[Karl-Wilhelm Welwei] Athen Vom Neolithischen Sie(Bookos.org)

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Athenian History

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  • KARL-WILHELM WELWEI

    ATHEN Vom neolithischen Siedlungsplatz

    zur archaischen Gropolis

    WISSENSCHAFrUCHE BUCHGESELLSCHAFf DARMSTADT

  • Einbandgestaltung: Neil McBeath, Stuttgart.

    Einbandbild: Theseus und Minotauros. Scbwarzfigurige Bauchamphora um 540 v. Chr.

    Bocbum, Kunstsammlungen der Ruhr-Universitt , Inv.-Nr. S485. Theseus galt als "Nationalheros" der Atbener, dem die Einigung Attikas

    in mythischer Vorzelt zugeschrieben wurcie.

    Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahrne

    Welwei, .Kart-Wilhelm: Athen: vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Gropolis I Kar! Walhelm Welwei. -Darmstadt: Wiss. Buchges., 1992

    ISBN 3-534-07541-2

    Bestellnummer 07541-2

    Das Werk ist in allen seineo Teilen urheberrechtlieb geschtzt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig.

    Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen. Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in

    und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

    1992 by Wissenschaftliche BucbgeseUschaft. Dannstadt Gedruckt auf surefreiem und alterungsbestndigem Werkdruckpapier

    GesamthersteUung: Wissenschaftliche BuchgeseUscbaft, Darmstadt Printed in Gennany

    Schrift; Times. 9.5111

    ISBN 3-534-07541-2

    INHALT

    Vorwort VII

    I. Die Frhzeit 1 1. Die athenische Rckerinnerung 1 2. Frhe Siedlungskontinuitt in Athen . 3 3. Das Einwanderungsproblem 8 4. Faktoren der sozio-kulturellen Evolution im 3. Jahrtau-

    send . 17 5. Athen im Mittelhelladikum und der Begion der mykeni-

    schen Zeit 23 6. Die Bedeutung Kretas fr die festlndische Entwicklung 28 7. Athen in der mykenischen Welt 32 8. Mykenische Herrschafts- und Sozialstrukturen 39 9. Der Zusammenbruch der Palastorganisation . 45

    10. Ausklang der mykeoischen Zeit in Athen und Attika 50 11. Wandel der Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen 57 12. Athen im 11. und 10. Jahrhundert . 60

    a) Der archologische Befund 60 b) Probleme der Auswertung des Materials 65

    fl. Die Entstehung des Polisverbandes 76 1. Problemstellung und Quellenlage . 76 2. Allgemeine Rahmenbedingungen der Polisbildung 80 3. Die Formierung der atheoischen Oberschicht 87

    a) Archologische Zeugnisse . 87 b) Strukturfragen und Genasproblem 91

    4. Gesellschaftliche Gliederung und Abhngigkeitsverhltnisse 95 5. Evolution politisch-staatlicher Strukturen 101

    a) mter 101 b) Rat 110 c) Volksversammlung 113

    6. Genossenschaftliche Organisationsformen und Wehrordnung 116 a) Phratrien 116 b) Phylen 119 c) Naukrarien . 123

    7. Athen im Bezugsfeld griechischer Staatenbildung 127

  • VI Inhalt

    Ill. Wege zur Konsolidierung der Polis . 1. Die Verschwrung Kylons . 2. Oie Gesetzgebung Drakons 3. Auenpolitische Aktivitten um 600 v. Chr. 4. Die innere Krise vor dem Arebontat So Ions

    133 133 138 146 150

    5. Die Refo.men Svlous 161 a) Seisachtheia 161 b) Rechtsordnung 164 c) Institutionen und "Verfassung" 178

    aa) Zensusklassen und mter 178 bb) Heliaia, Rat der 400, Volksversammlung 187 cc) Areopag . 192

    d) Das Problem der Mnz-, Ma- und Gewichtsreform 198 e) Ergebnisse und Bedeutung der solonischen Reformen 201

    6. Von Solon zur'I)rrannis des Peisistratos . 206 a) Kriegerische Verwicklungen 206 b) Polisgemeinschaft und Adelsfaktionen 214

    7. Diel)'rannis 229 a) Peisistratos . 229 b) Die Shne des Peisistratos 247 c) Oie l)'rannis als Epoche der athenischen Geschichte 258

    Abkilrzungsverzeichnis 267

    Register . 279 1. Personen , Gruppen, Vlker (auch Gtter und mythische Ge-

    stalten) 279 2. Topographische Bezeichnungen 282 3. Begriffe, Institutionen, Bauwerke 285 4. Quellen (in Auswahl) . 289

    Karten . 295

    VORWORT

    Das vorliegende Buch soll einem historisch interessierten breiteren Leser-kreis ein Bild von der Entwicklung Athens bis zum Sturz der Peisistratiden vermitteln. Die Einbeziehung der prhistorischen Zeit soiJ die Bedeutung langfristiger geschichtlicher Prozesse filr die Entstehung von Polisstruk-turen aufzeigen. Dementsprechend waren Ergebnisse verschiedener alter-tumswissenschaftlicher Disziplinen einzuarbeiten und allgemeine Rahmen-bedingungen der griechischen Frhgeschichte zu bercksichtigen. Die Entscheidung, mit der Schilderung des Endes derl)'rannis in Athen die Dar-stellung abzuschlieen, wurde aufgrund der berlegung getroffen, da die mit den Reformen des Kleisthenes beginnende Epoche eine eigene mono-graphische Behandlung erfordert. -Im Anmerkungsapparat konnte nur ein Teil der beraus 11mfangreichen relevanten Literatur bercksichtigt werden. Nach Mglichkeit wurden neuere Untersuchungen zitiert, die ihrerseits ber die ltere Forschung informieren.*

    Whrend der Arbeit an diesem Buch wurde mir mannigfache Hilfe zuteil, fr die ich an dieser Stelle danken mchte. Frau Astrid Ahmetaj und die Herren Uwe Aust, Oliver Iggesen, Cbristian Mller und Jilrgen Schulte haben mich als studentische Hilfskrfte bei der Beschaffung der Literatur untersttzt und z. T. die Korrekturen mitgelesen. Frau Cornelia Leinen-weber und Frau Lieselotte Sieverding bernahmen die Reinschrift des Manuskriptes. Herr Privatdozent Dr. Hans Lohmann und Herr stud. phil. Georg Kalaitzoglou gestalteten die zeichnerische Vorlage fr eine Karte von Attika. Herr Akademischer Direktor Dr. Norbert Kunisch stellte freundlicherweise fr da'5 Umschlagbild die Aufnahme einerTheseus-Szene auf einer attischen Amphora aus den Kunstsammlungen der Ruhr-Universitt Bochum zur Verfilgung. Herrn Peter Heitmann danke ich fr die Betreuung der Drucklegung.

    Witten/Ruhr, im November 1991 Kari-Wilhelm Welwei

    * Aristoteles, Staat der Athener, bers. u. er I. v. M. Chambers, Aristoteles -Werke in deutscher bersetzung 10 I , Darmstadt 1990 (1991 ausgeliefert), konnte bei den Korrekturen leider nicht mehr bercksichtigt werden.

  • I. DIE FRHZEIT

    I. Dieathenische Rckerinnerung

    Auf dem Boden Atbens vollzog sich im Altertum ber Jahrtausende hinweg ein einzigartiger bistorischer Proze: die Entwicklung von einem neolithischen Wohnplatz zum Zentrum einer gischen Gromacht. Die Brger der klassischen Polis Athen waren sich dieser langen Siedlungsge-schichte freilieb nicht bewut. Die Atbener verstanden sich zwar als Nach-fahren von" Ureinwohnern" Attikas, 1 doch basierte diese Vorstellung nicht auf genuiner Tradition . Sie entstand vermutlich erst im Zusammenhang mit der Formierung der Polis und der Herausbildung eines Gewebes von Mythen und Sagen zur Erklrung geschichtlicher Ursprnge, die gleichsam in einer verkrzten Perspektive gesehen wurden.2 Der Anspruch der Athener, eine autochthone politische Gemeinschaft zu sein, orientierte sich zeitlich an den damaligen Vorstellungen von der sogenannten Heroenzeit, einer "Welt", die im griechischen Geschichtsverstndnis weitgehend mit den in den homerischen Epen poetisch ausgemalten Verhltnissen der "Epoche" des angeblichen Trojanischen Krieges gleichgesetzt wurde. 3 Athenische Ur-

    I Vgl. etwa Hdt. 1 57,3; vn 161,3; Thuk. I 2,5; II 36,1. Zahlreiche weitere Zeug-nisse nennt V.J. Rosivacb , Autochthony and the Athenians, CQ 81 (1987) 294-306, der vermutet, da die "Autochthonie-Legende" der Athener erst nach der Abwehr der Invasion des Xerxes entstand und Bestandteil der "demokratischen Ideologie" wurde. - Der Name "Athenai' geht auf ein vorgriechisches Sprachsubstrat zurck, lt sich aber nicht befriedigend erklren. Zur Problematik der Ableitung des Na-mens der Gttin Athena vgl. W. Ptscher, Hera. Eine Strukturanalyse im Vergleich mit Athena, Darmstadt 1987, 160ff.

    z Allzu optimistisch beurteilte Schachermeyr, Rckerinnerung 122 ff. , 136ff. , den Aussagewert athenischer Sagen und Mythen. Dazu generell Prinz, Grndungs-mythen 1-15. Vgl. auch N. Loraux, I.:invention d 'Athenes. Paris 1981. 148-151; E. Keams, The Heroes of Attica, London 1989, llOff.

    3 Zur anhaltenden Debatte ber den sog. Trojanischen Krieg, auf die hier nur hin-gewiesen werden kann, vgl. etwa F.Hampl, Geschichte als kritische Wissenschaft, Bd. Il , Darmstadt 1975, 51 ff.; J. Cobet, Gab es den Trojanischen Krieg?, Antike Welt 14,4 (1983) 39If.; L.Foxhall - J. K. Davies (Hrsg.), TheTrojan War: Its Historicity and Context, Bristol 1984; J. Latacz, Ncues von Troja, Gymnasium 95 (1988) 385-413; ferner die Aufstze in: Mellink, Troy, sowie 8 . Patzek, Mndliche berHeferung als historisches Zeugnis. Die "Homerische Frage" in heutiger Sicht, HZ 250 (1990) 529-548.

  • 2 Die Frhzeit

    sprungssagen dienten nicht zuletzt auch der Abgrenzung gegenber den aJs In-vasoren geltenden Doriern und leisteten insofern einen bedeutenden Beitrag zur spezifischen Identittstindung eines Polisverbandes, der auf dem Hhe-punkt seiner Macht im 5. Jabrbundert fr die Athener zum Inbegriff einer wahren Gemeinschaft wurde, weil es hier erstmals gelungen zu sein schien, die Idee der politischen Gleichberechtigung aller Brger zu realisieren. Aus athcni scher Sicht lag die Bedeutung dieser Errungenschaft vor aUem darin, da der hiermit verbundene politische Fortschritt in der bevlkerungsmig grten Polis Griechenlands erreicht worden war und sich hier uere Macht und frei-heitliebe Ordnung gegenseitig bedingten. Theoretisch konnten in perlkleischer Zeit mehr aJs 40000 Vollbrger an den Entscheidungsprozessen der atheni-schen Demoirrarie teilnehmen. Athen hatte eine weitaus hhere Brgerzahl als alJe anderen griechischen Poleis. Sparta-Athens groer Antipode- hatte zwar eine breitere territoriale Basis. Whrend aber das Gebiet Spartas in die Lndereien der politisch vollberechtigten Spartiaten und der minderberech-tigten Perioi.ken ("Umwohner") gegliedert war und die Spartiaten ihre Gter von unterworfenen, unfreien und an die Scholle gebundenen Heloten bear-beiten lieen, bildeten alleTeileAttikas integrale Bestandteile der Polis Athen, hatten die in Marathon, Brauron, Sounion, Acharnai oder in kleineren atti-schen Siedlungen ansssigen Politen (Brger) die gleichen Rechte wie ihre in Athen selbst wohnenden Mitbrger.

    Die Anfnge der politischen Einigung Attikas wurden mit einem Mythos verbunden, der fr die Atheoer selbstverstndlich historische Realitt war. Hiernach so11 der athenische Nationalheros Theseus die "Behrden" in den einzelnen, bis dahin relativ selbstndigen "Poleis" Attikas aufgehoben und durch Einfhrung eines gemeinsamen Rates mit einer zentralen Tagungs-sttte in Athen eine neue politische Einheit geschaffen haben. In dieser zu-erst bei Thukydides (ll15) berlieferten Version vom "Grndungsakt" des Knigs Theseus wird die Staatswerdung Athens nicht als ein faktisches Zu-sammensiedeln der Einwohner Atti.kas, sondern als Konzentration der wich-tigsten Herrschafts- und Beratungsorgane in der "Stadt" verstanden. Hierbei wird vorausgesetzt, da politische Institutionen der entwickelten Polis be-reits unter einem Knig existierten, der noch vor dem Trojanischen Krieg ge-herrscht haben soll. Vermutlich entstand der Mythos vom attischen Synoi-kismos unter der Regie des Theseus erst nach den Reformen des Kleisthenes (508107 v. Chr.),s deren Ziel es u. a. war, die politische Einheit von Stadt und

    4 Die Zahl der athenischen VoUbrger kann selbstverstndlich nur geschtzt werden. Sie wird aufgrund von Thuk. 11 13,6-8 fr das Jahr 431 v. Chr. zumeist auf 40000 bis 50000 beziffert. Eine hhere Zahl (60000) vermutet M. H. Hansen, Three Studies in Athenian Demography, Kopcnhagen 1988, 14ft.

    5 berwiegend wird freilich angenommen, da Theseus in der Peisistratidenzeit

    Frhe Siedlungskontinuitt in Athen 3

    Land zu strken. Bei Thukydides liegt jedenfalls eine weitere Ausgestaltung der Grndungssage aus der Perspektive des 5. Jahrhunderts vor, indem staatliches Handeln in den institutionellen Rahmen von Polisorganen ge-stellt wird, die aJs zentrale lostanzen Entscheidungen treffen, die fr die Ge-meinschaft allgemein verbindlich sind. Historischen Aussagewert besitzt die

    fil-tio~ einer St:!3tsgrndung durch Kn!gTheseus nur als Zeugnis des athe-nischen Geschichtsbewutseins. Es gab in sptarchaischer und klassischer Zeit keine verllichen Informationen ber Vorgnge und Ereignisse, die zur Polisbildung in Athen und Attika fhrten. ber das 7. Jahrhundert hinaus reichten nur vage Rckerinnerungen, die phantasievoll ausgestaltet wurden und nicht als GrundJage fr eine Rekonstruktion der athenischen Frhzeit dienen knnen. Ausgangsbasis fr jeden Versuch, die Entwicklung Athens weiter zurckzuverfolgen, kann nur das archologische Material sein, das in den greren Kontext der Frhgeschichte Griechenlands einzu-ordnen ist.

    2. Frhe Siedlungskontinuitt in Athen

    Im Umkreis von Athen lebten wahrscheinlich bereits im spten 7. Jahrtau-send relativ sehafte Familienverbnde. Obsidianwerkzeuge, die in der Um-gebungAthens gefunden wurden, entsprechen den Mikrolithen aus thessali-schen Siedlungspltzen, deren Bewohner damals zwar noch keine Keramik kannten, aber schon in begrenztem Umfang Ackerbau und Viehzucht trieben. 6 Vermutlich gelangten erste ackerbautreibende Gruppen ber Zwi-schenstationen in den nrdlichen Regionen der attischen Ostkste in den Raum von Athen, da hnliche Mikrolithe aus der prkeramischen Phase der Jngeren Steinzeit sich in den Aufschttungen des imposanten Grabhgels fanden, den die Athen er 490 v. Chr. auf dem Schlachtfeld von Marathon fr ihre dort gefaUenen Mitbrger errichtet haben. 7 An der Ostkste bei Nea Makri (sdlich von Marathon) wurde auch die erste grere Siedlung des at-tischen Frbneolithilrums entdeckt. s Da in Nea Makri bereits Ke ramik her-

    zum bedeutendsten athenischen Grnderberos stilisiert wurde. Nach Shapiro, Art und Cult 146, soU Theseus sogar schon in der Zeit Solons Athens "national bero" ge-wesen sein. Vgl. demgegenber Wclwei, Staatswerdung Atbens 162ft. (nachkleisthe-oisch); s. ferner Neils, Theseus 11 f .; K. Hitz!, Gnomon 61 (1989) 148.- Eine Zusam-menstellung der literarischen Tradition ber den sog. attischen Synoikismos bietet M. Moggi, I sinecismi interstatali greci, I, Pisa 1976, 44ff.

    6 V. Milojcic, Prkeramjscbes Neolithikum auf der Balkanhalbinsel, Germania 38 (1960) 330f. Zur Chronologie der Anfnge des Ackerbaus in Griechenland vgl. jetzt Breunig, 14(;- Chronologie 88-101.

    7 Anderson Immerwahr, Agora XIll 19. 8 D. R. Tbeocharis, Nea Makri. Eine groe neolithische Siedlung in der Nhe von

  • 4 Die Frhzeit

    gestellt wurde, ist dieses "Dorf" allerdings spter anzusetzen als jene Sied-lungspltze, die aus den genannten Obsidianfunden zu erschlieen sind.

    In Athen selbst wurden bisher keine eindeutig frhneolithischen Funde gemacht. Die Anfnge der Siedlungsgeschichte Athens sind nur schemen-haft erkennbar. Steinzeitliebe Baureste sind hier durch die sptere Besied-lung f8st vllig 1erstrt worden. 9 Lediglich am Sdhang der Akropolis konnten beim spteren Asklepieion nahe der Stoa des Eumenes Ruinen einer sptneolithischen Htte (Spuren einer Lehm.mauer) nachgewiesen werden. In dem hier gestrten Wohnschutt fanden sieb Scherben bemalter Keramik, die stilistisch teils mit der Diminikultur im spten Neolithikum, teils aber auch mit der Sesklokultur im mittleren Neolithikum in Verbindung zu bringen sind. Wahrscheinlieb befand sieb in dem Areal um die sptneoli-thische Htte schon eine ltere, noch mittelneolitbische Siedlung. Dem aus-gebenden Mittelneolithikum ist des weiteren mit einiger Sicherheit eine beim spteren Eleusinion gefundene Marmorstatuette zuzuweisen. 10 Das Idol - eine liegende Frau mit eigentmlicher Verschiebung der Krperpro-portionen- scheint von einem mittelneolithischen Wohnplatz zu stammen, der an einem der Hnge des Burgberges zu lokalisieren ist.

    1m spten vierten Jahrtausend (etwa 3200- 3000 v. Chr.) existierten in dem Gebiet um die Akropolis offenbar schon mehrere Kleinsiedlungen, die wohl jeweils aus einigen Htten bestanden. Das meiste Material aus dieser spt bzw. bereits endneolithischen Zeit stammt aus etwa 20 Brunnen-schchten in der Nhe der Klepsydra-Quelle am Nordwestfu der Akro-polis, so da in diesem Raum eine Siedlung zu vermuten ist. Auch beim Eleusinion knnte ein Wohnplatz gelegen haben. wie Oberflchenfunde sptneolithischer Scherben in diesem Gebiet vermuten lassen. Weiterer Siedlungsschutt aus dieser Zeit fand sich an der Nordseite der Akropolis in der Nhe des Heiligturns der Aphrodite und des Eros. Die gleichzeitige Besiedlung des Sdhanges der Akropolis ist aus der schon genannten spt neolithischen Htte zu erschlieen. Ferner enthielt dort eine in den Felsen getriebene Grube (Bothros) Keramikscherben und Beispiele roter Politur-musterware einer endneolithischen Facies, 11 die in Attika u. a. in Palaia Kok-kinia (Peiraieus) , Askitario (sdlich von Rapbina an der Ostkste), Tho-rikos, in der Kitsos-Hhle im Bergland des Laureion sowie jetzt auch in der neuentdeckten befestigten Hbensiedlung auf dem sog. Kiapba Thiti bei

    Marathon, AM 71 (1956) lff.; vgl. S.S. Weinberg, The Stone Age in lhe Aegean, CAH I 1 (31970) 576, 580-582, 587f.; E. Freund, in: Lauffer, Griechenland 466.

    9 Zum Folgenden vgl. die Zusammenstellung und Auswertung des Materials bei Anderson lmmerwahr, Agora Xlll 1 ff., und Pantelidou, Athcnai 242 ff.

    to Anderson Jmmerwahr, Agora Xlli 2, 48. u Vgl. H. Hauptmann, Forschungsbericht zur gischen Frhzeit, AA 1971, 348.

    Frhe Siedlungskontinuitt in Athen 5

    Vari sdstlich von Athen nachgewiesen ist und Attika mit Kephala auf Kea und mitAigina, aber auch mit Naxos (Zeusgrotte) und mit derwestlichen Pe-loponnes (Hagios Dimitrios) verbindet. 11 Oie Athener Siedl~ngeo waren zweifellos in das Kommunikationsnetz der sogenannten Attika-Kephala-Kultur eingebunden. Auf Kontakte mit Kephala deutet des weiteren ein Ringfugef au:. elli~ul Atvag.tab hin. 1~ Vermutlich befand sich in der Nhe dieses Grabes (stlich des Metroon) ebenfalls eine Siedlung.

    Die bevorzugten Siedlungspltze lagen damals zweifellos an den Sd-, West- und Nordhngen der Akropolis, die durch den Burgfelsen geschtzt waren und einen relativ hohen Grundwasserspiegel hatten. Das Acker- und Weideland in der Ebene konnte von hier aus leicht erreicht werden. Da die verschiedenen Wohnpltze dicht zusammenlagen, ist zu vermuten, da die Bewohner der einzelnen Komplexe von Htten und kleinen Husern bereits gemeinsam bestimmte Sicherheitsmanahmen trafen bzw. Ordnungsauf-gaben wahrnahmen, wie sie jetzt aus der endneolithischen Befestigung auf dem Kiapha Thiti zu erschlieen sind. 14 Allerdings wurde damals im Raum von Athen wohl kaum schon der Organisationsgrad der sptneolithischen Siedlung in Dimini erreicht, wo auf der dortigen "Akropolis" ein zentrales zweirumiges Langhaus errichtet und mit fnf oder sechs Schutzwllen gesi-chert worden war.

    Vermutlich lebten in den verschiedenen Athen er Wohnpltzen gleichran-gige und im wesentlichen auch gleichartig gegliederte Gruppen, die unter-einander durch Verwandtschaftsbeziehungen verbunden waren, so da hier in einem lokal begrenzten Raum wohl auch ein gewisses Zusammengehrig-keitsgefhl eotstand.l)tpologisch gesehen wird es sich im spt- und endneo-lithischen Athen um eine "egalitre Gesellschaft" gehandelt haben, deren konstituierende Elemente aus Familienverbnden der einzelneo Kleinsied-lungen bestanden. Zu beachten ist hierbei, da "egalitr" in diesem Zusam-menhang nur eine" virtuelle Gleichheit" bezeichnet und die einzelnen Grup-penangehrigen einen ihren Fhigkeiten und Leistungen entsprechenden Status besaen.15

    u Hinweise auf einige FundsteUen verdanke ich der Freundlichkeit H. Lohmanns, der mir die Benutzung seiner ungedruckten Bochumer Habilitationsschrift ber den attischen Demos Atene erlaubt hat. Zu Kiapha Thiti vgl. vorerst Hagel - Lauter, Kiapha Thiti 3 ff.

    u Renfrew, Emergence of Civilisation 70. 14 Nach Lohmann, Atene 198(., bestand auf dem Kiapha Thiti eine ,.Webrmauer

    aus gewaltigen Felsbrocken". ts Zum Begriff der egalitren Gesellschaft vgl. Stagl, Politikethnologie 182 (im

    Anschlu an Morton H. Fricds Einteilungsschema zur Klassifizierung primitiver "po-litischer" Organisationen nach ihren Fhrungssystemen). Nach der von K. Eder, Die Entstehung staatlich organisierter Gesellschaften. Ein Beitrag zu einer Theorie so-

  • 6 Die Frhzeit

    Generell waren seit dem schon im ?.Jahrtausend in GriecheoJand einset-zenden bergang zu einer relativ sehaften Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht in einem langen Proze neue Formen sozialer Integration ent-standen. Seitdem die ltere Stufe der Nahrungsbeschaffung durch "Sam-meln und Jagen" berwunden worden war und Lebensmittel produziert werden konnten, entwickelten sich im Zuge der Anlage dauerhafter oder re-lativ dauerhafter Wohnpltze mit festen Htten oder Husern fr die ein-zelnen Familien auch neue Vorstellungen von individuellem Eigentum, das der Besitzer geschtzt wissen wollte. Insgesamt bedingten solche Faktoren im Neolithikum die Entstehung rudimentrer Organisationsformen inner-halb lokaler Gemeinschaften mit verbiodliehen Regeln fr alle Mitglieder einer dauerhaft zusammenlebenden Gruppe, die nur geschlossen ihr Areal zu verteidigen und ihre Herdeo zu sichern vermochten. Zweifellos waren die einzelnen Wohnpltze die primren Kristallisationskerne des Gemeio-schaftslebens, dessen Organisationsmechanismen dementsprechend jeweils in lokalem Rahmen ihre sozialintegrativen Funktionen erfUllten. Selbstver-stndlich bestanden mit andern Primrgemeinschaften derselben Region und mit weiter entfernten Siedlungen mannigfache Kontakte. Die mate-rielle Hinterlassenschaft gibt Aufschlsse ber den Austausch von Gtern und handwerklichen Fertigkeiten, von religisen Vorstellungen und innova-tiven Ideen, und durch ein komplexes System von lnteraktionen entwik-kelten sich bestimmte Kulturkreise (im archologischen Sinne) mit spezifi-schen Ausdrucksformen etwa im Keramikrepertoire, in der Gestaltung von Idolen und in den Bestattungsbruchen. Ferner haben im gisbereich die verschiedenen Gebiete, die sich in unterschiedlicher Weise gegenseitig be-eiofluten, auch Impulse aus Anatolien und dem vorderasiatischen Bereich erhalten. Grere Aktionsgemeinschaften etwa in Form von Stammeskon-fderationen oder herrschaftlich organisierten Groverbnden konnten sich jedoch im spt- und endneolithischen Griechenland nicht entwickeln. In folge der im ganzen noch recht dnnen Besiedlung und der geringen Aus-dilierenzierung in der Sozialstruktur kleiner Gemeinschaften waren die Voraussetzungen fr die Formierung grerer Einheiten mit zentralen Lei-tungsinstanzen nicht gegeben. In diesen Rahmen fUgt sich das Siedlungsbild in Athen durchaus ein. Die gnstige Lage der Wohnpltze im Schutz der Akropolis hat zwar sicherlich mit dazu beigetragen, da hier im spten Neo-lithikum das grte Siedlungsareal in Attika entstand. Es handelt sich aber

    zialer Evolution, Frankfurt a. M. 1976, 16, verwendeten Terminologie lieen sich die damaligen Organisationsformen im Raum von Athen wohl auch "segmentr differen-zierten Gartenbaudrfern" zuweisen. Nach L. E. Talalay, AJA 91 (1987) 169, waren "the early agricultural commuoities in southem Greecc . . . not completely autono-mous, self-sufficient uoits".

    Frhe Siedlungskontinuitt in Athen 7

    _ wie gesagt - nicht um ein geschlossenes Wohngebiet, sondern um kleine Streusiedlungen. Athen war zweifellos nicht der "Vorort .. einer greren Region.

    Der bergang vom griechischen Sptneolithikum zur Frhen Bronzezeit (Frhhelladikum = FH) erfolgte um und nach 3000 v. Chr. vielfach gleitend. Fr Athen liegt allerdings kaum MatenaJ vor, das emdeuog der ersten Phase des Frhhelladikoms (FH I) zugewiesen werden kann. Vermutlich wurden hier neolithische Kulturelemente lnger als an anderen frUhhelladischen Fundpltzen tradiert. Die bereits im Neolithikum benutzten Sttten waren jedenfalls auch in der mittleren Phase des Frhhelladikums (FH ll) be-wohnt, so da in Athen eine im ganzen kontinuierliche Besiedlung anzu-nehmen ist. 16

    Die Masse des frUhhelladischen Athener Fundmaterials besteht aus Kera-mikscherben , die berwiegend aus Brunnenfllungen stammen. Hinzu kommen vereinzelte Grber sowie Werkzeuge und Tierknochen (Reste von Mahlzeiten). Das Siedlungsbild scheint sich gegenber dem spten Neoli-thikum kaum verndert zu haben, wenn auch einige neue Wohnpltze hinzu-gekommen sind. Um die Akropolis waren weiterhin im Sden vor allem das Gebiet beim Asklepieion und im Norden der Bezirk beim Heiligtum der Aphrodite und des Eros bewohnt, whrend ein frUhhelladischer Einzelfund (ein sog. Askos) beim sog. Beule-Tor wohl wieder einem Wohnplatz in der Nhe der Klepsydra zuzuordnen ist. Auch auf der Akropolis drfte im FrUh-helladikum eine Siedlung entstanden sein (und zwar vermutlich beim Erechtheion). Weitere frhhelladische Wohnsttten lagen offenbar beim Olympieion, auf der nordwestlichen Agora, im sog. ueren Kerameikos sowie in der Nhe der spteren Akademie Platons. Im Frhhelladikum ll hatten die Athener Siedlungen zweifellos engere Kontakte zur Argolis und zu Mittelgriechen land. Zykladische oder zykladisch beeinflute Funde sind demgegenber seltener.

    Schwer zu beurteilen ist die Situation in der folgenden Phase Frhhella-dikum (FH) lli (ca. 230012200 - 2000). ln Athen und Attika wurden nur geringe Mengen an Keramik gefunden, die mit der FH lli-Ware aus der Pe-loponnes und aus Mittelgriechenland - vergleichbar ist, 17 whrend die Kon-takte der Athener Siedlungen zu den Kykladen offenbar wieder strker wurden. Zudem sind gewisse Beziehungen zur nrdlichen gis und zum

    16 Hierzu und zur Fundverteilung im frUhhelladlschen Athen Paotelidou, Athenai 245-247.

    17 J. B. Rutter, Ceramic Change in thc Aegean Early Bronze Age. The Kastri Group, Lefkandi I, and Lerna IV: A Theory Concerning the Origin ofEarly HeUadic Ili Ceramics, l nstit. ofArchaeology, Univ. ofCalifornia, Occasional PaperS, Los An-geles 1979, 16f.

  • 8 Die Frhzeit

    Raum von Troja zu vermuten. 1'lnsgesamt gesehen ist die Zahl der Fund-stellen, die eindeutig dem FH lll zugewiesen werden knnen, in Attika recht gering, doch ist es problematisch, hieraus auf eine Entsiedelung zu schlieen. Vermutlich haben sich in Attika Kulturelemente der vorausge-henden Periode FH lnger behauptet. 19 Hierdurch ergeben sich freilich weitere Schwierigkeiten in der Datierung des Endes der frilhhelladischen Siedlungen auf dem Vorgebirge Hagios Kosmas sdlich von Athen und bei Raphina an der attischen Ostkste. Sind diese Ereignisse mit anderen Sied-lungskatastrophen in Griechenland im bergang zum Mittelhelladikum bzw. schon am Ende der Phase FH in Verbindung zu bringen und eventuell auf eine Landnahme neuer Bevlkerungselemente zurckzufhren, die auch in Athen ein lteres Substrat berlagerten, dessen Toponyme aber weit-gehend bernahmen? Zahlreiche Ortsbezeichnungen - darunter auch der Name "Atbenai"-deuten auf einen vorgriechischen Ursprung bin. Die hier skizzierten Probleme sind daher im greren Rahmen der umstrittenen Frage der Ethnogenese der Griechen zu sehen.

    3. Das Einwanderungsproblem

    Grundlage aller Erklrungsmodelle zur Entstehung des Griechentums ist die Zuordnung des Griechischen zu den indogermanischen bzw. indoeuro-pischen Sprachen, die wegen ihrer bereinstimmungen in den Flexionssy-stemen, in der Wortbildung sowie im Wortschatz und im Lautbestand und in der Syntax eine Art Sprachfamilie bilden. Die zahlreichen Bemhungen um die Lokalisierung einer sogenannten Urheimat derTrger einer vermuteten indoeuropischen "Grundsprache" haben indes nicht zu allgemein aner-kannten Ergebnissen gefhrt. 20 Auch die Ausbreitung der indoeuropi-schen Einzelsprachen bzw. ihrer Vorformen bleibt daher ein ungelstes Problem.

    Aus sprachhistorischen Grnden ist eine Einwanderung indoeuropischer Bevlkerungselemente nach Griechenland anzunehmen. Als Besttigung

    18 Pantelidou, Athenai 247. 19 J . A. MacGillivray, On the Relative Chronology of Early Cycladic m A and

    Early Helladic ill, AJA 87 (1983) 82. Zur Beurteilung der Keramiksequenzen im bergang von FH li zu FH Ill an einer Reihe von Fundpltzen (Lefkandi aufEuboia, Hagia lrini auf Kea, Theben, 1iryns, Kolonna auf Aigina, Lema) vgl. den For-schungsbericht von Pullen, Social Organization 70ff.

    20 Vgl. den infonnativen berblick von J. P. Mallory, A History of the lndo-Euro-pean Problem, JIES 1 (1973) 21-65. Zahlreiche neuere Untersuchungen und L-sungsvorschlge in derselben Zeitschrift 8 (1980) und 9 (1981). Vgl. ferner L. Kilian, Zum Ursprung der T ndogennanen, Bonn 1983, 154 ff.

    Das Einwanderungsproblem 9

    hierfr gelten vor aUem griechische Wrter, die auf -!>M>!> und -nt(h)os enden und nach der vorherrschenden Auffassung auf ein vorhcllcnisches, vonindo-europischen Zuwanderern bernommenes sprachliches Substrat in zahlrei-chen Ortsnamen und Bezeichnungen fr mediterrane Pflanzen und Tiere zurckgehen.l1 ltere Einwanderungstheorien basierten auf der "klassi-schen t:.inteilung des Griechischen in die drei Hauptdialekte des Ionisch-Attischen, des Aiolischen und des Dorischen. ffiernach wurde eine Zuwan-derung der Ionier um 2000, der Aioler (bzw. Achaier) vor oder um 1600 und der Dorier um und nach UOO v. Chr. postuliert. Demgegenber haben neuere sprachwissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, da die hi.stori-schen griechischen Dialekte ihre charakteristische Prgung auf helleni-schem Boden gewonnen haben. 22 Dieser Proze lt sich freilich bis ins zweite Jahrtausend zurckverfolgen. Die Entzifferung der krctisch-mykeni-schen Linear B-Schrift durch M . Ventris hat gezeigt, da in den Zentren der mykenischcn Welt ein altertmliches Griechisch gesprochen wurde. Das Schriftsystem, das auf Kreta entstanden ist, dort eine ltere Schrift (Linear A) in der nichtgriechischen Sprache der sog. Minoer abgelst hat und von mykcnischen Griechen bernommen wurde, diente vor allem zur Aufzeich-nung von Verwaltungsnotizen in einer Art Standardsprache (Koine), die be-

    21 Als Ursprungsland dieser Wrter wird allgemein Kleinasien angenommen. Die Kategorie der griechischen Bezeichnungen mit dem -ss-Suffix ist freilich nicht einheit-lieb. Sie knnen daher nicht in totomit anatoliscben Namen, die auf -(s)sa enden. ver-glichen werden. Einschrnkungen gelten auch in bezug auf den Vergleich anatoli-scber -nd-Namen und griechischer Bezeichnungen mit Endungen auf -nth-. Dazu D. A. Hester, Pre-Greek Place Names in Greece and Asia Minor, RHA 15 {1957) 107-119; ders., "Pelasgian"- A New lndo-European Language?, Lingua 13 {1964) 335-384; A. Morpurgo Davies, The Linguistic Evidence: ls there any?, in: Cadogan, Early Bronze Age t19f. Generell: J. T. Hooker, Mycenacan Greecc, London 1976, 14f.

    22 Vgl. den forschungsgeschichtlichen berblick von R . Schmin, Einfhrung in die griechischen Dialekte, Darmstadt 1977, 124 ff. Grundlegend fr das neue Bild der Forschung wurden die Aufstze von W. Porzig, Sprachgeographische Unter-suchungen zu den altgriechischen Dialekten, IF61 (1954) 147-169. und E. Riscb, Die Gliederung der griechiM:hen Dialekte in neuer Sicht, MH 12 (1955) 61-76. lnfonnativ

    .~:ur Forschungsdiskussion: J.Chadwick. The Prehistory of the Greek Language, CAH II 2 (31975) 805-819; dcrs., Der Beitrag der Sprachwissenschaft zur Rekon-struktion der griechischen Frhgeschichte, AAWW 113, Nr. 7 (l976) 18>-198; ders., I Dori e la creazione dei dialetti greci, in: Musti, Origini >-12; E. Riscb, La posizione del dialetto dorico, ebd. 1>-35; ders., Die griechischen Dialekte im 2. vorchristlichen Jahrtausend, SMEA 20 (1979) 91-111; ders., Die Ausbildung des Griechischen im 2. Jahrtausend v. Chr. Studien zur Ethnogenese, Abhandl. d. Rheinisch-Westfalischen Akad. d. Wiss., Bd. 72, Opladen 1985, 165-187; A.Banonc!k, On the Prehistory of A ncient Greek, SMEA 26 (1987) 7-20.

  • 10 Die Frhzeit

    reits innergriechische phonologische Vernderungen erkennen lt. Hinzu kommen gewisse Schreibvarianten , die auf lokale bzw. regionale Mundarten zurckzufuhren sind, so da gleichsam unterhalb der Koine, die keine di-rekte Fortsetzung im spteren historischen Griechenrum gefunden hat, offensichtlich bereits dialektale Unterschiede bestanden. 23

    Da ltngwstisch die Anfnge der Entwicklung des Griechil>chc::unicht zu er-mitteln sind,24 wurden vielfach kulturelle Wandlungen und vor allem gr-ere Zerstrungshorizonte mit einem Zustrom neuer (indoeuropischer) Bevlkerungselemente nach Griechenland in Verbindung gebracht. Das Problem besteht allerdings darin, da die Archologie und die Linguistik nicht unabhngig voneinander beweiskrftige Argumente in der Datie-rungsfrage zu tiefem vermgen. Eine gewisse bereinstimmung ergab sieb allerdings durch die Erkenntnis, da der bergang vom Mittel- zum Spt-helladikum sich um 1600 v. Chr. im ganzen gleitend und ohne grere Sied-lungskatastrophcn vollzog, so da in der heutigen Forschung eine massive Einwanderung in jener Zeit berwiegend bestritten wird.25 Als grerer

    Vgl. 0. Panagl , in: Hiller- Panagl, FrhgriechischeTexte 93-100. 24 Dazu ausfhrlieb A. Morpurgo Davies, a. a. 0. (oben Anm. 21) 93ff. Einenge-

    rafften berblick ber ltere Theorien zu einem vorgriechischen Substrat gibt E. J. Furnee, Die wichtigsten konsonantischen Erscheinungen des Vorgriechischen, Den Haag- Paris 1972, 31ff.

    lS Die Theorie einer griechischen Einwanderung um 1600 wird freilieb nach wie vorvon einigen Forschern vertreten. VgJ. etwa R.A. van Royen-8. H. lsaac,TheAr-rival of the Greeks. The Evidence of the Settlements, Amsterdam 1979, die Diskonti-nut um 1600 annehmen, und zuletzt Drews, CQming of thc Greeks 158 ff. Vgl. aber demgegenber jetzt G. Graziadio, The Chronology of lhe Gravcs of Circlc at My-cenae: A New Hypothesis, AJA 92 (1988) 343-372, dessen Untersuchung besttigt, da sich das Spthelladikum aus der mittclhelladischen Kultur entwickelt bat. Dazu etwa auch S. Dietz, Kontinuitt und Kulturwende in der Argolis von 2000-700v. Chr., in: li .J. Weibaar-S. Dietz- C. Podzuweit (Hrsg.), Zur gischen Frhzeit, Kleine Schriften aus dem Vorgeschichtlichen Seminar Marburg 17 (1984) 38ft.; O.Dickin-son, "The Origins of Mycenaean Civilisation" Revisired, in: Laffineur, Transition 131-136; St. Hiller, On the Origins of Shaft Graves, ebd. 137- 144; J . Crouwel, Pieto-nal Pottery from Mycenae at the TIIDe of the Shaft Graves. ebd. 155-165; A. Xenaki-Sakellariou, Problemes chronologiques des tombes du cercle A dc Mycenes, ebd. ln-182; Tb.J. Papadopoulos, The Greek Mainland and its Aegcan Neigbbours during the Transitional Period {rom MBA to LA: The Evidence of Mctalwork. ebd. 183-188; R. Laffineur, Grave Circlc A at Mycenae: Further Reflections on its History, in: R.Hgg- G. C. Nordquist (Hrsg.), Celebrations of Death and Oivinity in the Bronze Age Argolis. Procccding!. of tbe Sixth lntern. Symposium at the Swedish I nsti-lute at Athens, 11-13 June, 1988, Stockholm 1990,201-206. - Eine radikale Sptdatie-rung der griechischen Einwanderung versucht P. W. Haider, Griechenland-Nord-afrika. Ihre Beziehungen zwischen 1500 und 600 v. Cbr., Darmstadtl988, 226, der die

    Das Einwanderungsproblem ll

    einschnitt schien demgegenber der Beginn des MittelheUadikums (MH) um 2000 v. Chr. in Betracht .w kommen. ltere Datierungen von Zerst-rungshorizonten in diese Zeit fhrten LU dem Schlu, da damals grere Wellen sogenannter Proto-Griechcn nach Griechenland eingewandert seien. Diese Vorstellung eines schlagartigen Wandels, den man in Bestat-tungssitten, Haul>foJ m~n und Keramikfabrikaten der sog. grauen min)i-schen Ware zu erkennen glaubte, wurde zunchst durch Grabungen in Lema (Argotis) revidiert. J. L. Caskey konnte zeigen, da dort eine befestigte Siedlung ("Lema Jn") mit einem greren "Herrenhaus" (House of the TLles) gegen Ende der Phase Frhhelladikum II zerstrt wurde und die neue, unbefestigte Siedlung "Lerna IV" im Frhhelladikum 111 ein vllig anderes Bild bietet, da nunmehr Apsidenhuser errichtet wurden , die bautechnisch einen gewissen Rckschritt darstellen, whrend andererseits in der Kera-mikherstellung die Tpferscheibe verwendet wurde.26 Siegelabdrcke, die in ,.Lema lll" beraus zahlreich waren, finden sich in "Lerna IV" nicht mehr. Als neue Elemente begegnen hier demgegenber kleine Tonanker und Steinx.te. Zudem wird die Leitform der Phase FH II - die gefunite asymmetrische Schnabellcanne - von dickwandigen Gefen abgelst, die im ganzen statischer wirken. Ferner wurde in "Lerna IV" auch schon graue minyische Keramik verwendet, die in der lteren Forschung als typisch mit-telbelladisch galt. Caskey fhrte den "Kulturwechsel" in Lerna auf eine In-vasion von Zuwanderern zurck und datierte aufgrund des dortigen Be-fundes auch Zerstrungen in liryns, Asine, Zygouries und Hagios Kosmas in die gleiche Zeit (Ende FH ll).l'

    Der Gesamtbefund wurde indes unterschiedlich bewertet. Einerseits suchte man die Katastrophen gegen Ende der Periode FH II mit kleineren Vorsten neuer Bevllcerungselemente von der See her nach Ostattika und nach der Argolis zu erklren und hielt daran fest , da erst in einer fortge-schrittenen Phase des FH 111 eine Einwanderung groen Stils von Makedo-nieo aus ber Thessalien nach Mittelgriechenland einen tiefen Einschnitt herbeigefhrt und das eigentliche Mittelhelladikum eingeleitet habe.28 An-

    Trger der submykenischen Kultur des spten 12. und des 11. Jahrhunderts mit den .,historisch-griechischen Stmmen" identifizieren mchte.

    26 J. L. Caskey. The Early Hclladic Period in the Argolid, Hesperia 29 {1960) 285-303.

    27 Die Katastrophe in Kirrha (Phokis) wurde von Caskey, AJA66 (1962) 211 eben-falls in diese Zeit datiert. Vgl. dazu H. und M. van Effenterre, Comment croire a l'll~Uadique Ancien TTI?, BCH 99 (1975) 35 ff.; vao Effcnterre, Cit~ grecque nt.

    28 E. Hansehrnano - V. Milojtit, Die deutschen Ausgrabungen auf der Argissa-Magula in Thessalien, ill I. Die Frhe und beginnende Mittlere Bronzezeit, Bonn 1976,229: Schachermeyr, gische Frhzeit I 191, 241ff. Vgl. auch E.J. Holmberg,

  • u Die Frhzeit

    dererseits wurde aber auch eine Vordatierung der vermuteten Einwande-rung der Griechen bzw. ihrer Vorfahren um 200 bis 300 Jahre an das Ende der Periode FH 11 vorgenommen. Groe Bedeutung wurde zeitweise der Ausbreitung der Ockergrab- oder Kurgaukulturen nrdlich und nordstlich des Schwarzen Meeres beigemessen. Nach dieser zuerst von Marija Gim-butas entwickelten Tbeonc sollen nomadische oder halbnomadisch~ uger dieser Kulturen den Kern der sog. Proto-Indoeuroper gebildet und sieb in mehreren groen Wellen ausgebreitet haben. 29 So wurde vermutet, da Kur-gauvlker ber Westanatolien nach Griechenland vorstieen oder von Ma-kedonien aus nach Sden expandierten, indem sie zunchst um 2300 zur See in die Argolis gelangten und dann am Ende der Periode FH lli (wiederum von Norden aus) Albanien und Epirus sowie Thessalicn. Boioticn und das gesamte sdliche Griechenland "erobcrten".30 Als Beweise fr Einwande-rungen aus dem Kurgaubereich galten mittelhelladiscbe Hgelgrber, die je-doch nur die uere Form mit den nordpontischen Kurganen gemeinsam haben , whrend die Bestattungssitten und die aus den Grabfunden zu er-schlieenden Elemente der materiellen Kultur verschieden sind. 31 Letztlieb basiert die "Kurgantheoric" auf der Annahme, da sdrussische Steppenge-biete die "Urheimat" der Proto-Indoeuroper gewesen seien. Die Steppen sind aber offenbar erst von Ackerbaukulturen in Rumnien und in der Ukraine aus besiedelt worden.32 Ein Reservoir nomadisierender Hirten-vlker bildete schwerlich den Kern der Proto-lndoeuroper.

    Weitere Invasionstheorien rekonstruieren aus der Verbreitung be-stimmter Kulturgter des Frhbelladikums Storichtungen und Chrono-logie regelrechter Stammesbewegungen im griechisch-gischen Raum. So

    Some Notes on the Immigration of Lndo-Europeans into Grecce during the Early Bronze Age. OpAth 12 (1978) 1-9.

    z9 Vgl. vor allem M. Gimbutas, The Beginning of the Bronze Age in Europe and the Indo-Europcans: 3500-2500 B. C., JJES 1 (1973) 163-214. Frau Gimbutas, die ihre Theorien mehrfach modifiziert hat, uert sich selbst sehr vorsichtig ber die Mglichkeit, da "Kurgan-Leute" an den Zerstrungen in Griechenland Ende FH I I beteiligt waren. VgJ. dies., The Destrnction of Acgcan aotl East Mediterranean Urban Civilization around 2300 B.C., in: Crossland- Birchall, Bronze Age Migra-tions 129-139; dies., The Three Waves of the Kurgan Peoplc into Old Europc, ASAG 43 (1979) 113-117; dies .. Thc Kurgan Wave2(c. 3400-3200B.C.) into Europeand the FollowingTransfonnation of Culture. JIES 8 (1980) 273-315.

    30 Holmberg, OpAth U (1978) 1-9 (oben Anm. 28). 31 Dazu zusammenfa~nd A. Husler, Die lndocuropisicrung Griechenlands

    nach Aussage der Grab- und Bestattungssitten, Slov Arch 29,1 (1981) 59-65. Generell zur Datierung und Anlage minelhelladischer Tumuli: S. Mller, BCH 113 (1989) 1-42.

    n Renfrew, Archaeology and Language 95 ff.

    Das Emwanderun~problem l3

    fhrt St. Hiller die nach seiner Auffassung von Norden her einwirkenden Elemente wie Apsiden haus, Schaftlochaxt und Tonanker auf den Einbruch eines indoeuropischen Volkes nach Makedonien und Thessalicn gegen Ende des Neolithikums zurck. Er vermutet des weiteren, da Teile dieser Bevlkerung um 2500 etwa gleichzeitig mit anatolischen Zuwanderern, deut:n er bestimmte Keramikformen wie einhenkelige Knnchen mit Trich-terrand und kantharosartige zweihenkelige Tassen sowie das hochgezogene Depas zuordnet, in Boiotien erschienen. Um 2300 seien dann die Trger einer im Frhhelladikum II in Boiotien durch Verschmelzung verschiedener Elemente entstandenen Kultur in die Pelopoones und nach Attika eingewan-dert, wo sie die Vorherrschaft einer nunmehr schon griechischen Bevlke-rung begrndet htten.33 Andererseits wird aber auch eine rein anatolische Herkunft der genannten Kulturelemente angenommen und hieraus gefol-gert, da von Anatolien aus wesentlich strkere Einwanderungswellen als von Norden her Griechenland erreichten.34

    33 St. Hiller, Zur Frage der griechischen Einwanderung, Mitteilungen der ster-reichischen Arbeitsgemeinschaft fr Ur- und FrUhgeschichtc 32 (1982) 41 - 48 (er-schienen 19H4): dcrs., Die Ethnogenese der Griechen aus der Sicht der Vor- und Frh-geschichte, in: Bemhard u. Kandler-Patsson, Ethnogenese 21-37. Als eigentliche .,Ahnen der spteren Griechen" vermutet Hillcr Bevlkerungselemente aus dem ma-kedonischen Raum. W. F. Wyatt, The Prehistory of the Greek Dialects. TAPA 101 (1970) 628ff., nimmt an. da die proto-griechischc Sprache in Teilen Thessaliens ent-standen sei. DerThese Wyatts folgt weitgehend Drcws, Coming of thc Grccks 193f.

    34 S. Hood, Nonhem Penetration of Greece at the End of the Early I Ielladic Pe-riod and Contemporary Balkan Chronology. in: Crossland- Birchall, Bronze Age Mi-grations 59-71; der.;., Evidence for Invasion in the Acgean Area at the End of the Early Bronze Age, in: Cadogan, Early Bronze Age 31-68, der vor allem die Apsiden-husermit anatolischcn Elementen verbindet , allerdings annimmt, da sich die grie-chische Sprache erst gegen Ende der mykenischen Zeit gebildet habe.- R. WUnsche, Studien zur ginetischen Keramik der frhen und mittleren Bronzezeit, Mnchen-Berlin 1977, 93, fhrt die Lerna TV-Eiemenre auf eine Einwanderung "der" Griechen ausAnatolien (ber die Kykladcn) Ende FHilzurck. T.V. Gamkrelidzc- V. V.1va-nov, The Ancient Near East and thc Indo-European Problem, Soviet Studics in Hi-story 22 (1983) 7-22; The Migration ofTribes Speak.ing thc Indo-European Dialects from their Original Homeland in the Ncar East to their Historical Habitations in Eurasia, ebd. 22 (1983) 53-95 = JIES 13 (1985) 49-91 (russische Erstpublikationen dieser Arbeiten: VDI1980, Nr. 3, 3-27, und 1981, Nr. 2, 11-33), suchen mit sprachwis-senschaftlichen Methoden eine Herkunft der Griechen aus dem Raum zwischen Kleinasien und dem nrdlichen Mesopotamien nachzuweisen. Vgl. die Kritik von I.M. D 'iakonov, VDI 1982, Nr. 3, 3-30, und 1982, Nr. 4, ll-25;JIES 13(1985)92-174, sowie von M. Gimbutas, HES 13 (1985) 185-202. Dazu wiederum die Antwort von T.V. Gamkrelidze- V. V. lvanov, J 1ES 13 (1985) 175-184. -Zur Frage der Indoeuro-per in Kleinasien vgl. auch J . Mcllaart, Anatolia and the lndo-Europeans, HES 9 (1981) 135-149.

  • 14 Oie Frhzeit

    Durch anthropologische Untersuchungen konnten grere Invasionen ge-schlossener Populationen aus Gebieten auerhalb des gisraumes in der Bronzezeit nicht besttigt werden. Die bisherigen Ergebnisse sind zwar auf-grunddes l>prlichen Materials noch unbefriedigend , sprechen aber e her fr "eine gewisse morphologische Homogenitt der Individuen der drei kultu-rellen Stufen (Frh-, Mittel- und Spathelladisch). 35 Im Hinblick auf die so-zialen Strukturen der Frhen Bronzezeit, in der sich das Gemeinschafts-leben nach wie vor im wesentlichen auf der Basis von Siedlungseinheiten vollzog, sind Wanderungsverbnde in der Grenordnung von "Vlkern". die in der Lage gewesen wren, weite Teile Griechenlands zu besiedeln, wenig wahrscheinlich. Im brigen ist es keineswegs sicher, da am Ende der Periode FH II Orte wie Asine in der Argolis und Zygouries gleichzeitig mit "Lerna J I I" zerstrt wurden. 36 Jedenfalls wurde damals ebensowenig wie im bergang vom Frh- zum Mittelhelladikum ganz Griechenland von Kata-

    35 N. I. Xirotiris, The lndo-Europeans in Greece: An Anthropological Approach to the Population of Bronze Age Greece, JTES 8 (1980) 209; vgl. dens., Anthropologi-sche und archologische Probleme der griechischen Bronzezeit, ASAG 43 ( 1979) 69-78; Anthropologie des neolithikums und der Frhbronzezeit in Mittel- und SUdeu-ropa, SlovArch 29,1 (1981) 235-241; Die Ethnogenese der Griechen aiL'> der Sicht der Anthropologie. in: Bcmhard u. Kandler-Plsson, Ethnogenese 39-53. Xirotiris be-tont in diesen Arbeiten, da anthropologisch keine Infiltration von Kurgangruppen nach Griechenland nachweisbar ist und gewisse Abweichungen der frhbronzezeitli-eben Population des griechischen Festlandes von der Bevlkerung der Mittel- und Sptbronze7.eit durch die schmale Materialbasis bedingt sein kann. Eine "Bevlke-rungsvermiscbung" in Lema vermutet trotz des fragmentarischen Skelettmaterials J. L. Angel. The People of Lerna. Analysis of a Prebistoric Aegean Population, Princcton 1971, 104-109.

    36 Vgl. J. A. MacOillivray, AJA 87 (1983) 82 (oben Anm. 19) mit Hinweis auf die Problematik einer von der Leena-Stratigraphie abhngigen Datierung. Die fr FH JI typische Ausgutasse (sauceboat) wurde in den frhen FH 111-Stufen in der Argolis und der Korinthia sowie in Boiotien und Attika offensichtlich weiterverwendet. so da die Zerstrungen in Asinc in diese Phase (nicht aber ans Ende ''on FH JI) datiert werden knnen (vgl. 0. Frdin- A. W. Persson, Asine, Stockholm 1938, 212-219). Zur Weiterverwendung von "Saucieren" im FH m inTiryns vgl. H.-J. Weisshaar, AA 1981, 222; 237-251, der betont (222), da mglicherweise ein grerer zeitlicher Ab-stand zwischen der Zerstrung des "Hauses der Ziegel" in Lema und der Neubesied-lung des Ortes bestand. Da der von Olskey aufgrundder Keramik- und Hausformen erschlossene scharfe Einschnitt in l..ema "nicht in gleicher Weise fr alle Siedlungs-pltze in dieser Zeit gelten mu", betonen auch Walter- Feiten, Alt-gina m I, 107. die ebd. 105 eine eher lngerdauernde bergangsperiode annehmen, "die nun auch erlaubt, an den Grabungsberichten etwa aus Zygouries, Korakou und Asine festzu-halten". Vgl. ebd. auch zur Weiterverwendung der Ausguta

  • 16 Die Frhzeit

    teren , da die von H. Krahe entwickelte Theorie einer alteuropischen Hydronornie im 2. Jahrtausend v. Chr. eine Sonderentwicklung "westlicher" indoeuropischer Sprachen in einem greren dialektgeographischen Kon-tinuum wahrscheinlich gemacht hat. 4o Es handelt sich um Vorlufer der spteren Sprachen der Italiker, Kelten und Germanen. Als ltere Kontakt-zone dteser westlichen Gruppen kommt der mittlere Donauraum in Be-tracht. 41 In relativer Nachbarschaft zu diesem Gebiet scheinen sich auch "stliche" indoeuropische Sprachgruppen herausgebildet zu haben, zu denen das Griechische gewisse Beziehungen hat. 4 z Trger frher Vorste aus dem ungarischen Raum in Richtung Sden waren im Neolithikum offen-bar rue ,,Dimini-Leute". 43 Weitere Scharen mgen durch jeweils rumlich begrenzte Verlegung ihrer Wohnsitze allmhlich in den Bannkreis der gi-schen Kulturen gelangt und gleichsam in sie hineingewachsen sein, so da solche Bewegungen nicht mehr im einzelnen aus der Verbreitung charakteri-stischer Kulturelemente zu rekonstruieren sind. Dieser Proze, der nicht mit Migrationen von ethnisch und linguistisch einheitlichen Groverbnden zu verwechseln ist, wurde eher von kleineren Gruppen getragen, die z. T. unter-schiedliche Idiome gesprochen haben mgen, 44 unabhngig voneinander neue Acker- und Weideflchen in der nheren oder weiteren Umgebung suchten und sieb dabei vielfach mit der dort bereits ansssigen Bevlkerung arrangierten, wie immer man sieb diese Vorgange vorzustellen hat. Allem Anschein nach handelte es sich jeweils um kleinrumige Assimilations- und Integrationsprozesse, um eine Infiltration ber lngere Zeitrume, die in Griechenland zu einer allmhlichen Verschmelzung verschiedener Bevlke-

    40 H. Krahe, Indogermanisch und Alteuropisch, Saeculum 8 (1957) 1-16. 41 Vgl. R . A. Crossland, lndo-Europcan Origins: The Linguistic Evidence, P & P

    12 {1957) 35ff. ; s. auch dens., Linguistics and Archaeology in Aegean Prehistory, in: Crossland- Birchall. Bronze Age Migrations 11, der allerdings die EntStehung eines indoeuropischen Sprachkontinuums m. E. zu spt ansetzt.

    42 Vgl. W. Porzig, Die Gliederung des indogermanischen Sprachgebiets, Heidel-be rg 1954, 152ff.; W. Euler, Indoiranischgriecbjsche Gemeinsamkeiten der Nominal-bildung und deren indogermanische Grundlagen, lnnsbruck 1979, 18ff.; W.P. Schmid, Griechenland im Blickfeld des Spracbhistorikers, EEThess 21 {1983) 397-412; s. auch A. Nehring, Zur " Realitt" des Urindogermanischen, Lingua 10 {1961) 363.

    43 Vgl. F. Schachermeyr, RE XXll 2 {1954) 1372 ff. s. v. Prhistorische Kulturen Griechenlands.

    " R. Hiersche, Grundzge der griechischen Sprachgeschichte bis zur klassischen Zeit, Wiesbaden 1970, 26, verwendet den problematischen Begriff de r "urgriechi-scheo Spracheinheit" fr sprachliche Sonderentwicklungen, "die das Griech.ische von den anderen indogermanischen Einzelsprachen abheben, d . b. nach auen hin". Die eigentliche Entwicklung des Griechischen begann aber wohl auf griechischem Boden.

    Faktoren der sozio-kulturellen Evolution 17

    Iernente gefhrt und hierdurch die sprachliebe Entwicklung cntschei-rungse dend geprgt bat. . . . .

    S. herlieh kam es auch immer wteder zu Gewaltakttonen. Em rclauv be-tc . . d E" h -"S deutender Ort wie "Le~a Ill"' hatte aber n~r et mge h~n ert .. ~nwo ne1 d konnte von einer mcbt aUzu groen Knegerschar uberwalttgt werden.

    Ahnlieh mgen Jo~al begrenzte Unruhen das Ende der Siedlun~ am Vorge-birge Hagios Kosma'> sdlich von Athen h~rbeigefbrt haben~ ~m a~rupter ethnischer Wechsel bzw. rue Landnahme emes neuen "Volkes m Antka und Athen lt sich hieraus kaum ableiten. Die Frhphase des Mittelhelladi-kums ist zwar in Athen schwer greifbar, doch stammt hier insgesamt gesehen das minelbellarusche Fundmaterial (Hausreste, Brunnen, Grber, Gruben, Keramik) im wesentlichen wieder von den bereits frher bewohnten Pltzen, so da wohl auch vom Frh- zum Mittclhelladikum Siedlungskonti-nuitt bestand. Dies schliet andererseits eine ber lngere Zeit sich erstrek-kende Zuwanderung und eine allmhliebe berlagerung der lteren Bevl-kerung durch neue Ansiedler keineswegs aus. 46

    4. Faktoren der sozio-kulturellen Evolution im 3. Jahrtausend

    Die Streuung der Funde von den Athener Wohnpltzen des 3.Jahrtau-sends zeigt, da hier- wie bereits im Neolithikum- ein relativ groes Sied-lungsareallag. Insgesamt bleibt das Material freilich sprlich, so da bestim-mende Faktoren der Entwicklung Athens im Frhhelladikum nur vor dem Hintergrund eines Gesamtbildes der sozio-kulturellen Verhltnisse und Pro-zesse im frhbronzezeitlichen Griechenland verstndlich werden knnen.

    Von groer Bedeutung fr die allgemeine Entwicklung war die Struktur der Landwirtschaft, der wichtigsten konomischen Basis zahlreicher Klein-gesellschaften. Offensichtlich dominierte weiterhin (wie im Neolithikum) die intensive Bearbeitung kleinerer Parzellen durch e ine Art Gartenbau. Auf dieser Grundlage war groer Grundbesitz schwerlich das Ziel kompeti-tiven Strebens nach hochbewerteten Statuspositionen. Dies hatte zweifellos e rhebliche Auswirkungen auf die Selektionsmechanismen, rue ber einen Erfolg in der Konk-urrenz um solche Positionen entschieden.

    45 Vgl. J. L. Caskey- E. T. Blackbum, Lerna in tbcArgolid. AShort Guide,Athen 1977,5.

    46 Eine "gemischte" frbhelladische Bevlkerung hat J. L . Angel, Skeletal Mate-rial from Attica, Hesperia 14 (1945) 320f., aus dem vorhandenen Skelettmate rial zu erschlieen versucht. Es fragt sich indes, ob die wenigen Funde reprsentativ sind.-Da in Boiotien vor 2000 v. Chr. '"Greek speakers" neben "no n-Greeks" lebten, ver-mutet J . M. fussey, Topography and Population of Ancicnt Bo iotia, I , Chicago 1988, 419.

  • 18 Die Frhzeit

    Als gesichert kann zunchst gelten, da in der Frhen Bronzezeit im wesentlichen noch dieselben Getreide- und Gemsesorten (vor allem Hl-senfrchte) wie im spten Neolithikum landwirtschaftlich genutzt wurden. Umstritten ist demgegenber die Frage, welche Bedeutung Wein und l in der Agrikultur gewonnen haben. Kaum zu verifizieren ist die These C. Renfrews, da bereits im 3. Jahrtausend die klassische mediterrane Trias von Getreide, l und Wein zur Grundlage einer landwirtschaftlieben Polykultur wurde , durch Domestizierung der Weinrebe und des Oliven-baums neue, fr den Anbau von Getreide und Hlsenfrchten ungeeig-nete Flchen en;~hlossen werden konnten und eine bierdurch ermglichte Produktion von Uberscbssen den Austausch von Nahrungsmitteln gegen Gerte, Waffen und .!'Lmrusgter" erbeblich intensivierte. 47 Die Anfnge der Veredelung des Olbaums sind noch ungeklrt, und die wenigen Funde von Olivenkernen e rlauben kaum den Schlu, da bereits im Frhhella-dikum grere Olivenkulturen entstanden . Zudem konnte H. Lohmann neuerdings zeigen, da entgegen der Annahme Renircws die Hnge unter 700 m noch kaum fr den Wein- und lanbau terrassiert wurden. 48 Des weiteren haben die Survey-Untersuchungen Lohmanns in Attika ergeben , da hier seit dem Endneolithikum neben den schon frher besiedelten gr-eren Fruchtebenen auch kleinere Tler wie der Raum von Vari oder die Ebene von Anavyssos genutzt wurden. Insofern ist eine gewisse Auswei-tung der Siedlungsrume nicht zu bezweifeln. Generell haben die fr die Landwirtschaft geeigneten Gebiete in Zentral- und Sdgriechenland und auf Kreta49 jedenfalls allmhlich e inen Vorsprung gegenber dem Norden (Makedonien, Thessalien) gewonnen, wo die Bevlkerung offensichtlich langsamer zunahm. Allerdings ist im sdlichen Griechenland kein sprung-hafter Bevlkerungsanstieg festzustellen. E ine Reihe von frhhelladi-schen Siedlungen im gisraum war im Durchschnitt mit einer Flche von einem Hektar nur etwa doppelt so gro wie im Neolithikum, whrend

    47 Renfrew, Emergence of Civilisatioo 265ff. Dazu die kritische Untersuchung von J.M. Hansen, Agriculture in the Prehistoric Aegean: Data versus Speculation, AJA 92 (1988) 39-52. Siehe auch G. Jones, Agriculttlral Practice in Greek Prehistory,

    ~SA 82 {1987) 115-123. Zur Diskussion ber das Problem der Nutzung des lbaums 10 der frhen Bronzezeit vgl. ferner J.F. Cherry, Thc Emergence of the State in the PrehistoricAegean, PCPhS 210, N. S. 30 (1984) 24f.; C.N. Runnels-J. Hansen, The Olive in the PrehistoricAegean: The Evidence for Domestication in the Early Bronze Age, OJA 5 (1985}299-308.

    q Lohmann, Atene 205,Anm. 51.

    9 Vgl. P. Warren, Myrtos: An Early BronzeAge Settlement in Crete, BSASupple-mentary Vol. 7, Cambridge 1972. Ergnzend dazu T. W. Whitelaw, The Settlement at Fournou Korifi Myrtos and Aspects of Early Minoan Soeial Organisation, in: Knysz-kowska- Nixon, Minoan Society 323-345.

    Faktoren der sozio-kulturellen Evolution 19

    potamisehe Orte im gleichen Zeitraum um ein Vielfaches mehrere meso wuchsen. 50 . .

    . htiger Faktor war auch d1e Gewmnung neuer Produkte 10 derVieh-Etn wtc .. . h La d . h ft

    . baft Whrend nach dem Ubergang zur gen:usc ten n wtrtsc a WlrtSC . - . 1i h I Acker- bzw. Gartenbau und Viehzucht) noc~ Jahrtau~ndelang d1e ter ~-~un zur Fleischproduktion diente, wurden sett dem spaten 4. J abrtau~end Ln

    g h endem Mae Milch und WoUe gewonnen sowie in der Folgezen auch zune m . . . f d Zug- und Packtiere verwendet. 5 1 D1e e~e1terte Viehwutschaft er or erte wiederum die Nutzung von Weideflchen rn grerer Entfernung von fest~n Siedlungspltzen. In Attika haben nach demjetzt von H. ~bmann en~wtkkelten Modell offenbar endneolithische und frhbronzeL.ettliche Viehhirten hheren Lagen im eigenen Sozialverband rumlich getrennt von den ~auem in den Ebenen gelebt und beide G rogruppen in einem regen Gter-austausch gestanden. 51 .

    In der Metallurgie bedingten Innovationen in der Bronzeverarbeitung eine fortschreitende Spezialisierung, die e rhebliche Auswirkungen auf das Gesellschaftsgefge hatte. Neue Fertigkeiten in der Herstellung von Waffen und Werkzeugen fhrten zu einem hheren Bedarf an solchen Gtern, der wiederum die Produktion beeinflute und weitere Spezialisierung erforderte sowie darber hinaus den Tauschhandel zur Beschaffung von Rohmaterial intensivierte. 53 Hierdurch ergab sich ein vielfltiges Beziehungsgeflecht von

    so Renfrcw, Emergcncc of Civilisation 244. . s Zur Entwicklung der Viehwirtschaft: A. G. Sherrat, The Secondary Explotta-

    tion of Animals in the Old World, World Archaeology 15 (1983) ~104; J F. Cherry, PCPhS 210, N.S. 30 (1984) 25f. (oben Anm. 47); ders., P

  • 20 Die Frhzeit

    Voraussetzungen, Folgen und Rckwirkungen in den verschiedensten Berei-chen menschlicher Aktivitten. So ermglichte die Herstellung von Bronze-xten und -sgen die Entwicklung von Langschiffen mit ca. 20-30 Ruderern und damit die Ausweitung von Handel und Kommunikation . Hierdurch ent-standen aber auch fr lnsel- und Kstenbewohner neue Gefahren durch Piraten. Allerdings operierten Piratenschiffe schwerlich in groer Zahl. Der Bau der frhhelladischen Wehranlagen von Troja, Manika (Euboia) , Aigina, Lerna III, Kastri bei Chalandriani, bei Panormos auf Naxos sowie in Aski-tario an der attischen Ostkste und Plasi bei Marathon lt sich daher sicher-lich nicht allein mit der Piratengefahr erklren. 54 Offenbar befrchtete man auch Angriffe berlegener feindlicher Scharen.

    Planung und Durchfhrung von Befestigungsbauten erforderten auch in kleineren Gemeinschaften eine erhebliche Organisation, die sowohl den Zu-sammenhalt der Siedler als auch die Position der fhrenden Mnner strkte. Von Bedeutung waren des weiteren waffentechnische Neuerungen wie die Erfindung des Bronzedolches und der bronzenen Lanzenspitze, deren ber-nahme fr alle Gemeinschaften eine Frage der Selbstbehauptung wurde. ln-wieweit sich hieraus eine Kontrolle der Siedlungsfhrer ber die Werk-sttten ergab, bleibt allerdings eine offene Frage. Nur in relativ wenigen Orten ist der Aufstieg einzelner Familien oder Individuen klar erkennbar. Besonders deutlich zeichnet sich diese Entwicklung im Frhhelladikum II in der befesti&rten Siedlung Lerna III durch die Abfolge zweier grerer Huser ab. In dem jngeren Gebude- dem sog. House of the Tiles-wurden zahlreiche Siegelabdrcke gefunden, die offenbar zur Eigentumsbe-zeichnung dienten. Wir wissen zwar nicht, oh dieses "Herrenhaus" die Funk-tion einer Tauschzentrale hatte, doch kann man davon ausgehen, da der Besitzer in der Gesellschaft Lernas einen hohen Rang einnahm. ss Eine hn-liche soziale Stellung knnen die Herren grerer Gebude in Akovitika in Messenien (Megaron A und Megaron B), Kolonna auf Aigina (sog. Weies Haus) und in Theben besessen haben. 56 Typologisch manifestiert sich hierin

    besonderer Bercksichtigung der Kykladen, in: Buchholz, gische Bronzezeit 65ff. , 69ff.; Kopeke, Handel5ff.

    54 Zur Anlage frhbronzezeitlicher Wehrbauten vgl. den berblick von Iako-vides, Wehrbauten 163f.

    55 Zur Funktion des Siegels vgl. generell A. C. Blasingham, The Seals from the Tombs of the Messara: Inferences as to KiDship and Social Organisation, in: Krzysz-kowska - Nixon, Minoan Society 11 ff. Weitere Spezialuntersuchungen enthlt der Sammelband von Tb. G. Palaima (Hrsg.), Aegcan Seals, Sealings and Administra-tion, Lttich 1990.

    56 Zu den "Herren~usem" in Akovitika vgl. P.G. Tbemelis, AAA 3 (1970) 303ff.; Schacherrneyr, Agische Frhzeit I 211. "Weies Haus" und "Stadt UI" in Ko-lonna (ca. 2400-2300v. Chr.): Walter - Felten, Alt-gina III 1, 14ff., 97ff. Zu dem in

    Faktoren der sozio-kulturellen Evolution 21

    lieh noch kein "Kleinfrstentum" . Die Besitzer haben mglicherweise f~e. 0 Handwerkern Rohstoffe, die sie durch Tauschhandel mit weiter ent-feJJlt~~n Regionen erhielten, zur Verfgung gestellt. Zweifellos waren auch ern . b d durch die Abwicklung des Warenaustausch~s und dte h1ermtt v~r ~n ~ne Mobilisierung und Unterhaltung von Arbeitskrften neue Abhangtgkelts-verhltnisse entstanden, durch die wiederum Autoritt und Einflu jener Herren in ihren Siedlungen gestrkt wurden. 5 7 Ihre (relative) konomische berlegenheit und ihre bieraus sich ergebenden Schutzfunktionen ber eine gewisse Zahl von Abhngigen sicherten ihnen somit wohl einen herausra-genden gesellschaftlichen Status, der zugleich die Voraussetzung fr eine all-aemcine Fhrungsrolle in ihrer Gemeinschaft war, und Prestigeobjekte, die ;ie teils selbst in Auftrag gegeben, teils als Gastgeschenke erhalten haben mgen , dienten der sinnflligen Demonstration ihrer Stellung. Gleichwohl besaen sie im ganzen nur beschrnkte Ressourcen. Ihr Einflubereich wird nicht allzu weit ber das Landgebiet ihrer Siedlung hinausgereicht haben. In Landschaftskammern mit mehreren Ortschaften gab es allenfalls schwach ausgeprgte Siedlungshierarchien. Der Besitzer des "Hauses der Ziegel" war jedenfalls nicht in der Lage, gengend Krfte zu mobilisieren, um jenen Angriff abzuwehren, der Ende des Frhhelladikums ll zur Zerstrung Lernas gefhrt bat. Insgesamt gesehen unterstanden die einzelnen Sied-lungsgemeinschatten wohl nirgendwo in Griechenland einer weitrumig or-ganisierten Herrschaft. Sie waren zwar eingebunden in ein Netzwerk von Kontakten, doch resultierte hieraus noch keine Entwicklung frher Staat-lichkeit in dem Sinne, da von bestimmten Siedlungen die Bildung kom-plexer und institutionalisierter Systeme politischer Herrschaft ausging, d. h. es entstanden keine prinzipiell neuen politischen Organisationsformen. Nach dem derzeitigen Forschungsstand gab es in der mittleren Phase der Frhen Bronzezeit nur eine begrenzte Zahl von Siedlungen mit sogenannten Herrenhusern. Es handelte sich um kleinrumig siedelnde "Rang-Gesell-schaften" mit einer bereits stabileren Sozialstruktur als in den egalitren Ge-meinschaften des Neolithikums und des Frhhelladikums I . Zur Errichtung einer Herrschaft ber grere Rume war die "Macht" der Siedlungsfhrer aber nach wie vor zu gering. J hre Stellung entsprach wohl in etwa der aus der Ethnologie bekannten Position des "Big Man", dessen Autoritt auf eigenen

    Theben entdeckten Langhaus: G. Touchais, BCH 107 (1983)781; Pullen, Social Orga-nization 242f. Ein greres FH li-Gebude befand sich mglicherweise auch in Zy-gouries in der Korinthia (D.J. Pullen, AJA89, 1985, 347). Vgl. auch J . W. Shaw, The Early Helladic II Corridor House: Development and Form, AJA 91 {1987) 59ff.

    s1 Skeptisch beurteilt demgegenber die Funktion frhbronzezeitlicher .,Eliten" als Organisatoren der GterdistributionA. Gilman, The Development of Social Stra-tification in Bronze Age Europe, Current Anthropology 22 (1981) 1-8.

  • 22 Die Frhzeit

    Leistungen beruht und dementsprechend personengebunden ist. Der "Big Man" investiert gewissermaen die Ressourcen seines HaushaJLs in seine Fhrungsposition und verliert diese mit der Abnahme seiner Leistungsfhig-keit. 58

    Als Fazit bleibt festzuhaJten, da im frhbronzezeitlichen Griechenland kein Syo;tem konkurrierender Herrschaften existierte, das eine strkere Aus differenzierungder Sozialstruktur beschleunigt bzw. eine berwindung der vorstaatlichen Formen des Gemeinschaftslebens und damit eine allgemeine Transformation der Gesellschaft ermglicht htte. Generell waren in der mitt1eren Phase der Frhen Bronzezeit (FH ll) offensichtlich die Besitzun-terschiede grer und der Lebensstandard hher als in der folgenden FH m - Periode. In den frhbronzezeitlichen Athener SiedJungen , deren Stratigra-phie weitgehend unklar bleibt, lt sich allerdings im FH II bedeutender Reichtum einzelner Personen oder Familien (wie z. Bin Troja II, Poliochni V auf Lemnos, Stheno auf Leukas oder Mochlos bei Kreta) nicht nachwei-sen. Es mu dahingestellt bleiben, ob im Gebiet von Athen einzelne Sied-lungsfhrer eine hnliche Position wie in Lerna III gewonnen oder im Bereich um die Akropolis sich bereits proto-urbane Strukturen wie in der frhhelladischen Siedlung Manika auf Euboia59 entwickelt haben. Nach dem Gesamtbefund ist dies eher unwahrscheinlich. Auch ist nicht e rkenn-bar, da von Athen aus schon die Kontrolle ber die Blei- und Silberge-winnung im Laureion gewonnen werden konnte. 60 Vermutlich sind die

    58 Zum Begriff der Rang-Gesellschaft vgl. Stag!, Politikethnologie 182. "Big Man": E. R. Service, UrsprUnge und Entstehung der Zivilisation. Der Proze der kulturellen Evolution, Frankfun a. M. 1977, 107ff. Engl.AusgabeNewYork 1975; Ch. K. Maiscls, The Emergence of Civilization, Loodon- New York 1990, 206f., 229.

    59 Vgl. A. Sampson, Manika, I. An Early Helladic Town in Chalkis (neugricch.), Athen 1985; Manika, II. The Early HelladicSettlemeot and Cemetery (ncugriech.), Athen 1988.

    60 Die Bedeutung des frhbronzezeitlichen Bergbaus im Laureion ist freilich um-stritten. Sie wird beraus hoch bewertet von N. H . Gale und Z. Stos-Gale, Lead and Silver in the Ancient Aegean. ScientifieAmerican 244, Nr. 6, June 1981, 142-152; Cy-cla

  • 24 Die Frhzeit

    Kultur der festlndischen Mittleren Bronzezeit durch zunehmende minoi-sche Einflsse ein hheres Niveau. Gleichzeitig, teilweise auch schon frher, zeichneten sieb Anstze LU einer strkeren sozialen Differenzierung in verschiedenen Regionen Griechenlands ab. Auch in einigen attischen Siedlungen wird der Beginn dieses Prozesses noch einigermaen greifbar. Reichere Beigaben fanden sich in einem Tumulus (Grabhgel) oei Aphidna aus der spten Phase des Mittelhclladikums. 62 In einem sorgfltig ausge-bauten Grabhgel im Vranatal bei Marathon - einem Gemeinschaftsgrab (sog. Tumulus Nr.l)- waren offenbar auch Personen bestattet, die in ihrem lokalen Bereich einen gewissen sozialen Rang besessen hatten. 63

    Ein sog. Herrenbaus im Gebiet von Plasi bei Marathon lt ebenfalls auf eine lokale Vorrangstellung des Besitzers scblieen.64 Auch in Brauron ist ein greres mittelhelladiscbes Gebude nachgewiesen. 65 In verschiedenen attischen Kleinlandschaften entwickelte sich somit ein differenzierteres So-zialgefge. ln den Athener Siedlungen drfte dies kaum anders gewesen sein. Da es sich bei den genannten Herrenhusern nicht um Einzelflle bzw. nur um Zeugnisse einer spezifisch attischen Entwicklung handelte, zeigen weitere Bauten dieser Art in Asine (Argolis) und in der befestigten Siedlung Malthi (Messenien),66 die in das spte Mittelhelladikum zu da-tieren ist. Solche Gebude hatten aber wohl kaum die Bedeutung einer re-gelrechten Tauschzentrale. Ihre Besitzer waren vermutlieb Siedlungsfhrer mit einem lokal begrenzten Einflu in mehr oder weniger eigenstndigen drflichen Gemeinschaften, die in Einzelfamilien gegliedert waren, wie die Arrangements mittelhelladischer Huser und die Bestattungsbruche er-kennen lassen. Zweifellos bildeten Verwandtschafts- und Abstammungsver-hltnisse starke soziale Klammem in der mittelhelladischeo Gesellschaft. Hieraus entstanden aber allem Ansebein nach keine geschlossenen, fami-lienbergreifenden Verwandtschaftsverbnde in Form von Clans oder "Ge-schlechtern" mit eigenen Kulten und Bruchen. Ebensowenig entwickelten sich grere Starnmesverbnde. Zwar konstituierten Verwandtschaftsbezie-hungen auch Bindungen, die ber die Einzelgemeinde hinausgingen und so-wohl zur Konsolidierung lokaler Verbnde als auch zur Ausweitung des per-sonalen Beziehungsgeflechtes erheblich beitrugen, so da sie unter diesem

    62 Vgl. Hope Simpson. Myecnacan Greece 51. 113 Sp. Marinatos, Funher Discoveries at Marathon, AAA 3 (1970) 351 tf. ; SCha-

    ehermeyr, gische Frhzeit I 246ff.; ders. , gische Frhzeit U 96. 64 Sp. Marinatos, Further News from Marathon, AAA 3 (1970) 154. 65 Hope Simpson, Mycenaean Greeee 49. 66 Carlier, Royaute 15 ff. Eine chronologische Einordnung kann natUrlieh nur mit

    grtem Vorbebalt vorgenommen werden. Generell zur Problematik: G. Cadogan, AJA 87 (1983) 507ff.

    Athen im Mittelhelladikum 25

    Aspekt gleichsam als trib~le Strukturelemente gelten k~nnen. Die B~is des mittelhelladischen Gememschaftslebens war aber zwetfeUos nach wte vor die Einzelsiedlung oder die Kleinlandschaft mit mehreren, schon durch die rumliche Nhe enger verbundenen Ortschaften. Generell kann man die einzelnen Gemeinschaften zumindest in derfrhen und mittleren Phase der festlndischen Mittleren Bron1e1eit noch al ~g. Rang-Ge

  • 26 Die Frhzeit

    tcndsten Machtzentrum in Griechenland. Hieraus resultiert die heutige Konvention , das Spthelladikum bzw. die Spte Bronzezeit nach diesem Herrschersitz auch als mykenische Zeit und die Trger der spthe lladischeo Kultur als mykenische Griechen zu bezeichnen.

    D er Aufstieg de r Herren von Mykene manifestie rt sich insonderheit an der beraus reichen Ausstattung der Schachtgrber in dem von H einrich Schliernano aufgedeckten Steinkreis A auf dem Burgberg. 71 Offenbar ist diese Herrschaft gleichsam endogen entstanden. 72 Bere its die lteren, noch ins spte 17. Jahrhundert zu datierenden Grber des von Papadirnitriou 1951 entdeckten Steinkreises B73 auerhalb des Lwentores lassen steigenden Reichtum der damaligen Herren Mykenes erkennen. Die Anfnge der Macht dieser Dynastie sind wohl mit einer Verschiebung de r Krfteverhlt-nisse innerhalb eines Systems eigenstndiger mittelhelladischer Siedlungen in der Argolis zu erklren. Vermutlich besa hier Argos zunchst grere Bedeutung als Mykene. 74 Die Basis des Aufstiegs de r mykenischen Schacht-grberdynastie war allem Anschein nach eine Position, wie sie auch andere mittelhe lladische Siedlungsfhrer als Reprsentanten einer sich allmhlich formierenden Oberschicht innehatten. Sptestens seit 1650 drfte es dann den H erren Mykenes gelungen sein , ihren Einflubereich zu erweitern. Aus-druck ihrer militrischen Strke sind zahlreiche Waffen, die in einigen Schachtgrbern - "wahren Rstkammern" (Karo) - gefunden wurden. Pro-totypen der neucn Langschwerte r des sog. Typs A mit dnnen Griffzungen waren wohl minoische Waffen, whrend die stabileren Schwerter des Typs B vermutlich in Mykene bzw. in der Argolis entwickelt wurden. 75 Wahrschein-

    71 Vgl. die Abschlupublikation des Kreises A von G. Karo, Die Schachtgrber von Mykene, 1- Jl , Mnchen 193Q-33.

    n Da die "Schachtgrberdynastie" eine erobernde Kriegerelite war, vermutet neuerdings wieder Drews, Coming of the Greeks 158ff. , der - wie schon erwhnt (oben Anrn. 25)- die Einwanderung der Griechen um 1600 ansetzt und hiermit auch den sog. Thmulus I im Vranatal bei Marathon (Sp. Marinatos, AAA 3, 1970, 155ff.; Anaskaphai Marathonos. Praktika 1970, 9ff.) und andere Thmuli in Verbindung bringt. Drews sucht diese Grber sowie die Grabkreise in Mykene im Anschlu an Pelon, Tholoi 82ff., 450 f., aus der Kurgankulrur abzuleiten. Vgl. dagegen A. Husler, SlovArch 29,1 (1981) 61-64 (oben Anm. 31). - Neue Probleme ergeben sich aus der umstrittenen Heraufdatierung der Spten Bronzezeit durch P. P. Betancourt, Dating the Aegean Late BronzeAge with Radiocarhon, Archaeometry 29 (1987) 45-49. Zur Diskussion hierber vgl. P. M. Warren, cbd. 205-211, sowie M.J . Aitken, H . N. Mi-chael, P. P. Betancourt und P. M. Warrcn, ebd. 30 (1988) 165-182.

    73 Dazu die Abschlupublikation von G. Mylonas. Ho taphikos Kyldos B ton Mykenou, I- TI, Athen 1972- 1973.

    74 Schachermeyr, gische FrOhzeit I 256. 7S St. Foltiny, Kriegswesen, Teil 2, Angriffswaffen, Archaeologia Homerica I. E.

    Gllingen 1980, 249ff.

    Athen im Mittelhelladikum 27

    . h fhrten die Herren Mykenes in der ersten Hlfte des 16. Jahrhunderts ~c eh den Streitwagen als neues Kampfinstrument in Griechenland ein. In da~ r Zeit verfgten sie bereits berweite Handelsbeziehungen, wenn auch test: N b. La . I li M

    xotische- Objekte (wie L.. B. Straueneter aus u 1en, p1s azu aus e-.. c~tamien und Bernstein au!> dem Baltikum) wohl ber Zwischenstationen so h Mykene gelangt sind. 76 Neben wertvollen Importstcken aus Kreta nac . . . fanden sich in den Schachtgrbern auch zahlreiche Be tgahen, dte sowo~l von minoischen als auch von einheimischen Knstlern und Handwerke rn m mykenischen Werksttten angefertigt worden sind.

    Ein offenes Problem ist die Herrschaftsorganisation in Mykene. Die in den beiden Grabkreisen beigesetzten Mnner knnen nicht ausnahmslos Monarchen gewesen sein, doch besagt dies noch nicht, da in Mykene eine "primitive Krieger-Oligarchie" herrschte. 77 Vie lleicht handelte es sich um Angehrige einer sieb verzweigenden Dynastie.

    Um und nach 1600 hatten sich auch in Messenien neue Herrschaftsformen hnlichen Typs herausgebildet. Frhe Kuppelgrber (Tholoi) lassen hie r auf eine Koexistenz mehrere r Dynastien schlieen, die aber kaum mit der Macht der Herren Mykenes konkurrieren konnten.

    Der hier skizzierte Proze in der Argolis und in Messeoien hat offenbar bald auch die Entwicklung in Attika stark beeinflut, wie die neuentdeckte Burg auf dem Kiapha Thiti vermuten lt. Er fhrte langfristig zur Entste-hung eines Systems grerer Machtzentren in verschiedenen Teilen Grie-chenlands, vollzog sich aber zunchst noch imAusstrahJuogsbereich der mi-noischen Palastkultur, die um 1600 bereits seit langem ber ein entwickeltes Herrschaftsinstrumentarium verfgte und damals geradezu ein Kontrastbild zum griechischen Festland bot.

    76 Dazu ausfhrlich Harding. Mycenaeans, passim. 77 Dickinson. Origins 57. Vgl. auch M. J . Aiden, Bronze Age Population Flucrua-

    tions in the Argolid from the Evidence of Mycenaean Tombs, Gteborg 1981, 115f. ; Carlier, Royautc 22. I. Kilian-Dirlmcicr, Beobachtungen zu den Schachtgrbern von Mykcnai und zu den Schmuckbeigaben mykenischer Mnncrgrbcr, JRGZM 33 (1986) 159-198, kommt zu dem Schlu, da alle Toten in den beiden Grberrundeo A und B der gleichen gehobenen Statusgruppe angehrt htten, die aber durch eine mehrfach abgestufte Ranggliederung gekennzeichnet gewesen sei. Es habe sich aber kaum um einen "kniglichen Bestattungsplatz" gehandelt, wie er fr dasTholosgrab 3 von Peristeria bereits in SJI I angenommen werden knne. Fragen der sozialen Rangordnung der damaligen Fhrungsschicht in Mykcne errtert auch R . Laffineur, Mobilier funeraire et hierarchie sociale aux cerdes des tombcs de Myrenes, in: Laffi-neur, Transition 227- 238.

  • 28 Die Frhzeit

    6. Die Bedeutung Kretas fr die festlndische Entwicklung

    ln der Frhen Bronzezeit war auch in Kreta trotz deutlicher Kontinuitt der Bevlkerung und der materiellen Kultur die Entwicklung nicht unge-strt verlaufen. Vor allem im Frhminoik:um (FM) Il B (vor 2300) fanden Siedlungen ein gewaltsames Ende; andere wurden in der Phase FM Ill auf-gegeben. Vermutlich waren RivaUtten kretischer Siedlungsgemeinschaften die Ursachen der Unruhen. 78 Gleichwohl vollzog sich hier etwa seit Mitte des 3.Jahrtausends ein bedeutsamer Wandel, der in der Entstehung gr-erer Ortschaften zum Ausdruck kommt.

    Die Entwicklung einiger Siedlungen zu zentralen Sttten des Handels und Handwerks noch vor Errichtung der sog. lteren Palste (ca. 2000/1950 v. Chr.) war weitgehend ein eigendynamischer Proze, der durch neue hand-werkliche Fertigkeiten, durch Importe von Rohmaterialien (insonderheit Kupfer und Zinn) und durch die Verbreiterung der Ernhrungsbasis ermg-licht wurde und auf die interne Organisation dieser nunmehr schon proto-urbanen Gesellschaften einen starken Integrationseffekt ausbte. 79 Grere vorpalatiale Bauten lassen vermuten, da sich seit dem Frhminoikum II eine wirtschaftlich dominierende Oberschicht formierte. Sie vermochte auf-grund ihres sozio-konomisehen Vorrangs zweifellos auch politische Lei-tungsfunktionen zu bernehmen, die wohl noch eher informell waren, d. h .

    711 Bemerkenswen ist die Hhenlage einer Reihe von Siedlungen, von denen einige zustzlich befestigt waren. Dazu St. Alex:iou, Befestigungen und Akropolen im minoischen Kreta (ncugricch.), Krctologia 8 (1979) 41-56. Vgl. auch Hiller, Minoi-sches Kreta 89; Ch. G. Starr, Minoan Flower Lovers, in: Hgg - Marinatos, Minoan Thalassocracy 11; Buchholz, giscbe Bronzezeit 501.

    79 Aufschlureich fr die Diskussion ber die Entwicklung der minoischen Palast-kuhur ist vor aUem J. F. Cherry, Evolution, Revolution, and the Origins of Complcx Society in Minoan Crete. in: Krzyszkowska- Nixon, Minoan Society 33-45; ders. , The Emergence ofthe State in the PrehistoricAegean, PCPhS 210, N. S. 30 (1984) 18-48; dcrs., Polities and Palaces: Some Problems in Minoan State Formation, in: Ren-frcw- Chcrry, Peer Polity Interaction 19-45; G. Cadogan, Why was Crctc Different?, in: Cadogan, Early Bronze Age 153-171. Ferner: H. Geiss: Die TlcnlUsbildung des Staates in der minoischen Periode- Mglichkeiten und Grenzen, in: J. Herrmann -I. Sellnow (Hrsg.), Beitrge zur Entstehung des Staates, Berlin 21974. 92-103; ders., Zur Entstehung der kretischen Palastwirtschaft, Klio 56 (1974) 311-323 (aus marxisti-scher Sicht); Hillcr, Minoisches Kreta 71 ff. mit der lteren Literatur; 0. Pelon, Parti-cularites et developpement des palais minoens, in: Uvy, Systeme palatial 187-201. Siehe auch P. M. Warren, The Genesis of tbe Minoan Palace, in: The Function of thc Minoan Palaces, Proceedings of the Fourth International Symposium at the Swcdish lnstitute in Athens, 10-16 June, 1984, ed. by R. Hgg- N. Marinatos, Stockholm 1987, 47-56; L. Vance Watrous, The RoJe of the Near Ea~t in the Riseof the Cretan Pa-laccs, cbd. 65-70.

    Die Bedeutung Kretas 29

    noch nicht aus einer schon ausdifferenzierten institutionellen Ordnung resultierten. Es handelte sich im Unterschied zu den einzelnen Siedlungsfh-rern auf dem helleniseben Festland typologisch vermutlich um "oligarchische" Eliten, deren Reprsentanten in verschiedenen greren Siedlungsgemein-o;chaftcn durch Rivalitten um Macht und Einflu und in dem Bestreben, Jurch Kumulierung von Re

  • 30 Die Frhzeit

    Monarchien ein Informationsflu anzunehmen, der in erheblichem Mae dazu beitrug, da konomische Macht und gesellschaftliche Geltung in poli-tische und sakrale Herrschaft umgesetzt wurde.

    Durch die wohl von Erdbeben verursachte Zerstrung der sog. lteren Palste in Knossos und Phaistos um 1700 v. Chr. erlitt die minoische Kultur keinen Bruch. An den gleichen Stellen wurden die groartigen Jngeren Pa-lste errichtet, die nach weiteren tektonischen Katastrophen um 1600 noch prachtvoller gestaltet wurden. Zahlreiche Produkte des minoischen Kunst-handwerks zeugen von der Ausstrahlungskraft dieser Palastkultur. Es ist zwar fraglich , ob Knossos- die bedeutendste Residenz Kretas- in der jn-geren Palastzeit die Herrschaft ber die gesamte Insel gewinnen konnte und damals eine kretischeThalassokratie im gisraum entstand, 83 doch besteht kein Zweifel, da das griechische Festland jetzt strker unter dem Einflu der minoischen Kultur stand und die mykenische Schachtgrberdynastie ihren ungeheuren Reichtum nicht zuletzt ihrer Einbindung in das minoische Handelsnetz verdankte.

    Mykene konnte freilich den Aufstieg neuer Machthaber in verschiedenen Teilen Griechenlands nichl verhindern, so da hier ein System von greren und kleineren Herrschaften entstand. Dieser Proze ist wiederum auf ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren zurckzufhren. Lokale .,Herren" konnten im Zuge der Ausweitung des Tauschhandels im Umkreis ihres Ein-flubereichs die Kontrolle ber wichtige Importgter und damit auch ber die Distribution bestimmter handwerklicher Produkte gewinnen bzw. inten-sivieren, durch Konzentration von Ressourcen kriegerische Gefolgschaften unterhalten oder vergrern und hierdurch neue Bindungen und Abhngig-keitsverhltnisse schaffen, gegebenenfalls schwchere Nachbarsiedlungen unterwerfen und hieraus neue Besitzrechte ber Lndereien ableiten sowie Tribute erheben , gleichzeitig soziale Erwartungen ihrer Gefolgsleute durch Landvergabe erfllen sowie kollidierende Interessen innerhalb ihrer Anhn-gerschaft ausgleichen, aber auch durch symbolische Reprsentation ihrer wachsenden Macht ihre Position weiter festigen und ihrer Stellung durch Ausbung und Ausweitung priesterlicher Funktionen eine hhere sakrale Weihe verleihen , so da in einem vielfltigen Geflecht von Ursachen und Wrrkungen mit mannigfachen Rckkoppelungseffekten sich klare Verhlt-nisse von ber- und Unterordnung herausbildeten. Beschleunigt wurde dieser Proze zweifellos auch hier durch die kompetitiven Elemente eines

    Studics, Madison 1964, 195-215; ders., Egyptian Features at Phaistos, AJA 74 (1970) 231-239.

    83 Dazu jetzt eine Reibe von Aufstzen in dem Sammelband von Hgg - Mari-natos, Minoan Thalassocracy, mit einer Zusammenfassung der kontroversen Stand-punkte 221 f.

    Die Bedeutung Kretas 31

    zdruckes, der sich aus der Koexistenz rivalisierender Herrscher-l(onkurren . d E . kl . b indem die Machthaber gezwungen waren , m1t er ntw1c ung

    s1tze erga ' h b h . hbarten Landschaftskammern Schntt zu halten, um s1c e aupten ID benac . . d La d twik tu knnen. Sie waren ~erdings vorerst noch ruch~_m er ge,

    84 as en -

    lt Svstem der mino1schen Palastverwaltung zu ubemehmen. ke E~t die KataStrophen auf Kr~ta um ~450, die vermutlich \~~der auf Erd-tx:ben zurckzufhren sind, le1teten eme ~ndlege~de V~randerun~ der Krfteverhltnisse ein. Kato Zakros, Goum1a, Malha, Tylissos. ~haiStos, Hagia Triada sowie Wohnviertel in Knossos wurden d~als ~rstort. D~r

    roe Palast in Knossos blieb aber offenbar erhalten. 8 5 Dte dortige Dynastie ~onnte sich wahrscheinlich auch in den Wirren nach den tektonischen Ka~astrophen behaupten und nunmehr sogar die Vorherrschaft ber weite Tetl~ der Insel gewinnen. Sie war hierbei jedoch auf Untersttzung durch mykeru-sche Krieger angewiesen. 86 Offenbar um 1375 wurde indes ihr Palast zer-strt, und die Herrschaft ging jetzt auf eine mykcnische Dynastie ber, die das spezifisch minoische Verwaltungs- und Wrrtschaftssystem weiterfhrte. 87

    84 Vgl. 0. T. P. K. Dickinson, Cretan Contacts with the Mainland during the Period of the Shaft Graves, in: Hgg- Marinatos, Minoao Thalassocracy 117.

    ss Vgl. H. Pich1er-W. Schiering, Der SptbronzezeitlicheAusbruch desThera-VuJ-kans und seine Auswirkungen auf Kreta, Al\ 1980, 21 ff. Die Folgen der Explosion des genannten Vulkans fr die minoische Kultur sind umstritten. Vgl. Chr.Dournas (Ed.), Thera and the Aegean World, 1- ll, London 1978-80; ders., The Prehistorie Eruption ofThera and its Effects, in: S. Dietz I. Papachristodoulou (Ed.). Archae-ology in the Dodecanese, Kopenhagen 1988, 34-38. Eine starke Sedimentschicht (12 cm) der Vulkanasche ist jetzt im Glck-Scc 90 km stlich von lzmir nachge-wiesen: D. G. Sullivan, The Discovery of Santorini Tcphra in Wc.tem Turkey, Nature, Vol. 333, June 1988, 552-554.

    86 Als Indiz hierfr gelten allgernein sog. Kriegergrber aus der Zeit um 1400 mit Waffen und wertvollen Beigaben. Vgl. aber andererseits H.Matthus, Minoische Kriegergrber, in: K.rzyszkowska - Nixon, Minoan Society 203-215, der die betr. Grber als Anzeichen eines starken festlndischen Kultureinflusses wertet.

    87 Zur kontroversen Diskussion ber die Datierungsprobleme in Knossos vgl. jetzt St.Hiller, Die Mykener auf Kreta. Ein Beitrag zum Knossos-Problem und zur Zeit nach 1400 v. Chr. auf Kreta, in: Buchholz, gische Bronzezeit 388-405, der wohl zutreffend das Ende der palatialen Brokratie und der dortigen Verwendung von Linear B ins spte 13. Jahrhundert datien (mit ausfhrlichen Literaturangaben). Wichtig sind folgende Arbeiten: W.-D. Niemeier, M ycenacan Knossos and the Age of Linear B, SMEA 23 (1982) 219-287; ders. , The Character of the Knossian Palace in the Second Half of the Fifteenth Century B. C. Mycenaean or M.inoan?, in: Krzysz-kowska- Nixon, Minoan Society 217-236; ders. , Tbc End of the Minoan Tbalasso-cracy, in: Hgg- Marinatos, Minoan Thalassocracy 205-215; H . W. Catling, Some Problems of Aegean Prehistory c. 1450-1380 B. C. , Oxford 1989. Demgegenber fhrt H. W. Haskell, From Palace to Town Administration: The Evideoce of Coarse-

  • 32 Die Frhzeit

    An die Stelle der minoischen Linear A-Schrift trat freilich das Linear B-System.88

    Nach dem Niedergang der minoischen Macht entstanden auf dem griechi-schen _Festland _sog. Palastburgen, die im Arrangement der Bauten und durch ahre _Ausnc~tung auf den prunkvollen megaraaartigen Thronsaal an-ders alc; die kretischen Palste gestaltet waren , aber ebenfalls zugleich Macht- und Wrrtschaftszentren darstellten. Wahrscheinlich wurden im 14.Jabrhundert auch wesentliche Elemente der minoischen Palastverwal-tung und die Linear B-Sehrift an den damals dominierenden Residenzen des

    Fest~~ des bernommen. 89 Die Aufzeichnung von Verwaltungsvorgngen zur Ube~achung der Abgaben und Leistungen der Landbevlkerung und der V:~rtellung __ von Rohstoffen und handwerklichen Erzeugnissen ist zwar erst fr das_spate 13.Jahrhundert belegt, doch ist dieses durchorganisierte System zweafellos das Ergebnis einer lngeren Entwicklung.

    7. Athen in der mykenischen Welt

    '?~e Freileg~ng einer Burg aus der Schachtgrberzeit auf dem Kiapha Thit:J hat gezeagt, da sich auch in Attika um und nach 1600 bereits neue

    Herr~cbaften bildeten, doch bleiben die Auswirkungen dieser Entwicklung auf dJe Krftekonstellation im Raum von Athen noch unklar. 90 Im Bereich der materiellen Kultur scheint whrend der frhmykenischen Keramikstil-

    pha~ Sp~eiJadikum ~SH) I im 16. Jahrhundert die bernahme neuer "my-k~ruscher Element~ an Athen und anderen attischen Siedlungen eher zgernd erfolgt zu sean.91 Gleichwohllassen Importvasen mit neuen Deko-rationen in Athen darauf schlieen, da auch hier die Gesellschaft nunmehr

    Ware from Stirrup-Jars, in: Knyszkowska-Nixon, a. a. 0. 121-128, die mykenischen Elemente (Bgelkanncn mit linear -Zeichcn) in der minoischen Wirtschaft des 13. Jahrhunderts darauf zurck, da nach dem von ihm (mit Palmer) um 1375 ange-setzten Ende der Palastsysteme auf Kreta "the Mycenaean bureaucratic class" auf der Insel geblieben sei.

    118 A. Heubeck , U>rigine della lineare B , SMEA 23 (1982) 202f. 89 Vgl. P. Warre n , Tbc EmergenceofMycenaeanPalaccCivilisation, in: J. Bintliff

    (Ed.), Myce~aean Geography. Proceedings of tbe Cambridge Colloquium Sept. l976, Cambndge l9n, 68-72. Zur Enl~tebuog der mykenischen Palastsysteme s. auch zusammenfassend Dickinson. Origins 107 ff. Die architektonische Struktur der Palastanl~gen ernert K. Kilian, I:architecture des residences myceniennes: Origine et CXtenSIOD d'une Structure du pouvoir politique pendaotf'ge du bronze recent , in: Uvy, Systeme palatiaJ 203-217.

    90 Vgl. Hagel - Lauter, Kiapha Thiti 13. 91 Anderson r mmerwahr, Agora Xrn 149 f.; Pantelidou, Athenai 249f.

    Athen in der mykenischen Welt 33

    tifizert war. Etwa um 1500 (mit Beginn des SIJ IIA) wurden my-.. ker stra 1 k E" 1n F

    star Kultu cinflsse in Athen und Attika erheblich str er. anze e a-' nasche r . . . . G rs "~ . f der Akropolis leisteten steh relauv kostbare tmportaerte c a e rnh~~r~golis und aus Kreta. ln der "Unterstadt" scheint sich nach dem ~e

    au~d der Grber vor allem sdlich der Akropolis die besiedelte Flche weater tut d b t zu haben. Gegen Ende der Periode SH TI entstanden am Nord-auo;ge e n . k . b " Ka

    an des Areopags reich ausgestattete typascb "~y enasc . e m~er-b !r. Das berhmte sog. Grab der Elfenbeinpyxr~en - die Ruhestatte ~ wohlhabenden Frau- ist wohl schon dem Begann des SH ill A (um elfler F -1 d ()()) Uweisen.92Eswurdezweifellosvoneinerder erstcn am11en am a-l4 zuz b 0 d 0

    rgen Athen angelegt. Spuren eines ,,frstlichen" Kuppelgra es s_m m

    Amaha allerdings nicht e ntdeckt worden. D emgegenber waren bereits vor t en . E " . 14ooTbolosgrber in Thorikos und bei Marathon er'".'chtet :-"?rd~n .. m wet-

    K Ppelgrab entstand im 14 Jahrhundert bet Menadi nordlach von teres u .. . Athen. Aus dieser Zeit stammen ferner zwei bedeutende Ka~ergra~er bet Spata.9:J Die genannten Anlagen zeugen von ein~m beachtlichen Reac~tum der fhrenden Familien an diesen Pltzen. Auch Ln Brauron und Eleusas b:-standen damals offenbar grere Siedlungen unter lokalen .,Dynasten . ber die faktischen Machtverhltnisse in Attika sagt dieser Be~d ~erdings wenig aus. Die Machtbereiche der lok~len "Herren:' las..

  • 34 Die Frhzeit

    diesem Gebiet auch einige relativ wohlhabende Familien, die nicht zur en-geren Umgebung des Dynasten auf der Akropolis gehrten. Das besiedelte Areal bestand aber weiterhin aus einzelnen Wohnlcomplexen. Aus den Grab-fundenwird deutlich, da Kontakte mit anderen Pltzen in Attika sowie mit der Argolis, mit Boiotien und mit Euboia bestanden. Feine Gefe und Gold- und E.lfenbeinschmuck wurden wohl vor allem aus der Argolis be-zogen. Atherusche Werksttten bernahmen von dortAnregungen, bewahrten aber auch traditionell