Karin Waldl: Sieben Engel

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Sieben Engel, Taschenbuch, 266 Seiten, ISBN: 978-3-99051-022-3 Herzsprung-Verlag Ein christlicher Roman, der mitreißt.

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Impressum:

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© 2015 – Herzsprung-VerlagTostner Burgweg 21 c, A- 6800 Feldkirch

Telefon: 05522/[email protected] Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2015

Die Bibelstellen sind der Übersetzung Hoffnung für alle® entnommen, Copyright © 1983, 1996, 2002, Inc.™.

Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Brunnen Verlags.

Lektorat: Melanie WittmannHerstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM / www.literaturredaktion.de

Titelbild: Alexandra Bouillon

Druck: Winterwork – BorsdorfGedruckt in Deutschland

ISBN: 978-3-99051-022-3 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-023-0 – eBook

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Kapitel 1 9Kapitel 2 15Kapitel 3 23Kapitel 4 28Kapitel 5 38Kapitel 6 43Kapitel 7 49Kapitel 8 56Kapitel 9 62Kapitel 10 67Kapitel 11 69Kapitel 12 73Kapitel 13 78Kapitel 14 86Kapitel 15 90Kapitel 16 94Kapitel 17 99Kapitel 18 105Kapitel 19 111Kapitel 20 113Kapitel 21 118Kapitel 22 123Kapitel 23 128Kapitel 24 134Kapitel 25 140Kapitel 26 146Kapitel 27 150Kapitel 28 155Kapitel 29 161Kapitel 30 168

Inhaltsverzeichnis

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Kapitel 31 175Kapitel 32 180Kapitel 33 186Kapitel 34 191Kapitel 35 198Kapitel 36 207Kapitel 37 215Kapitel 38 222Kapitel 39 228Kapitel 40 235Kapitel 41 240Kapitel 42 245Kapitel 43 249Kapitel 44 257

Ein aufflammender Blitz im Garten lässt Elina Mercy stürzen. Sie rappelt sich auf und eilt einem verwundeten Engel zu Hilfe. Noch im Zweifel über die unfassbare Begegnung tritt Laurenz Winter in ihr Leben, ein Schauspieler und Freund des berühmten Richard Benigna. Ohne Nachzudenken beginnt sie mit Laurenz eine Af-färe Doch diese bescherte ihr nur unerträglichen Schmerz. Sieben Engel, darunter der, dem Elina half, trösten sie. Und so wird Gottes Wort ihr Wegweiser.

Bald darauf begegnet ihr Richard Benigna persönlich. Die beide werden Freunde und kommen sich sehr nahe. Stehen die Schau-spielerei und die Romanze mit Laurenz wie ein unbezwingbarer Berg zwischen Elina und Richard? Gleichzeitig findet Elina eine neue Lebensaufgabe, die ihr Herzensangelegenheit wird. Und dann meldet sich auch noch Elinas Chefin Savina Cabello in Todesangst bei ihr, weil sie sich die Finger an den bösen Machenschaften eines Wahrsagers verbrannt hat. Es kommt zu einer dramatischen Be-gegnung ...

Ein christlicher Roman, der mitreißt und gleichzeitig neue Wege für das eigene Leben aufzuzeigen vermag.

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Für meinen geliebten Ehemann Markus, den besten irdischen Vater für unsere drei bezaubernden Kinder.

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Unter Gottes Schutz – Psalm 91, 1-16

¹ Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden.

² Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: „Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich!“

³ Er bewahrt dich vor versteckten Gefahren und vor tödlicher Krank-heit.

⁴ Er wird dich behüten wie eine Henne, die ihre Küken unter die Flügel nimmt. Seine Treue schützt dich wie ein starker Schild.

⁵ Du brauchst keine Angst zu haben vor den Gefahren der Nacht oder den heimtückischen Angriffen bei Tag.

⁶ Selbst vor der Pest, die im Dunkeln zuschlägt, oder dem tödlichen Fieber, das am hellen Tag die Menschen befällt, fürchtest du dich nicht.

⁷ Wenn tausend neben dir tot umfallen, ja, wenn zehntausend in deiner Nähe sterben – dich selbst trifft es nicht!

⁸ Mit eigenen Augen wirst du sehen, wie Gott es denen heimzahlt, die ihn missachten.

⁹ Du aber darfst sagen: „Beim Herrn bin ich geborgen!“ Ja, bei Gott, dem Höchsten, hast du Heimat gefunden.

Prolog

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¹⁰ Darum wird dir nichts Böses zustoßen, kein Unglück wird dein Haus erreichen.

¹¹ Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wo-hin du auch gehst.

¹² Sie werden dich auf Händen tragen, und du wirst dich nicht einmal an einem Stein verletzen!

¹³ Löwen werden dir nichts anhaben, auf Schlangen kannst du treten.

¹⁴ Gott sagt: „Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt.

¹⁵ Wenn er zu mir ruft, antworte ich ihm. Wenn er keinen Ausweg mehr weiß, bin ich bei ihm. Ich will ihn befreien und zu Ehren bringen.

¹⁶ Bei mir findet er die Hilfe, die er braucht; ich gebe ihm ein erfülltes und langes Leben!“

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Tropfen rannen vom Fensterbrett auf das gemaserte Eichenpar-kett. Elina Mercy schaute von ihrem Buch auf. Der Sommer zeigte sich nicht gerade von der besten Seite, schier endlos erscheinende Regengüsse breiteten sich seit Tagen über das Land aus. Nicht dass dieses Unwetter, das draußen tobte, schon genug wäre, jetzt war auch noch das Fenster undicht, aufgeweicht von den Unmengen an Wasser. Schnell holte sie ein Handtuch, um das Rinnsal zu hindern, weiter auf den Boden zu laufen.

Unterdessen ratterte in ihrem Kopf der Zahlencomputer – woher sollte sie das Geld für die kostspielige Reparatur nehmen? Gestern erst hatte sie den Handwerker für die Arbeiten am Dach bezahlt, abgestottert von ihrem bescheidenen Einkommen.

Verdammt, es war die wärmste Zeit des Jahres, warum musste gerade jetzt die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses vom Regen auf-gedeckt werden? Konnte es nicht noch ein paar Monate warten, bis es in sich zusammenfiel? Die schlimmsten Befürchtungen malten gedanklich ein Bild ihrer finanziellen Ängste.

Was hatte sie sich dabei gedacht, das nett gemeinte Angebot ihrer Schwester anzunehmen, die für ein Jahr nach Kanada gereist war? Ruth war gerade einen Monat außer Landes und Elina fiel bereits die Decke auf den Kopf, die Einsamkeit hüllte sie ein und hielt sie fest. Niemand war da, um ihr zu helfen. Und jetzt kamen auch noch die Sorgen um das liebe Geld dazu.

Achtzugeben auf das kleine Landhaus in dem romantischen Städtchen Sevenoaks, gelegen in ihrer Heimat England, war die eine Sache, es instand zu halten, die andere. Sie hatte vergessen, daran zu denken, die finanziellen Angelegenheiten vor deren Ab-reise mit Ruth zu klären.

Ihre Schwester würde für die Arbeiten am Haus selbstverständ-lich aufkommen, aber sie war in Vancouver und Elina müsste das

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Fenster vorerst selbst bezahlen, wenn sie einen größeren Wasser-schaden verhindern wollte.

Sie begab sich zum Schreibtisch, setzte sich an den Computer und verfasste eine lange E-Mail an ihre Schwester. Was blieb ihr anderes übrig? Sie konnte ihre Chefin nicht um einen Vorschuss bitten, dafür war diese zu korrekt. Bezahlt wurde grundsätzlich, was sie leistete, pünktlich und genau, zu jedem Monatsende. Darauf konnte man sich hundertprozentig verlassen, was in den meisten Fällen ein großer Vorteil war.

Außerdem war es nicht Elinas Art, Geld auszugeben, das sie nicht besaß. Sie hoffte, möglichst schnell eine Lösung für die fäl-lige Reparatur zu finden. Sie drückte auf Senden und kaum fünf Minuten später erhielt sie eine eilig geschriebene Antwort, Ruth arbeitete anscheinend.

Liebe Elina!Es musste ja so kommen, wie konnte mir nur entfallen, dir einen Notgroschen für solche Fälle dazulassen? Es tut mir leid, verzeihst du mir? Ich überweise dir sofort einen Teil meines Ersparten auf dein Konto. Das Geld, welches dir übrig bleibt, verwende für zu-künftige Arbeiten am Haus. Leg es am besten auf ein Sparbuch.Ich muss wieder an meinem Artikel weiterarbeiten, Abgabe mor-gen!Ich vermisse dich.Bis bald, deine Ruth

Sie machte sich schon wieder unnötig ein schlechtes Gewissen. Genau das wollte Elina eigentlich verhindern. Ruth war wie eine Mutter geworden, seitdem sie nicht mehr da war. Sie fühlte sich für Elina verantwortlich. Bevor sie abreiste, war ihre größte Angst gewesen, dass ihre Schwester nicht auf eigenen Beinen stehen konn-te. Elina wollte ihr das Gegenteil beweisen, weshalb es nun so un-angenehm für sie war, sie um das Geld zu bitten. Egal, wenigstens war das finanzielle Problem gelöst.

Nachdem sie ein paar Worte des Dankes an ihre Schwester ge-richtet hatte, schaltete sie den Laptop aus und trat ans Fenster. Seufzend sah sie nach draußen, dunkelgraue Wolken verdunkelten

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den Himmel, grau in grau spiegelte sich die Welt in Elinas Augen. Sie vermisste Ruth, ihre Vertraute und Freundin, seit sie denken konnte. Doch sie wollte nun ihren eigenen Weg gehen, lange genug war sie Elinas Mutterersatz gewesen, aber sie brauchte jetzt keinen Aufpasser mehr. Wenn sie doch nur irgendeinen anderen Menschen kennen würde, der ihr Gesellschaft leisten konnte.

Elina verschlang jedes Buch, das sie in die Finger bekam. Fast in ihrer gesamten Freizeit steckte sie die Nase in die fantasievollen Erzählungen der verschiedenen Autoren. Doch sie wusste, die Ge-schichten in ihren Büchern, in die sie so gerne flüchtete, waren nicht real. Sie träumte sich in die Figuren hinein, lebte deren Leben, löste ihre Probleme und genoss das Happy End in vollen Zügen. Sobald sie ein Buch weglegte, musste sie sich wohl oder übel der Wirklich-keit stellen, auch wenn es ihr gar nicht gefiel, in das triste Hier und Jetzt zurückzukehren. Kein Prinz wartete auf sie, um sie zu retten. Während sich bei Elina das Gedankenkarussell unaufhörlich weiter-drehte, vernahm sie ein ohrenbetäubendes, lautes Geräusch – direkt vor ihren Augen breitete sich ein gleißendes Licht im Garten aus. Geblendet wendete sie sich reflexartig ab. Vor Schreck taumelte sie, der Stuhl, an dem sie Halt suchte, fiel zu Boden. Elina verlor das Gleichgewicht und krachte mit dem Kopf an den massiven Nuss-holztisch, an dem sie vor wenigen Augenblicken noch gelesen und mithilfe des Laptops E-Mails geschrieben hatte. Das Dröhnen des Aufschlags war abscheulich. Dunkelheit nebelte sie ein, bewusstlos lag sie am Boden.

„Elina, steh auf und geh in den Garten!“Sie blinzelte, schaute sich verstört im Raum um. „Wo bin ich?

Wer hat mit mir gesprochen?“, kam es ihr in den Sinn.Sie schüttelte den schmerzenden Kopf, um wieder klar denken

zu können. Das war keine gute Idee, das Brennen kehrte mit einem Schlag zurück. Im ersten Moment wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen, warum sie hingefallen war. Außerdem war da noch etwas, das für einen Augenblick vernebelt in ihren Gedanken he-rumschwirrte. Versuchte da nicht jemand, ihr etwas mitzuteilen? Aber es war niemand hier. War es nur Einbildung gewesen?

Erst jetzt bemerkte Elina die Beule an ihrem Kopf, von der dieses schmerzhafte Pochen ausging. Sie schaute zu dem schweren dunk-

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len Holztisch und konnte sich schlagartig an den Blitz erinnern, der scheinbar in den Apfelbaum vor dem Haus eingeschlagen hatte. Schnell rappelte sie sich auf, einen weiteren Schwindelanfall nieder-kämpfend, und wankte zum Fenster.

Das war es doch, was die Stimme zu ihr gesagt hatte, sie sollte in den Garten schauen. Und das, was sie sah, führte beinahe zu einem weiteren Sturz. Keuchend versuchte sie, ihr Gleichgewicht wieder-zuerlangen, und stürzte los. Sie rannte nach draußen, ihre Beine fühlten sich wie Blei an. Nach wenigen Schritten waren ihre Kleider durchtränkt vom strömenden Regen.

Ihr Blick fiel verwundert auf den Apfelbaum, der kerngesund und kaum beschädigt dem Wind trotzte. Unter dem Baum lag ein lebloser Körper, Elina zitterte vor Angst, als sie sich über ihn beug-te. Er schien zu leben. Vorsichtig legte sie jeweils eine Hand auf die Schulter und Hüfte der Person, drehte sie zu sich, ihr Gesicht war nun ihr zugewandt. Elina stockte der Atem, noch nie war sie in ihrem Leben von solcher Schönheit geblendet worden. Dabei konnte sie nicht einmal erkennen, ob das Wesen vor ihr männlich oder weiblich war. Sie wusste plötzlich, dass sie keinen Menschen vor sich hatte, ein beruhigendes Gefühl von tiefem Frieden umfing sie, als die Gestalt, die sie in ihre Arme zog, aufstöhnte.

Kurz darauf öffnete die Kreatur die Lider und sah Elina an, die ihren Blick abermals abwenden musste, denn die fremden Augen hatten das Leuchten, den Glanz und das Blau von Saphiren. Ihr Herz wurde von solch überwältigender Liebe erfüllt, dass Elina glaubte, es müsse bersten, hatte sie doch noch nie in ihrem Leben so intensiv empfunden. Dieses Gefühl hatte nichts mit der Liebe zwischen Mann und Frau zu tun, es war allumfassend.

„Elina, kannst du mir helfen?“Wieder diese Stimme, diesmal aus dem Mund dieses unbekann-

ten Individuums. Elina besann sich, warum sie hinaus in das Ge-witter geeilt war, half dieser Schönheit aufzustehen, stützte sie mit ihrem Körper und gemeinsam schleppte sich dieses ungleiche Paar ins Haus.

Im Wohnzimmer legte sie das Wesen auf das Sofa, holte ein Glas Wasser und ein paar Handtücher, um ihrem Gast eine Unterküh-lung durch die regennassen Kleider zu ersparen.

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„Danke, Elina, aber ich bin nicht mehr nass. Doch das Glas Was-ser würde meinen Durst sicher stillen.“

Elina blieb mit offenem Mund stehen und reichte ihm – oder ihr – das Wasserglas.

„Tut mir leid, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe, mein Name ist Malak. Ich bin verletzt und brauche deine Hilfe.“

Elina wäre am liebsten im Boden versunken, weil sie aus dem Staunen nicht mehr herauskam, anstatt das Wesen mit dem Namen Malak zu verarzten. „Wo bist du verletzt?“, kam es schuldbewusst über ihre Lippen.

„Mein Bein“, stöhnte der Gast abermals auf.Elina untersuchte die verletzte Stelle und konnte sich erneut

nicht von der Schönheit dieser fast elfenbeinfarbenen, schimmern-den Haut lösen. Doch dort, wo sich bei Menschen das Knie befand, war ein tiefgrüner, handflächengroßer Fleck, der besorgniserregend wirkte. Elina teilte Malak ihre Beobachtung mit. Das unbekannte Wesen schloss die Augen und murmelte etwas vor sich hin, das sie nicht verstehen konnte. Sie musste wohl oder übel auf eine Erklä-rung warten, sofern ihr Gast sie ins Vertrauen ziehen wollte.

Als Malak seine Augen wieder öffnete, fragte Elina, die vor Neu-gier fast platzte: „Was bist du?“

„Ein Abgesandter, ein Bote Gottes, ein Engel, wie ihr Menschen zu sagen pflegt“, folgte als Antwort.

Elina kniff die Augen zusammen. War sie wieder in einem ihrer Romane gelandet? Nein, er war noch immer da, als sie es wagte, abermals hinzusehen. Geduldig wartete der Engel, bis sie wieder bereit war zu sprechen.

„Aber was machst du hier?“, wollte Elina von dem göttlichen Boten wissen.

„Das kann ich dir nicht sagen.“„Oh.“ Elina war enttäuscht und vergaß dabei völlig, dass sie bis

zu diesem Zeitpunkt die Existenz von Engeln oder anderen über-natürlichen Absurditäten vehement angezweifelt hatte. „Was hast du vorher getan, als deine Augen geschlossen waren?“

„Gebetet“, sprach Malak mit sanfter Engelsstimme.„Warum?“, fragte Elina verwirrt.Malak deutete auf sein Bein, das nun unerklärlicherweise ohne

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Makel war. Das konnte unmöglich sein, Elina hatte das, was sie für eine Art von Bluterguss hielt, gesehen. Wie konnte das so schnell verheilen?

„Gott hat mich geheilt. Danke, Elina, ich muss dich jetzt ver-lassen, aber ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden. Du bist Teil des göttlichen Plans.“ Elina verstand nicht, was der Engel ihr mitteilen wollte, doch bevor sie noch eine ihrer brennenden Fragen loswerden konnte, war Malak schon verschwunden. Verwirrt griff die Frau an ihre Beule, der Schmerz breitete sich bereits über die Halswirbel und die Schultern aus.

Sie bewegte eine Frage: Warum kannte der Gottesbote ihren Namen? Doch da fiel ihr der Lieblingspsalm ihrer Mutter ein, die leidenschaftlich gerne in der Bibel gelesen hatte. Elina konnte nur mehr einzelne Bruchstücke in Gedanken wiedergeben, wie umher-schwirrende Schmetterlinge flogen sie wirr durch ihren Kopf. Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem All-mächtigen, Ruhe finden. Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: „Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich!“

Und dann war da noch etwas mit Engeln. Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.

Und irgendetwas, was mit dem zu tun hatte, dass Malak ihren Namen kannte. Gott sagt: „Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt. Genau, das waren die Worte ihrer Mutter: „Gott kennt meinen Namen.“ Zu absurd klangen diese erdachten Worte, hatte sie doch schon vor langer Zeit dem Glauben ihrer geliebten Mama abge-schworen, denn er bereitete ihr nur Kummer und Leid.

Elina verspürte den Drang, sich erneut ihrer Schwester anzuver-trauen. Sie schaltete den Computer ein und schilderte, was sich gerade in Ruths Heim zugetragen hatte. Als sie erneut ihre Zeilen überflog, klang das, was sie schrieb, zu unglaublich. Ruth würde sich große Sorgen machen, dass Elina verrückt geworden wäre. Nein, das konnte sie ihr nicht antun, sie wollte schließlich zeigen, wie erwachsen sie sein konnte. Sie trug die volle Verantwortung für ihr Leben. Punkt. Sie drückte auf Löschen und klappte den Laptop zu. Es war besser, nicht darüber zu sprechen.

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Elina erwachte am nächsten Morgen, die Sonne schien hell in ihr Schlafzimmer. Der Kopfschmerz war etwas besser als am Vortag, doch es zog über den Hals den Rücken hinab. Sie hatte leichte Pro-bleme mit dem Kreislauf, ein Schwindelgefühl überfiel sie schlag-artig, als sie sich im Bett aufsetzte. Übelkeit kroch ihr bitter die Kehle nach oben, sie schmeckte den sauren Magensaft.

„Malak?“, war ihr erster klarer Gedanke.Sie rieb sich die Augen, stand vorsichtig auf, stützte sich am Bett-

rand und an der Wand ab. Nach einer kurzen Ruhepause ging sie ins Badezimmer, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser abzuspülen.

Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihre Befürchtungen. Sie sah entsetzlich aus, hatte dunkle Ringe unter den rot geränderten Au-gen. Der Sturz hatte ihr ganz schön zugesetzt, wenigstens sah man die hässliche Beule unter den Haaren nicht.

Die Begegnung mit dem Engel ließ sie nicht los. Wem konnte sie sich anvertrauen? Ihre einzige Vertraute, ihre Schwester Ruth, konnte und wollte sie nicht belasten. Diese hatte in Vancouver wahrscheinlich genug um die Ohren, um sich in ihrem Job zu etab-lieren. Außerdem hatte sie keine Beweise für den letzten Abend. Wenn das alles nur ein Traum war, ein erdachtes Hirngespinst in ihrem Kopf herumgeisterte?

Elina suchte das Wohnzimmer auf, in dessen Mitte die grüne schwere Couch stand. Dort hatte Malak gestern Abend gelegen. Sie registrierte die gefalteten Handtücher auf der Lehne und daneben das leere Glas auf dem niedrigen Tisch aus Rattan. Sie konnte sich das nicht eingebildet haben.

Trotzdem war es besser, diesen Vorfall aus ihrer Gedankenwelt zu verbannen, wer sollte ihr den Unsinn über einen Engel in ihrem Garten glauben? Sie wollte keiner dieser irrationalen Spinner sein, die für ihren Aberglauben ausgelacht wurden. Hätte ihr jemand

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anderes die Geschichte von Malak erzählt, Elina müsste sich weg-drehen, um ihr Schmunzeln zu verbergen. Sie würde sich im Stillen halb kaputtlachen. Für solchen Humbug hatte sie noch nie etwas übrig gehabt. Dazu fiel ihr nur eines ein: Reden ist Silber, Schwei-gen ist Gold. Doch etwas Unbehagen blieb, sie sehnte sich dieses überirdische Gefühl der Liebe, das sie gestern in Malaks Beisein empfunden hatte, erneut herbei. Es kribbelte auf seltsame Art und Weise auf Elinas Haut. Dies erinnerte sie an die wohlige Wärme, die sie verspürte, wenn sie mit Mama oder Papa kuschelte, damals vor so langer Zeit. Dieses schöne, überwältigende Bewusstsein, absolut geliebt zu werden, fehlte ihr sehr. Der Engel hatte das schmerzliche Verlangen nach ihren Eltern wieder geschürt.

Elina war die Einsamkeit gewöhnt, dennoch hatte sie in den letzten Jahren mehrfach versucht auszubrechen. Sie träumte davon, richtige Freunde zu haben, vielleicht sogar eine Partnerschaft ein-zugehen. Allzu oft wurde sie nach solch einem Tagtraum abrupt in die Realität zurückgeholt, was ihre Sehnsucht nach Gesellschaft aber nicht schmälerte. Ja, das war es. Sie brauchte jemanden zum Reden, eine Person aus Fleisch und Blut. Vielleicht müsste sie sich nur etwas anstrengen, einmal ausgehen, um endlich richtige Freun-de zu finden.

Als Elina angezogen war – sie trug ein dottergelbes schlichtes Kleid mit spitzenbesetztem Ausschnitt, der nicht zu viel hervor-blitzen ließ – , schminkte sie sich eilig, um ihre Augenränder ab-zudecken. Im Anschluss gönnte sie sich eine Tasse Kaffee und einen Toast mit Marmelade zum Frühstück. Sie war daran gewöhnt, in der Küche im Stehen an der Arbeitsplatte zu essen. Dort fand sie es erträglicher, ohne ein Gegenüber die Mahlzeiten einzunehmen. Der Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass heute ein sommerlich warmer Augusttag vor ihr lag, die Nachwirkungen des Gewitters waren nicht mehr zu spüren.

Nachdem sie die Tageszeitung überflogen hatte, begab sie sich auf ihrem Fahrrad zur Arbeit, ein kleiner, aber feiner Frisiersalon für gut betuchte Frauen im malerischen Sevenoaks. Die Sonne und der Fahrtwind schienen ihre Lebensgeister neu zu wecken. Sie liebte diese Stadt, hier hatte sie, gemeinsam mit Ruth, ihre Heimat gefunden.

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Elina beobachtete gerne die Menschen in der Innenstadt, wie sie geschäftig durch die Straßen liefen, an den Schaufenstern vorbei-bummelten oder entspannt im Kaffeehaus saßen. Mütter waren mit ihren Kindern unterwegs und Väter kauften den Kleinen ein Eis. Nicht zu vergessen die alten Menschen, denen Elina besonders gerne beim Schachspielen und Zeitunglesen zuschaute. Die Ein-wohner von Sevenoaks waren so vielfältig wie die Stadt selbst.

Elina träumte davon, sich einfach an einem Kaffeetisch oder auf einer Parkbank neben sie zu setzen und sich am Gespräch zu betei-ligen. Sie wüsste gerne mehr von diesen Menschen, sie wollte ihren Geschichten über ihre Hoffnungen, Ängste und Träume lauschen. Aber das traute sie sich nicht, so blieb ihr nichts anderes übrig, als ihnen aus der Ferne zuzuschauen.

Elina bog in die Straße ein, in der sich ihre Arbeitsstelle befand und die von Boutiquen und erlesenen Gastronomiebetrieben ge-säumt war, ein Paradies für die reichen Bewohner von Sevenoaks. Auch Touristen verirrten sich gerne hierher, schon alleine wegen der aufwendigen Architektur der Gebäude und dem wunderschönen Blumenschmuck, den die Gemeinde in der warmen Jahreszeit stets anbringen ließ. Da gehörte natürlich auch ein anständiger Frisiersa-lon dazu, in dem sich die schönheitsbewussten Damen verwöhnen lassen konnten.

Elina übte ihren Beruf mit Begeisterung aus, hatte sie doch be-reits von Kindesbeinen an die Gabe, typgerechte Frisuren zu zau-bern. Von allen Seiten war ihr nahegelegt worden, ihr Talent zum Beruf zu machen, was trotz finanzieller Entbehrungen erstaunlich gut geglückt war. Ihre vier Jahre ältere Schwester Ruth unterstütz-te sie in jeder Hinsicht und die beiden hatten mehrfach auf eine Mahlzeit verzichtet, um Elinas Zukunft zu sichern.

Doch einen faden Beigeschmack brachte ihre Arbeit mit sich. Elina bewegte sich hier in einer Welt von Belanglosigkeiten und oberflächlichem Gehabe. Meist drehten sich die Gespräche mit den durchaus höflichen Kundinnen um Schönheit, Reichtum und das Wetter. Tiefe, ehrliche Gespräche ergaben sich eigentlich nie, auch nicht, wenn Elina die Kundin schon mehrere Jahre kannte. Sie wur-de von ihrer Chefin angehalten, nie aus dem herkömmlichen Small-talk auszubrechen, um die Würde der reichen Frauen zu wahren.

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Elina stellte ihr Fahrrad in die Seitenstraße neben ihrem Arbeits-platz und steuerte zielstrebig den Salon mit dem Namen Cabello an. Ihre Chefin Savina Cabello räumte hinter dem Tresen Haar-pflegeprodukte in die Regale ein.

Savina, die ursprünglich aus Spanien stammte, war groß, schlank und wirkte durch ihren muskulösen Körperbau etwas männlich, was sie mit ihren langen, gepflegten tiefschwarzen Haaren zu kom-pensieren versuchte. Doch ihr Gesicht war schön, auch wenn man ihr die fortschreitenden Jahre anhand kleiner Fältchen anmerkte.

Sie war eine gerechte und geschickte Arbeitgeberin, die sehr da-rauf bedacht war, Privates und Berufliches zu trennen. Letzteres ver-langte sie auch von ihrer einzigen Mitarbeiterin Elina. Das erklärte, warum zwischen den beiden nie eine freundschaftliche Beziehung entstanden war. Was das Verhältnis der beiden Frauen ausmachte, war gegenseitiger Respekt.

„Elina, gut, dass du da bist. Du musst heute den Laden für zwei Stunden alleine führen. Ich wurde zu Frau Avaritia Helga beordert. Du weißt doch, die betagte Dame, die gehbehindert ist“, erklärte Savina mit dem spanischen Akzent, der sie so besonders machte.

Elina antwortete höflich, sie betreue gerne den Salon, während ihre Chefin abwesend sei. Diese lächelte und verließ nach ein paar Arbeitsanweisungen den Laden.

Den Besen in der Hand verweilten Elinas Gedanken schon wie-der bei Malak, dem schönen Engel. Doch als die Tür sich öffnete, wischte sie die Erinnerungen bewusst beiseite und ärgerte sich, ihren Entschluss, das merkwürdige Erlebnis zu vergessen, schon so bald missachtet zu haben. Sie sah zum Eingang und vor ihr stand ein Mann mit dunklen Haaren und braunen Samtaugen. Seine Muskeln zeichneten sich unter dem hellblauen Hemd, das er an den Ärmeln aufgekrempelt hatte, deutlich ab. Elina hätte längst Worte der Begrüßung über ihre Lippen bringen sollen, aber irgendetwas, was sie nicht benennen konnte, verschlug ihr die Sprache.

„Entschuldigung, ich bräuchte dringend einen Haarschnitt, könnten Sie mich gleich drannehmen?“, fragte der Fremde.

Elina, die noch immer versuchte, die richtigen Worte zu einem Satz zusammenzusetzen, schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, dies ist ein Frisiersalon für Damen“, brachte sie schließlich hevor.

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„Ich hab einen durchaus wichtigen Termin und möchte dort nicht so ungepflegt erscheinen, könnten Sie nicht eine Ausnahme machen?“, fragte er mit zuckersüßer Stimme. Sein Blick schweifte über den menschenleeren Salon. Elina hatte ihre erste Kundin tat-sächlich erst in einer halben Stunde, also wies sie den jungen Herrn zu einem der Waschbecken. Hoffentlich blieb ihre Chefin lange ge-nug weg, um Elinas Abweichung vom Konzept nicht zu bemerken.

„Herzlichen Dank, Sie stehen in meiner Schuld, ich werde mich revanchieren“, sprach der Kunde mit einem schüchternen Lächeln und einem Glitzern in den Augen.

„Ich muss Sie aber warnen, ich hab seit mehreren Jahren keinem Mann die Haare geschnitten“, bemerkte Elina mit Nachdruck.

„Dann wird es wohl wieder einmal Zeit, damit Sie nicht aus der Übung kommen“, gab er frech zurück.

Elina war entsetzt, aber die merkwürdige Vertrautheit in der Stimme dieses Mannes schmeichelte ihr.

Ihre Reaktion blieb nicht unbemerkt, wobei er ihr Entsetzen falsch beurteilte. „Tut mir leid, ich wollte Ihr Talent nicht schmä-lern.“

„Oh ...“ Elina rang sich eine Antwort ab. „Ich war nur erstaunt, dass ich bei Ihnen das Gefühl habe, Sie ewig zu kennen.“ Nach einer kurzen Pause setzte sie beschämt hinzu: „Eigentlich sollte ich so etwas nicht zu meinen Kunden sagen.“

Während Elina die dichten dunklen Haare mit Wasser und Shampoo wusch, erwiderte er: „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber irgendetwas an Ihnen fasziniert mich. Ich heiße übri-gens Laurenz, Laurenz Winter.“

Sie trocknete seine Haare und bat ihn, am Frisiertisch Platz zu nehmen. Als sie die Schere in die Hand nahm, verspürte sie den Drang, ihm ebenfalls ihren Namen mitzuteilen. „Ich bin Elina Mercy.“

„Schöner Name“, antwortete er mit diesem betont schüchternen Lächeln.

Als sie seine weichen, dichten Haare schnitt, ertappte sich Eli-na dabei, wie sie seit Langem wieder einmal ihr eigenes Gesicht im Spiegel betrachtete. Grundsätzlich entsprach sie dem gängigen Schönheitsideal mit ihren glatten hellbraunen Haaren, den großen

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grünen Augen, den gleichmäßigen Lippen und den symmetrischen Gesichtszügen. Trotzdem fehlte ihr das gewisse Etwas, das, was in-teressant auf andere wirkte. Aber warum machte sie sich gerade jetzt darüber Gedanken? Und warum warf sie dieser Mann so sehr aus der Bahn? Sie kannte diesen Laurenz doch gar nicht!

Er erzählte ihr, er wäre hergekommen, um für einen guten Freund eine Immobilie zu erwerben. Er würde ein paar Tage hier-bleiben und in einem schmucken Hotel schräg gegenüber über-nachten. Elina nickte, ohne ihn im Spiegel aus den Augen zu lassen.

Er fragte sie, wo sie wohne und ob er sie als kleines Dankeschön für den Haarschnitt am Abend zum Essen ausführen dürfte. Elina sagte, zu ihrem eigenen Erstaunen, zu und beschrieb ihm den Weg zu dem Häuschen ihrer Schwester, wo sie momentan lebte.

Warum um alles in der Welt war sie nur so unvorsichtig und ver-traute diesem Fremden blind? War die Begegnung mit dem Engel schuld an dem Übermut, der sie auf einmal beherrschte? Oder die Sehnsucht nach Gesellschaft und nach einem Menschen, mit dem sie über das, was sie bewegte, reden konnte? Elina wusste es nicht, aber sie hoffte, dies nicht zu bereuen.

Laurenz beobachtete sie genau im Spiegel, wie sie gedankenver-loren seine Haare stylte. „Alles in Ordnung? Ich bin kein Triebtäter, ich möchte mich nur dankbar für Ihre Hilfsbereitschaft zeigen.“

Hatte sie ihre lautlos geformten Worte doch ausgesprochen oder konnte er Gedanken lesen? Schnell antwortete sie: „Ich bin nor-malerweise nicht so gut im Umgang mit Menschen, aber ich freue mich auf einen gemeinsamen Abend mit Ihnen.“

Laurenz schien zufrieden und schenkte ihr ein weiteres Lächeln. Elinas Knie wurden weich, ihr Herz begann schneller zu klopfen.

Nachdem sich der Mann zufrieden im Spiegel betrachtet hat-te, bezahlte er, wobei er Elina mit einem großzügigen Trinkgeld bedachte, und ging mit freundlichen Worten des Dankes zur Tür hinaus. Anmutig und geschmeidig schritt er die Straße entlang, immer weiter fort von ihr.

Abermals wurde Elina mit einem nagenden Gefühl der Leere im Herzen zurückgelassen, auch wenn diese Empfindung eine ganz an-dere war als die am Abend zuvor. Die Achterbahnfahrt der Gefühle schien weiterzugehen.

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Zu Hause angekommen drehte sich alles um das Essen mit Lau-renz Winter. Was sollte sie anziehen, welche Frisur, welche Schuhe und was war mit Make-up? Sollte sie es wagen, sexy zu wirken? Nein, das war zu riskant, schließlich wollte er sich nur erkenntlich zeigen für den Haarschnitt. Also doch lieber elegant, aber nicht zu aufdringlich.

Elina wirbelte durch das Haus wie ein verrücktes Huhn. Dusch-te, zog sich an, machte ihre Haare und schminkte sich. Als sie eine Halskette auswählen wollte, fiel ihr ein, dass Ruth vielleicht eine Antwort auf die letzte E-Mail geschickt haben könnte, in der sie sich für das Bezahlen der Reparaturen am Haus bedankte. So viel Zeit musste sein, sie schaltete den Computer ein und checkte ihren Posteingang.

Geliebte Schwester!Alles geregelt, du solltest das Geld bald erhalten.Die Arbeit als Journalistin nimmt mich immer mehr ein, ich muss so viel dazulernen, da sich das Zeitungswesen hier in einigen Punkten deutlich von dem britischen unterscheidet. Aber es macht mir Spaß und es tut gut, Neues auszuprobieren. Mein Chef ist zu-frieden mit meinen Fortschritten. Auch mit den Arbeitskollegen verstehe ich mich gut, hier herrscht ein angenehmes Arbeitsklima. Es war die richtige Entscheidung hierherzukommen.Leider muss ich schon wieder zu einem Meeting aufbrechen, vier-undzwanzig Stunden am Tag sind mir gerade etwas zu wenig, vor allem Schlaf könnte ich dringend gebrauchen.Es tut gut, deine Zeilen zu lesen.Gott segne dich!Deine Ruth

Ach, Ruth und ihr tiefer Glaube an Gott. Elina wusste, dass sie sich dieses Vertrauen in Jesus auch für ihre kleine Schwester wünschte. Sie verstand nicht, warum sie den Glauben, den ihre El-tern ihnen ins Herz gelegt hatten, ablehnte. Doch für Elina war die Erinnerung zu schmerzhaft, es war so schon schwer genug, die Ver-gangenheit zu ertragen. Kurz überlegte sie, was sie zurückschreiben sollte, entschied sich aber, die Antwort auf später zu verschieben,

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vielleicht ereignete sich heute noch Erzählenswertes, wenn sie mit Laurenz ausging.

Außerdem würde es Ruth nicht gutheißen, wenn sie sich mit einem fremden Mann traf. Nein, sie war momentan mit Arbeit ein-gedeckt, sie sollte nicht den Eindruck haben, Elina hätte ihr Leben nicht im Griff. Sie musste vorsichtig sein. Es war besser, ihr erst im Nachhinein davon zu erzählen, wenn der Abend nett verlaufen war.

Elinas Wanduhr ließ sie abermals in Hektik geraten, sie musste noch ihre Handtasche packen und die Schuhe auswählen, was bei dem geringen Angebot nicht allzu schwierig sein würde. Vielleicht fand sie auch noch passenden Schmuck, ehe Laurenz vor ihrer Türe stand.

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Elina feilte gerade am letzten Schliff ihres Outfits – eine rote Korallenkette zum kurzen, aber eleganten schwarzen Kleid –, als es an der Tür klingelte. Ein erneuter Blick auf die Uhr verriet ihr, dass Laurenz einer dieser Männer war, die überpünktlich kamen. Letzte Kontrolle im Spiegel, die Frisur war perfekt, das dezente Make-up ließ sie etwas strahlender wirken, im Großen und Ganzen war sie zufrieden mit ihrem Erscheinungsbild. Es konnte losgehen, sie atmete tief durch und bemühte sich, ein freundliches Lächeln auf-zusetzen, um ihre Nervosität zu überspielen.

„Einen Moment, bitte“, rief Elina, ehe sie zur Tür eilte, um diese zu öffnen.

Laurenz trug einen blaugrauen, geradlinigen Anzug, kombiniert mit einem weißen Hemd. In der Hand hielt er eine Sonnenblume, die er ihr galant überreichte. „Tut mir leid, dass ich zu früh bin, aber ich wollte nicht im Auto warten, ich ... Sie sehen atemberaubend aus“, ertönte es aus seinem Mund, untermalt von diesem süßen ver-legenen Lächeln, das Elina so verzauberte.

Am liebsten hätte sie ihn in ihre Arme gezogen und ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gedrückt, wohl wissend, dass man dies nur bei sehr guten Freunden zu tun pflegte. So streck-te sie ihm nur die Hand entgegen. Doch nicht einmal auf diese Berührung war sie gefasst, denn ein unbekanntes Verlangen kroch aus einem längst vergessenen Winkel ihres Herzens hervor. Eli-na musste sich in diesem Moment eingestehen, dass sie Laurenz Winter begehrenswert fand. Das Blut stieg ihr ins Gesicht, was sie erröten ließ. Sie hoffte, das frisch aufgelegte Make-up ließ nicht zu viel durchblitzen.

Als ob er ihre Unsicherheit spüren konnte, schaute er ihr fast et-was zu tief in die Augen, nahezu unverschämt verführerisch. „Sind Sie so weit, können wir fahren?“

Kapitel 3

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„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken.“Das Glitzern in seinen Augen machte es nicht besser und Elina

schmolz dahin, schwelgte in dem Chaos ihrer neuen Gefühle. Hit-ze machte sich in ihr breit, die Hände begannen zu schwitzen, ihr Mund fühlte sich trocken an.

Während der Autofahrt in einem silbern lackierten Audi R8, was Elina darauf schließen ließ, dass Laurenz zu den reicheren Men-schen dieser Erde gehörte, erzählte er unbekümmert von seinem Termin mit dem Makler am Nachmittag. Das Anwesen, das er erwerben wolle, sei in einem guten Zustand und als Rückzugsort für einen guten Freund gedacht, in dessen Auftrag er nach Seve-noaks gekommen sei. Schon morgen könnte er zur Besichtigung des Hauses antreten, um anschließend die weiteren Formalitäten zu klären, wenn die Immobilie das hielte, was der Makler verspräche. Dann würde sich Laurenz um die Renovierung und die Möblierung kümmern, die Infrastruktur der Umgebung auskundschaften, Ein-kaufsmöglichkeiten aller Art in Erfahrung bringen und viele andere Kleinigkeiten regeln, um seinem Freund den Start in dieser Gegend möglichst einfach zu gestalten. Betont freundschaftlich bat er Elina, ob sie ihm ein paar Empfehlungen geben könne, was ihr Herz etwas höher hüpfen ließ, als sie freudig einwilligte.

„Haben Sie ein Foto dieses Hauses?“, wollte sie wissen.Laurenz deutete wortlos auf das Handschuhfach seines Autos,

die andere Hand ruhte betont lässig auf dem Lenkrad. Elina fand eine Mappe, deren Inhalt eine Beschreibung der Immobilie mit Fotos war. Plötzlich musste sie schmunzeln. „Wissen Sie, dass dieses Haus in meiner direkten Nachbarschaft steht?“

„Sie haben Nachbarn? Ihr Haus steht doch mitten im Nirgend-wo!“

„Haben Sie nicht die Bäume bemerkt, die mein Grundstück im Osten abgrenzen?“

Laurenz nickte. „Doch, die habe ich gesehen.“„Dahinter ist eine Böschung und unterhalb steht dieses beein-

druckende Anwesen“, erklärte Elina und deutete mit ausladenden Handbewegungen auf die Fotos.

„Na, dann werden wir Nachbarn, zumindest für die nächsten paar Tage.“

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„So könnte man das nennen, Herr Nachbar“, lachte Elina laut auf.

Laurenz wirkte auf einmal sehr still, irgendetwas wollte er ihr sagen. Es schien, als wäre er in Gedanken.

„Darf ich Sie um etwas bitten?“ Er schmierte ihr Honig um den Mund mit seiner zuckersüßen Stimme.

„Natürlich.“ Elina war sichtlich nervös.„Sag bitte Du zu mir. Ich finde es persönlicher.“„Mir ist es auch lieber, es kommt mir jetzt schon so vor, als wären

wir seit Ewigkeiten Freunde.“Sie hatte sich schon lange nicht mehr so frei gefühlt in der Gegen-

wart einer anderen Person. Es war so unbeschwert und leicht, mit ihm eine Unterhaltung zu führen. Dankbar lehnte sie sich zurück und genoss den Rest der Autofahrt.

Im Restaurant The Swan angekommen, führte sie Laurenz in den mit Rosen umsäumten Gastgarten. Er rückte ihr den Stuhl zurecht und orderte ein hervorragendes Menü, das für Elinas Geldbeutel eindeutig zu teuer gewesen wäre. Sie kannte dieses Gasthaus vom Hörensagen, schwärmten ihre Kundinnen doch regelmäßig von den exzellenten, ausgefallenen Speisen, die hier angeboten wurden. Nie hätte sie damit gerechnet, selbst in den Genuss dieser Gaumen-freuden zu kommen.

Doch sie war hier, gemeinsam mit Laurenz, und erfreute sich an dem Dinner und dem köstlichen Wein. Sie versuchte, das starke Empfinden hier nicht hinzugehören, so gut es ging, zu ignorieren. Ein Job in der Küche oder als Kellnerin wäre eher ein geeigneter Platz für sie gewesen. Unter normalen Umständen wäre ihr diese exquisite Umgebung noch unangenehmer gewesen, aber Laurenz schien sich auf gewöhntem Terrain zu bewegen und zog sie ein Stück weit mit hinein in das Flair dieses noblen Restaurants.

Sie gestand dem schönen Mann, der ihr gegenübersaß, dass das Haus, in dem sie wohnte, das Eigentum ihrer Schwester sei und dass sie bis vor Kurzem in einer Einzimmerwohnung in der Nähe des Frisiersalons gewohnt hätte. Sie habe aber die Enge nicht mehr aus-gehalten und deshalb das Angebot dankbar angenommen, ein Jahr das Häuschen mit dem Garten zu hüten, während ihre Schwester in Vancouver als Reporterin für eine Tageszeitung arbeitete. Ruth

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hätte einen Tapetenwechsel gebraucht, sie wollte Elina überreden mitzukommen, aber ihre Schwester mochte ihre Arbeit als Friseurin hier. Außerdem wäre der Wunsch, ins Ausland zu reisen, nicht der ihre, sondern Ruths.

Elina erzählte oberflächlich von ihrer Kindheit, in der sie und Ruth sich alleine durchboxen mussten, bis sie beide beruflich Fuß gefasst hatten. Sie waren stolz darauf, ein geregeltes Einkommen zu haben, was vieles in ihrem Leben erleichterte.

Laurenz hörte gespannt zu, nippte an seinem Weinglas und sto-cherte mit der Gabel in seinem Dessert herum. Er erkundigte sich vorsichtig nach den Eltern der beiden Mädchen. Elina traten die Tränen in die Augen, nein, sie konnte und wollte nicht über ihre Mutter und ihren Vater sprechen, nicht jetzt.

Laurenz legte verständnisvoll die Hand auf ihre Schulter, was in Elina einen weiteren Gefühlsschwall hervorrief, seine Hand auf ihrer Haut war Balsam für die Seele. Einfühlsam winkte er dem Kellner zum Bezahlen. Sie ärgerte sich, dass ihr Geheule den Abend so abrupt enden ließ. Laurenz war ein Gentleman und brachte sie umgehend zum Wagen. Auf der Fahrt zurück bedankte er sich aber-mals für seinen Haarschnitt am Morgen.

„So, das war es. Jetzt weiß er, dass ich eine dumme Gans bin. Ab jetzt wird er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen“, dachte Elina bei sich.

Warum hatte sie Laurenz nicht ermutigt, von seinem Leben zu sprechen, während sie interessiert genickt hätte? Vielleicht wäre dann alles anders verlaufen. Angestrengt überlegte sie, wie sie das wieder in Ordnung bringen konnte. Hatte sie noch eine Chance? Konnte sich das Blatt noch zu ihren Gunsten wenden? Vielleicht war sie einfach nicht für Beziehungen jeglicher Art geschaffen ...

Zu Hause angekommen hielt Laurenz Elina die Tür seines Sport-wagens auf und geleitete sie zum Eingang. Er hob seine Hand. „Darf ich?“ Sie nickte und schloss kurz die Augen. Er strich ihr vor-sichtig über die Wange, sodass Elinas Knie abermals weich wurden. Sie war verwundert, hatte sie doch nicht alles vermasselt? Sie badete in seinen dunklen Samtaugen. „Ich möchte dich morgen gerne wie-dersehen, am liebsten gleich in der Früh, damit wir den Tag nutzen können. Bist du einverstanden?“

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Elina hätte am liebsten laut „Ja!“ geschrien, begnügte sich aber mit einem begeisterten Lächeln. Irgendetwas hatte sie wohl doch richtig gemacht, innerlich führte sie einen Stepptanz auf.

Sie verabredeten sich für den nächsten Tag zum Brunch bei Eli-na. Gott sei Dank musste sie diesen Freitag nicht arbeiten. Ihre Chefin Savina Cabello gönnte sich ein verlängertes Wochenende, um zu verreisen. Erst am Dienstag musste Elina wieder bei der Arbeit erscheinen, sie freute sich innerlich über diese Fügung. So konnte sie mehr Zeit mit Laurenz verbringen, nur in seiner Nähe zu sein, reichte ihr schon aus. Endlich jemanden zum Reden zu haben, wenn auch nur vorübergehend, war das schönste Gefühl auf Erden.

Der kleine Kuss, den er zum Abschied auf Elinas Stirn drückte, ließ ihr endgültig die Röte ins Gesicht steigen.

Zärtlich flüsterte er ihr noch ein „Auf Wiedersehen!“ zu.Sie wandte sich beschämt ab, um die Tür aufzusperren. Damit

hatte sie wahrlich nicht gerechnet, Laurenz Winter wollte sie wie-dersehen und küsste sie flüchtig. Heute war Elinas Glückstag. In ihr brach ein weiteres Jubelgeschrei los.

Nicht einmal, als sie das Auto wegfahren hörte, traute sie sich, einen Blick zurückzuwerfen. Plötzlich keimten in ihr Selbstzweifel auf und verstummten den restlichen Abend über nicht.

„Was denke ich mir bloß dabei, solche Gefühle einem Fremden entgegenzubringen und ihm so viel Nähe zu schenken?“, kam es ihr in den Sinn.

Bevor sie im Bett die Augen schloss, gönnte sie es sich endlich, glücklich zu sein. Alles war so neu, so geheimnisvoll, fast so wie in Elinas Büchern. Oder wie in einem ihrer romantischen Filme, die sie ab und zu anschaute, um die Zeit totzuschlagen. Nun spielte sie die Hauptrolle in einem dieser Streifen. Es war nicht nötig, sich unbegründete Sorgen zu machen. Das Schicksal meinte es endlich einmal gut mit ihr. Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Er-innerung an seine dichten dunklen Haare unter ihrer Schere schlief sie zufrieden ein.

Unbewusst war es der jungen Frau gelungen, an diesem Abend nicht an Malak und sein ungewöhnliches Erscheinen am Vortag zu denken.

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Elina fuhr schweißgebadet aus einem Traum in die Höhe. Ihr Herz raste, schwer atmend schnappte sie nach Luft. Ihr Nacken war verspannt, sie musste sich aufsetzen. Sie ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Das kühle Nass rann wohltuend ihre Kehle hinunter. Verschwommen versuchte sie sich zu erinnern, was sie so aufgeregt hatte, dabei massierte sie ihre schmerzenden Schultern und ließ den Kopf kreisen, um die Verspannungen zu lösen.

Langsam kamen ihr die Szenen des Traumes wieder in den Sinn. Sie hatte sieben Engel gesehen, deren Anführer eindeutig Malak war und die eine Botschaft für Elina hatten. Wenn sie nur wüsste, was sie zu ihr gesagt hatten, es schien alles im Nebel ihrer Erinnerungen zu verschwimmen. Sie versuchte angestrengt, die Worte in ihrem Kopf zu finden, konnte aber nur an eine Traum-Elina denken, die sich summend die Ohren zuhielt, um der erneuten Begegnung mit dem Übernatürlichen zu entgehen. Nun ärgerte sie sich, so töricht gewesen zu sein, sie hätte zumindest abwarten können, was Malak ihr mitteilen wollte. Es erschien ihr im Nachhinein klüger, die Ent-scheidung auf später zu verschieben, ob sie darauf eingehen wollte oder nicht. Nun hatte sie ihre Chance eindeutig vertan.

Ein Gefühl des Ungehorsams beschlich sie, so wie damals, als sie noch ein Kind gewesen war und ihre Eltern, die immer liebevoll und gütig gewesen waren, bewusst hintergangen hatte. Es waren ganz normale Dummheiten und Streiche einer Minderjährigen ge-wesen, die im Nachhinein betrachtet sehr wertvoll für ihre Gewis-sensbildung waren. Aber das Wissen, seine eigenen Eltern verletzt zu haben, war nicht einmal aus heutiger Sicht erträglich. Doch sie waren nachsichtig, gerade weil sie noch ein Kind war. Oder weil sie vielleicht nur zu gut wussten, dass auch Erwachsene genug Fehler machten, die unüberlegt waren und erst im Nachhinein Reue auf-kommen ließen.

Kapitel 4