Kalter Kaffee - Der Nescafé-Plan: Wer profitiert? (2011)

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Kalter Kaffee DER NESCAFé-PLAN: WER PROFITIERT? DOKUMENTATION #02_2011/CHF6.—

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Mit dem 2010 lancierten Nescafé-Plan gibt der Grosskonzern Nestlé vor, neue Wege zu beschreiten. Die Rede ist von gemeinsamer Wertschöpfung, hohen Investitionen in Kaffeeprojekte, verbesserten Anbaumethoden oder von höheren Einkommen für die Bauernfamilien. Die EvB hat sich den Nescafé-Plan in einem der Projektländer, Mexico, genauer angeschaut und nachgeforscht. In dieser Dokumentation stellen wir die Nestlé-Argumente auf den Prüfstand und lassen Betroffene vor Ort zu Wort kommen.

Transcript of Kalter Kaffee - Der Nescafé-Plan: Wer profitiert? (2011)

KalterKaffee

Der Nescafé-PlaN: wer Profitiert?

Dokumentation

#02_2011/CHF6.—

impressum

Glossarinhalt

4c Der Common Code for the Coffee Community (4C) ist ein von Kaffeeröstern und -händlern, Kaffeeproduzenten sowie Nichtregierungsorgani-sationen erarbeiteter Mindeststandard für den Kaffee-Massenmarkt. 4C ist kein Siegel sondern ein Verhaltenskodex, der eine schrittweise Verbesse-rung hinsichtlich sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien anstrebt. Die Einhaltung der Richtlinien wird zwar überprüft, eine Nicht-einhaltung hat aber keinen Ausschluss aus dem Verband zur Folge. >www.4c-coffeeassociation.org

rainforest alliance Das Umweltsiegel Rainforest Alliance zeichnet Südprodukte wie Kaffee, Bana-nen, Kakao oder Tee aus, die gewisse Umwelt- und Sozialstandards erfüllen. Auf den Plantagen müssen grundlegende Arbeitsrechte eingehalten werden, ein Mindestpreis oder eine Sozialprämie sind nicht vorgeschrieben. Die Richtlinien um-fassen diverse Umweltkriterien, diese sind umfas-send, aber insgesamt deutlich weniger streng als die Kriterien der Bio-Landwirtschaft. Chemisch-synthe-tische Dünger und Pflanzenschutzmittel sind nicht verboten, sollen aber reduziert werden. Die Einhal-tung der Richtlinien wird jährlich vor Ort überprüft und zertifiziert. >www.rainforest-alliance.org

fairtrade Die Richtlinien der internationalen Fairtrade-Organisation FLO schreiben die Be-zahlung eines Mindestpreises und einer Fairtrade-Prämie an die Bauern und Bäuerinnen vor. Die Fairtrade-Produzenten und -Produzentinnen müssen zahlreiche Umweltkriterien erfüllen, diese sind umfassend, aber insgesamt deutlich weniger streng als die Kriterien der Bio-Landwirtschaft. Chemisch-synthetische Dünger und Pflanzenschutz-mittel sind nicht verboten, sollen aber reduziert werden. Die Einhaltung der Richtlinien wird jährlich vor Ort überprüft und von einer unab hän-gigen Stelle zertifiziert. >www.fairtrade.net

Biologische landwirtschaft In der biologischen Landwirtschaft sind chemisch-synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel verboten und es gelten zahlreiche Anforderungen betreffend Boden fruchtbarkeit und Bodenschutzmassnahmen. Arbeitsrechtliche Fragen sind in einigen privaten Bio-Standards geregelt, in den staatlichen Bio-verordnungen (CH, EU, USA) jedoch nicht. Die Einhaltung der Richtlinien wird jährlich vor Ort überprüft und von einer unabhängigen Stelle zertifiziert. >www.ifoam.org

eiNführuNg Der Nescafé-Plan in Mexiko 4

iNVestitioNeNZahlen im Kontext 6 KaffeeaNBauVon der Armut in die Abhängigkeit? 8

ProDuKtioN uND DistriButioNQualität oder Nescafé? 10

KoNsuMMogelpackung für die Armen 12

fazit 14

evB-Dokumentation «Kalter Kaffee – Der Nescafé-Plan: Wer profitiert?» 02/September 2011, CHF 6.– auflage 22 500 heraus-geberin Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, T 044 277 70 00, F 044 277 70 01, [email protected], www.evb.ch, texte Andrea Hüsser, Flurina Doppler redaktion Oliver Classen, Susanne Rudolf Konzept, gestaltung, illustrationen Clerici Partner Design, Zürich Druck ROPRESS Genossenschaft, Zürich. Gedruckt mit Biofarben auf Cyclus Print, 100 % Altpapier, klimaneutraler Druck

wenn nicht anders erwähnt, stammen die fotos von andrea hüsser.

Das evB-Magazin inkl. Dokumentation erscheint 5- bis 6-mal jährlich. evB-Mitgliederbeitrag: fr. 60.– pro Kalenderjahr. spendenkonto: 80-8885-4

evB_Dokumentation_September2011 kalterkaffee 3

Kaffee ist ein klassisches Produkt, das den globalen Süden mit

dem Norden verbindet. Und Nestlé ist ein klassischer Konzern, der

diese Verbindung seit Jahrzehnten prägt und von ihr profitiert.

36 Jahre ist es her, seit der Slogan «Nestlé tötet Babies» die Schweiz

aufrüttelte und auf die aggressive Vermarktung von künstlicher

Babynahrung und die damit verbundenen Gefahren aufmerksam

machte. Der damals schon weltgrösste Nahrungsmittelkonzern

prozessierte gegen die Urheber der Kampagne, die EvB begleitete

den Nestlé-Prozess mit Informationsaktionen.

Ist Nestlé seitdem fairer und nachhaltiger geworden? Seit 2005

propagiert der Konzern sein Konzept der «gemeinsamen Wertschöp-

fung», das neben den Aktionärsinteressen auch soziale und öko-

logische Verantwortung beinhaltet. Ein wichtiger Bestandteil davon

ist der 2010 lancierte Nescafé-Plan. Bis 2020 will Nestlé weltweit

500 Millionen Franken in Kaffee-Projekte investieren, mit dem offi -

ziellen Ziel, Anbaumethoden zu verbessern, Erträge zu sichern

und die Einkommen der Bauern zu steigern. Bedeutet diese Initiati-

ve tatsächlich eine Kurskorrektur oder steckt dahinter bloss eine

besonders raffinierte Imagepolitur?

Schon in den 1970er-Jahren wollte Nestlé angeblich die Säuglings-

sterblichkeit in den Entwicklungsländern bekämpfen und hat fak-

tisch das Gegenteil bewirkt. Heute will der Konzern Kaffeebauern-

familien aus der Armut helfen. Besonders stark profitieren soll

Mexiko. Wie, erfahren Sie in «Kalter Kaffee – Der Nescafé-Plan: Wer

profitiert?». Die EvB hat bei den Betroffenen nachgefragt und zeigt

anhand des Nescafé-Plans in Mexiko exemplarisch, die weniger

sichtbaren Hintergründe und Konsequenzen von Nestlés Konzept

der «gemeinsamen Wert schöpfung». andreaHüsser

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4 kalterkaffee

schaftliche Forschung und ländliche Weiterbil-dungsprojekte investieren, um die Kaffeeproduk-tion zu erhöhen und dabei den Wasserverbrauch und den Pestizideinsatz zu reduzieren.

Mexikanische VerhältnisseIm Rahmen seines Nescafé-Plans will der Konzern sein Engagement neben den Philippinen, Indone-sien und Thailand vor allem in Mexiko ausweiten. Das bevölkerungsreiche Land gehört mit Brasilien und Argentinien zugleich zu Nestlés wichtigsten Absatzmärkten in Lateinamerika. In der globalen Kaffeeproduktion liegt Mexiko auf dem siebten Platz; das Land ist nach Peru wichtigster Bio-Kaf-feehersteller und einer der Hauptexporteure von Fairtrade-Kaffee. Mexiko baut zu 95 Prozent Ara-bica-Kaffee an. Diese im Hochland angebaute Sor-te liefert den qualitativ besseren Kaffee und macht rund 60 Prozent des weltweiten Angebots aus. Ro-busta-Kaffee ist von geringerer Qualität, erzielt deshalb an den volatilen Rohwarenbörsen viel tie-fere Preise und wird hauptsächlich für die Her-stellung von löslichem Instant-Kaffee verwendet. Rund 500 000 Familien in 3500 Gemeinden leben in Mexiko direkt vom Kaffeesektor, insgesamt sind es gegen drei Millionen Menschen. Im Gegensatz zu Brasilien, wo die Bohnen mehrheitlich auf Grossplantagen in Monokulturen angepflanzt wer-den, findet der Kaffeeanbau in Mexiko traditio-nellerweise im kleinbäuerlichen Umfeld auf ein bis zwei Hektaren in Mischkulturen statt. Ein Grossteil der biologischen Kaffeekulturen befindet sich in den Händen von Indigenen, welche die ursprünglich afrikanischen Pflanzen voll in ihre

Die Kulturpflanze Kaffee stammt aus Äthiopien, wo sie erstmals im 9. Jahrhundert erwähnt wurde. In Europa wurde die aromatische Bohne im 17. Jahr-hundert durch die Kaffeehäuser populär. Die Schweiz gehört heute zu den fünf Ländern mit dem weltweit grössten Kaffeekonsum pro Kopf. Heute ist Kaffee der wertmässig meist gehandelte Roh-stoff unter den sogenannten Agrarrohstoffen und wird von rund 25 Millionen Kleinbauernfamilien und Plantagenbesitzern angebaut, die vielfach seit Generationen davon leben.

Nachhaltigkeit à la NestléKaffeeanbau ist aber, wie andere Landwirtschafts-zweige, ein unsicheres Geschäft. Stark schwan-kende und intransparent konstruierte Marktprei-se, schlechtes Wetter, Schädlingsbefall, schwierige geografische Verhältnisse und fehlendes Kapital für Investitionen sind nur einige der Probleme, mit denen die Kaffeeanbauenden zu kämpfen haben. Die stete Zunahme der Marktmacht einer Handvoll globaler Händler und Röster trägt zur Verstärkung dieser häufig existenziellen Risiken bei.

Nestlé verarbeitet ungefähr 10 Prozent aller Kaffeebohnen und ist mit einem Output von 870 000 Tonnen die grösste Rösterin weltweit. Ak-tuell stammen gerade mal 2,7 Prozent1 davon aus sogenannt nachhaltigem Anbau. Der Grossteil da-von wird allerdings vom Common Code for the Cof-fee Community (4C, s. Glossar) verifiziert, dessen schwache Kriterien vielseitig bemängelt werden.

Im Sommer 2010 hat Nestlé seinen Nescafé-Plan lanciert. 500 Millionen Franken weltweit will der Konzern bis ins Jahr 2020 in landwirt-

Nestlé hat im mexikanischen Kaffeemarkt eine Vormachtstellung und will diese mit dem «Nescafé-Plan» weiter ausbauen. Dadurch fühlen sich viele Kaffeebauernfamilien in ihrer Existenz bedroht.

Der Nescafé-Plan in Mexiko

1 TCC, Cafe Barometer 2009

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Lebensweise integriert haben – hauptsächlich in Oaxaca, Chiapas, Veracruz und Puebla. 2010 leben rund 80 Prozent der Kaffeeanbauenden und 46,2 Prozent der Gesamtbevölkerung Mexikos in Armut, rund 7 Prozent mehr als vier Jahre zuvor. Während die Bevölkerung verarmt, blieben die makroökono-mischen Zahlen des Landes stabil. Mexiko ist da-mit ein klassisches Land der sogenannten «reichen Regierung und armen Bevölkerung».

Nestlé in MexikoZwei von drei Tassen Kaffee, die in Mexiko getrun-ken werden, basieren auf löslichem Pulver. Nestlé

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Kleinbauern Lokale Zwischenhändler

Aufbereitungsanlage Kooperativen

KonsumentInnen

Grosse Plantagen (häufig mit eigener Aufbereitungsanlage) Detailhändler

Restaurationsbetriebe

Von der Bohne zur tasse: Nestlé kontrolliert die gesamte Produktionskette des Kaffees.

mit seiner Megamarke Nescafé hat daran einen Marktanteil von 80 Prozent. Dafür führt die Firma seit vielen Jahren billigen Robusta aus Brasilien, Vietnam, Indonesien und Ecuador ein. Diese Dum-pingimporte halten die Preise in Mexiko niedrig, wogegen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern seit Jahren erfolglos protestieren.

Neuerdings versucht Nestlé über staatliche Subventionsprogramme den Anbau von Robusta-kaffee in Mexiko zu fördern. Dafür wurde eine Pflanze entwickelt, die sich besonders gut für die Nescafé-Produktion eignet. Weil sich die Kaffee-bäuerinnen und -bauern jedoch vor Einkommens-verlusten wegen geringerer Robusta-Preise fürch-ten, beteiligen sie sich bisher kaum an diesem Programm. Als Antwort darauf hat Nestlé seine Importe nochmals massiv erhöht. Schliesslich soll die Kapazität der Ende 2011 fertig erweiterten und laut Nescafé-Plan dann weltgrössten Nescafé-Fab-rik in Toluca voll ausgeschöpft werden.

Vordergründiges Ziel des Nescafé-Plans ist die Optimierung der globalen Kaffeeversorgung. Das Grossprojekt ruht dafür auf vier voneinander ab-hängigen Säulen, den Hauptpfeilern der Wert-schöpfungskette: 1. Investitionen, 2. Kaffeeanbau, 3. Produktion und Distribution und 4. Konsum. Diese vier Kernelemente strukturieren auch die-sen Kommentar. So wird in jedem der vier Kapitel dargestellt, a) wie und was Nestlé öffentlich kom-muniziert, b) was die betroffene Bevölkerung in Mexiko davon hält und c) wie die EvB diese bei-den Perspektiven einschätzt und mit recherchier-ten Fakten ergänzt.

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Mexikos Präsident felipe calderón und Nestlés ceo Paul Bulcke trafen sich im Januar 2010 am wef in Davos.

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ProDuKtioNsProzess VoN Kaffee

6 kalterkaffee

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Mit der Lancierung des Nescafé-Plans hat Nestlé im August 2010 ein umfang-reiches Programm zur Sicherung der eigenen Rohstoffbasis gelegt. Der Kon-zern beabsichtigt, bis 2020 weltweit 500 Millionen Franken in Kaffeeprojek-te zu investieren – 150 Millionen Fran-ken sind für Nespresso reserviert.

«Wir sind stolz, dass Nescafé, die grösste Kaffeemarke der Welt, für diese globale Initiative steht, welche durch die gesamte Kaffeeversorgungskette hin-durch Wert schöpft: vom Produzenten über den Konsumenten bis hin zu uns. Die gemeinsame Wertschöpfung ist in-tegraler Teil unserer Geschäftsstrategie.

Um den langfristigen Erfolg eines Un-ternehmens zu gewährleisten, muss gleichzeitig Wert sowohl für die Aktio-näre als auch für die Gemeinschaften, in denen das Unternehmen tätig ist, ge-schöpft werden», so Nestlé CEO Paul Bulcke.1 Wie viel von den 500 Millio-nen Franken bis im Jahr 2020 nach Me-xiko fliessen soll, schreibt Nestlé nicht. Zwar mangelt es auf nationaler Ebene nicht an Investitionsankündigungen, al-lerdings ist nie klar ersichtlich, welche Zahl in welcher bereits enthalten ist. Im Januar 2010 kündigte Nestlé Mexiko eine Investition von 390 Millionen Dol-lar für die nächsten drei Jahre an. Einen

Monat später steht in einer Pressemit-teilung, dass Nestlé jährlich 570 000 Franken in Nachhaltigkeitsprojekte im Kaffee- und Kakaosektor in Mexiko in-vestiert.2 Im November 2010 heisst es weiter, dass von den 390 Millionen Dollar 72 Millionen für die Erweiterung der Nescafé-Fabrik in Toluca eingesetzt werden sollen. Am diesjährigen WEF versprach Paul Bulcke dem mexikani-schen Staatspräsidenten weitere 60 Mil-lionen Franken für Nachhaltigkeitspro-jekte in Mexiko. Rund 30 Prozent davon sollen in die Kaffeeherstellung fliessen.

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die Produktion von Robusta-Setzlingen wird unterstützt. Deren Herstellung ist grösstenteils in den Händen von Nestlé. Kurzfristig mag das at-traktiv sein, langfristig ist der Anbau von minder-wertigem Kaffee wegen der tieferen Preise jedoch verheerend für die Bauernfamilien. Zum Glück scheinen unsere Protestaktionen zu wirken, denn bislang beteiligten sich nur wenige Bauern am Nestlé-Programm.»

ferNaNDo celisDirektor der mexikanischen Kleinbauern-organisation cNoc 5

«Nestlé lässt seine Kaffeeproduktion vom mexika-nischen Staat subventionieren und kommuniziert zugleich seine grossartigen Investitionen in Mexi-ko. Zur Optimierung der staatlichen Zuschüsse wendet Nestlé verschiedene Strategien an. Auf oberster Ebene sichert sich CEO Paul Bulcke regel-mässige Treffen mit Mexikos Präsidenten Felipe Calderón. Über den nationalen Verein für land-wirtschaftliche Angelegenheiten (Consejo Nacio-nal Agropecuario), bei dem Nestlé Mitglied ist, half der Konzern denn auch, Calderóns Wahlkam-pagne zu finanzieren, so wie 2010 auch jene des Gouverneurs von Veracruz, Javier Duarte. Parallel dazu infiltriert Nestlé – jeweils auf oberster Ebene – neben dem Landwirtschaftsministerium auch den Dachverband der Grossproduzenten (CMPC) und den nationalen Bauernverband (CNC), das sind zwei der drei Stimmen im Produzentensektor des mexikanischen Kaffeeverbandes (Amecafé), in welchem Industrie, Händler und Produzierende zusammengeschlossen sind (siehe Grafik S. 14) und kontrolliert so die politische Gestaltung des Kaf-feesektors. Zum Beispiel veranlasst der Konzern den Staat zu Subventionsprogrammen, die den An-bau von billigem Robusta-Kaffee für die Nescafé-Produktion fördern. Gleichzeitig importiert die mexikanische Kaffeeindustrie – allen voran Nestlé – über die USA seit Jahren Robusta. Zwischen-händler von Nestlé berichten uns, dass sich diese Importe 2011 von 30 000 auf 60 000 Tonnen erhöht hätten. Seit Jahren protestieren wir gegen diese Billigimporte, weil sie massiv auf die lokalen Kaf-feepreise drücken und unsere Existenz bedrohen. Obschon das nationale Gesetz zur nachhaltigen ländlichen Entwicklung Analysen zu den Auswir-kungen der Kaffeeimporte auf die Kaffeeanbauen-den verlangt und regelmässige Studien zur loka -len Marktsituation vorschreibt, werden diese von Nestlé seit jeher blockiert. Dies ermöglicht es dem Konzern, ohne Legitimationsprobleme Einfluss auf Politik und Landwirtschaft zu nehmen.»

saNtos roBlerogeschäftsführer coopcafé 3

«Trotz schöner Investitionsankündigungen wird der Konzern sehr wahrscheinlich auf die Preise drücken, und die Verlierer werden einmal mehr die Kaffeeanbauenden sein. Erfahrungsgemäss gibt es alle 20 Jahre ungefähr zwei Jahre, in denen sie wirklich gute Preise bekommen für ihre Ware. Deshalb ist es so schwierig, sich von Krisen zu er-holen. Wenn die Preise wenigstens über drei Jahre stabil bleiben würden, könnte man sich ein finan-zielles Pölsterchen zulegen.»

leoNarDo DuráN olgíNBerater in der Kooperative tosepan, Puebla4

«Über das staatliche Programm Trópico Húmedo des Landwirtschaftsministeriums bekommen jene Bauern, die Fairtrade-Kaffee produzieren, 450 Pe - sos pro Hektare. Wer eine neue Robusta-Plantage anlegt, erhält dafür 5700 Pesos pro Hektare. Auch

BetroffeNe KaffeeorgaNisatioNeN

eVB-KoMMeNtarNestlé ist weltweit und in Mexiko grösster Kaffeeproduzent und nützt seine Marktmacht hemmungslos aus. Diese Kehrseite des Nescafé-Plans bekommen die zitierten Kaffeebauern besonders zu spüren. Der Konzern profitiert vom klientelistischen System Mexikos.

Das bringt Nestlé gemäss nationalen Bauernorganisationen zum Beispiel 2,5 Mio. Franken aus dem staatlichen Förderpro-gramm Trópico Húmedo, das die Bauern zum Anbau von Ro-busta-Kaffee aus Nestlé-Pflanzen motivieren soll.

Indirekt kommt der Konzern zudem in den Genuss weiterer Subventionen aus dem Programa de Fomento Productivo des Landwirtschaftsministeriums. Nestlé bestreitet, sich in die Poli-tik einzumischen oder Unterstützung der Regierung zu erhalten.

Mit verschiedenen Anreizsystemen und politischem Kalkül versucht Nestlé, Mexiko den Robusta-Kaffee schmackhaft zu machen. Unter der Einflussnahme des Konzerns auf die Vertei-lung der Subventionen leiden die Bio- und Fairtrade-Bauern und -Bäuerinnen, die im Vergleich zu Nestlé nur wenig Ressourcen haben, um für ihre Anliegen zu lobbyieren.

1 Medienmitteilung von Nestlé zur Lancierung des Nescafé-Plans vom 27.8.2010.2 Medienmitteilung von Nestlé Mexiko zur Zusammenarbeit von Nestlé mit der

mexikanischen Regierung im Kaffee- und Kakaosektor vom 5.2.2010. 3 Bio- und Fairtrade-Kooperativenetzwerk in Chiapas: 37 Kooperativen und

12 000 Kaffeebauern als Mitglieder.4 Fairtrade-Kooperative mit 17 000 Mitgliedern, die vorwiegend Kaffee, Honig

und Pfeffer anbauen.5 In der Dachorganisation CNOC (Coordinadora Nacional de Organizaciones

Cafetaleros) sind rund 70 000 Kleinbauern und -bäuerinnen aus 114 regionalen Organisationen aus den Hauptkaffeeanbaugebieten Mexikos organisiert.

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8 kalterkaffee

Nestlé

eVB-KoMMeNtarWas zusätzlich zu erwähnen ist: Direkt eingekaufter Kaffee mit einem Umwelt-, Sozial- oder Qualitätszertifikat gilt als besonders gut verkäuflich. Heute kauft Nestlé weltweit rund 10 Prozent seines Kaffees direkt, also nicht über Zwischen-händler ein. Geht der Nescafé-Plan auf, wird bis 2015 doppelt so viel Kaffee (180 000 Tonnen) direkt eingekauft, und der direkt eingekaufte grüne Kaffee wird nach dem schwachen 4C- Standard produziert. Bis im Jahr 2020 soll ausserdem ein Teil des Nescafés (90 000 Tonnen) unter «Berücksichtigung der Prinzipien von Rainforest Alliance» eingekauft werden. Das heisst, selbst dann würden bis im Jahr 2020 immer noch fast 80 Prozent von Nestlés Kaffeeprodukten aus anderen, nicht rückverfolgbaren Quellen stammen.

Das wäre ein ziemlich dürftiges Resultat, wenn man be-denkt, wie prekär die Situation im Kaffeesektor aussieht. Zudem kommuniziert Nestlé keine länderspezifischen Ziel-vorgaben. Die 4000 Kaffeebäuerinnen und Kaffeebauern, die in Mexiko direkt mit Nestlé kooperieren, repräsentieren jedenfalls gerade mal 0,8 Prozent des gesamten Sektors. Handelt es sich dabei um Plantagenbesitzer, lohnt sich die

Zusammenarbeit mit dem Konzern besonders. Für die Klein-bauern lohnt es sich allerdings nicht, auch wenn die Erträge bis zu 100 Prozent höher ausfallen. Denn der Preis für Ro-busta-Kaffee ist nicht halb so hoch wie jener für Arabica und wird früher oder später wegen Überproduktion noch mehr sinken.

Wie bereits erwähnt, entwickelt und verteilt Nestlé Pflan-zen mit den spezifischen Eigenheiten, die für den löslichen Kaffee gebraucht werden. Viele Bauern und Bäuerinnen in Mexiko haben Zweifel, ob diese nicht gentechnisch verändert sind. Die Angst ist nicht ganz unbegründet: In Europa hat Nestlé seit 2006 ein Patent auf genmanipulierte Kaffeepflan-zen, die die erwähnten Eigenschaften aufweisen. In Mexiko ist der Patentantrag noch hängig. Durch die Zusammenarbeit mit dem staatlichen Forschungsinstitut 1 bei der Entwicklung der Pflanzen und das Sponsoring von Kursen für Mitarbeiten-de des Instituts beeinflusst Nestlé die Stossrichtung der For-schung, sichert sich das generierte Know-how und profitiert zusätzlich von der staatlichen Finanzierung des Instituts.

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Zusammenarbeit mit dem Konzern besonders. Für die KleinZusammenarbeit mit dem Konzern besonders. Für die Klein-

Nescafé hat zum Ziel, seinen di rekt bei Produzenten einge kauf ten Kaffee bis 2015 auf 180 000 Tonnen zu verdoppeln. Zudem soll der gesamte Direkteinkauf bis 2015 mit dem Siegel 4C ausgezeich-net sein. Die Hälfte davon (90 000 Ton-nen) soll bis 2020 zusätzlich mit dem Umweltsiegel Rainforest Alliance zerti-fiziert sein. Ebenfalls bis 2020 will Nest-lé weltweit 220 Mio. Kaffeepflanzen mit

hoher Ertragskapazität und speziellen Krankheitsresistenzen verteilen. In Me-xiko möchte Nestlé bis 2015 fünf Millio-nen Pflanzen produzieren, die unter den Bauern, die an einem entsprechenden Programm beteiligt sind, verteilt werden sollen. Dieses Programm bietet techni-sche Hilfe beim Kaffeeanbau und der Aufbereitung nach der Ernte. Zusam-men mit der Firma Agromod und dem

mexikanischen Forschungsinstitut für Forst- und Landwirtschaft (INIFAP) er-öffnet Nestlé zudem eine Zuchtstation für besonders ergiebige und resistente Kaffeepflanzen. Zurzeit arbeitet Nestlé in Mexiko mit 4000 Kaffee Anbauenden direkt zusammen und unterstützt diese mit technischem Know-how und neuen Bäumen, die ihre Produktivität künftig um 25 – 100 Prozent steigern sollen.

Von der armut in die abhängigkeit?

KaffeeaNBau

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saNtos roBlerogeschäftsführer von coopcafé«Nestlé und andere Händler konkurrenzieren das System des fairen Handels in Mexiko. Die Mitglie-der von Organisationen verkaufen ihren Kaffee häufig an Zwischenhändler, die cash auf die Hand bezahlen. Dagegen gibt es bei Kooperativen für den abgegebenen Kaffee oft nur eine Anzahlung. Wegen der fehlenden Kapitalreserven erhalten sie den vollen Betrag erst, wenn die Kaffeekäufer ihre Rechnungen beglichen haben. Wir wollen verhin-dern, dass sich grosse Firmen in den Fairtrade-Markt einmischen, denn dieser ist aus dem Bestre-ben entstanden, Unabhängigkeit von internationa-len Konzernen wie Nestlé zu ermöglichen und zu gewährleisten.»

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Sixto: Eine gesicherte Vorfinanzierung ist für einen Kaffeebauern etwas vom Wichtigsten. Ohne Kredite ist der Kaffeeanbau und -handel in der Region und vor allem für die Kooperativen limi-tiert, ohne funktioniert das Kaffeegeschäft nicht.

Nestor: Genau die fehlen uns momentan für die Pflege der Plantagen, die Vorbereitungen der Aussaat und den Unterhalt der Baumschulen, wo wir unser eigenes Saatgut produzieren.

Sixto: Deshalb ärgern wir uns, wenn der Staat über seine Programme grosse Unternehmen wie Amsa oder Nestlé fördert.

Hernán: Dieses System und die hohen Welt-marktpreise schwächen die Kooperativen. Die Kaffeebauern verkaufen vermehrt an Zwischen-händler, die kurzfristig etwas mehr oder bar auf die Hand bezahlen.

Juventino: Das Problem bei den Zwischen-händlern ist die Gefahr der Verschuldung durch die hohen Zinsen für die Vorfinanzierung, die sie verlangen.

rigoBerto coNtreras DíazKaffeebauer, Kooperative Michiza2, oaxaca«Wir sind weder an konventionellem Robusta-Kaffee noch an den von Nestlé entwickelten Wun-derbäumen interessiert. Wir wollen unsere eige-nen biologischen Arabica-Bohnen weiterentwi-ckeln und unser traditionelles Wissen anwenden. Mit den Geldern, die in Nestlés Züchtungen flies-sen, entfallen Investitionen in die Weiterentwick-lung von Sorten, die wir, die Bio- und Fairtrade-bauern, bräuchten. Nestlé erscheint auf dem

Kaffeemarkt mit verschiedensten Ge sichtern und stellt seine Konditionen: über selbststän-dige oder transnationale Zwi-

schenhändler wie Amsa3, über das Landwirtschafts-ministerium (Sagarpa) oder über Präsident Calderón, der in Davos mit Paul Bul-cke die Regeln für Mexikos Kaffeesektor aufstellt.»

1 Medienmitteilung von Nestlé Mexiko zur Zusammenarbeit von Nestlé mit der mexika-nischen Regierung im Kaffee- und Kakaosektor vom 5. Februar 2010.

2 Bio- und Fairtrade-Kooperative mit rund 1100 Mitgliedern aus der Provinz Oaxaca.3 Amsa (Agroindustrias Unidas de Mexico) ist die mexikanische Tochterfirma des

in der Schweiz angesiedelten Agrarrohstoffhändlers Ecom Trading. 4 Bio- und Fairtrade-Kooperative mit ungefähr 350 Mitgliedern aus 24 Kaffeege-

meinden in Chiapas. Juventino García Robledo, Kaffeebauer und Vertreter des Aufsichtsrats; Hernán Figueroa Pérez, Kaffeebauer und Kassier; Nestor Hernández Gómez, Kaffeebauer und Präsident der Kooperative; Sixto Bonillo, Koordinator und landwirtschaftlicher Berater.

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10 kalterkaffee

Schwerpunkt des Nescafé-Plans in die-sem Bereich sind Investitionen in die ökologische Nachhaltigkeit der Nescafé-Fabriken. 40 Mio. Franken will Nestlé jährlich weltweit dafür aufbringen. Da-mit soll der Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent pro Tonne Kaffee und der Wasserverbrauch um 30 Prozent pro Tonne verringert werden. Zudem sollen alle Nescafé-Fabriken mit den Abfall-produkten, die bei der Kaffeeverarbei-tung entstehen, geheizt werden. Zudem

verpflichtet sich der Konzern, das Ge-wicht der Verpackungen und den Ge-brauch von rezyklierbaren Materialien zu optimieren. Dafür unterstützt Nes-café entsprechende Initiativen.

In Mexiko sollen 74 Mio. Franken in den Ausbau der Nescafé-Fabrik in Toluca fliessen – mit dem Ziel einer 40-prozentigen Produktivitätssteigerung. Nach ihrer Fertigstellung Ende 2011 soll Toluca die grösste Nescafé-Fabrik weltweit sein.

Gemäss Nescafé-Plan wird Nestlé nach der Expansion die Reste, die bei der Verarbeitung des Kaffees entstehen, als alternative Energie einsetzen und so die CO2-Emissionen um 47 786 Tonnen senken. Zudem gibt es schon jetzt 4 km2 Solarzellen auf der Fabrik in Toluca, die den nötigen Strom liefern, um das Was-ser für den Verarbeitungsprozess vorzu-heizen.

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Dass Nestlé innovative Massnahmen ergreift, um die negativen Umweltauswirkungen der Fabriken zu reduzieren, hat Vorbild-charakter für die Branche. Die besagte Nescafé-Fabrik verursacht allerdings hohe soziale Kosten, die nicht kommuniziert werden. Denn deren erhöhte Produktivität erfordert einen massiven Mehr einkauf von Billigkaffee. Solange Nestlé seine Einkaufs-preispolitik nicht fairer gestaltet, leiden entsprechend mehr Kaf-feebauernfamilien unter den Konsequenzen. Zudem baut Nestlé mit dem Ausbau in Toluca seine dominante Marktstellung weiter aus (siehe Grafik S. 15). Während in den 1970er-Jahren noch über 20 Prozent des Endpreises an die Produzenten gingen und über 40 Prozent der totalen Wertschöpfung im Süden blieben, schrumpften diese Anteile in den 1990er-Jahren auf 13 bezie-hungsweise 16 Prozent. Parallel dazu stieg die im Norden gene-rierte Wertschöpfung von 45 auf fast 80 Prozent.

eVB-KoMMeNtar

senkt. Wir verlangen Transparenz und Mitsprache-recht in der Gestaltung der politischen Regeln auf dem nationalen Kaffeemarkt. Doch die wegwei-senden Entscheidungen werden am WEF in Davos oder anderswo getroffen.»

áNgeles MariscalJournalistin bei «la Jornada»1

«Um die Armut in Mexiko zu bekämpfen, will die Provinz Chiapas die Bauern in die freie Marktwirt-schaft zwingen. Das bedeutet, dass sie Unterstüt-zungsgelder bekommen, wenn sie ihre kleinen Maisfelder aufgeben und stattdessen auf dafür vor-gesehenen Grossflächen Exportprodukte anbauen. So wird beispielsweise der Anbau von Palmöl sehr gefördert. Hauptabnehmerin des Palmöls ist Nest-lé, die es für ihre frisch renovierte Coffee-mate-Fa-brik2 hier in Chiapas braucht. Denn dieses Pulver besteht hauptsächlich aus Maisextrakten, Palmöl, Milchproteinen und künstlichem Geschmack. Die-ser rein kommerzielle Ansatz von Armutsbekämp-fung birgt viele soziale Gefahren. Beispielsweise müssen dem Anbau von Exportgütern die Produk-te für die Eigenversorgung weichen. Das verteuert die lokalen Lebensmittel und treibt die Menschen in noch grössere Armut.»

álVaro aguilar ayóNBerater der Kooperative tosepan, Puebla«In der Nescafé-Fabrik in Toluca kann jeder Kaffee verarbeitet werden, auch wenn er noch so schlecht ist. Wir verkaufen unseren guten Kaffee an unsere Kunden aus dem fairen Handel, den Unbrauchba-ren an Nestlé. Schlechter Kaffee oder solcher, der durch unsorgfältige Herstellung verunreinigt oder beschädigt ist und den die Bauern billig verkau-

fen müssen, wird von Nestlé durch technolo-gische Raffinessen trinkbar gemacht und mit cleverem Marketing verkauft. Weil Nescafé für viele Leute zu teuer ist, hat der Konzern angefangen, den Kaffee in kleinen Portionen-beuteln zu verkaufen. Statt in die Kaffeequali-

tät zu investieren, fliesst das Geld also ins Mar-keting.

Unser Ziel ist es, Qualitätskaffee auch hier in Mexiko verkaufen zu können, um nicht nur vom Exportmarkt abhängig zu sein und um endlich eine lokale Kaffeetrinkkultur zu etab-lieren. Früher gab es in unserer Region viele verschiedene Kaffee-Einkäufer, dann kamen die grossen, zahlten höhere Preise und elimi-nierten so die kleinen. Als Amsa mit Nestlé den Markt dominierte, wurden die Preise wieder ge-

1 «La Jornada» ist eine der wichtigsten Tageszeitungen Mexikos.2 Coffee-mate ist ein Milch- oder Rahmersatz in Pulverform, das dem Nescafé

hinzugefügt werden kann.

BetroffeNe KaffeeorgaNisatioNeN

Ne

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12 kalterkaffee

Mit 10 Milliarden Franken Umsatz jähr-lich ist Nescafé die weltweit erfolgreichs-te Kaffeemarke. 4600 Tassen davon wer-den rund um den Globus pro Sekunde konsumiert. Nescafé gibt es in verschie-denen Mischungen und Geschmacks-richtungen, die den jeweiligen lokalen Vorlieben angepasst werden. Für die ver-schiedenen Einkommensschichten wird Nescafé in unterschiedlichen Verpa-ckungsgrössen und zu unterschiedlichen

Preisen verkauft. Um den Energiever-brauch zu reduzieren, der für die Zube-reitung des Pulverkaffees benötigt wird, lanciert Nestlé einen neuen Wasserko-cher.

Weitere Investitionsprojekte oder -zahlen im Bereich Konsum nennt der Nescafé-Plan nicht, weder allgemein noch für Mexiko. Bei Bekanntgabe des Projektes in Mexiko wies Nestlé-CEO Paul Bulcke jedoch darauf hin, dass der

Konzern dort seit 80 Jahren tätig sei und meinte: «Unsere Marken wie Abuelita, Nido, Carnation und Nescafé sind nicht nur unentbehrliche Lebensmittel, son-dern auch ein wichtiger Teil der Fami-lientraditionen. Unsere fortwährenden Investitionen zeigen unser Bestreben, die mexikanischen Konsumenten täglich zu erfreuen.» 1

Nestlé

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1 Medienmitteilung von Nestlé Mexico zu den geplanten Investitionen des Konzerns in Mexiko vom 30. Januar 2010.

2 ALCA (Area de Libre Comercio de las Américas)3 Cepco (Coordinadora Estatal de Productores de Café de Oaxaca) ist eine Dach-

organisation von zurzeit 34 Kaffee-Kleinbauernorganisationen aus der Provinz Oaxaca.

Mogelpackung für die armen

KoNsuM

Medienmitteilung von Nestlé Mexico zu den geplanten Investitionen des Konzerns in Mexiko vom 30. Januar 2010.

evB_Dokumentation_September2011 kalterkaffee 13

Der Mehrwert des Nescafé-Plans für Konsumentinnen und Konsumenten ist unklar. Wirklich günstig ist nämlich

auch der preiswerteste Nescafé nicht. Er wird für ärmere Gesellschaftsschichten nur erschwinglich, weil er in kleinen Mengen gekauft werden kann – ein geschickter Marketingzug von Nestlé. In Mexiko wirbt

Nestlé zudem mit Kaffee als natürlicher Quelle von ge-sunden Antioxidanten, die helfen sollen, die Körperzel-

len vor freien Radikalen zu schützen. Die Legitimität die-ser Aussage ist fraglich, wenn man bedenkt, dass ein

Grossteil dieses Kaffees minderwertig oder gar beschädigt ist. Problematisch ist auch, dass in einem Kaffee produzieren-

den Land wie Mexiko ein Unternehmen Marktleader ist, das den Hauptteil der Kaffeemischung importiert. Die ökonomische Ant-wort könnte folgendermassen lauten: Kurzfristig kann sich der Konzern, dank dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), das einen zollfreien Warenfluss zwischen Mexiko, den USA und Kanada erlaubt, dem US-Markt zuwenden. Der Plan der USA für eine Freihandelszone, die ganz Lateinamerika und die Karibik mit Ausnahme Kubas umfassen soll,2 lässt Nestlé hoffen, künftig auch den gesamten lateinamerikanischen Markt mit billig produziertem Nescafé beliefern zu können.

eVB-KoMMeNtar ferNaNDo celisDirektor der mexikanischen Kleinbauern-organisation cNoc«Nestlé suggeriert mit seiner Werbung, dass der Konzern auch der armen Bevölkerung Zugang zu Luxusprodukten wie Kaffee verschaffe, während die Menschen in anderen lateinamerikanischen Ländern mit niedrigerem Einkommen längst ge-mahlenen Kaffee trinken. Der Pro-Kopf-Konsum ist in Mexiko mit 1,2 Kilo pro Jahr sehr tief (in Brasilien sind es 5 Kilo). Dominiert Nescafé wei-terhin den Markt in Mexiko, wird der Konsum nicht mehr gross ansteigen, denn über Nescafé, der aus einer Mischung von qualitativ schlech-tem Kaffee und nicht deklarierten Zusatzstoffen besteht, lernen die Konsumierenden den wahren Kaffeegeschmack nicht kennen. Um den Konsum dennoch anzukurbeln, stellt Nestlé in Bäckereien und Läden Nescafé-Automaten auf, die Kaffee mit Geschmacksrichtungen wie Zimt oder Vanil-le anbieten. Mit viel Zucker, Milch und künstli-chem Aroma versehen, tritt die Qualität der Kaf-feebohnen in den Hintergrund. Damit wird auch verständlich, warum und von wem ein Gesetz, das von den Kaffeebauernvereinigungen erarbei-tet wurde, blockiert wird. In der mexikanischen Abgeordnetenkammer ist seit 2005 ein Kaffee- Gesetz hängig, das zwar von den Abgeordneten verabschiedet, vom Senat jedoch mit fadenschei-nigen Änderungsvorschlägen zurückgeschickt wurde. Das Gesetz verlangt unter anderem ein ver-bindliches Zahlungssystem, das höhere Preise für bessere Qualität vorschreibt und einen limitierten Verunreinigungsgrad von verkaufsfertigem Kaffee von drei Prozent (wie es z.B. in Brasilien längst die Regel ist). Zurzeit ist ein Verunreinigungsgrad von 30 Prozent erlaubt. Zudem darf ein Kaffee-produkt höchstens 10 statt wie aktuell 30 Prozent Zucker enthalten, um als solches verkauft zu werden.»

JosefiNa araNDawissenschafterin und Beraterin der Kaffee-Kooperative cepco, oaxaca 3«Nestlé kontrolliert alle Akteure im ganzen Pro-zess, von der Bohne bis zur Tasse. Wenn ein poli-tischer Akteur Vorschläge des Konzerns ablehnt, droht dieser, in ein anderes Land zu gehen. Die Kaffeeproduzierenden kämpfen ums Überleben und haben keine Ressourcen, langfristige und wirksame Lobbyarbeit im Senat und der Abgeord-netenkammer zu betreiben, damit das Kaffeege-setz endlich durchkommt.»

luís herNáNDezJournalist bei «la Jornada»

«Nestlé dominiert die Kaffeekonsumge-wohnheiten der Bevölkerung in Mexiko und

den USA mit seinem aufdringlichen Marketing für den minderwertigen Nescafé. Über die so gene-rierte Nachfrage rechtfertigt Nestlé sein Vorgehen in der Förderung von Billigkaffeeanbau.»

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für den minderwertigen Nescafé. Über die so gene

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Der Mehrwert des Nescafé-Plans für Konsumentinnen und Konsumenten ist unklar. Wirklich günstig ist nämlich

auch der preiswerteste Nescafé nicht. Er wird für ärmere Gesellschaftsschichten nur erschwinglich, weil er in kleinen Mengen gekauft werden kann – ein geschickter Marketingzug von Nestlé. In Mexiko wirbt

Nestlé zudem mit Kaffee als natürlicher Quelle von gesunden Antioxidanten, die helfen sollen, die Körperzel

len vor freien Radikalen zu schützen. Die Legitimität dieser Aussage ist fraglich, wenn man bedenkt, dass ein

Grossteil dieses Kaffees minderwertig oder gar beschädigt ist.

eVB-Ko

14 kalterkaffee

fazit

Erst wenn die von Nestlé kommunizierten Zahlen in einen Vergleich gesetzt werden, bekommen sie Aussagekraft und werden relativiert. Bei genauerem Hinschauen wird klar, dass der Konzern nicht nur investiert, sondern auch von verschiedenen staatlichen Subventionsprogrammen profitiert.

iNVestitioNeN iM KoNtext

Nestlé beeinflusst die mexikanische Kaffee-Politik und somit die miserablen Lebensbedingungen der Kaffeebauernfamilien durch direkte Kontakte in die wichtigsten Organe des Sektors sowie zum Präsidenten persönlich.

cleVeres loBByiNg

3000 Millionen:Weltweiter Nespresso-Umsatz (2010).

9700 Millionen: Nestlé-Gewinn 2010.

Alle Angaben in Schweizer Franken.

aNacaféVerband der Kaffeeindustrie

Präsident des Direktorenrates

Mitglied

Direktor

kauft Kaffee

Budget und Gesetzgebung

Lobbyist

aMecaféOffiziellerKaffeeverband(Produzenten, Staat, Industrie)

sagarPaMinisteriumfür Land wirtschaft

uNPc-cNcKaffeesektor des nationalen Bauernverbandes

aMsa

icoInt. Kaffee- organi sation

10,57 Millionen:Salär von Nestlé-CEO Paul Bulcke (2010).

8,3 Millionen:Salär von Peter Brabeck, Verwaltungsrats-präsident (2010).

2,5 Millionen:

43,6 Millionen:Mexikanische Staatsinvestitionen in Kaffeeprojekte.

Präsident felipe

calderón

hector gabrielBarreda Nader

ceo Paul Bulcke

Mexiko

ehem. Vizedirektor für Corporate Affairs

Treffen während des WEF

ehem.Ange-

stellter verkauftals Zwischen-händler Kaffee

Consul-tant

Direktor

kanditiert als Direktor

Geschäfts-führer(eingesetzt durch SAGARPA)

unterstütztKanditatur für ICO Lobbyist

unterstütztKanditatur für ICO

74 Millionen:Investition in die Erweiterung der Nescafé- Fabrik in Mexiko insgesamt.

0,57 Millionen:Nestlés jährliche Investitionen in Nachhaltigkeits projekte im Kaffee- und Kakaosektor in Mexiko.

50 Millionen:Jährliche Investition (ab 2010) in die welt weite Kaffee produktion.

Parlamentrodolfo trampe tauber

felixMartínez

Einfluss

BauerN-faMilieN

Nestlés Einnahmen über staatliche Subventionen aus dem Programa Trópico Húmedo (2010).

evB_Dokumentation_September2011 kalterkaffee 15

Weil nicht genügend Bauernfamilien den güns tigen Robusta-Kaffee anbauen wollen, mit dem Nestlé die ausgebaute Nescafé-Fabrik in Toluca füttern will, erhöht der Konzern die Importe des Billigkaffees. Das drückt auf die lokalen Kaffeepreise.

Der Nescafé-Plan, das jüngste Projekt aus der Ka tegorie «Creating Shared

Values» soll Nestlé besseren Zugang zu den Ressourcen verschaffen,

den Kaffeebauern familien Einkommenssicherheit gewähren und gleichzeitig

die Umwelt achten.

statt gemeinsame wertschöpfung zu schaffen, baut Nestlé seine Marktkonzentration und die Kontrolle über die Produktionskette aus, kassiert dank klientelistischen Beziehungen zur Politik staatliche subventionen, von welchen früher vermehrt fairtrade- Kooperativen profitieren konnten, und verhindert mit geschickten Pr-strategien, dass in Mexiko der lokale Qualitätskaffee den Durchbruch schafft und stattdessen Nescafé aus importierten Billig bohnen die Kaffeetassen dominiert.

Viele Kaffee bau ern familien sind enttäuscht. Der scheinbare Kurswechsel in

Richtung fairere Produktion gleicht also eher einer Imagepolitur.

MexiKo

export: 153 000 Tonnen

Arabica Robusta

BilligiMPort für BilligProDuKtioN

Die Marktkonzentration der internationalen Händler und Röstfirmen, unter ihnen Nestlé, führt zu einem zunehmenden Transfer der finanziellen Ressourcen und einer Akkumulation von Know-how von den Kaffeeanbauenden hin zu einer Handvoll multi nationaler Konzerne.

Kleinbauern und arbeiter 25 000 000

internationale händler

5

röstfirmen 3

Detailhändler

Konsumenten 500 000 000

Neumann, Volcafe, ecoM, Kraft, Nestlé

Nestlé, Kraft, sara lee

= 55% des welt- weiten Handels

= 40 % des weltweiten Kaffeemarktes

eiNsaMe wertschöPfuNg

gesamtproduktion: 240 000 Tonnen

import: 60 000 Tonnen

Der Nescafé-Plan, das jüngste Projekt aus der Ka

Values» soll Nestlé besseren Zugang zu den Ressourcen verschaffen,

den Kaffeebauern

die Umwelt achten.

statt gemeinsame Marktkonzentration und die Kontrolle über die Produktionskette aus, kassiert dank klientelistischen Beziehungen zur Politik staatliche subventionen, von welchen früher vermehrt profitieren konnten, und verhindert mit geschickten P

KalterKaffee

Mit dem 2010 lancierten Nescafé-Plan gibt der Grosskon-

zern Nestlé vor, neue Wege zu beschreiten. Die Rede ist

von gemeinsamer Wertschöpfung, hohen Investitionen in

Kaffeeprojekte, verbesserten Anbaumethoden oder von

höheren Einkommen für die Bauernfamilien.

Die EvB hat sich den Nescafé-Plan in einem der Projekt-

länder, Mexiko, genauer angeschaut und nachgeforscht.

In dieser Dokumentation stellen wir die Nestlé-Argumen-

te auf den Prüfstand und lassen Betroffene vor Ort zu

Wort kommen.

QuellenKaffeekooperativen–Cepco:www.cepco.org.mx–Cesmach:www.cesmach.com.mx–CNOC:www.conoc.org.mx/cnoc.html–Coopcafe:http://usuarios.multimania.

es/cafemuseocafe/coopcafe.html–Tosepan:www.uniontosepan.org

Nestlé–www.nestle.com–www.nescafe.com–DerNescafé-PlanmitDatenblattzu

Mexiko:www.nestle.de/Gemeinsame-Wertschoepfung/Rohstoffe/Documents/Nescafe_Plan.pdf

Verbände und Ministerien–Anacafé:www.anacafemexico.com–Amecafe:www.amecafe.org.mx–Amsa:www.agroindustriasmexico.

com.mx–ICO,InternationaleKaffee-

organisation:www.ico.org–Sagarpa:www.sagarpa.gob.mx

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