderte Zeit – wieviel wollt ihr denn noch? Jetzt sollten sich doch langsam einmal ein paar förderliche Ergebnisse, zumindest jedoch ein grundsätzlicher Konsens zeigen!

XXXV

Das primäre spirituelle Problem für die frommen Anhänger einer monotheistischen Offenbarungsreligion ist dieses: je mehr sie in ihrem individuellen Glauben vermeinen, sich ihrem adorierten Gott anzunähern, um so mehr entfernen sie sich tatsächlich von ihm (Transzendenz und Realität sind nun einmal inkompatible, diametrale Komplexe); und am weitesten von der geistigen Wahrheit entfernt befinden sich die, welche allen ernstes behaupten wollen – und dies auch permanent und ungeheißen kundtun –, sie längst gefunden zu haben.

XXXVI

31 Im Namen des Herrn beginnt alles Unglück32 Gnade sei dem Worte, soll heißen: dem Ausdruck sei verziehen33 Geistiger Führer

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Nichts ist langweiliger als das trostlose Fernsehprogramm an Feiertagen…

XXXVII

Die Egozentrik der römisch-katholischen Kirche mit ihrem grundsätzlich widerspruchsverweigernden Dogma extra ecclesiam nulla salus34 trieb der Kirchenvater Cyprian von Karthago, frommer Urheber ebengenannter Doktrin, schon im dritten Jahrhundert mit der selbstherrlichen Sentenz habere non potest deum patrem, qui ecclesiam non habet matrem35 auf die Spitze (er starb anno 258 bei Karthago den Märtyrertod – sollte uns das nicht zu denken geben?). Was soll man nun als außerhalb des Heils stehender Freigeist auf solch beängstigend ausgeprägten christlichen Fundamentalismus antworten? absolvo te36 oder abi in malam crucem?37

XXXVIII

Große Glaubensdiskussion in der Vorweihnachtszeit des Jahres 2006: Laut Joachim Kardinal Meisner, seit 1989 Erzbischof des Erzbistums Köln, sind interreligiöse Gebete (z.B. in Schulen) aus glaubensideologischen Gründen nicht möglich38. Ja, warum denn nicht? Alle Gebete gehen bekanntlich (angeblich) zu Gott – meint Meisner nun, der christliche Gott sei ein anderer? Einer, der sich über unbotmäßige ‚konfessionsfremde’ Anrufungen ärgert? Gehen wir nun wieder zum Polytheismus über? Und überhaupt – erst universelle Ökumene und friedliche Annäherung der Religionen predigen, aber dann mikrologisch ein unschuldiges gemeinsames Gebet verweigern? Wie paßt das zusammen? Nun ja, manche der über die Jahrzehnte weltentfremdeten Kirchenfürsten hängen eben immer noch nostalgisch ihrer einstigen, längst vergangenen Macht nach und sind in ihrem orthodoxen Geiste einfach noch nicht in der Realität der Gegenwart angekommen…

XXIX

Das Beste an den Religionen sind die Feiertage…

XL

Die ‚unsterbliche Seele’ erweist sich als frommes (aber illusorisches) Wunschdenken der doppelten Imagination – denn (1) wie kann etwas sterblich oder unsterblich sein, das (2) realiter mitnichten existiert?

XLI

Wenn man sich die Narreteien religiöser Fanatiker und Attentäter so betrachtet, könnte einem, wenn es nicht so traurig wäre, der alte Vers sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant39

einfallen.

XLII

34 Außerhalb der Kirche ist kein Heil (Epistulae)35 Es kann der Gott nicht zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat (De unitate ecclesiae)36 Ich vergebe dir37 Geh’ zur Kreuzigung; in etwa: geh’ zum Henker, geh’ zum Teufel (Plautus, Mostellaria)38 Katholische Nachrichten, 9.12.2006 (www.kath.net)39 Kinder sind Kinder, Kinder treiben Kindereien

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Wenn es nach den orthodoxen Fundamentalisten ginge, christlich wie islamisch, wären wir wieder (bzw. immer noch) im tiefsten und finstersten Mittelalter. Widerspruchsverweigernder Glaube ist der erklärte Feind jeden Fortschritts, außer des destruktiven…

XLIII

Eigentlich sollten Fastenzeiten nach den Feiertagen erfolgen…

XLIV

Im alten Athen stand ein Altar mit der sympathischen Inschrift άγνωστος θεός40. So war an alle Gläubigen und alle Götter gedacht und keiner konnte sich mißachtet und übergangen fühlen. Das war die pure, unverstellte religiöse Toleranz; und das schon vor mehr als 2.000 Jahren – was haben wir, im traurigen Gegensatz dazu, heute anzubieten? Die unschöne Erkenntnis: die anthropomorphen Kreaturen sind wahrlich rückschrittlich im Geiste…

XLV

Laut Rudolf Otto wohnt jeder Religion und jeder Kultur ein sogenanntes ‚Kreaturgefühl’ inne, welches sich als primäre Ursache für die persönliche Religiosität manifestiert. Das individuelle Gefühl der Kreatürlichkeit bzw. Geschöpflichkeit ergreift einen jeden Menschen, sobald er sich seiner nichtigen Existenz bewußt wird und sie im Zusammenhang mit dem omnipotenten Numinosen erkennt41. Mit anderen Worten, der Mensch erwartet von seinem passageren irdischen Vorhandensein wieder einmal mehr, als tatsächlich da ist; und außerdem, ich habe mich noch nie als erschaffene Kreatur gefühlt – bin ich denn Frankensteins Monster? Kreaturen – das sind die anderen… Mit einem hatte Otto aber absolut recht, nämlich daß die Religion mit Vernunft nicht zu fassen ist…

XLVI

Bereits der römische Dichter Ovid erkannte vor zwei Jahrtausenden: fas est et ab hoste doceri42, also warum können sich dann nicht die verschiedenen Religionen, respektive deren offizielle Vertreter, zusammensetzen und konstruktiv die Zukunft gestalten? In 20 Jahrhunderten wirklich nichts dazugelernt? Es gibt eben doch nichts Starrsinnigeres als das widerspruchsverweigernde Beharren auf transzendente Überlegungen und Hypothesen…

XLVII

Die im weiteren Vorfeld kritisch beäugte und mehrfach bedemonstrierte Türkei-Reise Papst Benedikts XVI. Ende November 2006 dokumentierte schließlich doch einige kleine positive Fünkchen im diffizilen interkonfessionellen Dialog (‚mei, schee war’s’). Ob diese leuchtenden Pünktchen allerdings nicht nur ein paar romantisch-spirituelle Eintagsglühwürmchen waren, muß erst die weitere Zukunft zeigen…

XLVIII

40 Unbekannter Gott41 Otto 198742 Recht ist es, auch vom Gegner zu lernen (Metamorphosis)

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Eins sollten extremistische Attentäter wissen: auch wenn sie einen mißliebigen publizierenden Kritiker dumpf-traditionalistisch ermorden (– denn veritas odium parit43), seine beanstandeten Gedankengänge leben weiter – mens invicta manet44.

XLIX

Ludwig Feuerbach hatte recht: Gott verkörpert für den unzulänglichen Menschen all das, was dieser selbst gern sein möchte…45

L

Es gibt nichts Profaneres als Weihnachtsmärkte – Kitsch und Kalorien, Kekse und Alkohol…

LI

Nach Frankreichs mißlichen Unannehmlichkeiten anno 2004 hat nun also auch die Bundesrepublik Deutschland ihre eigene absolut überflüssige Kopftuchdebatte (mala ultro adsunt46). Ende Oktober 2006 rief die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) zusammen mit einer Gruppe deutsch-türkischer Politikerinnen die in Deutschland lebenden Musliminnen dazu auf, ihr Kopftuch als anachronistisches Zeichen der Unterdrückung der Frau abzulegen. Dies war nur als eine schlichte Offerte ohne irgendeinen rechtlichen Zwangscharakter gedacht, also eine legale, freie Meinungsäußerung (– und außerdem kam der Aufruf nicht von irgendwem, sondern von Personen, die persönlich Anteil an dieser prekären Sachlage haben) – trotzdem erschienen instantan die immergleichen ewiggestrigen Fundamentalislamisten auf der provokatorischen Bühne der perfiden Niedertracht und forderten – wie einfallsreich – wieder einmal den sofortigen Tod der liberal eingestellten Politikerin (semper idem). Und das, obwohl selbst der Koran, auf den sich diese pseudoreligiös fanatisierten Leute permanent und vollmundig berufen, in keiner einzigen Sure eindeutig auf eine solche Kopfbedeckung bezug nimmt. Zu den indignierenden Problemen mit den mordlüsternen Extremisten in Frankreich protokollierte ich damals: „[…] das präsentierte Verhalten […] ist grundsätzlich mit der Weltreligion ‚Islam’ keinesfalls zu vereinbaren. Sie [die Islamisten] diffamieren und verunglimpfen diesen Glauben, indem sie klar ersichtlich die fragwürdige und blasphemische Ansicht vertreten, er sei so klein, schwach und unbedeutend, daß er sich und seine göttliche Botschaft an einem banalen Stück Stoff, einem simplen Kopftuch, aufhängen muß. Dies ist – facta loquuntur47 – wohl eine der areligiösesten, anti-islamischsten Aussagen, die ein denkender Mensch oder eine Organisation nur abgeben kann, denn durch solche terroristischen Aktionen wird letztendlich nur die islamische Religion in aller Welt diskreditiert und ungerechtfertigt abgewertet. Wenn den intoleranten Fundamentalisten das Kopftuch so enorm wichtig ist, warum setzen sie es sich dann nicht selber auf?48“ Und auch der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR)49, ebenso wie deren prominentestes Mitglied, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG)50, distanzierten sich von diesem undienlichen, kontraproduktiven, hetzerischen Mordaufruf. In einem liberalen und säkularen Staat wie Deutschland ist es nun mal jeder Frau und jedem Mann erlaubt, ihre/seine ureigenste Meinung frei zu äußern (Grundgesetz Artikel

43 Wahrheit erzeugt Haß (Terenz, Andria)44 Der Geist bleibt unbesiegt45 Feuerbach 198646 Unglück kommt von selbst (Erasmus, Adagia, außerdem Motto von Sigismund von Luxemburg)47 Die Tatsachen sprechen für sich48 Spreewinkl 2006a, S. 172 f.49 Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. (IR) (www.islamrat.de)50 Islamische Gemeinschaft Milli Görüş e.V. (IGMG) (www.igmg.de)

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5)51. Man mag mit dieser individuellen Ansicht nicht übereinstimmen oder sogar vollständig gegen sie sein, doch dies ist höchstens eine neugeschaffene Grundlage für eine gewaltfreie, konstruktive Diskussion – nur so entwickelt sich die ständig wahrheitssuchende Weltgesellschaft geistig weiter (wenn sie es denn tut – bei der gegenwärtig prävalierenden Weltlage der bluttriefenden interkulturellen und interideologischen Differenzen kommen den neutralen Beobachter begründete Zweifel an) –, und nicht die vorbehaltlose Aufforderung an obstinate orthodoxe Anstoßnehmer, unangebrachte Morddrohungen von sich zu lassen und profane Kopfgelder auszusetzen. Das sind antiquierte, mittelalterliche Methoden, die in unserer heutigen Zeit – und vor allem in unserem Land – einfach keine Existenzberechtigung mehr besitzen. Ein gewaltfreier, gleichberechtigter, nutzbringender Dialog interessiert diese spiritualisierten Kleingeister nicht; doch wenn ihnen etwas nicht in den Kram paßt, dann werden sie laut – und unglaublich aggressiv. Aber im tatsächlichen Sinne ihrer Konfession ist das mit Sicherheit nicht. Es ist schon traurig, eine Religion kann noch so friedlich, gerecht und human sein – es gibt immer irgendwelche verdrehten Spinner, die, im Namen ebendieser altruistischen Glaubensrichtung, in ihrer verblendeten unidirektionalen Sichtweise soziokulturelles Ungemach, Gewalt, Tod, Angst und Schrecken verbreiten müssen. Kranke, haßzerfressene anthropomorphe Kreaturen – bösartige Agitatoren und potentielle Mörder, auf die der Rest der Welt ohne weiteres verzichten könnte…

LII

Jesus hat Zeit seines Lebens nie den Anspruch auf Unfehlbarkeit erhoben; Simon Petrus, nach dem petrinischen Prinzip des Katholizismus erster Pontifex und somit Begründer des Primatanspruchs Roms, ebenfalls nicht, ganz im Gegenteil – er verleugnete Jesus sogar mehrfach (Mk 14,66 - 14,72)52. Dementsprechend kann das anno 1870 auf dem Ersten Vatikanischen Konzil verkündete Infallibilitätsdogma Papst Pius’ IX.53 eigentlich nur auf menschlich-mikrologische Überheblichkeit, respektive auf die charakterisierende, seit Anbeginn menschheitsinhärente Fehlbarkeit zurückzuführen sein; respice post te, hominem te esse memento54 – wenn ein omnipotenter Gott unfehlbar ist, so ist es sein chthonisch-menschlicher Substitut, sein irdischer locum tenens55 noch lange nicht…

LIII

Der prägnanteste Unterschied zwischen einem profanen Mörder und einem fundamentalistischen Attentäter ist der, daß letzterer sich nach seiner infamen Bluttat ehrlos und feige hinter irgendeinem arbiträren Glaubensbanner verstecken will (psychopathisch-pathologische anthropomorphe Kreaturen, die die Welt nicht braucht, sind sie jedoch beide…).

LIV

…ich kritisiere hier keine spezielle Glaubensrichtung, auch nicht die Institution Religion im allgemeinen, sondern nur die unheiligen Auswüchse in den konfusen Gedankengängen ihrer fundamentalistisch fanatisierten Anhänger…

LV

51 Siehe Anhang52 Siehe Anhang53 Pontifikat 1846 - 187854 Sieh hinter dich, sei dir immer bewußt, daß du ein Mensch bist (Tertullian, Apologeticum)55 Statthalter

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Fast alle Glaubensrichtungen predigen universelle Nächstenliebe, doch ihre Anhänger leben primitivsten Egoismus – ‚unsere Religion ist die einzig wahre, wir sind alles, und ihr seid gar nichts.’ Entweder ist da irgend etwas bei den Glaubensführern schiefgelaufen, oder die mikrologisch strukturierten anthropomorphen Kreaturen sind geistig noch nicht reif und bereit für eine echte und wahrhaftige Religionsausübung…

LVI

Seit der Konsolidation des Christentums im ersten Jahrhundert warten dessen fromme Anhänger auf das Ende der Welt, den Jüngsten Tag, die Apokalypse – dann sollte es doch langsam Zeit werden, daß sie endlich kommt…

LVII

Wer sagt denn, daß die transzendentalphilosophische Annahme eines primum mobile56 nicht gleichzeitig auch ein πρώτον ψεϋδος57 war?

LVIII

Die ständig diffus durch die Medien geisternden, bisweilen ad nauseam strapazierten sogenannten christlichen Werte, die per exemplum der biblische Dekalog (von δεκαλογος – deka logos: Zehnwort) seinen frommen Anhängern vermitteln möchte, basieren selbstverständlich nicht alle auf rein christlich inspirierten Überlegungen und Interessen, sondern wurden partiell schlicht annektiert und offiziell als solche deklariert. Die wortwörtliche Ausarbeitung der gegenwärtigen Zehn Gebote – sie wurden und werden im Lauf der Jahrhunderte immer wieder auf kirchliche Konsistenz überprüft und gegebenenfalls den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten angepaßt – unterscheidet sich mehr oder minder geringfügig zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen, die über die Zeit dem altorientalischen Abrahamitischen Gedankengut und dessen konfessionellen Metamorphosen entsprangen. Abgesehen von diesen formalen Abweichungen in der Reihenfolge und in den Formulierungen enthält der Dekalog des weiteren nicht zwangsweise nur zehn Gebote, er kann auch mehr oder weniger aufweisen, je nach betrachtetem Glaubensbekenntnis. Der vorliegende Text bezieht sich hier jedoch ausschließlich auf den evangelischen Katechismus von 1962 (e) sowie dem Katechismus der katholischen Kirche aus dem Jahre 1993 (k)58. Einige dieser Vorschriften können nun eindeutig der christlichen Metaphysik zugeordnet werden, nominatim diejenigen mit einem direkten Gottesbezug (e: 1-4; k: 1-3) (a), alle anderen jedoch entlehnt der christliche Dekalog eindeutig der Humanethik (e: 5, 7-10; k: 4, 6-10) (b), respektive den menschlichen Naturrechten bzw. -pflichten (e: 6; k: 5) (c). ad (a): Die ersten Gebote beider christlicher Glaubensrichtungen beziehen sich also auf die extraempirische Wesenheit Gottes, respektive auf dessen adorierten Namen oder kultisch determinierten Ehrentag (e: 1-4; k: 1-3). Diese sakralen Anordnungen erweisen sich infolgedessen – wie übrigens bei allen anderen poly- wie monotheistisch fundierten Religionen und Splitterkirchen auch – als rein transzendental inspiriert und begründet, als geoffenbart, und müssen dementsprechend als klerikal verordnetes Faktum (Dogma) und als logisch nicht hinterfragbares naturwissenschaftliches Kuriosum von den frommen Gläubigen schlechterdings so hingenommen werden (– im christlich auferlegten Rahmen des sacrificium intellectus59). Metaphysisch konstruierte Hypothesen kann die sich in ständiger 56 Erster Beweger57 Erster Irrtum (Aristoteles, Analytica priora, resp. Αναλυτικα πρότερα)58 Siehe Anhang59 Opfer des Verstandes, i.e. die spirituelle Unterordnung des eigenen Verstandes unter die kirchliche Lehrmeinung, auch wider besseren naturwissenschaftlichen Wissens

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Weiterentwicklung befindliche Menschheit eben (noch) nicht erschöpfend szientifisch verifizieren oder widerlegen – doch der theologische Terminus Glaube trägt nun einmal seinen philologischen Ursprung in sich… ad (b): Kommen wir nun zu den christlich annektierten humanethischen Anweisungen: das Begehren etwa, welches die Zehn Gebote in den theoretischen Bereich des Bösen und Verwerflichen verbannen (e: 10; k: 9, 10), kann der aufgeschlossene Betrachter auch in einem eher positiven, ersprießlichen Sinn für den solcherart gescholtenen Begehrenden sehen. Wenn beispielsweise eine finanziell minderbemittelte Person auf das prachtvolle Haus einer anderen neidisch ist, es also vehement begehrt (ein plumpes Exempel, ich weiß, aber es soll ja auch nur die zugrundeliegende Idee explizieren), diese bedenkliche seelische Emotion aber als mentalen Ansporn nimmt, durch eigene Kraft und Anstrengung, durch eigenen Verdienst ein ähnlich luxuriöses Domizil zu kaufen oder zu erbauen, so kann man das simple Begehren katexochen auch als einen aktivierenden und konstruktiven Lebensfaktor betrachten. Natürlicherweise richten sich dementsprechend die meisten materiellen Begierden auf Gegenstände, Gerätschaften und Einrichtungen, die andere Menschen schon haben, bzw. die irgendwo gesehen wurden – man ist selten der Erste im stolzen Besitzen von Bedarfs- oder sonstigen Gütern. Und außerdem, wenn niemand etwas begehrte, gäbe es weder geistigen, wissenschaftlichen, materiellen, noch irgendeinen anderen Fortschritt, und somit herrschte keine lebenswerte Gegenwart und käme keine lebenswerte Zukunft; niemand würde sich außerhalb der biologischen Grundbedürfnisse bewegen – geistiger, sozialer und kultureller status idem ad infinitum. Trostlos, sinnlos, langweilig – ein Planet des psychischen Stillstands; wir wären aus Lethargie und Stumpfsinn nicht über das einfachste Primatenstadium hinausgekommen und verdienterweise schon längst ausgestorben (– schade eigentlich…). Solange die persönliche Sinnesempfindung des Neides jedoch eine abstrakte Größe in den strategischen Gedankengängen eines differenzierfähigen Individuums bleibt, und nicht in negativen realen bzw. physischen Aktivitäten – inklusive Sach- und Personenschäden – resultiert, sondern im Gegenteil eine innovative und nutzbringende Stimulanz des Lebens bildet, könnte man sie sogar als ethisch neutral bis wünschenswert einstufen. Auch die Gebote zur ehelichen Treue lokalisieren sich grundsätzlich eher im spirituellen Dunstkreis der allgemeinen Humanethik, denn im christlich dominierten Sektor (e: 7; k: 6, 9). Für das biologische Fortbestehen der Menschheit jedoch ist es im Prinzip tatsächlich gleichgültig, ob in einer menschlichen Zivilisationsgesellschaft die Monogamie oder eine Polygamie praktiziert wird – hier spielen zusätzlich, um nicht zu sagen: hauptsächlich, die gewachsene gesellschaftliche Moralität und ihre kulturtraditionellen Hintergründe eine gewichtige Rolle; und nebenbei: auch ein sexuell exorbitant freizügiges und ausschweifendes Volk hat zweifelsohne die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Energie, vollumfassend lebens-, handlungs- und verteidigungsfähig zu sein, wie die Historie schon mehrfach bewiesen hat. Das vorbehaltlose Ehren der Eltern (e: 5; k: 4) bezeichnet ebenfalls ein eher ethisches denn ein original christliches Verhalten, und sollte in unserer heutigen Zeit nicht so uneingeschränkt infallibel gesehen und mit einem kontradiktionsverweigernden, sakrosankten Absolutheitsanspruch versehen werden. Kriminelle Elternteile, die ihre Kinder mißbrauchen – in welcher Art auch immer –, können die dieserart geschändeten Heranwachsenden, ebenso wie die sozietäre Gemeinschaft, jedenfalls unreflektiert von diesem altruistischen Achtungsgebot ausnehmen. Die explizite Anordnung der interindividuellen Wahrhaftigkeit (e: 9; k: 8) erweist sich, wie die vorhergehenden, gleichermaßen als eine humanethische Problematik, die an dieser Stelle jedoch nicht eingehender besprochen werden soll (sapienti sat est). Anbei wäre nur noch mit Cicero zu bemerken, cuiusvis hominis est errare, nullius nisi insipientis in errore perseverare60, wobei der echte Irrtum selbstverständlich nicht der Lüge gleichzusetzen ist, aber so schnell kann das eine in das andere übergehen; sozusagen eine virtuelle μετάβασις είς

60 Jeder Mensch kann irren, doch nur ein Narr verharrt in seinem Irrtum (Philippica)

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άλλο γένος61. ad (c): Das unbedingte Recht auf Leben (e: 6; k: 5) indes ist weder ein genuin religiöses noch ein genuin ethisches – es ist das fundamentalste Natur- und Grundrecht eines jeden Menschen; dieses und die uneingeschränkte körperliche Unversehrtheit. Zum Thema Leben schrieb ich in Gedanken zur Todesstrafe bereits folgendes: „Das Leben ist das absolut wertvollste Gut, das ein Mensch besitzt und auf dieser Erde jemals besitzen wird. Es ist vollkommen einzigartig und einmalig. Denn ist das irdische Dasein einer Person letztlich zu Ende, völlig egal, ob aus gesundheitlichen oder sogenannten ‚unnatürlichen’ Veranlassungen, wie etwa tragischen Unfällen oder aggressiv-kriminellen Fremdeinwirkungen, ist dies definitiv ein finaler, unumkehrbarer Vorgang. Alle größeren, erfolgreichen Religionen sehen also das singuläre Leben als elementar von Gott gegeben an. Gott ist also der eine und einzige Ursprung allen Lebens.62“ Das Recht auf Leben stellt das größte und erste Naturrecht der Menschheit dar. Doch bedauernswerterweise wird dieses wichtige, zentrale Gebot ‚du sollst nicht töten’, genau wie alle anderen, viel zuwenig in der destruktiven, gewalttätigen, herzlosen, selbstsüchtigen Welt beachtet – da erleiden sie dasselbe tragische, unverdiente Schicksal wie die aktuellen Internationalen Menschenrechte der Vereinten Nationen63. Diese kurzen Ausführungen zum Dekalog zeigen dem aufmerksamen Betrachter nun, daß gerade einmal vier (e) bzw. drei (k) Anordnungen der christlichen Zehn Gebote dem metaphysisch-klerikalen Bereich entspringen. Doch wiederum nicht dem genuin christlichen, denn die reine Verehrung des Gottes und seiner diversen Attribute findet sich in allen anderen theistisch konzipierten Glaubensrichtungen auch. Mit anderen Worten: die vielzitierten und bisweilen überstrapazierten christlichen Werte des Dekalogs sind letzten Endes ein synkretistisches Konglomerat aus Natur-, Ethik- und Kultgesetzen bzw. -rechten, haben aber mitnichten ihren kausalen Ursprung im Christentum – oder gar im Katholizismus.

LIX

Die menschliche Existenz hat etwas unüberlegtes, absolut geist-, plan- und zielloses an sich – und das in einer derart drastischen Weise, die jeden ideologisch-spirituellen Ansatz einer göttlichen Schöpfung negieren muß. Ein Gott hätte es besser gemacht…

LX

Laut einer aktuellen Umfrage aus dem Jahr 2006 sind zwei Drittel aller Deutschen abergläubisch, mehr als in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts64 – hallo, Mittelalter! (– und armes, geistig regressives Deutschland!) Wann gibt’s das nächste Menschenopfer? Oder kommt vorher eine Neoinquisition, und mit ihr die Neuauflage der Hexenverbrennung? Den weiland von Innozenz VIII.65 päpstlich angeregten malleus maleficarum66 von Heinrich Institoris und seinem angeblichen Koautoren Jakob Sprenger haben wir schließlich noch…

LXI

Ein gesunder Atheismus oder zumindest ein freundlicher Agnostizismus gepaart mit einer global gültigen modernen Art Magna Charta, die das allgemeine soziokulturelle Zusammenleben regelt, würde der Menschheit einen nie gekannten Glaubensfrieden bescheren und sämtliche religiös motivierten Auseinandersetzungen, frei nach der Formel: keine Religionen = keine Religionskriege, der Vergangenheit angehören lassen. Diese

61 Übergang in eine andere Gattung (Aristoteles, Analytica posteriora, resp. Αναλυτικα ύστερα)62 Spreewinkl 2006a, S. 22863 United Nations (www.un.org)64 Phönix, Das Geschäft mit den Sternen, 17.12.2006, 1615

65 Pontifikat 1484 - 149266 Hexenhammer

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‚religionsfreie Neufassung der Zehn Gebote’ sollte die Grundrechte und -pflichten eines jeden Menschen erfassen, ohne jedwede diplomatic immunity von Politikern, Herrschern, Industriellen etc., jeder soll und muß wertfrei die gleiche Behandlung erfahren. Doch bei dieser vorherrschenden egoistisch-destruktiven Geisteshaltung ist mit der jetzigen Erdbevölkerung kein länger anhaltender Frieden zu machen, selbst wenn es keine Religionen und Glaubensführer gäbe. Diese ersetzten sie einfach durch andere idealistisch-ideologische Protagonisten und/oder spezielle wirtschaftliche Werte.

LXII

Wo wäre die Menschheit heute, wenn die Religion nicht stets sämtlichen Fortschritt verhindert hätte…?

LXIII

Fundamentalismus und extremistische Religionsausübung sind nicht gottgefällig, sondern nur blasphemistisch und kriminell…

LXIV

TibetDach der Welt

Gebetsfahnen einsam im kalten Windratternde Gebetsmühlen an Klöstern aus alter Zeit

Heimat der großen GötterKreisende Eis-Vögel am großen Mantra

Weise Mönche mit Wissen von Jahrtausendenom mani padme hum

Strahlende, gütige HeiligkeitLeben mit der Natur der Götter

Überlegene Berge mit Sinn und KraftWind von weisem Odem aus dem fernen Kailash

Dortwerde ich in mein Nirwana gehen

Kain L. von SpreewinklDeutschland, im Sommer 1986

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II. DefaitistischesI

Im Aufsatz Transzendentaler Tausch – eine Legitimationsfigur für Menschenrechte? von Otfried Höffe las ich unter anderem folgende interessante Passage: „Nehmen wir als Beispiel das Interesse an Leib und Leben. Im Gegensatz zu Hobbes und jenen neueren Hobbesianern, die in der vor-perestrojkaschen Friedensdebatte das physische Überleben der moralisch-politischen Selbstbestimmung vorgezogen haben, wird nicht behauptet, das Leben sei das schlechthin höchste Gut. Denn man kann schwerlich sagen, politische, kulturelle oder religiöse Ideale höher einzuschätzen sei schlicht unvernünftig. Andererseits hat das Leben tatsächlich einen besonderen Rang, dieser ist aber anders zu interpretieren. Es liegt kein alle anderen Interessen überragendes, kein sie dominierendes Interesse vor, wohl aber ein transzendentales Interesse. Denn auch wer nicht sonderlich am Leben hängt, hat deshalb ein Interesse daran, weil er andernfalls weder etwas begehren noch sein Begehren zu erfüllen trachten kann. Unabhängig von dem, was man inhaltlich anstrebt oder meidet, mithin als Bedingung der Handlungsfähigkeit, bildet das Leben die Voraussetzung für ein handlungsorientiertes Begehren. Das Leben ist eine notwendige Bedingung für Handlungsfähigkeit, eine condition of agency. Hier tritt die singuläre Bedeutung eines transzendentalen Interesses und des ihm korrespondierenden Menschenrechts zutage: Was auch immer man in concreto begehrt und zur Realisierung des Begehrten unternimmt – als Lebewesen braucht der Mensch dafür Leib und Leben. Mit Hilfe der neuen, transzendentalen Interpretation lassen sich nun Phänomene wie Widerstand gegen militärische Gewalt, Märtyrertum, auch Lebensüberdruß als respektable und nicht schlicht irrationale Optionen verstehen: Man hält das Überleben nicht für das höchste Gut, will die Entscheidung über ein höheres Gut aber selber treffen, womit man denn doch ein Interesse am Leben beweist. Während der eine selber sagen will, ob und gegebenenfalls wann er des Lebens überdrüssig ist, will ein anderer (sei es ein Individuum oder sei es eine Gruppe) selber entscheiden, wofür er sein Leben opfert: aus Treue zu seiner politischen oder religiösen Überzeugung und nicht etwa, um von einem Räuber erschlagen zu werden.67“ Hierzu einige kritische Anmerkungen: Zweifelsohne kann man sagen, daß das Leben das schlechthin höchste Gut des autonomen Menschen sei, und daß es schlicht unvernünftig wäre, ideelle Werte wie politische, kulturelle oder religiöse Ideale höher als dieses einzuschätzen. Denn erstens nützen einem die schönsten, wohlklingendsten und durchdachtesten Wertvorstellungen nicht das geringste, wenn man nicht am Leben ist – was hat beispielsweise ein Verblichener von seiner ehemaligen politischen Überzeugung? Und zweitens wandeln sich ideologische Ideale im Lauf der Zeit, sind also beliebig variier- und austauschbar. Sie müssen vor allen Dingen nicht von jedem Erdenbewohner gleich bewertet werden, d.h. wenn ein Individuum sein angenommenes Ideal über das eigene Dasein stellt, muß es ein anderes noch lange nicht tun. Zustimmen kann ich hingegen der Aussage zur persönlichen Verfügung über das eigene Leben – wer für seine ideellen Vorstellungen realiter sterben will, weil er sie für sich weitaus höher einschätzt als sein singuläres Leben, dann möge er dies tun, nur soll er niemand anderen damit belästigen oder gar schädigen. Wenn also eine Gruppe gewaltbereiter religiöser Fundamentalisten ihr angeblich gottgegebenes Leben für ihren mißverstandenen Glauben opfern will, dann sollen sie sich irgendwo in die Luft sprengen, wo sie keine anderen Menschen damit gefährden, welche die spirituelle Sachlage womöglich anders bewerten; denn für diese wäre es dann tatsächlich so, als würden sie von einem infamen Räuber erschlagen. Ideale sind prinzipiell reine Privatsache und ändern sich von Zeit zu Zeit und von Mensch zu Mensch, auch kann sie eine Person während ihrer Lebensspanne mehrmals modifizieren oder

67 Gosepath/Lohmann 1998, S. 38 f.

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durch andere Auffassungen substituieren. Das biologische Leben selbst hingegen ist für jeden Menschen gleich einzigartig und unersetzlich – und man kann es nur einmal verlieren…

II

Der subjektive Wert des Individuums sinkt erfahrungsgemäß mit zunehmender Population. Bei einer tatsächlichen Weltbevölkerung von über 6 Milliarden Menschen – wen interessieren da schon ein paar tausend Ermordete hier oder ein paar tausend Naturkatastrophenopfer dort (außer die Betroffenen selbst, bzw. deren Hinterbliebene)? Die Menschheit hat sich eindeutig entmenscht und somit überlebt…

III

Philosophie ist der tragikomische, apriorisch zum Scheitern verurteilte Versuch, mit höchst ungenügenden Worten und viel zu wenig Buchstaben etwas zu verbalisieren und möglichst differenziert zu paraphrasieren, was es realiter gar nicht gibt (– per exemplum den ‚Sinn des Lebens’, die Frage: ‚Wohin geht der Mensch?’ oder die ‚Wesenheit Gottes’).

IV

Schon Cato ging das ewiggleiche unmotivierte Geseiere seiner Zeitgenossen gehörig auf die Nerven. Er konstatierte weiland: sermo datur cunctis, animi sapientia paucis68. Wie wahr, wie wahr…und bis heute hat sich, außer der gewaltig angestiegenen Bevölkerungszahl, nichts an dieser enervierenden Situation verändert…

V

Das Recht auf Leben impliziert keine Pflicht zu leben.

VI

Die optimistische Ansicht ‚es kann nur besser werden’ erweist sich meist als trügerische, unerfüllte Hoffnung…

VII

Leider wird gesellschaftliche Neutralität nicht im mindesten angemessen gewürdigt oder gar respektiert – entweder du gehörst dazu, oder eben nicht.

VIII

Jeder einzelne Tag dieser schier endlosen Reihe von Tagen ist mein persönlicher dies ater69, und jeder nachfolgende erscheint noch ein wenig dunkler als der vorangegangene – doch τάμά παθήματα παιδεύματα γενήσεται άλλοις70…vielleicht…(– wohl eher nicht…)

IX

68 Sprache ist allen, Weisheit des Geistes wenigen gegeben (Sententiae)69 Schwarzer Tag70 Meine Leiden werden zu Lehren werden für die anderen… (Dionysios, Antiquitates Romanae)

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…selbstverständlich besitzt die Menschheit die Option, sich intellektuell weiterzuentwickeln und den Planeten sowohl lebens- als auch liebenswert zu gestalten, nur interessiert sie niemanden – die dekadente Lust am geistigen Niedergang und am kleingeistigen Egoismus hat leider die weitaus größere Anziehungskraft…

X

Die verhängnisvolle Geburt des Menschengeschlechtes war ein überflüssiges Akzidens ohne jedwede Notwendigkeit oder Relevanz – und diese grundsätzliche Bedeutungslosigkeit überträgt sich seither ausnahmslos auf jedes einzelne Individuum dieser Spezies. Die chthonische Menschheit – eine immense Ansammlung bipedischer Quisquilien…

XI

Der Mensch ist von Natur aus autodestruktiv – und absolut unfähig einzusehen, daß dem so ist; – und deswegen wird sich auch nichts am tagtäglich wiederkehrenden Grauen ändern…

XII

Das Leben, die blühende Natur, all die Tiere und Pflanzen – wie großartig und elysisch zeigt sich diese irdische Idylle – nur der destruktive, alleszersetzende Fremdkörper ‚Mensch’ stört das friedliche Empfinden…

XIII

Der heutige Tag war ein grauenvoller; wahrlich, ich hätte im Bett bleiben sollen – excidat illa dies!71

XIV

Die anthropomorphen Kreaturen sind schon seltsame Wesen (– ich werde sie wohl nie verstehen –): sie rennen freudig und sehenden Auges zielgerichtet in ihren Untergang, entweder einzeln oder im Kollektiv; springt ein Idiot von der Klippe, springen tausend weitere hinterher – bipedische Lemminge…

XV

Ich habe leider das zweifelhafte Vergnügen, einige Individuen zu kennen, bei denen sich jedes Wort als vergeudet erweist, als verlorene Liebesmüh’ – Perlen vor die Säue…ein Gespräch mit ihnen verläuft meist so, als wolle man einem Nilpferd Differentialgleichungen nahebringen (– was vermutlich eher von Erfolg gekrönt wäre als ersteres)…

XVI

Die Natur brauchte mehr als vier Milliarden Jahre, um auf der Erde den Menschen hervorzubringen – ein eindrucksvoller Beweis dafür, daß nicht alles, was lange währt, auch endlich gut wird…

XVII

71 Jener Tag mag verlorengehen (Pepys, Diary)

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Es bedeutet einen gewaltigen Unterschied, ob man unter einer passageren geistigen Leere leidet (welche selbstverständlich auch viele Monate bis Jahre andauern kann), oder ein naturgegebener Hohlkopf ist (sozusagen dumb by nature). Das psychologische Ergebnis jedoch bleibt für die Betroffenen das gleiche: spirituelle Stagnation – mit der kleinen, aber gravierenden Divergenz, daß ersteres eventuell irgendwann vorübergeht, während das zweite permanent bis zum biologisch determinierten Ende andauert; ein Hohlkopf bleibt ein Hohlkopf.

XVIII

Man braucht sich die anthropomorphen Kreaturen nur ansehen, um zu erkennen, daß das menschliche Dasein keinen tieferen Sinn hat – außer dem einen, sich gegenseitig das kurze Leben zur Hölle zu machen.

XIX

Es heißt, der Mensch als ξώον πολιτικόν72 braucht die Gesellschaft und Konversation mit seinesgleichen, um psychisch und sozial nicht zu verarmen. Das mag wohl stimmen – doch warum graut es mir dann permanent vor dem horriblen Gedanken, mich mit all den anthropomorphen Kreaturen, die ebenso geist- wie planlos auf diesem nochblauen Planeten herumdilettieren, in einer unteilbaren Schicksalsgemeinschaft – bis daß der Tod uns scheidet – zusammenzufinden? noli turbare circulos meos73. Da reicht mir ein flüchtiger Blick aus dem Fenster, um genau das nicht zu wollen…

XX

Menschen sind so – beliebig…

XXI

Das Dasein eines philosophischen Gesellschaftskritikers erzeigt sich auf längere Sicht als ein äußerst deprimierendes und unbefriedigendes: er erkennt zwar die wuchernden Mißstände in den sozialpolitischen Korrelationen, kann und darf sie auch öffentlich anprangern und emphatisch darauf hinweisen (mehr oder weniger) – nur interessiert die aufgezeigte verdrießliche Sachlage letztendlich bloß die wenigsten; und die, welche tatsächlich etwas daran ändern könnten, überhaupt nicht – au contraire! Bloß nirgends anecken, oder gar die wirtschaftlichen respektive religiösen Lobbyisten verärgern – man könnte ja etwas Ansehen, Einfluß oder Kapital einbüßen (– und außerdem will man ja wiedergewählt werden…).

XXII

Wie hieß es bei den Bremer Stadtmusikanten? ‚Etwas Besseres als den Tod findest du allemal’? Aber nicht hier auf Erden!

XXIII

Popularität erweist sich in unserer vollinformierten Konsumgesellschaft für die Betroffenen bisweilen als ein zweischneidiges Schwert. Einerseits braucht ein Individuum einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit, wenn es wirklich etwas in den Köpfen der

72 Politisches bzw. staatenbildendes Lebewesen (Aristoteles, Politeia, resp. πολιτικά)73 Störe meine Kreise nicht (Archimedes nach Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia)

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Bevölkerung bewegen will, sei es politisch, gesellschaftlich oder kulturell. Andererseits – ist man erst einmal in der Popularität angekommen, zerpflücken schmierige Paparazzi wie die Aasgeier das Dasein des Prominenten, kramen in längst vergangenen Begebenheiten seines Lebens, belästigen seine Freunde und Verwandte, und so etwas wie eine Privatsphäre gibt es für ihn auch nicht mehr. Manchen mag das wohl gefallen, aber für die sensibleren unter ihnen oder jenen mit einer exotischen, ausgefallenen Angewohnheit, die sie nicht unbedingt offiziell diskutiert sehen möchten, wird es angesichts solch aufdringlicher Persönlichkeitsdemontagen also am besten sein, zukünftig nur noch unter Pseudonym aufzutreten (– oder als Milli Vanilli). Nicht jeden begeistert es, einen peinlichen, dekuvrierenden Seelenstriptease vor laufenden Kameras hinzulegen…

XXIV

Das Positive des Winters ist, daß er all die grauenvollen architektonischen Fehlleistungen der Menschen mit einer gnädig deformierenden Schneedecke verhüllt. Christo könnte es nicht besser…

XXV

Der von vielen immer noch gepredigte Sozialdarwinismus mit seinem ‚Recht der Wildnis’ respektive dem ‚Der Stärkere gewinnt’ (survival of the fittest) erweist sich als ausgesprochen kontraproduktiv für die fragile Evolution des menschlichen Geistes, denn es zeigt sich fortwährend, nicht nur im blutigen Verlauf der großen Weltgeschichte, daß die Stärkeren meist eben nicht auch die Klügeren sind – eine Horde kampferprobter Skinheads unter Drogeneinfluß wird physisch mit Sicherheit über eine zahlenmäßig gleichstarke Gruppe Universitätsprofessoren siegen, doch wer möchte schon, daß sich so etwas überhaupt biologisch fortpflanzt? Die Menschheit wäre spirituell (– und somit auch technologisch –) bestimmt schon einige Stufen weiter, wenn nicht permanent der blindwütige Barbar im Menschen durchbräche; und gedankenlose Zerstörung von unersetzlichen Kulturgütern war schon seit jeher sein liebstes Betätigungsfeld. Der Mensch ist angeblich zwar frei geboren, doch die meisten verbinden damit ein allumfassendes Freisein von jedweder Verantwortung. Aber so ist das mit den anthropomorphen Kreaturen: sie sind nicht in der Lage, die einfachsten Grundrechenarten zu beherrschen – aber andere quälen und töten, das können sie sofort, ohne Hilfe oder Unterweisung…

XXVI

…und immer wenn du meinst, endlich, nach langem, ergebnislosem Suchen, einen wahren Freund gefunden zu haben, stößt er dir kaltlächelnd ein Messer in den Rücken (– und wenn du dann mortifiziert am Boden liegst, wird noch einmal nachgetreten – mindestens…)…

XXVII

Den Menschen wurde von der Natur, wie allen anderen Tierarten auch, ein Gehirn mit auf den Weg gegeben – sogar ein ziemlich großes und schweres. Deswegen sehen sie es wohl auch als Ballast an und verweigern standhaft dessen Gebrauch…

XXVIII

Soziales Nachdenken und gegenseitige Rücksichtnahme in Deutschland, gibt es das überhaupt oder ist das nicht bloß eine hehre Wunschvorstellung? Ein repräsentatives Beispiel: In jedem

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Mietvertrag stehen die einzuhaltenden Ruhezeiten des Hauses, doch wann kommt es dem dumpfen Durchschnittsdeutschen in den unsensiblen Sinn, in seiner Wohnung Löcher zu Bohren oder Nägel in die Wand zu schlagen? Samstagabend um halb zehn oder an einem Sonntagvormittag. Der deutsche Michel ist ein indezenter Trampel…

XXIX

Manch ungesunde Individuen schaffen es tatsächlich, einen im Prinzip friedfertigen Menschen auf Dauer emotional so zu reizen, daß er letztlich zu einem negativ-destruktiven Pazifisten mutiert. Mit präzisierenden Worten: er würde es prinzipiell nie in nähere Erwägung ziehen, selbst einen tätlichen Angriff auf diese persona non grata zu starten (– er möchte sich doch nicht die Hände verunreinigen –), aber er würde auch niemand anderen aktiv an einem solchen hindern – μήνιν άειδε, θεά, Πηληιάδεω Αχιλήος74…

XXX

Der Mensch predigt Liebe, sät Haß und erntet Vernichtung…

XXXI

Die sukzessiv zunehmende Entmenschlichung unserer schnellebigen Leistungsgesellschaft erkennt man per exemplum daran, wie mit arbeitenden Hinterbliebenen bezüglich der Beerdigung ihrer hingeschiedenen Verwandten umgegangen wird. War der Verstorbene kein Familienangehöriger ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder), muß ein Angestellter für den Tag der Beisetzung Urlaub nehmen. Dabei ist der Urlaub eigentlich für Entspannung und Erholung vorgesehen – so steht es zumindest in den diesbezüglichen Verträgen –, doch wieviel Entspannung und Erholung bietet wohl die nervenaufreibende Beerdigung seines Großvaters oder die eines Enkelkindes? Und am nächsten Arbeitstag muß man zu allem Verdruß noch so unsensible Sätze wie: ‚Na, schönen Urlaub gehabt? Haben sie auch etwas Nettes unternommen?’ über sich ergehen lassen. Am übelsten allerdings war das infame Ansinnen eines Vorgesetzten an den trauernden Arbeitnehmer, er möge doch freundlicherweise die Beisetzung des Verblichenen auf einen Samstag legen, da müsse er ohnehin nicht arbeiten. Soviel zu Verständnis und Mitgefühl in unserer lieblosen, egozentrischen Zeit; die menschliche Zivilisation hat eindeutig den Blick für das Wichtige und Wesentliche im Leben verloren. Obwohl – eigentlich hat sie einen solchen nie gehabt…

XXXII

Schon Boëthius konstatierte weiland nam nihil ex nihilo exsistere vera sententia est75, und auch Lukrez erkannte, nil posse creari de nihilo76. Warum glauben ihnen bis heute die wenigsten? (sonst glauben sie doch auch alles…)

XXXIII

Was hilft einem Wissen und Intellekt, wenn der Rest der Welt aus hirnlosen Egoisten, aus unzulänglichen anthropomorphen Kreaturen besteht? Die geistige Flucht wird endgültiger, der Duktus zynischer und die Menschheit lächerlicher, belangloser…

74 Den Zorn singe, Göttin, des Peleussohnes Achilleus… (Homer, Ilias)75 Denn daß nichts aus nichts hervorgehen kann, ist ein wahrer Satz (De consolatione philosophiae)76 …daß nichts aus nichts geschaffen werden kann (De rerum natura)

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XXXIV

Wenn ich mir ab und zu manch modernes philosophisches Schriftwerk zu Gemüte führe, welches sich zwar vordergründig einen hochgeistigen Anstrich gibt, letztendlich aber nur wirres metaphysisches Geseier ohne tieferen Sinn und Zweck beinhaltet, fällt mir nur noch der alte Spruch ein: Dem Philosoph’ ist nichts zu doof. Es stimmt schon, man kann alles über alles schreiben – aber etliches davon ist selbst das Papier nicht wert, auf dem es steht. Imaginäres Beispiel: Sind Gedanken fließend oder oszillierend, gibt es farbliche Unterschiede und wie viele physikalische Dimensionen besitzen sie? (Kein konkretes Exempel an dieser Stelle – ich möchte den elitären Autoren solch denkwürdiger Publikationen schließlich nicht zu Nahe treten…)

XXXV

Das menschliche Gehirn ist auch bloß so ein gallertartiger Unruheherd…

XXXVI

Wer sich als sozial inkompatibel erweist, sollte sich ein Tamagotchi zulegen, und nicht andere mit seinen interindividuellen Unzulänglichkeiten belästigen.

XXXVII

Nach einem langen, erholsamen Schlaf mit angenehmen Träumen wohlgelaunt aufwachen, und dann desillusioniert feststellen müssen, daß sich nicht das geringste verändert hat – das ist das wahre Morgengrauen…

XXXVIII

Die Menschen suchen in ihrer unvergleichlichen Egozentrik und mit ihrem ständigen ‚Warum’ immer und überall einen immanenten Sinn – sie können es keinem noch so marginalen Ding zugestehen, schlicht und einfach nur zu sein…selbstgenügsam, heiter – und ohne tiefere Bedeutung…

XXXIX

Lieber körperliche Starre als geistige…

XL

Angeblich steigen im Herbst die Selbstmordraten; ich finde auch den Frühling nicht lustig; eher deprimierend – alles blüht…

XLI

Was kann ein einzelnes menschliches Individuum in einem unüberschaubaren Meer von über sechs Milliarden anthropomorphen Kreaturen schon bewegen? Ein einfaches hoc volo, sic iubeo: sit pro ratione voluntas77 wird hierzu wohl nicht ausreichen, selbst wenn man eine kräftige Stentorstimme hat…

77 Dies will ich, so befehle ich: statt eines Grundes gelte mein Wille (Juvenal, Saturae)

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XLII

Vielleicht befinde ich mich schon die ganze Zeit über in dem, was einige der irdischen Glaubensrichtungen unverhohlen als ‚die Hölle’ definieren würden – in einer erbarmungslosen Hölle für die Erkennenden. Und die Mehrzahl der in ihr agierenden anthropomorphen Kreaturen existiert tatsächlich nur, um den wenigen Strafgefangenen den auferlegten, ungewollten Aufenthalt an diesem trostlosen Ort der Verdammnis so unangenehm und degoutant wie nur irgend möglich zu gestalten.

XLIII

Kants Kategorischer Imperativ „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne78“ ist in Anbetracht der geistig unzulänglichen und allzeit gewaltbereiten Menschheit völlig realitätsinkompatibel, da die anthropomorphen Kreaturen a priori nicht einmal ansatzweise in der verheißungsvollen Lage sind, die weitreichenden und vernetzten Konsequenzen ihrer plan- wie ziellosen Aktionen richtig einzuschätzen. Außerdem erweist sich dieses grundsätzlich interessante Aperçu bei genauerer Betrachtung als absolut standpunktabhängig, denn was für den einen durchaus Gesetz werden könnte, stellt sich für einen anderen als grundsätzlich inakzeptabel dar (per exemplum legalisierte Gewaltanwendung oder die aktive Unterstützung subversiver Strukturen in Gegenden mit abweichender Gesinnung).

XLIV

Die Welt ist unglücklicherweise lange schon nicht mehr das, was sie einmal war (damals, vor der zwangsweisen Seßhaftwerdung der übriggebliebenen Hominiden) – leider scheint für die anthropomorphen Kreaturen Zivilisation prinzipiell und seit jeher gleichbedeutend mit Naturvernichtung und Umweltverschmutzung zu sein. Sie verwechseln permanent ein bedachtsames ‚sich untertan machen’ mit exhaustiver, sinn- wie rücksichtsloser Exploitation. Die gegenwärtige Gehirngröße des angeblichen homo sapiens reicht wohl doch noch nicht aus, um ein vorausschauendes, zukunftsverträgliches Leben im fürsorglichen Einklang mit den begrenzt vorhandenen Ressourcen unseres Planeten zu gestalten. Andererseits heißt es bei einigen hochgelahrten Fachkoryphäen, der mikrologische Mensch verwende tatsächlich nur etwa 10 Prozent seines eigentlich vorhandenen geistigen Leistungspotentials; letztendlich fehlt ihm schlicht und einfach der intrinsische Wunsch bzw. Zwang zu denken – d.h. er kann es zwar (zumindest sollte er es können), muß es aber nicht (bedauerlicherweise), und deswegen tut er es nicht (locus minoris resistentiae79). Die meisten Erdenbürger leben leider immer noch so, als würde geistige Aktivität heftigste Schmerzen bereiten oder irgendeine unzüchtige Obszönität darstellen. Ein fundamentales simple life als human vegetable läßt sie ihren trostlosen Alltag überstehen, sie laborieren und dilettieren im geistigen Amöbenstadium jahrein, jahraus ebenso ziel- wie planlos vor sich hin, bis der schwarze Mann mit der Sense kommt; dumm geboren, dumm gelebt, dumm gestorben – und dazwischen nichts dazugelernt. Wer sagt, die Menschheit wäre nicht deprimierend, der kennt sie einfach nicht…

XLV

Die schmerzfreie Hinrichtung sollte für den Verurteilten aus Humanität eine frei wählbare Alternative zur lebenslänglichen Freiheitsstrafe sein…

78 Kant 198679 Der Ort des geringsten Widerstandes (– das menschliche Gehirn)

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XLVI

Manchmal erscheint es wesentlich angenehmer, einen ganzen Tag lang eine leere, fensterlose Wand anzustarren, als sich auch nur eine Sekunde in die städtische Wildnis zu bemühen, sich freiwillig unter stumpfsinnige, latent gewaltbereite anthropomorphe Kreaturen zu begeben. Nackte Wände hingegen können durchaus entspannend und unglaublich inspirierend sein; außerdem belästigen sie einen nicht permanent mit ihrem unüberlegten, konfusen und langweilig-lächerlichen Gewäsch – ihre stumme Anwesenheit beleidigt nicht…

XLVII

Die beste Ideologie ist, keiner anzugehören – vor allem keiner etablierten…

XLVIII

Der Terminus ‚Krone der Schöpfung’ impliziert eine bereits abgeschlossene Entwicklung – sollen, müssen wir uns wirklich mit dem zufriedengeben?

XLIX

Wer die Menschheit kennt, der weiß, was ich meide…

L

Menschen sind ein gefährliches mixtum compositum aus personifizierter Unzulänglichkeit und überschäumendem Egoismus, latent gepaart mit einer fatalen Gewaltbereitschaft – nackte Affen mit einem Fünkchen kalter, sich selbst feindlich gesinnter Intellektualität.

LI

‚Die Hölle, das sind die anderen’, textete Sartre in seinem anno 1944 uraufgeführten Drama Huis-clos80 (Geschlossene Gesellschaft)81. Und er hatte recht – je weniger man sich mit geistigen Versagern und gewaltbereiten Schwachköpfen abgeben muß, desto weniger Hölle hat man auf Erden.

LII

Der tagtäglich wiederkehrende Stumpfsinn stumpft die Menschen ab – nomen est omen –, da verwundert es nicht, daß die meisten so sind, wie sie sind…

LIII

Die Gedanken sind frei – doch sie sollten schweifen und nicht kreisen…

LIV

An manchen Tagen, meist nach einer schlechten, schlaflosen Nacht, ist meine Psyche derart reduziert und desorganisiert, daß sich bei jedem Gewahrwerden einer anthropomorphen Kreatur mein Magen umdreht und der desillusionierte Geist sich windend sträubt. An solchen

80 Wörtlich: Bei geschlossenen Türen81 Sartre 1986

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Tagen möchte ich am liebsten in meinem Zimmer bleiben und ihn unbeachtet vorüberziehen lassen, was aber auf Grund eines abhängigen Arbeitsverhältnisses selten geht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit einer permanenten Übelkeit und halb bewußtlos durch den grausigen Tag zu schleppen. Leider häufen sich solche deprimierenden Tage in letzter Zeit…

LV

Die vollkommen gehirn- und sinnfreien nachmittäglichen Talkshows erfreuen sich seit vielen Jahren ungebrochener Beliebtheit. Warum ist das so? Zumeist sehen die Konsumenten auf der Mattscheibe Personen, die ihnen a priori geistig haushoch überlegen sind – z.B. bei Nachrichten-, Politik- oder Wissenssendungen –, da freuen sie sich eben, wenn sie zumindest vorübergehend das Gefühl haben, daß jemand noch dümmer, überflüssiger und peinlicher ist, als sie selbst – parva leves capiunt animos82.

LVI

…und was erwarten Sie noch in ihrem Leben? – Ein schmerzfreies Ende…

LVII

Je mehr ich über die Menschen erfahren muß, desto weniger drängt es mich, mein Zimmer zu verlassen…

LVIII

…auch wenn es manche noch so unbeirrbar glauben mögen – die Gegenwart läßt sich nicht vollständig und auf Dauer ausgrenzen…

LIX

Das nackte Grauen, der unerbittliche Albtraum des täglichen Lebens beginnt mit dem gnadenlosen morgendlichen Erwachen…

LX

Die gesamte Menschheit (und mit ihr der ganze Planet Erde, respektive unser Sonnensystem in toto) erzeigt sich letztlich nur als ein winziges, unbedeutendes Sandkörnchen in der schier endlosen Wüste des Raumes und der Zeit – uninteressant, überflüssig und belanglos sub specie aeternitatis83. Warum nimmt sie sich trotzdem so überaus wichtig? Hybrider Größenwahn einer absoluten Nichtigkeit…

LXI

Das Leben besteht aus einer ununterbrochenen Reihe akzidenteller biologischer und soziokultureller Abhängigkeiten, ohne die es zwar bedeutend sympathischer wäre, aber bedauerlicherweise nicht funktioniert.

LXII

82 Kleines nimmt kleine Geister ein (Ovid, Ars amatoria)83 Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit (Spinoza, Ethica more geometrico demonstrata)

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Es sollte eine akzeptable Alternative zur Existenz geben…

LXIII

Manch relativ offenherzige, dekuvrierende Äußerung sollte tunlichst inkognito erfolgen – wahlweise auch post mortem –, denn wie hieß es schon bei Shakespeares ‚Julius Cäsar’? He thinks too much; such men are dangerous84 – und die möglichen Konsequenzen dementsprechend unabsehbar.

LXIV

Die Natur ist leider immer so überschäumend ungehemmt und so selbstzerstörerisch experimentierfreudig – denn wenn sie nach geglückter Erschaffung der Flora selbstgenügsam innegehalten und sich fortan nur noch dieser gewidmet hätte, würde es ihr heute sicherlich besser gehen…

LXV

Gesundheit erweist sich als ein betäubendes Opiat – erst die Krankheit zeigt die unerträgliche Wahrheit der temporären Existenz.

LXVI

Der unerträgliche Unverstand der Welt widert mich an…

LXVII

Es dauert mich zu sehen, wie sich bis heute all die unzulänglichen anthropomorphen Kreaturen geistig blind und permanent knietief in Blut watend durch die vielen verlorenen Jahrhunderte schleppen. Τέτλαθι δή, κραδιη, καί κύντερον άλλο ποτ’έτλης85… Wie viele Säkula, wie viele Millennien mögen wohl noch ungenutzt ins Land gehen, bevor sie endlich ‚vermenschlichen’ – oder, anders formuliert, bevor aus dem angeblich denkfähigen homo sapiens ein wirklich denkender homo sapiens wird? Oder wäre eine auslöschende Zäsur, ein schnelles Ende besser? Ein kurzer, knackiger Omnizid? Wenigstens hätte dann die geschundene Erde wieder ihren natürlichen Gang…zumindest, nachdem der Großteil unserer giftigsten Hinterlassenschaften ihren biologisch-organischen Abbau erfahren hat – was allein schon ein paar Jahrhunderttausende dauern könnte; wenn wir Menschen etwas machen, dann machen wir es gründlich…

LXVIII

An manch trostlosen Tagen fällt mir außer einer banalen Grußfloskel kein weiteres Wort ein, welches ich mit einem Gegenüber wechseln könnte; alles erscheint bedeutungslos und nicht wert, gesagt zu werden.

LXIX

Die weitverbreitete diffuse ‚Angst vor dem Tode’ (– nicht zu verwechseln mit ‚Todesangst’, welche im Gegensatz zur vorgenannten immer ein akutes und situationsbezogenes Phänomen

84 Er denkt zuviel; solche Leute sind gefährlich85 Halte denn aus, Herz, noch Hündischeres hast du schon ausgehalten… (Homer, Odyssee)

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darstellt –) erweist sich im Prinzip nur als eine traditionell inkorrekte Formulierung, denn eigentlich fürchten die meisten Menschen weniger das, was sie im bzw. nach dem Tode erwartet; sie fürchten sich vielmehr davor, daß der existenzauslöschende Übergang, der biologische Zeitpunkt des unvermeidbaren eigenen Ablebens, ein langwieriger, schmerzhafter und qualvoller Prozeß sein könnte. Die amphibolische Expression ‚Tod’ in dieser Phrase repräsentiert demnach nicht den letztendlichen Zustand des Gestorbenseins selbst, sondern bloß den variablen Zeitrahmen des persönlichen Dahinscheidens.

LXX

Zivilisationsgesellschaften entstehen und vergehen – die menschliche Dummheit bleibt.

LXXI

Die meisten der gefährlichen, auszehrenden Parasiten haben nicht mehr als vier Beine, sondern weniger…

LXXII

Im Prinzip wird man geboren, um auf den Tod zu warten – doch bis der eintritt, kann es sich ganz schön hinziehen…

LXXIII

Der Winter naht, die ersten Schneeflocken fallen – ist das nicht niederschmetternd? So gerät man übergangslos von der Herbst- in die Winterdepression…

LXXIV

Menschen sind für deprimierte Gesellschaftsanachoreten ein malum in se86, aber selbst für den standhaftesten unter ihnen bisweilen ein unvermeidbares malum necessarium87.

LXXV

Bereits ein halbes Jahrtausend vor der Zeitenwende trug der Apollontempel in Delphi die Inschrift γνώθι σεαυτόν88, was in etwa erkenne, daß du ein Mensch bist bedeutet. Doch bis heute haben es die wenigsten geschafft – weder das Erkennen noch das Menschsein…

LXXVI

Die allmorgendlich aufkeimende Panik vor dem Aufstehen generiert sich u.a. aus der tiefsitzenden Angst, sich an den geistigen Unzulänglichkeiten der anderen zu infizieren – und auch zu so einer anthropomorphen Kreatur zu mutieren. Das täglich wiederkehrende Morgengrauen…

LXXVII

Leben ist die betäubende Flucht vor dem unvermeidlichen Nichts.

86 Ein Übel an sich87 Ein notwendiges Übel (Aelius Lampridius, Alexander Severus)88 Erkenne dich selbst (Platon, Protagoras)

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LXXVIII

Es deprimiert, die komplexen Zusammenhänge und klandestinen Wechselbeziehungen der vielschichtigen Gesellschaftsprobleme zu erkennen, aber nicht in der strategischen Position zu sein, sich effektiv politisches Gehör verschaffen zu können, um diese Beschwernisse zu verringern oder ganz zu beseitigen; man fühlt sich wie Kassandra – keiner hört einem wirklich zu (– und vor allem nicht die, welche die gesellschaftliche oder politische Möglichkeit hätten, tatsächlich etwas zu ändern)…

LXXIX

Die vielfach angestrebte jenseitige Unsterblichkeit impliziert einen nichtendenwollenden Wahnsinn der Monotonie, einen katatonisch-kataplektischen Zustand der ebenso reiz- wie trostlosen Ödnis…

LXXX

Der Mensch ist die Negierung und der Untergang jeglicher Zivilisation – inutile terrae pondus89…

LXXXI

Die chthonische Menschheit schlingert unkoordiniert und chaotisch vor sich hin – und das mit nur einem Ziel: die eigene Vernichtung, den Omnizid. Nur hält diese grausame Agonie bereits seit Jahrtausenden an…

LXXXII

Schlaf ist die kleine, feine Flucht der Weltüberdrüssigen.

LXXXIII

Transzendentalphilosophie erweist sich dank ihrer inspirierenden Gedankenspiele als ein netter, innovativer, geistig erfrischender Zeitvertreib – nur sollte sie von allen Beteiligten nicht so ernst genommen werden. Meine empiristische gesellschaftskritische Antiphilosophie hingegen reflektiert mehr die potentielle Praktikabilität, die harte, tagtägliche soziokulturelle Wirklichkeit (– doch auch sie sollte nicht unbedingt so ernst genommen werden). Wobei es sich als eindeutig belastender für eine sensitive Psyche erweist, sich differenziert mit dem zu befassen, was tatsächlich ist (– dem alltäglich wiederkehrenden Grauen –), als mit dem, was eventuell sein könnte…

LXXXIV

Leider konnten sich die anthropomorphen Kreaturen bis heute nicht angemessen in die Natur integrieren – im krassen Gegenteil, sie halten sich tatsächlich immer noch für eine Art ‚Krone der Schöpfung’…

LXXXV

89 Ein unnützes Gewicht für die Erde (Ludvig Holberg, Niels Klim)

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Manch prima facie wohlpositionierter Functionarius mutiert des öfteren unerwartet abrupt zu einem Defunctus (je nach geographischem Einsatzort und Branche). Profession kann eben unvermutet tödlich sein…

LXXXVI

Nur der menschliche Körper ist in der Gegenwart angekommen, sein Geist weilt noch in antediluvianischen Zeiten…

LXXXVII

Kein Mensch ist unersetzlich – im Gegenteil! Die meisten sind sogar absolut überflüssig…

LXXXVIII

Einige Philosophen begehen in ihren schriftlichen Ausführungen den gedanklichen Lapsus, das Phänomen der Zeit einzig und allein mit dem oder über das Sein definieren zu wollen. Doch was bringt sie auf die befremdliche Notion, daß beide subjektiv bzw. gegenwärtig kohärenten Komplexe unbedingt und grundsätzlich gekoppelt sein müssen? Das Sein existiert zweifelsohne nur mit und in der Zeit, denn es bedarf der linearen Kontinuität in selbiger; doch den Vorgang der Zeit gibt es sicherlich auch ohne Sein, nur ist dann eben niemand anwesend, der dies verifizieren und beschreiben könnte (– für wen denn auch?). Und daß es irgendeine Zeit vor der Zeit gab, beweist allein die naturwissenschaftliche Tatsache des real abgelaufenen Urknalls vor etwa 14 Milliarden Jahren90. Wenn es vor diesem fundamentalen astrophysikalischen Ereignis keine wie auch immer geartete Zeit gegeben hätte, wäre es definitiv auch zu keinem Big Bang gekommen, denn ohne den minimalen Ansatz einer arbiträren zeitlichen Abfolge herrschte eine starre, stuporöse, sterile Statik in saecula saeculorum91. Was aber selbstredend nicht heißt, beide hier konkretisierten Zeiten, die innere und die äußere, seien physikalisch similär oder gar identisch; durch den Urknall entstanden im Kosmosinneren die räumlichen Dimensionen und die interne Zeit, wie wir sie kennen – vorher, respektive außerhalb unseres Universums kann, ja, wird eine völlig andere, die externe Zeit, präsent sein (gleiches gilt natürlicherweise auch für die Raumdimensionen). Doch solange wir nicht auf technischem Wege die umschließenden, immer noch expandierenden Grenzen des Alls, dessen gigantischer Durchmesser mittlerweile knappe 100 Milliarden Lichtjahre92 beträgt93, überwinden können, werden wir mögliche Differenzen in der Zeit aus eigenem praktischen Vermögen vermutlich nie erfahren.

LXXXIX

Während mancher Phasen schlafe ich 15 bis 20 Stunden am Tag – die restliche Zeit über bin ich müde…und wenn ich wieder zu mir komme, muß ich immer wieder feststellen: es hat sich nicht das geringste verändert, ich habe nichts verpaßt – jedenfalls nichts Wesentliches…man müßte ein Jahrzehnt, ein ganzes Jahrhundert verschlafen können, dadurch erschiene der menschliche Niedergang eindrucksvoller, drastischer…und überflüssiger…

XC

90 13,7 (± 0,5) x 109 Jahre91 In alle Ewigkeit92 Ein Lichtjahr beträgt 9,5 x 1012 km93 96 (± 4) x 109 Lichtjahre

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Stumpfsinn und alltägliche Wiederholung charakterisiert die Majorität der anerkannten Berufe in unserer hochspezialisierten Zivilisationsgesellschaft – das würde doch eigentlich heißen, nur vermittels der permanenten Betäubung durch monotone, ennuyante Arbeit wird die gemeine Menschheit von der freien Entfaltung ihres Geistes, von der aktiven Erweiterung ihres Wissens abgehalten. Obwohl, wenn man sich dann so einen schlaffen, gelangweilten Langzeitarbeitslosen ansehen muß, der nur zur Blasen- und Darmentleerung zwangsweise sein Sofa verläßt (salva venia94), könnte man fast das direkte Gegenteil annehmen: permanentes Nichtstun stupidisiert. Doch das eigentliche Problem ist hier, daß die meisten der anthropomorphen Kreaturen, wenn sie völlig frei und ohne sozialökonomische Restriktionen über ihre Zeit entscheiden können, mit sich schlechterdings nichts konstruktives anzufangen wissen, keine anregenden Hobbies pflegen und obendrein mit einem ausnehmend hartnäckigen Desinteresse der Umwelt gegenüber ausgestattet sind. Sie huldigen lieber dem äußerst bequemen mentalen status quo, als daß sie ihre Tage mit einer sinnvollen, lebensbereichernden Tätigkeit verbringen. Traurig, diese unkreative und kritiklose Gattung Mensch – und dann wundern sie sich auch noch, daß die morbide Welt so ist, wie sie eben ist…

XCI

Ein junger und ein alter Geist sind sich ziemlich ähnlich – was der junge noch nicht weiß, hat der alte schon wieder vergessen.

XCII

Gehirnjogging ist förderlich und gesund – Pech nur, wenn es nicht wieder zurückkommt…

XCIII

…nächste Woche läuft der Film Allein unter Idioten95 im Fernsehen96 – den brauche ich mir gar nicht anzusehen, denn das habe ich jeden Tag…

XCIV

Ich schleppe mich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, doch anstatt daß ich mich langsam daran gewöhne, fällt es mir täglich schwerer…

XCV

Ein Studium zum diplomierten Tierpsychologen besteht bis zu 75 Prozent aus Humanpsychologie, denn meist sind nicht die armen Tiere neurotisch und/oder psychotisch, sondern ihre überforderten Halter (– der kleine Rest von im Prinzip mental ausgeglichenen Tierhaltern hat schlichte zwischenkreatürliche Kommunikationsdefizite).

XCVI

Das geistige Potential der Menschheit wäre so schlecht nicht, nur versteht sie es einfach nicht, diese unglaublichen Leistungsreserven positiv zu nutzen – ihr fehlt einfach der unbedingt nötige Blick für das Wesentliche, wirklich Wichtige. Statt dessen ergehen sie sich mit

94 Mit Verlaub95 Fatal Instinct/Crazy Instinct – Allein unter Idioten, USA 1993, Regie: Carl Reiner96 Das Vierte, 19.12.2006, 2015

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inbrünstiger Hingabe in absolut irrelevanten Spitzfindigkeiten und unangebrachten Animositäten.

XCVII

Chronischer, schubweise aufflackernder, sich sukzessiv verstärkender multifokaler Schmerz auf seinem jeweiligen Kulminationspunkt schärft und trübt während dieser pseudotranszendenten Phase gleichzeitig den analytischen Geist; er reduziert intermittierend die psychosoziale Wahrnehmung auf ein absolut holistisches Minimum, auf das primär Wesentliche. In diesem zentrierten Zustand gewahrt man, halb gelangweilt, halb amüsiert, fast wie ein gleichgültig-unbeteiligter Außenstehender, die fundamentale, allumfassende Vergänglichkeit des Bestehenden, das wirre Gewusel der doch immer gleichen zwischenmenschlichen Relationen und all die negativ-mikrologischen Egoismen der latent gewaltbereiten anthropomorphen Kreaturen – die unsägliche Nichtigkeit der quasimenschlichen Existenz und die völlige Sinnlosigkeit des individuellen Seins…

XCVIII

Als das primäre und dringendste Problem philanthropisch-philosophisch arrangierter Sozialethikkonstrukte, welche das subjektive menschliche Zusammenleben in der Gesellschaft positiv-konstruktiv begünstigen möchten und die per exemplum solch friedfertige Elemente wie Toleranz, Gewaltlosigkeit, Humanität und Altruismus einbegreifen, erweist sich ihre bedauernswert grundsätzliche und konstante Realitätsinkompatibilität. Der stete irdische Alltag unserer bipedischen Spezies erscheint leider immer wieder als ein allzu schwacher und undisziplinierter im Geiste. Zum einen erfährt überhaupt nur eine mehr oder weniger interessierte Minderheit von der schriftlichen Existenz solch kreativer Intelligenzprodukte, und zum anderen würden sich wohl die wenigsten Erdenbewohner an diese proklamierten irenischen gesellschaftsmoralischen Imperative halten, wenn sie denn tatsächlich von ihnen wüßten, da sowohl lethargisch-katatonische Ignoranz als auch kleingeistiger Egoismus gepaart mit subversiver Intriganz und latenter Gewaltbereitschaft eine weitaus größere Attraktion und Opportunität in sich tragen; und zuvörderst wird an sich gedacht: ‚Hauptsache, mir geht es gut, und nach mir die Sintflut. Was interessiert mich schon das Fortbestehen der Welt, ihre Geschichte, oder mein unbekannter Nachbar? In hundert Jahren bin ich ohnehin tot, und somit ist eh alles egal – proximus sum egomet mihi97.’ Mit anderen, präzisierenden Worten, cum hac parte rem publicam non confio98, zumindest nicht auf absehbare Zeit – dazu sind wir viel zu traditionsbewußt und vergangenheitsverhaftet. Denn erst müssen sich die fundamentalen, verhaltensprägenden Wertevorstellungen in den obstinat mikrologischen Köpfen der anthropomorphen Kreaturen ändern – sofern das ihre phlegmatischen Gehirnwindungen überhaupt zulassen –, dann erst kann man vorsichtig versuchen, Menschen zu ändern99.

XCIX

Das tägliche Fernsehprogramm ist wie das Leben – alles belanglose Wiederholungen…

C

97 Ich bin mir selbst der Nächste (Terenz, Andria)98 Mit dieser Partei ist kein Staat zu machen99 Vgl. Spreewinkl 2006a, S. 206 ff.

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Menschen, anthropomorphe Kreaturen – soll man sie nun verdammen oder bedauern? Permanent mißachten geht schlecht, schließlich ist man auch so einer – zumindest optisch…

CI

Was du nicht vergessen kannst, verdränge (damnatio memoriae100)…

CII

Es ist schon erstaunlich (und ziemlich deprimierend): unsere unentwegt und frohgemut müllproduzierende Zivilisationsgesellschaft besteht erst etwa seit zehn- bis zwölftausend Jahren, aber unsere giftigen Abfälle strahlen noch mindestens für mehrere Jahrhunderttausende. Die anthropomorphen Kreaturen werden den gequälten Planeten sogar dann noch aktiv verseuchen, wenn sie selbst schon lange zugrundegegangen und ausgestorben sind…die unheiligen Geister der Vergangenheit…

CIII

Man müßte Pflanze oder Tier sein – nur im Hier und Jetzt leben, ohne die freudlose Vergangenheit oder die niederschmetternde Zukunft sehen zu müssen…

CIV

Die Welt, die Menschheit kann man einfach nicht ernstnehmen…

CV

Wer von den Menschen absolut nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden – wer von den Menschen jedoch stets das Schlimmste erwartet, wird ebenfalls nicht enttäuscht. Die immerdar mikrologisch-unidirektional agierenden anthropomorphen Kreaturen sind so langweilig berechenbar…

CVI

quid tibi vitandum praecipue existimem, quaeris: turbam101. Dem kann man sich nur voll und ganz anschließen – die intellektreduzierte, triebgesteuerte, omnipräsente massa perditionis102…

CVII

Manch erbarmungswürdige Individuen vegetieren Zeit ihres kümmerlichen Lebens im Konjunktiv – ‚…wenn ich das nur vorher gewußt hätte, wäre bestimmt alles ganz anders geworden…’

CVIII

Der Mensch ist der Untergang, der Tod der Menschlichkeit.

100 Verdammung des Gedenkens101 Du fragst, was du meiner Meinung nach vor allem meiden solltest: die große Masse (Seneca, Epistulae morales ad Licilium)102 Masse der Verdammten

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CIX

Wenn man sich manch freudestrahlende Dauerwerbesendung ansieht, fragt man sich des öfteren, wie die Menschheit bis jetzt ohne das beworbene Produkt überhaupt überleben konnte…

CX

Der progrediente Niedergang der Natur begann mit dem kometenhaften Aufstieg des Menschen, als er sich nach der letzten Eiszeit Ackerbau und Viehzucht erschloß. Bis zum Beginn des Industriezeitalters konnte sie sich noch einigermaßen der zerstörerischen Parasiten erwehren, danach jedoch ging es zunehmend und immer schneller bergab. Aber so sind die egoistischen Menschen – sie sägen freudig an dem Ast, auf dem sie sitzen, und wenn die Katastrophe eingetreten ist, will es wieder niemand gewesen sein.

CXI

Des öfteren schon wurde mir von meinen aufmerksamen Lektoren zugetragen, daß der defaitistische, zynische Nihilismus, den ich zuweilen in meinen Schriften an den tristen Tag lege, sich mitunter hervorragend dazu eignet, den emotional überstrapazierten Erdenbürgern ihren heißgeliebten Lebenssinn zu nehmen – die Veröffentlichungen implizieren und vermitteln den Leuten einen massiven horror vacui103. Na sowas – anstatt sich an der gerade neugewonnenen Unabhängigkeit des unbegrenzten Geistes und des doktrinbefreiten Denkens zu erfreuen, anstatt ideologisch unbeschwert exotische Mentalwelten und nie gekannte spirituelle Aspekte zu entdecken, anstatt endlich dogmatisch unbelastet realistisches, verifizierbares, ‚wirkliches’ Weltwissen zu sammeln und zu erforschen, hängen sie also lieber ihrem kleinen, archaischen ‚Sinn des Lebens’ nach. Das individuelle menschliche Leben braucht ihrer haltsuchenden Meinung nach einen bestimmten Sinn? Wohlan, hier ist einer: Der chthonische Mensch, jeder einzelne der gegenwärtig etwa 6,6 Milliarden104,105 , hat soviel Sinn oder Nicht-Sinn, wie jedes andere auf dieser weiten Erde lebende Tier oder Pflanzengewächs auch, nämlich die aktive physische Fortführung bzw. biologische Weiterentwicklung seiner Art, und somit des organischen Lebens katexochen. Der spezielle, tiefere Sinn der Menschheit jedoch ist, auf Grund ihrer geringfügig höheren Intelligenz und ihres exzeptionellen Selbstbewußtseins, dies alles, die Natur, die Tiere und die Pflanzen, bedachtsam in ihr ephemeres Dasein zu integrieren, zu schützen und zu fördern, und, wenn technologisch möglich, im futuristischen Rahmen einer sukzessiven kosmischen Evolution auch auf andere hierfür prädestinierte Planeten anzusiedeln (denn das Leben per se geht mit Sicherheit weiter – wenn nicht hier in unserem heimatlichen Sonnensystem, dann eben woanders; mit Mensch, oder ohne) – bevor die allzeit gewaltbereiten nackten Hominiden dem allen hier auf Erden, und obendrein sich selbst in einem exorbitanten apokalyptischen Omnizid, den Garaus machen. Doch leider zeigen sich die unzulänglichen anthropomorphen Kreaturen seit ihren akzidentellen, dunkelsten Anfängen eher letzterem zugeneigt, als daß sie sich vorbehaltlos mit einer gemeinsam zu errichtenden, konstruktiven, lebenswerten Zukunft beschäftigten – für die erbärmliche Mehrheit von ihnen besteht der essentielle Sinn ihres armseligen Lebens schlicht in der rücksichtslosen persönlichen Bereicherung. Hauptsache, mir geht es gut, und nach mir die Sintflut; proximus sum egomet mihi106, notierte bereits

103 Das Grauen vor der Leere104 Stand: August 2006105 Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) (www.weltbevoelkerung.de)106 Ich bin mir selbst der Nächste (Andria)

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Terenz 200 Jahre vor der Zeitenwende, und Plautus, ebenfalls ein berühmter römischer Komödienautor, konstatierte beinahe zeitgleich: tunica propior pallio est107. Kleingeist, Desinteresse und Egoismus – euer Name ist Mensch…

CXII

Kein noch so gutes und teures Parfum kann die geistige Unzulänglichkeit seines Trägers überdecken. Man erkennt es immer wieder (sobald er den Mund aufmacht) – ein unsensibler Trampel bleibt ein unsensibler Trampel, auch wenn er gut riecht oder maßgeschneiderte Designeranzüge trägt (simia simia est, etiamsi aurea gestet insignia108).

CXIII

Es gibt drei Arten von Menschen: die Skrupellosen, die Erkennenden und die Masse. Die Skrupellosen steigen auf, die Erkennenden gehen unter, und die Masse – ist eben die Masse; Wahlvieh, Zählvolk, willfähriges wie austauschbares politisches und religiöses Kanonenfutter – schlicht: die massa perditionis109…

CXIV

Die wahrhaftige, ehrliche Toleranz, die unserer destruktiven und gewalttätigen Welt der permanenten ideologischen Subversion fehlt, zeigte bereits vor 400 Jahren Rupertus Meldenius in seiner irenisch-altruistischen Sentenz in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas110. Schön wär’s…

CXV

Gewalttätigkeit unter Menschen ist eindeutig anachronistischer Atavismus.

CXVI

Was immer jemand auch anfängt, früher oder später wird er dafür büßen müssen. Also am besten gar nicht erst beginnen…

CXVII

Körperliche Länge hat rein gar nichts mit geistiger Größe zu tun.

CXVIII

Einige der anthropomorphen Kreaturen sind einfach nur ‚gut’ – und in ihrem gnadenlosen ‚Gutsein’ so exorbitant naiv, daß sie tatsächlich glauben, alle anderen wären genauso. Solch realitätsabstinente Individuen sind außerordentlich gefährlich…

107 Das Hemd ist einem näher als der Rock (Trinummus)108 Ein Affe ist ein Affe, auch wenn er goldene Ehrenzeichen trägt (Erasmus, Adagia)109 Masse der Verdammten110 Original: in necesariis unita, in non-necesariis liberta, in utrisque charita – im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem Liebe (Paraenesis votiva pro pace Ecclesia ad Theologos Augustanae Confessionis auctore Ruperto Meldenio Theologo [Flehentliche Ermahnung zum Kirchenfrieden an die Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses]); dieses altruistische Apophthegma wird des öfteren irrtümlich Augustinus von Hippo zugesprochen

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CXIX

Das einzige, worin sich die organische Zellanhäufung Mensch von anderen Tieren unterscheidet, ist seine etwas differenziertere Artikulationsmöglichkeit – und die für die letztgenannten zwangsläufig daraus folgenden intellektuellen und kognitiven Defizite (beispielsweise eine fehlende Schrift)…

CXX

Die Welt, die große nochblaue Erde, zeigt sich als ein lebender autonomer Organismus, der bedauerlicherweise seinen eigenen Untergang provoziert und produziert. Mit der exzeptionellen Erschaffung der chthonischen Parasiten, den anthropomorphen Kreaturen, läutete sie einst irrtümlich ihr eigenes Verderben ein, makroskopisch eindeutig sichtbar an den wildwuchernden Krebsgeschwüren namens ‚Städte’ sowie der explosionsartigen Zunahme und der generalisierten Verbreitung der bipedischen Schädlinge. Und leider wird die maligne und konsumierende Krankheit ‚Mensch’ tödlich enden…

CXXI

Als ausgleichende Gerechtigkeit (poetic justice) sollten Tierquäler den Löwen, bzw. deren modernem Äquivalent, den Kampfhunden, vorgeworfen werden – ad bestias111 mit den Idioten! Obwohl – bei einer solchen Anhäufung menschlichen Unrats würden sich die armen Tierchen wohl nur den Magen verderben…

CXXII

Es geht immer besser – doch das ist für die Verantwortlichen meist nicht profitabel…

CXXIII

…und schon wieder sehe ich mir eine Nachrichtensendung im TV an – ich muß ein Masochist sein…

CXXIV

Wenn jeder wirklich das machen könnte, was er gern würde, wäre ich bestimmt nicht hier…

CXXV

Physische Gewaltanwendung ist eine primitive, steinzeitliche, geist- wie stillose Ausdrucksform aus fernster Vergangenheit, und eines sogenannten modernen Menschen, eines homo sapiens, oder was auch immer sich für einen solchen hält, schlicht nicht würdig. Οΰτοι ουνέχθειν άλλά συμφιλείν έφυν112, sollte das oberste Gebot unserer angeblich so zivilisierten Menschheit sein.

CXXVI

Wie entstand die Moral, das ethische Verantwortungsgefühl des Menschen? Dieser theoretischen Frage gingen im Lauf der vergangenen Jahrtausende bereits unzählige

111 Zu den Tieren112 Nicht doch mitzuhassen, sondern mitzulieben bin ich geboren (Sophokles, Antigone)

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Philosophen nach, leider mit ebenso unzähligen, partiell diametralen Resultaten. So wurde per exemplum versucht, das Phänomen der menschlichen Moral soziobiologisch, genetisch oder zivilisatorisch (z.B. als zwangsläufige Folge der Sprache, oder durch Seßhaftwerdung und Staatenbildung veranlaßt) zu erklären, andere behaupten gar, sie wäre ein solitärer, autonomer Bereich, den man grundsätzlich nicht nach seinem Woher befragen könne. Meiner Ansicht nach war der archaische Mensch seit dem historischen Augenblick seiner Hominisation, also mit dem ersten zarten Fünkchen Selbsterkenntnis, dem originären Erwachen des Bewußtseins, moralisch, allein aus der Qualität seiner exklusiven Selbstwahrnehmung heraus – moralisch im einfachen Rahmen seiner frühzeitlichen Möglichkeiten. Der nunmehr denkfähige Mensch (homo sapiens) erkannte, daß er von diesem epochalen Moment an mehr war und konnte als die anderen Tiere, daß er sozusagen etwas Besonderes, Einzigartiges auf dieser Welt darstellte – und er fand sich in seinem gleichsam menschlichen Gegenüber –, dementsprechend individuell ging er fortan mit seinesgleichen um; – die endgültige Auflösung der festen Verdrahtungen. Der exzeptionelle Zeitpunkt der Menschwerdung war also gleichzeitig die Geburt der Primärmoralität, der Ursprung einer elementaren Ursittlichkeit, aus der sich in der Folge auf Grund verschiedener Lebens- und Anschauungsformen in der weltweit verbreiteten menschlichen Population diverse mehr oder weniger uneinheitliche Ethiken ausbildeten. Das bedeutet aber auch, daß die heute oft gestellte Frage Was ist Moral bzw. moralisch? in dieser einfachen Form schlicht nicht mehr beantwortet werden kann, da eine universelle ethische Einheit in der menschlichen Gesellschaft schon lange nicht mehr gegeben ist – quot homines, tot sententiae113, ist die Realität der Gegenwart. [Nachtrag: Die einzig mögliche Alternative zu dieser These wäre schrecklich und entmutigend, aber auch denkbar: Die Menschen sind von Natur aus unmoralisch, sind es noch heute, und das, was sie Moral nennen, ist nur die seit Jahrhunderten andauernde ideologische Indoktrination Weniger, um die tumbe Masse einigermaßen zu kontrollieren]

CXXVII

Kritiker haben schon mehrfach postuliert, ich delektiere mich an meinen zyklisch wiederkehrenden Depressionen. Aber warum auch nicht? Sich mit seinen diversen physischen wie psychischen Gebrechen konstruktiv zu arrangieren ist mit Sicherheit besser, als nur trist und pessimistisch vor sich hin zu leiden und die Wand anzustarren – obwohl…auch eine Wand hat ihre spirituellen Qualitäten…

CXXVIII

Soziokulturelle Inkompetenz und interindividuelle Insuffizienz basieren nur sekundär auf mangelnder Intelligenz – es gibt durchaus kluge Erdenbürger mit ausgeprägt hochstehendem Wissen, die aber trotzdem nicht in der Lage sind, ohne Probleme mit einem Aufzug zu fahren oder sich menschlich zu benehmen.

CXXIX

Der temporäre Aufenthalt auf dem Planeten Erde wäre sicherlich angenehmer, wenn es die allgegenwärtigen pseudointellektuellen Halbaffen, die ennuyierenden anthropomorphen Kreaturen nicht gäbe…wo sind die Menschen…?

CXXX

113 So viele Menschen, so viele Meinungen (Terenz, Phormio)

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Moderne LKWs geben ohrenbetäubende Pfeif- und Hupgeräusche von sich, wenn sie rückwärts fahren. Warum? Um die Schreie der Überfahrenen zu übertönen…

CXXXI

Wer wirklich gütig und gerecht behandelt werden möchte, ist hienieden falsch und hat sich mit der Menschheit auch noch die falsche Sozietät ausgesucht…

CXXXII

Es gibt unangenehme Individuen, bei denen die kleinste Bemerkung sofort in eine Grundsatzdiskussion ausartet, da sie felsenfest und unverrückbar auf ihre haarsträubenden Ansichten beharren, jeden winzigen Ansatz von Kritik und Ironie instantan als ungebührliche persönliche Beleidigung auffassen – und direkt zum erbarmungslosen Angriff übergehen. proprium est stultitiae aliorum vitia cernere, oblivisci suorum114. Leider kommt man meist nicht umhin, sich auch mit diesen Gestalten auseinandersetzen zu müssen…

CXXXIII

Es gibt zuwenig Authentizität in der Gesellschaft; die meisten sind entweder gar nichts oder billige Imitate – oder irgend etwas dazwischen…

CXXXIV

Warum sind die bipedischen Erdenbewohner so, wie sie eben sind? Ich glaube, ich werde sie nie wirklich verstehen, diese seltsamen Gestalten, denn sie sind der real existierende, fleischgewordene Widerspruch, ein unkoordiniert schlafwandelnder Antagonismus: sie predigen Liebe und säen Haß, sie heucheln Frieden während sie Krieg leben, sie sagen Altruismus und atmen Egoismus, sie reden weiß und handeln schwarz, sie nennen sich Menschen – und sind doch nur unzulängliche anthropomorphe Kreaturen…

CXXXV

Natürlich haben die Leute recht – zumindest teilweise –, wenn sie zu mir kommen und die arglose Meinung äußern, daß die Welt wohl doch nicht ganz so schlecht, grau und trostlos sei, wie ich sie in meinen bisweilen äußerst deprimierenden Schriften immer darstelle. Denn schließlich gäbe es auch karitative Einrichtungen, ähnlich wie amnesty international, Unicef, Greenpeace, den World wide Fund for Nature (WWF) etc., welche das alles doch ein wenig relativieren sollten. Diese gutgläubige Aussage ist im Prinzip richtig – es stimmt, es gibt diese mahnenden Institutionen, doch dieser mahnende Status ist auch schon das einzige, was sie vorzuweisen haben (– und allein die bedenkliche Tatsache, daß wir solche paränetischen Organisationen brauchen, sollte uns eigentlich zu denken geben). Weisungsbefugnisse besitzen sie keine, weder direkte noch indirekte, und ihr Kampf gegen die übermächtigen Wirtschaftskonglomerate ähnelt auch mehr dem Don Quichottes gegen die Windmühlen Kastiliens115. Letztendlich präsentieren sie sich jedoch nur als einsame, ungehörte Rufer in der Wildnis – vox clamantis in deserto (kannte schon die Bibel, Mt 3,3)116 –, welche eine

114 Eine Eigentümlichkeit der Torheit ist es, die Fehler anderer zu bemerken, die eigenen jedoch zu vergessen (Cicero, Tusculanae disputationes)115 Cervantes, El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha (Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha)116 Siehe Anhang

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minimalistische Politik der ganz kleinen Schritte und der subversiven Nadelstiche betreiben. Ab und an ein kleiner Sieg, aber ansonsten bleibt alles beim unseligen alten.

CXXXVI

Intelligenz deprimiert – vor allem, wenn man in einem ennuyanten subalternen Angestelltenverhältnis steht.

CXXXVII

Hätten die letzten Dinosaurier die ersten Säugetiere gefressen, wären wir der Erde erspart geblieben…

CXXXVIII

Warum werden in der Welt die Menschenrechte (nationale wie internationale) so wenig beachtet? Weil die Menschenrechte für Menschen entwickelt und geschrieben wurden (– das besagt doch schon der Name) – und all die unzulänglichen anthropomorphen Kreaturen, die ebenso sinn- wie grundlos den nochblauen Planeten giftig, unsicher und zur Mördergrube machen, sehen eben nur so aus…

CXXXIX

Vergil schrieb zwar: felix, qui potuit rerum cognoscere causas117, doch wenn diese ursächlichen Gründe nicht den eigenen vorgefaßten Vorstellungen entsprechen (bzw. denen, die einem jahrelang irgendwelche jederzeit austauschbaren ideologischen ‚Vorbilder’ oder ‚Lehrmeister’ eintrichterten), dann wird es selbstverständlich auch nichts mit der versprochenen Glückseligkeit.

CXL

Gesunde Ernährung ist zumeist Sache der Vernunft, und nicht des Geschmacks (– vor allem nicht des guten…)…

CXLI

Warum bedeutet ‚feiern’ eigentlich immer nur ungezügelte Völlerei und hemmungsloser Alkoholkonsum?

CXLII

Bedauerlich: jeder kennt die Definitionen von Humanität und Indulgenz, aber niemand praktiziert sie wirklich – sibi quisque proximus est118. Die paar wenigen, die sich doch an solche Modi halten, gehen in der massa perditionis119 unter…

CXLIII

Natürlich kann und darf man eine nationale Identität haben – aber man muß nicht…

117 Glücklich der, welcher es vermochte, die Urgründe des Seienden zu erkennen (Georgica)118 Jeder ist sich selbst der Nächste119 Masse der Verdammten

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CXLIV

Die meisten der anthropomorphen Kreaturen sind nicht nur abgrundtief dumm, sondern auch absolut unfähig, dies zu begreifen oder irgendwie zu kompensieren. Das Individuum muß erst noch geboren werden, welches man wirklich ‚Mensch’ nennen kann und darf.

CXLV

Der für manch Betroffenen schwer erträgliche Zustand der soziokulturellen Entwurzelung rührt nicht primär daher, daß er seiner angestammten Kultur und Tradition entrissen wird, sondern daß er eine neue aufgebürdet bekommt, bzw. daß er sich einer solchen anpassen und unterordnen muß.

CXLVI

Zuerst Bruno, der sympathisch-nonkonformistische Braunbär, jetzt Rehweißchen, das kleine unschuldige Albinokitz aus dem Erzgebirge: der mikrologisch denkende Mensch – in diesem speziellen Fall offensichtlich repräsentiert durch Sachsens Oberjäger Günter Giese, Präsident des Landesjagdverbandes Sachsen e.V. – will immer gleich alles abmurksen, was er nicht versteht, nicht in seine Norm paßt oder womit er nicht zurechtkommt. Gebt das arme Tier doch in einen Zoo oder in ein angemessenes Gehege, wenn es denn unbedingt aus der freien Wildbahn verschwinden muß. Seit vielen Jahrmillionen gibt es Albinismus, ist deswegen die Welt untergegangen oder auch nur eine einzige Tierart ausgestorben? Und was machen wir zukünftig mit den menschlichen Albinos? Sollen wir sie auch zum Schutz der Spezies umbringen? Leider sehen die hyperkorrekten Menschen gern Probleme, wo gar keine sind bzw. wo die Natur gar keine vorgesehen hat.

CXLVII

Warum sollte ich einem volkstümelnden Nationalismus huldigen? Ich halte es lieber mit Cicero: patria est, ubicumque est bene120 und Pseudo-Varro: vir bonus, quocumque it, patriam suam secum fert121, oder mit Aristophanes: πατρίς γάρ έστι πάσ’, ϊν’ άν πράττη τις εΰ122 und Menander: τώ γάρ καλώς πράσσοντι πάσα γή πατρίς123 – die Welt ist meine Heimat. Soviel zu meiner Vaterlandsliebe…

CXLVIII

Das menschliche Problem, sozusagen des Menschen peccatum originale124: Niemand hört auf die, die es besser wissen – und am wenigsten jene, die etwas daran ändern könnten. Auch mein deprimierendster Spruch ist der ewig wiederkehrende selbe: Ich hab’s euch ja gleich gesagt…

CXLIX

120 Das Vaterland ist dort, wo immer es einem gut geht (Tusculanae disutationes)121 Ein reifer Mensch, wohin immer er geht, trägt sein Vaterland mit sich (Sententiae)122 Denn Vaterland ist jedes, wo immer es einem gut geht (Plutos)123 Denn für einen, dem es gut geht, ist die ganze Erde Vaterland (Fragmente)124 Erb-, Ursünde

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Wenn jemand in einem bestimmten Land geboren wird, so kann er nichts dafür – das ist nun einmal so, begründet in rerum natura125 – mitgefangen, mitgehangen; jeder ist bei seiner Nationalitätszugehörigkeit ein genetisches Opfer der Umstände…

CL

Steigende Gewaltkriminalität in einer Volksgemeinschaft zeugt von sinkendem Intellekt in derselben – z.B. bei uns im Deutschland des unnötig reduzierten Allgemeinzustandes…

CLI

Mörder und Vergewaltiger sollten grundsätzlich lebenslänglich in ein Gefängnis (– und schon gäbe es keine diesbezüglichen Wiederholungstäter mehr). Doch da in Deutschland ‚lebenslänglich’ im Prinzip nur 15 Jahre Haft bedeutet, sollten die Täter zu mindestens 100 Jahre Freiheitsentzug verurteilt werden – mit der Möglichkeit zur ersten Haftprüfung nach 50 Jahren. Denn wenn ‚lebenslänglich’ nicht mehr lebenslänglich bedeutet, müssen die in dieser Form eingeschränkten Richter eben anders im Namen des Volkes und zum Schutz und Wohle der Allgemeinheit verfahren – kreative Jurisdiktion…

CLII

Bei diversen unangenehmen Zeitgenossen erkennt man bereits an der Physiognomie, wes Geistes Kind sie sind – als wäre ihnen ein cave, adsum!126 auf die Stirn tätowiert…

CLIII

Es ist höchst bedauerlich, daß damals die Primaten intelligent geworden sind (mehr oder weniger) – eine andere Spezies hätte vielleicht mehr daraus machen können…

CLIV

Körperlich schwinden, geistig wachsen – das Prinzip der energetischen Selbstverdauung, bis zuletzt nur mehr der reine Nous zurückbleibt. Was für ein Leben…

CLV

Wer sich die Prominenz in der Unterhaltungsbranche etwas eingehender betrachtet, kann immer wieder amüsiert feststellen, daß es auch absolut talent- und hirnfreien Individuen gelingt, in die höchsten Bekanntheitsgrade aufzusteigen…eigentlich genau wie in der Politik, nur ist es dort nicht ganz so amüsant…

CLVI

Die Republik Island setzt sich maliziös über das internationale Walfangverbot hinweg und tötet seit Oktober des Jahres 2006 die global bedrohten Meeressäugetiere wieder. Und das mit der überaus fadenscheinigen Begründung, die Wale würden den allgemeinen Fischbestand gefährden. Lächerlich, wenn dieses groteske Argument nicht so zynisch wäre… – die einzigen Lebewesen, die tatsächlich bedrohte Tierbestände an den Rand der völligen Ausrottung treiben, sind doch wohl wir Menschen, wie wir schon mehrfach und mit akkurater

125 In der Natur der Sache126 Hüte dich, ich bin da!

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Gründlichkeit bewiesen haben. Etwa beim Tasmanischen Beutelwolf (thylacinus cycocephalus) – das letzte bekannte Exemplar starb anno 1936 im Beaumaris Zoo von Hobart (Tasmanien) – und vielen weiteren unersetzlichen Arten. Diese abstruse Erklärung der isländischen Behörden erscheint in etwa so, als würde die fortgesetzte Abholzung und Zerstörung der Amazonasurwälder mit dem Schutz von in Tropenholzmöbeln lebenden Holzwürmern gerechtfertigt (‚…irgendwo muß das Futter für die armen Tierchen ja herkommen…’). Doch jeder sieht die Welt gerade so, wie er sie eben sehen will; und auch die absurdeste, dümmste Ausrede, das unsinnigste Argument, das gefunden werden kann – ist ein Argument…

CLVII

Klimawandel gefährdet Wintertourismus127 – schön, dann kann sich die gequälte Natur wenigstens etwas erholen. Doch dann kommen sicherlich die Mountainbiker oder die illustren Anhänger irgendeiner anderen abgedrehten Funsportart und zerstören den kläglichen Rest.

CLVIII

…und was fällt ihnen zu Deutschland ein? Επί ξυρού γάρ άκμής έχεται ήμίν τά πρήγματα 128; …wird es nur schlecht, oder ganz und gar desaströs? (– doch was kann man alternativ machen? Auswandern? Aber wohin? Anderswo ist’s auch nicht anders, nur die Landschaft wechselt…)

CLIX

Kaum fällt so ein opportunistischer Speichellecker eine viertel oder halbe Stufe der nepotistischen Karriereleiter hinauf, erliegt er auch schon holotisch dem furor principum129

und benimmt sich, als wäre er ein omnipotenter absolutistischer Alleinherrscher, ein Tyrann in seiner ihm zugewiesenen Abteilung.

CLX

Das sogenannte Jugendstrafrecht in Deutschland sollte zwingend nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit angewendet werden. Denn wer mit 18 Jahren immer noch nicht weiß, was er tut, ist offensichtlich geistig minderbemittelt, und sollte dementsprechend noch nicht einmal den Führerschein o.ä. erwerben dürfen.

CLXI

Mir wurde von einigen aufmerksamen Lesern meiner beiden vorangegangenen Publikationen Gedanken zur Todesstrafe und Gedankensplitter freundlicherweise zugetragen (– konstruktive Kritik ist mir immer willkommen, denn, wie ich bereits im Vorwort der Gedankensplitter bemerkte, γηράσκω δ’αίεί πολλά διδασκόμενος130), daß sich manch interpretationsfähige Passagen für die breite Öffentlichkeit in einer delikat amphibolischen Weise darstellen könnten, als ob damit die baldige Realisierung einer per se unbeweglichen, gleichförmigen, assimilierenden Globalisierung – auf geistiger, kultureller, politischer und wirtschaftlicher Basis – angestrebt bzw. ausgebaut und verteidigt werden soll. Dieser vitiösen und höchst

127 ARD Tagesschau, 13.12.2006, 1700

128 Denn auf Messers Schneide stehen für uns die Dinge (Homer, Ilias)129 „Cäsarenwahnsinn“, Größenwahn130 Ich werde alt und lerne stets noch vieles hinzu (Solon, Elegien)

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spekulativen Unterstellung muß ich erneut auf das schärfste widersprechen. Wie ich bereits mehrfach in meinen Schriften erwähnte, ist meine offiziell vertretene innere Einstellung zu dieser diffizilen Thematik folgende: Ein jeder möge mit seiner frei gewählten Ideologie – profan wie spirituell – glücklich und zufrieden leben, solange er andere damit nicht unverhältnismäßig offensiv belästigt oder gar zu psychischer Unterdrückung und körperlicher Gewalttätigkeit neigt; suum cuique131, hieß es bereits lange vor der Zeitenwende, nur wurde diese liberale und tolerante Haltung in der kriegerischen Historie der Menschheit viel zu wenig zur gelebten Realität. Und genau das ist es – nicht mehr, aber auch nicht weniger –, was diese wiederholt angesprochene übergeordnete Instanz132 weltweit auf den nationalen Führungsebenen herstellen, sichern und bewahren soll. Sie garantiert die kontinuierliche Friedlichkeit (bzw. Gewaltlosigkeit) möglicher interreligiöser, interkultureller sowie internationaler Konflikte, welcher Art auch immer – und das mit maximaler Energie und Effizienz, denn dieses wäre ihre einzige, singuläre Existenzberechtigung. Falls diese außer- wie überstaatliche Einrichtung demnach einem aggressiven, megalomanischen Regenten, weltlich wie geistlich, solch todbringende Untaten wie Angriffs- und Vernichtungskrieg, Massen- oder Völkermord etc. explizit nachweisen kann, hat sie die exzeptionelle Option, diesen abgehobenen, streitsüchtigen Tyrannen, inklusive seiner sinistren militanten Komplizen, instantan zu entmachten und rückstandslos zu entfernen, damit im Anschluß das gemeine Volk eine (hoffentlich) ersprießlichere Staatsführung wählen kann (– praktiziert natürlich im konformen Rahmen des national prävalenten Regierungs- und Gesellschaftssystems) – mehr hat sie nicht zu sagen. Diese supranationale, independent kontrollierende und superarbitrierende Institution besitzt absolut keine anderweitigen Machtbefugnisse, weder national noch international; sie verhindert ausschließlich den gewalttätigen vertikalen Zugriff, also eine staatlich organisierte Lebensvernichtung von oben nach unten133 (die Antwort auf die berechtigte Frage: quis custodit custodes?134 indes müßte hier noch präziser definiert werden). Ansonsten kann jeder noch so kleine und unbedeutende Zwergstaat tun und lassen, was er will – aber eben nur, solange er grundsätzlich friedlich bleibt und nicht zu einem konsumierenden Imperialismus neigt. Ein gleichberechtigter, toleranter, gewaltfrei geführter Dialog zwischen den heterogenen Kulturen indes ist jederzeit begrüßenswert und fördert letzten Endes die immer noch unausgesetzte geistige Evolution der gesamten Menschheit. Nichtsdestoweniger zeitigt diese kleine inhaltsbezogene Debatte zumindest einen gewissen Teilerfolg bezüglich meiner philosophisch-pädagogischen Motivation, denn sie läßt erkennen, daß immerhin einige Menschen Geschriebenes nicht nur unreflektiert konsumieren, sondern bisweilen auch kritisch über das Gelesene nachdenken. Leider befinden sich diese offensichtlich in der dramatischen Minderheit, was sich im Prinzip an der tagtäglich ablaufenden Wirklichkeit ablesen läßt.

CLXII

Läßt sich bei Mord eine gesetzlich legitimierte und praktizierte Todesstrafe grundsätzlich mit der Staatsform der Demokratie vereinbaren? Eine Exekution als einen Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie zu bezeichnen – das kann ja nur aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommen, der vorgeblich demokratischsten aller Demokratien! Dieserart überschwenglich äußerte sich deren Präsident George W. Bush anläßlich der Hinrichtung des ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein am 30. Dezember des Jahres 2006, und er sei höchst erfreut135. Nun ja, wer auch einen illegalen Angriffskrieg als gangbaren Weg zu

131 Jedem das seine (Cicero, De legibus)132 Vgl. Spreewinkl 2006a, S. 266 ff. etc. & 2006b, S. 123 f., 131 etc.133 Auf horizontal ablaufende Ereignisse hat die hier vorgestellte Institution logischerweise keinerlei Einfluß. Hierzu wäre noch ein tragbares Alternativsystem zu entwickeln134 Wer bewacht die Wächter? (Juvenal, Saturae)135 K1 Nachrichten, 30.12.2006, 1710

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Frieden und Freiheit bezeichnet, von dem kann eigentlich nichts anderes erwartet werden. Doch die Demokratie (δημοκρατία) per se besagt grundsätzlich die direkt ausgeübte Herrschaft (κρατία) des Volkes (δήμος) einer territorialen Nation über sich selbst, und das bedeutet, jedes Individuum, das sich zu diesem Volk zählen kann und darf, stellt einen aktiven Part der in diesem Staat ausgeübten Demokratie dar, sei es nun eine direkte, eine repräsentative oder sonst eine der vielfältigen Demokratieformen. Wenn man sich nun die gesamte Bevölkerung dieses speziellen Landes als eine autonome, in sich organisierte Einheit, als einen lebenden Organismus vorstellt, kann zweifellos davon ausgegangen werden, daß kein verantwortungsvoller Teil dieses virtuellen ‚Volkskörpers’ intendiert die vollständige Vernichtung eines anderen anstrebt (– in der Medizin würde dies als bösartiger Krebs, als malignes Karzinom diagnostiziert werden). Demnach sollte maximal eine eindeutige, endgültige Separation eines entsprechend straffällig gewordenen Teilchens vom Rest der Gesellschaft erfolgen, per exemplum mittels lebenslänglicher Haftstrafe (– einer wirklichen, keiner nominellen –)136, denn im Prinzip richtet der Staat eben über einen Teil von sich – tat tvam asi137, schrieben schon die Hindus vor über zweieinhalb Jahrtausenden in ihren Veden. Des weiteren sollten die gewählten politischen Repräsentanten, respektive alle staatstragenden und entscheidungsbefugten Elemente, öffentlich eine positive soziokulturelle Vorbildfunktion erfüllen, d.h. wenn sie sich tatsächlich in ihrer Einfalt dafür entscheiden würden, einen überführten Gesetzesbrecher gesetzlich umbringen zu lassen, stellten sie sich damit ethisch auf dieselbe ideologisch verwerfliche Ebene, auf welcher der ungeliebte kriminelle Delinquent steht. Und dies wiederum impliziert, daß, wenn ein illegaler Mord offiziell durch einen legalen Mord vergolten wird, dies die perfide Tat adelt und legitimiert; denn dann kann sie ja wohl nicht so schlimm sein, wenn der Staat das auch so macht. Ergo, wer Mord ächten will, darf selbst keinen ausführen – und eine Demokratie mit gesetzlich fundierter Todesstrafe ist keine.

CLXIII

Was heißt das – ‚Unternehmenskultur’? Unternehmensunkultur sollte das wohl heißen!

CLXIV

Es stimmt wirklich: manche Politiker können allein durch ihren Anblick beim Betrachter die übelsten Darmkrämpfe auslösen.

CLXV

Es gibt drei Arten von Vorgesetzten – fähige, unfähige und kriminelle. Leider sind erstere in der dramatischen Unterzahl, angesiedelt irgendwo im unteren einstelligen Prozentbereich, Tendenz: fallend…

CLXVI

Laut offiziell veröffentlichter Statistik sind 51 Prozent der Deutschen unzufrieden mit der Demokratie138. Dieses erschreckende Ergebnis jedoch fußt m.E. wohl eher auf der manipulativen Fragestellung dieser Umfrage, denn die Demokratie per se ist so schlecht nicht – die gegenwärtig plan- und ziellos laborierenden Parteien sind es. (– und außerdem, kann

136 Vgl. Spreewinkl 2006a, S. 70 ff.137 Sanskrit: Das bist du (Chandogya-Upanishad, um 650 a.Chr.n.)138 RTL Aktuell, 22.11.2006, 1845

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man das, was wir hier erleben müssen, überhaupt noch eine Demokratie nennen? Bestenfalls eine Zuschauerdemokratie, einen gewählten Parteienabsolutismus…)

CLXVII

Was unseren Politikern tatsächlich fehlt, ist Einsicht – die Einsicht, daß sie es nicht schaffen, eine bevölkerungsfreundliche Politik zu gestalten. quid affere consilii potest, qui se ipse eget consilio?139 Sämtliche Aktiven müßten dementsprechend in corpore zurücktreten und deren Ämter mit neuen, unverbrauchten Leuten besetzt werden. Ein verheißungsvoller Traum, der sich leider nie in Realität wandelt, da die meisten an ihren lukrativen Pöstchen kleben wie die Motten an einem Fliegenfänger…

CLXVIII

Da ich nur ein 2. Klasse Zwangsversicherter bin – ein sogenannter Allgemeinpatient –, muß ich mich wohl darauf einstellen, meine Arztkosten künftig fast vollständig selbst zu bezahlen. So wie heute, als mich ein kurzer und schmerzhafter Zahnarztbesuch fast 200 Euro kostete. Eine etwas bessere Füllung 150 Euro, die 10 Euro Praxisgebühr sowieso, und obendrein die diversen Zuzahlungen für die verschriebenen entzündungshemmenden und schmerzstillenden Medikamente in der Apotheke. Wozu habe ich überhaupt eine Krankenkasse? Wenn ich das gesamte Geld, welches ich seit Beginn meines steuerpflichtigen Werdegangs bis heute in die Kasse einzahlen mußte – bzw. welches mir automatisch jeden Monat abgebucht wurde –, auf ein profitables Sparprogramm verwendet hätte, könnte ich mir bereits etliche Großoperationen leisten – und das erster Klasse!

CLXIX

Typisch deutsches Gebaren der Wirtschaft: Für protzige Repräsentationszwecke werden Unmengen an Geld und Ressourcen verschleudert, während für die Sicherheit das billigste vom billigen gerade gut genug ist. Ein illustratives Exempel aus eigener Erfahrung: während in der Lobby alles aus feinstem Glas und Marmor sein muß, sind Schranken, Sicherheitstüren und sonstige Sekuritätseinrichtungen mindestens einmal pro Woche defekt – Hauptsache, der hehre Schein bleibt gewahrt.

CLXX

In der Politik ist der interne Stellenbesetzungsvorgang der höherwertigen Funktionen similär wie in der Wirtschaft: nicht der Anwärter, der sich fachlich und menschlich besser eignet, bekommt den vakanten Posten, sondern der skrupellosere – oder, je nach einzunehmender Position, der gleisnerische, servile, der sich besser dominieren läßt. Und ‚Nebensächlichkeiten’ wie Ehrlichkeit und Wahrheitssuche sind uninteressant, bisweilen sogar unerwünscht. So ist es denn auch kein Wunder, daß Humanität und Altruismus zunehmend auf der Strecke bleiben…

CLXXI

Einer publizierten Statistik – politisch wie wissenschaftlich – ist in Anbetracht ihrer grundsätzlichen Manipulierbarkeit ebenso grundsätzlich mit tiefstem Mißtrauen zu begegnen. Offizielle Statistiken sind meist nicht einmal das Papier wert, auf dem sie stehen. So redet sich unsere Regierung beispielsweise die Arbeitslosenzahlen schön, denn wenn schon von

139 Wie kann der Rat geben, der selbst des Rates entbehrt?

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vornherein viele Arbeitssuchende durch das willkürlich angesetzte Raster fallen und somit nicht mitgezählt werden (Ein-Euro-Jobber, ABM-Teilnehmer etc.), verwundert es natürlich nicht, daß die Zahlen niedriger geworden sind.

CLXXII

Heute wurde von unserer großkoalitionären Regierung der nächste Schlag gegen renitente Raucher verfügt: Demnächst wird also nicht mehr ein abschreckender Spruch, der ohnehin nie jemanden interessiert hat (à la ‚Rauchen kann tödlich sein’ etc.), die deutschen Zigarettenschachteln zieren, sondern schockierende Aufnahmen von Kehlkopfkarzinomen, amputierten Raucherbeinen, Teerlungen und von durch fortgesetzten Zigarettenkonsum Verstorbenen sollen fortan die Freunde des blauen Dunstes intimidieren140. Gute Idee – dann können unsere Jugendlichen endlich legal ihre Horrorbildchen erstehen und müssen sie nicht mehr umständlich aus dem Internet auf ihr Handy laden…

CLXXIII

Je länger ich mich mit der sogenannten ‚Arbeit’ dieser großkoalitionären Regierung beschäftige, desto öfter muß ich an die verhärmten Worte Hektors denken: έσσεται ήμαρ, ότ’ άν ποτ’ όλώλή Ιλιος ϊρη141.

CLXXIV

Um die kolossale Hybris, die exorbitante Arroganz, die unglaubliche Selbstüberschätzung der amerikanischen Nation – und im Besonderen die ihrer abgehobenen Volksvertreter – besser zu verstehen, muß man nur einmal die wahrhaft ungeheuerliche Begebenheit betrachten, daß die autochthonen Indianer, die Native Americans, in ihrem eigenen Land, in dem sie schon ungezählte Generationen vor dem erstmaligen Erscheinen des weißen Mannes lebten und jagten, von der amerikanischen Regierung, dieser überheblichen Immigrantenvereinigung aus europäischen Usurpatoren und Kolonisten, bis anno 1849 doch tatsächlich als ‚Ausländer’ bezeichnet und behandelt wurden. Bei solch suboptimalen Prämissen – wie könnte man heute etwas anderes erwarten?

CLXXV

Jetzt muß man auch noch für seinen heimischen Computer GEZ-Gebühren bezahlen, weil schließlich, sofern überhaupt ein Internetanschluß nebst entsprechender Software vorhanden ist, die technische Möglichkeit besteht, mit seinem Rechner Radio- und Fernsehprogramme zu empfangen. Soweit das angediente Argument der Verantwortlichen für diesen ärgerlichen Obolus. Im Prinzip auch eine absurde Begründung – gleichermaßen könnte man alle Männer und männlichen Jugendlichen über 14 Jahre prophylaktisch wegen Vergewaltigung verhaften und lebenslänglich ins Gefängnis sperren, denn die biologischen Voraussetzungen zu einer solch barbarischen Straftat besitzen sie ja…

CLXXVI

Keine sentimentale Gnade für obstinate Wiederholungstäter bei Sexual- und Gewaltdelikten. Wenn der Straffällige nach der ersten Resozialisierungsmaßnahme rückfällig wird, fruchtet eine zweite auch nicht mehr – dementsprechend muß er vollständig aus der gefährdeten

140 RTL Aktuell, 5.12.2006, 1845

141 Sein wird der Tag, da einst die heilige Ilios zugrunde geht (Homer, Ilias)

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Gesellschaft entfernt und lebenslänglich in geeigneten Institutionen interniert werden (– wobei ‚lebenslänglich’ auch explizit selbiges bedeuten sollte). Ein erster Wiedereingliederungsversuch ist fair, ein zweiter reine Zeit-, Personal- und Geldverschwendung – denn wer nicht will… beneficia non obtruduntur142.

CLXXVII

Angesichts des sukzessiven Nepotismus in der gegenwärtig grassierenden Plutokratie (– Timokratie oder Kleptokratie wären auch passende Synonyme für diesen ‚Demokratie’ genannten Parteientotalitarismus – ά δέ χείρ τάν χεϊρα νίζει; δός τι καί λάβοις τί κα143) wäre es doch langsam an der Zeit, eine postdemokratische Regierungsform zu entwickeln und zu fördern – mehr Realismus, Humanität und Ehrlichkeit, weniger monetäre Diktatur…welch hehre Imagination…

CLXXVIII

Politiker sind die überbezahlten Hausmeister eines überflüssigen und selbsterschaffenen Luftschlosses – oder wäre hier der Terminus Lügengebäude angebrachter?

CLXXIX

Diejenigen, die militärische oder atomare Abschreckung immer noch für so eine Art Frieden halten, haben den wahren, tieferen Sinn des Wortes Frieden noch nicht wirklich erfaßt.

CLXXX

Stalking wird bei uns in Deutschland leider immer noch nicht wirklich ernstgenommen – man muß erst ermordet werden, bevor die Justiz einschreitet…

CLXXXI

Auf Ground Zero in New York, dem Standort der ehemaligen Zwillingstürme des World Trade Centers, wird nun also ein neuer Turm gebaut. Noch schöner, noch größer, noch höher – noch einfacher zu treffen…

CLXXXII

Gerechte Kriege gibt es ebensowenig wie heilige Kriege – Krieg ist in jeder seiner blutrünstigen Formen verdammenswert und diabolisch…

CLXXXIII

Politik und Staatsführung haben nur sehr entfernt etwas miteinander gemein…

CLXXXIV

142 Wohltaten werden nicht aufgedrängt (Corpus iuris civilis)143 Die eine Hand wäscht die andere; gib etwas, und du bekommst etwas (Epicharmos, Fragment)

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Caligulas Devise: oderint, dum metuant144 gehört mittlerweile zur Grundausstattung von Führungspersönlichkeiten. Als zweites gilt die Maxime: si quid fecisti, nega145.

CLXXXV

Warum muß ein aufstrebendes, leidlich erfolgreiches Unternehmen immer gleich zu einem börsennotierten Global Player mutieren – genügt es in unserer heutigen Zeit denn nicht mehr, im eigenen Land erfolgreich zu sein?

CLXXXVI

Otto von Bismarck sah bereits anno 1878 in der SPD eine große innenpolitische Gefahr (obwohl sie damals noch SAP – Sozialistische Arbeiterpartei – hieß) – doch da kannte er die CDU und die CSU noch gar nicht…

CLXXXVII

Der όστρακισμός146 der athenischen Demokratie des fünften vorchristlichen Jahrhunderts war eine interessante politische Institution zur Vermeidung von Machtmißbrauch und Machtbündelung – leider wurde er nur von 487 bis 417 a.Chr.n. aktiv praktiziert. Ausgedehnt auf Unfähigkeit wäre es wohl zu erwägen, dieses in Athen formal nie aufgehobene Gesetz als demokratische Kontrollfunktion mit in die gegenwärtige deutsche Rechtsprechung aufzunehmen. Dem sonach annuell zu ermittelnden ‚Gewinner’ dieses όστρακισμός sollte außerdem nicht eine zehnjährige Verbannung winken, ein explizites Verbot jedweder politischen Betätigung über den gleichen Zeitraum dürfte vollkommen ausreichend und angemessen sein. Vielleicht überlegen sich dann unsere selbstgefälligen Staats- und Landesoberhäupter vorher, was sie fortan zu tun gedenken, und ob sie zukünftig lieber für oder weiterhin wider das Volk agieren wollen…

CLXXXVIII

Reine Berufspolitiker dürfte es eigentlich gar nicht geben, denn wie will jemand, der direkt nach seiner Schulausbildung in eine weltentrückte Parteienlaufbahn wechselt, ohne die triste Realität, die ganz profane Arbeitswelt des kleinen Bürgers je kennengelernt zu haben, über das Leben von Menschen entscheiden, welche diese schonungslose alltägliche Banalität permanent und ungefiltert erleiden müssen?

CLXXXIX

Politik heute: über was man debattiert, erweist sich im Grunde als völlig irrelevant, die Pointe ist offensichtlich die, durch moderate Provokation möglichst viel Sendezeit in den Medien zu erhalten…

CXC

26. November 2006: Und wieder einmal herrscht ein vorsichtig-mißtrauischer Waffenstillstand in Gaza – wie viele Tage mag er diesmal halten? Jetzt müßte doch ohnehin bald blutiges Jubiläum sein: die 1.000. gebrochene Waffenruhe (wenn das reicht), ohne

144 Mögen sie mich hassen, solange sie mich nur fürchten (Sueton, De vita Caesarum)145 Wenn du etwas getan hast, leugne es146 Ostrakismos – Scherbengericht

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wirklich etwas daraus gelernt zu haben… [Nachtrag, am selben Tag, nur acht Stunden später: Trotz vereinbartem Waffenstillstand wurden bereits wieder vier Qassam-Raketen auf Israel abgefeuert. Warten wir ab, wann die militärische Antwort kommt – und dann auf die nächste Waffenruhe…ein tragischer, mittlerweile ennuyanter circulus vitiosus147, ein perpetuum mobile148 des todbringenden Schreckens]

CXCI

Staatsgeheimnisse sollte es nicht geben, vor allem nicht vor dem eigenen Volk, denn was soll man von einer demokratisch gewählten Landesregierung halten, die ihren eigenen Untergebenen mißtraut und ihnen wichtige Fakten vorenthält?

CXCII

Da ich schon einige Zeit in einer öffentlichen Einrichtung tätig bin, kenne ich den gegenwärtig stetig anwachsenden Druck des zwangsverordneten Sparens aus eigener leidvoller Erfahrung. Manche dieser partiell überstürzt realisierten Einsparungsvorschläge mögen sich für einen erstaunten außenstehenden Beobachter noch einigermaßen als vernünftig darstellen, doch es gibt auch interne Vorgänge, die ihm als absolut ökonomisch unmotiviert und unüberlegt behandelt vorkommen müssen. Ein trauriges Beispiel aus oben angesprochener Institution: bisweilen zeigen sich in der Arbeitsquantität saisonal bedingte, z.T. vorhersehbare Schwankungen, welche die findige Geschäftsführung dazu anregten, Angestellte, die temporär sozusagen ‚arbeitslos’ sind, im Rahmen eines Überstunden- und Urlaubstageabbaus während dieser Zeit nach Hause zu schicken. Behutsam und auf freiwilliger Basis praktiziert, kann gegen diese Verfahrensweise im Prinzip nichts gesagt werden. Ein entgegenkommender Mitarbeiter meldete sich sogar freiwillig, einen Monat unbezahlten Urlaub zu nehmen, um somit dem finanzgeplagten Unternehmen bei seinem Sparvorhaben hilfreich unter die Arme zu greifen; einen Monat keine Lohnzahlung, einen Monat keine Lohnnebenkosten – da sollte sich der Arbeitgeber eigentlich freuen. Doch jetzt kommt die absolut unverständliche Ungeheuerlichkeit: dieses wohlwollend-konziliante Angebot des hilfsbereiten Arbeitnehmers wurde von der Verwaltung abgelehnt – wegen zu hohem Aufwand für die Verwaltung! Ein Witz, wenn es nicht so deprimierend wäre. Für mehrere tausend Euro Ersparnis ist es der hochwohlgeborenen Verwaltung zuviel Arbeit, ein paar Daten, nämlich das Anfangs- und das Enddatum des betreffenden Zeitraums, in den Computer einzugeben – den Rest erledigt ohnehin der Rechenknecht! Faulheit und Inkompetenz siegt – bei so einer laxen und niederschmetternden Arbeitsauffassung verwundert es mitnichten, daß unser unzulängliches Bürokratendeutschland allgemein so teuer und demoralisierend ist, wie es nun einmal ist…

CXCIII

Der sogenannte Hagener Ehrenmord-Prozeß endete zum Erstaunen und Entsetzen vieler mit einem Freispruch, obwohl eindeutig bewiesen wurde, daß mehrere Familienmitglieder inklusive Angeklagtem Schmauchspuren der Tatwaffe an sich trugen (– und wir maßen uns an, uns einen ‚Rechtsstaat’ zu nennen?). Da sich niemand von ihnen freiwillig zu diesem brutalen Doppelmord bekennen will, sollte die ganze unzivilisierte Familie instantan ausgewiesen und mit dem nächsten Flugzeug dorthin geschickt werden, wo sie hergekommen ist. Gewaltbereite Mörder mit einer solch primitiv-barbarischen Gesinnung haben in einem liberalen, aufgeklärten Staat wie Deutschland, oder auch nur in Europa, nicht das geringste zu

147 Fehlerhafter Kreis, Teufelskreis (Aristoteles, Analytica priora, resp. Αναλυτικα πρότερα)148 Das sich unaufhörlich Bewegende

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suchen. Und niemand kann an dieser Stelle behaupten, dies wäre eine rechtsgerichtete Einstellung oder mit der hier vertretenen Ethik nicht vereinbar – man muß sich eben dem Land angemessen anpassen, in dem man sich befindet. Wie sich ein Deutscher in einer orientalischen Nation nicht so freizügig wie in seiner Heimat benehmen kann bzw. soll, müssen auch Immigranten aus diesen Ländern ihre unzeitgemäßen Inhumanitäten zu Hause lassen. Auch wenn sie in ihrem Heimatland Ehebrecher steinigen können, so dürfen sie das in Deutschland noch lange nicht. Doch die deutsche Justiz ist leider viel zu nachsichtig mit Gewaltverbrechern, Einheimischen wie Ausländischen, und kümmert sich augenscheinlich mehr um deren psychisches und physisches Wohlergehen, als um das der alleingelassenen Opfer, respektive dem der traumatisierten Hinterbliebenen.

CXCIV

Ein unbegreiflicher, aber durchaus charakteristischer Fall aus dem höchst reformierungsbedürftigen deutschen Rechtsprechungssystem: Vor etwa acht Jahren vergewaltigte ein Mann ein damals dreizehnjähriges Mädchen – der Täter wurde identifiziert, verhaftet, angeklagt und es kam zur gerichtlichen Verhandlung. Besser gesagt, zu gerichtlichen Verhandlungen, denn auf Grund diverser juristischer Rabulistiken kam es eben auch zu Einsprüchen, Revisionen, Neu- und Nachverhandlungen etc., sodaß der Täter die ganzen acht Jahre über noch keinen einzigen Tag in Haft saß. In einer dieser kräftezehrenden Verhandlungen gingen der seelisch überforderten Mutter des Opfers verständlicherweise einmal die Nerven durch, und sie ohrfeigte den Vergewaltiger ihrer Tochter. Wegen dieser zur ungehörigen Selbstjustiz hochstilisierten Tat stand sie nun der Körperverletzung angeklagt selbst vor Gericht und wurde zu 1.000 Euro Strafe verurteilt, während der gewalttätige Kinderschänder bis dato immer noch unbehelligt auf freiem Fuße war149. Dies zeigt einen weiteren bedauerlichen Kasus, der einem neutralen Beobachter, und noch mehr einem direkt involvierten, den bisher eventuell noch vorhandenen Glauben an die deutsche Rechtsprechung nehmen kann. Und er beweist eindeutig, daß das Strafgesetzbuch, wie es die Rechtsgelehrten gegenwärtig anwenden, dringend überarbeitet und modernisiert werden muß. Doch wie resümierte schon Ralph Giordano: „Deutschland ist ein Land, das sich um seine Täter sorgt.“ Und das weitaus mehr, als diese es verdienen. Dabei sollten gerade Gewaltverbrecher spürbar höher bestraft werden, als es die momentane, relativ täterfreundliche Jurisdiktion vorsieht – nur so kann man ihnen vielleicht ein wenig verständlich machen, daß physische Gewalt nie die Lösung für ihre Probleme sein kann; ganz im Gegenteil, sie schafft nur neue, schwerwiegendere….

CXCV

Seit etlichen Jahren nimmt der – im Prinzip absolut unnötige – Pauperismus in Deutschland sukzessive zu, die gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander; aber anstatt konstruktiv etwas dagegen zu unternehmen, diskutieren unsere eloquenten Politiker und sprachlich bedachtsamen Sachverständigen lieber öffentlich und mediengerecht über adäquate, sachdienliche Formulierungen für diese ungute Entwicklung. So lehnt etwa Vizekanzler Müntefering (SPD) den soziologisch geprägten Begriff ‚Unterschicht’ als diffamierend ab, und auch die AWO-Studie150 regt an, die diskreditierende Expression ‚sozial Schwache’ zu vermeiden. Doch das alles soll offensichtlich nur von der deprimierenden Konzeptlosigkeit der deutschen Staatsführung ablenken und erweist sich letzten Endes nur als sinnloses, rein aktionistisches Geschwafel – diese zungenfertigen

149 RTL Aktuell, 19.10.2006, 1845

150 Die AWO-Studie zu Lebenslagen und Lebenschancen bei Kindern und Jugendlichen ist eine Langzeitstudie des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt

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Experten sollten lieber die desozialisierenden Ursachen beseitigen und sich nicht opportunistisch an rhetorisch anbiedernden Definitionen aufhängen! Denn nur, weil man die bedauernswerten Angehörigen der stetig wachsenden ‚neuen Unterschicht’ euphemistisch als ‚sozial Benachteiligte’ bezeichnet – respektive als ‚abgehängtes Prekariat’151 (– das hört sich doch gut an; außerdem verstehen es die wenigsten, und vor allem nicht die, die es direkt betrifft…) – oder mit sonst einer wohlklingenden Paraphrase bedenkt, ändert sich noch lange nichts an ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Existenz. Bloß weil man den Namen einer desolaten Konstellation ändert, ändert sich noch lange nichts an der bemängelten Situation selbst; so ist das eben. Und dank dem fortschreitenden Sozial- und Subventionsabbau, den Verschärfungen bei den Hartz-IV-Maßnahmen und den beschlossenen Steuererhöhungen unserer ach! so ‚vorausschauenden’ Regierung wird die ideologisch ungeliebte ‚Unterschicht’ sicherlich noch um einiges größer und teurer werden…

CXCVI

Um die seit längerem in Deutschland wild umsichgreifende Ämterhäufung und allenthalben grassierende Machtgier bei den über die Jahre abgehobenen und realitätsentfremdeten Berufspolitikern ein wenig einzudämmen, sollte der diesbezügliche Teil der Verfassung der römischen Republik nach 287 a.Chr.n., also der nach den Ständekämpfen gebräuchlichen, wieder eingeführt werden. Diese sah einige interessante Einschränkungen zur effektiven Verhinderung der individuellen Machtanhäufung – und somit des potentiellen Machtmißbrauchs – vor, die sich so unmodern gar nicht präsentieren, und die in unserer plutokratischen Zeit, in der nur das egoistische Streben nach Geld und Macht zählt, mit Sicherheit wieder höchst angebracht erscheinen. Zum ersten griff bei dieser ‚antiken’ Konstitution das Prinzip der Annuität, i.e. die explizite Beschränkung der Amtszeit auf ein Jahr. Ein derart kurzer Zeitabschnitt vermied de facto ein negatives persönliches Engagement und lenkte den Blick des Amtsinhabers auf das Wichtige, Wesentliche. Zum zweiten das Prinzip der Kollegialität, bei dem jedes staatliche Amt mit mindestens zwei Personen besetzt wurde. Diese konnten ihre politischen Entscheidungen wechselseitig aufheben, d.h. nur die von beiden bzw. allen genehmigten Dekrete hatten die Aussicht, irgendwann realisiert zu werden. Als drittes waren für alle Ämter eine bestimmte Ämterlaufbahn sowie ein Mindestalter vorgeschrieben. Ein Römer, der sich per exemplum zum Aedil152 wählen lassen wollte, mußte mindestens 37 Jahre alt sein und erfolgreich eine Quaestur153 absolviert haben. Viertens hatte jeder politische Würdenträger nach abgelaufener Amtsperiode eine einjährige Pause einzuhalten, bevor er erneut für einen staatlichen Posten kandidierte. Und schließlich, als fünftes und letztes, war es verboten, dasselbe Amt zweimal zu besetzen oder sein altes zu behalten, wenn man ein neues antrat. Ein wenig modifiziert, so könnte man beispielsweise die angesprochene Legislaturperiode auf zwei Jahre ausdehnen, und auch nicht jeder Posten muß mehr als zweimal vorhanden sein, wären diese wohldurchdachten politischen Grundsätze auch heute wieder denkbar – zumindest sollte man sie vielleicht einmal ad experimentum installieren…

CXCVII

29. November 2006: Sabine Bätzing (SPD), ihres Zeichens Drogenbeauftragte der Bundesregierung, schlägt allen Ernstes vor, im Rahmen der Anti-Raucher-Kampagne ein (im Moment noch freiwilliges) Zigarettenverbot in Kino- und Fernsehfilmen einzuführen – auf was unsere umtriebigen Politiker so alles kommen, wenn sie offensichtlich zuviel Zeit haben.

151 Aus der Studie Gesellschaft im Reformprozeß der Friedrich-Ebert-Stiftung152 Seit 367 a.Chr.n. gab es vier Aedile, zwei plebejische (aediles plebei) und zwei kurulische (aediles curules)153 Niedrigstes Amt in der römischen Ämterlaufbahn (cursus honorum)

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Doch wie soll das rauchbefreite Kino eigentlich konkret funktionieren? Werden künftig alle Szenen mit Zigaretten herausgeschnitten oder retuschiert? Denn ausländische Regisseure werden sich gewiß nicht an einen albernen Vorschlag aus Deutschland halten. Außerdem wollen – und sollen – Spielfilme nah an der Realität sein, doch wie realistisch erscheint dem aufgeklärten Kinogänger ein harter Drogendealer, der seine vollgedröhnten Kunden auf die Schädlichkeit des Rauchens aufmerksam macht? ‚Hier hast du dein Crack, dein Kokain und dein Heroin – aber hör’ bitte mit dem Rauchen auf, das macht nur dein Leben kaputt und schadet deinem Körper. Ich habe auch Nikotinpflaster und -kaugummis in meinem Sortiment…’ – schlechte Märchenfilme gibt es schon genug, und Lucky Luke ohne Zigarette ist wie Neptun ohne Dreizack. Wenn in einem Actionstreifen ein gewisses soziales Milieu dargestellt werden soll, kann es eben nicht rauchfrei zugehen, auch wenn es Frau Drogenbeauftragte gerne so hätte. Frau Drogenbeauftragte sollte sich lieber mehr um die Eindämmung des legalisierten Volksalkoholismus’ kümmern – mir jedenfalls ist ein Raucher immer noch lieber als ein Besoffener, der mir mein Sofa vollkotzt. Aber der Alkohol ist offensichtlich des Deutschen liebstes Getränk, sein Manna, sein aqua vitae154 und sein Lebenselixier, denn nicht umsonst verhinderte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) im Einklang mit Tschechien die von der Europäischen Union geplante Bierbesteuerung mit dem im Prinzip peinlichen Hinweis, Bier wäre in Deutschland kein Alkohol, sondern ein Grundnahrungsmittel, ein allgemein anerkanntes Kulturgut. Hier gehört freizügiger Alkoholkonsum eben zum Guten Ton – ein potentiell suchtgefährdetes Volk im Dauerrausch… (…und nebenbei: seit wann zählt das Potatorium zu den erwähnens- und förderungswürdigen Kulturgütern?)

CXCVIII

Das am 5. November des Jahres 2006 ausgesprochene Todesurteil155 gegen Saddam Hussein, dem ehemaligen Präsidenten des Irak156, wird sich wohl a posteriori als taktisch unklug und politisch kontraproduktiv erweisen – spätestens jedoch nach der realisierten Vollstreckung des juristischen Verdikts –, denn so erschaffen die offenbar landesgeschichtlich geprägten und unterschwellig beeinflußten Richter des Sondertribunals nur höchst undiplomatisch einen unnötigen, überflüssigen, nachteiligen Märtyrer für radikal-fundamentalistische Extremisten. Es wäre mit Sicherheit besser gewesen, ihn lebenslänglich unbeachtet und vergessen in einem anonymen Gefängnis verrotten zu lassen. [Nachtrag 27. Dezember 2006: Gestern bestätigte das höchste Berufungsgericht das Todesurteil – ohne Worte…, und kaum einen Tag später hatten sich bereits mehrere hundert dienstbereite Iraker gemeldet, die als freiwillige Henker mit Freuden das verhängte Urteil vollstrecken wollen – gleichfalls ohne Worte…da reicht die Realität] [Nachtrag 30. Dezember 2006: Heute gegen 600 Uhr morgens wurde Saddam Hussein in der irakischen Hauptstadt Bagdad aufgehängt – so schnell kann’s gehen, wer hätte das gedacht? Damit jedoch haben sich die involvierten Richter und Henkersknechte aktiv und augenscheinlich ohne die deutlich dräuenden politischen Folgen zu beachten (– so gab es bereits wenige Stunden später den ersten posthusseinischen Bombenanschlag mit 17 Toten und mindestens 26 Verletzten auf einem belebten Fischmarkt in Kufa –)157 auf die gleiche inakzeptable barbarische Stufe gestellt, auf der Saddam einst als misanthropischer Täter stand…war das wirklich nötig? Wäre er als verhinderter Märtyrer, als miles gloriosus158 des Tyrannentums, als adäquates lebendes Exempel dafür, was die Welt nicht braucht, nicht wesentlich dienlicher gewesen? Das natürliche Ende seines kläglichen Lebens in irgendeinem abgelegenen Gefängnis am Rande der Vergessenheit hätte in zehn oder zwanzig Jahren nur 154 Lebenswasser, daher auch der Aquavit155 Tod durch den Strang auf Grund begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit156 Regnum 1979 - 2003157 N24 online, 30.12.2006 (www.n24.de)158 Ruhmrediger Soldat (Plautus)

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noch eine kümmerliche Randnotiz bedeutet, aber so? Denn auch der gewählte Zeitpunkt der Exekution – während des jährlichen Hadsch, der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka, eine der fünf Säulen des Islams – war undiplomatisch und taktisch unklug. Doch was am meisten an der ganzen Sache verwundert – warum ist Hussein damals, als er es noch konnte, nicht nach Afghanistan zu seinem Terroristenkumpel Osama geflohen? Denn der kennt offensichtlich die besseren Verstecke…]

CXCIX

Der Amoklauf des Sebastian Bosse, alias ResistantX, an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten am 20. November 2006 hat unsere aktionistischen Volksvertreter wieder einmal auf die glorreiche Idee gebracht, die effizierende Schuld an solchen blutigen Gewalttaten u.a. bei rabiaten Computerspielen, den sogenannten Ego-Shootern, zu suchen. Doch dies erweist sich letzten Endes als der gleiche Unsinn wie weiland der unschlüssige Erklärungsversuch, gewaltverherrlichende Action- und Horrorfilme würden diese allgemeingefährlichen Tobsuchtsanfälle auslösen – alles hilfloses Gefasel verständnisloser und überforderter Politiker, die es eigentlich besser wissen müßten. Denn erstens gibt es nicht wenige Menschen, die sich mit solch aggressiven Spielen und Filmen psychisch abreagieren, damit sie eben nicht auf andere losgehen. Und zum zweiten ist doch wohl allgemein bekannt und vielfach wissenschaftlich nachgewiesen, daß die kausale Veranlassung dieser Bluttaten eine völlig andere ist, nominatim eine sukzessive psychosoziale Entwurzelung, ausgelöst durch: a) den Verlust der beruflichen Integration, z.B. Arbeitslosigkeit oder Versetzung, b) wiederholte Kränkungen – reale wie imaginäre – unterschiedlicher Art und c) als unlösbar empfundene Partnerschaftskonflikte. Erst wenn diese zehrenden seelischen Belastungen durch diverse Surrogate (Spiele, Filme etc.) nicht mehr kompensiert werden können, kommt es zu einem eruptiven Amoklauf. Mit anderen Worten: unsere Staatsführung sollte lieber mehr die desolate geistige Gesundheit ihrer Untergebenen fördern, anstatt populistisch wie unüberlegt irgendwelche martialisch anmutenden Medien verbieten zu wollen; denn wer diese par force haben will, bekommt sie auch – wenn nicht hier, dann im benachbarten Ausland. Und das Internet gibt es schließlich auch noch… [Anmerkung: Amokläufe gab es schon immer, auch zu Zeiten, in denen die Menschheit noch keine Computer oder Fernseher hatte und mehrheitlich des Lesens und Schreibens nicht mächtig war. Und auf wen oder was hätte unsere ideenreiche Regierung damals die Schuld geschoben? Etwa auf ‚gewaltverherrlichende’ Gemälde und Skulpturen…?]

CC

a: ‚Haben Sie schon das Neueste gehört? Der Euro ist gar kein Teuro, wie wir uns immer gedacht haben – laut neuester Statistik war alles nur diffamierende Einbildung, sozusagen ein fehlgeleitetes Gefühl, da die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten nachweislich vor und nach der Währungsumstellung im Jahr 2002 mehr oder weniger gleich geblieben sind. Das hat zumindest dieser nette Finanzexperte gerade in den Nachrichten gesagt.’

b: ‚Sie haben recht, statistisch gesehen hat sich nicht viel verändert. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.’

a: ‚Wie meinen Sie das?’b: ‚Nun, der Durchschnitt der monatlichen Haushaltsausgaben in den deutschen Familien

blieb zwar im großen und ganzen gleich – relativ gesehen –, das konnten Sie ja der präsentierten Statistik entnehmen. Doch der tragische Witz an der ganzen Sache ist, daß man all dies überwiegend auf die sukzessive Verbilligung langlebiger Erzeugnisse zurückführen kann, während die profanen Bedarfsgüter des täglichen Lebens mehrheitlich bedeutend teurer wurden.’

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a: ‚Tatsächlich? Und können Sie auch Beispiele für Ihre aufgestellte These nennen?’b: ‚Natürlich. Langlebige Produkte wie Fernsehgeräte, Multimediaanlagen oder Computer

erlebten und erleben immer noch einen rasanten Preisverfall. Viele weitere Elektronikprodukte ebenfalls. Auch Mobiliar und Fahrzeuge verbilligten sich in etlichen Fällen merklich. Doch nehmen wir dagegen die Zigaretten – vor der Währungsumstellung 4.- DM, heute 4.- Euro; gleiches Phänomen auch bei losem Tabak oder Zigarren. Neue DVDs oder CDs kosteten einst 19.95 DM, heute 19,95 Euro. Oder diverse Getränke, alkoholische wie alkoholfreie – ich denke da exemplarisch an eine bestimmte Spirituosensorte – damals 18.95 DM, heute 18,95 Euro. Obst und Gemüse erging es ähnlich. Auch der Pizzaservice verteuerte seine Leistungen – früher kostete meine favorisierte Pizza 9.90 DM, heute 9.90 Euro. Apropos Gastronomie – auf manchen Speisenkarten wurde schlicht das DM mit einem € überklebt. Wiener Schnitzel mit Beilagen und Salat – früher 12.- DM, heute 12 Euro. Aber statistisch gesehen hebt sich das alles eben gegeneinander auf. Die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten blieben zwar im Prinzip gleich, doch das tägliche Leben und Überleben wurde erheblich teurer. Eine Statistik sagt eben immer nur das aus, was die illustren Auftraggeber von ihr erwarten – schließlich bezahlen sie sie auch. Wie heißt doch das schöne, hier passende Sprichwort? 'Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Wobei wir es hier jedoch nicht mit einer reinen Fälschung zu tun haben (denn in gewisser Weise stimmt diese Statistik ja), sondern hauptsächlich mit einer geflissentlichen Verkennung und Verdrehung der Tatsachen zugunsten der eigenen Sache – Sie kennen dieses Spielchen doch sicher aus der alltäglichen Politik in unserem Lande.’

a: ‚Sie behaupten also allen Ernstes, unsere volksgewählten Politiker drehen und wenden die Ereignisse so lange, bis sie halbwegs in ihr verfolgtes Konzept passen? Das kann ich Ihnen gar nicht glauben…’

b: ‚Natürlich ist das so, wo denken Sie hin? Glauben Sie es ruhig (– Träumer…)…’

CCI

Italien, 20. Dezember 2006: Jetzt hat es der an progressiver Muskeldystrophie erkrankte Kopräsident der italienischen Vereinigung Associazione Luca Coscioni, Piergiorgio Welby, endlich geschafft und hat in dem Anästhesisten Mario Riccio einen humanen, mitfühlenden Arzt gefunden, der seinem unerträglichen Leiden ein gnädiges Ende setzte. Und schon wollen die ewiggleichen Ewiggestrigen, die ethik- und selbstverliebten Anstoßnehmer aus allen möglichen und unmöglichen ideologischen Niederungen, Riccio ob seines höchst menschlichen Verhaltens einen niederträchtigen Mord anhängen und mit lebenslangem Berufsverbot belegen. Dabei war dieses wahrlich anständige Benehmen das einzig richtige und menschenwürdige, was er dem sterbenskranken Welby noch geben konnte; es sollte mehr couragierte Mediziner seines Schlages geben, dann bliebe vielen leidenden Menschen ein zutiefst unwürdiges und schmerzhaftes Dahinsiechen bar jeder Lebensqualität erspart. Die Gerichte sollten sich lieber mehr um die wirklichen Verbrechen in der Gesellschaft kümmern, und nicht für die völlig unangebrachte Ahndung humanitärer Freundschaftsdienste, welche unter die persönliche Freiheit fallen sollten, sinnlos Steuermittel verschwenden. Aber leider wird dieses ethisch-juristische Problem der Euthanasie selbst in einem (mehr oder weniger) säkularen Staatenkonglomerat wie Europa immer noch viel zu sehr im sittlichen Rahmen von überkommenen religiösen Traditionen diskutiert, in denen das Leben direkt von Gott, zumindest jedoch von einer höheren Wesenheit, gegeben ist und die somit jedwede Art von Mord oder Selbstmord grundsätzlich negieren159. Doch unter Annahme und Forderung eines humanen Liberalismus in einer konsequent laizistisch regierten Nation sollte jeder einzelne Mensch die absolute Autonomie über sich – seinen Körper, seinen Geist und sein Leben – besitzen (aber eben explizit nur über sich), und mit diesen verfahren dürfen, wie es ihm

159 Ernst Tugendhat: Das Euthanasieproblem in philosophischer Sicht aus Tugendhat 2001, S. 40-56

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beliebt, solange er andere nicht mit seinen selbstischen Aktionen gefährdet. So sollte per exemplum auch der ohnehin weitverbreitete Drogenkonsum allgemein straffrei bleiben, nicht nur bei Medikamenten, Alkohol und Zigaretten, sofern sich der Konsument die benötigten finanziellen Mittel nicht auf kriminellem Wege beschafft und, wie bereits erwähnt, andere nicht gefährdet. Die verantwortende Zuständigkeit für Drogenkonsum und Suizid (passiv wie aktiv) gehören vollständig in die Privatsphäre des Individuums verlagert – niemand soll einem anderen vorschreiben, wie lange er lebt bzw. leben muß. Bereits in Gedankensplitter bemerkte ich zum subtilen Thema Sterbehilfe: „In mancher tragischen medizinischen Ausnahmesituation, wie etwa einer diagnostizierten Inkurabilität bei austherapierten Tumor- oder Schmerzpatienten, sollte dem menschenunwürdig leidenden, todgeweihten Kranken legitim die humane Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe angeboten werden, bei der er mittels einer adäquaten humantoxischen Substanz physisch schmerzfrei und mental entspannt entschlafen darf – wenn klinisch vertretbar, sogar in bekannter, heimischer Umgebung. Lieber ein schnelles, würdevolles, selbstinszeniertes Lebensende, als schleichendes, qualvolles, elendes Siechtum – denn sterben wird der Unheilbare ohnehin, früher oder später. Also warum soll er nicht selbst in Ruhe – und solange er es noch kann – den Zeitpunkt seines irdischen Abgangs determinieren? Leider müssen wir überbürokratisierten Deutschen für diese hehre Gnade des individuellen Todes immer noch ins benachbarte Ausland fahren, weil im eigenen Land die ethisch unglaublich verklemmte Staatsführung die altertümliche medizinpolitische Doktrin des desperaten ‚Überlebens um jeden Preis’ hochhält und sogar verbissen per Gesetz (§ 216 StGB [Tötung auf Verlangen, KvS])160 verteidigt. Doch wer das global verbriefte Recht auf Leben hat (Artikel 3 der Internationalen Menschenrechte)161, sollte auch das garantierte persönliche Recht haben, selbstbestimmt und ohne richterliche Stolpersteine aus selbigem zu scheiden; wobei im Prinzip der zweite Artikel des deutschen Grundgesetzes eigentlich gereichen sollte – von wegen ‚ Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […]’ respektive ‚Die Freiheit der Person ist unverletzlich.162’ Mit anderen Worten: laßt doch die Leute sterben, wenn sie wollen…163“

CCII

Manchmal entscheidet zwischen interimistisch persistierender Existenz und instantanem Suizid nur der winzige Bruchteil eines Gedankensplitters…

CCIII

Zufälle in der zivilisatorischen Gesellschaftsgeschichte, in religiösen Geschehnissen oder in der allgemeinen Politik gibt es nicht, gab es noch nie, und wer in unserer überwachungs- und manipulationsverliebten Zeit der Hochtechnologie immer noch optimistisch und vertrauensselig meint, irgend etwas auf der Welt geschähe zufällig, ungeplant und ungesteuert – außer Naturkatastrophen vielleicht –, der glaubt auch noch an eingehaltene Wahlversprechen und ehrliche Politiker. Alles, was von einer gewissen öffentlichen Stufe an aufwärts passiert, muß grundsätzlich mit Ciceros cui bono?164 betrachtet und bewertet werden, wobei die Wahrheit, die wirklich zugrundeliegende Motivation, der eigentliche verantwortliche Nutznießer einer bestimmten offiziellen Konstellation u.U. erst nach Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten erfaßt und bezeichnet werden kann; bisweilen aber auch niemals…

160 Siehe Anhang161 Siehe Anhang162 Siehe Anhang163 Spreewinkl 2006b, S. 96 f.164 Wem zum Vorteil? (Pro Sex. Roscio Amerino)

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CCIV

Der deutsche Staat hat offensichtlich gravierende Probleme mit einigen grundlegenden Teilen seines eigenen Grundgesetzes, per exemplum mit Artikel 5165, welcher den Bürgern eine umfassende Meinungs- und Informationsfreiheit ohne jedwede Zensur verspricht. Offensichtlich wird dieser suspekte Umstand hauptsächlich in seinem harschen Umgang mit diversen Medien, u.a. mit der staatsanwaltlichen Einziehung von sogenannten gewaltverherrlichenden Spielfilmen nach § 131 StGB166. Doch was anderes als juristisch manifestierte Zensur ist es denn, wenn der Staat aktiv Filme beschlagnahmt, sie also eindeutig seinem wohl unmündigen Volk vorenthält, und bei geflissentlicher Nichtbeachtung oder Umgehung des richterlichen Beschlagnahmebeschlusses mit drastischen Sanktionen droht? Filme, die in den meisten europäischen Nachbarländern, aber nicht nur dort, problemlos und teilweise schon mit einer Altersfreigabe ab 16 Jahren erstanden werden können? Filme, die in anderen Ländern bereits ungeschnitten in den Nachmittagsprogrammen der verschiedensten Fernsehsender laufen? Sind die Deutschen im Vergleich dazu wirklich so infantil und geistig unbedarft, daß man ihnen taktlos überspitzte Horrorkomödien, wie beispielsweise Tanz der Teufel167 oder Dead Alive168, nicht oder nur in einer radikal kastrierten Form zumuten kann? Doch nicht nur Spielfilme, auch Radiosendungen, Bücher, Zeitschriften etc. werden nicht selten dieserart entschärft und begradigt. Mit anderen Worten: man kann zwar eine eigene Meinung haben, welche auch nicht immer der offiziell propagierten und/oder gesellschaftlich präferierten entsprechen muß, doch es ist augenscheinlich nicht immer angebracht, diese auch frei und offen zu äußern, wenn man sich nicht plötzlich und unvermutet mit einer Abmahnung, einer Unterlassungsklage o.ä. konfrontiert sehen möchte. Dementsprechend leidet auch die zugesicherte Informationsfreiheit, denn was zensiert oder beschlagnahmt ist, kann ich natürlich auch nicht sehen – zumindest nicht offiziell und nur unter der dräuenden Gefahr eines empfindlichen juristischen Nachspiels –, und so kann ich mir auch keine eigene, unabhängige Meinung darüber bilden. An der gesetzeskonformen Einhaltung der eigenen Gesetze muß Deutschlands Regierung offensichtlich noch schwer arbeiten…

CCV

Des Deutschen liebstes Kind, das Auto, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Politik und Wirtschaft strategisch korrelieren (– und das nicht nur national, sondern auch auf Globalisierungsebene). 1) Warum bauen Automobilhersteller keine rostfreien, haltbaren Autos, obwohl sie es schon lange könnten? Ganz klar, weil sie dann viel weniger Neuwägen verkaufen und dementsprechend weniger profitieren würden, wenn die produzierten Fahrzeuge Lebenszeiten von 40, 50 oder mehr Jahren hätten – und sie möchten doch nicht ihre illustren Aktionäre durch sinkende Absatzzahlen und geringere Einnahmen verärgern. 2) Warum bauen Automobilhersteller keine sparsameren Autos, obwohl private Tüftler bereits Gefährte konstruieren, die mit einem Liter Benzin über 1.000 Kilometer fahren können? Simple Antwort: Autohersteller arbeiten mit Ölkonzernen zusammen, und clericus clericum non decimat169. Denn wenn erstere einen geringeren Spritverbrauch bei ihren Erzeugnissen einführten, hieße das weniger Verdienst bei letzteren, was sich wiederum als nachteilig für erstere erwiese… Und was machen die Politiker angesichts dieser Situation? Die halten sich ostentativ zurück, da sie z.T. selbst in den entsprechenden Aufsichtsräten und Gesellschaftsvorständen sitzen – und warum sollten sie gegen sich selbst vorgehen? À propos,

165 Siehe Anhang166 Siehe Anhang167 The Evil Dead/Tanz der Teufel, USA 1982, Regie: Sam Raimi168 Braindead/Dead Alive, Neuseeland 1992, Regie: Peter Jackson169 Ein Geistlicher nimmt von einem Geistlichen keinen Zehent (Corpus iuris canonici); soll heißen: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus

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wenn ich gerade von Verkehrsmitteln rede – vor kurzem war mein Fahrzeug in Reparatur; ein Wagen, ein Auftrag – und die Firma hat sich doch tatsächlich dazu entblödet, diesen einen Werkstattbesuch auf zwei Rechnungen aufzuteilen, weil es ihr offensichtlich mittlerweile selbst peinlich ankommt, wie unglaublich teuer sie geworden ist. Bald wird es mit Autos genauso wie mit Elektrogeräten sein – es ist billiger, ein neues (gebrauchtes) zu kaufen, als ein defektes reparieren zu lassen…

CCVI

Erst Deutschland. Ein Sommermärchen170, jetzt Klinsmann & Co. als animierte Knetfiguren im Internet – macht doch gleich eine Zeichentrickserie daraus, ein Gesellschaftsspiel oder eine Daily Soap, solange der Hype noch anhält…

CCVII

Im Berliner Zoo wohnt Knut, ein kleiner, sechs Wochen alter Eisbär (ursus maritimus), der, seitdem ihn seine leiblichen Eltern verstießen, liebevoll von einem mitfühlenden Tierpfleger aufgezogen wird. Nun fordert allen Ernstes ein süddeutscher ‚Tierschützer’, daß der Zoo Knut einschläfern soll, weil diese Handaufzucht keine artgerechte Haltung sei. Ja mei, die Bayern halt wieder – Bayern, das Land der Bärentöter; erst Bruno, der Braunbär, jetzt Knut, der Eisbär – wo soll das enden? Und was soll das denn für ein Tierschützer sein? Anstatt froh und glücklich zu sein, daß diese gefährdete Tierart gefördert und erhalten wird. Der Unsympath hat wohl den Beruf verfehlt. Mit diesem im wahrsten Sinne des Wortes ‚unmenschlichen’ Ansinnen sollte dieser sogenannte ‚Tierschützer’ auf Versuchstiermörder, Walfänger oder Robbenschlächter umschulen! Und, wenn man diesen hartherzigen Faden weiterspinnt, soll man von nun an alle menschlichen Vollwaisen auch einschläfern, da eine Heimaufzucht ebensowenig artgerecht ist?

CCVIII

Nun haben die Vereinten Nationen (UN) also mit Ban Ki-moon einen neuen Generalsekretär, für die nächsten fünf Jahre übernimmt er das Amt, welches vorher Kofi Annan innehatte. Ob der unzulängliche Papiertiger nun schärfere Zähne erhält und mehr erreichen kann?171 Wir werden sehen…

CCIX

Was für ein Tag – das Wetter ist grau, die Vergangenheit dunkel, die Gegenwart düster, die Zukunft schwarz. Heute ist ein guter Tag zum sterben…

CCX

Ich bin ein einsamer Bote des Niedergangs, ein unfreiwilliger Überbringer der Destruktion, ein rufender Prophet der Zerstörung in der irdisch-menschlichen Ödnis, ich atme den pessimistischen Geist des Verfalls und bringe den unbedarften anthropomorphen Kreaturen größtmögliches Ungemach in ihre unermeßliche Ahnungslosigkeit. So wie etwa dem freundlich-zuvorkommenden Verlag, der einst als einziger ohne größere Ressentiments meine deprimierenden schriftgewordenen Gedankengänge veröffentlichen wollte, welcher nun bedauerlicherweise Insolvenz anmelden mußte und nun vermutlich den tristen Weg der

170 Deutschland. Ein Sommermärchen, Deutschland 2006, Regie: Sönke Wortmann171 Vgl. Spreewinkl 2006b, S. 175

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wirtschaftlichen Selbstauflösung beschreiten wird. Dies ist sicher nicht die beeindruckende Referenz, welche ich mir für die weitere – respektive erneute – Suche nach einem adäquaten Verlagshaus erwartet und gewünscht hätte…

CCXI

Das kurze irdische Dasein wäre noch unerträglicher, würden die menschlichen Haare mit Blutgefäßen und Nervensträngen inklusive Schmerzrezeptoren durchzogen sein – aber nur unwesentlich…

CCXII

Man muß schon sehr viele Quacksalber und Kurpfuscher abklappern und über sich ergehen lassen, bevor man einen halbwegs intelligenten und verantwortungsbewußten Arzt findet, zu dem man auch zumindest ein Fünkchen Vertrauen fassen und empfinden kann. Die anderen überweisen dich ohnehin nach einer dreiminütigen Diagnoseerstellung gleich an den nächsten Arzt weiter, da sie a priori keine Ahnung von deinen Krankheiten und Gebrechen haben – wobei sich die angepriesene Fachkoryphäe, die du nun aufsuchen mußt, jedoch auch nicht immer als kompetent und urteilssicher erweist; oder aber, sie haben ebenfalls keine Ahnung, doktern aber demungeachtet doch ein wenig an dir herum, denn erstens bringt es Geld und vielleicht hilft ja doch irgend etwas aus dem wirren Therapieplan; oder sie behandeln dich von Anfang an süffisant als Hypochonder, als querulatorischen Simulanten, der sowieso nur zu faul zum Arbeiten ist und sich auf diese infame Weise nur eine gelbe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschleichen will…

CCXIII

Ab heute172 gilt in Deutschland ein absolutes Alkoholverbot für Fahranfänger – na toll, lange hat’s gedauert – das hätten sie bereits anno 1904 mit Ausstellung des ersten Führerscheins einführen sollen…

CCXIV

Ich finde es erschreckend, daß sich Deutschland bereits wieder an Kriegen beteiligt - beteiligen darf…

CCXV

In Guatemala-Stadt, der Hauptstadt des mittelamerikanischen Staates Guatemala, tat sich ein riesiges, etwa 100 Meter tiefes Erdloch auf und verschluckte drei Häuser, einige Menschen werden noch vermißt (– angeblich lösten ein undichter Abflußkanal und schwere Regenfälle den Einsturz der Erdmassen aus)173. Da fallen mir doch auf Anhieb etliche andere Großstädte ein, die dieses Schicksal mehr verdient hätten – und zwar vollständig…

CCXVI

Es wäre interessant, einmal in ein Universum blicken zu dürfen, welches nicht auf Dualität, wie etwa unseres, sondern auf Trinität aufgebaut wäre – wobei ich nicht einen irdischen Trialismus meine, der nur einen ideellen Wert darstellt, sondern eine reale und generelle

172 14. Februar 2007173 N24 online, 24.02.2007 (www.n24.de)

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Dreiteilung der Gegebenheiten. Dementsprechend gäbe es nicht nur Mann und Frau, es gäbe bei jeder Spezies in dieser für uns exotischen Welt drei Geschlechter, wobei jedes einzelne mit den beiden übrigen zu 100 Prozent kompatibel wäre. Diese Dreiheit bezöge sich aber nicht nur auf die dort vorkommenden Lebewesen, auch auf abstrakter Ebene gäbe es jeweils drei konträre Optionen. Bei uns, in einem dualistisch aufgebauten Universum, sprechen wir von hell und dunkel, schwarz und weiß, gut und böse, oben und unten, links und rechts; in einer trialistischen Welt hingegen zeigte sich jeweils noch ein dritter Faktor, der den beiden anderen antagonistisch gegenüberstände. Leider erweist es sich für unser bipolar geprägtes Gehirn als äußerst schwierig, sich so etwas eidetisch vorzustellen…

CCXVII

An manch deprimierenden Tagen scheinen sich zusätzlich noch sämtliche unbeseelten Gegenstände subversiv gegen einen verschworen zu haben. Was man leise verrichten will, gerät zu einer brüllenden Kakophonie; was man vorsichtig placieren möchte, fällt herunter (– oder fällt um, und erzeugt wiederum Lärm); was schnell erledigt werden sollte, gerät zur Ewigkeitsaufgabe; was ganz bleiben sollte, geht kaputt – man wird zu einem fleischgewordenen Beispiel für Murphys Gesetz…

CCXVIII

Vielleicht sind wir alle nur artifizielle Figuren einer synthetisch erschaffenen Welt in einem Real-Life-Computerspiel für intelligentere Wesen – ähnlich den Sims…

CCXIX

Laut den Medizinwissenschaftlern hat jeder Mensch ein eigenständiges enterisches Nervensystem (ENS), das sogenannte Darmhirn. Doch bei den meisten anthropomorphen Kreaturen ist dies auch das einzige Hirn, das sie haben, denn egal, was sie sagen oder sonst fabrizieren, es kommt nur Scheiße (sit venia verbo174) dabei heraus.

CCXX

Der Mensch ist, abgesehen von den Viren, die giftigste und destruktivste Lebensform auf Erden…

CCXXI

Schwüre und Eide, offizielle wie private, geforderte wie frei abgelegte, sind ein lange schon überholtes Relikt aus grauer Vergangenheit und nicht einmal den Atem wert, mit dem sie salbungsvoll kundgetan wurden. Da es außer dem säkularen Gesetz keine weitere, eventuell höherstehende moralische Instanz gibt, um die sich ein Schwörender wirklich kümmern oder sorgen müßte, erweist sich jede noch so feierlich aufgezogene Vereidigung nur als ein billiges, theatralisches Possenspiel; eine pathetische Farce ohne jeglichen Wert für eine ernsthafte Wahrheitssuche oder -verteidigung. Des weiteren ist Wahrheit nicht gleich Wahrheit; jede anthropomorphe Kreatur lebt von Tag zu Tag in seiner eigenen kleinen Realität, und die muß nicht unbedingt mit der objektiven, der tatsächlichen Wirklichkeit übereinstimmen – trotzdem hat sie, ihrer ureigensten Meinung nach, die reine Wahrheit, und nichts als die Wahrheit gesagt…

174 Gnade sei dem Worte, soll heißen: dem Ausdruck sei verziehen, denn jede wohlklingendere Expression würde die freudlose Tatsache bagatellisieren

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CCXXII

Die gegenwärtige Menschheit ist – und war immer schon – viel zu kleingeistig und egoistisch, als daß aus ihr einmal eine große und echte, eine wirkliche Zivilisation entstehen könnte…

CCXXIII

An manchen Tagen steigert sich meine charakteristische Misanthropie soweit, daß, selbst wenn sich in der Straßenbahn oder im Bus eine anthropomorphe Kreatur nur auf den Nebenplatz setzt, mich eine unerträgliche Übelkeit ankommt – und ich verdamme den unseligen Entschluß, außer Haus zu gehen, meine Wohnung zu verlassen…

CCXXIV

Lobgesang auf Landplagen und PestilenzenHeil Euch!

Glücklich die, die miterlebt habendie schrecklichen

Landplagen und Pestilenzendenn sie sind im Himmelreich.

Schande auf die, die dasGlück der Erdeüberlebt haben

Denn der Tod ist der Sinn.Ein Hoch den sieben letzten Plagen

des Johannesdie das Ende

eines Gottes Zorn sind.Freue Dich, Ägypten

denn Dir warenzehn Plagen gegeben

aber Du vertriebstdie Heilbringer.

Glückliches Europa!Deine Dekadenz brachte

der Erde viel Freudemit Deinem

Schwarzen Tod!Hoffe auf den Fortgang

dieser Zeiten.

Ein Nichts derder nicht die Freudendes Siechtums gespürt

die Ekstase desTodes

erlebt hat.Er bete um Hoffnung

um glücklichere Zeiten.Auch der Aussatz, die Lepra

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die das Privilegder asiatischen Länder waren

harren ihrer neuen Verbreitungzum Wohle der Menschheit.

Mögen uns die alten Plagen erreichenbevor uns die

Freuden des Atomsheimsuchen.

Tod den sterilen Städten und Länderndes debilen Fortschritts.

Die Verzückungdes Sterbens

wird übers Meer kommenzu vernichten

für die Freiheit der Welt…

Kain L. von SpreewinklDeutschland, im Sommer 1984

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III. DeprimierendesI

Die unausgegorene Inkonsequenz der mehrfach reformierten Reform der deutschen Rechtschreibreform aus dem Jahre 2006 (ursprünglich 1996) erkennt der konsternierte Gelegenheitsschreiber daran, daß etwa der Tip zu einem Tipp und der Mop zu einem Mopp wurde (‚weil man es eben so betont’), während der Grip ein Grip, das Top ein Top und der Flop ein Flop bleibt (obwohl man diese Termini ebenso betont). Wo soll bei einer solch gravierenden, offensichtlichen Unlogik die vielbeschworene Sprachharmonisierung, die verständlich standardisierte Schriftbildkonsistenz sein? Nun ja, rebus sic stantibus…175 – ich für meinen Teil werde jedenfalls bei der prächaotischen, unreformierten, normalen Orthographie bleiben; und zu den unglaublich ‚innovativen’ Möchtegernreformatoren ist zu sagen: Caesar non supra grammaticos176. Anstatt die deutsche Rechtschreibung mehrmals innerhalb weniger Jahre abzuändern und zu verunstalten, hätten die Verantwortlichen lieber dafür sorgen sollen, daß die Bevölkerung wenigstens eine Schreibweise, die originale, angemessen beherrscht. Doch jetzt weiß augenscheinlich niemand mehr, was richtig oder falsch ist, und jeder schreibt so, wie er gerade will. Ersehen kann der aufmerksame Leser diese bedenkliche Tatsache bei jedem Blick in eine Tageszeitung, in der teilweise sogar innerhalb eines Artikels dasselbe Wort einmal nach der alten und einmal nach der neuen Orthographie geschrieben steht. Lesen bildet? Das stimmt zwar, aber eine korrekte Rechtschreibung bringt es einem nicht mehr bei (außer man liest den neuesten Duden) – das war einmal…177

II

Heute habe ich mir das am 18. August 2006 inkraftgetretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich bzw. früher auch bekannt als Antidiskriminierungsgesetz (ADG), etwas genauer zu Gemüte geführt, doch bereits in § 1 Ziel des Gesetzes sprang mir eine gravierende Diskriminierungsgrundlage ins indignierte Auge, die m.E. dort nicht sein dürfte. Zitat: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse178 oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.179“ Also wirklich – ich war bereits ansatzweise der guten Hoffnung (– im begrenzten Rahmen des optimistisch Möglichen, denn de omnibus dubitandum est180 –), daß wenigstens einige der Politiker im säkularen Deutschland ohne explizite Rassenhinweise auskommen, da es doch mittlerweile allgemein be- und anerkannt sein sollte – zumindest in anthropologisch aufgeklärten Kreisen –, daß es keine unterschiedlichen Rassen Mensch mehr gibt, seit der Neandertaler vor etwa 30.000 Jahren ausstarb. Weiland schrieb ich hierzu: „Der dubiose Rassengedanke bei der Spezies ‚Mensch’ ist zuvörderst ein rein ideeller und ausschließlich ideologisch motivierter, der nicht auf verifizierbare biologische Faktizitäten beruht und erst seit etwa 200 Jahren als soziologischer Begriff in der Zivilisationsgesellschaft gehandelt wird – und das zumeist in seiner ungünstigsten und unwürdigsten Form. […] Die heutigen ‚Rassen’, respektive was obstinate Rassisten und gedankenlose Räsonierer bereitwillig und gemeinhin als solche bezeichnen, erweisen sich lediglich als das unschöne

175 Wenn die Dinge so stehen…176 Der Kaiser steht nicht über den Philologen (Sueton, De grammaticis)177 Siehe hierzu auch den Aufsatz Zur neuen Rechtschreibung aus dem Jahre 1997 im Anhang178 Kursivierung KvS179 Bundesministerium der Justiz und Juris GmbH (www.gesetze-im-internet.de/agg)180 An allem ist zu zweifeln (Kierkegaard)

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Produkt des fortwährend praktizierten Rassismus, und nicht umgekehrt. Der aktuell gelebte Rassenhaß basiert ausschließlich auf mißverstandener Kultur, kulminierten Ressentiments und der fremdartigen Sprache des Volkes, das ihn erleiden muß. Ein willkürlich isolierter Teil der menschlichen Gemeinschaft ist bzw. wird erst dann zu einer eigenen Rasse, wenn er von anderen willentlich dazu gemacht wird. Beim Menschen gibt es, biologisch und evolutionstechnisch gesehen, keine Subspezies, Zuchtformen, Varietäten oder Sorten. Der moderne Mensch (Homo sapiens) ist lediglich ein mittelgroßes Säugetier aus der Ordnung der Primaten (Primates), er gehört zur Unterordnung der Trockennasenaffen (Haplorhini), und dort zur Familie der echten Menschen (Hominidae) – causa finita est. Mit anderen Worten: der Mensch ist die Rasse, und potentielle Unterarten von Homo sapiens sind wissenschaftlich nicht intendiert. Das heißt eineindeutig, verschiedene Rassen Mensch gibt es nicht – bzw. gibt es nicht mehr, seit der Neandertaler (Homo neanderthalensis) vor etwa 30.000 Jahren ausstarb –, nur ab und an kaum erwähnenswerte minimale optische Differenzen, klimatisch definierte Habitatadaptionen und heterogene Kulturformen, welche aber in einer derart riesigen, weltweit verbreiteten Population derselben Lebewesen usuell sind.181“ Diese überflüssige Inkludierung des Rassegedankens in ein Bundesgesetz wird in der Begründung zum Gesetzesentwurf folgendermaßen gerechtfertigt: „Die Verwendung des Begriffs der ‚Rasse’ ist nicht unproblematisch und bereits bei der Erarbeitung der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG intensiv diskutiert worden […]. Die Mitgliedsstaaten und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben letztlich hieran festgehalten, weil ‚Rasse’ den sprachlichen Anknüpfungspunkt zu dem Begriff des ‚Rassismus’ bildet und die hiermit verbundene Signalwirkung – nämlich die konsequente Bekämpfung rassistischer Tendenzen – genutzt werden soll. Zugleich entspricht die Wortwahl dem Wortlaut des Artikel 13 EG-Vertrag, dessen Ausfüllung die Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG dient, sowie dem Wortlaut des Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes182. In Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 6 der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG sind allerdings Theorien zurückzuweisen, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen. Die Verwendung des Begriffs Rasse in der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG bedeutet keinesfalls eine Akzeptanz solcher Vorstellungen. Zur Klarstellung wurde daher – auch in Anlehnung an den Wortlaut des Artikels 13 des EG-Vertrags – die Formulierung ‚aus Gründen der Rasse’ und nicht die in Artikel 3 Abs. 3 GG verwandte Wendung ‚wegen seiner Rasse’ gewählt. Sie soll deutlich machen, daß nicht das Gesetz das Vorhandensein verschiedener menschlicher ‚Rassen’ voraussetzt, sondern daß derjenige, der sich rassistisch verhält, eben dies annimmt.“ Diese Apologie kann, trotz der letzten vier Sätze, allein durch ihre explizite Erwähnung, als unangebrachte Würdigung selbst der übelsten Rassisten gewertet werden, denn nur weil irgend jemand irgend etwas annimmt oder annehmen kann, darf diese gegenstandslose Hypothese noch lange nicht in den Text eines grundlegenden Gesetzes einfließen. Natürlich gibt es immer noch etliche ewiggestrige Rassisten und pseudowissenschaftliche Rasseverteidiger, aber genausogut gibt es Alt- wie Neonazis, Wundergläubige, Phantasten und viele weitere Schwarmgeister, die ebensoviel und ebenso unterschiedliches annehmen – trotzdem haben sie in einem nüchternen Gesetzestext, der doch angeblich realitätsbezogen sein soll, mitnichten etwas zu suchen. Wenn sie dennoch in einer bundeseinheitlichen Direktive auftauchen, vor allem wie in der hier praktizierten Weise, muß man leider auch insinuieren, daß die Verfasser derartiger Gesetzesvorlagen die Existenz dieser irrealen Mutmaßungen würdigen – zumindest negieren oder ignorieren sie eine solche nicht. Da es aber nun einmal keine unterschiedlichen Rassen von Mensch gibt, hat auch der biologische Begriff der Rasse in offiziellen Gesetzen nicht aufzutauchen – außer im Strafgesetzbuch…

181 Spreewinkl 2006a, S. 90 ff.182 Siehe Anhang

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III

Das deutsche Gesundheitswesen sackt seit Jahren immer weiter ab und verliert langsam den gebotenen Blick für das Wesentliche. Während 90jährige präfinale Patienten in den Krankenhäusern die geballte Kraft der medizinischen Wissenschaft erfahren und über sich ergehen lassen müssen – schließlich sollen sie die 100 möglichst noch erreichen –, werden junge Menschen, die noch das ganze Leben vor sich haben und noch für Jahrzehnte arbeiten müssen, als querulatorische Simulanten abgestempelt und mehr oder weniger unbehandelt von der Notaufnahme direkt wieder nach Hause geschickt. Doch so erzeugt man nur Frührentner und unnötiges soziales Ungemach.

IV

Auch Cicero wußte um die primären Sorgen der Politiker: quam difficilis est virtutis diuturna simulatio183.

V

Sämtliche Politiker sollten vor ihrem staatstragenden Werdegang erst zehn Jahre einer normalen Tätigkeit nachgehen müssen, damit sie bei Amtsantritt wenigstens noch einigermaßen wissen, wie es ist, zum einfachen Volk, zur misera contribuens plebs184 zu gehören…

VI

Krieg ist prinzipiell schlecht, und das in jedweder strategischen Ausführung, auch als ‚gutgemeinter’ Befreiungskrieg, wie ihn gegenwärtig die Amerikaner et al. im Irak zelebrieren (mehr oder weniger) – solitudinem faciunt, pacem appellant185.

VII

Unsere deutschen Politiker sind schon ein eigenes, ziemlich weltfremdes Völkchen – zuerst regieren sie chronisch mehr schlecht als recht vor sich hin, verteuern alles und senken aktiv den allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung, und dann wundern sie sich allen Ernstes, wenn ihre wöchentlichen Umfragewerte sukzessive in den Keller sacken. Kennen die denn nicht alte Sentenz: istis dicentibus: quo usque eadem? responde: quo usque eadem peccabitis?186 Wer ordentlich, gerecht und transparent arbeitet, braucht Kritik nicht zu fürchten – und schon Juvenal konstatierte: facit indignatio versum187.

VIII

Politiker zu sein ist wahrlich schwer – ständig wird man gezwungen, das Falsche zu tun…

IX

183 Wie schwer ist ein längeres Erheucheln der Tugend (Ad Atticum)184 Das elende steuerzahlende Volk (Werboczius, Decretum tripartitum)185 Eine Einöde schaffen sie, Frieden nennen sie es (Tacitus, Agricola)186 Wenn jene sagen: Wie lange noch immer die gleichen Vorwürfe? Antworte ihnen: Wie lange noch immer die gleichen Fehler? (Seneca, Epistulae morales)187 Die Entrüstung macht den Vers (Satires)

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Auf der 12. UNO-Klimakonferenz in Nairobi (November 2006) kam die massive Umweltveränderung endlich auch bei den Politikern an – sie meinten, es wäre wohl an der Zeit, etwas zu tun. Ach nein – die einzelnen Probleme und diesbezüglichen Lösungsansätze sind bereits seit vielen Jahrzehnten bekannt, warum hat man nicht schon vor dreißig oder vierzig Jahren in diesem angebrachten Sinne gehandelt? Immer erst warten, bis die ultimative Katastrophe vor der Tür steht, und dann panikartig einen ahasverischen Aktionismus an den Tag legen – typisch! [Nachtrag: Nun ist sie also zu Ende, die 12. UNO-Klimakonferenz – und was hat sie effektiv gebracht? Nichts, wie die letzten elfmal auch schon – laue Luft, ein paar wohlgemeinte Vorschläge, außer Spesen nichts gewesen – deprimierend. Warten wir also zuversichtlich auf die nächste (– vielleicht sollte diese Konferenz komplett in einem Tsunami absaufen, möglicherweise bewegt sich dann etwas)]

X

Die großen politischen Hauptthemen am Mittwoch, den 13. Dezember 2006: das ökonomisch kontraproduktive Sportwettenmonopol des Staates und der sogenannte Nichtraucherschutz in öffentlichen Einrichtungen – tragisch, als ob es tatsächlich nichts Wichtigeres und Dringlicheres in unserem angeschlagenen Lande geben würde (O-Ton Frau Nochbundeskanzlerin Merkel im Juni 2006: „Deutschland ist ein Sanierungsfall“188); und trotzdem konnten sich unsere streitbaren Volksvertreter in keiner von beiden marginalen Sachlagen einigen – das sagt doch alles über den desolaten Zustand in der deutschen Politik aus.

XI

Bei manch vermessenen, höchst unverständlichen Politikeräußerungen muß man erst einmal schlucken, und man möchte, wie Zeus einst Athene, den abgehobenen Rhetoriker ungläubig fragen: Ποϊόν σε έπος φύγεν έρκος όδόντων?189 Können, dürfen Staatsbedienstete sich wirklich solch abstruser Ansichten befleißigen? Und der tragische Witz ist: das unbedarfte Volk nimmt kurz Übel – und schon hat es die Sache wieder vergessen…

XII

Günther Becksteins (CSU) undifferenzierte Annahme, Killerspiele würden die Gewalt- und Straftatbereitschaft fördern, kriminalisiert ohne Not einen großen Teil der Bevölkerung und läßt harmlose Computerspieler zu potentiellen Amokläufern, Attentätern und Mördern mutieren. a: ‚…und was machen Sie so in Ihrer Freizeit?’ b: ‚Ich spiele am Computer.’ a: ‚Hilfe, Polizei!’

XIII

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bietet ein trauriges Exempel, wie schnell aus einer erfrischend innovativen und jungen Partei eine sogenannte etablierte werden kann…

XIV

Unsere Politiker bekämpfen leider immer nur Symptome, und nicht die Ursachen – denn dann müßten sie zum überwiegenden Teil gegen sich selbst vorgehen…

188 Der Tagesspiegel online, 21.06.2006 (www.tagesspiegel.de)189 Was für ein Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne? (Homer, Ilias)

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XV

14. Dezember 2006: Heute waren Ex-Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und der aktuelle Außenminister und damalige Chef des Bundeskanzleramts Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor den BND-Untersuchungsausschuß zur CIA-Entführung Khaled al-Masris geladen190. Selbstverständlich haben beide nichts von nichts gewußt (warum belästigt man sie auch mit solch profanen Nebensächlichkeiten?) – wer wirklich geglaubt hatte, diese Vorladungen würden tatsächlich auch nur ein Quentchen zur Aufklärung der mysteriösen Angelegenheit beitragen, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann. Wann war das denn je der Fall? Man denke nur an Altbundeskanzler Helmut Kohl und seine massiven Gedächtnisstörungen während seiner Anhörung beim Untersuchungsausschuß zur CDU-Spendenaffäre – Blackout ist sein zweiter Vorname – es ist höchst erstaunlich, daß dieser Mann überhaupt seine Memoiren191 schreiben konnte, bei diesen gewaltigen Gedächtnislücken…

XVI

Die Sache mit dem Durchschnittsverdienst eines Volkes ist pure Augenwischerei der jeweiligen Regierung, mit der sie ausschließlich sich selbst schmeicheln will. Ein praktisches Beispiel: ein Unternehmen, ein Manager, 99 Angestellte; der Schlipsträger bezieht 10 Millionen Euro im Jahr – ein eher unterdurchschnittliches Managereinkommen in der heutigen Zeit –, die anderen Angestellten erhalten nichts. Und obwohl 99 Prozent der Beschäftigten keinen einzigen Cent sehen, haben die Mitarbeiter dieser Firma einen jährlichen Durchschnittsverdienst von 100.000 Euro – was regen sie sich also auf? Jede noch so ‚objektive’ Statistik ist ohne weiteres im Sinne des Auftraggebers manipulierbar. Um der ‚Wahrheit’ nun etwas näher zu kommen, sollten bei Errechnung des Durchschnittsverdienstes eines Volkes die oberen und die unteren fünf Prozent gekappt werden. Wenn die Superreichen und die Ein-Euro-Jobber nicht mehr mitgezählt werden, dürfte das Mittel des Jahreseinkommens trotzdem um einiges sinken.

XVII

Der ehemalige Präsident der deutschen Bundesbank Ernst Welteke konnte im Dezember 2006 gerichtlich durchsetzen, daß seine Pension von 8.200 Euro auf 12.500 Euro pro Monat aufgestockt wird192. Das ist mehr, als manch armer Rentner im ganzen Jahr erhält. Dazu zwei Anmerkungen: (1) Eine so hohe Pension kann weder angemessen noch verdient sein; vor allem, wenn man bedenkt, unter welch dubiosen Ereignissen (Adlon-Affäre etc.) Welteke im April des Jahres 2004 beinahe fluchtartig sein Amt verlassen hat (– oder sollte es ‚mußte’ heißen?). (2) Menschen wie er sollten überhaupt keine Pensionsansprüche haben, da sie während ihrer Dienstzeit mit Sicherheit mehr als genug Geld gescheffelt und zusammengerafft haben, daß es ohnehin problemlos bis an ihr Lebensende reicht (– und die Erben haben dann immer noch mehr als genug), außerdem verfügen sie ja noch immer über diverse Einkommen aus ihren höchst lukrativen ‚Nebentätigkeiten’ – so ist Welteke seit Juni 2005 unabhängiges Mitglied des Board of Directors der südrussischen Zentr-Invest Bank in Rostow am Don, und seit August 2006 Aufsichtsratsvorsitzender der Michels AG real estate consultants in Düsseldorf. Diese Aktivitäten führt er bestimmt nicht umsonst, also ehrenamtlich und aus purem Spaß an der Freude aus. Solcherart mammonfixierte Menschen

190 ARD Tagesschau, 14.12.2006, 1700

191 Kohl 2004 & 2005192 ARD Tagesschau, 11.12.2006, 1700

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nehmen mit ihren überzogenen Pensionsforderungen nur anderen das Geld weg, die es garantiert nötiger haben als sie.

XVIII

Bundespräsident Köhler sagte in seiner Weihnachtsansprache 2006, Deutschland sei ein Land im Umbruch. Stimmt – es geht bergab…

XIX

Einerseits klagt unsere Bundesregierung fortwährend über die hohe Arbeitslosigkeit, andererseits beanstandet sie die immer stärker sinkende Geburtenrate in Deutschland – anstatt sich darüber zu freuen, denn je weniger Bevölkerung, desto eher herrscht Vollbeschäftigung, ja, sogar ein Lehrstellen- und Arbeitsplatzüberschuß steht demnach mittelfristig in Aussicht; und auf Grund mangelnder Nachfrage lassen nebenbei die Mietpreise und allgemeinen Lebenshaltungskosten nach, d.h. die individuelle Kaufkraft steigt. Mit anderen Worten: mit dem sukzessiven Aussterben der Deutschen kann es wirtschaftlich nur besser werden; obwohl – diverse wohlbegründete reservationes mentales193 bleiben stets bestehen…

XX

Die schwarz-rote Große Koalition bewerkstelligt seit ihrer unfreiwilligen Installation im Jahre 2005 nicht einmal eine Politik der kleinen Schritte – nein, sie zelebriert eine eklektizistische, regressive, destruktive Politik der professionellen Unfähigkeit; doch wer weiß, was die Zukunft noch alles bringt – forsan et haec olim meminisse iuvabit194.

XXI

Unsere gloriose Staatsführung regiert nicht mehr, sie reagiert bloß noch.

XXII

Je mehr Gesetze, desto weniger lebenswert das Land; das wußte schon Tacitus vor zwei Jahrtausenden: pessima res publica, plurimae leges195, notierte er in seinen Annalen. Überreglementierte Staaten kriminalisieren die Bevölkerung – alles potentielle Straftäter, denn irgendwann wird jeder irgendwas falsch machen…

XXIII

Man sollte als echte und wirklich wählbare Alternative für das gegenwärtig vorherrschende Dilemma (CDU/CSU und SPD; Scylla und Charybdis) eine neue Partei gründen – eine Partei der Parteilosen, Politikverdrossenen und Unparteiischen…

XXIV

Mittlerweile hat sich die Bundesrepublik Deutschland auch in den Reigen der Nationen eingereiht, in denen man durch ehrliche Arbeit nicht mehr reich werden kann – höchstens reich an negativen Erfahrungen…

193 Geistige Vorbehalte194 Vielleicht wird auch die Erinnerung hieran uns einst noch ein Trost sein (Vergil, Aeneis)195 Der schlechteste Staat, die meisten Gesetze

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XXV

Ständig dieses ermüdende ‚da gibt es keine Alternative’ von Frau Merkel, der ungekrönten Meisterin des Tina-Prinzips196, wenn sie wieder einmal öffentlich ihre grauenhaft konzeptlose großkoalitionäre ‚Reformpolitik’ erklären und verteidigen muß. Doch eines ist sicher (– und das sind nicht die Renten): es gibt immer eine Alternative – ganz egal, was Frau Nochbundeskanzlerin diesbezüglich auch behaupten mag…

XXVI

Die Fürther Landrätin Gabriele Pauli (CSU) kämpft dafür, daß der bayerische Ministerpräsident, im Moment Edmund Stoiber (ebenfalls CSU), zukünftig direkt vom Volk gewählt werden soll. Gute Idee – nur sollte man diese höchst demokratische Direktwahl auf alle politischen Positionen, vor allem auf die der Bundes- und Landesebene, ausweiten. Dann wäre endlich Schluß mit dem indignierenden Postengeschachere, wie wir es wieder einmal nach der Bundestagswahl 2005 erleben mußten.

XXVII

Der Mannesmann-Prozeß 2006 – respektive dessen Ende – zeigt die moderne Variante des mediävalen Ablaßhandels: Nach einem ‚unbedeutenden moralischen Fehltritt’ ein bißchen mit dem Zeigefinger gedroht bekommen, anschließend viel Geld hinblättern (sogenannte Peanuts) – und schon ist alles wieder so, als wäre nichts gewesen; – das gilt aber nur für prominente Wirtschaftsführer und ähnlich finanziell Bestückte…

XXVIII

Etabliert zu sein besagt bei unseren deutschen Parteien, ständig den gleichen alten Nonsens zu wiederholen und die gleichen alten Fehler zu fabrizieren. Erst wenn sich dieser abschlägige Sinngehalt in der opinio communis197 dauerhaft zum Positiven ändert, kann eine staatsführende Fraktion vorsichtig behaupten, einigermaßen annehmbare Politik zu gestalten und leidlich im Sinne des Volkes zu handeln.

XXIX

4. Dezember 2006: Die Bundespolitiker Kurt Beck und Thomas Steg (beide SPD) haben mittlerweile auch festgestellt, daß die Menschen in Deutschland im Grunde genommen viel zuwenig Geld zur freien Verfügung haben, und fordern publicityträchtig höhere Löhne für die verarmenden Arbeitnehmer. Ist ja toll – erst durch fortgesetzte Subventionskürzungen und Steuererhöhungen den Leuten das Geld rücksichtslos aus der Tasche ziehen und dann jammern, daß sie zuwenig haben. Macht eure albernen ‚Reformen’ rückgängig, dann hätte die Bevölkerung wieder mehr Kaufkraft – oder macht endlich die richtigen Reformen, welche für das Volk, und nicht bloß dauernd welche für die ohnehin bereits überversorgten Wirtschaftsführer.

XXX

196 Tina – Abkürzung für: There is no alternative197 Allgemeine Meinung

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Eine gute Regierung sollte möglichst vorausschauend handeln, und nicht bloß die nationale Tragödie verwalten; eine gute Regierung sollte die tatsächlichen Ursachen der sozialökologischen und -ökonomischen Mißstände bekämpfen, und nicht nur ihre gesellschaftlichen Auswirkungen gesetzlich reglementieren; eine gute Regierung sollte also das genaue Gegenteil von dem machen, was unsere großkoalitionäre Staatsführung gerade präsentiert. Wenn sie nicht permanent vollmundig insistierte, wie gut sie doch im Grunde sei – die Bevölkerung würde es nie erfahren oder auch nur ansatzweise bemerken…

XXXI

EU-Kommissar Günter Verheugen kritisierte im Oktober 2006 den übermäßig aufgeblähten und verwinkelten Brüsseler Beamtenapparat der Europäischen Union – er behindere aktiv und vehement den angestrebten, längst überfälligen Bürokratieabbau der Organisation. So etwas aber auch – ja, wer denn sonst? Die mittlerweile geistig vollständig in diesem organischen Machtgeflecht festgewachsenen Beamten werden sich nicht freudig selbst wegrationalisieren oder sich so einfach und widerspruchslos aus ihren lukrativen Sinekuren vertreiben lassen, und clericus clericum non decimat198. Wenn also Verheugen seine hehre Vision der effizient verschlankten Verwaltungsorgane wirklich und engagiert realisieren will („Die Bürokratiekosten für Unternehmen in Europa […] belaufen sich […] auf etwa 600 Milliarden Euro jährlich. […] Eine 25-prozentige Reduzierung, so Verheugen, müsse möglich sein: ‚Das würde Produktivitätsgewinne für europäische Unternehmen in Höhe von 150 Milliarden Euro bedeuten.’199“), kann er sich mit absoluter Sicherheit auf einen langen, subversiven, schmutzigen Krieg einstellen…und wahrscheinlich geht er eher in Ruhestand (oder er ‚wird gegangen’), als daß sich irgend etwas in diesem tristen Sumpf der kleingeistig-egoistischen machtpolitischen Niederungen ändert…

XXXII

Arbeiten bis 67 – so etwas kann ja nur permanent sesselsitzenden, geistig unterforderten Bürokratenpolitikern einfallen, die körperliche Arbeit nur vom Hörensagen kennen! Ich möchte mal eine zierliche Krankenschwestergreisin mit fast 70 Lenzen einen 120 kg schweren tetraplegischen Mann aus dem Pflegebett wuchten sehen. Oder einen Gerüstbauopa mit Parkinson in 150 Meter Höhe. Oder einen senilen Gehirnchirurgen nach 24-stündigem Dauereinsatz. Oder einen geriatrischen Polizisten mit Rollator bei der Verfolgung eines flüchtigen Täters. Warum denn nicht gleich arbeiten, bis man in die Grube fährt? Somit wäre auch das ganze ennuyante Rentengeseiere obsolet. Wie war das weiland bei Blüm (damals CDU)? ‚Die Renten sind sicher’? (αύτός έφα200) Das einzige, was seit jeher sicher ist, ist die ständige Wiederkehr der ärgerlichen Politikersprüche, denen man schon a priori anmerkt, daß sie mit der täglichen Realität absolut nichts zu tun haben.

XXXIII

5. Oktober 2006: Der halbherzige Reformkompromiß in der Gesundheitspolitik der Großen Koalition, von dieser, wie immer bei solch mehr oder weniger volksschädigenden Aktionen, als ein großer Wurf der interparteilichen Einheit ad perpetuam memoriam201 gefeiert, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung nicht einmal als ein kleines, minimalistisches Reförmchen –

198 Ein Geistlicher nimmt von einem Geistlichen keinen Zehent; soll heißen: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus (Corpus iuris canonici)199 Europolitan, 10.10.2006 (www.europolitan.de)200 Er selbst hat es gesagt (Clemens Alexandrinus, Stromateis)201 Zum immerwährenden Gedächtnis

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das ist gar nichts, jedenfalls nichts reformierendes! parturiunt montes, nascetur ridiculus mus202. Der einzige bleibende Eindruck, den dieses rudimentäre Machwerk bei der konsternierten Bevölkerung hinterläßt, ist der, daß abermals, wie bei jeder vorangegangenen ‚Reform’ dieses schwarz-roten Bündnisses der Innovationsunfähigkeit eben auch, für die Bürger alles erheblich teurer wird…

XXXIV

Das adäquate Beispiel einer überbordenden, plan- und ziellosen Bürokratie in unserem Lande bieten eindeutig die konfusen Finanzämter. So schrieb mir einst im Januar 2006 das für mich zuständige Finanzamt, ich hätte weiland vor x Jahren wohl zuwenig Steuern bezahlt, deswegen solle ich ihnen umgehend, binnen zwei Wochen, meine diesbezüglichen, x Jahre alten Originalunterlagen übersenden. Da ich aber nun kein Messy bin und nicht alles ewig aufhebe, schließlich besitzt der limitierte Stauraum meiner kleinen Wohnung auch nur eine gewisse Größe, ergab sich für mich daraus ein nicht unerheblicher Aufwand, bis ich die geforderten Originale komplett zusammenstellen konnte. Wie dem auch sei, letztendlich war es mir doch möglich, die Papiere innerhalb der geforderten Frist an das Finanzamt zu schicken. Seitdem, mittlerweile ging mit 2007 auch ein neues Jahr ins Land, habe ich nichts mehr von dieser Behörde gehört…war etwa alles nur ein schlechter Traum? Doch nein, dieserart ominöse Aktionen sind ganz einfach charakteristisch für solch aufgedunsene Verwaltungsapparate; da weiß ein Sachbearbeiter nicht, wofür sein Kollege am nächsten Schreibtisch zuständig ist. Und wenn das Amt von jemandem etwas will, dann mit zweiwöchigem Ultimatum und harscher Androhung von Repressalien, falls der eingeschüchterte Bürger diesen Termin nicht einhalten sollte. Wenn aber vom Amt etwas erwünscht wird, oder ein Mensch dessen Reaktion auf ein wichtiges Schreiben erwartet, kann es Monate, ja, bisweilen sogar Jahre dauern, bis man endlich eine entsprechende Antwort erhält – wenn überhaupt…

XXXV

Wahlkampf bedeutet: Wer belügt das Volk überzeugender?

XXXVI

Altbundeskanzler Schröders politische Memoiren203 (– der Job bei Газпром204 ist wohl doch nicht so lukrativ –) erweisen sich als genauso sinnlos und überflüssig, wie es der überwiegende Teil seiner siebenjährigen Amtszeit auch war – wenn er alles besser weiß, warum hat er es dann nicht besser gemacht?

XXXVII

In Anbetracht der in letzter Zeit immer häufiger aufgefundenen Leichen familiär vernachlässigter Kinder (Justin, Kevin 1, Kevin 2, Jessica, Benjamin, Dennis, Leoni, Mehmet etc.) erwägt die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen (CDU), ein sogenanntes ‚Frühwarnsystem gegen Kindesmißhandlungen’ für Problemfamilien in die Welt zu rufen. Prima facie zumindest eine angebracht erscheinende Maßnahme – doch ein erheblicher Teil dieser inhumanen Straftaten spielt sich eben nicht in den Problemfamilien ab, vielmehr geschieht vieles auch in angeblich intakten Sozial- und

202 Es kreißen die Berge, geboren wird eine lächerliche Maus (Horaz, Ars poetica)203 Schröder 2006204 Gazprom

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Familienverhältnissen, d.h. zahlreiche potentielle Täter und Opfer werden von diesem staatlich angedachten Kontrollmechanismus einfach nicht erfaßt. Und vor allem: wie definiert man eine durchschnittlich gewalttätige Problemfamilie – wo fängt sie an, was grenzt sie ab? Aber offensichtlich soll dieses opportunistisch angediente Frühwarnsystem nur vom eigentlichen, primären Problem ablenken, welches da lautet: auf Grund völlig überzogener Spar- und Rationalisierungsmaßnahmen gibt es mittlerweile einfach viel zuwenig kompetent aus- und fortgebildetes Personal in den zuständigen Ämtern; wenn man bedenkt, daß sich ein einsamer Sachbearbeiter um etwa sechzig dieser Problemfamilien kümmern muß, kann man sich vorstellen, wie oft da eine solche Familie besucht werden kann – nämlich etwa ein- bis zweimal im Vierteljahr (günstigstenfalls), denn schließlich müssen die sukzessive überforderten Sachbearbeiter selbstverständlich auch noch so nebenbei ihre sonstigen organisatorischen und verwaltungstechnischen Aufgaben erledigen. Stoppt endlich den unheilvollen, bisweilen sogar augenfällig lebensgefährlichen Personalabbau, und das nicht nur in diesem sensiblen Bereich, dann werdet ihr auch sozialpolitische Erfolge und weniger Kinderleichen sehen…

XXXVIII

Laufend klagt unsere finanznotgeplagte Regierung über die massive Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Ein freundlicher Sparvorschlag wäre, die unglaublich hohen Phantasiepreise vieler Medikamente dem internationalen Standard anzupassen. Ich denke da u.a. an ein bestimmtes apothekenpflichtiges Markenschmerzmittel, welches ich in Deutschland für durchschnittlich 5.- Euro je Schachtel mit 20 Tabletten erstehen kann. Ebendieses analgetische Medikament, vom selben Pharmaunternehmen, erhält der schmerzgeplagte Amerikaner in seinem Land für 7.- US-Dollar. Nun erscheint prima facie dieser Preisunterschied nicht so gewaltig, doch jetzt kommt das große ‚Aber’: Aber für dieses Geld bekommt der amerikanische Kranke eine Großpackung mit zwei Fläschchen zu je 300 Tabletten – also insgesamt 600 Stück! Für diese Menge müssen die offensichtlich übervorteilten deutschen Bundesbürger im Vergleich 150.- Euro auf den goldenen Apothekentisch legen! Das ist eine unerhört krasse preisliche Differenz von mehreren tausend Prozent – da sollten unsere Politiker einmal die geldscheffelnden internationalen Pharmakonzerne freundlich fragen, welche Argumente diese unglaubliche Diskrepanz begründen…

XXXIX

Die LKW-Maut in Deutschland gibt ein weiteres prächtiges Exempel für die akademische Abgehobenheit und die krasse Realitätsentfremdung unserer Politiker ab. Obwohl viele renommierte Verkehrsexperten unisono die überaus berechtigte Kritik äußerten, daß nach rechtlicher Einführung dieser Maut die Lastwägen vermehrt auf die Bundesstraßen ausweichen würden, behauptete der damalige Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Manfred Stolpe (SPD), respektive dessen Berater und Mitstreiter, vehement das genaue Gegenteil. Am 1. Januar des Jahres 2005 trat dann also das Mautgesetz für Autobahnen in Kraft (welches allein schon für sich ein katastrophales Debakel für die Regierung darstellte – man denke nur an die eineinhalbjährige Verzögerung auf Grund gravierender technischer Mängel, denn ursprünglich sollte das Mautsystem bereits am 31. August 2003 anlaufen), und nun, kaum zwei Jahre später, weitet die Regierung der Großen Koalition den Einzugsbereich ‚überraschenderweise’ auch auf diverse Landstraßen aus, weil – oh Wunder – viele, um nicht zu sagen: fast alle Lastwägen seit der endgültigen Abgabeneinführung auf die mautfreien Nebenstraßen ausweichen. Welch bodenlose Frechheit – wie können sie es nur wagen? Dabei war das doch offensichtlich und für jeden mit einem

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Fünkchen Menschenkenntnis eindeutig vorauszusehen – nur für unsere illustre Landesführung nicht, oh nein, für die nicht… Doch die Menschen gehen oder fahren schon immer lieber dort, wo sie nichts dafür bezahlen müssen – das weiß doch jeder, weil es mit allem anderen genauso ist. Bei solchen im Prinzip einfach zu vermeidenden Pannen und Fehleinschätzungen, welche die deutsche Bundesregierung permanent dem Volk zumutet (das sich jedoch hin und wieder als wesentlich sensibler erweist, als es unsere Landesführung vermutet bzw. insgeheim erhofft), braucht es die SPD auch nicht zu verwundern, daß sie bei der Bundestagswahl 2005 ihre Mehrheit und somit die Regierungsgewalt, zumindest zu einem Teil, verlor. Warum wird eigentlich nicht eine generelle Mautpflicht für LKWs auf allen Straßen angedacht und verwirklicht? Dann würde sich das Verlassen der Autobahnen, außer zum be- und entladen, für die Brummis überhaupt nicht mehr lohnen…

XL

8. November 2006: Gegen 724 Uhr gelingt es Mario Mederake, dem vorbestraften Entführer und Vergewaltiger der 13jährigen Stephanie, während eines Freigangs im Gefängnishof der Dresdner Justizvollzugsanstalt seinen Bewachern zu entkommen und auf das Dach der angeblich hochmodernen Haftanstalt zu flüchten (– eine weitere unglaubliche Panne in diesem traurigen, skandalösen Fall der juristischen Peinlichkeiten). Seitdem versuchen diverse Polizeipsychologen, ihn gewaltfrei zur Aufgabe und zum Verlassen des Daches zu bewegen. Warum dieses? Es ist Mitte November – laßt ihn doch da oben erfrieren oder sich in die Tiefe stürzen! Dann herrscht wenigstens Ruhe! Denn wenn er während seiner laufenden Gerichtsverhandlung tatsächlich schuldig gesprochen und verurteilt werden sollte, kommt er bei unseren laschen Gesetzen Gewaltverbrechern gegenüber vermutlich nach spätestens 15 Jahren ohnehin wieder in die unverdiente Freiheit (mit anschließender Sicherungsverwahrung eben erst nach 17 Jahren). Und dann mutiert er abermals zu einer unkalkulierbaren Gefahr für die unbedarfte Allgemeinheit, denn wir dürfen nicht vergessen, daß er bereits jetzt ein Wiederholungstäter ist – und da er früher schon mehrfach bewiesen hat, daß er nicht gerade unintelligent agieren kann, wird es ihm höchstwahrscheinlich auch gelingen, möglichen psychiatrischen Gutachtern während der wiederkehrenden Haftprüfungstermine seine unbedingte Harmlosigkeit vorzugaukeln. Solche inhumanen anthropomorphen Kreaturen gehören ohne Frage lebenslänglich hinter Gitter – und zwar wirklich lebenslänglich, also bis zu ihrem biologisch determinierten Tod, und nicht bloß die in Deutschland üblichen 15 Jahre205.

XLI

Am 1. Oktober des Jahres 2006 hielt unsere südliche Nachbarrepublik Österreich ihre 23. Nationalratswahl ab – nun wollen die beiden Parteien mit den meisten Wahlstimmen, nominatim die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) unter Alfred Gusenbauer mit 35,71 Prozent Stimmenanteil, und die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit 34,22 Prozent der abgegebenen Stimmen, ähnlich wie hier in Deutschland, eine letztendlich entscheidungsunfähige Große Koalition bilden. Ja, sind wir denn mit unserer unzulänglichen deutschen Politik der Großen Wirkungslosigkeit – nur die Steuern steigen und auch sonst wird alles teurer (dafür sinken die Sozialleistungen und der durchschnittliche Lebensstandard) – nicht schlechtes Beispiel genug? Aber vielleicht können es die Österreicher ja besser…

XLII

205 Vgl. Spreewinkl 2006a, S. 70 ff.

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Regierungen verkennen leider zu oft die Tatsachen, und das besonders gern, wenn es um ihre ureigenste Verantwortung geht – so sind die wahren Ursachen für die zunehmende Gewaltbereitschaft und -tätigkeit in der jugendlichen Bevölkerung nicht bei brutalen Computerspielen, Horrorfilmen oder ähnlichem zu suchen, sondern zum größten Teil bei unsensiblen Politikern, die durch ihre gesellschaftsfeindlichen Gesetzesvorgaben ohne Not die soziale Lage von ohnehin bereits unterprivilegierten Bürgern verschlechtern und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten drastisch einschränken. Denn wer intendiert einen Mord oder einen viktimogen konzipierten Amoklauf plant, wird diesen auch durchführen, ganz gleich, ob er vorher Counter-Strike gespielt und Tanz der Teufel206 gesehen hat, oder nicht. Und nur, weil es ein paar einsame Idioten gab, die vor ihrer blutigen Gewalttat zufälligerweise dem prickelnden Spiel mit einem Ego-Shooter frönten – welcher Jugendliche macht nicht eine solche Phase durch? Auch ich habe einige dieser Spielchen auf meinem Rechner –, kann man nicht einfach viele Millionen von friedlichen Fans kriminalisieren und unter Generalverdacht stellen; sind das denn alles potentielle Mörder, die unmotiviert fremdes Blut spritzen sehen wollen? Aber so ist das eben – lieber wird viel und unnötig Geld in Expertengruppen, Gesetzesvorlagen und Repressionsandrohungen gesteckt, als es sinnvoll in die Förderung und Sanierung der desolaten Gesellschaftspsyche sowie in die allgemeine Verbesserung der sozialen Situation zu investieren.

XLIII

Sehr geehrter Herr X, vielen Dank für Ihren letzten expressiven Brief und, ja, Sie haben uneingeschränkt Recht: die bürokratische Situation in diesem unseren Lande präsentiert sich mittlerweile als einfach grauenhaft und schier unerträglich. Das Leben mit unseren lieben formularverteilenden Behörden und den sich darin befindlichen Schreibtischathleten weist immer öfter die eigenwilligen Züge einer kafkaesken Groteske auf. Diesen unhaltbaren Zustand der pedantischen Überreglementierung mußte ich ebenfalls schon ein paarmal am eigenen Leibe erfahren, und wurde mir zudem von vielen weiteren Leidensgenossen uneingeschränkt bestätigt. Im Normalfall versuche ich, mich im diffizilen Umgang mit den diversen Ämtern, Dienststellen und Verwaltungen in frohgemuter Ruhe und heiterer Gelassenheit zu üben, aber mein letztes frustrierendes Erlebnis mit diesen verbeamteten Schlaglöchern des Lebens hat mich doch auch ein klein wenig säuerlich gestimmt. Erlauben Sie mir, Ihnen die Geschichte kurz zu erzählen: Eigentlich war es nichts besonders Wichtiges oder Großartiges, meine Dienststelle sandte Anfang April 2001 nur ein simples, einseitiges Formblatt in meinem Namen an den damals für mich zuständigen Sachbearbeiter in der Verwaltung, Abteilung Entgeltabrechnung, mit der freundlichen Bitte, zwei Zahlen in dieses Ausfüllblatt einzutragen und nebst einer Kopie meiner Lohnsteuerkarte zurückzuschicken. Das Formular sollte innerhalb eines Monats, also bis spätestens Ende April 2001, an eine dritte involvierte Abteilung weitergeleitet werden, welche dieses zur Komplettierung ihrer Unterlagen angefordert hatte. Deshalb wurde zusätzlich vermerkt, daß die Angelegenheit wichtig sei und um eine schnelle, zügige Bearbeitung gebeten werde. Die ganze Aktion endete schließlich mit dem diesen Zeilen beigefügten Brief, den ich am 7. Juni 2001, also mehr als zwei Monate nach Antragstellung, an ebendiese Verwaltung schrieb (s.u.). Wenn Sie dieses Schriftstück lesen, werden Sie wissen, was ich mit ‚unhaltbarem Zustand’ und ‚kafkaesker Groteske’ meine. Was soll ich sagen, nur zwei Wochen (!) später, am 22. Juni 2001, war das langersehnte Schreiben endlich an seinem Ziel, der ursprünglich anfordernden Behörde, angekommen. Hurra! Bei solchen Aktionen und unfähigen Menschen wie den im Brief erwähnten Herrn Y – und der ist bedauerlicherweise kein zu vernachlässigender, kurioser Einzelfall in solchen Institutionen – ist es kein Wunder, wenn viele der öffentlich-rechtlichen Behörden keine gute Reputation haben und das Wort ‚Beamter’ als

206 The Evil Dead/Tanz der Teufel, USA 1982, Regie: Sam Raimi

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sinnverwandtes Wort für einen überbezahlten, unterforderten, ständig kaffeetrinkenden Nichtstuer – der obendrein, mit unseren Steuergeldern finanziert, ohnehin nur auf seine Pensionierung wartet – verwendet wird. Die permanenten Fehlleistungen in der Personalpolitik der meisten größeren Institutionen sind hier eine ausschlaggebende Voraussetzung zur universellen Überbürokratisierung und Überregulierung, da die höheren, entscheidungstragenden Posten zumeist nicht empirisch nach Erfahrung, Qualifikation und Leistung des jeweiligen Bewerbers besetzt werden, sondern des weitaus öfteren nach dessen Parteizugehörigkeit und dem Bekanntheitsgrad bei diversen Schlüsselpositionsinhabern, zu deutsch: Nepotismus, Günstlingswirtschaft. Daß diese solcherart inthronisierten Entscheidungsträger dann nicht gerade den ultimativen Scharfblick für das Essentielle ihres Wirkungskreises haben und für ihre Untergebenen ein völlig ungeeignetes Vorbild abgeben (d.h. wenn schon die Leitungsebene ungeeignet und grauenhaft inkompetent ist, wie sollen dann die subalternen Chargen besser sein? Der Fisch stinkt vom Kopfe…), muß nicht weiter ausgeführt werden, da dies die triste Realität jeden Tag aufs neue beweist – wie Sie es ja selbst bei Ihrem letzten Ämtergang leidvoll erfahren mußten. Hier nun vorgenannter Brief an ebendiese Verwaltung:

Sehr geehrte Damen und Herren, vor nunmehr knapp zwei Monaten schickte meine Dienststelle ein einseitiges Formblatt und die Bitte um eine Kopie meiner aktuellen Lohnsteuerkarte an meinen zuständigen Sachbearbeiter, Herrn Y, an die Verwaltung, Abteilung Entgeltabrechnung (nebenbei möchte ich bemerken, daß das Schreiben in gewisser Weise wichtig war, da eine andere Behörde bereits darauf wartete). Nach über drei Wochen des langen Ausharrens dachte ich bei mir, es wäre wohl an der Zeit, einmal höflich nachzufragen, was denn aus meinem Antrag so geworden ist. Vier Tage versuchte ich intensiv, aber leider erfolglos, meinen Sachbearbeiter ans Telephon zu bekommen (entweder war die Leitung besetzt, oder niemand hob ab), dann hatte ich ihn endlich am Ohr. Nachdem ich ihm die Sachlage ausführlich geschildert und bescheiden auf die Dringlichkeit aufmerksam gemacht hatte, meinte er ipsissima verba207: ‚Ja, wenn’s wichtig ist, muß ich das wohl demnächst in Angriff nehmen…’, und versprach, mir möglichst bald das gewünschte Schreiben zuzusenden. Mittlerweile sind wieder zwei Wochen ins Land gegangen, ohne daß ich den langersehnten Brief erhalten habe. Ich frage mich ernsthaft, was daran so ausnehmend kompliziert sein kann, zwei einfache Zahlen in ein anspruchsloses Formular einzutragen, eine Kopie anzufertigen und beides per Post zu verschicken? Das, was ich mir aber jetzt anhören mußte, als ich wieder meinen ‚Sachbearbeiter’ Herrn y anrief (welchen zu erreichen diesmal zum Glück nur zwei Tage in Anspruch nahm), hat mir nun endgültig meine bis dahin noch relativ gute Laune verdorben. Er sei jetzt gar nicht mehr für mich zuständig, hieß es, das hätte sich wohl alles in der letzten Woche geändert, aber mein neuer Ansprechpartner sei sowieso die nächste Zeit nicht zu erreichen! Ja, hat er das mit der Änderung nicht schon bei meinem letzten Anruf gewußt? Und falls nicht, warum hat er sich dann, als er es wußte, nicht kurz die Zeit genommen, meinen Antrag zu erledigen oder mich auch einfach nur über diese personelle Modifikation zu unterrichten? Das wäre ein kurzes, geistig anspruchsloses Telephongespräch gewesen, worauf ich mich direkt mit dem nun für mich zuständigen Referenten hätte auseinandersetzen können; wenn er schon – da er bereits mehrmals sowohl schriftlich als auch fernmündlich explizit darauf hingewiesen wurde – genau wußte, wie wichtig dieses Anliegen inzwischen geworden ist! Eine solch laxe Arbeitsauffassung ist in meinen Augen schon eine sehr traurige und definitiv nicht akzeptable, und ich muß befürchten, daß dieser Herr Y mit seiner desolaten Dienstmoral und ebensolcher -ethik mit Sicherheit nicht der einzige in diesem kontraproduktiven Referat ist. Ich weiß nicht, ob Sie sich das öfter anhören müssen, aber wenn ich auf diese oberflächliche Weise arbeiten würde, hätte ich schon längst keine Beschäftigung mehr. Aber weiter im Text: Ich begann also mit meinem Telephonmarathon von vorn. Als ich dann endlich bis zu der für mich relevanten

207 Mit eigenen Worten, Zitat

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Nebenstelle durchkam, sagte mir eine verständnisvolle Frau: Ja, der nun zuständige Sachbearbeiter sei in einem mehrwöchigen Erholungsurlaub und sie als Vertretung habe selbstverständlich keine Ahnung von meinem Antrag, aber sie werde mal sehen, ob sie in den vielen Stapeln etwas findet. Nun warte und hoffe ich wieder auf eine baldige Zusendung meiner Papiere, die ich eigentlich schon im vergangenen Monat hätte abgeben sollen. Ab heute verbinde ich mit Ihrem traurigen Laden nur noch die negativen Synonyme Inkompetenz, Kundenfeindlichkeit und arrogante Ignoranz, und das sind noch die freundlichsten Worte, die mir zu diesem Thema einfallen. Wenn ein Amt von jemandem etwas will, heißt es: ‚Beantwortung zwingend innerhalb zwei Wochen’ – inklusive Androhung diverser rechtlicher Repressalien –, doch wenn man einmal von diesem Amt etwas möchte, kann man mindestens das nächste halbe Jahr auf die Bearbeitung warten!

XLIV

Was kann uns die moderne Elementarteilchenphysik und die heute schon relativ fortgeschrittene Experimentalwissenschaft derselbigen in näherer Zukunft noch alles an Unerwartetem und Unerfreulichem bringen? Dazu nun folgende kleine Überlegung: Ein Ringtunnel-Teilchenbeschleuniger ist ein riesiges physikalisches Gerät, in dem geladene Teilchen, wie etwa Atomkerne, Moleküle, Molekülbruchstücke, Elementarteilchen etc., durch elektrische Felder auf annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden können, wobei sie eine kinetische Energie erreichen, die einem Vielfachen ihrer ursprünglichen Ruhemasse entspricht. Bei sogenannten Collider-Experimenten werden nun zwei gegenläufige Teilchenstrahlen in einem Speicherring (Synchrotron) zur Kollision gebracht, wobei die verwendeten Teilchen nicht nur gestreut, sondern aus diesen auch völlig neue erzeugt werden können, die die Physiker mittels eines speziellen Teilchendetektors nachweisen und analysieren. Im Normalfall zerfallen diese neugewonnenen Elemente in Bruchteilen von Mikrosekunden und dienen ausschließlich der theoretischen Teilchen- bzw. Quantenphysik. Der gegenwärtig größte Teilchenbeschleuniger weltweit, der Large Hadron Collider (LHC), entsteht am CERN208 in Meyrin, nähe Genf (Schweiz), und hat einen imposanten Umfang von 27 Kilometern. In ihm sollen supersymmetrische Teilchen, das Higgs-Boson209 und das Quark-Gluon-Plasma gesucht und nachgewiesen werden. Die Fertigstellung dieses gigantischen Ringbeschleunigers ist für das Jahr 2007 angestrebt. Ein mögliches Szenario:

Montag, 23. Juni 2012: Die renommierten Experimentalphysiker Adam Alpha und Zeus Omega haben es nach langem, äußerst zähem Ringen mit der Aufsichtsbehörde und der Direktion des CERN endlich erreicht, ihren seit Jahren angestrebten großen Versuch, mit dessen Ergebnis sie sich den Nobelpreis für Physik versprechen, vorbereiten und durchführen zu dürfen. Ihr hochgestecktes Ziel ist es, durch die Kollisionen diverser exotischer Teilchen Elemente herzustellen und zu untersuchen, die bisher noch nicht in unserem Sonnensystem, bzw. in unserer Galaxis, der Milchstraße, gefunden und nachgewiesen werden konnten – dies wäre ein epochaler Quantensprung in der experimentellen Teilchenphysik und könnte ungeahnte technologische Möglichkeiten für die Zukunft aufzeigen. Bei einer geschätzten Vorbereitungszeit der Versuchsanordnung von etwa drei bis vier Wochen wird der Termin für das Experiment schließlich auf den 21. Juli 2012 festgelegt.

Tag 1: Das Team unternimmt einige kleinere Vorversuche, um das riesige Gerät korrekt zu justieren und um letzte Unstimmigkeiten zu beseitigen. Keine besonderen Vorkommnisse während dieser nervenaufreibenden Zeit. Die innere Spannung der Beteiligten steigt spürbar, da am nächsten Tag das große Experiment durchgeführt werden soll.

Tag 2: Das Synchrotron produziert während eines komplizierten Collider-Experimentes ein äußerst exotisches, bisher unbekanntes Elementarteilchen, welches zu aller Überraschung

208 Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire – Europäische Organisation für Kernforschung209 Vgl. Spreewinkl 2006b, S. 89 f.

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nicht sofort zerfällt. Im Gegenteil, es stabilisiert, organisiert und strukturiert sich – es wächst. Die beiden Wissenschaftler und ihre Crew sind hellauf begeistert und beginnen umgehend mit der Analyse des gewonnenen Materials.

Tag 3: Der ausgelassenen Euphorie der erfolgreichen Forscher folgt die akademische Ernüchterung, als sie 24 Stunden später erschüttert feststellen müssen, bei der chemisch-physikalischen Erkundung der fremden Substanz noch nichts erreicht zu haben – sie haben noch nie dergleichen gesehen, das ungewöhnliche Material besitzt keine bekannten physikalischen oder chemischen Eigenschaften. Genug zur Untersuchung des merkwürdigen Stoffes besitzen sie – er ist tiefschwarz und hat sich eine kristalline Würfelform mit mittlerweile 50 cm Kantenlänge zugelegt; die einzig meßbaren Faktoren. Externe Kollegen werden per Videokonferenz zur Beratung hinzugezogen.

Tag 4: Das ungebremste Wachstum, welches die Wissenschaftler ebenfalls noch nicht zum Stillstand bringen, ja, noch nicht einmal geringfügig verringern konnten, entwickelt sich langsam zu einem ‚großen’ Problem. Der Kubus überschritt gegen 8 Uhr morgens die Kantenlänge von zwei Metern, und sein Gewicht stieg mittlerweile so in die Höhe, daß er nicht mehr ohne gravierende bauliche Maßnahmen aus dem Laboratorium entfernt werden könnte. Das Forschungsministerium wurde verständigt.

Tag 5: Das CERN existiert nicht mehr. Wo der hochmoderne Teilchenbeschleuniger einst für aufsehenerregende Ergebnisse in der Grundlagenforschung sorgte, thront jetzt der schwarze Kubus mit einer gewaltigen Kantenlänge von mittlerweile mehr als 10 Kilometern. Obwohl er angesichts seines enormen Gewichts über einen Kilometer in den Erdboden eingesunken ist, überragt er trotzdem den Himalaja210 und repräsentiert so die gegenwärtig höchste Erhebung der Erde. Die Landesführung der Schweiz hat den nationalen Notstand ausgerufen und die Anrainerstaaten informiert, da bis jetzt noch keine Möglichkeit gefunden wurde, das exponentielle Wachstum des Würfels zu verringern. Erste ökologische und klimatische Phänomene treten auf…

Tag 6: Europa ist zerstört, auf den übrigen Kontinenten toben Naturkatastrophen ungekannten Ausmaßes – Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis, Hurrikane, Überschwemmungen, Feuersbrünste; der weltweite, völlige Zusammenbruch sämtlicher Energieversorgungsanlagen, Kommunikationseinrichtungen und Verkehrswege – die Atmosphäre entweicht ins All und die Erde beginnt, sich langsam zu verformen und auseinanderzufallen. Die Seitenlänge des rasant wachsenden Würfels beträgt schon mehrere tausend Kilometer.

Tag 7: Die Erde existiert nicht mehr. Einigen ehemaligen Glaubensrichtungen zufolge hat ein allmächtiger Gott sie und die Menschen angeblich in sieben Tagen erschaffen – auf alle Fälle wurde sie von ebendiesen Menschen in sieben Tagen zerstört. Der immer noch wachsende schwarze Kubus erfüllt inzwischen das halbe Sonnensystem und hat auf Grund seiner gigantischen Ausmaße bezüglich Größe und Gewicht alle übrigen Planeten nebst dem Zentralgestirn pulverisiert und in ihre molekularen Bestandteile aufgelöst. Alles war für die nun ausgelöschte Menschheit machbar, nur die daraus folgenden Konsequenzen erwiesen sich mitunter als unkalkulierbar, ut fabula docet211.

Fin.

XLV

Nach Siemens und VW Bestechung auch bei der GEZ – wohl nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs; wer immer noch der nostalgischen Meinung nachhängt, dies seien

210 Im Vergleich: höchster Punkt dieses Gebirges ist der Mount Everest im Khumbu-Himal (Nepal) mit 8.844 Metern211 Wie die Geschichte lehrt (Aesop, Fabulae)

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bedauerliche Einzelfälle, der glaubt auch noch an mitfühlende Konzernleiter und ehrliche Politiker…

XLVI

Ab Anfang 2007 kann der deutsche Raucher Zigaretten am Automaten nur noch mit einer ec-Karte mit Chip, auf dem das Alter bzw. das Geburtsdatum des Karteninhabers gespeichert wurde, holen. Das bedeutet, daß sich die Kinder und Jugendlichen ihre Zigaretten wieder am Kiosk oder im Supermarkt kaufen müssen. Eine weitere Einschränkung erfolgt dadurch mitnichten.

XLVII

Bundesgesundheitsministerin Schmidt stellte am 4. Januar 2007 ein vom Wirtschaftsweisen Rürup erstelltes Gegengutachten vor, welches eine Expertise des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse widerlegen sollte, die eine mögliche Mehrbelastung von mehreren Milliarden Euro für die südlichen Bundesländer aufzeigte, falls die umstrittene Gesundheitsreform in der jetzigen Form eingeführt werden sollte. Dieses taktische Spielchen zeigt wieder einmal, wie sehr die Ergebnisdaten von Gutachten und Statistiken vom Auftraggeber abhängen – je nachdem, welche Prämissen und Zahlen der berufene Sachverständige in seine Überlegungen einfließen läßt, erhält er ein positives, ein neutrales oder ein negatives Ergebnis. Bezüglich solch ‚professioneller’ Beurteilungen komplexer Konstellationen notierte ich bereits andernorts: „Eine Statistik sagt eben immer nur das aus, was die illustren Auftraggeber von ihr erwarten – schließlich bezahlen sie sie auch. Wie heißt doch das schöne, hier passende Sprichwort? Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Wobei wir es hier jedoch nicht mit einer reinen Fälschung zu tun haben (denn in gewisser Weise stimmt diese Statistik ja), sondern hauptsächlich mit einer geflissentlichen Verkennung und Verdrehung der Tatsachen zugunsten der eigenen Sache […].212“ Wer auf ein positives Gutachten insistiert, erhält auch ein solches…

XLVIII

Die Wiesbadener SPD versäumte es in ihrer exorbitanten Planlosigkeit tatsächlich, ihren Kandidaten Ernst-Ewald Roth zur Oberbürgermeisterwahl im März 2007 fristgerecht anzumelden – sie hat schlicht und einfach den Termin verpennt! Und das, obwohl sie schon seit Monaten Plakate aufstellt, Veranstaltungen organisiert, Wahlkampf betreibt und Unmengen Steuergelder verschwendet. Wahlkampf sollte im Grunde maximal vier Wochen dauern dürfen – es ist einfach unerträglich, daß 25 Prozent einer politischen Legislaturperiode durch strategische Parteienspielchen ungenutzt (– jedenfalls für Land und Bevölkerung –) vergeudet werden; außerdem wäre es erheblich billiger für die deutschen Steuerzahler. Doch nun wird wohl die Wiesbadener Oberbürgermeisterwahl erstmals in der Nachkriegsgeschichte ohne SPD-Kandidaten stattfinden. Als erwartete und sicher angemessene Konsequenz dieses vermeidbaren Desasters trat heute der SPD-Vorstand geschlossen zurück (im Prinzip sollte er, als gerechte Sühne für soviel Hirn- und Gedankenlosigkeit, das ganze Geld, das nun pro nihilo zum Fenster hinausgeworfen wurde, zurückzahlen müssen). Doch das war eigentlich nicht das Problem. Das Problem ist, daß sich diese unglaubliche Laxheit und Unprofessionalität parteienunabhängig durch die gesamte deutsche Politik zieht – und von diesen Leuten werden wir regiert! Als exquisites Exempel für solchen kostspieligen Staatsdilettantismus gilt hier immer wieder das jährlich wiederkehrende Grauen – das

212 Siehe Defaitistisches, § CC

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Schwarzbuch der Steuerzahler, über das ich aber bereits an anderer Stelle ausgiebig referierte213. Die deutsche Politik ist leider nicht das, was sie sein könnte…

XLIX

Eine gewaltige Sturmfront namens Kyrill rollt flächendeckend auf Deutschland zu, landesweit erwarten die Meteorologen starke Orkanböen mit fast 200 Stundenkilometern. Nun ja, auch für das schlechte Wetter können wir mittlerweile ohne schlechtes Gewissen die Politiker verantwortlich machen – schließlich haben sie einst den offensichtlichen Klimawandel und die sukzessive Erderwärmung nicht verhindert, eher noch mit ihren laschen Gesetzen und Verordnungen der Wirtschaft gegenüber begünstigt; und heute zeigen sie sich absolut unfähig, etwas gegen die damaligen Versäumnisse zu unternehmen. Doch solange die Vereinigten Staaten von Amerika, welche allein ein Viertel der globalen Luftverschmutzung produzieren, ihr gedankenlos destruktives Verhalten nicht schnellstmöglich einstellen, wird sich auch bei den zunehmenden Naturkatastrophen herzlich wenig ändern. Dies auch im Hinblick auf die sogenannten Schwellenländer (Indien, China, Argentinien etc), welche zukünftig mit ihrem Energiehunger und ihrer aufstrebenden Industrie Wasser, Luft und Erde ebenso kräftig mitbelasten werden. Wir sägen fröhlich und sehenden Auges den ohnehin schon morschen Ast ab, auf dem wir zudem noch immer gedrängter sitzen…

L

Deutschlands einst hochbejubelter Radfahrstar Jan Ullrich trat heute verbittert von seiner aktiven Karriere zurück; zukünftig wird er wohl als Berater und Repräsentant des österreichischen Volksbank-Teams fungieren214. Der ehemalige große Sieger, der einzige deutsche Tour-de-France-Gewinner, zweifacher Zeitfahr-Weltmeister und Olympiagewinner, dereinst frenetisch gefeiert, allseits hofiert und sozusagen ‚everybody’s Darling’, wurde nach dem letztjährigen Dopingverdacht, der seinen Ausschluß von der Tour de France 2006 und die Suspendierung von seinem T-Mobile-Team nach sich zog, von allen umgehend fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. In Deutschland reicht eben schon ein vager Verdacht oder ein geschickt placiertes Gerücht aus, um einen vormals prominenten Menschen instantan ins gesellschaftliche Abseits zu drängen. So ist auch sein desillusionierter, fast zynischer Rundumschlag verständlich, in dem er seine vermeintlichen Gegner so negativ darstellte, wie er sie eben sieht. Der dramatische und betrübliche Abgang eines einstigen Idols – das typische Bild eines Opfers der eigenen Popularität…

LI

In unserer deutschen Politik werden unfähige oder kriminelle Abgeordnete nicht gefeuert oder gar bestraft; im Gegenteil! – sie werden wiedergewählt…

LII

Diese ständig ihr Grinsen der Ahnungslosigkeit und Verzweiflung zur Schau tragenden Politiker können einen wirklich zutiefst deprimieren – in Worten wie in Taten. Wo oder was sind denn eigentlich deren prädestinierenden Befähigungen? Und wer hat diese befremdlichen Leute überhaupt gewählt? Ich war es auf alle Fälle nicht…

LIII

213 Spreewinkl 2006b, S. 207 f. & S. 224 f.214 ARD Tagesschau, 26.02.2007, 1700

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Die Sommerzeit ist seit ihrer unerfreulichen Einführung im Jahr 1980 schlicht eine grundsätzliche Bevormundung der Bevölkerung, ein direkter Eingriff in ihre Grundrechte und in die persönliche Freiheit eines jeden Einzelnen. Doch mittlerweile wird selbst die Zeit von den findigen Politikern in ihre taktischen Spielchen miteingesponnen und gezielt genutzt, besser gesagt: mißbraucht. Hierzu einige Beispiele: 1.) Durch die Zeitumstellung gerät nachweislich der menschliche Biorhythmus durcheinander, infolgedessen geschehen in den ersten Wochen nach der Umstellung acht Prozent mehr Unfälle als in der ‚umstellungsfreien’ Zeit. Dies beeinflußt natürlich jedesmal die jährliche Unfallstatistik, mit der wiederum die Vertreter der Politik ein treffliches Instrument in Händen halten, um irgendwelche negativen oder unpopulären Forderungen zu begründen und gegebenenfalls durchzusetzen, z.B. ein generelles Tempolimit, eine Kfz-Steuererhöhung etc., und auch die Versicherungen heben dementsprechend ihre ohnehin kostenintensiven Prämien an. 2.) Durch die Sommerzeit wird es später hell und später dunkel – eine ‚helle’ Freude für die Staatskasse. Morgens braucht man länger Licht, und abends geben die Leute länger ihr Geld aus, z.B. in Biergärten, Freibädern etc.; könnte es je besser laufen? 3.) Durch die Zeitumstellung gerät der menschliche Biorhythmus aus dem Gleichgewicht, die Menschen erkranken vermehrt und kaufen gehäuft Medikamente, was letzten Endes wieder für steuerliche Mehreinnahmen des Staates sorgt. Und so geht es munter weiter – glauben Sie nur nicht, daß das alles war, was an der Zeitumstellung hängt215. Alles ist in der Politik vernetzt, verwoben und auf dunklen, klandestinen Wegen miteinander verbunden; nichts geschieht zufällig, alles ist abgesprochen und strategisch geplant – und es geht immer und überall nur um die egoistische Vermehrung von Geld und Macht, sei es von Einzelnen oder von Gruppen. Wäre es anders, würde unsere Welt nicht so aussehen, wie sie eben aussieht – und wir hätten sicherlich auch keine Zeitumstellung…

LIV

Kein Wunder, daß unsere deutsche Bundesrepublik so merkwürdig, wirtschaftshörig und im Grunde bevölkerungsfeindlich regiert wird, wie wir das schon seit geraumer Zeit miterleben müssen. Als einer der primären Auslöser hierfür erweist sich in der Tat die unglaublich hohe Staatsverschuldung in diesem unseren Lande. Denn so hohe Schuldensummen, im expliziten Falle Deutschlands bereits über 1,6 Billionen Euro (€ 1.600.000.000.000.-), ziehen des öfteren auch obskure Verpflichtungen, suspekte Begehrlichkeiten und dubiose Gefälligkeitsforderungen nach sich. Unsere gewählten Abgeordneten können schließlich auf Grund ihrer parlamentarischen Immunität für (fast) nichts juristisch belangt werden. Und da erhebt sich auch gleich die berechtigte Frage, von wem die deutsche Nation das viele Geld eigentlich geliehen hat? Und dann muß man indigniert erkennen: jede Staatsführung ist eben nur die servil ergebene Privatregierung des oder der momentanen Hauptfinanciers; denn was will, ja, was könnte sie machen, wenn diese/r rigoros auf sofortige Rückzahlung seiner/ihrer Kredite insistierte? Insolvenz anmelden…?

LV

Seit vielen Jahren schon schreitet der volksschädigende Stellenabbau in Deutschland fort – nur nicht in der Politik. Dort werden immer mehr Stabsstellen, Arbeitskreise, Gremien, Ministerien etc. eingerichtet. Dabei gibt es unzählige Abgeordnete jedweder Partei, auf die unsere Nation getrost verzichten könnte… (…und das, ohne daß es irgend jemand überhaupt bemerken würde…)

215 Siehe auch Spreewinkl 2006b, S. 148, S. 158

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LVI

Falls sich nun durch meine offenen Worte irgendein namenloser Politiker – quocunque nomine gaudet216 – persönlich angegriffen fühlen sollte, so kann ich ihm getreulich versichern, ich halte mich explizit an den differenzierenden Spruch: hominem non odi, sed eius vitia217.

LVII

BaumWie lange braucht

ein Baumum groß zu werden.

Er, der Riese der Naturerstanden aus einem kleinen Stern

den ein anderer gebar.In seiner Kindheit

erfreut erdurch seine Zierlichkeit

aber das Wildliebt ihn mit den Zähnen.

Welche Freude ist eseinen Baumaufzuziehen.Jeden Tag

wechselt er seinen Namen.Ist er erwachsen

schützt er die Tieredie zu ihm finden

und spendet Leben.Wie großartig ist eine

Eicheauf dem Feld.

Kein Land gäbe eswären nicht die Bäume!

Wie lange brauchtein Baum

um groß zu werden.Doch wie schnell

kann man ihnvernichten…

Kain L. von SpreewinklDeutschland, im Sommer 1985

216 Welches Namens auch immer er sich erfreuen mag217 Den Mann hasse ich nicht, sondern seine Fehler

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Anstelle eines Nachwortes…Anstelle eines Nachwortes – denn alles wurde gesagt und quod scripsi, scripsi218, wie es schon Pontius Pilatus formulierte, als er die wohlbekannte Kreuzesinschrift abändern sollte – folgt zum Schluß ein kleines, friedliches, versöhnliches, positives Gedicht; jedenfalls für den, der es so sehen möchte…

EiszeitSchnee

Die Welt versinkt unter einem gnadenreichen WeißDer Schnee liegt dick und weich

und ersticktdie Zeugnisse des Menschen.

Eisplatten schieben sich aus den Meeren ans Landhell und schwer

ohne Anstrengung...

Die Sonne strahlt auf den weißen Vorhangder aus den Wolken fällt.

Stetig, endlosDie Welt ist eine Fläche

weiß und friedlich, ohne LautKeine Spuren

nur glitzernde Kälte.

Ein Planet der ruhenden Stille

Kain L. von SpreewinklDeutschland, im Winter 1985

218 Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben (Johannes 19,22)

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Anhang

Zur neuen RechtschreibungVorwort zur Internetveröffentlichung 1999Vorwort zur aktuellen Veröffentlichung 2007Einleitung1. Eingedeutschte Fremdwörter2. Wort- und Silbentrennung3. Die neue Zeichensetzung4. Getrenntschreibung und neue deutsche SpracheRésumée – Resümee

PersonenregisterA – Z

Die Zehn GeboteDekalog – evangelischer Katechismus, 1962Dekalog – Katechismus der katholischen Kirche, 1993

Auszüge aus den EvangelienMatthäusevangelium 3,3

Ευαγγελειον κατα ΜαθθαιονEvangelium secundum Matthaeum (Vulgata)Evangelium S. Mattheus (Luther 1545)

Markusevangelium 14,66 - 14,72

GesetzestexteArtikel 3 der Internationalen MenschenrechteArtikel 2 GrundgesetzArtikel 3 GrundgesetzArtikel 5 Grundgesetz§ 216 Strafgesetzbuch§ 131 Strafgesetzbuch

Quellenangaben

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Zur neuen Rechtschreibung

Vorwort zur Internetveröffentlichung 1999Das Original dieser kleinen Abhandlung entstand im Frühsommer 1997 – etwa ein Jahr nach der m.E. schlichtweg entbehrlichen und dennoch unglaublich kostspieligen Einführung der sogenannten neuen deutschen Rechtschreibreform – und soll jedem Interessierten klar und deutlich zeigen, daß der Autor mit diesem schwerverständlichen Delikt an der gewachsenen deutschen Orthographie in keinster Weise einverstanden ist. Aus diesem hoffentlich allgemein nachvollziehbaren Grunde wird er auch, solange keine grundlegende ‚Reform der Reform’ vorgenommen wurde – am Besten wäre natürlich eine vollständige, rückstandsfreie Aufhebung derselben –, in Zukunft seine Texte und Verse nach den herkömmlichen, den verständlichen Rechtschreibregeln verfassen und publizieren.

Der VerfasserDeutschland, im Februar 1999

Vorwort zur aktuellen Veröffentlichung 2007Als Lesebonus gibt es die anno 1997 angefertigte und von Anfang 1999 bis Ende 2003 vorübergehend im Internet veröffentlichte Abhandlung Zur neuen Rechtschreibung, eine schriftgewordene Kritik an der im Jahre 1996 bedauerlicherweise eingeführten und 2006 endgültig legalisierten deutschen Orthographiereform, welche sich in den Augen des konsternierten Autors nur als eine überflüssige Geldvernichtungsaktion ohne positiven Effekt, als ein rundum fehlgeschlagenes Experiment darstellt. Die wenigen guten Ansätze in diesen grammatikalischen Neuregelungen, welche jedoch meist nicht konsequent zu Ende gedacht und geführt wurden, können die vielen negativen bei weitem nicht aufheben und eigentlich keine offizielle Einführung dieses fragwürdigen Machwerks rechtfertigen, aber man wollte dem neugierigen Publikum wohl nach so vielen Jahren des tiefgründigen akademischen Sinnierens wenigstens irgendwas präsentieren…

Nachdem dieser kleine Aufsatz offiziell von Anfang Februar 1999 bis Ende Januar 2003 weltweit im Internet zu lesen war, wird er hier nun zum ersten mal zur Drucklegung gebracht. Mittlerweile erweist er sich an mancher Stelle als nicht mehr so hundertprozentig aktuell, da einige der weiland vom Verfasser monierten Veränderungen in den orthographischen Regelwerken vor der end- und allgemeingültigen Einführung der mehrfach reformierten Rechtschreibreform im August 2006 essentiell modifiziert oder gänzlich fallengelassen wurden (so beispielsweise die Trennungsregel aus § 108, daß ein einzelner Vokal am Wortanfang abgetrennt werden dürfe) – der durchgängige öffentliche Protest verflog wohl doch nicht so ganz ungehört und hat offensichtlich die übelsten ‚Erneuerungen’ verhindert. Sehen Sie die folgende Abhandlung also als das, was sie ist: die erste schriftgewordene Reaktion eines konsternierten Autors, der bei weitem nicht soviel unkoordinierte orthographische Wirrnis in den sonst so klugen Köpfen der verantwortlichen Fachkoryphäen erwartet hatte, ebenso dann später ab dem Jahr 2004 im sogenannten Rat für deutsche Rechtschreibung; die Reform hätte, in anbetracht ihrer prominenten Urheber – so ist beispielsweise der ehemalige bayerische Kultusminister Zehetmair seit Dezember 2004 Ratsvorsitzender, und per exemplum war auch der Germanist Theodor Ickler bis Februar 2006 Ratsmitglied –, viel sinnvoller und vorteilhafter gestaltet werden können. Vielleicht hätten sie noch etwas mehr Zeit gebraucht – zehn Jahre Buchstabenschubsen waren eventuell nicht lange genug…

Der VerfasserDeutschland, im Februar 2007

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Auch eine vollkommene Welt wärevor den Reformwütigen nicht sicher.

Carl Peter Fröhling

EinleitungWieder einmal wurde von unseren sogenannten Sprachwissenschaftlern und Literaturhistorikern ein folgenschwerer und infamer Angriff auf das harmonische und über Jahrzehnte gewachsene Schriftbild der deutschen Sprache unternommen, und diesmal war ihnen leider ein freudloser, unverdienter Sieg vergönnt (zwar nur ein unnötiger und teurer Pyrrhussieg – nicht nur finanziell gesehen – gegen die Mehrheit der Bevölkerung, aber immerhin ein ‚Erfolg’). Aus diesem traurigen Anlaß habe ich vor kurzem zwei aktuelle Nachschlagewerke mit den ‚erneuerten’ Wörtern und Rechtschreibregeln erstanden219, da man sich ja, was die eigene Sprache und Schrift anbelangt, auf dem laufenden halten muß, wenn man täglich damit arbeiten und umgehen möchte. Und um es vorweg mit Decimus Iunius Iuvenalis zu sagen: difficile est satiram non scribere220, wenn man sich diese nebulösen geistigen Ergüsse zu Gemüte führt. Schon bei einer ersten oberflächlichen Durchsicht dieser Kondolenz-Lexika stach mir zufällig eine absolut haarsträubende grammatikalische Peinlichkeit ins konsternierte Auge: Die neudeutsche Schreibweise und Silbentrennung eines armen Meeresbewohners, die u.a. nun so vollzogen werden kann bzw. soll: Seee-lefant!

Den armen Grizzlybären hat es zu seinem Pech auch hart getroffen, er muß sich jetzt mit der seltsamen Bezeichnung Grislibär abfinden. Nachdem ich mich von meinem ersten Schreck ein wenig erholt hatte, begann ich, weitere befremdliche Eigentümlichkeiten und Absurditäten der neuen Schreibweise zu untersuchen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ich eine kleine Liste schriftlicher Abartigkeiten gesammelt und aufgestellt hatte, von der ich nur einige wenige Punkte nennen und weiter ausführen möchte – und zwar nur die vier übelsten, obwohl man im Prinzip in jedem der reformierten Paragraphen die Unsicherheit und Folgewidrigkeit der offensichtlich überforderten Initiatoren dieser Modifikation zu erkennen vermag. Dies wären:

1. Eingedeutschte Fremdwörter2. Wort- und Silbentrennung3. Die neue Zeichensetzung4. Getrenntschreibung und neue deutsche Sprache

1. Eingedeutschte FremdwörterAls erstes sind mir die eingedeutschten Fremdwörter aufgefallen, die ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu lesen gezwungen war. Da wird z.B. aus dem ehemals eleganten Mohair ein nun plumpes Mohär, aus Mayonnaise wird Majonäse, die Platitude wird zur Plattidüde, aus Facette wird Fassette – wohl von fassen? …oder dem Faß, bzw. neudeutsch: Fass? (Eingeweihte wissen, was gemeint ist: Das Stammwortprinzip!) –, aus Necessaire wird Nessessär, und so weiter in dieser etwas absonderlichen Art und Weise. Peinlich berührt war ich auch von folgenden katastrophalen Produkten geistiger Verarmung: Anschovis, Schikoree, Scharm, Schose, transchieren, Puscher, Ketschup und Sketsch. Diese grotesken Buchstabenkonstruktionen sehen schlichtweg falsch, billig und vulgär aus – als ob der Verfasser einfach unfähig und zu ungebildet gewesen wäre, diese fremdsprachlichen Ausdrücke korrekt und in der richtigen Schreibweise zu Papier zu bringen. Außerdem wage ich ernsthaft zu bezweifeln, daß sich der gutsituierte Besitzer bzw. Geschäftsführer einer distinguierten Designer-Boutique tatsächlich dazu herablassen würde, ein primitives Butike über sein feudales Eingangsportal schreiben zu lassen. Weiters ist aus dem künstlerischen Stukkateur ein profaner Stuckateur geworden (wenigstens kein Stuckatör – siehe Frisör) – das

219 Die neue deutsche Rechtschreibung, München 1996 & Das farbige Duden-Lexikon, Mannheim 1996220 Es ist schwer, keine Satire zu schreiben (Saturae)

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erinnert doch stark an Stückwerk oder Bruchstücke, obwohl das mitnichten etwas mit dem ästhetischen Handwerk dieser Berufsgruppe zu tun hat. Auch die exklusiven und modernen Haarkünstler lassen sich, seit dem es den schriftlich reformierten Frisör gibt, lieber Hair-Stylist oder Coiffeur nennen, weil diese Berufsbezeichnungen geschrieben einfach besser und kultivierter aussehen und den Kunden ein dementsprechend positiveres Flair vermitteln können. Warten wir also auf den ersten Koafför.

Bei den eingedeutschten, aus dem französischen stammenden Wörtern wie Dekolletee (Dekolleté), Exposee (Exposé), passee (passé), Maschee (Maché) oder Varietee (Varieté) wäre es vielleicht einfacher gewesen, nur den ursprünglichen Accent wegzulassen (wenn überhaupt), anstatt (an Statt?!?) das ganze mit einem einfallslosen -ee zu vertauschen. Des weiteren wird bzw. werden bei verschiedenen Benennungen – wiederum fremdländischer Herkunft – einfach ein oder mehrere Buchstaben unter den Tisch fallengelassen, alsda wären u.a. die Myrrhe (Myrre), die Hämorrhoiden (ja, auch die! – sie werden zu neudeutschen Hämorriden), der Katarrh (Katarr), der Panther (Panter), die Farbe Khaki (Kaki…? – war das wirklich nötig?) und der Thunfisch (Tunfisch – wahrscheinlich von tun/machen, nach dem bereits erwähnten Stammwortprinzip?). Auch die eingedeutschte Version des ph, nämlich f, beleidigt das Auge des konsternierten Betrachters (§32). Dort gibt es per exemplum einen Fotografen und den Fonologen – da ist es doch ein Glück für das deutsche Schriftbild, daß es noch keinen Filosofen gibt! Oder etwa doch…? Die orthographische Schönheit des Begriffs ‚Philosophie’ würde durch die Einführung der ‚Filosofie’ ins Profane, Unbedeutende, Lächerliche gezogen und zunichte gemacht. Ein ernsthafter Philosoph wird sich dementsprechend auch nie als Filosof beschreiben wollen. Bei der ph-zu-f-Regelung wird, wie bei den meisten anderen Erneuerungen auch, die tragische Inkonsequenz der hoffnungslos überforderten und innovationslosen Reformer ersichtlich, da nur ein Teil der Wörter mit ph zukünftig mit f geschrieben werden kann bzw. darf. Die Phantasie wird zwar zur Fantasie, aber die Physiologie bleibt die Physiologie. Warum dieses? – zuviel Fantasie? Das Delphinarium wird zum Delfinarium, aber die Diphtherie bleibt eine Diphtherie; das Phon wird zum Fon, aber das Phänomen bleibt ein Phänomen; Zephyr bleibt Zephyr, aber Seraphim wird Serafim – welches sind denn nun die Kriterien, nach denen man, ohne ständig ein Regelwerk über Rechtschreibung mit sich herumtragen zu müssen, untersuchen kann, ob ein Fremdwort mittlerweile in die deutsche Schreibe integriert wurde oder nicht? Selbst in den diversen Lexika ist man sich augenscheinlich nicht immer sicher, was die genaue aktuelle Schreibweise angeht, z.B. steht in einem dieser Werke als Erklärung für Delfinarium (mit f) wörtlich: Großaquarium für Delphine (mit ph) – was soll man also davon halten? Da wäre es doch erheblich einfacher und nachvollziehbarer gewesen, das ph vollständig abzuschaffen und generell durch ein f zu ersetzen, aber dazu hat den Reformern offensichtlich der nötige Mut gefehlt.

Paragraph 21 der eingedeutschten Fremdwörter gibt uns das zweifelhafte Vergnügen, englische Wörter, die mit einem -y enden, folgenderweise auf deutsch zu pluralisieren, in dem einfach ein -s angehängt wird, statt, wie bisher (und im ursprünglich englischen immer noch), ein -ies zu schreiben. Hobbies werden dementsprechend zu Hobbys, Babies zu Babys und Parties zu Partys. Aber – keine Regel ohne Ausnahme – bei Zitaten und Zitatworten bleibt alles beim alten, original englischen (Beispiel: Grand Old Ladies). Wieso? Selbst feststehende fremdsprachige Wortbedeutungen wie z.B. common sense (der gesunde Menschenverstand) sind von den kläglichen Erneuerungsversuchen nicht verschont geblieben. Man schreibt nun commonsense. Somit hat man zwei Versionen, eine richtige, englische und eine seltsame, eingedeutschte. Warum darf ich eigentlich englische Worte und Begriffe in deutschen Texten nicht korrekt schreiben? Und ‚gesunder Menschenverstand’ schreibt man ja auch nicht zusammen, oder? Gesundermenschenverstand? – wo ist er hin? Diese eingedeutschten Wortgebilde, die nach dem Willen der Sprachforscher auch noch die zukünftige

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Hauptvariante sein sollen, finden sich leider so unglaublich oft, daß ich nicht umhin kann, einige traurige Beispiele nennen zu müssen:

das Happy End wird zum Happyend die Haute Couture wird zur Hautecouture Hot Dogs werden zu Hotdogs die Jam Session wird zur Jamsession der Science-fiction-Film wird zum Sciencefictionfilm die Open-End-Diskussion wird zur Openenddiskussion Public Relations werden zu Publicrelations ein Joint Venture wird zum Jointventure Keep smiling wird zum Keepsmiling der Jumbo-Jet wird zum Jumbojet Costa Rica wird zu Kostarika die High Society wird zur Highsociety etc. …aber das Layout wird zum Lay-out…?

…warum jetzt dieses? Diese unglückliche Wechselhaftigkeit in der Rechtschreibung führt doch nur zu noch mehr Sprach- und Schreibverwirrung.

Mixed Pickles werden zu Mixpickles…?…wieso nicht einfach zu Mixedpickles? Wo ist denn das -ed geblieben? Zusammenschreiben alleine reicht wohl nicht?

Das skurrile System, nach dem diese neuen Regeln erdacht wurden, ist durchaus nicht einfach zu verstehen. Manche Begriffe, die einstmals auseinandergeschrieben wurden, werden jetzt zusammengeschrieben – und umgekehrt. Auch hier wurden die Rechtschreibprobleme nur unbeholfen verschoben, nicht wirklich gelöst. Fremdworte sind – wie der Name schon sagt – Fremdworte, und sollten somit, aus Solidarität und Wertschätzung der fremden Sprache und deren Orthographie gegenüber, auch solche bleiben. Wer statt dem französischen Portemonnaie das eingedeutschte Portmonee schreiben muß, sollte sich lieber aus dem vielfältigen Angebot des deutschen Sprachschatzes bedienen, der u.a. solche einfach zu schreibenden Varianten wie Geldbörse, Geldbeutel oder Brieftasche zu bieten hat.

2. Wort- und SilbentrennungEin weiteres unseliges Kapitel der schriftgewordenen Absonderlichkeiten wurde mit den erneuerten Trennungsregelungen aufgeschlagen. Angeblich soll das komplexe deutsche Schriftwesen erleichtert und logischer werden, aber die Frage ist: welche Logik steckt darin, wenn das Wort ‚Teleskop’, das bisher Tele-skop getrennt wurde, nun auch Teles-kop getrennt werden darf (wie bei zahlreichen anderen Bezeichnungen, die mit -skop enden – Gastros-kopie, Epis-kop, Endos-kop, Bronchos-kopie etc.)? Die griechische Vorsilbe tele heißt übersetzt weit bzw. fern und skop bedeutet sehen, also warum ‚Teles-kop’? Genauso verhält es sich mit dem englischen (!) Wort ‚swinging’, das von der einsilbigen Vokabel ‚Swing’ abstammt. Warum darf es jetzt swin-ging getrennt werden? (Swin ging? Wohin ging Swin denn?) Mißverständlich ist auch die neu akzeptierte Trennmöglichkeit des Wortes ‚Biologie’, nämlich Bi-ologie, ebenso weitere Begriffe mit der griechischen Silbe bio (welche ‚Leben’ bedeutet), z.B. Bi-ogas, Bi-osphäre, Bi-ochemie, Bi-omechanik und Bi-olyse. Wenn man beispielsweise den Ausdruck ‚Biolyse’ nicht kennt, aber etwas Allgemeinbildung besitzt, könnte man die Bedeutung des Wortes eventuell auf fremdsprachlichen Umwegen erkennen. Bio ist das Leben und Lyse die Zersetzung, folglich ist die Biolyse die Zersetzung organischer Stoffe. Bei einer Trennungsweise wie Bi-olyse kann man aber leicht in Versuchung kommen, Bi als das lateinische Wort für ‚zwei’ oder ‚doppelt’ zu nehmen, und somit ist das Scheitern dieser Überlegung vorprogrammiert. Diese Vorgehensweise wird nicht nur für bio, sondern auch für viele andere Fremdworte, wie cona-xial (trotz axis), abs-trakt, abs-trus, Abu-sus (trotz der Vorsilbe ab) oder A-nagramm, A-nalyse, A-natomie (trotz der griechischen

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Vorsilbe ana, welche im Original nicht zu trennen ist), unbrauchbar. Weitere ausgewählte Beispiele dieser Kategorie lauten:

Diph-thong (statt Di-phthong) Dio-xid (statt Di-oxid) Ge-ologie (statt Geo-logie) Ins-piration (statt In-spiration) Ins-tabil (statt In-stabil) Kati-on (statt Kat-ion) Koo-perator (statt Ko-operator) Le-oniden (statt Leo-niden) Li-pämie (statt Lip-ämie) Atmos-phäre (statt Atmo-sphäre) Ne-oimpressionismus (statt Neo-impressionismus) O-bacht (statt Ob-acht) Pa-renteral (statt Par-enteral) Pen-tathlon (statt Pent-athlon) Ref-lexion (statt Re-flexion) ...zum Begriff ‚Sekundäremission’ muß ich ein paar Worte mehr anmerken. Bisher

wurde es silben- und sinngemäß (z.B.) Sekundär-emission getrennt, doch nun kommt der Clou! Neue Trennungsweise (u.a.): Sekundäre-mission! Schreiben Sie das ganze noch in Kapitalbuchstaben (SEKUNDÄRE-MISSION), und Sie können sicher sein, daß nicht wenige Leser damit einen ‚zweiten Auftrag’ verbinden würden.

Zwei weitere Beispiele der unlogischen Silbentrennung sind ‚Manometer’ und der lateinische (!) Ausdruck ‚post christum’ (nach Christus). Manometer kann z.B. Ma-no-me-ter getrennt werden, manometrisch demzufolge ma-no-me-trisch, aber neuerdings auch ma-no-met-risch. Wo ist die Logik wenn Meter Me-ter getrennt werden darf, aber me-trisch met-risch? Met ist doch ein Honigwein, ein germanisches Getränk? Selbst bei feststehenden Begriffen wie Christ wird die unlogische Silbentrennung vorgenommen. Post christum, bisher untrennbar als eine Einheit, darf neuerdings mit einem profanen post chris-tum getrennt werden, nicht einmal der Christ ist ganz geblieben (wie bei anderen christlichen Worten auch)! Frage ist, ob sich die päpstlich-katholische Kirche dazu äußern wird (äußern ist einer der wenigen Ausdrücke, die weiterhin mit der Ligatur ß geschrieben werden dürfen!). Zum ss ist u.a. zu bemerken: Das Gute an dieser Regelung ist, daß der Dreß, der sowieso schon aus dem Englischen eingedeutscht wurde, wieder Dress geschrieben wird. Unverständlich wird es wiederum, warum aus dem Pik-As ein Pik-Ass werden mußte (vor allem englischsprachige bzw. dem englischen mächtige Personen denken bei Ass bestimmt nicht unbedingt zuerst an eine Spielkarte). Die bisherige Flußsenke, welche durch diese Schreibart sprachlich und der Bedeutung gemäß gut erkennbar und trennbar war, ist nun zu einer verwirrenden Flusssenke geworden (siehe auch: Flußsand – Flusssand). Auch dieses Thema wurde von den Sprachwissenschaftlern wieder mit einer ausnehmend konsequenten Inkonsequenz behandelt.

Bei Paragraph 112 heißt es verbaliter: „Wörter, die sprachhistorisch oder von der Herkunftssprache her gesehen Zusammensetzungen sind, aber oft nicht mehr als solche empfunden oder erkannt werden, kann man entweder nach §§ 108 - 110 oder nach § 111 trennen.“ Erstens, warum schreiben Sie nicht einfach „[...] kann man nach §§ 108 - 111 trennen.“ und zweitens, wo sind denn die ‚[...] sprachhistorisch oder von der Herkunftssprache […] nicht mehr als solche […] erkannt[en] […]’ Zusammensetzungen bei solchen Worten wie hinauf (bisher hin-auf, jetzt hi-nauf), vollenden (bisher voll-en-den, jetzt vol-len-den – was ist an voll-enden unklar, und wie kommen die Sprachkünstler auf Lenden?!?), einander (bisher ein-an-der, jetzt ei-nan-der (was hat das Ei dort zu suchen?)), Hermaphrodit (bisher Herm-aphrodit, jetzt Her-maphrodit oder gar Herma-phrodit (…also wirklich – können die ‚Experten’ sich nicht entscheiden?) – fehlte noch, daß man dieses

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Geschöpf mit einem f schreiben müßte…) oder Kleinod (bisher Klein-od, jetzt Klei-nod – trotz sprachlicher Trennung und dem willkürlichen Zerteilen der Silbenbedeutung)? Nur weil die Herren Sprachreformatoren diese Zusammenhänge nicht mehr erkennen bzw. empfinden können oder wollen (obwohl sie es doch eigentlich müßten – denn was wären das für Sprachhistoriker, die z.B. die Zusammensetzung des Wortes Kleinod oder Hermaphrodit nicht mehr zu erkennen vermögen? Und diese Leute wollen tatsächlich die deutsche Sprache reformieren? Das ist eine traurige und bedrückende Vorstellung), heißt das noch lange nicht, daß ein durchschnittlich sprachgebildeter Bürger dieses nicht doch kann. Da fühlt man sich als aktiv Schreibender und sprachlich Interessierter von den Wissenschaftlern richtiggehend als beschränkt, unzivilisiert und unfähig hingestellt. Ein weiterer Trennungsparagraph (§ 108) besagt, daß sogar einzelne Vokale vom Wort abgetrennt werden dürfen, d.h. A-bend, O-fen und so weiter. Selbst der aus nur drei Buchstaben bestehende Abschiedsgruß ‚Ade’ und das Zeitalter ‚Ära’ können A-de und Ä-ra getrennt werden. (siehe auch E-go, E-he etc.) Ist das nötig? Warum muß man einen einzigen (!) Vokal abtrennen können? Wenn das Wort in diese Zeile nicht mehr hineinpaßt, warum schreiben wir es nicht einfach in die nächste Zeile? Einen Vokal abtrennen, das ist ein schlechter Witz, ein müder Lacher, mehr nicht. A-men!

Der bisherige Leitspruch ‚Trenne nie das s vom t, denn es tut den beiden weh’ wird ersatzlos gestrichen, im geheiligten Namen der Simplifizierung. Wie ist das aber beim Waldsterben – Wald-sterben oder Walds-terben? Dieses Wort stand nicht in meinem Nachschlagewerk (Bertelsmann). Der erneuerte Paragraph (Paragraf?) 109 lautet: „Stehen Buchstabenverbindungen wie ch, sch, ph, rh, sh oder th für einen Konsonanten, so trennt man sie nicht. Dasselbe gilt für ck.“ Dabei begegnen wir dann solchen unglücklichen Trennungsversuchen wie ba-cken, bli-cken und Zu-cker, vormals bak-ken, blik-ken und Zuk-ker. Sprechen Sie nun einmal das Wort ‚blicken’ aus. Wie trennen Sie es rein auf der sprachlichen Basis? Blik-ken, denn das so oft in der neuen Rechtschreibverordnung beschworene Stammwort ist ‚Blick’, und was nun...? Bli - cken?!? (Zugegeben, die letzte Argumentation war etwas verunglückt, aber was macht man nicht alles für die diffizile Schönheit des geschriebenen Wortes?) Aber auch der Ausdruck ‚durchackern’ trennt sich optisch und sprachlich durchak-kern besser als durcha-ckern. Bei solch skurrilen Trennungsstümpereien wie Ta-o, E-x-o-dus, I-o-ni-en, O-li-g-u-rie oder De-mon-s-t-ra-ti-on frage ich mich ernsthaft, warum nicht die generelle Trennung nach jedem einzelnen Buchstaben eingeführt wurde (die ursprüngliche Trennung nach Sinn und Verb ist mit den oben aufgezeigten Regelungen sowieso schon dahin), was doch die ganze Sache sicher noch erheblich vereinfachen könnte?

3. Die neue ZeichensetzungAuch der Versuch, bei der Zeichensetzung verständlichere, einfachere Neuerungen einzuführen, war leider ein experimenteller Reinfall, der das ganze de facto nur noch verwirrender macht. Bisher entsprach folgender Satz – der auch als Beispielsatz genannt wird – der rechtsgültigen Grundlage der deutschen Schrift: Sabine versprach ihrem Vater, einen Brief zu schreiben, etc. Nun kann er auch so geschrieben werden: Sabine versprach ihrem Vater einen Brief zu schreiben etc. Wem versprach nun Sabine, einen Brief zu schreiben? Im ersten Satz verspricht sie es ihrem Vater, aber im zweiten kann sie es entweder ihrem Vater versprechen, oder einer dritten Person, ihrem Vater einen Brief zu schreiben. Ebenso verhält es sich mit diesem Beispiel: Vorher: Ich rate, ihm zu helfen. Nachher: Ich rate ihm zu helfen. Rate ich ihm, daß er hilft, oder rate ich, ihm zu helfen?

In § 91 wird uns nun gesagt, daß der Satz: Fragtest du: „Wann beginnt der Film?“ in Zukunft: Fragtest du: „Wann beginnt der Film?“? oder: Sag ihm: „Ich habe keine Zeit!“ nun: Sag ihm: „Ich habe keine Zeit!“! geschrieben wird. In der Mathematik heißt es, doppelte Vorzeichen ergeben den entgegengesetzten Wert, d.h. aus doppeltem Plus wird Minus. Frage: „Ergibt doppeltes ‚?’ ein ‚!’?“ (?) Bei Paragraph 75 wird geschrieben, daß bei ‚formelhaften’

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Nebensätzen das Komma weggelassen werden kann. Das sieht dann etwa so aus: Die Eltern haben wie bereits erwähnt ihre Kinder umgeschult. Es ist zwar richtig, daß diese Neuerung diesmal den Sinn des Satzes nicht verändert, aber er sieht einfach unfertig aus – und die Sprechpausen beim Lesen fehlen. Das Komma war ein wichtiger Anhalt für interne Satz- und Sprechpausen, die einem Kind oder einem erwachsenen Deutschlernenden nun unnötigerweise genommen worden sind.

4. Getrenntschreibung und neue deutsche SpracheHier werden wir in § 34 belehrt, daß es nun schicklich wäre, feststehende Begriffe wie ‚eislaufen’, ‚radfahren’ oder ‚maßhalten’ getrennt zu schreiben. Ich kann Eis essen, aber nicht Eis laufen, deswegen werde ich auch weiterhin eislaufen gehen. – schreibt man nun ‚Es ist eiskalt draußen’ oder ‚Es ist Eis kalt draussen’? Aber – o Wunder – schon wird uns bei § 37 erzählt, daß es trotz ‚Ich werde Rad fahren’ immer noch ‚das Radfahren’ heißt. Daran muß man sich erst gewöhnen, und man fragt sich zum wiederholten Male, warum der ganze kostspielige Aufwand betrieben wurde, diese absonderlichen geistigen Blähungen auf Papier zu bringen (und für so etwas Unausgegorenes müssen Bäume sterben!). Es ist wirklich zu komisch, daß man den ‚Hard Rock’ nun ‚Hardrock’ schreibt, aber ‚hartgekocht’ wird zu ‚hart gekocht’; …die sind wirklich hart gesotten!

Die Sache mit den Stammwörtern bzw. dem Stammprinzip ist auch nicht unbedingt so einfach, wie es uns die glorreichen Reformatoren weismachen wollen. Beim Ausdruck ‚aufwendig’ denke ich mehr an aufwenden, das Aufwenden der Mittel etc., als an einen Aufwand, was den neuen Ausdruck ‚aufwändig’ rechtfertigen würde (ein Bergsteiger klettert aufwändig, d.h. die Steilwand hoch). Auch ‚behende’ identifiziere ich mehr mit der real existierenden Behendigkeit (Schnelligkeit), als mit Hände, doch die neue Form lautet ‚behände’. Warum? Ebenfalls recht seltsam mutet die pretiös-preziöse Verwandlung von ‚minutiös’ in ‚minuziös’ an – das stammt wohl von der allseits bekannten Zeiteinheit ‚Minuze’ ab (– hast du schon gehört: 60 Sekunzen sind eine Minuze und parziell kommt vom Stammwort Parz; – wie bitte?), oder wie ist das zu verstehen? Wenigstens ist die Tradition traditionell geblieben – was jedoch wieder einmal nur die unglaubliche Inkonsequenz und -konsistenz der Reform beweist. Aus dem Zierat ist nun ein Zierrat geworden (ein gezierter Rat?). Begründung: Vorrat schreibt man schließlich auch mit rr – welch schlagkräftiges Argument! Diese Laut-Buchstaben-Beziehung bzw. Analogieschlüsse gibt es leider noch öfter: rauh schreibt man zukünftig rau, weil blau auch kein h am Ende hat (und das, obwohl man bei dem Wort ‚aufrauhen’ das h deutlich hören kann – trotzdem wird es zu aufrauen). Dafür bekommt die Roheit ein h geschenkt und wird zur Rohheit. Das Känguruh verliert wiederum sein h und wird zum Känguru, weil der Kakadu ebenfalls keins hat. Wo liegt der tiefere Sinn in dieser albernen Buchstabenschieberei? Eine Vereinfachung wäre gewesen, das abschließende, einzelne h gänzlich zu streichen, aber so sind das nur akademische Spielereien.

Was ist das, was ich da beim Ausdruck ‚Greuel’ bemerken mußte? Er wird zum ‚Gräuel’, weil Greuel von Grauen kommen soll. Aber zwischen „Es ist ein Greuel“ und „Es ist das Grauen“ ist für mich ein gravierender Unterschied. Greuel ist ein leichtes Widerwärtigkeitsgefühl, ein abgeschwächtes Grauen, während ‚das Grauen’ die nackte, panische Angst selbst ist. Aus ‚greulich’ wird der neuen Wortschöpfung nach ‚gräulich’. Aber gräulich, dachte ich, kommt vom Stammwort bzw. der Farbe ‚Grau’, oder habe ich da etwas verpaßt? Was verstehen Sie nun, wenn ich ‚Der Küchenschrank hat ein gräuliches Muster’ in einer Verkaufsanzeige drucken lassen würde – würden Sie ihn kaufen? ‚Die Wände waren in gräulichen Farbtönen gehalten.’ Auch hier ist es m.E. eine essen(t/z)ielle Differenz, ob die Farbtöne gräulich oder greulich waren…

Das Quent ist ein altes deutsches Gewicht, eine Maßeinheit, und entspricht exakt 1,67 Gramm. Quentchen stammt demzufolge sprachhistorisch von Quent ab, doch nun wird es zum Quäntchen, weil der Ausdruck ‚Quantum’ den Sprachforschern wohl besser gefällt.

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‚Quantum’ bedeutet jedoch ‚Menge’, aber ein Quentchen ist sehr wenig (s.o.). Warum läßt man es nicht mehr von Quent abstammen? (sozusagen ein Stammwort auf Urlaub? Oder ein emeritiertes Stammwort?) Der Stengel (z.B. in Blumenstengel), bisher ein eigenständiges Wort, bekommt nun willkürlich als Stammwort die Stange zugeteilt und mutiert auf diesem Wege zu einem optisch unansehnlichen Stängel. Bei ‚Gemse’ dachte ich bisher auch immer, dieses sei das Stammwort (und so sagten es auch die Lexika, die ich zu rate zog) und ‚Gams’ wäre nur der alpenländische Terminus technicus für dieses Tier (auch das stand so in den Nachschlagewerken), doch Paragraph 13 erklärt ab sofort die Gams zur Urform, und so wird aus der Gemse eine – Gämse. Traurig, aber wahr. Auch der Fön zum Trocknen der Haare wird in seiner Schreibweise geändert und nun ‚Föhn’ geschrieben. Föhn ist aber schon die Bezeichnung des warmen Fallwindes im Voralpenland. Bisher konnte man den Haar-Fön und den Föhn-wind immer recht gut unterscheiden. Das ist hiermit vorbei; – da fällt mir doch der alte Witz ein, der die Sache auf den Punkt bringt: Mitternacht – ein Ehepaar in einem Berggasthof. Sie: Liebling, hörst Du den Föhn rauschen? Er: Unsinn! Wer soll sich denn um diese Zeit die Haare waschen?

Paragraph 55 ist als ein weiterer Meilenstein in der traurigen Verwirrung der Schrift zu vermerken, denn dort wird zwar – man merke auf – aus dem bisherigen ‚gestern abend’ ein neudeutscher ‚gestern Abend’, trotzdem wird weiterhin ‚Montag abend’ geschrieben. Warum ist es Sonntag ‚mittag’, aber gestern ‚Mittag’? Und diesen akademisch abgesicherten Unfug soll einer verstehen und auch noch nachvollziehen können? Selbst in Briefen spricht man sich in Zukunft anders an als bisher. Uns wurde noch als einfache Formel gelehrt, daß Anreden in Briefen immer groß geschrieben werden, doch nun wird nur noch die Höflichkeitsanrede ‚Sie’ (…ich wollte Sie benachrichtigen…) ehrfurchtsvoll großgeschrieben, das freundschaftliche ‚Du’ hingegen klein (…ich wollte dir mitteilen…). Ist das etwa einfacher zu merken? Und warum darf bzw. soll ich meinen Freunden orthographisch nicht genauso ehrerweisend begegnen wie einem Fremden?

Résumée – ResümeeDas Schriftbild einer Sprache sollte eine ästhetische, am besten historisch gewachsene, das Auge ansprechende Form besitzen, damit es Freude macht, zu schreiben und mit Geschriebenem zu arbeiten. Die kleinen Eigenheiten waren und sind ein Teil dessen, was den anregenden Reiz der deutschen Schreibweise ausmacht, und es wäre ein kapitaler Fehler, sie durch unausgegorene, billige und teilweise grob fahrlässige ‚Erneuerungen’ zu ersetzen. Die ‚reformierten, verbesserten’ Rechtschreibregelungen sind leider zu völlig unbedeutenden und schwer bis nicht nachvollziehbaren Gummiparagraphen – Sowohl-als-auch-Regeln – entartet und zu großen Teilen verwirrender als vorher; der sinngemäß am häufigsten verwendete Beisatz der neuen orthographischen Bestimmungen lautet: Der/Die Schreibende soll selbst entscheiden… (mit anderen Worten: Schreibe, wie du willst, die potentiellen Leser werden es schon irgendwie entziffern…) Hauptsache, der Sinn des Geschriebenen läßt sich noch einigermaßen erahnen…

Bei den bisherigen Regelungen mußte zwar einiges an Grundwissen erlernt werden, aber es war zumeist logisch und klar nachvollziehbar aufgebaut, während es nun mit der Logik und Klarheit nicht mehr so genaugenommen wird. Bevor die Herren Schriftexperten dieses unsägliche Machwerk übereilt als das non plus ultra und ihrer Weisheit letzten Schluß unters fassungslose Volk brachten, hätten sie sich bereits im Vorfeld überlegen sollen, ob eine Reformation der deutschen Schrift ipso facto überhaupt nötig und von der breiten Öffentlichkeit gewollt war, und ob nicht andere, bessere und verständlichere Ansätze vorhanden gewesen wären. Es wäre sicher günstiger gewesen, erst einmal augenfällige Änderungen vorzunehmen, z.B. bei den Groß- und Kleinschreibregelungen. Neue Regel: Nur Satzanfänge und Eigennamen werden groß, alles andere kategorisch klein geschrieben (das wäre einfach und wird bereits erfolgreich in anderen Ländern praktiziert) – aber es wurde nur

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in zumeist nicht nachvollziehbarer Weise verändert, und im Grunde sieht alles (fast) genauso aus wie vorher (nur ein wenig merkwürdiger und komplizierter). Danach hätte man ins Detail gehen und diffizilere Probleme in Angriff nehmen können, aber es wurde nur, grob undurchdacht und indifferent, mit einem stumpfen Federmesser durch die über viele Jahre gewachsene deutsche Sprach- und Schriftbildlandschaft geholzt. Schade, man hätte mehr erwarten können…

Kain L. von SpreewinklDeutschland, im Juni 1997

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Personenregister

AAesop (6. Jhd. a.Chr.n.) III.XLIVAnnan, Kofi Atta (geb. 1938) II.CCVIIIAnselm von Canterbury (um 1033 - 1109) I.XXIIIArchimedes (um 287 - 212 a.Chr.n.) II.XIXAristophanes (um 448 - um 385 a.Chr.n.) II.CXLVIIAristoteles (384 - 322 a.Chr.n.) I.LVII, I.LVIII, II.XIX, II.CXCAugustinus von Hippo (354 - 430) II.CXIV

BBätzing, Sabine (geb. 1975) II.CXCVIIBan Ki-moon (geb. 1944) II.CCVIIIBeck, Kurt (geb. 1949) III.XXIXBeckstein, Günther (geb. 1943) III.XIIBenedikt XVI.: Joseph Alois Ratzinger (geb. 1927) I.XLVIIBismarck-Schönhausen, Otto Eduard Leopold von (1815 - 1889) II.CLXXXVIBlüm, Norbert Sebastian (geb. 1935) III.XXXIIBoëthius: Anicius Manlius Torquatus Severinus Boëthius (um 480 - 525) II.XXXIIBosse, Sebastian (1988 - 2006) II.CXCIXBush, George Walker (geb. 1946) II.CLXII

CCaligula: Gaius Caesar Augustus Germanicus (12 - 41) II.CLXXXIVCarnap, Rudolf (1891 - 1970) I.IICato maior: Marcus Porcius Cato Censorius (234 - 149 a.Chr.n.) II.IVCervantes y Saavedra, Miguel de (1547 - 1616) II.CXXXVChristo: Christo Vladimirov Javacheff (geb. 1935) II.XXIVCicero: Marcus Tullius Cicero (106 - 43 a.Chr.n.) Vw, I.LVIII, II.CXLVII, II.CCIII, III.IVClemens Alexandrinus: Titus Flavius Clemens (um 150 - um 215) III.XXXIICoriolis, Gaspard Gustave de (1792 - 1843) I.ICoscioni, Luca (1967 - 2006) II.CCICyprian: Thascius Caecilius Cyprianus (um 200 - 258) I.XXXVII

DDarwin, Charles Robert (1809 - 1882) I.IDeligöz, Ekin (geb. 1971) I.LIDescartes, René (1596 - 1650) I.XXIIIDionysios von Halikarnassos (1. Jhd. a.Chr.n.) II.IX

EEpicharmos (um 540 - um 460 a.Chr.n.) II.CLXXVIIErasmus Desiderius von Rotterdam (um 1467 - 1536) I.LI, II.CXII

FFeuerbach, Ludwig Andreas (1804 - 1872) I.XLIXFischer, Joseph Martin ‚Joschka’ (geb. 1948) III.XVFröhling, Carl Peter (geb. 1933) ZnR

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GGaius Iulius Caesar (100 - 44 a.Chr.n.) II.LXIIIGiese, Günter (geb. 1937) II.CXLVIGiordano, Ralph (geb. 1923) II.CXCIVGusenbauer, Alfred (geb. 1960) III.XLI

HHobbes, Thomas (1588 - 1679) II.IHöffe, Otfried (geb. 1943) II.IHolberg, Ludvig (1684 - 1754) I.VIII, II.LXXXHomer (8. Jhd. a.Chr.n.) II.XXIX, II.LXVII, II.CLVIII, II.CLXXIII, III.XIHoraz: Quintus Horatius Flaccus (65 - 8 a.Chr.n.) Vw, III.XXXIIIHussein, Saddam (1937 - 2006) II.CLXII, II.CXCVIII

IIckler, Theodor (geb. 1944) ZnRInnozenz VIII.: Giovanni Battista Cibo (1432 - 1492) I.LXInstitoris, Heinrich: eigentl. Heinrich Kramer (um 1430 - um 1505) I.LX

JJesus von Nazareth (um 7 a.Chr.n. - um 30 p.Chr.n.) I.XXV, I.LIIJohannes (um 20 - um 117) II.CCXIII, NwJuvenal: Decimus Iunius Iuvenalis (um 60 - um 130) III.VII, ZnR

KKant, Immanuel (1724 - 1804) II.XLIIIKarl I. der Große (748 - 814) I.XXIVKierkegaard, Søren Aabye (1813 - 1855) III.IIKlinsmann, Jürgen (geb. 1964) II.CCVIKöhler, Horst (geb. 1943) III.XVIIIKohl, Helmut Josef Michael (geb. 1930) III.XV

LLaden, Osama bin: Usāma ibn Muhammad ibn Awad ibn Lādin (geb. 1957) II.CXCVIIILampridius, Aelius (4. Jhd.) II.LXXIVLeyen, Ursula Gertrud von der (geb. 1958) III.XXXVIILudwig I. der Fromme (778 - 840) I.XXIVLukrez: Titus Lucretius Carus (um 98 - um 55 a.Chr.n.) II.XXXIILuther, Martin (1483 - 1546) Anh.

MMasri, Khaled al- (geb. 1963) III.XVMederake, Mario (geb. 1970) III.XLMeisner, Joachim (geb. 1933) I.XXXVIIIMeldenius, Rupertus, auch Petrus Meuderlinus: Peter Meiderlin (1582 - 1651) II.CXIVMenander (um 341 - um 292 a.Chr.n.) II.CXLVIIMerkel, Angela (geb. 1954) III.X, III.XXVMiller, Stanley Lloyd (geb. 1930) I.IMohammed: Muhammad ibn Abd Allah ibn Abd al-Muttalib ibn Haschim ibn Abd Manaf al-Quraschi (um 571 - 632) I.XXVMüntefering, Franz (geb. 1940) II.CXCV

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Murphy Jr., Edward Aloysius (1917 - 1990) II.CCXVII

OOmar ibn al-Khattab, auch Umar ibn al-Chattab (592 - 644) I.XXIVOtto, Rudolf (1869 - 1937) I.XLVOvid: Publius Ovidius Naso (43 a.Chr.n. - 17 p.Chr.n.) I.XLVI

PPauli, Gabriele (geb. 1957) III.XXVIPenzias, Allan (geb. 1933) I.XXIIIPepys, Samuel (1633 - 1703) II.XIIIPius IX.: Giovanni Maria Mastai-Ferretti (1792 - 1878) I.LII, I.XXPlaton: eigentl. Aristokles (427 - 347 a.Chr.n.) II.LXXVPlautus: Titus Maccius Plautus (um 254 - um 184 a.Chr.n.) I.XXXVII, II.CXI, II.CXCVIIIPontius Pilatus (1. Jhd.) NwPublilius Syrus (1. Jhd. a.Chr.n.) I.IX

RRiccio, Mario (geb. 1959) II.CCIRoth, Ernst-Ewald (geb 1953) III.XLVIIIRudolph, Stephanie (geb. 1992) III.XLRürup, Hans-Adalbert (geb. 1943) III.XLVII

SSartre, Jean-Paul Charles Aymard (1905 - 1980) II.LISchmidt, Ursula (geb. 1949) III.XLVIISchröder, Gerhard Fritz Kurt (geb. 1944) III.XXXVISchüssel, Wolfgang (geb. 1945) III.XLISeneca der Jüngere: Lucius Annaeus Seneca (um 4 a.Chr.n. - 65 p.Chr.n.) Vw, II.CVI, III.VIIShakespeare, William (1564 - 1616) Vw, II.LXIIISigismund von Luxemburg (1368 - 1437) I.LISimon Petrus (? - um 65) I.LIISolon (um 640 - 559 a.Chr.n.) II.CLXISophokles (496 - um 406 a.Chr.n.) II.CXXVSpinoza, Baruch de (1632 - 1677) II.LXSprenger, Jakob (1435 - 1495) I.LXSteg, Thomas (geb. 1960) III.XXIXSteinbrück, Peer (geb. 1947) II.CXCVIISteinmeier, Frank-Walter (geb. 1956) III.XVStoiber, Edmund Rüdiger (geb. 1941) III.XXVIStolpe, Manfred (geb. 1936) II.CCI, III.XXXIXSueton: Gaius Suetonius Tranquillus (um 70 - um 135) II.XXXIV, III.I

TTacitus: Publius Cornelius Tacitus (um 55 - um 115) III.VI, III.XXIITerenz: Publius Terentius Afer (um 190 - 59 a.Chr.n.) I.XLVIII, II.XCVIII, II.CXI, II.CXXTertullian: Quintus Septimius Florens Tertullianus (um 150 - um 230) I.LIIThomas von Aquin (um 1225 - 1274) I.XXIII

UUllrich, Jan (geb. 1973) III.L

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Urey, Harold Clayton (1893 - 1981) I.I

VValerius Maximus (1. Jhd.) II.XIXVergil: Publius Vergilius Maro (70 - 19 a.Chr.n.) II.CXXXIXVerheugen, Günter (geb. 1944) III.XXXI

WWelby, Piergiorgio (1945 - 2006) II.CCIWelteke, Ernst (geb. 1942) III.XVIIWerboczius, Stephano de (15./16. Jhd.) III.VWilson, Robert Woodrow (geb. 1936) I.XXIII

ZZehetmair, Hans (geb. 1936) ZnR

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Die Zehn Gebote

Dekalog – evangelischer Katechismus, 19621. Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.2. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis von Gott machen, um ihn damit zu

verehren.3. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen.4. Du sollst den Feiertag heiligen.5. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.6. Du sollst nicht töten.7. Du sollst nicht ehebrechen.8. Du sollst nicht stehlen.9. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.10. Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört.

Dekalog – Katechismus der katholischen Kirche, 19931. Du sollst an einen [sic, KvS] Gott glauben.2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren.3. Du sollst den Tag des Herrn heiligen.4. Du sollst Vater und Mutter ehren, damit du lange lebest und es dir wohl ergehe auf

Erden.5. Du sollst nicht töten.6. Du sollst nicht Unkeuschheit treiben.7. Du sollst nicht stehlen.8. Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen.9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut.221

221 Die Zehn Gebote aus dem Lexikon der Weltreligionen, Augsburg 2006, S. 393 f.

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Auszüge aus den Evangelien

Matthäusevangelium 3,3Ευαγγελειον κατα Μαθθαιονουτος γαρ εστιν ο ρηθεις δια Ησαιου του προφητου λεγοντοςφωνη βοωντος εν τηι ερημωιετοιμασατε την οδον Κυριουευθειας ποιειτε τας τριβους αυτου

Evangelium secundum Matthaeum (Vulgata)hic est enim qui dictus est per Esaiam prophetam dicentem vox clamantis in deserto222 parate viam Domini rectas facite semitas eius

Evangelium S. Mattheus (Luther 1545)Und er ist der / von dem der Prophet Jesajas gesagt hat / und gesprochen / Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüsten / Bereitet dem Herrn den Weg / und machet richtig seine Steige.

Markusevangelium 14,66 - 14,7214,66 Als Petrus unten im Hof war, kam eine von den Mägden des Hohenpriesters.14,67 Sie sah, wie Petrus sich wärmte, blickte ihn an und sagte: Auch du warst mit diesem

Jesus aus Nazaret zusammen.14,68 Doch er leugnete es und sagte: Ich weiß nicht und verstehe nicht, wovon du redest.

Dann ging er in den Vorhof hinaus.14,69 Als die Magd ihn dort bemerkte, sagte sie zu denen, die dabeistanden, noch einmal:

Der gehört zu ihnen.14,70 Er aber leugnete es wieder ab. Wenig später sagten die Leute, die dort standen, von

neuem zu Petrus: Du gehörst wirklich zu ihnen; du bist doch auch ein Galiläer.14,71 Da fing er an zu fluchen und schwor: Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr

redet.14,72 Gleich darauf krähte der Hahn zum zweiten Mal, und Petrus erinnerte sich, daß Jesus

zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er begann zu weinen.

222 Kursivierung KvS

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Gesetzestexte

Artikel 3 der Internationalen MenschenrechteJeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 2 Grundgesetz1. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die

Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

2. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 3 Grundgesetz1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. 2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche

Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

3. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Artikel 5 Grundgesetz1. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu

verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

2. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

3. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

§ 216 StrafgesetzbuchTötung auf Verlangen

1. Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

2. Der Versuch ist strafbar.

§ 131 StrafgesetzbuchGewaltdarstellung

1. Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,1. verbreitet,

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2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

2. Ebenso wird bestraft, wer eine Darbietung des in Absatz 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet.

3. Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.

4. Absatz 1 Nr. 3 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt.

Sämtliche Gesetzestexte von Dejure.org (www.dejure.org).

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LiteraturAnselm von Canterbury- Proslogion, Stuttgart 1962

Descartes, René- Meditationes de Prima Philosophia/Meditationen über die Erste Philosophie, Ditzingen 1986

Feuerbach, Ludwig- Das Wesen des Christentums, Ditzingen 1986

Gosepath, Stefan/Lohmann, Georg (Hrsg)- Philosophie der Menschenrechte, Frankfurt am Main 1998

Kant, Immanuel- Kritik der praktischen Vernunft, Ditzingen 1986

Kohl, Helmut- Erinnerungen 1930-1982, München 2004- Erinnerungen 1982-1990, München 2005

Otto, Rudolf- Das Heilige, München 1987

Pinske, A. Volker- Überlegungen zur Menschheitsgeschichte, Hamburg 2005

Sartre, Jean-Paul- Geschlossene Gesellschaft, Hamburg 1986

Schröder, Gerhard- Entscheidungen. Mein Leben in der Politik, Hamburg 2006

Spreewinkl, Kain L. von- Gedanken zur Todesstrafe, Hamburg 2006- Gedankensplitter, Hamburg 2006

Tugendhat, Ernst- Aufsätze 1992-2000, Frankfurt am Main 2001

Unsöld, Albrecht & Baschek, Bodo- Der neue Kosmos, Berlin 2002

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