Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses...

34
Kapitel Kapitelübersicht 3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 72 3.2 Außenhandel im Modell spezifischer Faktoren 85 3.3 Einkommensverteilung und Außenhandelsgewinne 90 3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau 93 Beispiele 3.1 Was ist ein spezifischer Faktor? 73 3.2 Spezifische Faktoren und die Anfänge der Theorie des Außenhandels 95 Wie in Kapitel 2 aufgezeigt, kann Außenhandel für alle beteiligten Nationen von Vorteil sein. Dennoch haben Regierungen zu allen Zeiten bestimmte Wirtschaftssektoren vor der Konkurrenz durch Importe geschützt. Die USA beispielsweise treten zwar grundsätzlich für Freihandel ein, beschränken jedoch den Import von Textilien, Zucker und anderen Gütern. Weshalb ergreift man Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Außenhandels, die doch eigentlich günstig für die Volkswirtschaft sind? Um die Handelspolitik zu ver- stehen, muss man die Auswirkungen des Außenhandels nicht nur auf die Nation als Gan- zes, sondern auch auf die Einkommensverteilung innerhalb des Landes betrachten. Das in Kapitel 2 dargelegte Ricardo-Modell des Außenhandels verdeutlicht die potenziel- len Außenhandelsgewinne. In diesem Modell führt Handel auf internationaler Ebene zu Spezialisierung. Jedes Land verlagert seine Arbeitskräfte aus Wirtschaftszweigen, in denen sie relativ ineffizient eingesetzt werden, in diejenigen Branchen, in denen sie ver- gleichsweise effizient sind. Da in diesem Modell Arbeit den einzigen Produktionsfaktor bildet und ungehindert zwischen den verschiedenen Sektoren wandern kann, ist von vorn- herein ausgeschlossen, dass der Außenhandel Individuen schädigt. Gemäß dem Ricardo- Modell erhöht der Außenhandel folglich nicht nur die Wohlfahrt der Nationen, sondern auch aller Individuen, weil er keinen Einfluss auf die Einkommensverteilung hat. In der Realität wirkt sich der Außenhandel allerdings ganz erheblich auf die Einkommensvertei- lung innerhalb jeder beteiligten Nation aus, sodass die Außenhandelsgewinne in der Pra- xis oft sehr ungleichmäßig verteilt werden. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich, dass sich der Außenhandel stark auf die Einkom- mensverteilung auswirkt. Erstens können Ressourcen nicht unmittelbar und kostenfrei von einer Branche in die andere verlagert werden. Zweitens unterscheiden sich die Bran- 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung

Transcript of Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses...

Page 1: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel

Kapitelübersicht

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 72

3.2 Außenhandel im Modell spezifischer Faktoren 85

3.3 Einkommensverteilung und Außenhandelsgewinne 90

3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau 93

Beispiele

3.1 Was ist ein spezifischer Faktor? 73

3.2 Spezifische Faktoren und die Anfänge der Theorie des Außenhandels 95

Wie in Kapitel 2 aufgezeigt, kann Außenhandel für alle beteiligten Nationen von Vorteilsein. Dennoch haben Regierungen zu allen Zeiten bestimmte Wirtschaftssektoren vor derKonkurrenz durch Importe geschützt. Die USA beispielsweise treten zwar grundsätzlichfür Freihandel ein, beschränken jedoch den Import von Textilien, Zucker und anderenGütern. Weshalb ergreift man Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Außenhandels,die doch eigentlich günstig für die Volkswirtschaft sind? Um die Handelspolitik zu ver-stehen, muss man die Auswirkungen des Außenhandels nicht nur auf die Nation als Gan-zes, sondern auch auf die Einkommensverteilung innerhalb des Landes betrachten.

Das in Kapitel 2 dargelegte Ricardo-Modell des Außenhandels verdeutlicht die potenziel-len Außenhandelsgewinne. In diesem Modell führt Handel auf internationaler Ebene zuSpezialisierung. Jedes Land verlagert seine Arbeitskräfte aus Wirtschaftszweigen, indenen sie relativ ineffizient eingesetzt werden, in diejenigen Branchen, in denen sie ver-gleichsweise effizient sind. Da in diesem Modell Arbeit den einzigen Produktionsfaktorbildet und ungehindert zwischen den verschiedenen Sektoren wandern kann, ist von vorn-herein ausgeschlossen, dass der Außenhandel Individuen schädigt. Gemäß dem Ricardo-Modell erhöht der Außenhandel folglich nicht nur die Wohlfahrt der Nationen, sondernauch aller Individuen, weil er keinen Einfluss auf die Einkommensverteilung hat. In derRealität wirkt sich der Außenhandel allerdings ganz erheblich auf die Einkommensvertei-lung innerhalb jeder beteiligten Nation aus, sodass die Außenhandelsgewinne in der Pra-xis oft sehr ungleichmäßig verteilt werden.

Zwei Gründe sind dafür verantwortlich, dass sich der Außenhandel stark auf die Einkom-mensverteilung auswirkt. Erstens können Ressourcen nicht unmittelbar und kostenfreivon einer Branche in die andere verlagert werden. Zweitens unterscheiden sich die Bran-

3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung

7081.book Page 71 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 2: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung72

chen hinsichtlich ihrer Produktionsfaktoren. Eine Veränderung in den Mengenverhältnis-sen der Güter, die ein Land produziert, senkt normalerweise den Bedarf an einigen Pro-duktionsfaktoren und erhöht den Bedarf an anderen. Aus diesen beiden Gründen sind dieVorteile des Außenhandels nicht so eindeutig, wie in Kapitel 2 nahe gelegt. Während dieNation als Ganzes vom Außenhandel profitiert, fügt er bedeutenden Gruppen innerhalbdes Landes zumindest kurzfristig oft Schaden zu.

Betrachten wir beispielsweise die Auswirkungen von Japans Reispolitik. Japan lässt nurganz geringe Reisimporte zu, obwohl der Reisanbau in Japan aufgrund der Bodenknapp-heit weitaus teurer ist als in anderen Ländern (einschließlich der USA). Zweifellos hätteJapan als Ganzes einen höheren Lebensstandard, wenn Reis unbeschränkt importiert wer-den könnte. Doch den japanischen Reisbauern würde der freie Handel schaden. Zwarkönnten die Bauern, die aufgrund der Importe ihren Lebensunterhalt verlieren, in derdurch Vollbeschäftigung gekennzeichneten japanischen Volkswirtschaft wahrscheinlicheine Anstellung in der Industrie oder im Dienstleistungssektor finden, doch wäre dieserWechsel für sie kostspielig und beschwerlich. Darüber hinaus würde der Wert ihres Land-besitzes mit dem Reispreis sinken. Die japanischen Reisbauern sind daher vehementeGegner des freien Reishandels, und ihre organisierte politische Opposition hat bislangmehr Gewicht als die potenziellen Außenhandelsgewinne für die Nation als Ganzes.

Eine realistische Analyse des Außenhandels muss über das Ricardo-Modell hinausModelle verwenden, welche die Auswirkungen des Außenhandels auf die Einkommens-verteilung abbilden. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf das Modell spezifischerFaktoren, das die Frage der Einkommensverteilung besonders klar erfasst.

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren

Das Modell spezifischer Faktoren wurde von Paul Samuelson und Ronald Jones1 entwi-ckelt. Wie das einfache Ricardo-Modell geht es von einer Volkswirtschaft aus, die zweiGüter produziert und ihren Arbeitsbestand beiden Sektoren frei zuteilen kann. Im Unter-schied zum Ricardo-Modell lässt das Modell spezifischer Faktoren allerdings neben derArbeit weitere Produktionsfaktoren zu. Während die Arbeit als mobiler Faktor voneinem Sektor zum anderen wandern kann, werden diese anderen Produktionsfaktoren alsspezifisch bezeichnet, können also nur in der Produktion ganz bestimmter Güter einge-setzt werden.

1 Paul Samuelson, „Ohlin Was Right“, in: Swedish Journal of Economics 73 (1971), S. 365-384;und Ronald W. Jones, „A Three-Factor Model in Theory, Trade and History“, in: Jagdish Bhag-wati et. al., Hrsg., Trade, Balance of Payments, and Growth, Amsterdam: North-Holland, 1971,S. 3-21.

7081.book Page 72 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 3: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 73

3.1.1 Annahmen des Modells

Gehen wir von einer Volkswirtschaft aus, die zwei Güter produzieren kann, Industriepro-dukte und Lebensmittel. Das entsprechende Land hat nicht nur einen, sondern drei Pro-duktionsfaktoren: Arbeit (L für Labor), Kapital (K) und Boden (T für Terrain). Die Indus-trieprodukte werden unter Einsatz von Kapital und Arbeit (nicht jedoch Boden)hergestellt, Lebensmittel hingegen unter Einsatz von Boden und Arbeit (nicht jedochKapital). Arbeit ist daher ein mobiler Faktor, der in beiden Sektoren eingesetzt werdenkann, während Boden und Kapital spezifische Faktoren sind, die nur bei der Produktioneines Gutes zum Einsatz kommen.

In welchen Mengen kann die Volkswirtschaft jedes der beiden Güter produzieren? DieProduktionsmenge der Industrie hängt davon ab, wie viel Kapital und Arbeit in diesemSektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie-dergegeben, aus der hervorgeht, in welcher Menge bei einem gegebenen Einsatz an Kapi-tal und Arbeit Industrieprodukte hergestellt werden können. Die Produktionsfunktion fürIndustrieprodukte (M für Manufactures) wird durch folgende algebraische Formel ausge-drückt:

QM = QM(K, LM). (3-1)

Dabei steht QM für die Produktionsmenge der Industie, K für die Kapitalausstattung derVolkswirtschaft und LM für die im verarbeitenden Gewerbe eingesetzte Arbeit. Die Pro-duktionsfunktion für den Lebensmittelsektor (F für Food) lautet entsprechend:

QF = QF(T, LF). (3-2)

Dabei steht QF für die Produktionsmenge an Lebensmitteln, T für den Bodenbestand undLF für die Arbeit, die in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird. Für die Volkswirt-schaft als Ganzes gilt, dass der gesamte Arbeitsbestand eingesetzt wird:

LM + LF = L. (3-3)

Beispiel 3.1: Was ist ein spezifischer Faktor?

Das in diesem Kapitel vorgestellte Modell geht von zwei Produktionsfaktoren aus,Boden und Kapital, die dauerhaft an bestimmte Wirtschaftssektoren gebunden sind.In entwickelten Volkswirtschaften entfällt allerdings nur ein kleiner Teil des Natio-naleinkommens auf landwirtschaftliche Nutzflächen. Wenn Ökonomen das Modellspezifischer Faktoren auf Volkswirtschaften wie etwa jene der USA oder Frankreichsanwenden, definieren sie den sektorspezifischen Charakter der Faktoren in der Regelnicht als unveränderlich, sondern als vorübergehend. Beispielsweise können die inder Bierproduktion eingesetzten Fässer und die im Karosseriebau verwendeten Pres-sen nicht gegeneinander ausgetauscht werden und sind daher sektorspezifisch. Mitder Zeit ist es allerdings durchaus möglich, Investitionen von Autofabriken in Braue-reien umzulenken oder umgekehrt. Langfristig betrachtet können daher sowohl Fäs-ser als auch Pressen als zwei Erscheinungsformen eines einzigen, mobilen Faktors –Kapital – aufgefasst werden.

7081.book Page 73 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 4: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung74

3.1.2 Produktionsmöglichkeiten

Das Modell spezifischer Faktoren geht davon aus, dass die spezifischen Faktoren, Kapitalund Boden jeweils nur in einem Sektor, nämlich der verarbeitenden Industrie oder derLebensmittelproduktion, eingesetzt werden können. Nur der Faktor Arbeit kann in beidenSektoren verwendet werden. Um die Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft zuanalysieren, müssen wir lediglich die Frage stellen, wie sich die Zusammensetzung derGesamtproduktion ändert, wenn Arbeit von einem Sektor in den anderen wandert. Dieskann in einem Schaubild dargestellt werden, indem zunächst die Produktionsfunktionen(3-1) und (3-2) gezeichnet und dann zur Ableitung der Transformationskurve kombiniertwerden.

In der Praxis sind spezifische und mobile Faktoren nicht durch eine klare Trennungs-linie geschieden. Man unterscheidet sie anhand der Geschwindigkeit, mit der sie anneue Umstände angepasst werden können. Je spezifischer die Faktoren, desto mehrZeit nimmt ihre Umleitung in andere Sektoren in Anspruch. Wie spezifisch sind alsodie Produktionsfaktoren in der realen Volkswirtschaft?

Arbeiter mit eher allgemeinen Fähigkeiten scheinen im Gegensatz zu hoch speziali-sierten Fachkräften recht mobil zu sein, wenn auch nicht ganz so mobil wie die Arbeitin unserem Modell. Darüber gibt unter anderem der Zeitaufwand Aufschluss, den dieArbeit braucht, um den geografischen Ort zu wechseln. Eine bekannte Studie stelltefest, dass Arbeiter sehr schnell in andere Bundesstaaten abwandern, wenn ein US-Bundesstaat in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät; innerhalb von sechs Jahrensinkt die Arbeitslosenrate wieder auf den nationalen Durchschnittswert.* Eine Spezi-almaschine hat demgegenüber eine typische Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren, einEinkaufszentrum oder ein Bürogebäude von vielleicht 50 Jahren. Arbeit ist also mitSicherheit ein weniger spezifischer Faktor als die meisten Arten von Kapital. Ande-rerseits sind hoch ausgebildete Arbeitskräfte eng an ihr Fach gebunden: Eine Hirn-chirurgin hätte vielleicht auch eine gute Geigerin abgegeben, kann aber nicht in derLebensmitte umsatteln.

*Olivier Blanchard und Lawrence Katz, „Regional Evolutions“, in: Brookings Paperson Economic Activity, 1991.

7081.book Page 74 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 5: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 75

Abbildung 3.1: Die Produktionsfunktion der Industrieprodukte

Abbildung 3.1 veranschaulicht die Beziehung zwischen dem Arbeitseinsatz und der Produk-tionsmenge an Industrieprodukten. Je größer der Arbeitseinsatz bei einem gegebenen Kapi-talstock, desto größer die Produktionsmenge. Die Steigung der Funktion QM = QM (K, LM)gibt das Grenzprodukt der Arbeit wieder, d.h. den Produktionszuwachs, der durch einezusätzliche Personenstunde erreicht wird. Wenn allerdings der Arbeitseinsatz erhöhtwird, ohne den Kapitaleinsatz zu steigern, stellen sich in der Regel sinkende Erträge ein:Da mit jedem zusätzlichen Arbeiter weniger Kapital auf die Tätigkeit jedes Einzelnenentfällt, sinkt der Produktionszuwachs mit jedem zusätzlichen Arbeitseinsatz. Diese sin-kenden Erträge kommen in der Form der Produktionsfunktionskurve zum Ausdruck: DerGraph QM (K, LM) wird flacher, je weiter wir nach rechts gehen, und zeigt damit an, dassdas Grenzprodukt der Arbeit mit zunehmendem Einsatz an Arbeitskräften sinkt. AusAbbildung 3.2 geht dieselbe Information in anderer Form hervor. Hier ist das Grenzpro-dukt der Arbeit direkt als Funktion der eingesetzten Arbeit dargestellt. (Im Anhang zudiesem Kapitel zeigen wir, dass die Fläche unterhalb der Grenzproduktkurve der Gesamt-produktion der Industrie entspricht.)

Ein ähnliches Schaubild-Paar kann zur Darstellung der Produktionsfunktion im Lebens-mittelsektor verwendet werden. Aus der Kombination der Schaubilder lässt sich dieTransformationskurve ableiten, wie in Abbildung 3.3 gezeigt. Wie wir in Kapitel 2 sahen,gibt die Transformationskurve die Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft wie-der. In unserem Fall zeigt sie, wie viele Lebensmittel bei einer gegebenen Produktions-menge der Industrie hergestellt werden können und umgekehrt.

Je mehr Arbeit in der Industrieproduk-tion eingesetzt wird, desto größer die Produktionsmenge. Aufgrund sinken-der Erträge erhöht jede zusätzliche Personenstunde die Produktionsmenge allerdings um ein geringeres Maß als die vorherige. Daher wird die Kurve, die das Verhältnis zwischen dem Arbeitseinsatz und der Produktions-menge wiedergibt, mit zunehmen-dem Arbeitseinsatz flacher.

7081.book Page 75 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 6: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung76

Abbildung 3.2: Das Grenzprodukt der Arbeit

Das Schaubild in Abbildung 3.3 besteht aus vier Quadranten. Im unteren rechten Qua-dranten sehen wir die Produktionsfunktion für Industrieprodukte wie in Abbildung 3.1gezeigt. Diesmal wurde die Darstellung jedoch gedreht: Eine Abwärtsbewegung entlangder vertikalen Achse steht für einen Zuwachs an Arbeit im Industriesektor, eine Bewe-gung nach rechts entlang der horizontalen Achse für eine Produktionssteigerung in dem-selben Sektor. Der Quadrant oben links zeigt die entsprechende Produktionsfunktion fürden Lebensmittelsektor; auch dieser Teil der Abbildung ist gedreht, sodass eine Bewe-gung nach links entlang der horizontalen Achse einen Zuwachs an Arbeit im Lebensmit-telsektor anzeigt, während eine Bewegung nach oben entlang der vertikalen Achse eineProduktionssteigerung in diesem Sektor wiedergibt.

Der untere linke Quadrant zeigt die Arbeitsallokation der Volkswirtschaft. Das Maß derGrößen in beiden Sektoren wird entgegen der üblichen Darstellung in umgekehrter Rich-tung angezeigt. Eine Abwärtsbewegung entlang der vertikalen Achse steht für einenZuwachs an Arbeit im Industriesektor; eine Bewegung nach links entlang der horizonta-len Achse zeigt einen Zuwachs an Arbeit im Lebensmittelsektor. Da ein Mehr anBeschäftigung in einem Sektor die verfügbare Arbeit für den anderen Sektor verringert,ergeben die möglichen Arbeitsallokationen eine abwärts gerichtete Linie. Diese als AAbezeichnete Linie hat einen abfallenden 45-Grad-Winkel, d.h. eine Steigung von –1. Ver-deutlichen wir uns, weshalb diese Linie die möglichen Allokationen der Arbeit wieder-gibt: Wenn der gesamte Arbeitsbestand in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird,dann ist LF gleich L und LM gleich 0. Wenn dann allmählich Arbeit in den Industriesektorabwandert, dann wächst mit jeder verlagerten Personenstunde LM um eine Einheit, wäh-rend LF um eine Einheit abnimmt, sodass eine Linie mit der Steigung –1 entsteht, bis dergesamte Arbeitsbestand L im Industriesektor eingesetzt ist. Jede denkbare Allokation derArbeit auf beide Sektoren kann also einem Punkt auf AA, beispielsweise Punkt 2, zuge-ordnet werden.

Entsprechend der Steigung der in Abbildung 3.1 gezeigten Produktions-funktion ist das Grenzprodukt der Arbeit im Industriesektor desto niedri-ger, je mehr Arbeit in diesem Sektor eingesetzt wird.

7081.book Page 76 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 7: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 77

Abbildung 3.3: Die Transformationskurve im Modell spezifischer Faktoren

Auf dieser Grundlage kann die Produktion für jede Arbeitsallokation zwischen beidenSektoren abgelesen werden. Nehmen wir an, dass die Arbeitsallokation Punkt 2 im unte-ren linken Quadranten entspricht, also (L2

M) Stunden für die Industrie und (L2F) Stunden

für Lebensmittel. Dann können wir anhand der Produktionsfunktion für jeden Sektor dieProduktionsmenge bestimmen: Sie beträgt Q2

M Einheiten im Industriesektor und Q2F Ein-

heiten im Lebensmittelsektor. Mit Hilfe dieser Koordinaten, Q2M und Q2

F , lässt sich derPunkt 2’ im oberen rechten Quadranten von Abbildung 3.3 bestimmen , der die zugehöri-gen Produktionsmengen im Industrie- und im Lebensmittelsektor angibt.

Die Produktion von Industrieprodukten und Lebensmitteln hängt von der Arbeitsallokation ab. Im Quadranten unten links kann die Allokation der Arbeit auf beide Sektoren durch einen Punkt auf der Linie AA dargestellt werden. Auf dieser Linie liegen sämtliche Kombinationsmöglichkeiten der Aufteilung des gesamten Arbeitsbestands auf den Industrie- und den Lebensmittelsektor. Jedem Punkt auf AA, wie beispielsweise Punkt 2, entspricht ein bestimmter Arbeitseinsatz im Industriesek-tor und im Lebensmittelsektor . Die Kurven in den Quadranten unten rechts und oben links geben die Produktionsfunktionen für den Industrie- und den Lebensmittelsektor wieder. An ihnen kann man die Produktionsmenge bei einem gegebenen Arbeitseinsatz ablesen. Die Kurve PP im oberen rechten Quadranten zeigt schließlich, wie die Produktion in beiden Sektoren variiert, wenn die Arbeitsallokation vom Lebensmittel- in den Industriesektor verschoben wird. Dabei entsprechen die Punkte 1’, 2’ und 3’ auf der Transformationskurve den Arbeitsallokationen 1, 2 und 3. Aufgrund sinkender Erträge verläuft PP nicht gerade, sondern konvex.

�� �

�� �� �

��

����

��

7081.book Page 77 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 8: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung78

Um die gesamte Transformationskurve zu erhalten, nehmen wir nun einfach an, dass die-ses Verfahren für zahlreiche unterschiedliche Arbeitsallokationen wiederholt wird.Beginnen wir beispielsweise damit, dass die meiste Arbeit in der Lebensmittelproduktioneingesetzt wird, entsprechend Punkt 1 im unteren linken Quadranten. Erhöhen wir dannallmählich die der Industrie zugeteilte Arbeit, bis nur noch sehr wenige Arbeiter imLebensmittelsektor beschäftigt sind, wie in Punkt 3. Die diesem Verlauf entsprechendenPunkte im oberen rechten Quadranten bilden dann den Kurvenabschnitt von 1’bis 3’. DieKurve PP im oberen rechten Quadranten zeigt also die Produktionsmöglichkeiten derVolkswirtschaft bei einer gegebenen Ausstattung mit Boden, Arbeit und Kapital.

Im Ricardo-Modell, in dem Arbeit den einzigen Produktionsfaktor darstellt, bildet dieTransformationskurve eine Gerade, weil die Opportunitätskosten des Industriesektors,ausgedrückt in Einheiten des Lebensmittelsektors, konstant bleiben. Im Modell spezifi-scher Faktoren verformen zusätzliche Faktoren die Transformationslinie PP zu einerKurve. Die Krümmung von PP widerspiegelt die sinkenden Erträge der Arbeit in jedemSektor; diese sinkenden Erträge bilden den entscheidenden Unterschied zwischen demModell spezifischer Faktoren und dem Ricardo-Modell.

Beachten Sie Folgendes: Entlang der Linie PP wandert Arbeit vom Lebensmittel- in denIndustriesektor. Wenn wir eine Personenstunde Arbeit in diese Richtung verschieben,wird die Industrieproduktion durch diesen zusätzlichen Input allerdings lediglich um dasGrenzprodukt der Arbeit (MPL für Marginal Product of Labor) erhöht, also um MPLM.Um die Industrieproduktion um eine Einheit zu steigern, müssen wir folglich den Arbeits-einsatz um 1/MPLM erhöhen. Gleichzeitig senkt jede Arbeitseinheit, die aus der Lebens-mittelproduktion abgezogen wird, die Produktionsmenge in diesem Sektor um das Grenz-produkt der Arbeit bei Lebensmitteln, MPLF. Um also die Industrieproduktion um eineEinheit zu steigern, muss die Volkswirtschaft die Lebensmittelproduktion um MPLF/MPLM senken. Die Steigung von PP, welche die Opportunitätskosten von Industriepro-dukten in Lebensmitteln ausdrückt – d.h. die Anzahl Lebensmitteleinheiten, die für eineErhöhung der Industrieproduktion um eine Einheit geopfert werden müssen –, errechnetsich daher folgendermaßen:

Steigung der Transformationskurve: –MPLF / MPLM.

Nun wird deutlich, woraus sich der gekrümmte Verlauf von PP ergibt. Auf dem Weg von1’ zu 3’steigt LM und sinkt LF. Wir sahen allerdings in Abbildung 3.2, dass das Grenzpro-dukt der Arbeit im Industriesektor mit steigendem LM sinkt; entsprechend steigt mitfallendem LF das Grenzprodukt der Arbeit im Lebensmittelsektor. Daher nimmt dieSteigung von PP zu, je weiter wir uns auf ihr nach rechts bewegen.

Wir haben gezeigt, wie bei gegebener Arbeitsallokation die Produktion bestimmt wird.Als Nächstes fragen wir, wie in einer Marktwirtschaft die Arbeitsallokation bestimmtwird.

7081.book Page 78 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 9: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 79

3.1.3 Preise, Löhne und Arbeitsallokation

Wie viel Arbeit wird in jedem Sektor eingesetzt? Um diese Frage zu beantworten, müssenwir Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt betrachten. Die Nachfrage nach Arbeitin jedem Sektor hängt vom Preis der Erzeugnisse und vom Lohnsatz ab. Der Lohnsatzwiederum hängt von der Gesamtnachfrage nach Arbeit im Lebensmittel- und im Indus-triesektor ab. Wenn wir die Preise von Industrieprodukten und Lebensmitteln sowie denLohnsatz kennen, können wir die Beschäftigung und die Produktionsmenge jedes Sektorsbestimmen.

Betrachten wir zunächst die Nachfrage nach Arbeit. In jedem Sektor fragen Gewinnmaximierende Unternehmer Arbeitskräfte bis zu dem Punkt nach, an dem der durch einezusätzliche Personenstunde erzeugte Wert den Arbeitskosten für diese Stunde entspricht.Im Industriesektor beispielsweise entspricht der Wert einer zusätzlichen Personenstundedem Grenzprodukt der Arbeit für diesen Sektor multipliziert mit dem Preis einer EinheitIndustrieprodukte: MPLM × PM. Wenn wir den Lohnsatz der Arbeit mit w bezeichnen,stellen die Arbeitgeber folglich so lange Arbeiter ein, bis

MPLM × PM = w. (3-4)

Allerdings fällt aufgrund sinkender Erträge das Grenzprodukt der Arbeit in der Industrie,wie bereits in Abbildung 3.2 gezeigt. So wird auch für jeden gegebenen Preis von Indus-trieprodukten PM das Wertgrenzprodukt, MPLM × PM, eine negative Steigung aufweisen.Daher definiert die Formel (3-4) zugleich die Nachfragekurve nach Arbeit im Industrie-sektor: Wenn der Lohnsatz bei ansonsten gleich bleibenden Bedingungen sinkt, werdendie Arbeitgeber im Industriesektor mehr Arbeiter einstellen wollen.

Entsprechend beträgt der Wert einer zusätzlichen Personenstunde im LebensmittelsektorMPLF × PF. Die Kurve der Nachfrage nach Arbeit im Lebensmittelsektor kann daherdurch folgende Formel beschrieben werden:

MPLF × PF = w. (3-5)

Aufgrund unserer Annahme, dass die Arbeit zwischen den Sektoren völlig mobil ist,muss der Lohnsatz in beiden Sektoren gleich sein. Denn wenn die Arbeit ein mobiler Fak-tor ist, wandert sie so lange vom Niedriglohn- zum Hochlohnsektor, bis sich die Löhneausgeglichen haben. Der Lohnsatz wiederum wird von unserer Voraussetzung bestimmt,dass die Gesamtnachfrage nach Arbeit (die Gesamtbeschäftigung) dem Gesamtangebotan Arbeit entspricht:

LM + LF = L. (3-6)

7081.book Page 79 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 10: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung80

Abbildung 3.4: Die Allokation der Arbeit

Wenn wir diese drei Gleichungen in einem Schaubild wiedergeben (Abbildung 3.4), sowird deutlich, wie der Lohnsatz und die Beschäftigungsrate in jedem Sektor von den Prei-sen für Lebensmittel und Industrieprodukte bestimmt werden. Auf der horizontalenAchse in Abbildung 3.4 ist das gesamte Arbeitsangebot L abgetragen. Ausgehend von derlinken Seite des Schaubilds zeigen wir den Wert des Grenzprodukts der Arbeit im Indus-triesektor, der sich aus der Multiplikation der Kurve MPLM aus Abbildung 3.2 mit PMergibt. Das ist die Nachfragekurve für Arbeit im Industriesektor. Ausgehend von der rech-ten Seite zeigen wir das Wertgrenzprodukt der Arbeit im Lebensmittelsektor, d.h. dieNachfrage nach Arbeit in diesem Sektor. In Punkt 1 befinden sich der Lohnsatz und dieArbeitsallokation beider Sektoren im Gleichgewicht. Bei einem Lohnsatz von w1 ist dieSumme der vom Industrie- und Lebensmittelsektor nachgefragten Arbeit, (L1

M) und (L1F),

gleich dem Gesamtangebot der Arbeit L.

Aus dieser Analyse der Arbeitsallokation ergibt sich eine sehr aufschlussreiche Bezie-hung zwischen relativen Preisen und Produktionsmengen. Diese Beziehung gilt auch fürallgemeinere Situationen als diejenige, die im Modell spezifischer Faktoren beschriebenist. Aus den Formeln (3-4) und (3-5) ergibt sich, dass

MPLM × PM = MPLF × PW = w

und nach Umformung:

MPLF / MPLM = –PM / PF . (3-7)

Die Allokation der Arbeit verläuft so, dass ihr Wert-grenzprodukt im Industrie- und Lebensmittelsektor gleich ist. Im Gleich-gewichtszustand ist der Lohnsatz gleich dem Wert-grenzprodukt der Arbeit.

7081.book Page 80 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 11: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 81

Die linke Seite der Gleichung (3-7) gibt die Steigung der Transformationskurve im Punktder tatsächlich erfolgenden Produktion wieder; die rechte Seite den negativen Wert desrelativen Preises pro Einheit in der verarbeitenden Industrie. Aus diesem Befund geht her-vor, dass im Produktionspunkt der Transformationskurve eine Tangente anliegen muss,deren Steigung dem negativen Wert des Preisverhältnisses von Industriegütern zu Lebens-mitteln entspricht. Das Ergebnis ist in Abbildung 3.5 dargestellt: Wenn der relative Preisdes Industriesektors bei 1 liegt, (PM/PF)1, produziert die Volkswirtschaft in Punkt 1.

Abbildung 3.5: Die Produktion im Modell spezifischer Faktoren

Wie verändern sich Arbeitsallokation und Einkommensverteilung, wenn sich die Preisevon Lebensmitteln und Industrieprodukten verändern? Beachten Sie, dass jede Preisver-änderung in zwei Bestandteile zerlegt werden kann. Entweder PM und PF ändern sichproportional in gleichem Maße, oder es ändert sich nur ein Preis. Nehmen wir beispiels-weise an, dass der Preis von Industrieprodukten um 17 Prozent und jener von Lebensmit-teln um 10 Prozent steigt. Um die Auswirkungen zu analysieren, fragen wir zunächst, wiesich eine Erhöhung beider Preise um 10 Prozent auswirkt, und untersuchen dann die Fol-gen einer weiteren Erhöhung der Industrieproduktpreise um 7 Prozent. Auf diese Weisekönnen wir die Folgen von Veränderungen im gesamten Preisniveau von den Auswirkun-gen veränderter relativer Preise unterscheiden.

Gleiche proportionale Preisveränderung. Abbildung 3.6 zeigt die Auswirkungen einergleichen proportionalen Erhöhung von PM und PF . PM steigt von PM

1 auf PM2 ; PF steigt

von PF1 auf PF

2 . Wenn die Preise beider Güter um 10 Prozent steigen, werden die beidenKurven der Nachfrage nach Arbeit ebenfalls um 10 Prozent nach oben verschoben. Wiedas Schaubild zeigt, führen diese Verschiebungen zu einem Anstieg des Lohnsatzes um10 Prozent, von w1 (Punkt 1) auf w2 (Punkt 2). Die Allokation der Arbeit zwischen denSektoren und die Produktionsmengen beider Güter ändern sich nicht.

Die Volkswirtschaft produziert an dem Punkt ihrer Transformationskurve (PP), an dem deren Steigung dem negativen Wert des relativen Preises der Industrie-produkte entspricht.

7081.book Page 81 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 12: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung82

Abbildung 3.6: Gleicher proportionaler Anstieg der Preise für Industrieprodukte und Lebensmittel

Wenn sich also PM und PF in gleichen Proportionen verändern, bleibt eigentlich allesbeim Alten. Der Lohnsatz steigt im selben Verhältnis wie die Preise, sodass die Real-löhne, nämlich die Verhältnisse zwischen dem Lohnsatz und den Güterpreisen, nichtbetroffen werden. Jeder Sektor beschäftigt weiterhin dieselbe Menge an Arbeitskräften,die denselben Reallohn erhalten, und auch das Realeinkommen der Besitzer von Kapitalund Boden bleibt gleich. Alle Beteiligten befinden sich also in genau derselben Lage wiezuvor. Dieses Phänomen steht für ein allgemein gültiges Prinzip: Veränderungen des all-gemeinen Preisniveaus haben keine realen Auswirkungen, sie verändern keine physi-schen Mengen in der Volkswirtschaft. Nur Veränderungen der relativen Preise – in unse-rem Falle der Preise von Industrieprodukten im Verhältnis zu Lebensmittelpreisen, PM/PF– wirken sich auf den Wohlstand oder die Allokation der Ressourcen aus.

Änderung der relativen Preise. Betrachten wir die Auswirkungen einer Preisverände-rung, welche im Gegensatz zu obigem Fall die relativen Preise betrifft. Abbildung 3.7verdeutlicht die Auswirkung einer Preisveränderung bei nur einem Gut, in diesem Falleiner 7-prozentigen Erhöhung des PM von P1

M auf P2M. Die Erhöhung von PM führt zu

einer Verschiebung der Nachfragekurve nach Arbeit im Industriesektor im selben Verhält-nis wie die Preissteigerung und verlagert das Gleichgewicht von Punkt 1 nach Punkt 2.Beachten Sie im Zusammenhang mit dieser Verlagerung zwei wichtige Erscheinungen.Erstens: Der Anstieg des Lohnsatzes bleibt hinter dem Anstieg der Preise für Industrie-produkte zurück. Dies geht aus einem Vergleich der Abbildungen 3.6 und 3.7 hervor. InAbbildung 3.6, die das Ergebnis einer 10-prozentigen Erhöhung von sowohl PM als auchPF wiedergibt, sahen wir, dass w ebenfalls um 10 Prozent stieg. Wenn nur PM erhöhtwird, steigt w eindeutig in geringerem Maße – sagen wir, um 5 Prozent.

Die Kurven der Nach-frage nach Arbeit für den Industrie- und den Lebensmittelbereich werden beide nach oben verschoben, und zwar entsprechend dem Anstieg von PM (P1

M auf P2

M ) und von PF (P1F auf

P2F ). Der Lohnsatz steigt

proportional dazu von w1 auf w2, doch die Alloka-tion der Arbeit zwischen beiden Sektoren ändert sich nicht.

7081.book Page 82 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 13: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.1 Das Modell spezifischer Faktoren 83

Abbildung 3.7: Anstieg der Preise von Industrieprodukten

Zweitens: Wenn nur PM steigt, wandert im Gegensatz zum Fall des gleichzeitigenAnstiegs von PM und PF Arbeit vom Lebensmittelsektor in den Industriesektor. DieIndustrieproduktion steigt, während die Lebensmittelproduktion sinkt. (Hier liegt derGrund, weshalb w nicht im selben Maße ansteigt wie PM: Weil die Beschäftigung imIndustriesektor zunimmt, sinkt das Grenzprodukt der Arbeit in diesem Sektor.)

Die Auswirkungen eines Anstiegs der relativen Preise bei Industrieprodukten kann manauch direkt an der Transformationskurve ablesen. Abbildung 3.8 zeigt die Auswirkungendesselben Preisanstiegs bei Industrieprodukten. Ihr relativer Preis steigt von (PM/PF)1 auf(PM/PF)2. Der Produktionspunkt, der stets dort liegt, wo die Steigung von PP gleich demnegativen Wert des relativen Preises ist, wandert von 1 nach 2. Der Anstieg des relativenPreises von Industrieprodukten führt dazu, dass die Lebensmittelproduktion sinkt und dieIndustrieproduktion steigt.

Da höhere relative Preise im Industriesektor zu einer Erhöhung der Industrieproduktionim Verhältnis zur Lebensmittelproduktion führen, können wir die relative AngebotskurveQM/QF als Funktion von PM/PF darstellen. Diese Kurve des relativen Angebots ist inAbbildung 3.9 als RS gezeichnet. Wie wir in Kapitel 2 aufgezeigt haben, kann man aucheine Kurve der relativen Nachfrage zeichnen, die durch die fallende Linie RD wiederge-geben ist. Der Gleichgewichtszustand zwischen relativen Preisen (PM/PF)1 und relativerProduktionsmenge (QM/QF)1 befindet sich im Schnittpunkt von RS und RD.

Die Kurve der Nachfrage nach Arbeit im Industriesektor steigt entsprechend der 7-prozentigen Erhöhung von PM, doch der Lohnsatz steigt um einen geringeren Prozentsatz. Die Industrie-produktion steigt, die Lebensmittelproduktion sinkt.

7081.book Page 83 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 14: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung84

Abbildung 3.8: Änderung der Produktionsmenge infolge eines veränderten relativen Preises bei Industrieprodukten

3.1.4 Relative Preise und Einkommensverteilung

Bisher haben wir folgende Aspekte des Modells spezifischer Faktoren untersucht: 1) dieBestimmung der Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft, wenn ihre Ressourcenund Technologie gegeben sind, und 2) die Bestimmung der Ressourcenallokation, derProduktion und der relativen Preise in einer Marktwirtschaft. Bevor wir uns den Auswir-kungen des Außenhandels zuwenden, müssen wir zunächst die Folgen veränderter relati-ver Preise für die Einkommensverteilung betrachten.

Kehren wir noch einmal zu Abbildung 3.7 zurück, in der die Auswirkung eines Preisan-stiegs der Industrieprodukte wiedergegeben ist. Wir haben bereits vermerkt, dass sich dieKurve der Nachfrage nach Arbeit im Industriesektor proportional zu dem Anstieg von PMnach oben verschiebt: Wenn PM um 10 Prozent steigt, wird auch die durch PM × MPLMdefinierte Kurve um 10 Prozent nach oben verschoben. Wir haben auch gesehen, dass win geringerem Maße steigt als PM, wenn nicht der Lebensmittelpreis ebenfalls um 10 Pro-zent erhöht wird. Wenn also die Industrieproduktpreise um 10 Prozent steigen, dürfen wirerwarten, dass sich der Lohnsatz beispielsweise um nur 5 Prozent erhöht.

Betrachten wir nun die Auswirkungen dieser Folgeerscheinungen auf die Einkommendreier Gruppen: Arbeiter, Kapitalbesitzer und Grundbesitzer. Die Arbeiter stellen fest,dass ihr Lohn zwar gestiegen ist, aber um weniger als der Anstieg von PM. Folglich sinktihr Reallohn im Verhältnis zu den Preisen für Industrieprodukte (w/PM), während er imVerhältnis zu den Lebensmittelpreisen (w/PF) steigt. Anhand dieser Informationen kön-nen wir noch nicht beurteilen, ob es den Arbeitern besser oder schlechter geht als zuvor;denn dies hängt davon ab, welche relative Bedeutung Industrieprodukte und Lebensmittelfür ihren Konsum haben, eine Frage, die wir an dieser Stelle nicht vertiefen.

Die Volkswirtschaft produziert immer an dem Punkt ihrer Transformations-kurve (PP), an dem die Steigung von PP gleich dem negativen Wert des relativen Preises der Industrieprodukte ist. Ein Anstieg des Verhältnisses PM/PF führt also dazu, dass sich der Produk-tionspunkt auf der Transformations-kurve nach rechts unten verschiebt, was einer höheren Industrieproduk-tion und einer geringeren Lebensmit-telproduktion entspricht.

7081.book Page 84 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 15: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.2 Außenhandel im Modell spezifischer Faktoren 85

Den Kapitalbesitzern dagegen geht es eindeutig besser. Der reale Lohnsatz ist gemessenan den Preisen für Industrieprodukte gesunken, sodass die Erträge der Kapitalbesitzer imVerhältnis zu ihren Produkten steigen. Das Einkommen der Kapitalbesitzer wächst alsoproportional zum Anstieg von PM. Da PM wiederum in Relation zu PF gestiegen ist, istdas Einkommen der Kapitalbesitzer im Verhältnis zu den Gütern beider Sektoren ganzklar gestiegen.

Die Grundbesitzer hingegen stehen schlechter da als zuvor. Ihre Einbußen haben zweiUrsachen: Die Reallöhne steigen im Verhältnis zu den Lebensmittelpreisen, was ihr Ein-kommen mindert, und der Anstieg der Preise für Industrieprodukte reduziert die Kauf-kraft aller gegebenen Einkünfte.

Abbildung 3.9: Bestimmung der relativen Preise

3.2 Außenhandel im Modell spezifischer Faktoren

Nachdem wir das Modell spezifischer Faktoren auf eine einzelne Volkswirtschaft ange-wandt haben, können wir uns nun einer Analyse des Außenhandels zuwenden. Nehmenwir an, dass zwei Länder, Japan und Amerika, miteinander handeln. Untersuchen wir dieAuswirkungen dieses Handels auf ihren Wohlstand.

Voraussetzung für das Zustandekommen von Außenhandel sind unterschiedliche relativePreise in den Industriesektoren beider Länder unter Bedingungen, in denen kein Handelstattfinden würde. In Abbildung 3.9 sahen wir, wie PM/PF in einer einzelnen Volkswirt-schaft in Abwesenheit von Außenhandel bestimmt wird. Die Gründe für unterschiedlicherelative Preise in Japan und in Amerika können in Unterschieden entweder bei der relati-ven Nachfrage oder beim relativen Angebot liegen. Wir wollen hier von Nachfrageunter-

Gemäß dem Modell spezifischer Fak-toren führt ein erhöhter relativer Preis für Industrieprodukte zu einem Pro-duktionsanstieg dieses Sektors im Ver-hältnis zum Lebensmittelsektor. Daher steigt die Kurve des relativen Ange-bots RS. Die relativen Mengen und Preise befinden sich dort im Gleichge-wicht, wo sich RS mit der Kurve der relativen Nachfrage RD schneidet.

7081.book Page 85 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 16: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung86

schieden absehen. Wir nehmen also an, dass die relative Nachfrage bei einem gegebenenVerhältnis PM/PF für beide Länder gleich ist. Wenn beide Länder denselben relativenPreis für Industrieprodukte haben, konsumieren sie folglich Lebensmittel und Industrie-produkte im selben Verhältnis. Beide Länder weisen daher dieselbe Kurve der relativenNachfrage auf, sodass wir uns ganz auf Unterschiede im relativen Angebot als Ursachefür Außenhandel konzentrieren können.

Welche Ursachen können Unterschiede im relativen Angebot bedingen? Die Länderkönnen, wie im Ricardo-Modell, über unterschiedliche Technologien verfügen. Da unserjetziges Modell mehr als nur einen Produktionsfaktor berücksichtigt, könnten sie sichallerdings auch hinsichtlich ihrer Ressourcen unterscheiden. Es lohnt sich, die Auswir-kungen unterschiedlicher Ressourcen auf das relative Angebot näher zu betrachten.

3.2.1 Ressourcen und relatives Angebot

Die grundlegende Beziehung zwischen Ressourcen und relativem Angebot ist recht ein-fach: Ein Land mit viel Kapital und wenig Boden tendiert dazu, bei jedem gegebenenPreisniveau einen höheren Anteil an Industrieprodukten im Verhältnis zu Lebensmittelnzu produzieren, während ein Land mit viel Boden und wenig Kapital sich umgekehrt ver-hält. Was würde passieren, wenn in einem der Länder das Angebot an einer Ressourcesteigt? Nehmen wir beispielweise an, dass Japan seinen Kapitalstock erhöht. Die Auswir-kungen eines solchen Anstiegs sind in Abbildung 3.10 wiedergegeben.

Abbildung 3.10: Änderung des Kapitalstocks

Eine Erhöhung des Kapitalstocks erhöht das Grenzprodukt der Arbeit bei jedem Beschäfti-gungsgrad. Dadurch steigt die Nachfrage nach Arbeit im Industriesektor, sodass der Lohnsatz insgesamt steigt. Da Arbeit aus dem Lebensmittel-sektor abgezogen wird, steigt die Industrieproduktion, während die Lebensmittel-produktion sinkt.

7081.book Page 86 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 17: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.2 Außenhandel im Modell spezifischer Faktoren 87

Bei ansonsten konstanten Bedingungen würde eine Erhöhung der Kapitalmenge dasGrenzprodukt der Arbeit im Industriesektor erhöhen. Folglich würde sich die Nachfrage-kurve der Arbeit in diesem Sektor nach rechts verschieben, von PM × MPLM

1 nach PM ×MPLM

2. Bei allen gegebenen Preisen für Industrieprodukte und Lebensmittel würde diesegesteigerte Nachfrage nach Arbeit im Industriesektor den Gleichgewichtszustand vonPunkt 1 nach Punkt 2 verschieben. Arbeiter würden aus dem Lebensmittelsektor in denIndustriesektor abwandern. Die Industrieproduktion würde aus zwei Gründen steigen: Esgäbe nun mehr Arbeiter in diesem Sektor und für ihre Arbeit stünde mehr Kapital zurVerfügung. Die Lebensmittelproduktion würde infolge des gesenkten Einsatzes an Arbeitzurückgehen. Folglich würde die relative Produktionsmenge des Industriesektors beiallen gegebenen relativen Preisen für Industrieprodukte steigen. Wir ziehen also dieSchlussfolgerung, dass ein Anstieg des Angebots an Kapital die Kurve des relativenAngebots nach rechts verschieben würde.

Welche Auswirkungen hätte ein Wachstum des Arbeitsbestands? Dieser Fall ist wenigereindeutig gelagert. Arbeitgeber erhalten einen Anreiz zur Beschäftigung zusätzlicherArbeiter, wenn der Lohnsatz sinkt. Dies führt zu zunehmender Beschäftigung und zuneh-mender Produktion in beiden Sektoren, die Auswirkungen auf die relativen Produktions-mengen sind uneindeutig.

Nehmen wir dennoch für Japan und Amerika den gleichen Arbeitsbestand an. Japan habejedoch eine bessere Ausstattung mit Kapital und Amerika mehr Boden zur Verfügung.Diese Situation ist in Abbildung 3.11 dargestellt. Japans Kurve des relativen AngebotsRSJ liegt rechts von der entsprechenden Kurve für Amerika, RSA, weil die reichhaltigeKapitalausstattung und knappe Bodenausstattung Japan dazu veranlasst, bei jedemgegebenen relativen Preis Industrieprodukte in großer Quantität und relativ wenigLebensmittel herzustellen, während sich Amerika genau umgekehrt verhält.

Abbildung 3.11: Handel und relative Preise

Diese Abbildung geht davon aus, dass Japan mehr Kapital pro Arbeiter hat als Amerika, während Amerika über mehr Boden pro Arbeiter verfügt als Japan. Daher liegt Japans Kurve des relativen Angebots rechts von derjenigen Amerikas. Wenn die beiden Volks-wirtschaften Handel treiben, liegt die Kurve des relativen Welt-angebots RSWELT zwischen den entsprechenden Kurven für beide Nationen, und der relative Welt-preis für Industrieprodukte befindet sich in einem Punkt im Gleichgewicht – definiert durch den Schnittpunkt von RSWELT mit der Kurve der relativen Weltnach-frage RDWELT –, der zwischen den Gleichgewichtspunkten beider Länder ohne Handel liegt.

7081.book Page 87 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 18: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung88

3.2.2 Handel und relative Preise

Auch in diesem Modell führt der Außenhandel wieder zu einer Konvergenz der relativenPreise, wie Abbildung 3.11 veranschaulicht. Da die relative Nachfrage in Amerika undJapan gleich ist, bezeichnet RDWELT sowohl die Kurve der relativen Nachfrage beiderLänder als auch die Kurve der Weltnachfrage im Falle von Außenhandel. RSJ und RSAsind die Kurven des relativen Angebots für Japan bzw. Amerika. Japan ist in diesem Bei-spiel verhältnismäßig üppig mit Kapital ausgestattet und verfügt über wenig Boden, wäh-rend es in Amerika umgekehrt ist. Daher liegt RSJ rechts von RSA. Der relative Preis fürIndustrieprodukte vor Handel in Japan, (PM/PF)J, ist niedriger als der relative Preis vorHandel in Amerika, (PM/PF)A.

Sobald die beiden Länder den Handel eröffnen, schaffen sie eine integrierte Weltwirt-schaft, deren Produktion im Industrie- und Lebensmittelsektor die Summe der nationalenProduktion beider Güter darstellt. Das relative Weltangebot an Industrieprodukten(RSWELT) liegt zwischen den relativen Angeboten beider Länder. Der weltweite relativePreis für Industrieprodukte, (PM/PF)WELT, liegt daher zwischen den entsprechendennationalen Preisen vor Handel. Der Handel hat den relativen Preis von Industrieproduktenin Japan erhöht und in Amerika gesenkt.

3.2.3 Die Handelsstruktur

Wir haben festgestellt, dass Außenhandel aufgrund unterschiedlicher relativer Preise fürIndustrieprodukte zustande kommt. Auf welche Weise bestimmt nun die Konvergenz vonPM/PF die Struktur des Außenhandels? Um diese Frage zu beantworten, müssen wireinige grundlegende Beziehungen zwischen Preisen, Produktion und Konsum festhalten.

In einem Land, das keinen Außenhandel treiben kann, muss die Produktionsmenge einesGuts gleich seinem Verbrauch sein. Wenn DM den Konsum an Industrieprodukten und DFden Konsum an Lebensmitteln bezeichnet, dann ist in einer geschlossenen Volkswirt-schaft DM = QM und DF = QF. Der Außenhandel ermöglicht nun, dass Industrieprodukteund Lebensmittel in einem anderen Verhältnis konsumiert als produziert werden. Wäh-rend allerdings die Menge jedes einzelnen Gutes, das ein Land konsumiert und produ-ziert, durchaus schwanken darf, kann ein Land nicht mehr ausgeben, als es einnimmt. DerWert des Konsums muss gleich dem Wert der Produktion sein, daher gilt:

PM × DM + PF × DF = PM × QM + PF × QF. (3-8)

Die Gleichung (3-8) kann umgeformt werden zu:

DF – QF = (PM / PF) × (QM – DM). (3-9)

DF – QF ergibt die Lebensmittelimporte der Volkswirtschaft, die Menge, um die ihr Kon-sum an Lebensmitteln deren Produktion übersteigt. Die rechte Seite der Gleichung ist dasProdukt aus dem relativen Preis der Industrieprodukte und der Menge, um welche dieProduktion an Industrieprodukten deren Konsum übersteigt, also dem Industrieprodukt-export der Volkswirtschaft. Die Gleichung besagt demnach, dass der Lebensmittelimport

7081.book Page 88 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 19: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.2 Außenhandel im Modell spezifischer Faktoren 89

dem Produkt aus Industrieproduktexport und relativem Preis der Industrieprodukte ent-spricht. Sie gibt keinen Aufschluss über das Volumen der Importe und Exporte, sagt aberaus, dass die Importmenge, die sich die Volkswirtschaft leisten kann, durch ihre Export-menge beschränkt wird. Daher wird die Gleichung (3-9) als Budgetbeschränkung2

bezeichnet.

Abbildung 3.12 veranschaulicht zwei wichtige Eigenschaften der Budgetbeschränkungfür eine Außenhandel treibende Volkswirtschaft. Erstens ist die Steigung der Budgetbe-schränkungslinie gleich dem negativen Wert von PM/PF, also dem relativen Preis vonIndustrieprodukten, denn der Verzicht auf den Konsum einer Einheit Industrieprodukteerspart der Volkswirtschaft PM. Damit kann sie PM/PF zusätzliche Einheiten Lebensmit-tel erwerben. Zweitens tangiert die Budgetbeschränkungslinie die Transformationskurvean dem Punkt, an dem die Volkswirtschaft bei einem gegebenen relativen Preis für Indus-trieprodukte produziert. Dieser Punkt ist in der Abbildung mit 1 bezeichnet. Folglichkann es sich die Volkswirtschaft stets leisten, so viel zu konsumieren, wie sie produziert.

Abbildung 3.12: Budgetbeschränkung einer Außenhandel treibenden Volkswirtschaft

Mit Hilfe der Budgetbeschränkungen von Japan und Amerika können wir nun eine Dar-stellung des Handelsgleichgewichts konstruieren. Abbildung 3.13 zeigt die Produktions-mengen, Budgetbeschränkungen und Konsummöglichkeiten von Japan und Amerika bei

2 Die Beschränkung, dass der Wert des Konsums gleich jenem der Produktion sein muss (bzw.dass der Wert der Importe dem der Exporte entspricht), kann außer Kraft gesetzt werden, wennLänder bei anderen Ländern Schulden machen oder selbst Kredite vergeben. Vorläufig schließenwir diese Möglichkeiten aus, sodass die Budgetbeschränkung (Formel (3-9)) greift. Die interna-tionale Verschuldung und Kreditvergabe werden in Kapitel 7 behandelt. Dort wird der Nachweisgeführt, dass der Konsum einer Volkswirtschaft langfristig immer noch von der Notwendigkeiteingeschränkt wird, ihre Schulden bei ausländischen Gläubigern abzuzahlen.

Punkt 1 zeigt die Produktion der Volkswirtschaft an. Ihr Konsum muss auf einer Linie liegen, die durch Punkt 1 geht und deren Steigung dem negativen Wert des relativen Preises von Industrieprodukten entspricht.

7081.book Page 89 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 20: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung90

Gleichgewichtspreisen. In Japan führt der Anstieg des relativen Preises von Industriepro-dukten zu einem Anstieg des Lebensmittelkonsums im Verhältnis zum Konsum vonIndustriegütern und zu einem Rückgang der relativen Lebensmittelproduktion. Japan pro-duziert eine Lebensmittelmenge von QJ

F , verbraucht jedoch DJF und wird daher zu einem

Exporteur von Industrieprodukten und Importeur von Lebensmitteln. In Amerika führtdas Absinken des relativen Preises von Industrieprodukten nach Außenhandel zu einemAnstieg des Konsums an Industrieprodukten im Verhältnis zu Lebensmitteln und zueinem Rückgang der relativen Industrieproduktion. Amerika wird daher zu einem Impor-teur von Industrieprodukten und Exporteur von Lebensmitteln. Im Gleichgewichtszu-stand sind Japans Industrieproduktexporte exakt gleich den Importen Amerikas undJapans Lebensmittelimporte exakt gleich den Exporten Amerikas. Dieser Zustand kommtdarin zum Ausdruck, dass die beiden farbigen Dreiecke in Abbildung 3.13 dieselbe Flä-che haben.

Abbildung 3.13: Handelsgleichgewicht

3.3 Einkommensverteilung und Außenhandelsgewinne

Wir haben Folgendes aufgezeigt: Die Produktionsmöglichkeiten sind abhängig von denRessourcen und der Technologie; die Wahl der zu produzierenden Güter wird vom relati-ven Preis der Industrieprodukte bestimmt; veränderte relative Preise der Industriepro-dukte haben bestimmte Auswirkungen auf die Realeinkommen verschiedener Produk-tionsfaktoren; Außenhandel hat bestimmte Folgen sowohl für die relativen Preise als auch

Die Lebensmittelimporte Japans sind genau gleich den -exporten Amerikas, und die Industrie-produktimporte Amerikas sind genau gleich den -exporten Japans.

7081.book Page 90 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 21: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.3 Einkommensverteilung und Außenhandelsgewinne 91

für die Budgetbeschränkung einer Volkswirtschaft. Nun können wir die entscheidendeFrage stellen: Wem nützt und wem schadet der Außenhandel? Betrachten wir zunächstdie Auswirkungen auf die Wohlfahrt bestimmter Gruppen, und dann die Folgen desAußenhandels für die Wohlfahrt des gesamten Landes.

Um die Auswirkungen des Außenhandels auf bestimmte Gruppen zu beurteilen, mussman in erster Linie berücksichtigen, dass Außenhandel den relativen Preis von Industrie-produkten und Lebensmitteln verändert. Wenden wir uns zunächst Japan zu. Wir nehmenan, dass Japan vor Handel einen niedrigeren relativen Preis für Industrieprodukte aufwiesals die übrige Welt. In diesem Fall verursacht der Handel, der zu einer Konvergenz derrelativen Preise führt, einen Anstieg von PM/PF. Das Ergebnis dieses Anstiegs besteht inJapan (wie wir im vorigen Abschnitt sahen) darin, dass die Kapitalbesitzer reicher wer-den, die Arbeiter eine uneindeutige Veränderung ihrer Lage erfahren und die Grundbesit-zer ärmer werden.

In Amerika stellt sich genau die umgekehrte Wirkung des Außenhandels auf die relativenPreise ein: Der relative Preis für Industrieprodukte sinkt. Folglich geht es in Amerika denGrundbesitzern besser und den Kapitalbesitzern schlechter als zuvor, während die Aus-wirkungen auf die Arbeiter auch hier uneindeutig sind.

Das Gesamtergebnis ist also einfach: Außenhandel nutzt dem Faktor, der für den Export-sektor jedes Landes spezifisch ist. Er schadet dem spezifischen Faktor desjenigen Sektors,mit dem der Import konkurriert. Die Auswirkungen auf mobile Faktoren sind nicht ein-deutig.

Wiegen die Gewinne aus Handel schwerer als die Verluste? Man könnte diese Frage zubeantworten versuchen, indem man Gewinne und Verluste addiert und vergleicht. DasWohlfahrtsniveau, das man dabei vergleichen würde, ist allerdings subjektiver Natur.Nehmen wir an, das die Kapitalbesitzer Langweiler sind, denen ein vermehrter Konsumüberhaupt nichts bedeutet, während er den Grundbesitzern als Lebenskünstlern großesVergnügen bereiten würde. In diesem Fall könnte man sich durchaus vorstellen, dass derAußenhandel das Gesamtmaß des Genusses in Japan reduziert. Doch auch der umge-kehrte Fall ist denkbar. Wie dem auch sei, die Kalkulation der Lebensfreude fällt im All-gemeinen nicht in den Bereich der ökonomischen Analyse.

Eine andere Fragestellung bringt uns weiter, wenn wir die Außenhandelsgewinne alsGanze beurteilen möchten: Könnten die Gewinner die Verlierer entschädigen und den-noch selbst besser dastehen als zuvor? Wenn dies zutrifft, dann bildet der Handel einepotenzielle Quelle des Gewinns für alle.

In drei Schritten soll veranschaulicht werden, dass dies der Fall ist:

1. Erstens halten wir fest, dass in Abwesenheit von Außenhandel die Volkswirtschaftalles produzieren müsste, was sie konsumiert, und umgekehrt. Der Konsum der Volks-wirtschaft wäre dann ein Punkt auf der Kurve der Produktionsmöglichkeiten. Abbil-dung 3.14 zeigt einen solchen typischen Konsumpunkt vor Handel, Punkt 2.

2. Als Nächstes halten wir fest, dass eine Außenhandel treibende Volkswirtschaft einegrößere Menge von beiden Gütern konsumieren kann, als es ihr ohne Außenhandelmöglich wäre. Die Budgetbeschränkung in Abbildung 3.14 widerspiegelt sämtliche

7081.book Page 91 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 22: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung92

Kombinationsmöglichkeiten von Lebensmitteln und Industrieprodukten, zu denen dasLand bei einem gegebenen relativen Weltpreis von Industrieprodukten konsumierenkönnte. Ein Teilbereich dieser Budgetbeschränkung – der im eingefärbten Bereichliegende Teil – gibt Situationen wieder, in denen die Volkswirtschaft sowohl mehrLebensmittel als auch mehr Industrieprodukte konsumiert, als es ihr ohne Außenhandelmöglich wäre. Beachten Sie, dass dieses Ergebnis nicht von der Annahme abhängt,dass Produktion und Konsum vor Außenhandel bei Punkt 2 gelegen haben. Abgesehenvon dem Fall, dass die Produktion vor Außenhandel bei Punkt 1 lag, sodass sich derAußenhandel überhaupt nicht auf sie auswirkt, ergibt sich in allen Fällen ein Teilbe-reich der Budgetbeschränkung, der für beide Güter einen erhöhten Konsum zulässt.

3. Wenn die Volkswirtschaft als Ganzes beide Güter in größeren Mengen konsumiert, ist esim Prinzip möglich, dass jedes Individuum von beiden Gütern mehr erhält. Damit gingees jedermann besser. Es kann also gewährleistet werden, dass infolge von Außenhandeljeder einen größeren Wohlstand genießt. Natürlich könnte es allen Individuen noch bes-ser gehen, wenn jedes von ihnen gleichermaßen mehr von einem Gut und weniger voneinem anderen hätte, doch dieser Sachverhalt unterstreicht lediglich die Schlussfolge-rung, dass Außenhandel potenziell jedem Einzelnen Gewinn bringen kann.

Abbildung 3.14: Außenhandel erweitert die Konsummöglichkeiten einer Volkswirtschaft

Der letzte Grund für den potenziellen Nutzen des Außenhandels liegt darin, dass er dieEntscheidungsmöglichkeiten der Volkswirtschaft eines Landes vermehrt. Die Erweiterungder Entscheidungsmöglichkeiten schafft die ständige Möglichkeit einer solchen Umver-teilung des Einkommens, dass jedes Mitglied der Gesellschaft vom Handel profitiert.3

3 Das Argument, dass sich die Vorteile des Außenhandels aus der Erweiterung der Entscheidungs-möglichkeiten einer Volkswirtschaft ergeben, ist in viel höherem Maße allgemein gültig, als eshier erscheint. Umfassende Ausführungen hierzu finden Sie bei Paul Samuelson, „The Gainsfrom International Trade Once Again“, in: Economic Journal 72 (1962), S. 820-829.

Vor Außenhandel lagen Produktion und Konsum der Volkswirtschaft in Punkt 2 ihrer Transformationskurve (PP). Nach Außenhandel kann die Volkswirtschaft in jedem Punkt ihrer Budgetbeschränkung konsumieren. Der Abschnitt der Budget-beschränkung, der in den eingefärbten Bereich fällt, repräsentiert plausible Kon-sumentscheidungen nach Außenhandel, bei denen beide Güter in größeren Mengen konsumiert werden, als dies vor Handel in Punkt 2 der Fall war.

7081.book Page 92 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 23: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau 93

Die Tatsache, dass Außenhandel Gewinne für alle erzeugen könnte, bedeutet leider nicht,dass dies auch der Fall ist. In der Realität bildet die Existenz von Verlierern neben Gewin-nern einen der wichtigsten Gründe für Einschränkungen des freien Handels.

3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau

Außenhandel hinterlässt oftmals nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Diese Einsichtist entscheidend, um die Erwägungen nachzuvollziehen, die in der modernen Weltwirtschaftdie Handelspolitik bestimmen. In den Kapiteln 8 bis 11 wird die Handelspolitik im Einzel-nen untersucht, dennoch können wir an dieser Stelle bereits eine Vorschau leisten.

Die Handelspolitik kann (wie jede staatliche Politik) unter zwei Gesichtspunkten betrach-tet werden: 1) Was sollte die Regierung angesichts ihrer Ziele tun? Worin besteht die opti-male Handelspolitik? 2) Was werden die Regierungen aller Wahrscheinlichkeit nach inder Praxis tun? Die Auswirkungen des Außenhandels auf die Einkommensverteilungspielen eine wichtige Rolle für die erste Fragestellung und eine ganz entscheidende fürdie zweite.

3.4.1 Die optimale Handelspolitik

Nehmen wir an, ein Staat möchte den Wohlstand seiner Bevölkerung mehren. Wenn jederdenselben Geschmack und dasselbe Einkommen hätte, gäbe es eine einfache Lösung: DerStaat würde sich für eine Politik entscheiden, mit deren Hilfe das repräsentative Indivi-duum so wohlhabend wie möglich würde. In dieser homogenen Volkswirtschaft würdeein freier Welthandel dem Ziel des Staates eindeutig entgegenkommen.

Wenn die Menschen allerdings nicht alle genau gleich sind, ist die Aufgabe des Staatesweniger klar umrissen. Er muss wohl oder übel den Gewinn einer Person gegen den Ver-lust einer anderen abwägen. Wenn die japanische Regierung beispielsweise mehr Wertdarauf legt, Schaden von den Grundbesitzern abzuwenden, als den Unternehmern zu hel-fen, dann ist der Außenhandel, der in unserer Analyse den Kapitalbesitzern in Japannutzte und den Grundbesitzern schadete, in den Augen der japanischen Regierung mögli-cherweise von Übel.

Es gibt viele Gründe, weshalb eine Gruppe mehr Gewicht haben kann als andere. Einerder zwingendsten besteht darin, dass einige Gruppen besondere Maßnahmen beanspru-chen dürfen, weil sie von vornherein relativ arm sind. Obwohl Importbeschränkungen fürBekleidung und Schuhe zu höheren Preisen für die Verbraucher führen, genießen sie inden USA große Unterstützung, weil die Beschäftigten dieser Industriezweige ohnehinschlecht bezahlt werden. Die Vorteile, die wohlhabenden Verbrauchern durch die Zulas-sung von mehr Importen zuteil würden, haben in den Augen der amerikanischen Öffent-lichkeit weniger Gewicht als die Einbußen, die den gering entlohnten Arbeitern derSchuh- und Bekleidungsindustrie entstehen würden.

7081.book Page 93 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 24: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung94

Sollte Handel demnach nur dann zugelassen werden, wenn er die Angehörigen der unte-ren Einkommensgruppen nicht schädigt? Diese Schlussfolgerung würden wohl nurwenige Außenwirtschaftsexperten unterschreiben. Obwohl die Einkommensverteilungeine wichtige Rolle spielt, befürworten die meisten Ökonomen ausdrücklich einen mehroder weniger freien Handel. Es gibt drei wesentliche Gründe, weshalb Ökonomen im All-gemeinen die Auswirkungen des Handels auf die Einkommensverteilung nicht in denVordergrund rücken:

1. Auswirkungen auf die Einkommensverteilung sind kein spezifisches Merkmal desAußenhandels. Jede Veränderung der Volkswirtschaft eines Landes, wie zum Beispieltechnologische Neuerungen, Änderungen des Verbraucherverhaltens, die Erschöp-fung alter und die Entdeckung neuer Ressourcen und anderes mehr, wirkt sich auf dieEinkommensverteilung aus. Wenn jede Veränderung der Volkswirtschaft erst zugelas-sen würde, nachdem sie auf ihre Folgen für die Einkommensverteilung hin geprüftworden wäre, könnte der wirtschaftliche Fortschritt leicht im Bürokratismus seinEnde finden.

2. Es ist immer besser, Handel zuzulassen und die Benachteiligten zu entschädigen, alsHandel zu unterbinden. (Dies gilt auch für andere wirtschaftliche Veränderungen.)Alle modernen Industrieländer bieten ihren Bürgern irgendein „Sicherheitsnetz“ zurEinkommensunterstützung (beispielsweise Arbeitslosengeld und staatlich geförderteUmschulungsmaßnahmen oder Umzugsbeihilfen), mit dem die Verluste der Gruppen,die unter dem Außenhandel zu leiden haben, abgefedert werden. Wenn dieses Sicher-heitsnetz als unzulänglich empfunden wird, stehen Ökonomen im Allgemeinen aufdem Standpunkt, dass die richtige Lösung nicht in weniger Außenhandel, sondern inmehr staatlicher Unterstützung liegt.

3. Die potenziellen Verlierer eines gesteigerten Außenhandelsvolumens sind normaler-weise besser organisiert als die voraussichtlichen Gewinner. Der so erzeugte einseitigeDruck auf den politischen Prozess verlangt nach einem Gegengewicht. Die traditio-nelle Rolle der Ökonomen besteht darin, unter Hinweis auf den Gesamtnutzen denfreien Handel mit Nachdruck zu unterstützen; den Geschädigten fällt es in der Regelnicht schwer, ihren Anliegen selbst Gehör zu verschaffen.

Die meisten Ökonomen räumen also ein, dass der Außenhandel die Einkommensvertei-lung beeinflusst, halten es aber für wichtiger, die potenziellen Außenhandelsgewinne her-vorzuheben, als die möglichen Einbußen bestimmter Gruppen im Land zu betonen. Aller-dings haben Ökonomen in der Wirtschaftspolitik häufig nicht das letzte Wort – schon garnicht, wenn es um Interessenskonflikte geht. Um ein realistisches Bild über die Heraus-bildung der Handelpolitik zu gewinnen, muss man die eigentlichen Motive betrachten.

3.4.2 Einkommensverteilung und Handelspolitik

Es ist unmittelbar einsichtig, weshalb Gruppen, denen der Außenhandel schadet, Druckauf ihre Regierung ausüben, diesen Handel zu beschränken und ihr Einkommen zu schüt-zen. Man könnte annehmen, dass die Begünstigten des Außenhandels ihre Anliegenebenso nachdrücklich vertreten, doch dies ist selten der Fall. In den USA sind, wie in den

7081.book Page 94 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 25: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau 95

meisten Ländern, die Befürworter von Handelsbeschränkungen politisch aktiver als dieGruppen, die ein größeres Handelsvolumen wünschen. Normalerweise sind die Gruppen,denen der Handel mit einem bestimmten Produkt Vorteile bescheren würde, weitausweniger geschlossen, informiert und organisiert als die voraussichtlichen Verlierer.

Ein gutes Beispiel für diesen Unterschied ist die US-amerikanische Zuckerindustrie. Seitvielen Jahren beschränken die USA den Import von Zucker. Als dieses Buch geschriebenwurde, war der Zuckerpreis in den USA etwa doppelt so hoch wie auf dem Weltmarkt.Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass diese Importbeschränkung die Verbrau-cher in den USA ungefähr zwei Milliarden Dollar pro Jahr kostet – etwa 8 Dollar proMann, Frau oder Kind. Die Vorteile für die Produzenten fallen weitaus geringer aus, siedürften weniger als die Hälfte betragen.

Beispiel 3.2: Spezifische Faktoren und die Anfänge der Theorie des Außenhandels

In einem 1817 erschienenen Werk erbrachte David Ricardo den Nachweis, dassAußenhandel für alle beteiligten Länder von Vorteil ist. Dies war der Beginn dermodernen Außenhandelstheorie. In Kapitel 2 haben wir Ricardos Modell untersucht.Ricardo benutzte es, um für Freihandel zu werben, insbesondere für die Aufhebungder Zölle, die Englands Lebensmittelimporte beschränkten. Man kann jedoch miteiniger Sicherheit davon ausgehen, dass ein Modell spezifischer Faktoren die briti-sche Volkswirtschaft des Jahres 1817 besser beschrieben hätte als das von Ricardovorgelegte Einfaktormodell.

Erinnern wir uns zum besseren Verständnis der damaligen Lage, dass sich Großbri-tannien vom Beginn der französischen Revolution 1789 bis zur Niederlage Napoleonsin Waterloo 1815 praktisch ständig im Krieg mit Frankreich befand. Dieser Kriegbeeinträchtigte den Handel Großbritanniens: Freibeuter (Piraten im Auftrag fremderRegierungen) plünderten seine Schiffe und Frankreich versuchte eine Blockade gegenbritische Waren zu verhängen. Da Großbritannien Industrieprodukte exportierte undAgrarprodukte importierte, führte diese Beeinträchtigung des Handels zu einemAnstieg der relativen Lebensmittelpreise in Großbritannien. Die Hersteller von Indus-trieprodukten erlitten Gewinneinbußen, doch die Grundbesitzer wurden während deslangen Krieges reich.

Nach dem Krieg fielen die Lebensmittelpreise in Großbritannien. Um die Folgenabzuwehren, setzten die politisch einflussreichen Grundbesitzer die Verabschiedungneuer Gesetze, der so genannten Korngesetze, durch. Getreideimporteure solltendurch Gebühren abgeschreckt werden. Gegen diese Korngesetze richtete Ricardoseine Argumente.

7081.book Page 95 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 26: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung96

Wenn Produzenten und Konsumenten ihre Interessen gleichermaßen durchsetzen könn-ten, wäre es vermutlich niemals zu dieser Politik gekommen. Betrachtet man die absolu-ten Größen, ist der Schaden für die Verbraucher allerdings sehr gering. Acht Dollar proJahr sind nicht viel; außerdem wird der Schaden größtenteils nicht wahrgenommen, weilder meiste Zucker als Zutat anderer Lebensmittel konsumiert und nicht direkt gekauftwird. Die meisten Verbraucher sind sich der Existenz der Importquote also gar nichtbewusst und ahnen nicht, dass sie ihren Lebensstandard mindert. Selbst wenn sie es wüss-ten wäre der Betrag von 8 US-Dollar zu gering, um Proteste und Briefe an die Kongress-abgeordneten auszulösen.

In einer ganz anderen Lage befinden sich die Zuckerproduzenten. Dem durchschnitt-lichen Zuckerhersteller beschert die Importquote jährlich Tausende von Dollars. Darüberhinaus sind die Zuckerproduzenten in Wirtschaftsverbänden und Genossenschaften orga-nisiert, die sich aktiv für die politischen Interessen ihrer Mitglieder einsetzen. Daher wer-den die Klagen der Zuckerproduzenten über die Auswirkungen der Importe vernehmlichund wirkungsvoll vorgetragen.

Wie wir in den Kapiteln 8 bis 11 sehen werden, ist die Importbeschränkung in derZuckerbranche ein extremes Beispiel für eine Politik, die im internationalen Handel weitverbreitet ist. Die allgemeine stetige Ausweitung des freien Welthandels in den Jahren1945 bis 1980 hing, wie wir in Kapitel 9 sehen werden, von besonderen Umständen ab,deren Zusammenwirken die offenbar naturgegebenen Vorbehalte der Politik gegen inter-nationalen Handel im Zaum hielt.

Ricardo war sich darüber im Klaren, dass die Rücknahme der Korngesetze den Wohl-stand der Kapitalbesitzer steigern und den der Grundbesitzer schmälern würde. In sei-nen Augen war beides von Vorteil. Als Unternehmer aus London standen ihm die hartarbeitenden Kapitalbesitzer näher als der untätige Landadel. Dennoch zog er es vor,seinen Standpunkt in Form eines Modells zu präsentieren, das Fragen der innerenEinkommensverteilung ausklammerte.

Die Gründe für dieses Verhalten liegen mit einiger Sicherheit in der Politik: WährendRicardo in Wirklichkeit die Interessen einer bestimmten Gruppe vertrat, rückte er dieGewinne der Nation als Ganzes in den Vordergrund. Dies war eine kluge und höchstmoderne Strategie, bei der erstmals die Wirtschaftstheorie politisch instrumentalisiertwurde. Damals wie heute sind Politik und wissenschaftlicher Fortschritt durchausnicht unvereinbar: Die Korngesetze wurden vor mehr als 150 Jahren aufgehoben,doch Ricardos Handelsmodell zählt bis heute zu den bahnbrechenden Erkenntnissender Wirtschaftswissenschaften.

7081.book Page 96 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 27: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau 97

Zusammenfassung

1. Der Außenhandel hat oft starke Auswirkungen auf die Einkommensverteilung imInnern der beteiligten Länder. Er erzeugt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer.Zwei Ursachen sind für die Auswirkungen auf die Einkommensverteilung verant-wortlich: Die Produktionsfaktoren können nicht ohne Zeitverzögerung und Kostenvon einer Branche in die andere wandern, und Veränderungen der Produktionsstruk-tur einer Volkswirtschaft führen zu Veränderungen in der Nachfrage nach verschiede-nen Produktionsfaktoren.

2. Zur Darstellung der Folgen des Außenhandels für die Einkommensverteilung istdas Modell spezifischer Faktoren besonders geeignet, denn es ermöglicht eine Un-terscheidung zwischen allgemein verwendbaren Faktoren, die zwischen den Sekto-ren wandern können, und solchen Faktoren, die nur spezifisch einsetzbar sind.Nach diesem Modell können Unterschiede in den Ressourcen dazu führen, dassLänder verschiedene Kurven des relativen Angebots aufweisen und aus diesemGrund Außenhandel treiben.

3. Im Modell spezifischer Faktoren profitieren diejenigen Faktoren vom Außenhan-del, die für die Exportsektoren des betreffenden Landes spezifisch sind. Die spezi-fischen Faktoren derjenigen Sektoren, die mit den Importen konkurrieren, erleidendagegen Nachteile. Bei mobilen Faktoren, die in beiden Sektoren eingesetzt wer-den können, sind sowohl Gewinne als auch Verluste möglich.

4. Dessen ungeachtet erzeugt der Außenhandel Gesamtgewinne in dem eingeschränk-ten Sinne, dass die Gruppen, die profitieren, im Prinzip die Verlierer entschädigenkönnten und dabei immer noch besser dastehen würden als zuvor.

5. Die meisten Ökonomen sehen in den Auswirkungen des Außenhandels auf die Ein-kommensverteilung keinen Grund für Handelsbeschränkungen. Im Hinblick aufseine Verteilungswirkungen unterscheidet sich der Handel nicht von zahlreichenanderen Formen wirtschaftlicher Veränderungen, die normalerweise nicht reguliertwerden. Darüber hinaus halten es Ökonomen für besser, das Problem der Einkom-mensverteilung direkt anzugehen, als in die Handelsströme einzugreifen.

6. Dennoch spielt die Einkommensverteilung für die Gestaltung der Handelspolitikeine ausschlaggebende Rolle, besonders deshalb, weil die Gruppen, die Verlusteaus Handel erleiden, für gewöhnlich viel besser informiert, miteinander verbundenund organisiert sind als die Gewinner.

Schlüsselbegriffe

Budgetbeschränkung S. 89

Grenzprodukt der Arbeit S. 75

Mobiler Faktor S. 72

Modell spezifischer Faktoren S. 72

Produktionsfunktion S. 73

Sinkende Erträge S. 75

Spezifischer Faktor S. 72

Transformationskurve S. 75

7081.book Page 97 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 28: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung98

Übungen

1. Im Jahr 1986 fiel der Ölpreis auf den Weltmärkten erheblich. Weil die USA einErdöl importierendes Land sind, galt dies allgemein als vorteilhaft für die US-Wirt-schaft. Dennoch verzeichneten die Bundesstaaten Texas und Louisiana in diesemJahr einen wirtschaftlichen Einbruch. Weshalb?

2. Eine Volkswirtschaft produziert Gut 1 unter Einsatz von Arbeit und Kapital, Gut 2unter Einsatz von Arbeit und Boden. Der Gesamtangebot an Arbeit beträgt 100Einheiten. Bei dem gegebenen Kapitalbestand steht die Produktion beider Güter infolgendem Abhängigkeitsverhältnis zum Faktoreinsatz:

a. Zeichnen Sie die Produktionsfunktionen für Gut 1 und Gut 2.b. Zeichnen Sie die Transformationskurve. Weshalb ist sie gekrümmt?

Arbeitseinsatz Gut 1

Produktion Gut 1

Arbeitseinsatz Gut 2

Produktion Gut 2

0 0,0 0 0,0

10 25,1 10 39,8

20 38,1 20 52,5

30 48,6 30 61,8

40 57,7 40 69,3

50 66,0 50 75,8

60 73,6 60 81,5

70 80,7 70 86,7

80 87,4 80 91,4

90 93,9 90 95,9

100 100 100 100

7081.book Page 98 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 29: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

3.4 Die politische Ökonomie des Außenhandels: eine Vorschau 99

3. Die Kurven, die dem Grenzprodukt der Arbeit für die Produktionsfunktionen ausÜbung 2 entsprechen, sind folgendermaßen definiert:

a. Der relative Preis von Gut 2 in Gut 1 sei 2. Bestimmen Sie anhand eines Schau-bilds den Lohnsatz und die Arbeitsallokation zwischen beiden Sektoren.

b. Bestimmen Sie mit Hilfe des für Übung 2 erstellten Schaubilds die Produktionjedes Sektors. Weisen Sie dann anhand des Schaubilds nach, dass die Steigungder Transformationslinie in diesem Punkt dem Betrag des relativen Preises ent-spricht.

c. Nehmen Sie an, dass der relative Preis von Gut 2 auf 1 fällt. Wiederholen Siedie Aufgaben a. und b. für diesen Fall.

d. Berechnen Sie die Auswirkungen dieser Preisveränderung auf das Einkommender spezifischen Faktoren in den Sektoren 1 und 2.

4. Wir haben untersucht, welche Auswirkungen sich aus einem erhöhten Bestand anKapital und Boden ergeben. Was geschieht, wenn der Bestand des mobilen FaktorsArbeit wächst?a. Analysieren Sie die quantitativen Auswirkungen eines erhöhten Arbeitsbe-

stands im Modell der spezifischen Faktoren bei gleich bleibenden Preisen fürbeide Güter.

b. Stellen Sie für das Zahlenbeispiel der Übungen 2 und 3 grafisch dar, wie bei ei-nem gegebenen relativen Preis von 1 die Erhöhung der Arbeitskräfte von 100auf 140 den Gleichgewichtspunkt verschieben würde.

Anzahl der Beschäftigten

Grenzprodukt in Sektor 1

Grenzprodukt in Sektor 2

10 1,51 1,59

20 1,14 1,05

30 0,97 0,82

40 0,87 0,69

50 0,79 0,61

60 0,74 0,54

70 0,69 0,50

80 0,66 0,46

90 0,63 0,43

100 0,60 0,40

7081.book Page 99 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 30: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Kapitel 3 Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung100

Weiterführende Literatur

Avinash Dixit und Victor Norman, Theory of International Trade. Cambridge: CambridgeUniversity Press, 1980. (Dieses Buch ist auch in deutscher Sprache erschienen: Außen-handelstheorie, 4. deutschsprachige Aufl., München [u. a.], 1998). Das Problem, wie dieGewinne aus Handel bestimmt werden können, wenn dieser manchen Gruppen schadet,ist seit langem ein Diskussionsthema. Dixit und Norman weisen nach, dass eine Regie-rung im Prinzip immer die Möglichkeit hat, das Einkommen mit Hilfe von Steuern undSubventionen so umzuverteilen, dass es allen Bürgern mit freiem Handel besser geht alsohne.

Michael Mussa, „Tariffs and the Distribution of Income: The Importance of Factor Speci-ficity Substitutability, and Intensity in the Short and Long Run“, in: Journal of PoliticalEconomy 82 (1974), S. 1191-1204. Eine Erweiterung, die das Modell der spezifischenFaktoren in Beziehung setzt zu dem in Kapitel 4 behandelten Faktorproportionenmodell.

J. Peter Neary, „Short-Run Capital Specificity and the Pure Theory of InternationalTrade“, in: Economic Journal 88 (1978), S. 488-510. Eine weitere Interpretation desModells der spezifischen Faktoren, die hervorhebt, wie sich unterschiedliche Annahmenüber die Faktormobilität zwischen den Sektoren auf die Schlussfolgerungen des Modellsauswirken.

Mancur Olson, The Logic of Collective Action. Cambridge: Harvard University Press,1965. (Dieses Buch ist ebenfalls in deutscher Sprache erschienen: Die Logik des kollekti-ven Handelns: Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen. Tübingen, 1968. KollektiveÜbersetzung ins Deutsche durch ein Seminar unter der Leitung von Friedrich A. v. Hayekin Freiburg). Ein sehr einflussreiches Werk. Es begründet die Aussage, dass die staatlichePolitik in der Praxis kleine, konzentrierte Gruppen gegenüber großen begünstigt.

David Ricardo, The Principles of Political Economy and Taxation. Homewood, Illinois:Irwin, 1963 (dt.: Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung,über. und m. e. Einl. versehen v. Gerhard Bondi, Berlin: Akademie, 1979). Ricardo betontin diesen Werk einerseits die Handelsgewinne der ganzen Nation, konzentriert sich ananderen Stellen aber auch auf den Interessenskonflikt zwischen Grundbesitzern undKapitalbesitzern.

7081.book Page 100 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 31: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Anhang zu Kapitel 3

Weitere Ausführungen zu spezifischen Faktoren

Da das in diesem Kapitel dargelegte Modell spezifischer Faktoren ein außerordentlichbrauchbares Analyseinstrument ist, sollen an dieser Stelle einige detailliertere Ausführun-gen folgen. Zwei zusammenhängende Aspekte werden genauer erläutert: 1) Die Beziehungzwischen dem Grenzprodukt und dem Gesamtprodukt in jedem Sektor, 2) die Auswirkun-gen veränderter relativer Preise auf die Einkommensverteilung.

3A.1 Grenzprodukt und Gesamtprodukt

In diesem Kapitel wurde die Produktionsfunktion des Industriesektors auf zweierleiWeise veranschaulicht. Abbildung 3.1 zeigte die Gesamtproduktion als Funktion desArbeitseinsatzes bei konstantem Kapital. Wir stellten fest, dass die Steigung dieser Kurvedas Grenzprodukt der Arbeit wiedergibt, und stellten dieses Grenzprodukt in Abbildung3.2 dar. Nun soll der Nachweis geführt werden, dass die Gesamtproduktion durch die Flä-che unterhalb der Grenzproduktkurve wiedergegeben wird. (Denjenigen Studenten, diemit der Differentialrechnung vertraut sind, wird dies unmittelbar einleuchten: Da dasGrenzprodukt die Ableitung des Gesamtprodukts ist, ist dieses das Integral des Grenzpro-dukts. Doch selbst diese Studenten können von dem folgenden Ansatz profitieren.)

Abbildung 3A.1 zeigt nochmals den Verlauf des Grenzprodukts im Industriesektor. Gehenwir davon aus, dass LM Personenstunden eingesetzt werden. Wie kann die Gesamtproduk-tion des Industriesektors dargestellt werden? Nähern wir uns diesem Wert mit Hilfe derGrenzproduktkurve an. Fragen wir zunächst, was passieren würde, wenn wir den Einsatzder Personenstunden leicht, sagen wir um dLM, verringern würden. Die Produktion würdesinken, und zwar um annäherungsweise folgenden Wert:

dLM × MPLM,

d.h. die Reduzierung der Personenstunden wird multipliziert mit dem Grenzprodukt derArbeit bei dem ursprünglichen Arbeitskräfteeinsatz. Diese Reduzierung der Produktionwird durch die Fläche des eingefärbten Rechtecks in Abbildung 3A.1 wiedergegeben.Ziehen wir nun erneut einige Personenstunden ab, so ergibt sich ein weiteres Rechteck fürden Produktionsverlust. Dieses Rechteck ist größer als das vorige, weil das Grenzproduktder Arbeit mit abnehmender Arbeitsmenge steigt. Wenn wir in dieser Weise weiterverfah-ren, bis keine Arbeit mehr verbleibt, ergibt die Summe aller abgebildeten Rechtecke eineAnnäherung an den gesamten Produktionsverlust. Wenn überhaupt keine Arbeit mehreingesetzt wird, sinkt die Produktion allerdings auf Null. Folglich erhalten wir einenAnnäherungswert an die Gesamtproduktion der Industrie, wenn wir die Summe allerRechtecke unterhalb der Grenzproduktkurve bilden.

7081.book Page 101 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 32: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Anhang zu Kapitel 3102

Dies ist nur ein Annäherungswert, weil wir bei jeder Verringerung der Arbeitsmenge nurdas Grenzprodukt der jeweils ersten Arbeitsstunde berücksichtigt haben. Einen genauerenWert erhalten wir, wenn wir kleinere Einheiten bilden – je kleiner, desto besser. Wenn dieGröße der abgezogenen Einheiten gegen unendlich klein geht, werden die Rechtecke ent-sprechend schmaler, und wir nähern uns immer genauer der Gesamtfläche unterhalb derGrenzproduktkurve an. Am Ende ist die Gesamtproduktion des verarbeitenden Gewerbes,die unter Einsatz von LM produziert werden kann, gleich der Fläche unterhalb der Grenz-produktkurve MPLM bis LM.

Abbildung 3A.1: Die Produktionsmenge ist gleich der Fläche unterhalb der Kurve, die das Grenzprodukt der Arbeit beschreibt.

3A.2 Relative Preise und Einkommensverteilung

In Abbildung 3A.2 werden die Ergebnisse, zu denen wir soeben gelangt sind, zur Darstel-lung der Einkommensverteilung im Industriesektor bei einem gegebenen Reallohn ange-wandt. Wir wissen, dass Arbeitgeber bis zu dem Punkt Arbeit einstellen, an dem der Real-lohn in Industrieprodukten, w/PM, gleich dem Grenzprodukt ist. Wir können an demSchaubild unmittelbar die Gesamtproduktion des Industriesektors ablesen, denn sie ent-spricht der Fläche unterhalb der Grenzproduktkurve. Wir können auch den Anteil derIndustrieproduktion ablesen, der in Form von Löhnen ausbezahlt wird. Er ergibt sich ausden Reallöhnen multipliziert mit der Beschäftigung und entspricht folglich der Fläche deseingefärbten Rechtecks. Der Rest ist derjenige Teil der Produktion, den die Kapitalbesit-zer behalten. Mit demselben Verfahren können wir die Verteilung der Nahrungsmittelpro-duktion zwischen den Arbeitern und den Grundbesitzern bestimmen.

Die Annäherung an die Grenzprodukt-kurve vermittels aufeinander folgender schmaler Rechtecke ermöglicht den Nachweis, dass die Gesamtproduktion des Industriesektors gleich der Fläche unterhalb der Kurve ist.

7081.book Page 102 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 33: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Weitere Ausführungen zu spezifischen Faktoren 103

Abbildung 3A.2: Einkommensverteilung im Industriesektor

Nehmen wir nun an, dass der relative Preis der Industrieprodukte steigt. Wir sahen inAbbildung 3.7, dass ein Anstieg von PM/PF die Reallöhne im Verhältnis zu Industriepro-dukten senkt und im Verhältnis zu Lebensmitteln erhöht. Die Abbildungen 3A.3 und 3A.4veranschaulichen die Folgen dieser Entwicklung für das Einkommen der Kapital- undGrundbesitzer. Im Industriesektor sinkt der Reallohn von (w/PM)1 auf (w/PM)2, sodasssich das Einkommen der Kapitalbesitzer erhöht. Im Nahrungsmittelsektor steigt der Real-lohn von (w/PF)1 auf (w/PF)2, sodass das Einkommen der Grundbesitzer sinkt.

Abbildung 3A.3: Ein Anstieg von PM begünstigt die Kapitalbesitzer.

Das Einkommen der Arbeiter ist gleich dem Reallohn multipliziert mit der Anzahl der Beschäftigten. Der Rest der Produk-tion geht als Einkommen an die Kapital-besitzer.

Ein im Verhältnis zu den Industrieproduk-ten sinkender Reallohn führt zu einem Einkommenszuwachs bei den Kapital-besitzern.

7081.book Page 103 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM

Page 34: Kapitel Spezifische Faktoren und Einkommensverteilung · Sektor eingesetzt werden. Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion wie- Dieses Verhältnis wird durch eine Produktionsfunktion

Anhang zu Kapitel 3104

Die Veränderung von PM/PF verstärkt an sich schon diese Einkommenswirkungen. DieKapitalbesitzer erhalten mehr Einkommen gemessen in Industrieprodukten; zusätzlichvergrößert sich ihre Kaufkraft durch den Preisanstieg bei Industrieprodukten im Verhält-nis zu Nahrungsmitteln. Die Grundbesitzer erhalten weniger Einkommen gemessen inNahrungsmitteln, zusätzlich belastet sie der Anstieg der relativen Preise von Industriepro-dukten.

Abbildung 3A.4: Ein Anstieg von PM geht zu Lasten der Grundbesitzer.

Das Realeinkommen gemessen in Nah-rungsmitteln sinkt, sodass das Einkom-men aus Grundbesitz abnimmt.

7081.book Page 104 Thursday, October 16, 2003 11:53 AM