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37 Kant: Kritik der reinen Vernunft Einleitung I. Von dem Unterschiede der reinen und empirischen Erkenntnis Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung an- fange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die un- sere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewe- gung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt? Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vor- her, und mit dieser fängt alle an. Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zu- sammengesetztes aus dem sei, was wir durch Ein- drücke empfangen, und dem, was unser eigenes Er- kenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt, welchen Zusatz wir von jenem Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als

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Einleitung

I. Von dem Unterschiede der reinenund empirischen Erkenntnis

Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung an-fange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch solltedas Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erwecktwerden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die un-sere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungenbewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewe-gung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfenoder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicherEindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zuverarbeiten, die Erfahrung heißt? Der Zeit nach gehtalso keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vor-her, und mit dieser fängt alle an.

Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit derErfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nichteben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohlsein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zu-sammengesetztes aus dem sei, was wir durch Ein-drücke empfangen, und dem, was unser eigenes Er-kenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloßveranlaßt) aus sich selbst hergibt, welchen Zusatz wirvon jenem Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als

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bis lange Übung uns darauf aufmerksam und zur Ab-sonderung desselben geschickt gemacht hat.

Es ist also wenigstens eine der näheren Untersu-chung noch benötigte und nicht auf den ersten An-schein sogleich abzufertigende Frage: ob es ein der-gleichen von der Erfahrung und selbst von allen Ein-drücken der Sinne unabhängiges Erkenntnis gebe.Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unter-scheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen aposteriori, nämlich in der Erfahrung, haben.

Jener Ausdruck ist indessen noch nicht bestimmtgenug, um den ganzen Sinn, der vorgelegten Frageangemessen, zu bezeichnen. Denn man pflegt wohlvon mancher aus Erfahrungsquellen abgeleiteten Er-kenntnis zu sagen, daß wir ihrer a priori fähig, oderteilhaftig sind, weil wir sie nicht unmittelbar aus derErfahrung, sondern aus einer allgemeinen Regel, diewir gleichwohl selbst doch aus der Erfahrung entlehnthaben, ableiten. So sagt nun von jemand, der das Fun-dament seines Hauses untergrub: er konnte es a prioriwissen, daß es einfallen würde, d.i. er durfte nicht aufdie Erfahrung, daß es wirklich einfiele, warten. Alleingänzlich a priori konnte er dieses doch auch nichtwissen. Denn daß die Körper schwer sind, und daher,wenn ihnen die Stütze entzogen wird, fallen, mußteihm doch zuvor durch Erfahrung bekannt werden.

Wir werden also im Verfolg unter Erkenntnissen a

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priori nicht solche verstehen, die von dieser oderjener, sondern die schlechterdings von aller Erfah-rung unabhängig stattfinden. Ihnen sind empirischeErkenntnisse, oder solche, die nur a posteriori, d.i.durch Erfahrung, möglich sind, entgegengesetzt. Vonden Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigenrein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist. Soist z.B. der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursa-che, ein Satz a priori, allein nicht rein, weil Verände-rung ein Begriff ist, der nur aus der Erfahrung gezo-gen werden kann.

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II. Wir sind im Besitze gewisser Erkenntnissea priori, und selbst der gemeine Verstand

ist niemals ohne solche

Es kommt hier auf ein Merkmal an, woran wir si-cher ein reines Erkenntnis von empirischen unter-scheiden können. Erfahrung lehrt uns zwar, daß etwasso oder so beschaffen sei, aber nicht, daß es nicht an-ders sein könne. Findet sich also erstlich ein Satz, derzugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, soist er ein Urteil a priori; ist er überdem auch von kei-nem abgeleitet, als der selbst wiederum als ein not-wendiger Satz gültig ist, so ist er schlechterdings apriori. Zweitens: Erfahrung gibt niemals ihren Urtei-len wahre oder strenge, sondern nur angenommeneund komparative Allgemeinheit (durch Induktion), sodaß es eigentlich heißen muß: so viel wir bisher wahr-genommen haben, findet sich von dieser oder jenerRegel keine Ausnahme. Wird also ein Urteil in stren-ger Allgemeinheit gedacht, d.i. so, daß gar keine Aus-nahme als möglich verstattet wird, so ist es nicht vonder Erfahrung abgeleitet, sondern schlechterdings apriori gültig. Die empirische Allgemeinheit ist alsonur eine willkürliche Steigerung der Gültigkeit, vonder, welche in den meisten Fällen, zu der, die in allengilt, wie z.B. in dem Satze: alle Körper sind schwer;

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wo dagegen strenge Allgemeinheit zu einem Urteilewesentlich gehört, da zeigt diese auf einen besonderenErkenntnisquell desselben, nämlich ein Vermögen desErkenntnisses a priori. Notwendigkeit und strengeAllgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Er-kenntnis a priori, und gehören auch unzertrennlich zueinander. Weil es aber im Gebrauche derselben bis-weilen leichter ist, die empirische Beschränktheitderselben, als die Zufälligkeit in den Urteilen, oder esauch mannigmal einleuchtender ist, die unbeschränkteAllgemeinheit, die wir einem Urteile beilegen, als dieNotwendigkeit desselben zu zeigen, so ist es ratsam,sich gedachter beider Kriterien, deren jedes für sichunfehlbar ist, abgesondert zu bedienen.

Daß es nun dergleichen notwendige und im streng-sten Sinne allgemeine, mithin reine Urteile a priori,im menschlichen Erkenntnis wirklich gebe, ist leichtzu zeigen. Will man ein Beispiel aus Wissenschaften,so darf man nur auf alle Sätze der Mathematik hinaus-sehen; will man ein solches aus dem gemeinsten Ver-standesgebrauche, so kann der Satz, daß alle Verän-derung eine Ursache haben müsse, dazu dienen; ja indem letzteren enthält selbst der Begriff einer Ursacheso offenbar den Begriff einer Notwendigkeit der Ver-knüpfung mit einer Wirkung und einer strengen All-gemeinheit der Regel, daß er gänzlich verloren gehenwürde, wenn man ihn, wie Hume tat, von einer öftern

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Beigesellung dessen was geschieht, mit dem was vor-hergeht, und einer daraus entspringenden Gewohnheit(mithin bloß subjektiven Notwendigkeit), Vorstellun-gen zu verknüpfen, ableiten wollte. Auch könnte man,ohne dergleichen Beispiele zum Beweise der Wirk-lichkeit reiner Grundsätze a priori in unserem Er-kenntnisse zu bedürfen, dieser ihre Unentbehrlichkeitzur Möglichkeit der Erfahrung selbst, mithin a prioridartun. Denn wo wollte selbst Erfahrung ihre Gewiß-heit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen siefortgeht, immer wieder empirisch, mithin zufälligwären; daher man diese schwerlich für erste Grund-sätze gelten lassen kann. Allein hier können wir unsdamit begnügen, den reinen Gebrauch unseres Er-kenntnisvermögens als Tatsache samt den Kennzei-chen desselben dargelegt zu haben. Aber nicht bloß inUrteilen, sondern selbst in Begriffen zeigt sich ein Ur-sprung einiger derselben a priori. Lasset von euremErfahrungsbegriffe eines Körpers alles, was daranempirisch ist, nach und nach weg: die Farbe, dieHärte oder Weiche, die Schwere, selbst die Undurch-dringlichkeit, so bleibt doch der Raum übrig, den er(welcher nun ganz verschwunden ist) einnahm, undden könnt ihr nicht weglassen. Eben so, wenn ihr voneurem empirischen Begriffe eines jeden, körperlichenoder nicht körperlichen, Objekts alle Eigenschaftenweglaßt, die euch die Erfahrung lehrt: so könnt ihr

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ihm doch nicht diejenige nehmen, dadurch ihr es alsSubstanz oder einer Substanz anhängend denkt (ob-gleich dieser Begriff mehr Bestimmung enthält, alsder eines Objekts überhaupt). Ihr müßt also, überführtdurch die Notwendigkeit, womit sich dieser Begriffeuch aufdringt, gestehen, daß er in eurem Erkenntnis-vermögen a priori seinen Sitz habe.

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III. Die Philosophie bedarf einer Wissenschaft,welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den

Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme

Was noch weit mehr sagen will, als alles vorige, istdieses, daß gewisse Erkenntnisse sogar das Feld allermöglichen Erfahrungen verlassen, und durch Begriffe,denen überall kein entsprechender Gegenstand in derErfahrung gegeben werden kann, den Umfang unsererUrteile über alle Grenzen derselben zu erweitern denAnschein haben.

Und gerade in diesen letzteren Erkenntnissen, wel-che über die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrunggar keinen Leitfaden, noch Berichtigung geben kann,liegen die Nachforschungen unserer Vernunft, die wir,der Wichtigkeit nach, für weit vorzüglicher, und ihreEndabsicht für viel erhabener halten, als alles, wasder Verstand im Felde der Erscheinungen lernen kann,wobei wir, sogar auf die Gefahr zu irren, eher alleswagen, als daß wir so angelegene Untersuchungen ausirgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder ausGeringschätzung und Gleichgültigkeit aufgeben soll-ten. Diese unvermeidlichen Aufgaben der reinen Ver-nunft selbst sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.Die Wissenschaft aber, deren Endabsicht mit allenihren Zurüstungen eigentlich nur auf die Auflösung

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derselben gerichtet ist, heißtMetaphysik, deren Ver-fahren im Anfange dogmatisch ist, d.i. ohne vorher-gehende Prüfung des Vermögens oder Unvermögensder Vernunft zu einer so großen Unternehmung zuver-sichtlich die Ausführung übernimmt.

Nun scheint es zwar natürlich, daß, so bald manden Boden der Erfahrung verlassen hat, man dochnicht mit Erkenntnissen, die man besitzt, ohne zu wis-sen woher, und auf den Kredit der Grundsätze, derenUrsprung man nicht kennt, sofort ein Gebäude errich-ten werde, ohne der Grundlegung desselben durchsorgfältige Untersuchungen vorher versichert zu sein,daß man also vielmehr die Frage vorlängst werde auf-geworfen haben, wie denn der Verstand zu allen die-sen Erkenntnissen a priori kommen könne, und wel-chen Umfang, Gültigkeit und Wert sie haben mögen.

In der Tat ist auch nichts natürlicher, wenn manunter dem Worte natürlich das versteht, was billigerund vernünftiger Weise geschehen sollte; verstehtman aber darunter das, was gewöhnlicher Maßen ge-schieht, so ist hinwiederum nichts natürlicher und be-greiflicher, als daß diese Untersuchung lange unter-bleiben mußte. Denn ein Teil dieser Erkenntnisse, alsdie mathematische, ist im alten Besitze der Zuverläs-sigkeit, und gibt dadurch eine günstige Erwartungauch für andere, ob diese gleich von ganz verschiede-ner Natur sein mögen. Überdem, wenn man über den

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Kreis der Erfahrung hinaus ist, so ist man sicher,durch Erfahrung nicht widerlegt zu werden. Der Reiz,seine Erkenntnisse zu erweitern, ist so groß, daß mannur durch einen klaren Widerspruch, auf den manstößt, in seinem Fortschritte aufgehalten werden kann.Dieser aber kann vermieden werden, wenn man seineErdichtungen nur behutsam macht, ohne daß sie des-wegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathema-tik gibt uns ein glänzendes Beispiel, wie weit wir es,unabhängig von der Erfahrung, in der Erkenntnis apriori bringen können. Nun beschäftigt sie sich zwarmit Gegenständen und Erkenntnissen bloß so weit, alssich solche in der Anschauung darstellen lassen. Aberdieser Umstand wird leicht übersehen, weil gedachteAnschauung selbst a priori gegeben werden kann,mithin von einem bloßen reinen Begriff kaum unter-schieden wird. Durch einen solchen Beweis von derMacht der Vernunft eingenommen, sieht der Trieb zurErweiterung keine Grenzen. Die leichte Taube, indemsie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand siefühlt, könnte die Vorstellung fassen, daß es ihr imluftleeren Raum noch viel besser gelingen werde.Eben so verließ Plato die Sinnenwelt, weil sie demVerstande so enge Schranken setzt, und wagte sichjenseit derselben, auf den Flügeln der Ideen, in denleeren Raum des reinen Verstandes. Er bemerktenicht, daß er durch seine Bemühungen keinen Weg

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gewönne, denn er hatte keinen Widerhalt, gleichsamzur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran erseine Kräfte anwenden konnte, um den Verstand vonder Stelle zu bringen. Es ist aber ein gewöhnlichesSchicksal der menschlichen Vernunft in der Spekula-tion, ihr Gebäude so früh, wie möglich, fertig zu ma-chen, und hintennach allererst zu untersuchen, obauch der Grund dazu gut gelegt sei. Alsdenn aberwerden allerlei Beschönigungen herbeigesucht, umuns wegen dessen Tüchtigkeit zu trösten, oder aucheine solche späte und gefährliche Prüfung lieber garabzuweisen. Was uns aber während dem Bauen vonaller Besorgnis und Verdacht frei hält, und mitscheinbarer Gründlichkeit schmeichelt, ist dieses. Eingroßer Teil, und vielleicht der größte, von dem Ge-schäfte unserer Vernunft besteht in Zergliederungender Begriffe, die wir schon von Gegenständen haben.Dieses liefert uns eine Menge von Erkenntnissen, die,ob sie gleich nichts weiter als Aufklärungen oder Er-läuterungen desjenigen sind, was in unsern Begriffen(wiewohl noch auf verworrene Art) schon gedachtworden, doch wenigstens der Form nach neuen Ein-sichten gleich geschätzt werden, wiewohl sie der Ma-terie, oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wirhaben, nicht erweitern, sondern nur aus einander set-zen. Da dieses Verfahren nun eine wirkliche Erkennt-nis a priori gibt, die einen sichern und nützlichen

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Fortgang hat, so erschleicht die Vernunft, ohne esselbst zu merken, unter dieser Vorspiegelung Behaup-tungen von ganz anderer Art, wo die Vernunft zu ge-gebenen Begriffen ganz fremde und zwar a priorihinzu tut, ohne daß man weiß, wie sie dazu gelange,und ohne sich eine solche Frage auch nur in die Ge-danken kommen zu lassen. Ich will daher gleich an-fangs von dem Unterschiede dieser zwiefachen Er-kenntnisart handeln.

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IV. Von dem Unterschiede analytischerund synthetischer Urteile

In allen Urteilen, worinnen das Verhältnis einesSubjekts zum Prädikat gedacht wird (wenn ich nur diebejahende erwäge, denn auf die verneinende ist nach-her die Anwendung leicht), ist dieses Verhältnis aufzweierlei Art möglich. Entweder das Prädikat B ge-hört zum Subjekt A als etwas, was in diesem BegriffeA (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ganzaußer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben inVerknüpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Ur-teil analytisch, in dem andern synthetisch. Analyti-sche Urteile (die bejahende) sind also diejenige, inwelchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Sub-jekt durch Identität, diejenige aber, in denen dieseVerknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen syn-thetische Urteile heißen. Die erstere könnte man auchErläuterungs-, die andere Erweiterungsurteile hei-ßen, weil jene durch das Prädikat nichts zum Begriffdes Subjekts hinzutun, sondern diesen nur durch Zer-gliederung in seine Teilbegriffe zerfallen, die in selbi-gen schon (obgleich verworren) gedacht waren: dahingegen die letztere zu dem Begriffe des Subjekts einPrädikat hinzutun, welches in jenem gar nicht gedachtwar, und durch keine Zergliederung desselben hätte

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können herausgezogen werden. Z.B. wenn ich sage:alle Körper sind ausgedehnt, so ist dies ein analytischUrteil. Denn ich darf nicht über den Begriff, den ichmit dem Körper verbinde, hinausgehen, um die Aus-dehnung, als mit demselben verknüpft, zu finden, son-dern jenen Begriff nur zergliedern, d.i. des Mannigfal-tigen, welches ich jederzeit in ihm denke, mir nur be-wußt werden, um dieses Prädikat darin anzutreffen; esist also ein analytisches Urteil. Dagegen, wenn ichsage: alle Körper sind schwer, so ist das Prädikatetwas ganz anderes, als das, was ich in dem bloßenBegriff eines Körpers überhaupt denke. Die Hinzufü-gung eines solchen Prädikats gibt also ein synthetischUrteil.Erfahrungsurteile, als solche, sind insgesamt syn-

thetisch. Denn es wäre ungereimt, ein analytischesUrteil auf Erfahrung zu gründen, weil ich aus meinemBegriffe gar nicht hinausgehen darf, um das Urteil ab-zufassen, und also kein Zeugnis der Erfahrung dazunötig habe. Daß ein Körper ausgedehnt sei, ist einSatz, der a priori feststeht, und kein Erfahrungsurteil.Denn, ehe ich zur Erfahrung gehe, habe ich alle Be-dingungen zu meinem Urteile schon in dem Begriffe,aus welchem ich das Prädikat nach dem Satze des Wi-derspruchs nur herausziehen, und dadurch zugleichder Notwendigkeit des Urteils bewußt werden kann,welche mir Erfahrung nicht einmal lehren würde.

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Dagegen ob ich schon in dem Begriff eines Körpersüberhaupt das Prädikat der Schwere gar nicht ein-schließe, so bezeichnet jener doch einen Gegenstandder Erfahrung durch einen Teil derselben, zu welchemich also noch andere Teile eben derselben Erfahrung,als zu dem ersteren gehöreten, hinzufügen kann. Ichkann den Begriff des Körpers vorher analytisch durchdie Merkmale der Ausdehnung, der Undurchdringlich-keit, der Gestalt etc., die alle in diesem Begriffe ge-dacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meineErkenntnis, und, indem ich auf die Erfahrung zurück-sehe, von welcher ich diesen Begriff des Körpers ab-gezogen hatte, so finde ich mit obigen Merkmalenauch die Schwere jederzeit verknüpft, und füge alsodiese als Prädikat zu jenem Begriffe synthetischhinzu. Es ist also die Erfahrung, worauf sich dieMöglichkeit der Synthesis des Prädikats der Schweremit dem Begriffe des Körpers gründet, weil beide Be-griffe, ob zwar einer nicht in dem andern enthalten ist,dennoch als Teile eines Ganzen, nämlich der Erfah-rung, die selbst eine synthetische Verbindung der An-schauungen ist, zu einander, wiewohl nur zufälligerWeise, gehören.

Aber bei synthetischen Urteilen a priori fehlt diesesHülfsmittel ganz und gar. Wenn ich über den BegriffA hinausgehen soll, um einen andern B als damit ver-bunden zu erkennen, was ist das, worauf ich mich

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stütze, und wodurch die Synthesis möglich wird? daich hier den Vorteil nicht habe, mich im Felde der Er-fahrung darnach umzusehen. Man nehme den Satz:Alles, was geschieht, hat seine Ursache. In dem Be-griff von etwas, das geschieht, denke ich zwar ein Da-sein, vor welchem eine Zeit vorhergeht etc., und dar-aus lassen sich analytische Urteile ziehen. Aber derBegriff einer Ursache liegt ganz außer jenem Begriffe,und zeigt etwas von dem, was geschieht, Verschiede-nes an, ist also in dieser letzteren Vorstellung garnicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, vondem, was überhaupt geschiehet, etwas davon ganzVerschiedenes zu sagen, und den Begriff der Ursache,ob zwar in jenem nicht enthalten, dennoch, als dazuund sogar notwendig gehörig, zu erkennen. Was isthier das Unbekannte = X, worauf sich der Verstandstützt, wenn er außer dem Begriff von A ein demsel-ben fremdes Prädikat B aufzufinden glaubt, welcheser gleichwohl damit verknüpft zu sein erachtet? Er-fahrung kann es nicht sein, weil der angeführteGrundsatz nicht allein mit größerer Allgemeinheit,sondern auch mit dem Ausdruck der Notwendigkeit,mithin gänzlich a priori und aus bloßen Begriffen,diese zweite Vorstellung zu der ersteren hinzugefügt.Nun beruht auf solchen synthetischen, d.i. Erweite-rungs-Grundsätzen die ganze Endabsicht unserer spe-kulativen Erkenntnis a priori; denn die analytischen

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sind zwar höchst wichtig und nötig, aber nur, um zuderjenigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, diezu einer sicheren und ausgebreiteten Synthesis, als zueinem wirklich neuen Erwerb, erforderlich ist.

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V. In allen theoretischen Wissenschaftender Vernunft sind synthetische Urteile a priori

als Prinzipien enthalten

1. Mathematische Urteile sind insgesamt synthe-tisch. Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zer-gliederer der menschlichen Vernunft bisher entgan-gen, ja allen ihren Vermutungen gerade entgegenge-setzt zu sein, ob er gleich unwidersprechlich gewißund in der Folge sehr wichtig ist. Denn weil manfand, daß die Schlüsse der Mathematiker alle nachdem Satze des Widerspruchs fortgehen (welches dieNatur einer jeden apodiktischen Gewißheit erfodert),so überredete man sich, daß auch die Grundsätze ausdem Satze des Widerspruchs erkannt würden; worinsie sich irreten; denn ein synthetischer Satz kann al-lerdings nach dem Satze des Widerspruchs eingese-hen werden, aber nur so, daß ein anderer synthetischerSatz vorausgesetzt wird, aus dem er gefolgert werdenkann, niemals aber an sich selbst.

Zuvörderst muß bemerkt werden: daß eigentlichemathematische Sätze jederzeit Urteile a priori undnicht empirisch sein, weil sie Notwendigkeit bei sichführen, welche aus Erfahrung nicht abgenommen wer-den kann. Will man aber dieses nicht einräumen,wohlan, so schränke ich meinen Satz auf die reine

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Mathematik ein, deren Begriff es schon mit sichbringt, daß sie nicht empirische, sondern bloß reineErkenntnis a priori enthalte.

Man sollte anfänglich zwar denken daß der Satz7+5=12 ein bloß analytischer Satz sei, der aus demBegriffe einer Summe von Sieben und Fünf nach demSatze des Widerspruches erfolge. Allein, wenn man esnäher betrachtet, so findet man, daß der Begriff derSumme von 7 und 5 nichts weiter enthalte, als dieVereinigung beider Zahlen in eine einzige, wodurchganz und gar nicht gedacht wird, welches diese ein-zige Zahl sei, die beide zusammenfaßt. Der Begriffvon Zwölf ist keinesweges dadurch schon gedacht,daß ich mir bloß jene Vereinigung von Sieben undFünf denke, und, ich mag meinen Begriff von einersolchen möglichen Summe noch so lange zergliedern,so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen.Man muß über diese Begriffe hinausgehen, indemman die Anschauung zu Hülfe nimmt, die einem vonbeiden korrespondiert, etwa seine fünf Finger, oder(wie Segner in seiner Arithmetik) fünf Punkte, und sonach und nach die Einheiten der in der Anschauunggegebenen Fünf zu dem Begriffe der Sieben hinzutut.Denn ich nehme zuerst die Zahl 7, und, indem ich fürden Begriff der 5 die Finger meiner Hand als An-schauung zu Hülfe nehme, so tue ich die Einheiten,die ich vorher zusammennahm, um die Zahl 5

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auszumachen, nun an jenem meinem Bilde nach undnach zur Zahl 7, und sehe so die Zahl 12 entspringen.Daß 7 zu 5 hinzugetan werden sollten, habe ich zwarin dem Begriff einer Summe = 7+5 gedacht, abernicht, daß diese Summe der Zahl 12 gleich sei. Derarithmetische Satz ist also jederzeit synthetisch; wel-ches man desto deutlicher inne wird, wenn man etwasgrößere Zahlen nimmt, da es denn klar einleuchtet,daß, wir möchten unsere Begriffe drehen und wenden,wie wir wollen, wir, ohne die Anschauung zu Hülfezu nehmen, vermittelst der bloßen Zergliederung un-serer Begriffe die Summe niemals finden könnten.

Eben so wenig ist irgend ein Grundsatz der reinenGeometrie analytisch. Daß die gerade Linie zwischenzweien Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischerSatz. Denn mein Begriff vom Geraden enthält nichtsvon Größe, sondern nur eine Qualität. Der Begriff desKürzesten kommt also gänzlich hinzu, und kanndurch keine Zergliederung aus dem Begriffe der gera-den Linie gezogen werden. Anschauung muß also hierzu Hülfe genommen werden, vermittelst deren alleindie Synthesis möglich ist.

Einige wenige Grundsätze, welche die Geometervoraussetzen, sind zwar wirklich analytisch und beru-hen auf dem Satze des Widerspruchs; sie dienen aberauch nur, wie identische Sätze, zur Kette der Methodeund nicht als Prinzipien, z.B. a = a, das Ganze ist sich

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selber gleich, oder (a + b) > a, d.i. das Ganze ist grö-ßer als sein Teil. Und doch auch diese selbst, ob siegleich nach bloßen Begriffen gelten, werden in derMathematik nur darum zugelassen, weil sie in der An-schauung können dargestellet werden. Was uns hiergemeiniglich glauben macht, als läge das Prädikatsolcher apodiktischen Urteile schon in unserm Begrif-fe, und das Urteil sei also analytisch, ist bloß dieZweideutigkeit des Ausdrucks. Wir sollen nämlich zueinem gegebenen Begriffe ein gewisses Prädikat hin-zudenken, und diese Notwendigkeit haftet schon anden Begriffen. Aber die Frage ist nicht, was wir zudem gegebenen Begriffe hinzu denken sollen, sondernwas wir wirklich in ihm, obzwar nur dunkel, denken,und da zeigt sich, daß das Prädikat jenen Begriffenzwar notwendig, aber nicht als im Begriffe selbst ge-dacht, sondern vermittelst einer Anschauung, die zudem Begriffe hinzukommen muß, anhänge.

2. Naturwissenschaft (physica) enthält syntheti-sche Urteile a priori als Prinzipien in sich. Ich willnur ein paar Sätze zum Beispiel anführen, als denSatz: daß in allen Veränderungen der körperlichenWelt die Quantität der Materie unverändert bleibe,oder daß, in aller Mitteilung der Bewegung, Wirkungund Gegenwirkung jederzeit einander gleich seinmüssen. An beiden ist nicht allein die Notwendigkeit,mithin ihr Ursprung a priori, sondern auch, daß sie

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synthetische Sätze sind, klar. Denn in dem Begriffeder Materie denke ich mir nicht die Beharrlichkeit,sondern bloß ihre Gegenwart im Raume durch die Er-füllung desselben. Also gehe ich wirklich über denBegriff von der Materie hinaus, um etwas a priori zuihm hinzuzudenken, was ich in ihm nicht dachte. DerSatz ist also nicht analytisch, sondern synthetisch unddennoch a priori gedacht, und so in den übrigen Sät-zen des reinen Teils der Naturwissenschaft.

3. In der Metaphysik, wenn man sie auch nur füreine bisher bloß versuchte, dennoch aber durch dieNatur der menschlichen Vernunft unentbehrliche Wis-senschaft ansieht, sollen synthetische Erkenntnisse apriori enthalten sein, und es ist ihr gar nicht darumzu tun, Begriffe, die wir uns a priori von Dingen ma-chen, bloß zu zergliedern und dadurch analytisch zuerläutern, sondern wir wollen unsere Erkenntnis apriori erweitern, wozu wir uns solcher Grundsätze be-dienen müssen, die über den gegebenen Begriff etwashinzutun, was in ihm nicht enthalten war, und durchsynthetische Urteile a priori wohl gar so weit hinaus-gehen, daß uns die Erfahrung selbst nicht so weit fol-gen kann, z.B. in dem Satze: die Welt muß einen er-sten Anfang haben, u.a.m., und so besteht Metaphysikwenigstens ihrem Zwecke nach aus lauter syntheti-schen Sätzen a priori.

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VI. Allgemeine Aufgabe der reinen Vernunft

Man gewinnt dadurch schon sehr viel, wenn maneine Menge von Untersuchungen unter die Formeleiner einzigen Aufgabe bringen kann. Denn dadurcherleichtert man sich nicht allein selbst sein eigenesGeschäfte, indem man es sich genau bestimmt, son-dern auch jedem anderen, der es prüfen will, das Ur-teil, ob wir unserem Vorhaben ein Gnüge getan habenoder nicht. Die eigentliche Aufgabe der reinen Ver-nunft ist nun in der Frage enthalten:Wie sind synthe-tische Urteile a priori möglich?

Daß die Metaphysik bisher in einem so schwanken-den Zustande der Ungewißheit und Widersprüche ge-blieben ist, ist lediglich der Ursache zuzuschreiben,daß man sich diese Aufgabe und vielleicht sogar denUnterschied der analytischen und synthetischen Ur-teile nicht früher in Gedanken kommen ließ. Auf derAuflösung dieser Aufgabe, oder einem genugtuendenBeweise, daß die Möglichkeit, die sie erklärt zu wis-sen verlangt, in der Tat gar nicht stattfinde, beruhtnun das Stehen und Fallen der Metaphysik. DavidHume, der dieser Aufgabe unter allen Philosophennoch am nächsten trat, sie aber sich bei weitem nichtbestimmt genug und in ihrer Allgemeinheit dachte,sondern bloß bei dem synthetischen Satze der

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Verknüpfung der Wirkung mit ihren Ursachen (prin-cipium causalitatis) stehen blieb, glaubte heraus zubringen, daß ein solcher Satz a priori gänzlich un-möglich sei, und nach seinen Schlüssen würde alles,was wir Metaphysik nennen, auf einen bloßen Wahnvon vermeinter Vernunfteinsicht dessen hinauslaufen,was in der Tat bloß aus der Erfahrung erborgt unddurch Gewohnheit den Schein der Notwendigkeitüberkommen hat; auf welche, alle reine Philosophiezerstörende, Behauptung er niemals gefallen wäre,wenn er unsere Aufgabe in ihrer Allgemeinheit vorAugen gehabt hätte, da er denn eingesehen habenwürde, daß, nach seinem Argumente, es auch keinereine Mathematik geben könnte, weil diese gewißsynthetische Sätze a priori enthält, für welcher Be-hauptung ihn alsdenn sein guter Verstand wohl würdebewahrt haben.

In der Auflösung obiger Aufgabe ist zugleich dieMöglichkeit des reinen Vernunftgebrauchs in Grün-dung und Ausführung aller Wissenschaften, die einetheoretische Erkenntnis a priori von Gegenständenenthalten, mit begriffen, d.i. die Beantwortung derFragen:Wie ist reine Mathematik möglich?Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?Von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gege-

ben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie

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sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen,wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen7. Was aberMetaphysik betrifft, so muß ihr bisheriger schlechterFortgang, und weil man von keiner einzigen bishervorgetragenen, was ihren wesentlichen Zweck angeht,sagen kann, sie sei wirklich vorhanden, einen jedenmit Grunde an ihrer Möglichkeit zweifeln lassen.

Nun ist aber diese Art von Erkenntnis in gewissemSinne doch auch als gegeben anzusehen, und Meta-physik ist, wenn gleich nicht als Wissenschaft, dochals Naturanlage (metaphysica naturalis) wirklich.Denn die menschliche Vernunft geht unaufhaltsam,ohne daß bloße Eitelkeit des Vielwissens sie dazu be-wegt, durch eigenes Bedürfnis getrieben bis zu sol-chen Fragen fort, die durch keinen Erfahrungsge-brauch der Vernunft und daher entlehnte Prinzipienbeantwortet werden können, und so ist wirklich inallen Menschen, so bald Vernunft sich in ihnen biszur Spekulation erweitert, irgend eine Metaphysik zualler Zeit gewesen, und wird auch immer darin blei-ben. Und nun ist auch von dieser die Frage:Wie istMetaphysik als Naturanlage möglich? d.i. wie ent-springen die Fragen, welche reine Vernunft sich auf-wirft, und die sie, so gut als sie kann, zu beantwortendurch ihr eigenes Bedürfnis getrieben wird, aus derNatur der allgemeinen Menschenvernunft?

Da sich aber bei allen bisherigen Versuchen, diese

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natürliche Fragen, z.B. ob die Welt einen Anfanghabe, oder von Ewigkeit her sei, u.s.w. zu beantwor-ten, jederzeit unvermeidliche Widersprüche gefundenhaben, so kann man es nicht bei der bloßen Naturan-lage zur Metaphysik, d.i. dem reinen Vernunftvermö-gen selbst, woraus zwar immer irgend eine Metaphy-sik (es sei welche es wolle) erwächst, bewenden las-sen, sondern es muß möglich sein, mit ihr es zur Ge-wißheit zu bringen, entweder im Wissen oderNicht-Wissen der Gegenstände, d.i. entweder der Ent-scheidung über die Gegenstände ihrer Fragen, oderüber das Vermögen und Unvermögen der Vernunft, inAnsehung ihrer etwas zu urteilen, also entweder unse-re reine Vernunft mit Zuverlässigkeit zu erweitern,oder ihr bestimmte und sichere Schranken zu setzen.Diese letzte Frage, die aus der obigen allgemeinenAufgabe fließt, würde mit Recht diese sein:Wie istMetaphysik als Wissenschaft möglich?

Die Kritik der Vernunft führt also zuletzt notwen-dig zur Wissenschaft; der dogmatische Gebrauchderselben ohne Kritik dagegen auf grundlose Behaup-tungen, denen man eben so scheinbare entgegensetzenkann, mithin zum Skeptizismus.

Auch kann diese Wissenschaft nicht von großer ab-schreckender Weitläuftigkeit sein, weil sie es nichtmit Objekten der Vernunft, deren Mannigfaltigkeitunendlich ist, sondern es bloß mit sich selbst, mit

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Aufgaben, die ganz aus ihrem Schoße entspringen,und ihr nicht durch die Natur der Dinge, die von ihrunterschieden sind, sondern durch ihre eigene vorge-legt sind, zu tun hat; da es denn, wenn sie zuvor ihreigen Vermögen in Ansehung der Gegenstände, dieihr in der Erfahrung vorkommen mögen, vollständighat kennen lernen, leicht werden muß, den Umfangund die Grenzen ihres über alle Erfahrungsgrenzenversuchten Gebrauchs vollständig und sicher zu be-stimmen.

Man kann also und muß alle bisher gemachte Ver-suche, eine Metaphysik dogmatisch zu Stande zubringen, als ungeschehen ansehen; denn was in dereinen oder der anderen Analytisches, nämlich bloßeZergliederung der Begriffe ist, die unserer Vernunft apriori beiwohnen, ist noch gar nicht der Zweck, son-dern nur eine Veranstaltung zu der eigentlichen Meta-physik, nämlich seine Erkenntnis a priori synthetischzu erweitern, und ist zu diesem untauglich, weil siebloß zeigt, was in diesen Begriffen enthalten ist, nichtaber, wie wir a priori zu solchen Begriffen gelangen,um darnach auch ihren gültigen Gebrauch in Anse-hung der Gegenstände aller Erkenntnis überhaupt be-stimmen zu können. Es gehört auch nur wenig Selbst-verleugnung dazu, alle diese Ansprüche aufzugeben,da die nicht abzuleugnende und im dogmatischenVerfahren auch unvermeidliche Widersprüche der

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Vernunft mit sich selbst jede bisherige Metaphysikschon längst um ihr Ansehen gebracht haben. MehrStandhaftigkeit wird dazu nötig sein, sich durch dieSchwierigkeit innerlich und den Widerstand äußerlichnicht abhalten zu lassen, eine der menschlichen Ver-nunft unentbehrliche Wissenschaft, von der man wohljeden hervorgeschossenen Stamm abhauen, die Wur-zel aber nicht ausrotten kann, durch eine andere, derbisherigen ganz entgegengesetzte, Behandlung end-lich einmal zu einem gedeihlichen und fruchtbarenWuchse zu befördern.

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VII. Idee und Einteilung einer besonderenWissenschaft, unter dem Namen einer

Kritik der reinen Vernunft

Aus diesem allem ergibt sich nun die Idee einer be-sondern Wissenschaft, die Kritik der reinen Vernunftheißen kann. Denn ist Vernunft das Vermögen, wel-ches die Prinzipien der Erkenntnis a priori an dieHand gibt. Daher ist reine Vernunft diejenige, welchedie Prinzipien, etwas schlechthin a priori zu erkennen,enthält. Ein Organon der reinen Vernunft würde einInbegriff derjenigen Prinzipien sein, nach denen allereine Erkenntnisse a priori können erworben undwirklich zu Stande gebracht werden. Die ausführlicheAnwendung eines solchen Organon würde ein Systemder reinen Vernunft verschaffen. Da dieses aber sehrviel verlangt ist, und es noch dahin steht, ob auch hierüberhaupt eine Erweiterung unserer Erkenntnis und inwelchen Fällen sie möglich sei: so können wir eineWissenschaft der bloßen Beurteilung der reinen Ver-nunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propädeutikzum System der reinen Vernunft ansehen. Eine solchewürde nicht eine Doktrin, sondern nur Kritik der rei-nen Vernunft heißen müssen, und ihr Nutzen würde inAnsehung der Spekulation wirklich nur negativ sein,nicht zur Erweiterung, sondern nur zur Läuterung

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unserer Vernunft dienen, und sie von Irrtümern freihalten, welches schon sehr viel gewonnen ist. Ichnenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nichtso wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Er-kenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priorimöglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein Systemsolcher Begriffe würde Transzendental-Philosophieheißen. Diese ist aber wiederum für den Anfang nochzu viel. Denn, weil eine solche Wissenschaft so wohldie analytische Erkenntnis, als die synthetische a prio-ri vollständig enthalten müßte, so ist sie, so weit esunsere Absicht betrifft, von zu weitem Umfange,indem wir die Analysis nur so weit treiben dürfen, alssie unentbehrlich notwendig ist, um die Prinzipien derSynthesis a priori, als warum es uns nur zu tun ist, inihrem ganzen Umfange einzusehen. Diese Untersu-chung, die wir eigentlich nicht Doktrin, sondern nurtranszendentale Kritik nennen können, weil sie nichtdie Erweiterung der Erkenntnisse selbst, sondern nurdie Berichtigung derselben zur Absicht hat, und denProbierstein des Werts oder Unwerts aller Erkennt-nisse a priori abgeben soll, ist das, womit wir unsjetzt beschäftigen. Eine solche Kritik ist demnach eineVorbereitung, wo möglich, zu einem Organon, undwenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zueinem Kanon derselben, nach welchem allenfalls der-einst das vollständige System der Philosophie der

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reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder blo-ßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen, so wohlanalytisch als synthetisch dargestellt werden könnte.Denn daß dieses möglich sei, ja daß ein solches Sy-stem von nicht gar großem Umfange sein könne, umzu hoffen, es ganz zu vollenden, läßt sich schon zumvoraus daraus ermessen, daß hier nicht die Natur derDinge, welche unerschöpflich ist, sondern der Ver-stand, der über die Natur der Dinge urteilt, und auchdieser wiederum nur in Ansehung seiner Erkenntnis apriori, den Gegenstand ausmacht, dessen Vorrat, weilwir ihn doch nicht auswärtig suchen dürfen, uns nichtverborgen bleiben kann, und allem Vermuten nachklein genug ist, um vollständig aufgenommen, nachseinem Werte oder Unwerte beurteilt und unter rich-tige Schätzung gebracht zu werden. Noch wenigerdarf man hier eine Kritik der Bücher und Systeme derreinen Vernunft erwarten, sondern die des reinen Ver-nunftvermögens selbst. Nur allein, wenn diese zumGrunde liegt, hat man einen sicheren Probierstein, denphilosophischen Gehalt alter und neuer Werke in die-sem Fache zu schätzen; widrigenfalls beurteilt der un-befugte Geschichtschreiber und Richter grundlose Be-hauptungen anderer, durch seine eigene, die eben sogrundlos sind.

Die Transzendental-Philosophie ist die Idee einerWissenschaft, wozu die Kritik der reinen Vernunft

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den ganzen Plan architektonisch, d.i. aus Prinzipien,entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Voll-ständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Ge-bäude ausmachen. Sie ist das System aller Prinzipiender reinen Vernunft Daß diese Kritik nicht schonselbst Transzendental-Philosophie heißt, beruhet le-diglich darauf, daß sie, um ein vollständig System zusein, auch eine ausführliche Analysis der ganzenmenschlichen Erkenntnis a priori enthalten müßte.Nun muß zwar unsere Kritik allerdings auch einevollständige Herzählung aller Stammbegriffe, welchedie gedachte reine Erkenntnis ausmachen, vor Augenlegen. Allein der ausführlichen Analysis dieser Be-griffe selbst, wie auch der vollständigen Rezensionder daraus abgeleiteten, enthält sie sich billig, teilsweil diese Zergliederung nicht zweckmäßig wäre,indem sie die Bedenklichkeit nicht hat, welche bei derSynthetis angetroffen wird, um deren willen eigentlichdie ganze Kritik da ist, teils, weil es der Einheit desPlans zuwider wäre, sich mit der Verantwortung derVollständigkeit einer solchen Analysis und Ableitungzu befassen, deren man in Ansehung seiner Absichtdoch überhoben sein konnte. Diese Vollständigkeitder Zergliederung sowohl, als der Ableitung aus denkünftig zu liefernden Begriffen a priori, ist indessenleicht zu ergänzen, wenn sie nur allererst als ausführ-liche Prinzipien der Synthesis dasind, und in

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Ansehung dieser wesentlichen Absicht nichts erman-gelt.

Zur Kritik der reinen Vernunft gehört demnachalles, was die Transzendental-Philosophie ausmacht,und sie ist die vollständige Idee der Transzenden-tal-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nichtselbst; weil sie in der Analysis nur so weit geht, als eszur vollständigen Beurteilung der synthetischen Er-kenntnis a priori erforderlich ist.

Das vornehmste Augenmerk bei der Einteilungeiner solchen Wissenschaft ist: daß gar keine Begriffehineinkommen müssen, die irgend etwas Empirischesin sich enthalten; oder daß die Erkenntnis a priori völ-lig rein sei. Daher, obzwar die obersten Grundsätzeder Moralität, und die Grundbegriffe derselben, Er-kenntnisse a priori sind, so gehören sie doch nicht indie Transzendental-Philosophie, weil sie die Begriffeder Lust und Unlust, der Begierden und Neigungenetc., die insgesamt empirischen Ursprungs sind, zwarselbst nicht zum Grunde ihrer Vorschriften legen,aber doch im Begriffe der Pflicht, als Hindernis, dasüberwunden, oder als Anreiz, der nicht zum Bewe-gungsgrunde gemacht werden soll, notwendig in dieAbfassung des Systems der reinen Sittlichkeit mit hin-einziehen müssen. Daher ist die Transzenden-tal-Philosophie eine Weltweisheit der reinen bloßspekulativen Vernunft. Denn alles Praktische, so fern

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es Triebfedern enthält, bezieht sich auf Gefühle, wel-che zu empirischen Erkenntnisquellen gehören.

Wenn man nun die Einteilung dieser Wissenschaftaus dem allgemeinen Gesichtspunkte eines Systemsüberhaupt anstellen will, so muß die, welche wir jetztvortragen, erstlich eine Elementar-Lehre, zweitenseine Methoden-Lehre der reinen Vernunft enthalten.Jeder dieser Hauptteile würde seine Unterabteilunghaben, deren Gründe sich gleichwohl hier noch nichtvortragen lassen. Nur so viel scheint zur Einleitung,oder Vorerinnerung, nötig zu sein, daß es zwei Stäm-me der menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleichtaus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekanntenWurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Ver-stand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben,durch den zweiten aber gedacht werden. So fern nundie Sinnlichkeit Vorstellungen a priori enthalten soll-te, welche die Bedingung ausmachen, unter der unsGegenstände gegeben werden, so würde sie zur Tran-szendental-Philosophie gehören. Die transzendentaleSinnenlehre würde zum ersten Teile der Elemen-tar-Wissenschaft gehören müssen, weil die Bedingun-gen, worunter allein die Gegenstände der menschli-chen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen vorge-hen, unter welchen selbige gedacht werden.