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Landarbeiter und Großgrundbesitz in der Weimarer Republik am Beispiel des Altkreises Eckernförde Rolf Schulte I. Vorweg: Das Lebenvon Landarbeitern stellt ein vergessenes Kapitel der Geschichte unserer Region dar. Die Reiseführer weisen Schleswig-Holstein als einLandmit beachtenswerten und schö- nen Gutshöfen und Herrenhäusern aus; die, die auf diesen Gutshöfeneigentlich die Hauptarbeit leisteten, bleiben dabei unerwähnt. Ebenso wie in der touristischen Literatur findet sich in der historischen Forschung wenig Material in bezug auf Landarbeiter.Der Aufsatz kann diesenMangel nicht beheben, schon gar nicht als umfassender Beitrag zu diesem Thema gelten. Ziel des Aufsatzes ist es, anhand einer bestimmten GegendLeben und Alltag von Landarbeitern darzulegen. Der Aufsatz beruht auf der Auswertung von Lokalzeitun- gen, Quellenmaterial des Landesarchivs Schleswig und der Einbeziehung der wissenschaftlichen Literatur. Darüber hin- aus wurden in größerem Umfang Interviews, die zwischen 1983 und 1985 geführt wurden, berücksichtigt. Die Verwendung der Methode der „oral history" (mündliche Überlieferung von Geschichte) erweist sich jedoch als proble- matisch, da sich die Aussagen, die sich auflange Zeit zurücklie- gende Zeitabschnitte beziehen, keine sicheren Informationen darstellen. Diese Auskünfte sind vielmehr bestimmt durch Verschiebungen zwischen Erlebtem und Gehörtem, durch Ausweitung und Neugestaltung, durch Überlagerung und Ver- drängung. „Oral history" kann nicht wiedergeben, „wie es war". 1 Aus diesem Grunde werden hier mündliche Aussagen fol- gendermaßen benutzt: 1. Wenig problematisch ist ihre Verwendung bei alltäglichen Abläufen und Ereignissen. In den ca. 30 geführten Inter- views erwiesen sich dieInterviewpartner als „Experten ihres Alltags". 2 Da Untersuchungen, die mündliche Aussagen über den Alltag mit schriftlichen Quellen konfrontierten, ihre hohe Zuverlässigkeit feststellten 3 , werden hier Inter- viewäußerungen benutzt und einbezogen, wenn deren Inhalt sich durch weitere Aussagen immer wieder bestä- tigte. Hinter diesen Teilen eines Interviews wurden die Namen der Befragten alsKürzel angegeben, da sie nicht als Privatpersonen, sondern als typische Vertreter ihrer sozia- len Schicht oder ihres Berufs wichtig waren. 2. Komplizierter ist die Methode der „oral history" bei politi- schen Ereignissen, zumal wenn die Äußerungen nicht durch schriftliche Quellen überprüft werden können, wie es in dem hier untersuchten Bereich z. T. der Fall war. Deshalb muß die Fragestellung für die Interpretation von Interviewaussagen anders lauten. Nicht der Wahrheitsge- halt steht im Mittelpunkt, sondern die Erfahrung und die Deutung des Erlebten durch die Betroffenen. Es gilt festzu- stellen, wie weit die Geschichte, die wir in Schulbüchern und in der wissenschaftlichen Literatur finden, überhaupt mit der Wahrnehmung von Zeitgenossen übereinstimmt, bzw. obund in welcher Weise sich Unterschiede feststellen lassen. 3. „Oral history" ist zum einen unerläßlich für eine regionale 1 Siehe den Aufsatz von U. Herbert: „Oral History" im Unterricht, in: Ge- schichtsdidaktik 9/1984 H.3, S. 21 1-219. Die Überlegung trifft nicht nur auf die Arbeit mit Interviews zu, sondern auch auf andere Ouellengat- tungen. 2 L. Niethammer (Hrsg.): „Die Jahre weiß mannicht, wo man die heute hin- setzen soll". Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet. Berlin/Bonn 1983, 5.21. 3 L. Niethammer:a.a. 0.. 5.97f. Schleswig-Holstein heute. 161

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LandarbeiterundGroßgrundbesitz inder WeimarerRepublikamBeispieldes AltkreisesEckernförde

Rolf Schulte

I. Vorweg:

DasLebenvonLandarbeiternstelltein vergessenesKapitelderGeschichte unserer Region dar. Die Reiseführer weisenSchleswig-Holstein als einLandmitbeachtenswertenundschö-nen Gutshöfen und Herrenhäusern aus; die, die auf diesenGutshöfeneigentlich die Hauptarbeit leisteten,bleiben dabeiunerwähnt. Ebenso wie in der touristischen Literatur findetsich in der historischenForschung wenigMaterial in bezug aufLandarbeiter.Der AufsatzkanndiesenMangelnicht beheben,schon gar nicht als umfassender Beitrag zu diesem Themagelten. Ziel des Aufsatzes ist es, anhand einer bestimmtenGegendLeben und Alltag von Landarbeitern darzulegen.

Der Aufsatz beruht auf der Auswertung von Lokalzeitun-gen, Quellenmaterial des Landesarchivs Schleswig und derEinbeziehung der wissenschaftlichen Literatur. Darüber hin-aus wurdeningrößerem Umfang Interviews,die zwischen1983und 1985 geführt wurden, berücksichtigt.

DieVerwendung derMethode der „oralhistory" (mündlicheÜberlieferung von Geschichte) erweist sich jedoch als proble-matisch, dasich die Aussagen, diesich auflange Zeit zurücklie-gende Zeitabschnitte beziehen, keine sicheren Informationendarstellen. Diese Auskünfte sind vielmehr bestimmt durchVerschiebungen zwischen Erlebtem und Gehörtem, durchAusweitungundNeugestaltung, durch Überlagerung und Ver-drängung. „Oral history" kann nicht wiedergeben, „wie eswar".1

Aus diesem Grunde werden hier mündliche Aussagen fol-gendermaßen benutzt:1. Wenig problematisch ist ihre Verwendung bei alltäglichen

Abläufen und Ereignissen. In den ca.30 geführten Inter-views erwiesen sichdieInterviewpartner als„Experten ihresAlltags".2 Da Untersuchungen, die mündliche Aussagenüber den Alltag mit schriftlichen Quellen konfrontierten,ihre hohe Zuverlässigkeit feststellten3,werden hier Inter-viewäußerungen benutzt und einbezogen, wenn derenInhalt sich durch weitere Aussagen immer wieder bestä-tigte. Hinter diesen Teilen eines Interviews wurden dieNamen der Befragten alsKürzel angegeben, da sienicht alsPrivatpersonen, sondern als typische Vertreter ihrer sozia-lenSchicht oder ihresBerufs wichtig waren.

2. Komplizierter ist die Methodeder „oralhistory"bei politi-schenEreignissen, zumal wenn die Äußerungen nichtdurchschriftliche Quellen überprüft werden können,wie es indem hier untersuchtenBereich z. T. der Fall war.

Deshalbmuß dieFragestellung für die Interpretation vonInterviewaussagen anders lauten. Nicht der Wahrheitsge-halt steht im Mittelpunkt, sondern die Erfahrung und dieDeutungdesErlebtendurchdieBetroffenen.Esgilt festzu-stellen, wie weit die Geschichte, die wir in Schulbüchernund in der wissenschaftlichenLiteratur finden, überhauptmit der Wahrnehmung von Zeitgenossen übereinstimmt,bzw. obund inwelcher Weise sich Unterschiede feststellenlassen.

3. „Oral history" ist zum einenunerläßlich für eine regionale

1Siehe den Aufsatz von U. Herbert:„Oral History" im Unterricht, in:Ge-schichtsdidaktik 9/1984 H.3,S. 211-219.Die Überlegung trifft nichtnur auf die Arbeit mit Interviews zu,sondern auch auf andere Ouellengat-tungen.2 L. Niethammer (Hrsg.): „Die Jahreweiß mannicht, woman die heute hin-setzen soll". Faschismuserfahrungenim Ruhrgebiet. Berlin/Bonn 1983,5.21.3 L.Niethammer:a.a.0..5.97f.

Schleswig-Holsteinheute.

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Geschichtsschreibung, da andere Quellen meist nicht zurVerfügung stehen. Allerdings darf und kann der sich damitBeschäftigende nicht den Anspruch erheben, eine vollstän-dige Darstellung zu vermitteln. Er muß sich daran gewöh-nen,mitLücken zuleben.Weiterhin ist „oralhistory" wich-tig,umeineGeschichtsschreibung zuergänzen,nämlichumdieder Erfahrungsdimension von Zeitgenossen.

Allen Interviewten möchte ich noch einmal herzlich danken.Die Interviews wurden bei der Übertragung ins Schriftlichegeringfügig überarbeitet. Sinnentstellungen wurden vermie-den. Die Interviews können beim Verfasser eingesehenwerden.

Zum Zwecke einer besseren Lesbarkeit wird auf häufigeBezüge zur wissenschaftlichenLiteraturverzichtet;ebensofin-densich nur die wichtigsten Werke angemerkt.

II. Alltag auf denGütern1. „Datwarein langerTach, wardat"-Arbeitund Leben1920-1930Alte Landarbeiterberichten:

„Dat war ein langer Tach, war dat. Die Futtermeister für diePferde aufdemHofmußten alserste raus,morgensumvier Uhr.Die Knechtegingen dann auch mit, misten, tränken, und dannging's zumKaffeetrinken. Abends um sechs mußten die dannnoch einmal in den Stall. Als Knechte waren wir logiert inKammers, im Torhausoder imPferdestall,mit dreiMann inderStube, hatten daBettenmit Stroh. Unsere Wäsche haben wir inder Meiereiabgeliefert, und gegessen haben wir imHerrenhausunten im Keller. Da stand ein langer Tisch, und im Sommersaßen da auchnoch die Erntehelfer, z. B. der Sattler oder derPostbote, dann warderTischimmerganz voll.DieMamsell{dieHauswirtschafterin des Gutes- R.S.) und die Hausmädchenhabengekocht; aber mit den Herrschaften kamen wir fast nie

Gutsküche eines kleinen Gutes inSchwansen mit Mamsell (rechts) undKüchenmädchen.

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zusammen, weil wir zur Küche gleich unten ins Haus gin-gen."(K.8.)

„Grütze wurde gegessen, Gerstengrütze -Buchweizengrützewar zu teuer

- und Milch dazu, abends noch Bratkartoffelnhinterher. Weihnachten 1921 lag ich im Krankenhaus wegeneines gebrochenen Arms, da kam das Dienstmädchen undbrachteein Weißbrot, das gab's das ganzeJahr nichtzu sehen.Pro Woche erhielt jeder dann noch ein ganzes Brot, ein StückKäseundeinhalbesPfund Butter;davonkonntenwir uns dannimmer etwas abschneiden. Das legten wir inunseren Spind undholten uns etwas raus, wenn wir es brauchten.

Wie ich geheiratet habe, kriegte ich eine Wohnung. VonsechsUhr morgens bis sechs Uhr abends haben wir gearbeitet, undeineinhalbStundenMittagspause hatten wir;währendder Ernte-zeit kamen wir fast immer erst imDunkeln nach Hause. Späterhaben wir dann im Winter auch weniger gearbeitet."(A.L.)

„Wir bekamen dann unser Deputat, das waren ein Ferkel,30Ztr. Korn, drei Fuder Buschholz und drei MeterHolz alsFeuerung im Jahr und zusätzlich drei Liter Milch täglich zurEntlohnung. Die Wohnung war frei, die bestand aus Schlaf-stube, Stube und Küche. Damals kriegten wir dazu noch 15Pfennig die Stunde, also 1,50Mark am Tag.4 Diejenigen, dieKatenstellen innehatten - die hießen Insten - bekamen nocheineinhalb Hektar Land und zwei Kühe zum Melken dazu,hatten aber dann keinen Anspruch auf Milch vom Hof. DasKorndeputat haben wirgleich zumBäckergegeben, derrechnetees um, und sohatten wir jeden Monat Brot. Esreichte gerade.Genausohaben wiresmit derMilchgemacht, dafür kriegten wirimMonat eineRolle Käse." (D.P.)

„Dawarnoch waslosaufdem Gut!InDamparbeiteten50-60Leute um1930, 30 Deputatisten und15-20Freiarbeiter (entwe-der Tage- oder Wochenlöhner,die nicht auf längere Zeit ver-traglich gebunden waren, R.S.), dazu noch drei Gärtner, einSchlosser, einStellmacher, einige Hausmädchen, Kutscher undDiener. 200 Kühe hatten wir damals!Heutegibt's danur nochdrei Arbeiter. " (A.L.)

Aufschlußreich ist auch die Erzählung derFrau eines Land-arbeiters, die auf dem Gut als Melkfrau mitarbeitete: „Um3.30Uhrmußte ichlos, ichsolltedochum4.00UhraufKasmarkaufder Koppel sein.

4 Angabe bezieht sich auf 1928. DerWert entsprach 10-15 Eiern.

Melkfrauen auf dem Gut KasmarklSchwansen, ca.1920.

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Da war es ja immer noch dunkel, und wir konnten dieKühegarnichtsehen. Nun hatten wir ihnen jaNamengegeben, sodaßwirsie rufen konnten, und siekamen dann wirklichangelaufen;zuersthaben wirdann diegerufen, dieam leichtestenzumelkenwaren, weil wir ja nichts sehen konnten, dann, wenn es hellerwurde, kamen die anderen dran. Auch hat es oft geregnet, undim Herbst waren die Hände oft eisig, aber es half nichts, wirwurden ja aufdem Gut nicht angenommen, wenn wir nichtmelkten. Undes gab etwas mehr Geld dazu! Um6.30Uhr mor-gens kam ich dann nach Hause; mein Mann war zwar erstseiteinerhalben Stunde aus dem Haus, aber dieKinder hatten dieStube schonganz schöndurcheinandergebracht.

Nachmittagsging's zur gleichen Zeit wieder los, von vier bissechs Uhr wurde gemolken, danahmich manchmaldie Kindermit. Wir unterstanden dem Oberschweizer, dieanderenSchwei-zer mußten auch mitmelken, ansonsten haben sie die Küheversorgt.

Es war keine schöne Zeit, eigentlich denke ich nicht mehrgernedaran.

" (A.J.)VieleMelkfrauenundLandarbeiter,diemit demViehzu tun

hatten,berichteten, daß sie trotz ihrersechstägigen Arbeitswo-che auch sonntags arbeiteten.

„Diegroßen Kinder mußten dann aufdie kleinen aufpassen,wenn die Mutter weg war. DieKinder habensich damals selbsterzogen. Dieälteste Tochter machteKaffee undauchsonst allesfertig. Sie half auch nachmittags bei den Schularbeiten; wirwaren ansonsten mehr oder weniger aufuns selbst angewiesen.Abends-nurdie Wohnstube war jageheizt- wurde ein Ziegel-stein angewärmt und in die Betten gelegt; manchmal habenmeine Eltern auch zumgleichen Zweck heißes Wasser in eineSteinhägerflasche gefüllt. " (D.P.)

,AlsJungenshaben wir obenaufdem Bodengeschlafen undhatten dort auch unseren Strohsack; die Mädchen schliefen inder WohnstubeunddieKleinen beidenEltern.Es gab auch die„Sehappbetten",indenen wirJungs zu viertoderfünf tnebenein-ander liegen konnten. Morgens habe ich dannfür denInspektor(der Gutsverwalter, R.S.) Brötchengeholt, alles barfuß, undkriegtedanneinpaarPfennige dafür. Lederschuhebekamen wirerstbeiderKonfirmation, sonsthatten wirunsereKlotschen.ImSommer ging's immer nur barfuß. Ich habe dasganze Jahr alsJunge aufdemHoffür einen Anzuggearbeitet. Natürlich habeich ihn vielzu groß gekauft, so wurde er immer neu angepaßtund umgenäht, und trotzdem hingen immer die Schultern run-ter. Wir waren schließlich neun zu Hause, und er sollte nochlange halten." (K.8.1H.5.)

„ImSommer, wenn dieSchule zuEnde war, solltendieJungsundMädchenab zehnJahrenaufdenHofkommen undDistelnschneiden; manchmal mußten sie dann auch Rüben ziehen."(G.M.)

Anzeigein derEckernförder Zeitung,April1920.

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und uns danndurch dasKüchenfenster Äpfel undanderes Obstaus dem Hofgarten zugesteckt. Wir hatten dann immer unsereSchürzen an, sodaß wir das Obst gutdarunter versteckenkonn-ten,und dannliefen wir schnellnach Hause." (M.P.)

„Nach der Konfirmation wurde ich Hausmädchen auf demGut. Um sechs Uhr ging es losmit der Arbeit, abends um zehnwaren wir meistens immer noch in der Küche, weil die Herr-schaften sehr spät erst mit dem Essen begannen. Allerdingshatten wiram Nachmittag auch zwei Stundenfrei. Die Treppenmußte ich immer mit Beestmilch einreiben (die erste, fast nurfetthaltigeMilch derKuhnachdem Kalben,R.S.), undnach-her bekam ich einfach nicht mehr dieFinger auseinander, weilsie soklebten. 21,50RMimMonat warmein Lohn." (M. S.)

2. „Optööm,optööm"oder „ja, derAbstand wurdegewahrt" -Hierarchieauf dem Gut

„Umsechs Uhr morgens waren wir alle in der Bauernstube imTorhaus versammelt. Der Vogt verteilte nundieAufgaben, unddann rief er: „Optööm, optööm", aufzäumen hieß das, unddann ging es mit den Pferden raus aufs Feld. Der Vogt kriegteseine Order vom Verwalter- auf jedem Gutgab es einen—,undüber ihm standderInspektor,der regelmäßig zum Herzoghin-ging. Meistens erstattete er montags morgens oder freitagsabends Bericht und besprach alles mit ihm. Ja, der Abstandwurde gewahrt! Für die Kühe war auch ein Oberschweizerzuständig, der auch seine Anweisungen vom Verwalter bekamund sie an die Schweizer und Knechte weitergab. Wenn wirdraußen aufdemFeld waren,stelltesich der Vogt am liebstenaufdie höchsteStelle, um alles überblicken zu können." (K.8.1H.S.)

„Der Verwalterhat unsimmer angefaucht, wenn wir über denHofplatz gingen, denn wirKindersollten dort nicht herumlau-fen, und wenn wir manchmalkeinen Knicks vor ihm gemachtund ihm nichtguten Morgen gesagt hatten, dann war aber waslos, dannhat er geschimpft, oha!Manchmal ist er auch somitdenArbeitern rumgesprungen. Manmußte damals mitdenHer-ren längskommen, irgendwie, ja!" (M. P.)

Die Beziehungen von Landarbeitern zu den Gutsbesitzernwurden indenInterviews sehr unterschiedlich geschildert:

,Arger mit Siemers (Gutsbesitzer des Gutes Grünthal inSchwansen, R.S.) hatten wirnicht. Wir machten unsereArbeit,grüßten uns. Wirhabenunsnichtdarumgequält. Er war eigent-lichkein schlechter Mann." (K.S.)

„Probleme mit dem Grafen hat es kaum gegeben. Er küm-merte sich nicht um unserepolitischen Ansichten, er konnte jaauch nichts machen, denn überall aufdenGütern gabes solche,die sozialdemokratisch dachten. Die Reventlows waren guteLeute. Der alteGrafgrüßte immer, und wenn einer mal krankwar, kam er ins Haus und guckte mal nach ihm. Unter denNachfolgern wurdeesdannanders,undbeijedemBesitzerwech-selsollte mehr gearbeitet, mehr geleistet werden." (H. P.)

„Der Graf ritt immer zu uns auf das Feld hinaus - er wardamals sehr alt-, und gab jedem von uns die Hand. Der jungefuhr bloß Auto, und wenn er nun die Straße runterfuhr, danntutete er höchstensmal." (A.L.)

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„Der Inspektor hatte einen Schreiber, der immer mit ihmmitgehen und alles mitschreiben mußte, wer welche Arbeit lei-stete. Der X. (Gutsbesitzer im Dänischen Wohld, R.S.) liefimmer mit seinem Spazierstöckehenrum, drehte es dauernd inderHandund tatsonstnichts. Während derErntesaß eraufderTreppe vordemHerrenhaus undzählte die Wagen. Abermit derPeitsche ist keiner mehr mit uns umgegangen, wie mir meinVater noch vonfrüheren Gutsherren erzählt hat." (G.M.)

„Um die Landwirtschaft haben sie sich kaum gekümmert,aber Ahnung davon hatten sie trotzdem.

" (K.B.)

Auf die Frage, warum es häufig Besitzerwechsel auf denGütern gegeben habe, antworteten fast alle Interviewtenein-mütig; eine Aussage sei hier stellvertretend zitiert:

„DieHerren haben über ihre Verhältnissegelebt, diemeistenGüter hättengutexistieren können. Früher, im19.Jh., wurdennochganzeHöfebei KartenspielalsEinsatz vergeben, das warallerdings inmeiner Zeitnicht mehr der Fall." (H.P)

Wie weit jedoch die Verhältnisse auf denGütern inderhierbeschriebenen Gegend sich von denen in Mecklenburg und

Herrenhaus des Gutes Saxtorf mitGutsbesitzerfamilie im Vordergrund.Rechts stehtderChauffeur in Uniform,ca.1910.

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Pommern unterschieden,deutet eine Aussage eines ehemali-gen Gutsverwalters aus Brandenburg an, der häufig in Schles-wig-Holstein verweilte und sich auch innerhalb der SPD fürLandarbeiter engagierte:

„Wie ich nun nach Schleswig-Holstein kam, mußte ich vorallem eins feststellen, was mich sehrerstaunte. Die „Strafanstal-ten"- ich nenne sie mal so-, die ich aus Mecklenburg kannte,gab es hier nicht, sondern hier wurde menschlicher mit denLandarbeitern aufden Gütern umgegangen." (G.H.)

3. „Wochenends warimmer was los" -Feste

Bei der langen Arbeitszeit von Landarbeitern kann man inbezugaufden verbleibendenRest der freien Zeit anArbeitsta-gennichtvon „Freizeit"reden.DieKindermußten -wiehäufigberichtet - schon um sechs Uhr abends ins Bett, die Elternfolgten nach dem Abendessen. „Freizeit" spielte sich - wennüberhaupt -an Wochenenden oder auch anFesttagen ab:

Weihnachten war ein herrliches Fest. Auf dem Tisch waralles zugedeckt, undjedervonunsneunKindernmußte danneinGedicht aufsagen. Damals bekam ich eine Mundharmonika!"(H.S.)

„Wir wurdenauch vomHerzogbeschenkt, dagab esz.B. eineMütze oder Schürze, nichts Großes, aber jederbekam etwas. ImHerbstgingdieKrankenschwester vonder Gutsverwaltungrum,notierte sich dann die Maße, und die alten Tagelöhnerfrauenhabendanngestrickt. Indergroßen Halle imHerrenhausbeka-men wir dann kleine Geschenktüten. DieMägde hatten zu derFeier auch Kuchen gebacken. Der Herzog hatte das alles sofestgelegt." (D. P.)

Das Erntedankfest trat bei denInterviewten inder Erinne-rung stark zurück und wurdeseltenohne Nachfrage erwähnt.

„DieMägdehabenoben imHerrenhausgewohnt. Wir warfendann manchmal Sandan die Fenster, denn raufschleichen warvom Inspektor streng verboten worden. Dann kamen die oftauch runter, und wirsind spazierengegangen. Hieram Ort gabes einen Tanzsaal, und wochenends war immer was los. DieKyffhäuser5 oder die Feuerwehr veranstalteten dort oft etwas.ImSommergab es noch denMaiball, und derMaibaum wurdeaufgestellt; da wurdeauch vielgetanzt...1934haben wir danngeheiratet." (K.B.)

Fast alle interviewten Eheleute hatten auf einem Gut gear-beitetund sich dort kennengelernt. Ihre Kinder blieben nur inwenigen Fällenauf den Gütern, sie wandertenmehrheitlich inStädtewieEckernförde,KieloderHamburg abundversuchtendort inIndustrie oder im Handwerk Anstellungen zu finden.

5 Kyffhäuser: Zusammenschluß vonehemaligen Soldaten,gegründet 1898.

4. „1954kam derMähdrescher, der hatalles geändert"-landwirtschaftlicheTechnik aufdenGütern

„Inden20erJahrengab es noch keine Selbstbinder (Maschine,die das geschnittene Getreide gleich in Garben bindet, R.S.)und Grasmäher. Wir mußten noch alles mit der „Leh" (derSense,R.S.) schneiden, unddieFrauen mußten binden. Auchwenn es amnächsten Taggoß, gingen wirdannrausundhocktendie Garben um. Da waren wir naß, aber es gab kein Pardon.Später kam dann der Ableger (Maschine, die das Korn schonschnitt, es aber in ungebundenen Garben abwarf, R.S.).

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Lokomobile imDrescheinsalz in Holt°e IDan. Wohld, ca.1910-20.

Anzeigein der Eckernförder Zeitung.April 1898.

EinSelbstbinder mit dein ersten Traktor des Gutes imEinsatz, ca. 1932.

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Anfangder30erJahrehattenwirdannauchdenSelbstbinder. Soum 1932 wurde vom Gut dann der erste Traktor, ein Lanz-Bulldog, gekauft; der hattenochEisenbereifung undmußte miteinem Schwungrad angeworfen werden.

ZumDreschengab es früher dieLokomobile. EinMaschinistwurdeextra eingestellt, undeinHeizer kamnochdazu, weilderKessel noch mitHolz geheizt werdenmußte. Im Winter wurdedann gedroschen, und die Scheunen, diese unheimlich großenScheunen, warendannvoll. Das war vielleichtstaubig, undallesklebte am Körper!Auf den kleinen Gütern und den Höfenwurdediese Arbeitnochmit denDreschflegeln gemacht, manch-mal auch noch mit dem Göpel (eine halbmechanische Kon-struktion, in der die Schlagleisten der Stiftendreschmaschinedurchein imKreis laufendes, angezäumtes Pferd mittels einerÜbersetzung angetrieben wurde, R.S.). Häufig kam auch einLohndreschermiteinerLokomobileundbliebzwei WochenaufeinemHof,bisallesgedroschen war.Dann zogerzumnächsten.

1954 kam der erste Mähdrescher, der hat alles verändert."(H.S.)

EinLokomobil, das zum Pflügen ein-gesetzt wurde. Die Aufnahme stammthöchstwahrscheinlich nichtaus Schles-wig-Holstein, ca.1910.

III. LandarbeiterundGroßgrundbesitz-eineZusammenfassungzur Alltagsgeschichte

Große Gutswirtschaftenkennzeichnetennochinden30er Jah-ren größtenteils die ökonomische und soziale Struktur derLandschaften östlich der Elbe. Dieser Großgrundbesitzerstreckte sich auf Mecklenburg, Pommern, Ostpreußen undauch auf Teile Schleswig-Holsteins, wie die Karte unten aus-weist

Die Güter des AltkreisesEckernförde- der indiesem Auf-satz untersuchtenRegion-unterschieden sich allerdings in derGröße von den Betrieben Ostdeutschlands, indem sie seltenüber 400h Areal verfügten. 6

InDeutschland gab es 1925 noch ca. dreiMillionenLandar-beiter, die hauptsächlich in den obengenannten Gebietenarbeiteten. Die Kapitalisierung der Landwirtschaft im 19.Jh.hatte zwar die Wirtschaftsweise der Güter verändert, nichtaber traditionelle Sozialstrukturen, Hierarchien und Einstel-lungen aufgesprengt, so daß diese nach wie vor den Alltagprägten.7So blieb derGutshof trotz derpolitischenRevolution1918/19 mit Einschränkungen als „Herrschaftszentrum" (MaxWeber) bestehen.DieseKontinuität zeigte sich schonalleinander formalen Weiterexistenz des Gutsbezirks als Verwaltungs-einheit bis 1927, in dem der Gutsbesitzer als BetriebsleiterautomatischauchdieFunktiondes Gemeindevorsteherswahr-nahm.

6 Zu Pommern siehe auch: C. Grafvon Krockow: Die Reise nach Pom-mern, Stuttgart 1985, S. 25-171.7 Siehe auch: J.Flemming: Landwirt-schaftliche Interessen und Demokra-tie.Bonn1978,S. 11f.

Ausbreitung des gulswuischaftlichenSystems inSchleswig-Holstein zu Endedes19. Jhs.

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Diese Diskrepanz zwischen dem Standder Modernisierungder Landwirtschaft und der Fortdauer überkommener Sozial-strukturenund Verhaltensweisen wird auch in denInterviewsdeutlich:

Die Gutsbesitzer werden nochin den30er Jahrenhäufig als„Herrschaften" bezeichnet, die „Herrenhäuser" blieben fürGutsabhängige einTabubereich und waren nur Privilegiertenzugänglich;persönlicheBegegnungen zwischen GutsbesitzernundLandarbeitern spielten sich nachfestgelegten Musternab.So betonten viele Gutsbesitzer ihre herrschaftliche Stellung,indemsie,zuPferdesitzend, vonobenherabmit ihrenLandar-beiternsprachen. Das Weiterbestehen einer Untertanenmen-talität,diezwarnichtbeiLandarbeitern,aberdochbeianderenGutsabhängigen bestand, wird auch in folgender Äußerungdeutlich. Ein ehemaliger Knecht berichtet aus der Zeit von1920-30:8

„Wenn der Herzogsonntags zur Kirche fuhr, da standen diePachtbauern an derStraße undmachteneine Verbeugung, wenner vorbeikam, egal ob es schneite, regnete oder kalt war. WirLandarbeiter machten das nicht, wir waren radikaler gewor-den." (K.S.)

Eine stark ausgeprägteHierarchie war typisch für den Guts-betrieb. Die Gutsbesitzer kümmerten sich im allgemeinenwenig um die konkreten Belange des Gutes. Die eigentlicheLeitung lag in der Hand des angestellten Inspektors oder desVerwalters, der wiederum den Vogt oder den Oberschweizeranwies; diese gaben die Anordnungen an die Landarbeiteroder das Dienstpersonal weiter.

Die unterschiedlichenLebensstile werden inden Interviewsdeutlichbeschriebenundkommen ebensoin folgendenBildernzum Ausdruck:

8 Die Äußerung wurdeineinem ande-ren Interview bestätigt. PachtbauernwarenLandwirte,die zurBewirtschaf-tung eines Hofes Land vom Gut ge-pachtet hatten.

Herrenhaus des Gutes DamplSchwan-sen. Der Kerndes Hauses wurde 1595gebautund um1700 nach denkünstle-rischen AspektenderEpocheumgestal-tet. Das Zentrum des Gebäudes wirdvon einer neun Meter hohen, durchzwei Stockwerkegehenden undreich-lichverziertenHallegebildet;sie wurdeals Repräsentationsraum,HauskapelleundMusiksaalgenutzt. ImSaal isteinmächtiger Orgelprospekteingebaut;ander Deckebefinden sich Plastiken vonMusikengeln, vondeneneinerdie Auf-schrift trägt:Non plus ultra. Das Ge-bäude wirkt im Vergleich zu anderenHerrenhäusern der Gegend eher be-scheiden.

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Die Beziehungen zwischen Gutsbesitzern und Landarbei-tern waren offenbar von einem starken traditionellenPatriar-chalismusgeprägt, der sich sowohl durchHerrschaftsanspruchals auchdurch sozialeFürsorge ausdrückte. DiesesPrinzip wargerade dort zubeobachten, wo das Gut sich seit langer Zeit imBesitz der gleichen Familie mit bewußter Tradition befand.Der Patriarchalismus läßt inden40er Jahren offensichtlich miteinem Wechsel in der Gutsbesitzergeneration nach; an seineStelle traten nach den Aussagen von Landarbeitern reineArbeitsbeziehungen. Starke sozialeKonflikte-mit AusnahmevonLohnauseinandersetzungen -wurdenindenInterviews fürZeiträume vor diesem Wechsel in den 30er Jahren kaum er-wähnt.

Mamsell, HausbediensteteundDiener-schaft des Gutes AltenhoflDan. Wohldaufder Treppe des Herrenhauses, ca.1930. Diesesriesige GutgaltnachAus-sagenderinterviewtenLandarbeiteralssehr beliebt, da die Gutsbesitzerfamilieaufgute Beziehungen zu ihren Arbei-ternachtete.

Landarbeiterhaus des Gutes Doro-theenthal bei Damp. Das Gebäudewurdeum 1900gebautund warfür sei-ne Zeitrecht modern. In ihm mußtenallerdings 3 Familienunterkommen.

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ImLandesarchivSchleswig liegen dagegen Aktenderdama-ligen Landräte, die gehalten waren, sämtliche Arbeitskämpfeund deren Ursachen aufzunehmen.Diese Dokumente weisenauf sporadisch auftretende, aber doch teilweise sehr heftigeAuseinandersetzungen hin, in denen sogar von GutsbesitzernPolizei angefordert worden war.9

DieseKonflikte finden sichkaum indenInterviews, dahierdieBeziehungen zudenGutsbesitzernfastdurchweg alspositivgeschildert wurden.

Die Aussagen von Landarbeitern müssen also durch dieBerichte der Landräte relativiert werden. Zu fragen ist, wiesich diese Diskrepanz erklärt. Ohne an dieser Stelle alleVariantenderInterpretation durchzuspielen,erscheint mir fol-gende doch am wahrscheinlichsten: Der Grund für die derartgegebene Darstellung könnte darin zu finden sein, daß dieInterviewten noch heute in der Nähe der von den gleichenGutsbesitzerfamilien geführten Betriebe wohnen und unbe-wußt bestimmte Erinnerungen wegschieben, umnicht inKon-flikt mit ihnenzu kommen. Sicherlich sind dies verständlicheGründe.

Ebensomuß für die Erklärung die bereits erwähnteBeson-derheit Schleswig-Holsteinsunddaspatriarchalische Prinzip inBetracht gezogen werden, da hier der „schroffe Kommando-ton" (FranzRehbein)10derGüter Ostdeutschlands nichtüblichwarunddieBeziehungen zwischen GutsbesitzernundLandar-beiternsich harmonischer abwickelten.11

Arbeit- fastohne Anfang undEnde-prägtedasLeben vonLandarbeitern, für die der in der Weimarer Republik festge-setzte 8-Stunden-Tag nach wie vor nicht galt. IhreEntlohnungerfolgte-ebenfalls wieimKaiserreich-zu80% inNaturalien,dem sogenannten Deputat. Dieser besonderenForm derEnt-lohnung entsprach der geringe Grad der Geldzirkulation aufden Gutshöfen,welcher die Verhältnisseauf dem Land auchdeutlich von deneninder Stadt abhob. Abgesehen von weni-genKonsumgütern lebte eingroßer Teilder Gutsabhängigenin

9Landesarchiv Schleswig, Abt. 309/10746.10 F. Rehbein: DasLeben eines Land-arbeiters,Berlin1911, neuhrsg. vonU.J. Diederichs und H.Rudel,Ham-burg1985. 5.93.Rehbeinarbeitete sowohl inPommernalsauch inHolsteinauf einem Gut.Erführt in seinem Bericht die Unter-schiede in beiden Regionen genaueraus.1928 wies der preußische Landwirt-schaftsminister Steiger (Zentrum) alleuntergeordneten Stellen an, Gerüch-ten über Mißhandlungen von ländli-chen Arbeitnehmern offiziell nachzu-gehen. Er warzudiesemSchritt veran-laßt worden, nachdem er Kenntnisseüber Mißachtungen der menschlichenWürde und körperlichen Züchtigun-gen auf Gütern im östlichenDeutsch-land erhaltenhatte und die betroffe-nen Landarbeitersich aus Angst voretwaigenRepressalienweigerten,An-zeige zu erstatten.Siehe: F.Hering: Die Landarbeiterund ihre Gewerkschaften, in: Schrif-ten des DLV 24/1929, 5.91 (Doku-mententeil).11 DiesesallgemeinePrinzipwurdena-türlich in einzelnenFällen durchbro-chen, wasin folgendemArbeitsvertragausder hieruntersuchten Gegendsehrdeutlich zum Ausdruck kommt:

Vertragzwischen dem Gutsbesitzer X aus W.und dem landwirtschaftlichen Arbei-terH.H. undder landwirtschaftlichenArbeiterinP.A.

Er verpflichtet sich,sämtliche land-wirtschaftlichen Arbeiten gewissen-haft und pünktlich auszuführen. ImBedarfsfallhater einGespann Pferdezu übernehmen. Wenn nötig, hat erauchdie ArbeitimKuhstall zu verrich-ten. Das Mistender Kühe ist abwech-selndmit den anderenTagelöhnernzuübernehmen. Er verpflichtet sich,stetsRuhe undFrieden zuhalten.Sei-ne Frau hat das Melken zu überneh-men, und wennkeinMelkenvorliegt,imBedarfsfall zur Arbeit zukommen.Kündigungsfrist sechs Monate. An-trag aufBefreiung vonden Beiträgenzur Erwerbslosenfürsorge muss ge-stellt werden.(ca. 1928) Arbeitnehmer und FrauArbeitgeber.Siehe F.Hering: a.a.0.,S. 84

Landarbeiterhausfür zwei Familien.Das Haus - die Aufnahme entstand1908 - warfür die damaligen Verhält-nisse recht modern. Vorne links istnochdieEinzäunung für dasDeputat-schwein zu erkennen. Die Landarbei-ter des Gutes hatten eigenes Garten-land; die im Vordergrund sichtbareEinsaatschnur läßt hierauf schließen.

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hohemMaße in Selbstversorgung oder von denErträgen desGutes.DasDeputat, das auch dieWohnung einschloß, bedeu-tete für Landarbeiter auch eine weitere Abhängigkeit vomGutsbesitzer, denn eine Entlassung zog automatisch auch diesofortige Kündigung des Wohnverhältnisses nach sich.Hierinlag seitensder GutsverwaltungeineMöglichkeit,im Konflikt-falle auch indirekt Loyalität zu erhalten.

Bargeld blieb beiLandarbeiternimmer knapp. DieGeldaus-gaben mußten genau abgewogen werden12,da z. B.ein halberLiterBier inder Gastwirtschaft den Gegenwert vonzwei Stun-den Arbeitszeit darstellte. 1928erhieltenLandarbeiter immernoch dieHälfte des Einkommens von Industriearbeitern undstanden in der Lohngruppierung auf einer der unterstenStufen:13

Die wirtschaftliche Situation der Landarbeiter hatte sich imVergleich zum 19.Jh. graduell verbessert.14

In denAugen eines Metallarbeitersaus Kiel,der häufigmitLandarbeitern aus dem Kreis Eckernförde zusammenkam,klingt der Konttast zwischenStadt und Land noch an:

„DieLandarbeiter lebtennichtallgemein imElend. Siehatteneinfache 2-Zimmer-Wohnungen mit Stall, nicht eigentlichschlechterals unsere inder Stadt, aber besseres Essen, siekonn-ten sich ja ihr Schwein halten. Ihr Leben war aber äußersteinfach, die Unterkunft sehr schlicht, Strohsäckehattensie zumSchlafen, kaum Bilderschmuck an denWänden, höchstensmaleinFoto als Soldat.

" (J. B.)Die äußerst beengten und unhygienischen Wohnverhält-

nisse, in denen viele Landarbeiter des 19.Jhs. leben mußten,hattenbis tiefinbürgerliche KreisehineinMißbilligung hervor-gerufen. ImKreisEckernfördewurdendie Mißstände schließ-lich sogar von einem Vertreter der Gutsbesitzer als solche

12 Im Frühjahr 1919 druckte die Ek-kernförder Zeitung folgenden Leser-brief ab: „...Für einen einfachenDrillichanzug muß ich allein 34Mk.bezahlen. Das ist ein Stück -undnurfür mich. FrauundKinderwollenauchgekleidet sein. Es muß doch jedemvernünftig Denkenden einleuchten,daß ich mit einem Barlohn von2,soMk.denTag unmöglichdieuner-schwinglich hohen Manufakturpreisebezahlenkann...Es wäresehr ange-bracht, dem Landarbeitereinige Ton-nen Land und die Möglichkeit zu ge-ben, sich eine Kuh zu halten. Dannwürde er seiner Arbeit mit Lust undLiebenachgehen und in gleicher Wei-se auchimErnstfall für denSchutz desEigentums der Gutswirtschaft eintre-ten. Einer für viele G.J. in W." (EZ17.4. 1919).Zu beachten sind für die Interpreta-tion derAussageauch die erheblichenPreissteigerungen kurz nach dem1.Weltkrieg.

13 Schriften des DLVI9: VorstanddesDLV: Die Lage der Landarbeiter undLandarbeiterinnen in Deutschland,Berlin1928, Tabelle 6.14 Zur sozialen Lage von Landarbei-tern im19.Jh. siehe:Franz Rehbein:a.a.0.,S.98t,auch: H. Rudel: Land-arbeiter und Sozialdemokratie1872-1878, Diss. phil. Hamburg 1984(Masch. Sehr.),undebenso:H.Schlü-ter:DiewirtschaftlicheLagederLand-arbeiter im Kreis Eckernförde von1880-1900, in:Jahrbuch der Heimat-gemeinschaft Eckernförde 41/1983,S. 225-243.

Stundenlöhne in Schleswig-Holstein1924-27.

Stundenlohn der Bauhilfsarbeiter.Gesamtstundenlohn der Deputatar-beiter.Deputatstundenlohn der Deputatar-beiter.Barstundenlohn der Deputatarbeiter.

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anerkannt.15 ImLaufeder Weimarer Republik hatte sich derZustandder Wohnungen -unterstützt durchstaatlicheHilfe-verbessert;sie blieben aber immer noch sehr bescheiden.

Auffällig in denInterviews mit Landarbeiternist die geringeResonanz auf die Weltwirtschaftskrise 1929-33, die sonst injedem Gespräch mit damaligen Industriearbeitern im Mittel-punkt steht. IhreAuswirkungenauf dieLebensverhältnissederLandarbeiterschaft waren offenbar im Vergleich zu denen inder Industrie und im Handwerk Beschäftigten gering. Warenletzterehäufig inihrermateriellenExistenzbetroffen,so führtedie Agrarkrise einerseits aufgrund der in Schleswig-Holsteinnoch andauernden patriarchalischen Verhältnisse, die eineFürsorgepflicht einschloß, andererseitsaberauchaufgrund desgeringen Mechanisierungsgrads der Betriebe nicht zu Entlas-sungen. Unabhängig vom Ertrag wurden die Arbeitskräftebenötigt, so daß Kündigungen selten waren. Darüber hinausführte das auf einem Deputat beruhende Entlohnungssystemzu einem geringeren Einbruch in dem ohnehin niedrigenLebensstandard. Die Versorgung mit lebensnotwendigenGütern war, unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, gesi-chert; damals als Luxusgüter eingeschätzte Produktestandenschon zuvornicht für einenKauf zurDiskussion.DieMechani-sierung trat inden 30er Jahren nur zögerndein.Es wird nochviel über Handarbeit berichtet; der eigentliche Brucherfolgteerst inden Anfangsjahren derBundesrepublik mit derEinfüh-rung des Mähdreschers.Er ersetzte insgesamt 8 Arbeitsgängebei der Ernte, die bisher von Landarbeitern geleistet werdenmußten. Die Verwendung des Mähdreschers kennzeichneteauch die Strukturveränderung der Landwirtschaft, inder sichab1955 eine tiefgreifende Modernisierung vollzog. Sie wird inden Interviews deutlich als Einschnitt empfunden. DieseEnt-wicklung ist heute zu einem vorläufigen Ende gekommen.Geblieben sind nur die äußeren Rahmen der Güter: große,modernisierte landwirtschaftliche Betriebe, die häufig nurnoch vomGutsbesitzer selbstbewirtschaftet werden. Auf demgroßen GutDamp sindheute imGegensatzzuden30er Jahrennichtmehr 60,sondern nurnochdreiLandarbeiterbeschäftigt.

"Rede desGutsbesitzers Henneberg,

in: EckernförderZeitung vom20. 12.1918.

Instenehepaar vor ihrer Kate inSchwansen. Die Familiehatte die Er-laubnis, zweiKühe neben derBeschäf-tigungfür dasGutzuhalten.Das Haushatte dreikleineZimmer, derRest wur-de für Stall und Kornspeicher ge-braucht (1925).

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IV. Wie ist dieGutswirtschaftentstanden?-Historisches

Am Ende desMittelalters befanden sich zahlreicheDörfer inSchwansenund demDänischenWohld. DasLandverteiltesichinverschiedene große Hufen um das Dorf herum und war ineine Grundherrschaft eingebunden, d.h. Grund und Bodenwurden von einem Grundherrn an seine Hintersassen gegenNatural-oder Geldabgaben verpachtet. 55% derSchwansenerHufenunterstanden dem örtlichenAdel, 26% der Geistlich-keit- demBischof vonSchleswig- undder Rest dem Landes-herrn.Einige wenige Herrensitze, z.B. Saxtorf oder Ludwigs-burg, waren indiese dörflicheAgrargesellschaft eingegliedert.Die Hufen in einem Dorf konnten mehreren Grundherrengehören,da Streubesitz die Regel war.16

Ab 1500 versuchte der Adel seine Hufen in den DörferndurchTausch und Kauf zu konzentrieren. Die vormals selb-ständigenBauern wurdenzunehmend in die adlige Eigenwirt-schafteinverleibt,ihrLandzum Gutslanderklärt,dieGerichts-herrschaftüber sieerlangt; sie wurdenschrittweise zuLeibeige-nen. Die Reformation, die die Auflösung des Kirchenlandesnach sich zog, verstärkte diesen Prozeß: Viele Dörfer ver-schwanden, z.B. Bienebek, Maasleben, Hemmelmark inSchwansen,Noer und Jellenbek im DänischenWohld, anderelöstensich inihrer alten Struktur auf.

Beispielhaft ist die Entwicklung des Gutes Gereby (heuteKarlsburg), die auch die Rolle des Zwangs bei der Niederle-gung vonDörfernzeigt.17

1592 besaß nun z.B. das Geschlecht der v. Rantzau71, dasder v.Ahlefeldt 53 solcher Güter in Schleswig-Holstein. Um1750 beherrschten 15 Gutswirtschaften fast das gesamteSchwansen.

In der Gutswirtschaft konzentriertesich Grund-,Leib- undGerichtsherrschaft; sie war zur privaten Territorialherrschaftgeworden. Die größten Güter in Schwansen - Saxtorf undLudwigsburg - umfaßten eineFläche von7000ha (1692) bzw.3500ha.

Diese Ausdehnung der Gutsherrschaften, die für alleGebieteöstlichder Elbe charakteristisch war, hingmit günsti-gen äußeren und inneren Bedingungen zusammen. GuteTransportmöglichkeiten durch die Lage am Meer und diegeringe Bevölkerungsdichte spielen ebenso eine Rolle wiedieTatsache, daß die ostelbischen Ritter ihre politische Machtuneingeschränkt behauptenkonnten, da die ostelbischenBau-ernnicht vom Bauernkrieg 1525erfaßt wurden.18

Von 1790-1800 hob der schleswig-holsteinische Adel imZuge der dänischen Agrarreform die Leibeigenschaft aushumanitärenundbetriebsinternenGründen -dieBewirtschaf-tungmit Leibeigenen war nachweislichunrentabel geworden-freiwillig auf.Die Gutsherrschaften wurdenzu Gutswirtschaf-ten. Ein Teil des Bodenareals verblieb dem Haupthof, einweiterer Teil wurde zuselbständigen Nebenhöfen,sogenann-tenMeierhöfen,gelegt und der letzte Teil in Erb- oder Zeit-pacht an Bauernvergeben.

Im Gegensatz zu der preußischen „Bauernbefreiung" ver-kleinerte sich die Fläche des Großgrundbesitzes in Schleswig-

16 Die Entwicklung ist gut dargestelltbei: U.Bonsen: Die Entwicklung desSiedlungsbildesundderAgrarstrukturder Landschaft Schwansen vom Mit-telalterbiszur Gegenwart,Kiel1966,S.120-293, auch bei: D.Degn: DieGrundbesitzverhältnisseinSchwansenim Laufe der letzten Jahrhunderte,Geographische Rundschau 1 (1949),S.147f., und C.Kock: Volks- undLandeskunde der Landschaft Schwan-sen,Heidelberg 1912.Die Ausführungen indiesem Kapitelbeziehen sich auf diesedrei Arbeiten.17 G. Westphal: Vom Dorf zum Gut,vom Gutzum Dorf-das Gut Gereby-Karlsburg, Kiel 1954, S. 21.

18 Vgl. auch zum folgenden: E.BussemlM.Neher: Arbeitsbuch Geschieh'te Neuzeit1,München 1976,S. 40-51.

Entwicklung des Gutes GerebyaufKo-sten des Landes verschiedenerDörfer.Die DörferGerebyundRinkenis wur-den vomGutsherrn aufgelöst.

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Holstein durch die Agrarreform. Das Gut Saxtorf z.Bumfaßte im19.Jh. aber immer noch600ha.

Indie Reihen der Gutsbesitzer traten nun auch Bürgerlicheein,dienach Anlagemöglichkeitenihres inIndustrieundHan-delerworbenenKapitals suchten.EinGroßteil deralteingeses-senen Adelsgeschlechter verlor in jener Zeit die Stammgüteraus finanziellen Gründen.

Ein Teil der Leibeigenen wurde nun zu ländlichenLohnar-beiternund verarmte im19.Jh. stärkerals zu früheren Zeiten,da die rechtliche Befreiung eher eine Verschlechterung dersozialen Lage bedeutete.19

InunserenHeimatbüchern gibt es leider kaumMaterialüberdie Lage von Landarbeitern, obwohl die Zeit der Leibeigen-schaft dort genügend Berücksichtigung findet.20

Stellvertretend sei hier nur die Aussage eines interviewtenLandarbeiters wiedergegeben, der sich an seine Kindheit um1910 inOsdorf/Dän.Wohld erinnert:

„Wir wohnten in einer alten Kate, die Stube bestand ausgestampftem Lehm, eine Schlafstubegab esnicht.ZumSchlafenwurdeeine kleinequadratischeMauerhochgezogen, indieStrohhineinkam. Dort haben wir alle geschlafen. Die Lehmdielenwurdenausgefegt undmit weißem Sandüberstreut, undüber dasUngeziefer wurdeman nichtmehrHerr.Lichtgab es nicht,eineZeitung konntensichmeineElternnichtleisten, mit derDunkel-heitging es insBett...Die Herrensind damals mit Luxuskut-schen den Weg entlang gefahren, und die anderen kamen vorHungermanchmal nicht in den Schlaf.

" (H.P)Obwohl die Leibeigenschaft abgeschafft war, bestanden

einige feudale Rechte des Gutsbesitzers weiter bis 1918. Bis1853 blieb die Gerichtsbarkeitbestehen, bis1888dasRechtaufErhaltung der öffentlichenRuheund Ordnung,bis 1906 bzw.1867 das Recht auf Ernennung des Lehrers bzw. des Pastors.Der Gutsleitung standweiterhindasRecht auf Verwaltung desGutsbezirks zu, d.h. der Betriebsleiter war gleichzeitig Amts-vorsteher. Allerdings blieb auch diePflicht zur Armenversor-gungerhalten.21

Außerdem hatte eine Gesindeordnung nach wie vor Gel-tung, deren juristischerKommentar hier zitiert wird:22

„Zum Gesinde gehört nur, wer der Herrschaft persönlichunterworfen ist. Nach denMotiven soll diepersönliche Unter-würfigkeit des Gesindes gegen die Herrschaft ein hauptsächli-cher Teildes Dienstverhältnisses' sein...DiePerson,nichtnurdie Arbeitskraft des Gesindes, ist derHerrschaft unterworfen;freilich nichtindem Sinne,daß dieHerrschaft das GesindezurErfüllung ihres Willens auchohneHilfe der öffentlichenGewaltnötigendürfte, sondern nur indem Sinne, daß das GesindeauchinpersönlichenAngelegenheiten, wie inder Artder Ernährungund Kleidung, in der Wahl des Verkehrs, in dem Verhaltenaußerhalb der eigentlichen Arbeitszeit, an Weisungen derHerr-schaft gebunden ist."

Die Gutswirtschaften blieben somit weiterhin „Staat imStaate", die alten herrschaftlichenStrukturen dauertenan.

In der deutschenRevolution1918hob der Rat der Volksbe-

19 F.Rehbein: a.a.0., 5.92f.,H. Rüdcl: a.a.O.20 Ausnahme ist: H. Schlüter: a.a.O

21 Nach: G. von Hobe-Gelting: Dierechtliche Stellung der Güter Schles-wig-Holsteins, phil. diss., Kiel1974.22 W. Frormann: Die schleswig-hol-steinischeGesindeordnung,Kiel1907,S.4f,

Beispiel eines Gutsverkaufs (Eckernförder Zeitung5. 4. 1893).

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auftragten -dieprovisorischeReichsregierungbis zur Wahl derNationalversammlung 1919 - die Gesindeordnung auf, setzteaber keine kommunale Selbstverwaltung durch. Die Gutsbe-zirke als Verwaltungseinheiten konnten erst1927 nach hartenAuseinandersetzungen mit denkonservativen Parteienaufge-löst werden.

Das 1919 verabschiedete Reichssiedlungsgesetz, das eineBereitstellung von10% derFläche einesGroßgrundbesitzes anSiedler vorsah, änderte an der Besitzstruktur Schwansenskaum etwas,daman durchUmwandlung vonZeitpachtverträ-gen inEigentum dem Gesetzgeber Genüge leistenkonnte.Die„Höfebank",eineBank,diedieAnsiedlung vonLandarbeiternfördernsollteundgesetzliches Vorkaufsrechtinnehatte, kaufteinden30erJahren lediglich einige Güter zur Parzellierung auf.

Das Gutslandblieb im wesentlichenunangetastet,noch1949gehörte 45 % der Gesamtfläche Schwansens den Großbe-trieben.

Die RegierungDickmann (SPD) beschloß 1949 einesozialeNeuordnung auf dem Lande durch Umverteilung alles über100ha hinausgehenden Grundeigentums. Die Initiative zueiner Agrarreform war von der britischen Militärverwaltungausgegangen, die gemäß dem Potsdamer Abkommen auf eineEnteignung des Großgrundbesitzes drang.

Bereits1949 waren30000hadurch staatlicheZahlung aufge-kauft und hauptsächlich an vertriebene Landwirte aus demOstenvergeben worden.

Als 1950 nach der Landtagswahl die CDUmit ihrenKoali-tionspartnern über eine absolute Mehrheit in Schleswig-Hol-stein verfügte, wurde diese begonnene Agrarreform einge-stellt.

Wie sieht ein typischerGutshof aus?-Bauliches

DieräumlicheStruktur der Gutshöfeblieb im20.Jh.bestehen.Im Mittelpunkt standdas Herrenhaus,das sich häufigaus demAdelssitz desMittelaltersentwickelt hatteund deswegen nochoft Merkmale einer Wasserburg trug. Im 18.Jh. waren dieseHäusernachGesichtspunkten derRepräsentationundkünstle-rischen Aspekten der Epoche umgestaltet worden.23

Rechtsund linksmit AbstandzumHerrenhausbefindensichdie riesige Kornscheune bzw. dasKuhhaus,zumeist imrechtenWinkel. Den Abschluß des viereckigen, symmetrischenHofraums bildet oft einTorhaus mit Portal.

23 Dieser, wie der historischeTeil, be-zieht sich auf die Arbeit von U. Bon-sen:a.a.0.,S. 186-190.

Luftaufnahme des Gutes Krieseby(Aufnahme:Landesamtfür Denkmal-pflege Kiel, freigegeben unter SH 914--31).

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Die im 18./19.Jh. abgetrennten Meierhöfe behielten dieAnlage der Güter bei; die Herrenhäuser wurden allerdingseinstöckig und kleiner gebaut, ein Torhaus fehlte gänzlich.Trotz des kleineren Areals werdendiese Höfeheutenoch alsGüter bezeichnet und als solche auch in die Darstellung miteinbezogen.

Das Dienstpersonal wohnte innerhalb des Gutes, dieKnechtehattennochinder ZeitderWeimarer RepublikhäufigZimmer imPferdestall. Die Landarbeiterwohnungen lagen inder Regel außerhalb des Hofraums in der Nähe des Gutes.

V. „Einergingzu demNeuen hin, und dersollte gleich 'rin" -derDeutscheLandarbeiterverband

,/dlemußten da rein beiuns inDamp, mußten natürlich nicht,aber einer gingzudemNeuenhin, unddersolltegleich 'rin. DerKassierer hat das alles geregelt, hier waren wir fast alle in derGewerkschaft, Landarbeiterverband nannte sich das damals.

"(A.L.)

„Esgab bei uns inSchwansenfünf Ortsgruppen der Gewerk-schaft, in Angeln dagegen nur eine auf dem GutRundhof; dieBauern ließen sich ja nicht organisieren. Im Sommer in derErnte hatten wir alle zwei Monate Versammlung, im Winterjeden Monat in der Gaststätte im Dorf, jeden Sonnabend imMonat, und die waren meist gut besucht. Es ging dann fastimmer um dieArbeitszeitund dieLöhne,weilwirLandarbeiterneben dem Deputat kaum Bargeld bekamen. Wenn z. B. einerkrank war, bekam er Krankengeld, mußte aber das Deputatbezahlen, dablieben nur 50Pf.pro Tag übrig. Davonsollte ernunmit seiner Familie leben." (H.P.)

Die Interviews spiegeln die große Bedeutung, die dieGewerkschaft für Landarbeiter hatte, wieder. Sie wird zudemerst mit der Weimarer Republik in Verbindung gebracht,obwohldieGründung schon1909erfolgte. Das Gewerkschafts-lebenkonnte sich offenbar erst in der Republik richtig entfal-ten. Der Organisationsgrad scheint bei Landarbeitern nichtüberall so hoch wie auf dem Gut Damp gewesen zu sein,sonderndifferierte je nach Gut und Gutsbesitzer. Schwansengalt jedoch insgesamt als eine Hochburg der Landarbeiterge-werkschaft.

Es war einschwieriger Weg bis zudiesem Zusammenschlußgewesen.

Ein preußisches Gesetz von 1854-12 Jahre später galt esauch für Schleswig-Holstein-gestand LandarbeiternkeinKoa-litionsrecht zu. Erst 1908 schränktedie preußische Regierungdiese Regelung ein. Die Metallarbeitergewerkschaft hatteallerdings bereits versucht, Landarbeiter zu organisieren. Ihrwaren 1905 aber lediglich 5 Landarbeiter in Ostpreußen, 7 inSchlesien, 197 in Schleswig-Holstein und382 inSachsen ange-schlossen.24 1909 beschloß nun der Allgemeine DeutscheGewerkschaftsbund(ADGB) auf Initiativedes späterenpreu-ßischen Ministerpräsidenten OttoBraun,der selbstSohn einesLandarbeiters war,dieBildungeiner selbständigen Landarbei-terorganisation, des Deutschen Landarbeiterverbandes(DLV).25

DerBeschluß stieß sofortaufheftige Gegenreaktionen.1911

24 K. Saul: Der Kampfum das Land-proletariat 1890-1903, in: Archiv fürSozialgeschichte 15 (1975), S. 109f.,für den gesamten Abschnitt auch:J.Flemming: a.a.0., 5.102f., auch].Flemming: Landarbeiter zwischenGewerkschaften und „Werkgemein-schaften", in: Archiv für Sozialge-schichte 14 (1974), S.353f.25 DerZentralverbandderLandarbei-ter, eine christlich-nationaleGewerk-schaft undder kommunistische Land-arbeiterverband, der 1919 gegründetwurde, spielten im Altkreis Eckern-förde keine große Rolle und bleibendeswegenunberücksichtigt.

Aufruf zu einer Gewerkschaftsver-sammlung des DLV (in:EckernförderZeitung18. 2. 1923).

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forderte derBund der Landwirte die Auflösungder Gewerk-schaft. 1912 verpflichteten sichdielandwirtschaftlichenArbeit-geber inMecklenburg,alle Gewerkschaftsmitglieder zuentlas-sen. Das Recht, Kollektivarbeitsverträge abzuschließen,wurde demDLVvon vornherein abgesprochen. Ab 1914muß-tenbeiallenVersammlungendesDLVder PolizeiMitgliederli-sten zur Kontrolle und Überwachung vorgelegt werden.

Diese Widerstände gestalteten die Anfangsjahre des DLVrecht schwierig. Die Organisation von Landarbeitern galtsowieso als langwieriges Unterfangen. 1914 hatte der DLVimmerhin schon 20000 Mitglieder. In Ostpreußen blieb derOrganisationsgrad aber weiterhin extrem niedrig: Ganze 54Landarbeiter waren inden Verbandeingetreten. In Schleswig-Holsteindagegen - einHinweisaufdie Besonderheit desLan-des-hattenbereits über 200 ihre Mitgliedschaft erklärt.

Die Revolution 1918/19 beendete diese zähe Anfangszeit,wie die Mitglieder-und Streikstatistik im Reich zeigt:26

DieRevolutionbedeutetefür vieleLandarbeiter dieLoslösungvonalten,äußeren Abhängigkeitenund Befreiung von innerenHemmschwellen. Inkurzer Zeitkonntenun dasgesamteReichdurch Verhandlungen mit den Arbeitgebern mit einem Netzvon Tarifverträgen überzogen werden."7

DerDLV hatte allerdings von Anfang an Probleme, geeig-nete Vertreter unter Landarbeitern zurekrutieren. Ein Groß-teil der Funktionäre kam aus anderen Bereichen: Die fürRendsburg bzw. Ostholstein zuständigen Vertreter Pusch undLangebeck waren Metallarbeiter gewesen, ebenso wie derOrtssekretär von Eckernförde, Anton Peters. Marius Tofte,der Landessekretär des DLV in Schleswig-Holstein, arbeitetevor seiner Gewerkschaftstätigkeit als Gärtner.

Der auf der Vorseite in derTabelle dokumentierte Verlustvon Mitgliedern wurde bei den Generalversammlungen desDLV gerne auf Probleme beim Aufbau der Organisationzurückgeführt. In der Tat läßt sich eine Beziehung zwischenBeitragserhöhungen und Austrittserklärungen feststellen.VieleLandarbeiter sahen offenbar ihrenBeitragbei ihrer Bar-geldknappheit als zu hoch an.

Da die Zusammenfassung von Landarbeitern im ländlichenRaum - im Gegensatz zu Gewerkschaften von industriellen

16 Siehe F. Wunderlich: Farm labor inGermany1810-1945, NewYork 1961,S. 82 bzw. S. 107.27 So schreibtz.B. einLandarbeiter ineinemLeserbrief an die EckernförderZeitung am 17. 4. 1919 folgendes:„Der Abschluß des Lohnvertrageszwischen ländlichen ArbeitgebernundLandarbeitern hat damals große Be-friedigung erregt, weildadurch zumersten Maledie Vertragsfähigkeitderbis dahin ziemlich rechtlosen Landar-beiter anerkannt wurde. Wir warennichtmehr,wie früher, eineNullin derSchöpfung, sondern Gleichberechtig-te,und zugleichkamauch eine gewisseFestigkeitundGleichmäßigkeit in diebis dahin ganz buntscheckigen ländli-chen Lohn- und Arbeitsverhältnisse.Mit dem festgesetzten Mindest-Jah-reslohn würden wir unter anderenUmständen wohl zufrieden gewesensein, aber die fortgesetzten wildenPreissteigerungen aller Bedarfsarti-kel, namentlich aber die ungeheuerli-chen Preise für die Manufakturwarenstellen alles aufdenKopf, machten esunmöglich,mit demDeputatlohnaus-zukommen,verursachengrößteUnzu-friedenheit unter den Landarbeiternund machten es unmöglich, sich überden Tarifabschluß zu freuen."

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Mitglieder des DLV Streiks Gesamtdauer Zahl der be-der Streiks troffenenin Arbeits- Betriebe intagen: Schi.-Holst.

Nov. 1918: 80001919:2650001920: 695 0001921:5550001922:237000

163366302331

115151227168353809468207

3325585

5731923: 1470001930: 161000

703

18282522870

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Lohnabhängigen-mit höhererKostenbelastung für den Auf-bauverbunden war,mußte der ADGB den DLVbis zumEndeder Weimarer Republik finanziell unterstützen.

Die Ausführungen des Kieler Sekretärs von1919-23,Han-sen, auf den ersten KonferenzendesDLV zeigen jedoch, daßoffensichtlich auch andere Gründe für den raschen Substanz-verlust maßgeblich waren.

Hansen,Gauleiter, Kiel:,J\.ls nach derRevolution die verschiedenen politischenRich-

tungen mit ihrer Agitation aufdas Land zogen, da wurdenurneue Verwirrung in die Landarbeiterköpfe getragen. Leiderhaben auch unsere eigenen Parteigenossen in ihrer politischenAgitation vielfach unsere Tarife kritisiert. Wenn manche Land-arbeiter so auf ihrem „gnädigen Herrn" oder den Inspektorherumgeprügelt hätten wie aufuns Gauleitern und Kreisleitern,dann wären wir heute schon weiter (Beifall). Zukampferprob-tenGewerkschafternmüssen wir unsereMitgliederersterziehen.Siemüssen erst wissen, was dieGewerkschaftbedeutet, um denwahren Wert der Organisation zu erkennen. Die Landarbeiterhaben in den vier Kriegsjahren doch niemals sosehr dieNot anFleisch undKartoffelnkennengelernt wie wirindenStädten. Wirmüssen auchRücksicht nehmenaufs Volksganze."

Ein paar Monatespäter erklärte Hansen:„Die Politik spielt in die Gewerkschaftsbewegung zu sehr

hinein...1920 ist ein wilder Streik inDithmarschen ausgebrochen, den

wir nicht unterstützen konnten, die USPD hat trotzdem ihreSympathie erklärt."28

Die Aussagenzeigen, daß die Organisierung der Landarbei-terbewegung u.a. auch im Zusammenhang mitdenProblemenderdeutschenRevolution1918/19zusehen ist.DieRevolutionwurde von der Rätebewegung in den Städten getragen. DieÄnderung despolitischen Systems gab der Landarbeiterschaftnun offensichtlich Anlaß, lang aufgestaute Bedürfnisse unterden nun freien Artikulationsmöglichkeiten der Weimarer

28 Siehe: Schriften des DLV: Nieder-schrift der 2. Generalversammlung,1920, S. 105, und Niederschrift derVerhandlungen aufder Gauleiterkon-ferenz, 1920, S. 15,Berlin 1920.

Marius Tofte, Landessekretär desDLV in seinem Büro im Kieler Ge-werkschaftshaus. Tofte übernahm die-se Tätigkeit 1923, nachdem der Ver-bandin derInflation finanziell zusam-mengebrochen war.

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Republik zu äußern und diese später in einer heftigen, aberhäufig rein wirtschaftlich motivierten Streikbewegung 1912-22durchzusetzen.29

Zahlreiche sozialdemokratisch orientierte Gewerkschafts-funktionäre, die - wie der Auszug oben zeigt - aus der Indu-striearbeiterschaft der Städte kamen, versuchtendiese Streik-bereitschaft in den stattfindenden Landarbeiterversammlun-genzubremsen,indemsie daswichtigeArgument derprekärenErnährungssituation im Nachkriegsdeutschland anführten.1920richtete der Landwirtschaftsminister Preußens schließlicheinen Appell der Mäßigung an alle Landarbeiter.

Der DLV orientierte sich in seiner Politik stark an der(M)SPDundübernahm daher auchdieRolleeines „Ordnungs-faktors" in den ländlichen Gebieten.30 Diese Ausrichtungführte wahrscheinlich u.a. zu einer Enttäuschung über denDLVund inFolge auch zu einer Austrittswelle vonLandarbei-tern. 1923 umfaßte so der DLVnur noch ein Viertel der Mit-glieder von1919.

Esbleibtzudiskutieren,obnicht auchhierein „dritter Weg"einerseits zwischen Aufbau eines stabilen gewerkschaftlichenund demokratischen Potentials auf dem Lande und anderer-seits einer notwendigen Produktionssteigerung möglichgewe-sen wäre

Da die Güter längst nicht mehr von den Besitzern geleitetwurden-ein Großteil war als Offizier eingezogen worden -unddas Zwangsabgabesystem desKrieges weiterhingalt,hätteeineUmgestaltung der ländlichen Verhältnisse wahrscheinlichkeinenRückgang der Agrarproduktion nach sich gezogen undsich das obengenannte Dilemma durchaus aufhebenlassen.31

1920 lehnte der DLV eine Politik der Sozialisierung desGrundundBodensab,da die Verhältnissenicht dazugeeignetseien. Eine Bodenreform wurde nicht weiter diskutiert. DerDLV bestimmte seine Aufgabe vielmehr in einem Programm„der Tagespolitik, des Eintretensfür bestimmtepolitische Ein-richtungen und des Strebens nach Beteiligung an der Wirt-schaftsführung. "32 Zudiesem Zweck strebte derDLV seit denNovembertagen eine Arbeitsgemeinschaft mit den Organisa-tionen der Arbeitgeber an. Erst 1920 stimmten die letzterendenBemühungen zu,kündigten aber bereits1926das Abkom-men wieder auf.33

Die Landarbeitergewerkschaft wandtesich vor allem gegendie bisherige Naturalentlohnung, diedie Loyalität gegenüberden Gutsbesitzern verstärkte, und forderte eine tariflicheGleichstellung von Industrie- und Landarbeitern.

Diese Tarifpolitik zeigte in der Weimarer Republik auchErfolge, da eine stetige Erhöhungder Löhnein den Verhand-lungen erzielt werdenkonnte.InSchleswig-Holstein stiegensievon 1910-1929 nach Angaben des DLV fast um 60%; dieArbeitszeit konnte im Dezember und Januar auf TA. Stundenheruntergesetzt werden.

Diese Ergebnisse mußten allerdings teilweise mit Streikserkämpft werden.

Der größte Streik in Schleswig-Holsteinfand imJulibis zum

29 Die Streiks 1923 bezogen sich aufsich wieder verschlechternde Lebens-bedingungen infolge der Inflation.Zum Charakter der Streiks siehe:M.Schuhmacher: Land und Politik.Eine Untersuchung über politischeParteien und agrarische Interessen,1914-23, S. 259 f ., S. 296f. undS.313,Düsseldorf 1978.

30 Siehe M.Schuhmacher: a.a.OS.BB.

31 Siehe ausführlicher: H. A. Winkler:Von der Revolution zur Stabilisie-rung.ArbeiterundArbeiterbewegungin der Weimarer Republik 1918-24,Bonn 1984, S. 84.

32Siehe: F.Hering: Die Landarbeiterund ihre Gewerkschaften, in: Schrif-ten desDLV 24/1929, S. 41.1920-1921 wurdenviele Anhänger derKPDaus demDLV ausgeschlossen.33 Siehe: M.Schuhmacher: a.a.0.,5. 126.

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August 1932 wegendersich inderInflation verschlechterndenLebensbedingungen statt und erstreckte sich von Flensburgüber Eckernförde,Plönbis Lübeck über 140Güter undHöfe.

Der Streik erfüllte aber nichtdie inihngestecktenErwartun-gen. Ein beteiligter Landarbeiterberichtet:

„Ersthaben wir die Notstandsarbeit gemacht, Kühe gemol-ken,Pferde gefüttert, dann habenwirauchdieseniedergelegt. Esging ja nicht voran bei den Verhandlungen. Da holtensich diePachtbauern dieKühe vomHof undhaben siebeisich gefüttertundgemolken. Auch der Lehrerholte sich Kühe! Und dasgingeinen Monat so. Da haben wir nicht viel erreicht!Nix, nee!"(K.S.)

Die letzte Aussage stimmte so uneingeschränkt nicht:Erreicht wurde immerhin eine100-200prozentige Barlohner-höhung, die allerdings wegen der Geldentwertung nicht großins Gewicht fiel.Die Aussageverweist allerdings auch aufdie

Demonstration desDeutschenLandar-beiterverbandes aus Anlaß der reichs-weiten Jahresversammlung im Juni1929in Kiel;aufgenommen wurdendieFotos vor dem Gewerkschaftshaus inder Legienstraße.

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Schwierigkeiten von damaligen LandarbeiterstreiksDieHaltung derGutsbesitzer zumDLVwirdunterschiedlich

geschildert. Von Anton Peters, dem Eckernförder Sekretär,der inseinem Bezirk immer mit dem Fahrrad,dann mit einemMotorrad umherfuhr, wird berichtet, daß er ab und zu aufGütern von losgelassenen Hunden angegriffen wurde. Ande-rerseits gabes auch Gutsbesitzer, die aus liberal-konservativerÜberzeugung die Gewerkschaftsorganisation aufdem Hofdul-deten.

Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus wurde dieArbeit des DLV behindert. Als imJuli 1932eine Kreisvertre-terversammlung des DLV im Gewerkschaftshaus in Ecker-nförde stattfand, wurde das Gebäude von SA-Mitgliederngestürmt, und dabei wurden zwei Landarbeiter erstochen.34

Über 7000Menschen aus ganz Schleswig-Holstein nahmen ander Beerdigung der beiden ermordeten Gewerkschafter inKarby/Schwansen teil.Essolltedie letzte Konferenz imKreisegewesen sein. Nach der Machtübernahme 1933 wurde derDLV, wie alle anderen Gewerkschaften, am 15.Mai 1933 auf-gelöst.Marius Tofte,Gausekretär, wurdeinKielverhaftet undfür einJahr insKZverschleppt; AntonPeters gelangdieFluchtnach Dänemark, wo er am dänischen Widerstand gegen diedeutsche Besetzung teilnahm und1946starb.DreiLandarbei-ter aus Loose-derKPD nahestehend -wurden im April 1933festgenommen, vier Wochen später in das provisorische KZGlückstadt überführt unddannvondort auszuFuß nachHauseentlassen.

34 Siehe: K. W. Schunck: Der Sturmaufdas Gewerkschaftshausin Eckern-förde. Wie die Nazis die LandarbeiterJunge und Buhs ermordeten, in: „Ver-gessen und verdrängt"

-Arbeiterbe-

wegung und Nationalsozialismus inden Kreisen Rendsburg und Eckern-förde, hrsg. v. K.Harner u.a., Ek-kernförde 1984,S. 104f.

VI. LandarbeiterundDemokratie-dieJahrederRepublik1. „EinesTageserschienen zehnbewaffneteMänner. . .undverlangten dasHissender roten Fahne" -dieRevolution 1918/19

Am 6.November 1918,drei Tage nachdenKieler Ereignissen,revoltierten die Matrosen auf denzwei imHafen vonEckern-förde liegenden Kriegsschiffen, bildeten im Gewerkschafts-haus zusammenmit denArbeiternderTorpedoversuchsanstalteinen Arbeiter- und Soldatenrat und ordnetenBürgermeisterund Landrat je einen Beigeordnetenzur Kontrolle zu.

Die Revolutionging vonden Städten aus; aufsLand mußtesie erst hinausgetragen werden.DieRäteschicktenPatrouillenindieumliegenden Dörferund Güter, um sie auch dort durch-zusetzen. Eine junge Haustochter auf dem Gut Erichshof/Schwansen schildert die Ankunft eines solches Revolutions-trupps folgendermaßen: 35

„1917-im1. Weltkrieg- kam ichals jungesMädchen, damalshieß es Haustochter, auf das Gut Erichshof bei Loose inSchwansen. Für 15Mark monatlich sollte ich mich auf allenhauswirtschaftlichen Gebieten ertüchtigen. In den erstenWochen habe ichmich allabendlich in den Schlafgeweint. DerWechsel vom elterlichenHof inSchwabstedt zum herrschaftli-chen Gut in Schwansen war wohlzugroß! Nacheiner gewissenZeit des Einlebens habe ich mich dann aber in der FamiliePetersen sehr, sehr wohlgefühlt. AufErichshoferlebte ichnundiedeutscheRevolutionnach dem1. Weltkrieg. Esmuß AnfangNovember1918gewesen sein, als die russischenKriegsgefange-nenaufdem Gut dieArbeitniederlegten. Eines Tageserschienendannca. zehnbewaffneteMännerundnahmen AufStellungquer

35 Aus: Jahrbuch der Heimatgemein-schaft Eckernförde41/1983, S.98.

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über den Gutshof. Der Anführer gingmit gezückter Pistole insHerrenhaus undverlangte die Herausgabe aller (Jagd)gewehre,die in der Eingangshalle hingen, und das Hissen der rotenFahne. Die ersteForderung erfüllte man. Als man sagte, manhabekeine roteFahne, gab der Anführer dem SohndesHausesdenRat, die rotePlüschdecke als Fahne zuhissen. Danach zogder Trupp zum benachbarten Gut Saxtorf. Eine rote Fahne istaber nichtgezeigt worden.

"

Der Eckernförder Arbeiter- und Soldatenrat versuchte indenNovembertagen offensichtlicheinemöglichegegenrevolu-tionäre Bewegung, die von den als stark monarchistischbekanntenGutsbesitzernausgehenkönnte,zuverhindern.Dieausgesandten Trupps nahmen Hausdurchsuchungen vor undsuchtenvor allem den möglichenNachfolger desKaisers, denPrinzen Heinrich von Preußen, den ehemaligen Oberbefehls-haber der Marine. Sie fanden ihn schließlich auf dem GutGrünholz desHerzogs Ferdinand vonGlücksburg. Die Trägereiner potentiellen Gegenbewegung hatten allerdings schonresigniert. PrinzHeinrich erklärte sich mit „der Neuordnungsolidarisch", bat aber um EinbaueinerKüche auf seinem GutHemmelmark, „weil sich dort keine ordentliche Küche be-fände".*

Esschienso, alsob sich derPrinzalsPrivatier zurückgezogenhabe.

In den nächsten drei Wochen führten die Arbeiter- undSoldatenräte systematisch Aufklärungskampagnen auf demLande durch,dieAnkündigungen lesen sich folgendermaßen:36 Eckernförder Zeitung vom 9. 11

1918.

Ankündigung des Arbeiter-undSolda-tenrates Eckernförde im November1918 (Eckernförder Zeitung vom18.11. 1918).

2. „Vortrag über dieZiele desArbeiter- undSoldatenrats" oder:DieGründung derBauernräte

Am9. 11.1918riefderRat der Volksbeauftragten inBerlin zurBildung von Bauernräten auf, da er offenbar nur von Bauernauf demLande ausging. Erst aufgrund des Protestes des DLVwurde der Aufruf der Volksbeauftragten zusätzlich auf Land-arbeiter ausgeweitet. Er erschien sechs Tage später in derEckernförderZeitung. Die Ziele dieser Bauernräte waren vonvornherein auf Sicherung der Produktion und Verteilung derLebensmittel sowie Wohnangelegenheiten, d.h. auf wirt-schaftlicheFunktionen,beschränkt. Sie sollten paritätisch ausArbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt sein;auchdieLand-wirtschaftskammer Schleswig-Holsteins rief durchden GrafenRantzauzur Bildung der Räte auf. Der EckernförderAufrufbestimmte als Aufgabe „dieAufrechterhaltung von Ruhe undOrdnung aufdem Lande", und „eineBeschränkung der Bau-ernräte auf das Notwendigste", weil „Freiwilligkeit und Selbst-verwaltung schneller und besser ans Zielführen als bürokrati-sche Organisationen":.37

Schon vier Tage später bildeten sich durch Initiative ausEckernförde die ersten Bauernräte38. Die Versammlungenwaren nach Berichten der EckernförderZeitung gut besucht,die Gründung der Räte wurde mit Beifall begrüßt.

IndenAussprachendominiertenallerdings dieGutsbesitzer,die nebenLandarbeiternund Handwerkern indieRäteorganegewählt wurden, wie folgender Zeitungsbericht zeigt:39

37 EckernförderZeitung 15.11. 1918,

38 1919 hat es im gesamten Schleswig-Holstein über 1700 Bauernräte gegeben. Vgl. H.Franck: Die Landarbertcrfrage in Schleswig-Holstein, diss.Hamburg 1921, 5.57.39 Eckernförder Zeitung: 5. 12. 1918Es handelt sich hier allerdings um ei'nen Gutspächter.

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„NordöstlichesSchwansen:Auch hier hatte der Vollzugsaus-schuß des Arbeiter- und Soldatenrates Eckernfördes eine Auf-klärungsversammlung einberufen, indergleichzeitig ein Arbei-ter- undBauernrat zu wählen war. Der VorsitzendeJünger hieltdenHauptvortrag, der dieLage darlegte unddieNotwendigkeiterörterte,Arbeiter-undBauernräte zu wählen. Inder Ausspra-chebedauerte Gutspächter S.- GutLoitmark -, daß der Wahl-tagfür dieNationalversammlung so weit hinausgeschoben wor-densei. Einesolange gesetzlose ZeitseieineschwereBeunruhi-gung in dieser ohnehin schweren und ereignisreichen Zeit. DerVorsitzende verwies auf die großen Schwierigkeiten, mit wel-chen die maßgeblichen Behörden in jeder Weise zu kämpfenhätten. (Er führt diesen Sachverhalt weiter aus -R.5.)...Derdann gewählte Arbeiter- und Bauernrat setzte sich wie folgtzusammen:H.Z. Zuleger, J. B. Arbeiter,H.B. Maurer,für dasGutLoitmark: J.M. undR. P. Arbeiter, Gutspächter T. S. ".

Die Bauernräte waren demnach nicht Ausdruck spontanerBewegungen,sondern von oben eingesetzte Organe.

Dieser Eindruck vonunter starkemEinfluß der Großgrund-besitzer stehendenBauernräten verstärkt sich bei der Durch-sicht der Diskussionsberichte dieser Räte auf Kreisebene, dieinderEckernförderZeitung teilweise wiedergegeben wurden.

Als am 15.12. 1918 die ersteKreiskonferenz der Bauernrätestattfand, wurde die Auseinandersetzung fast ausschließlichvoneinigen Gutsbesitzernaufder einen Seiteund den Vertre-tern des Arbeiter- und Soldatenrats auf der anderen Seitegeführt.

Die Themen erstreckten sich auf Probleme der Lebensmit-telablieferung (GutsbesitzerHenneberg: „DieRevolutionistander Lebensmittelmisere schuld..."), des Wohnungsproblemsauf dem Lande (Henneberg: „MeineLandarbeiterwohnungensind auch nicht schön, ich bitte Sie, nicht so rigoros vorzuge-hen..."), der Preispolitik (Henneberg: „Die Gemüsepreisesindzuniedrig...")undProbleme derEinführung des 8-Stun-den-Tages für Landarbeiter. Beim letzten Thema griff der inEckernfördeanwesende Reichsernährungskommissar Schultzindie Debatte ein und erklärte, daß diese Forderung vorerstnicht zu erfüllen sei und stimmte, trotz vorheriger kritischerBemerkungen zu den Äußerungen Hennebergs, hier seinenBedenken zu.39 Der protokollartige Zeitungsbericht erwähntkeine einzige Stellungnahme vonLandarbeitern.Dementspre-chend wurden am Ende der Tagung auch die Delegiertengewählt: Es waren zwei Gutsbesitzer und ein selbständigerLandwirt.Diese Delegierten blieben allerdings dem Arbeiter-und Soldatenratuntergeordnet.40

Wie weit die Gutsbesitzer dieBauernräteals Gegenmachtzuden Arbeiter- und Soldatenräten sahen, wird an einer Äuße-rung des damaligen LandratesFreiherr von Schröder, der -selbst Gutsbesitzer- sich vor dem landwirtschaftlichen Vereinausdrücklich für dieOrgane einsetzte,indemer darauf verwies,daß es „mitHilfe der Bauernrätehoffentlich möglichsein wird,allenberechtigten Klagen baldigst Gehörzu verschaffenundfürAbhilfe zu sorgen". Er erwähnte in diesem Zusammenhang

411 EckernförderZeitung: 18., 19.und20. 12. 1918.

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ausdrücklich die Eingriffe der Arbeiter- undSoldatenräte,dieallerdings auch im Kreis offenbar teilweise zuunberechtigtenMaßnahmen geschritten waren.41

Die Bauernräte hatten als DemokratisierungspotentialkaumEinfluß, da sie lautErlaß der Reichsregierung nur wirt-schaftliche Funktionen ausüben sollten und von der sozialenZusammensetzungherzudiesem Zielauchuntauglich gewesenwaren

Ein ehemaliger Knecht auf dem Gut Borghorst im Däni-schen Wohld konnte sich noch an die Zeit der Revolution undanRäte aufdem Gut aufNachfrage erinnern:

„Aufdem Dorf gab es Räte, darankann ichmichnoch erin-nern. Sie existiertenabernicht lange, weilsiesichnachAufkom-men der Gewerkschaften auflösten. Meistens waren in ihnen —glaube ich -ja Soldaten, die aus dem Krieg wiederkamen. Siewurden dann eingesetzt. Sie waren aufden Gütern, wenn dasKorn gedroschen wurde, damit es gleich abgeliefert werdenkonnte. Es wurde dann gleich aufLastwagenaufgeladen, unddieRätekontrollierten das hauptsächlich." (H.P.)

DerWert derAussage-dasinterview wurde1984 gemacht-liegt vor allem darin, daß sie noch einmal die Stellung vonLandarbeitern zu den damaligen Räten aufzeigt. Sie wurdennicht als eigene, sondern als von außen eingeführte Organeverstanden. Die Quelle macht aber ebenso die Begrenztheiteiner allein auf mündlicher Überlieferung basierendenGeschichtsschreibung deutlich, da dem Interviewten -nachüber 60 Jahrenist dies auch nichtverwunderlich-Einzelheitenüber dieTätigkeit unddieHerkunft derRäte recht verschwom-men inErinnerung geblieben sind.

DieEckernförderEntwicklungbestätigt diewenigensich mitdenAuswirkungenundEreignissenderRevolution 1918/19 aufdemLandebefassendenForschungen, diedieBauernräte undihre weitere politischeTätigkeit als Möglichkeitder Schaffungeiner Machtbasis von republikfeindlichen Kräften interpre-tieren.42

41EckernförderZeitung:20. 12. 1918.Der Vorsitzende des EckernförderArbeiter- u. Soldatenrats versprachdaraufhin auch Abhilfe, falls es sichtatsächlich um Überschreitung vonKompetenzen gehandelt habe (Ek-kernförder Zeitung,20. 12. 1918).

42 Siehe: J. Flemming: Landwirt-schaftlicheInteressen,a.a.0.,S.270f.H.Muth: Die Entstehungder Bauemu-nd Landarbeiterräte im November1918 und die Politik des Bundes derLandwirte,in: Vierteljahreszeitschriftfür Zeitgeschichte 21/1973, S. 36.

3. „MitzweiMannstanden wiran derKüste Wache" -derKapp-Putschl920,die gescheiterteGegenrevolution

Seit 1919 planten Freikorpsführer, Reichswehroffiziere undkonservative Politiker einen Umsturz der demokratischenOrdnungder Weimarer Republik.

InEckernfördewarman allerdingsüber derartige Absichtenvorgewarnt: Beieiner Hausdurchsuchung auf dem Gut Hem-melmark des PrinzenHeinrich waren schon 1919 Handgrana-ten und Gewehre gefunden worden, auf den Gütern Königs-fördeund Warleberg wenig späterebenfalls. Zuletztentdeckteman im Frühjahr 1920 noch ein Waffenlager auf dem GutLudwigsburg, das damals dem Grafen von Ahlefeldt gehörte.

Als dannam13.Mai1920Soldatender Brigade EhrhardtmitHakenkreuzen und der kaiserlichen Fahne inBerlin einmar-schierten, der Generallandschaftsdirektor Kapp dieNational-versammlung für aufgelösterklärteunddieReichsregierung zudem einzigen aktiv zurRepublik stehendenReichswehrgeneralnach Stuttgart flüchten mußte, traf auch einSchiff der Kriegs-marine aus Kiel inEckernfördeein,um denPutsch auch am

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Ort durchzusetzen. Landrat und Bürgermeister der Stadtunterstützten diese Aktion, wennauch nichtöffentlich.BereitsindervorausgegangenenNacht war jedochschoneinFreikorpsunter Leitung des Gutsbesitzers Kellinghusen/Eschelsmark indie Stadt eingedrungen und hatte die wichtigsten Ämter be-setzt.

Anders als im Reich erklärte sich dieReichswehr in Schles-wig-Holstein nicht für „neutral", sondern trug den Kapp-Putsch aktiv mit.

Nach Berichten des späteren, kommissarisch eingesetztenLandratesnahmen an diesemPutsch nochsechs weitere Guts-besitzer teil.43

Der USPD-Vorsitzende und der Gewerkschaftssekretärwurden verhaftet, doch die Arbeiterschaft Eckernfördever-suchtenunmit Waffengewalt, sich demPutschentgegenzustel-len. Arbeiter fuhren in die Umgebung, um sich mit dem not-wendigen Material zu versorgen: Sie enteigneten der Gräfinvon Reventlow/Gut Damp, wie dem Prinzen Heinrich, denWagen; Bauern, und vor allemFörster,wurden aufgefordert,ihre Jagdwaffen abzuliefern. Doch die Tätigkeit des sich nunneu aktivierenden Arbeiter- und Soldatenrates beschränktesich nicht nur auf die Stadt selbst. EinLandarbeiter erinnertsich:

„Der Kellinghusenundnoch andere Gutsbesitzer zogennachEckernfördeab. Wir begannen zustreiken, undmit zweiMannstanden wir dannan der Küste Wache. Dazuhatten dieBauernihre Jagdflinten abgeben müssen, und wir bekamen ein paarPatronen dazu, mit denen sollten wir Lärm machen, wenn die(Putschisten)einen Landeversuchmit einemBootunternehmensollten. Alles wurde von Eckernfördeaus organisiert." (A.L.)

Tatsächlichsollder Streikaufrufauf fast allen Gütern befolgtworden sein, auf einigen wenigen mußte er von außen erstunterstützt oder sogar gegen Widerstand erzwungen werden.Nur aufdem Gut desPrinzenHeinrichsollerauf mehrheitlicheAblehnunggestoßen sein.

Am18.3. 1920 kapitulierten sowohl Reichswehreinheit alsauch das Freikorps. Bei einem abschließenden Schußwechselwurden jedoch noch zweiEckernförder Arbeiter getötet.Dieneu gebildete Arbeiterwehr versuchte nun, weitereWaffenla-geraufdenGütern zuermitteln. Als einTruppdas GutHohen-holm im Dänischen Wohld aufsuchte und der GutsbesitzerHenneberg - ein bekannter Vertreter der DeutschnationalenVolkspartei - sich weigerte, die Türe zu öffnen, eröffnetenMitgliederder Gruppe dasFeuerundverletzten denhinter derTüre Stehendentödlich.

Der Vorfall konntenie vollständig aufgeklärt werden.44

DerKapp-Putschhattedamit aufSeitender Gutsbesitzerundder Landarbeiter seine unschuldigen Opfer gefordert. DerInitiator des Putsches inEckernförde, Kellinghusen/Eschels-mark, flüchtete nach Pommern und kaufte Jahre später einneues Gut im OstenHolsteins.

DieEreignisse desKapp-Putsches blieben dem größten Teilder interviewtenLandarbeiter stärker inder Erinnerung haften

43 Die Akten nennen die damaligenBesitzer von denGütern Sophienhof,Ludwigsburg, Waabshof, Eichthal,Hemmelmark und Büsdorf (siehe:LandesarchivAbt.301/4458).Das Kapitelberuht teilweise auf demin dieser AbteilungdesLandesarchivsgefundenenMaterial.

44 Zum Kapp-Putsch in Eckernfördesiehe: R.Schulte, in: „Vergessen undverdrängt", a.a.0., 5.22-26.

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als die der Revolution 1918/19Esscheint so, als habe der Kapp-Putsch bei einem Teil der

Landarbeiter zu einer politischen Aktivierung geführt. Diezuvor hauptsächlich politisch passive, d.h. auf häufig wirt-schaftliche Ziele ausgerichtete Handlungsbereitschaft45 schlugbeieinemTeiluminAnnahmeundUnterstützung derWeima-rer Republik. Die, wenn auchgeringen, aber im Vergleich zurKaiserzeit doch spürbaren sozialpolitischen Verbesserungenim Gefolge der Novemberrevolution mögen zur Wertschät-zungder Republik beigetragen haben.

45 Siehe die Darstellung der teilweise„wilden" Streikbewegung, S.180f.

4. Das Wahlverhaltenvon Landarbeitern

Eine vergleichende Wahlanalyse stößt auf mehrereProbleme.Zum einen veränderten sich die Wahlbezirke zwischen 1871und 1933 häufig, zum anderen verschob sich auch die wirt-schaftliche Struktur des Raums in dieser Zeitspanne, so daßeindeutige Aussagen über allgemeine OptionenderLandarbei-terschaft nur schwer feststellbar sind. Ein Vergleich des Wahl-verhaltens vonLandarbeitern inden Gutsbezirken Schleswig-Holsteins mit Gutsbezirken in Mecklenburg, Pommern oderOstpreußen ist leider nicht möglich,da für die Gebiete Ost-deutschlands zwar die Ergebnisse der Landkreise, nicht aberdie der Gutsbezirke zugänglich sind, zumindest nicht in derBundesrepublik. Um das Wahlverhalten von Landarbeiterndeutlichzu machen, sollen nun die Ergebnisse von drei wirt-schaftlich unterschiedlich strukturierten Wahlkreisen vergli-chen werden. Altenhof, Damp und Marienthal sind Beispielefür Gutsbezirke,deren soziale Struktur nicht nur von Landar-beitern und Gutshandwerkern, sondern auch von einigenPachtbauernoder selbständigenLandwirten bestimmt ist.

InBorby (beiEckernförde)lebtenneben Landarbeiternderumliegenden Güter hauptsächlich Industriearbeiter undFischer. In Ascheffel (in den Hüttener Bergen zwischenEckernfördeund Schleswig) herrschten kleinere oder mittlereselbständige landwirtschaftlicheBetriebe vor.

In den Gutsbezirken war die SPD 1874 stark inderMinder-heit geblieben. (Die Ergebnisse auf anderen Gütern - z.B.Saxtorf -wiesen allerdings schon teilweise absolute Mehrhei-ten von 60-70% für die SPD aus.) Während der sich anschlie-ßenden Periode der Sozialistengesetze Bismarcks hatte keinLandarbeiter mehr sozialdemokratisch gewählt. Selbst 1912hattesich dieAbhängigkeit vondenGutsbesitzernnochaufdasWahlverhalten ausgewirkt,daeingroßer TeilderLandarbeiternoch konservativ wählte. So berichteten einige Interviewte,daß die Wahllokale und die Stimmabgabe damals durch Guts-besitzer kontrolliert worden waren.Erst 1919 stieg der Anteilder SPD/USPD an den Ergebnissen explosionsartig an, 1921bekam dieUSPD auf vielen Gütern absolute Mehrheiten (alseinBeispiel: Gut Krieseby: USPD: 56, SPD: 48, alle anderenParteien: 61 Stimmen). Konservative Voten und Stimmen fürdie SPD und KPD hielten sich ab 1928 die Waage, und selbst1932 bliebder Arbeiterparteienanteil relativ hoch.46Die Stim-men für die demokratische Mitte waren im Vergleich mit demReich unterrepräsentiert.

46 Inden Wahlen 1932häufensich aufmehreren Gütern auch die Stimmenfür dieKPD undübertreffen sogar denStimmenanteilder SPD (Gut Marien-thal, Dorf Noer und Sehestedt, Ge-meindeSchwedeneck),so daß genera-lisierende Feststellungen über dasWahlverhaltennichtmöglichsind.DieOptionen vonLandarbeiternschieneninnerhalb des Trends im DeutschenReich zu liegen als auch stark von lo-kalen Faktoren abhängig gewesen zusein. Vor 1932 war allerdings derKPD-Anteil bei den Wahlen insge-samt - von Ausnahmen abgesehen -ziemlichgering.

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Im ArbeiterdorfBorby war die SPD schon inder Kaiserzeitführend. Die Sozialistengesetze veränderten die Ergebnissezugunsten der Linksliberalen. Bis 1933 blieb hier die SPD diestärkste Fraktion.

InderbäuerlichenGemeinde Ascheffel hattenimKaiserreichdie liberalen Stimmen dominiert. 1919 wurde die „Landarbei-ter- und Bauerndemokratie", eine zunächst eher liberal argu-mentierende Wahlgruppierung, vorherrschend, im Laufe derWeimarer Republik stimmten die Wähler zunehmend natio-nalkonservativ undschließlich nationalsozialistisch.Die Arbei-terparteien erhielten 1932 nur noch eine Stimme. Bei allerVorsicht lassen sich aus diesem kontrastiven Vergleich fol-gende Schlüsse zum Verhalten vonLandarbeitern ziehen.

Einerseits bestätigt sich die Feststellung Heberies, daß dieLandarbeiter im Vergleich zu Industriearbeitern ein nicht soprägnantes sozialistisches Wahlverhalten zeigten47, anderer-seits ist aber hervorzuheben,daß imGegensatz zuKreisen derstädtischen Mittelschichten die Resonanz auf die NSDAPunterdurchschnittlich war.

Die wirtschaftlicheundsoziale Abhängigkeit vondenpoliti-schen Verhältnissen der Weimarer Republik führte zu einerAusrichtung auf die sozialistischen Parteien.Auf der anderenSeiteverhinderten die imVergleich zurIndustriearbeiterschaftweitgehend durch vorindustriell geprägteNormenund Verhal-tensweisenbeeinflußten Lebensumstandeeine tiefereBindungan die sozialistischen Parteien.

47 Siehe auch: R. Heberle: Landbevöl-kerung und NationalsozialismusStuttgart 1964, S.113 f.

5. „Jeden Sonntagging es mitderKapellelos unddann durchsDorf" -politischeAktivitäten

Berichteüber politische Aktivitäten findensich nur spärlich indenLokalzeitungen und im Landesarchiv. In denErinnerun-gen von Landarbeiterntaucht schon zu Beginn der WeimarerRepublik eine politische Polarisierung in den Güterdistriktenauf. Auf der einen Seite wird der „Stahlhelm" genannt, eineder Deutschnationalen Volkspartei nahestehende Wehrorga-nisation, die den „Frontsoldatenstaat mit echter Führung undHerrschaft"48 propagierte und von Großgrundbesitzern geför-dert wurde. Soübernahm inihrPrinzHeinrich verantwortlicheFunktionen; ebenso galt der damalige Herzog von Schleswig-Holstein-Glücksburg auf Grünholz/Schwansen als tragendesMitglied.Aufder anderenSeite wurdeoftder „Reichsbanner",ein überparteilicher Verband, der republikanische Kriegsteil-nehmer zusammenfassen sollte und in Schleswig-Holstein vonder linksliberalen DDP, dem katholischen Zentrum und derSPD unterstützt wurde,genannt.

Späterrückte nachdenAussagen derehemaligen Landarbei-ter die SA stärker in den Mittelpunkt; die kommunistischenOrganisationen spielten außer einer KPD-Gruppe in Loose/SchwansenkeineRolle;ihreExistenz warindenInterviews nurwenigenLandarbeitern überhaupt bekannt.

Dieser Eindruck einer starkenPolarisierungzwischen Orga-nisationen der Republikgegner und denen der Arbeiterbewe-gungkann durch die Wahlergebnisse bestätigt werden, da dieStimmenfür dieParteienderMitte indenGüterbezirken deut-lich gegenüber den Reichsergebnissen unterrepräsentiert

48 Vgl. G. Stoltenberg, Politische Strö-mungen im schleswig-holsteinischenLandvolk 1918-33, Düsseldorf 1962,5.99.Bereits 1924 demonstrierten in Neu-münster 25000 Stahlhelmmitglieder.

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waren.DasFehlendieserStimmen muß abermit dem geringenAnhang des katholischen Zentrums in der hier behandelten-protestantischen - Gegend in Zusammenhang gebracht wer-den; trotzdem hättensich die Optionenauch auf die liberalenParteien verteilen können.Dies war aber nicht der Fall.

Wie nun die Aktivitäten der Arbeiterbewegung erlebt wur-den, soll anhand von Ausschnittenaus drei Interviewswieder-gegeben werden.

„1923haben wirdenReichsbanner vonKarby und Vogelsang-Grünholz gegründet. UnserKontaktmann warderRichardHan-sen aus Kiel (Reichsbannerführer bis 1933, dannFlucht nachDänemark,R.S.), der warhäufigbeiuns.InKlausdorfbeiKielhabe ichdann einenKursusmitgemacht über den Staat, die SPDundunsere Aufgaben. Früher waren vieleLandarbeiterfür dieSPD, das gab's nicht anders, da haben wir auch viel gemacht.Zuerst warenwir jabeider USPD. JedenSonntagging's mitderKapelle los, sind durchs Dorfgezogen, überall hin und habenVersammlunggemacht. Gewöhnlichhaben wir dabeieineRedegehalten. Da war viel los, und es ging gar nicht, wenn wir imMonatkein Treffen von der SPD oder vom Reichsbanner oderder Gewerkschafthatten.Häufig warenaufdenVersammlungendieDeutschnationalen Gegenredner oder umgekehrt. Hier warderStahlhelmstark,dervieleLeutehatte.AberPrügeleien hatesmit denen nie gegeben. Unser Gutsbesitzer war auch einer vondenen, aber er nahm meinen Vater, der in derSPD aktiv war,immer im Wagen mit zum Kreistag."

„DieBauernknechte wollten nichtso recht zuuns, wir warenalle Landarbeiter, und die Bauern gingen zum Stahlhelm; siewaren ja Bauern und wir Landarbeiter, und das ging für sie

Der EckernförderArbeitergesangsver-ein bei einer FahnenweihedesLandar-beiterverbandes in GastlSchwansen.Hier befand sich eine sog. Zahlstelledes DLVfür dieauf denumliegendenGütern beschäftigtenLandarbeiter.

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nicht. Inder SA, später, waren hauptsächlich dieBauernsöhneund- ein Teil-Landarbeiter, eine traurige Sache. In Vogelsangwaren wir 30 Reichsbannerleute, Kerle in den besten Jahren,Ältere kamen nichtzuuns...Alle dreibis vier Jahrehatten wireine Kundgebung hier. Dakamen die aus Rendsburg, KielundFlensburg. 1000Mann waren wirmalhier aufderKoppelvormDorf." (H.R)

„Soum1924, dieKapelle wargeradegegründet, fuhren wir zueinem Aufmarsch nach Kiel. MitMusik wurden wir vom Bau-ernhofabgeholt, unddann sagtederMusikleiterausKiel:,Wenndie Locken einsetzen, dannspielt ihr.'Keiner von uns wußte,was das war. DerHenkelausEckernförde,derdortden Gesang-verein leitete, hat es uns noch schnell erklärt. Und wir habendann auf demRundmarsch gespielt, der war sehr, sehr lang."(K.S.)

„Späterhates dochAuseinandersetzungen gegeben. So1932-hier war es eher ruhig-sind wir dann zuNazi-Kundgebungengefahren undhaben Krach gemacht, geschlagen aber nicht. InBlumenthalhat es dannauch hier eine Schlägereigegeben, wirhatten eine Versammlung der Gewerkschaft und waren aber inder Überzahl, als die SA das Haus stürmen wollte. Siemußtenwieder abziehen. Einganzer Teil von Reichsbannerleutengingdannspäter auch zudenen rüber, wir mußten uns immer mehrzurückziehen ... Beider Machtübernahme habe ich alles ver-brannt, die Fahne, das Fahrtenbuch, die Mitgliederliste. Diewolltenmich jaabholen,sogareinalterReichsbannermann warmit, aber der Bürgermeister hier, der hat es verhindert. Sonstwurdekeiner verhaftet, aber es wareinebrenzlige Zeit." (H. P.)

„1933 wareineschlimme Zeit, da konnteman kein Wortmehrsagen. Eines Tages kamen zwei aus dem Dorf aufs Gut undwollten bei uns denHitlergruß einführen. Das haben wir abernichtgemacht, undderalteGrafvonReventlow mochteihnauchnicht haben. Wir waren uns darin einig." (A.L.)

„InEscheismark kam icheinmalnach Hause, so nach1933.DieLeuteguckten somerkwürdig, grüßten nicht. Der Lehrer-der war Schriftleiter bei denNazis - wolltemichsprechen. DieEiche, die wie überall indenDörferngepflanzt wordenwar, warüber Nachtabgeknickt worden, undichsolltenunder Tätersein.Ich konnte aber nachweisen, daß ich auswärts war, und siehaben es nicht rausgekriegt. Das war das einzige, was uns pas-siert ist...1945 wurde mein BruderKrischandann als Bürger-meister vonden Engländern eingesetzt.

" (K.S.)Die Interviews gaben eine Mikrogeschichte der Weimarer

Republik wieder,allerdings standen die Parteien in denErin-nerungen hinter den militanten Organisationen zurück; viel-leicht muß auch eingeschränkt werden, daß es sich bei denInterviewten damals um jungeLeute handelte.

Die bestimmenden Faktoren für die politische Einstellungscheinen allerdings der sozio-ökonomische Status und dasLebensalter gewesen zu sein. Sicherlich spielte auch die (ver-meintliche) Abhängigkeit vom Gutsbesitzer eine Rolle, da ineinigen Interviews dieser Zusammenhang angedeutet, beigenauerer Nachfrage die Äußerung allerdings relativiert

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wurdeDieGespräche weisenaberdeutlich daraufhin,daß es inder

Weimarer Republik eine Landarbeiterbewegung gab, die sichsozialistischorientiert hatteundmit derdieMitgliedergefühls-mäßige Bindungen aufwiesen.Ebenso werden vondiesenPhä-nomene der inneren Auflösungnach 1930 beklagt. Nach denBerichten scheint aber der Zugriff der Nationalsozialisten aufdie Arbeiterbewegung keineswegs so stark wie indenStädten-z. B.auch Eckernförde-gewesenzusein. Diese Erscheinungwird von einigenBetroffenen mit den persönlichenBeziehun-gen innerhalb desDorfes erklärt.

Auchdie Schwäche des Reichsbanners wird angesprochen:Als Organisation der Republikaner konnte er auf den Güternnur die Arbeiterschaft erfassen und wird oft im Verbund mitder SPDund Gewerkschaft genannt.

DieGutsbesitzer unterstützten nach Meinung ihrerLandar-beiter zu Beginndurchwegdie DNVP.DieseBeobachtung läßtsich durch einen Vergleich mit der Kandidatenlisteder Parteibestätigen. Später gingen offenbar-vorwiegend bürgerliche -Gutsbesitzerauchzur NSDAPüber, währendviele alteingeses-seneFamilien bei ihrer konservativ-monarchistischen Einstel-lung blieben.

DieLandvolkbewegung Schleswig-Holsteins ab1928 fand imAltkreis Eckernförde nach den Interviews wenig Widerhallund wirdhier deswegennicht weiter beachtet.

VI. „Es gab einegewisse Strömungbeiuns, die sagte, diebringen nichts" -SPDund Landproletariat

Die SPDhatteschon in ihren Gründungsjahren Schwierigkei-ten, ihre Politik im ländlichenRaum zu bestimmen. DieDis-kussion ging allerdings hauptsächlich um Möglichkeiten,selb-ständige Bauernzugewinnen. DieSammlungdesLandproleta-riats galt schon 1874 inEisenachals ZielsozialdemokratischerAgitation. 1891 beschloß der schleswig-holsteinische Parteitagauf eine eindringliche Rede eines Genossen aus Kappein/Angelnhin, derdieWohnungen vomLandarbeiter inSchwan-senmit schlechteren Schweineställen verglich und die sozialeLage desLandproletariats eindrücklich schilderte, sich der all-gemeinen Landagitation der SPD im Reichanzuschließen. 49

Kalender, Broschüren und Zeitungssonderbeilagen wurdenauf dem Lande verteilt, doch die Initiative schien nicht dengewünschten Erfolg zu haben. 1899 wurde der Antrag vonF.Rehbein, einen Geldfonds für Agitationszwecke zu schaf-fen, vom Parteitag in Schleswig-Holstein abgelehnt.50

1907 wurde dann noch einmal der Vorschlag eines Landar-beiterschutzgesetzes erwogen, doch dann trat die ErfassungvonLandarbeiternin denHintergrund.

Als sichnun inder deutschenRevolution 1918/19die Agrar-frage als eine der wichtigsten zu lösenden Aufgaben heraus-stellte,konnte die SPD hierauf nur mit äußerster Verwirrungreagieren. Die Konzeptionslosigkeit zeigte sich schon in denersten Äußerungen O.Brauns - des Beauftragten für Land-wirtschaft im November 1918 - gegenüber Vertretern desdurch Gutsbesitzer dominierten Bundes der Landwirte, dieeine ausdrückliche Eigentumsgarantie beinhalteten. Braun

49 Siehe: K.Saul: Der Kampfum dasLandproletariat,a.a.0.,S. 17.

50 F. Rehbein ist Autor des autobiogra-phischen Berichts: Das Leben einesLandarbeiters,a.a.0., siehe auch denDokumententeil von H.Rudel undU.J. Diederichs, 5.327.

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verband diese Entscheidung -nach Aussagen der Gespräch-spartner -mit derAufforderung, „daß insbesondere das Landalles tunmüsse, um die nochsehrgroße Gefahr des Bolschewis-mus zu bekämpfen".51

Diese Äußerungen beweisen sicherlich die Sorge des Ratsder Volksbeauftragten umdieErnährung derBevölkerungdesNachkriegsdeutschlands, zeigen aber auch angesichts derschwachen Landarbeiterbewegung und der insgesamt demo-kratischen Rätebewegung eine starke Verkennung der politi-schen Lage.

Die noch im November 1918 einberufene Sozialisierungs-kommission gingin ihrer Arbeitauf dieProblematikdes Groß-grundbesitzes nicht weiter ein, obwohl K.Kautsky in einemEntwurf eines Agrarprogramms die Verstaatlichung gegenEntschädigung gefordert hatte. Weitere Initiativen-E. Adlerhatte vorden schleswig-holsteinischenBauern- undLandarbei-terräten ein Genossenschaftsprogramm entwickelt - wurdennicht wieder aufgenommen. Das 1919 verabschiedete Sied-lungsgesetz hatte - wie schon ausgeführt - nur geringe wirt-schaftliche Auswirkungen.

Trotz einer innerparteilichen Debatte blieb die SPD in derAgrarfrage konzeptionslos; eine durchgreifende Änderung derländlichen Verhältnisse aber stand in den Anfangsjahren derWeimarer Republik nie wirklich zur Entscheidung.

Erst 1927erfolgte auf dem Kieler Parteitag eineNeubestim-mung des Verhältnisses von SPD undLandwirtschaft, als einvon F.Baade verfaßtes neues Agrarprogramm angenommenwurde,das aufErhaltdes bäuerlichenEigentums undaufeinendeutlichenEinsatz für die sozialen Interessen der Landarbei-terschaft hinauslief.

Die schleswig-holsteinische SPD versuchte ihre Bemühun-genumLandarbeiternach1927zuverstärkenundbeauftragteMitglieder, die zu dieser Tätigkeit besonders geeignet schie-nen, dieseAgitation aufzunehmen.Einer derBeauftragten warJuleBredenbek,der dieHaltung inder SPDbzw. seine Arbeitim folgenden beschreibt:

„Die Landarbeiter standen zum größten Teil hinter denSozialdemokraten, aberumgekehrt gab es viele Sozialdemokra-ten in den Städten, die diese Bildungsarbeit auf dem Landeunterschätzten, weil ihre ganze Politik mehr aufdie Industiear-beiter ausgerichtet war. Ich erinnere mich, daß wir in Preußeneinagrarpolitisches Programm hatten, dashataber inderpartei-politischenArbeit nuramRandeeineRollegespielt. 1927 wurdees anders. Allerdingssetzte dereigentliche Umschwung erstnachdenReichtagswahlen 1930ein, indenen dieNaziserdrutschartigStimmen gewannen.

DieKommunistenhattensich vorher auch umdieLandarbei-ter bemüht, aber dieResonanz war ziemlichgering. Ichhabe ofterlebt, wie ein kommunistischer Redner ohne nennenswertenErfolg nach Hausegehen mußte. Aber esgab auchAusnahmenin einigen Bezirken, wo ein tüchtiger Kommunist arbeitete undbei Kollegen sehr angesehen war. z. B. KrischanHeuck, eineinteressante PersönlichkeitinSchleswig-Holstein...

51 Siehe: M.Schuhmacher: a.a.0.,5.97.

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Beider SPD setzte das Augenmerk des Vorstandes hier erstspätein-wieschon gesagt.ImkleinenRahmender Ortsgruppengab es schon vorher Stützpunkte für den Landarbeiterver-band...Esgab aber einegewisse Strömungbei uns, die sagte,die bringen nicht... Die großen Hochburgen waren eben dieIndustrie- undHandelsstädte, unddortkamen diemeisten Stim-men her.

Manhat sich dann besonders in Schleswig-Hostein seit 1930vielMühe gegeben,politisch aufklärendzuwirken. Das warnunmein Auftrag zusammen mit Hein Fischer in der SPD. Wirgehörtenbeidenach1945 demschleswig-holsteinischen Landtagan. WirParteirednersinddamals indiekleinsten Ortegegangenundhabendort Versammlungen mit Landarbeiternabgehalten.Häufig waren nur 15-20 Mann und auch einige Mägde da,elektrisches Licht gab es häufig nicht, sondern man saß beiKarbid- und Petroleumlampen. Meistens redete zuerst einSekretär der Landarbeitergewerkschaft, dann wurdediskutiert,z. B. über den Milchpfennig oder eine Zulage für die Melker,undschließlich hielt icheinen Vortrag über diepolitische Lage.Wir führten dannmeistens aus, daß das wenige, was wir in derRepublik erreicht hatten, bedroht sei und daß nur ein Zusam-menschluß und die Solidarität Schlechters verhindern könne.Hierzuseies auch wichtig, dierichtigePartei zu wählenund diebedrohliche Machtergreifung durch dieNazis abzuwenden.

InSchwansen binichauchöftersgewesen, dakonntemanmitder damaligen Kreisbahnhinfahren, unddannging esentwederzu Fuß oder vorne auf der Lenkstange weiter, wenn mich einLandarbeiter mit dem Fahrrad abholte. Manchmal war um 20Uhr im Versammlungsraum noch keiner zu sehen, denn dieLandarbeiter hattenoftnochbis21UhraufdemHofzu tun,unddann erstkonnte es losgehen. "

Wie groß dieser Erfolg der Parteiarbeit war, ist schwierig zubeurteilen; zumindest läßt sich aber an den Wahlergebnissenablesen, daß ein nicht unerheblicher Teil der Landarbeiterauch 1933 noch sozialdemokratischstimmte.

Das Beispiel desAltkreisesEckernfördezeigt, daß diedeut-sche Revolution nur geringen Einfluß auf die durch Groß-grundbesitz geprägten und dort weiterhin wirksamen gesell-schaftlichen Strukturen ausübte.

Deutlich wird aber, daß die Existenz der ersten deutschenDemokratie den Handlungswillen von Landarbeitern zumAusdruck verhalf. In diesem Sinneist es berechtigt, voneinerLandarbeiterbewegung zu sprechen, deren demokratisch-sozialistische Orientierung oben beschrieben wurde. Es warLandarbeitern möglich, die sie bestimmenden gesellschaftli-chenStrukturen wenn auchnichtzuverändern, sodochoffen inFrage zu stellen,da die Weimarer Republik eine bewußte undfreie Artikulationder Interessenzuließ. Dies war zur Zeit desKaiserreichs zwar schon teilweise derFallgewesen, hatte abernicht zueiner derartigen Organisierung wie ab 1918 geführt.

Die SPD versäumte durch ihre Konzentrationauf die Indu-striearbeiterschaft, ihre Konzeptionslosigkeit und ihre politi-schen Schwankungen zu Anfang der Weimarer Republik,

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einenstabilenundaktiven Wählerstamm aufdemLandeaufzu-bauen unddieLandarbeiterschaft alsdemokratischesPotentialzustärken.Das KielerProgramm1927, das die InteressenvonLandarbeitern noch einmal ausdrücklich aufnahmund alseineder dringendsten Aufgaben „die Eingliederung der ländlichenMassen in unsereReihen" (KielerProgramm 1927-Schlußsatz)vorsah, kam wahrscheinlichzu spät.

Der 2.Weltkrieg und seine Folgen, zusammen mit der seit1950 wirksamen Modernisierung auf dem Lande, zerrüttetendie traditionellen Strukturen endgültig.

Der „Junker"undder in Abhängigkeit lebendeLandarbeitersind heuteals typische Erscheinungsbilder Schleswig-Holsteinsverschwunden.

Reichstagswahlen

195

1874 1912 1919 1921 1928 1932/1iut Konservative.ltenhof/ Nationalliber.län.Wohld Freisinn

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49

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299 145 53 8507 265 575 635144 212

57 79 190.schcffcl Konservative

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46 DDPSPD 30%10 USPDKPD

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SPD

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27,9%16,4% DDP6,8%34,8% Zentr.

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