Kampanien

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Das Hinterland in Kampanien und die Basilikata sind an Ursprünglichkeit nicht zu übertreffen. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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Campania felix – glückliche Landschaft – nannten die alten Römer die fruchtbare Region im Südwesten Itali-ens. Mit seinem milden Klima, den abwechslungsreichen Landschaften und dem kulturellen Flair übte Kampanien schon damals eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Hier wird Italien zum Mezzogiorno, zum glühenden Land des Mittags, das schon in der Antike eine Hochburg für Touristen war. Man kam, um es zu bewundern oder um zu kuren. Aber man kam auch, um es zu beherrschen. Denn es war schon immer ein Objekt der Begierde, dieses fruchtbare Land. Hier hat jeder gelebt, der eine Rolle in der Geschichte des Abendlandes spielte – und alle ließen ihre Spuren zurück. Somit präsentiert sich Kampanien heute wie ein einziges Freilichtmuseum mit bis zu 3.000 Jahre alten Relikten.

Ganz klar, das temperamentvolle, lautstarke und wun-derbar chaotische Neapel ist Pflicht. Am Vesuv, der als gefährlichster Vulkan Europas wie ein schlafender feuriger Riese über der Stadt thront, kommt man auch nicht vorbei. Schon gar nicht an Pompeji, wo die Lava des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. das Leben einer ganzen Stadt in ein paar feurigen Minuten mumifiziert hat. Es ist quasi eine drei-dimensionale Momentaufnahme aus der Antike. Gesehen haben muss man selbstverständlich auch Capri mit seiner magischen Blauen Grotte. Schon alleine um zu sehen, wie vor der vielbesungenen Perle im Golf von Neapel die rote Sonne im Meer versinkt.

Das Highlight aber für fast alle ist die Costiera Amalfita-na, die wilde, kühne und doch so romantische Amalfiküste. Schon der Name klingt wie Musik. Geradezu überwältigt ist man aber, wenn man dann dieses hinreißend schöne Fleckchen Erde hautnah erlebt. Schon wenn man, be-gleitet von den Hupkonzerten ungeduldiger Pkw-Fahrer, Stoßstange an Stoßstange über die so schmale wie kurvige Küstenstraße Amalfitana von Ort zu Ort schleicht. Erst recht, wenn man die grandiosen Panoramen wie ganz früher von sanft schaukelnden Booten aus genießt.

„il mondo é bello, perché vario“, sagen die neapolitaner gerne. „die welt ist schön, weil sie abwechslungsreich ist.“ wer ihre heimat kampanien und die benachbarte basilikata bereist, unterschreibt das sofort. denn hier warten göttliche wege, irdische genüsse sowie ein faszinierendes potpourri aus naturschauspielen und kultur-highlights.

Die Sterne des Südens

kampanien und basilikata

Seite 288 − 289: Tanzende Fischerboote im Mondschein − aus gu-tem Grund nennt man die Costa Amalfitana die „göttliche“ Küste.

Seite 290: Der Pizzabäcker ist in Kampanien ein Star − zu Recht.

Bis zum Bau der Amalfitana im Jahr 1840 konnte die Amalfiküste auf der Südseite der Halbinsel, die den Golf von Neapel vom den von Salerno trennt, nämlich nur auf dem Seeweg erreicht werden.

Die göttliche Küste gehört wahrlich nicht umsonst zum Weltkulturerbe. Senkrecht stürzt das zerklüftete weißgraue Kalkmassiv des Gebirgszugs Monti Lattari ins türkis- und ultramarinfarbene Meer hinab – und bildet so eine spekta-kuläre Küstenlandschaft mit eindrucksvollen Schluchten, überhängenden Felsen und strahlend schönen Buchten, üppiger Mittelmeer-Vegetation und wuchernder Blüten-pracht. Die bezaubernden Dörfer, die sich an ihre steilen Felsen klammern, gehören zu den attraktivsten Urlaubsor-ten der Welt.

Einer davon ist das berühmte Positano. Einfach hin-reißend, wie sich hier die würfelförmigen Häuser in allen möglichen Pastellfarben aufeinandertürmen und sich mit violetten Bougainvillea, weißem Jasmin und Zitronenbäu-men voller reifer Früchte zu einem Meer aus Farben und Düften vereinen. Und dann wären da noch die schier end-losen Treppen des Ortes, die den amerikanischen Schrift-steller John Steinbeck 1953 zu den Worten verleiteten: „Ich habe den Eindruck, dass die Welt in Positano senk-recht steht. Stufen, die mitunter steil wie eine Sprossenleiter sind, führen ans Meer. Wenn man einen Freund besuchen will, dann läuft man nicht, man klettert oder purzelt.“

Unvergessliche Momente

Positano und auch seine nicht minder bezaubernden Nachbarorte wie Amalfi oder Ravello waren für Künstler und Romantiker schon immer der Place to be. Goethe und Grieg ließen sich hier von der Muse küssen. Richard Wag-ner fand hier die inspirierenden Motive für seinen Parsifal-Bösewicht Klingsor. Ingrid Bergman, Tennessee Williams oder Pablo Picasso genossen hier das leichte Leben. Humphrey Bogart und Greta Garbo haben hier gewohnt. Und heute mieten sich Stars – von Steffi Graf über Ma-donna bis hin zu Jennifer Lopez – in den Nobelunterkünf-ten ein. Wer könnte ihnen es auch verdenken:

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Es sind schon unvergessliche Momente, wenn man am Abend bei einem Glas Wein erlebt, wie die unzähligen Lichter an den Hängen mit den Lampen der Fischerboote unten auf dem Meer und den Sternen am Himmel um die Wette funkeln.

Das wird nur noch getoppt, wenn man auf dem Wanderweg Sentiero degli Dei quasi zwischen Him-mel und Meer über der Amalfiküste schwebt. Der Pfad der Götter von Agerola nach Positano verläuft nämlich entlang der Bergrücken 500 Meter über dem Meer. Fit sollte man sein, trittsicher und schwindelfrei auch – denn man durchwandert über holprige Schotterwege eine wilde und duftende Macchia, durchquert kleine Kastanien- und Steineichenwälder, kommt an abgelegenen Grotten vorbei. Für die Mühen des Aufstiegs wird man mit – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubenden Panoramen über die gesamte Küste belohnt. Hier oben liegen einem auch die vielen schmalen Terrassen zu Füßen, auf denen neben Oliven- und Zitrusfruchthainen auch Rebgärten liegen, die dank ihrer aufregenden Lage ganz sichtbar die schönsten von ganz Kampanien sind.

Interessanter für Weinfans sind freilich die Weinberge, die im Hinterland von Neapel und der Küsten liegen. Genauer gesagt, in der grünen Provinz Irpinia und ihrer Hauptstadt Avellino. Denn hier liegt das vielen noch unbekannte

Kampanien, in dem die Weine wachsen, die mit ihrem ganz eigenen Charakter die Liebhaber guter Tropfen be-geistern. Also verlassen wir das dolce vita der Amalfiküste in Richtung Salerno, wo sich ein Abstecher nach Paestum mit seinen bestens erhaltenen griechischen Tempeln lohnt, und von dort gen Norden in Richtung Avellino.

Wo das grüne Herz schlägt

Es ist eine ganz andere Welt, dieses grüne Herz von Kampanien, das vor der imposanten Kulisse des südlichen Apennins im gemäßigten Takt schlägt. Sanfte, fruchtbare Hügelketten, mit dichten Wäldern bedeckte Berge, die bis auf 1.800 Meter ansteigen, liebliche grüne Täler mit kurvenreichen Straßen, unberührte Naturoasen, quellenreiche Hochebenen, Seen, Flüsse und Wasserfälle bilden eine abwechslungsreiche und beeindruckend urwüchsige Landschaft.

Aber so lieblich sich die Natur hier vielerorts auch gibt, so gewalttätig kann sie sein. Wegen der geologischen Gege-benheiten entlang des gesamten Gebirgszugs des Apennins wird die Region immer wieder von Erdbeben erschüttert, teils bis in die Grundfesten. Zuletzt im Jahr 1980, als eine Erdbebenkatastrophe unglaublichen Ausmaßes sieben

Zeitlose Eleganz und der verblasste Charme der siebziger Jahre − in Amalfi gibt es beides.

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Millionen Einwohner heimatlos machte. Ganze Ortschaf-ten versanken in Trümmern, viele der kunstvollen Bauten aus vielen Epochen auch. Einiges blieb, wie von unsicht-barer Hand beschützt, völlig unbeschädigt, doch das meiste war völlig zerstört, und ganze Orte mussten komplett neu aufgebaut werden.

So verlor nicht nur die arg gebeutelte Provinzhauptstadt Avellino viel von ihrem einstigen Charme, sondern auch viele umliegenden Gemeinden. Die meisten ihrer neuen, im funktionalen Stil errichteten Häuser wirken, als habe man sie mit Legosteinen zusammengebaut. Nicht selten säumen die Landstraßen aber auch Investitionsruinen, Betongerippe von verlassenen Baustellen oder völlig über-dimensionierte Industriegebiete.

Was nicht heißen soll, dass es nicht auch noch Orte gäbe, die vor ursprünglichem Charme geradezu sprühen. Das auf Tuffstein erbaute malerische Bergdörfchen Tufo ist so einer.

Das grüne Herz schlägt – wie schon gesagt – in einem eher ruhigen, bedächtigen Takt. Hier ticken auch die Uh-ren anders, denn alles braucht so seine kampanische Zeit, was sicher damit zusammenhängt, dass man hier im Hin-terland vor allem auf Alleinkämpfer trifft. Statt mit anderen zusammenzuarbeiten, macht man lieber sein eigenes Ding. Und man hat auch ein gewachsenes Misstrauen gegenüber Behörden und staatlichen Institutionen. Letztes ist aber

auch durch die negativen Erfahrungen beim Wiederaufbau bedingt. Geld dafür floss nämlich genug, aber an kam es vor allem bei den Camorra-Clans, korrupten Lokalpoliti-kern und charakterlosen Unternehmern.

Somit ist der größte Teil der Bevölkerung vom We-sen her eher verschlossen und nur wenig geneigt, sich der schnellen weiten Welt zu öffnen. Ergo ist eine hoch entwickelte touristische Infrastruktur, die der an den Küs-ten entspricht, nur rudimentär vorhanden. Die meisten kleinen Hotels lassen es an Weltläufigkeit missen, und die wenigen großen Hotelkomplexe sind selbst für anspruchs-lose Touristen zu unattraktiv. Mit Fremdsprachen tut man sich schwer. Das Nachtleben ist nicht weiter erwähnens-wert. Aber immerhin kann man so manche gastronomische Perle entdecken.

Womit wir wieder beim Wein sind. In dieser Bezie-hung ist man in der Irpinia ganz klar an der besten Quelle. Dort werden aus den heimischen Rebsorten Fiano, Greco und Aglianico hocharomatische weiße und rote Tropfen gekeltert, die zu den besten Italiens gehören. Wer gedenkt, Kampanien zu bereisen, sollte sich unbedingt die Namen Fiano di Avellino, Greco di Tufo und Taurasi merken. Denn das sind die Top-Weine der Provinz, die daneben auch einen ganz eigenen regionalen Charakter haben und damit auch die örtlichen Delikatessen am besten begleiten.

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Entro terra − der Ort Montefusco vor einem Gewitter.

k a m p a n i e n

Napoli

Ischia

Capri

Vesuvio1281 m

Monte Vulture 1326 m

Caserta

Benevento

Avellino

Montefusco

Tufo TaurasiLapio

MelfiBarileRionero

Amalfi

Positano

Sorrento

Salerno

Paestum

b a s i l i k a t a

a p u l i e n

Anbaugebiete 1 Falerno del Massico 2 Aglianico del Taburno 3 Fiano di Avellino 4 Greco di Tufo 5 Taurasi 6 Irpinia 7 Costa di Amalfi 8 Aglianico di Vulture 9 Cilento

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10 20 30 40 50 km

5 10 15 20 25 mi

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Apropos Delikatessen. Die berühmteste aus Kampanien wird dampfend und verführerisch duftend aus dem glühen-den Ofen gezogen. Weißer Mozzarella schmilzt zwischen leuchtend roten Tomatenscheiben, umgeben von knuspri-gem Teig, der an den goldgelben Rändern die Zeichen des Feuers trägt. Ein paar saftig grüne Basilikumblätter machen aus ihr jene warme, üppige Schönheit, die rund um den Globus die Genießer betört. Die Rede ist von der legen-dären Pizza Margherita, die 1889 in Neapel geboren wurde. In diesem Jahr kreierte Pizzabäcker Raffaele Esposito für die damalige italienische Königin Margherita von Savoyen eine Pizza in den Nationalfarben rot, weiß und grün, die dann als Pizza Margherita in die kulinarischen Annalen des Landes einging.

Ohne die Küche von Kampanien auf Pizza reduzieren zu wollen: Der königliche Teigfladen dokumentiert wie kein anderes Gericht die Küchenphilosophie der Provinz. Denn hier fügt man nur wenige einfache, frische Zutaten ohne aufwendige Verfeinerungen zu einem besonderen Geschmackserlebnis zusammen. An guten Grundproduk-ten herrscht kein Mangel. So reifen die unvergleichlich aromatischen San-Marzano-Tomaten für die Sugos auf den fruchtbaren Vulkanböden am Fuße des Vesuvs heran. Aus der Region um Neapel stammt der berühmte Mozza-rella di bufala, der jeden Kuhmilch-Mozzarella vergessen lässt. Fisch und Meeresfrüchte können täglich frisch aus dem Meer gezogen werden. Und nicht zu vergessen die fantastische pasta di gragnano aus heimischem Hartweizen, die nach alter Tradition produziert wird und sich daher mit den aromatischen Saucen der Region besonders gut vereint.

Geheimtipp Basilikata

Auch wenn es noch viel über Kampanien zu berichten gäbe: Die Wege zu den besten Weinen des Mezzogiorno führen auch in die Basilikata, die Nachbarregion von Kampani-en. Das einstige römische Lucania war schon immer die wirtschaftlich ärmste Region des Stiefels. Sie hat sich aber zu einem Geheimtipp für Urlauber gemausert, die Ruhe und Ursprünglichkeit, abwechslungsreiche Landschaften mit intakter Natur und stillen Küsten sowie ein reiches Kulturerbe zu schätzen wissen. Und die treffen dann auch auf Bewohner, die sich als herzliche und offene Gastgeber zeigen, ohne dabei ihre von Stolz und Traditionsbewusst-sein geprägte kulturelle Identität zu verleugnen.

Das Reich der Reben findet man auch in der Basilikata nicht an den reizvollen Küsten des Ionischen Meeres, wo auch das UNESCO-Weltkulturerbe Matera liegt. Vielmehr liegt es ähnlich wie in Kampanien im wild zerklüfteten ge-birgigen Hinterland. Und zwar im Wesentlichen rund um den erloschenen Vulkan Monte Vulture und nahe dem Ort Barile – nur knapp eine Autostunde vom Weinanbaugebiet Taurasi entfernt. Wie dort sind auch hier die Bergflanken mit dichten Kastanienwäldern überzogen, liegen die Wein-gärten locker verstreut zwischen goldgelben Getreidefel-dern, aber anders als in der Irpinia gesellen sich noch silbrig glitzernde Olivenhaine dazu. Hier wächst der Aglianico del Vulture, aus dem man bemerkenswerte Rotweine gleichen Namens produziert, die schon ihren Weg in die Weinläden der Welt gefunden haben.

Fehlt noch die Küche. Die ist wie in Kampanien von schlichter, aber fantasievoller Natur. Auch hier versteht man sich auf die geschickte Vereinigung einfacher und naturreiner Produkte. Aromatische Gemüse, hausgemachte Nudeln und die knallroten, höllisch scharfen Peperoncini werden in herzhafte Gerichte verwandelt. Zu den kulina-rischen Säulen der Basilikata gehört Schweinefleisch, das man zu köstlichen Würsten verarbeitet, am Spieß röstet oder in ragus und Eintöpfen gart. Weitere Hauptrollen spielen deftige Brote in vielen Variationen und pikante Käse wie der birnenförmige Caciocavallo podolico oder der Pecorino misto di filiano.

Nur ein kurzer Einblick in den Mezzogiorno. Lässt man ihn Revue passieren, kommt man zu der gleichen Erkennt-nis wie die Neapolitaner: „Il mondo é bello, perché vario!“ Ja genau, in Kampanien und der Basilikata ist die Welt schön, weil sie so herrlich abwechslungsreich ist. ari

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