KATE MORTON | Das geheime Spiel

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Das BuchEngland 1924: Während einer rauschenden Party auf demLandsitz Riverton Manor kommt der junge Dichter LordRobert Hunter ums Leben. Einzige Zeugen sind die Hart-ford-Schwestern Emmeline und Hannah, die danach niewieder ein Wort miteinander reden. Was genau geschah injener Sommernacht? Mehr als fünfundsiebzig Jahre lang hütet Grace Bradley dasGeheimnis der beiden Schwestern, bis sie nicht mehr dieKraft hat, die Erinnerungen an jene Zeit zu verdrängen: Als vierzehnjähriges Hausmädchen tritt sie kurz vor demErsten Weltkrieg ihren Dienst in Riverton an. Dort be-obachtet Grace heimlich die Kinder des Hausherrn beimSpielen, fasziniert von diesen drei Gestalten aus einer an-dere Welt. Schon bald weiß sie mehr über David, Hannahund Emmeline als jeder andere im Haus. Doch aus der stil-len Beobachterin wird eine Komplizin wider Willen – undnach jener Sommernacht im Jahr 1924 die Hüterin einergroßen Schuld, die sie den Rest ihres Lebens nicht mehr los-lassen wird …

Die AutorinKate Morton wuchs in den Bergen im Südosten vonQueensland, Australien auf. Sie hat Theaterwissenschaftenund Englische Literatur studiert und promoviert zurzeit ander University of Queensland. Ihr Debütroman wurde indreizehn Länder verkauft und eroberte mittlerweile ein Mil-lionenpublikum. Weitere Romane der Autorin sind in Vor-bereitung. Kate Morton lebt mit ihrem Mann und ihremSohn in Brisbane.

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KATE MORTON

Das geheime Spiel

Roman

Aus dem Englischen von Charlotte Breuer

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Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel The Shifting Fog bei Allen & Unwin, Crows Nest, Australien

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier München Superliefert Mochenwangen Papier.

Deutsche Erstausgabe 12/2007Copyright © 2006 by Kate Morton Copyright © dieser Ausgabe 2007 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHRedaktion | Angelika LiekeHerstellung | Helga SchörnigUmschlagmotiv | Doug Landreth/CorbisUmschlaggestaltung | Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, München–Zürich, Teresa Mutzenbach Satz | Leingärtner, NabburgDruck und Bindung | GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany 2007978-3-453-29031-0

http://www.diana-verlag.de

SGS-COC-1940

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Für Davin, der mir in der Achterbahn die Hand hält

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Inhalt

Teil 1

Drehbuch, Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Der Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Geister regen sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Der Salon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24The Braintree Daily Herald . . . . . . . . . . . . . . . 37Das Kinderzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Das SPIEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Das Theaterstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Aus dem Mystery Maker Trade Magazine . . . . . . 116Saffron High Street . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138The Times . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174Bis wir uns wiedersehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Teil 2

Die English Heritage-Broschüre . . . . . . . . . . . . 211Der zwölfte Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213Der Sturz des Ikarus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236Drehbuch, Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269Vollständiger Bericht über den tragischen Tod von Captain David Hartford . . . . . . . . . . . . . . 276

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Die Fotografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278Die Bankiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296Die Dinnerparty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323Ein geeigneter Ehemann . . . . . . . . . . . . . . . . . 354Der Ball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

Teil 3

The Times . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405Schmetterlinge fangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406Der Sturz ins Kaninchenloch . . . . . . . . . . . . . . 438In den Tiefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460Die Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512

Teil 4

Hannahs Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531Der Anfang vom Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604Zurück auf Riverton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619Losgelöst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648Das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657Das Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659Der Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683Anmerkungen der Autorin . . . . . . . . . . . . . . . 685

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Teil 1

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DrehbuchEndgültige Fassung, November 1998, Seiten 1–4

NebelschwadenBuch und Regie Ursula Ryan © 1998

Musik: Titelmelodie. Wehmütige Musik, wie sie um die Zeit desErsten Weltkriegs populär war. Eine romantische Melodie, in dergleichzeitig etwas Unheilvolles mitschwingt.

1. Außenaufnahme: Eine Landstraße – Abenddämmerung

Eine Landstraße, die an endlosen grünen Feldern vorbeiführt. Es ist20:00 Uhr. Die Sommersonne zögert noch am fernen Horizont,als sträubte sie sich dagegen unterzugehen. Wie ein glänzenderschwarzer Käfer gleitet ein Automobil der Zwanzigerjahre überdie schmale Landstraße, fährt an alten Brombeerhecken vorbei,die im Abendlicht blau schimmern und deren Ranken über dieStraße hängen.

Die Lichtkegel der Scheinwerfer wackeln, während das Auto überdie holprige Straße fährt. Wir holen langsam auf, bis wir nebendem Wagen herfahren. Die Sonne ist inzwischen untergegangen,es ist Nacht. Der Vollmond wirft weißes Licht auf die dunkle, glän-zende Kühlerhaube.

Im dunklen Innern des Wagens erkennen wir die Profile der In-sassen: ein MANN und eine FRAU in Abendgarderobe. Der Mannsitzt am Steuer. Die Pailletten auf dem Kleid der Frau schimmern,wenn das Mondlicht darauf fällt. Beide rauchen, die orangefarben

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glühenden Spitzen ihrer Zigaretten bewegen sich im Takt mit denAutoscheinwerfern. Die FRAU lacht über etwas, das der MANN ge-sagt hat, wirft den Kopf zurück, sodass ihr blasser, schlanker Halsunter der Federboa zum Vorschein kommt.

Sie halten vor einem großen, schmiedeeisernen Tor, hinter demeine von hohen Bäumen überschattete Allee zu sehen ist. Der Wa-gen biegt in die Einfahrt ein und fährt durch den dunklen Korridoraus Baumkronen. Wir schauen durch die Windschutzscheibe, bisdas dichte Laub sich teilt und den Blick auf unser Ziel freigibt.

Vor uns auf einem Hügel erhebt sich ein herrschaftliches engli-sches Herrenhaus: drei Stockwerke mit jeweils zwölf spiegelndenFenstern; Gauben und Kamine ragen aus dem Schieferdach. ImVordergrund, mitten auf einem perfekt gepflegten Rasen, prangtein großer marmorner, von Laternen beleuchteter Springbrunnen:riesige Ameisen, mächtige Adler und gewaltige feuerspeiendeDrachen, dazwischen Wasserfontänen, die fast dreißig Meter hochin die Luft schießen.

Wir behalten unsere Position bei und verfolgen, wie der Wagenohne uns um den runden Brunnen herumfährt. Als er vor demHauseingang hält, öffnet ein junger DIENER die Wagentür und hilftder FRAU beim Aussteigen.

Untertitel: Riverton Manor, England. Sommer 1924.

2. Innenaufnahme: Dienstbotentrakt – Abend

Der warme, schwach beleuchtete Dienstbotentrakt von RivertonManor. Eine Atmosphäre emsiger Betriebsamkeit. Wir befindenuns auf Knöchelhöhe und sehen die Beine der Dienerschaft in al-le Richtungen über den grauen Steinboden eilen. Im Hintergrundknallen Champagnerkorken, werden Befehle erteilt, Küchenmäd-

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chen gescholten. Eine Glocke läutet. Immer noch auf derselbenSichthöhe folgen wir dem DIENSTMÄDCHEN in Richtung Treppe.

3. Innenaufnahme: Treppenhaus – Abend

Wir folgen dem DIENSTMÄDCHEN die schwach beleuchtete Treppehinauf; ein leises Klimpern verrät uns, dass ihr Tablett mit Cham-pagnergläsern beladen ist. Mit jedem Schritt hebt sich unser Blick –von ihren schmalen Knöcheln zu ihrem schwarzen Rocksaum,weiter zu den weißen Spitzen der Schürzenschleife und hin zu denblonden Locken in ihrem Nacken – bis wir die Umgebung schließ-lich mit ihren Augen sehen.

Die Geräusche aus dem Dienstbotentrakt werden leiser, währenddie Musik und das Lachen der Gäste lauter werden. Am Ende derTreppe öffnet sich vor uns die Tür.

4. Innenaufnahme: Eingangshalle – Abend

Gleißendes Licht, als wir die imposante, mit Marmor geflieste Ein-gangshalle betreten. An der Decke ein glitzernder Kronleuchter.Der BUTLER öffnet die Haustür, um das elegant gekleidete Paar ausdem Auto zu begrüßen. Ohne innezuhalten durchqueren wir dieEingangshalle und gehen zu der breiten, doppelflügeligen Glastür,die auf die Terrasse führt.

5. Innenaufnahme: Terrasse – Abend

Die Glastüren öffnen sich. Musik und Lachen schwellen an: Wirbefinden uns mitten in einer glamourösen Party. Eine Atmosphä-re von Nachkriegsextravaganz: Pailletten, Federn, Seide, so weitdas Auge reicht. Bunte chinesische Lampions schaukeln an einerüber den Rasen gespannten Schnur im leichten Sommerabend-wind. Eine Jazzband spielt, und Frauen tanzen Charleston. Wir be-

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wegen uns durch die Menge lachender Gesichter. Sie wendensich uns zu, nehmen ein Glas Champagner vom Tablett: eine Fraumit leuchtend roten Lippen; ein dicker Mann, dessen gerötetesGesicht von Erregung und ausgiebigem Alkoholgenuss zeugt; einemagere alte Dame, über und über mit Schmuck behängt, einelange Zigarettenspitze mit aufsteigenden Rauchkringeln in derknochigen Hand.

Plötzlich ertönt ein lauter KNALL, und alle Blicke richten sich nachoben, wo ein riesiges Feuerwerk den Nachthimmel erleuchtet.Freudenschreie und Applaus. Bunte Feuerräder spiegeln sich inden staunenden Gesichtern, die Kapelle spielt noch lauter, unddie Frauen tanzen immer schneller.

Schnitt

6. Außenaufnahme: See – Abend

Einen halben Kilometer weit entfernt steht ein JUNGER MANN amdunklen Ufer des Riverton-Sees. Im Hintergrund sind Partygeräu-sche zu hören. Der JUNGE MANN schaut in den Himmel. Wir nä-hern uns und sehen, wie das rote Licht des Feuerwerks auf seinemschönen Gesicht spielt. Obwohl elegant gekleidet, strahlt er etwasWildes, Ungezähmtes aus. Sein braunes Haar ist zerzaust, fällt ihmin die Stirn und verdeckt beinah seine dunklen Augen, mit denener in panischer Angst in den Nachthimmel starrt. Er senkt den Blickund schaut an uns vorbei zu jemandem hinüber, der im Schattennicht zu erkennen ist. Seine Augen sind feucht, er wirkt plötzlichentschlossen. Seine Lippen öffnen sich, als wollte er etwas sagen,aber er seufzt nur.

Wir hören ein KLICKEN. Unser Blick geht nach unten. Der JUNGE

MANN hält eine Pistole in der zitternden Hand. Er bewegt die Pis-tole aus unserem Gesichtsfeld heraus. Wir hören einen Schuss.

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Seine andere Hand, die an seiner Seite herabhängt, zuckt plötz-lich und erstarrt dann. Der JUNGE MANN stürzt auf den schlammi-gen Boden am Seeufer. Eine Frau schreit, während die Partymusikweiterspielt.

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Abspann: »Nebelschwaden«

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Der Brief

Ursula Ryan

Focus Film Productions

1264 N. Sierra Bonita Ave 32

West Hollywood, CA

90046 USA

Mrs Grace Bradley

Heathview Pflegeheim

64 Willow Road

Saffron Green

Essex, CB10 IHQ UK

27. Januar 1999

Sehr geehrte Mrs Bradley,bitte verzeihen Sie, dass ich mich erneut an Sie wende,aber ich habe leider keine Antwort erhalten auf meinenletzten Brief, in dem ich Ihnen mein Filmprojekt »Nebelschwaden« vorgestellt habe.

Bei dem Film handelt es sich um eine Liebesgeschich-te, die Geschichte des Dichters R. S. Hunter, um seinVerhältnis mit den Hartford-Schwestern und seinenSelbstmord im Jahr 1924. Zwar haben wir die Geneh-migung erhalten, die Außenaufnahmen vor Ort in Riverton Manor zu drehen, werden die Innenszenen jedoch im Studio aufnehmen.

Viele Sets konnten wir anhand von alten Fotos undBeschreibungen rekonstruieren, aber ich würde sie gernvon jemandem beurteilen lassen, der sie aus ersterHand kennt. Der Film liegt mir sehr am Herzen, und

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ich möchte um jeden Preis historische Ungenauigkeitenvermeiden, seien sie auch noch so gering. Ich wäreIhnen also sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie sich be-reit erklärten, sich den Set einmal anzusehen.

Ich habe Ihren Namen (Ihren Mädchennamen) aufeiner Liste in einem von mehreren Notizbüchern gefun-den, die dem Museum of Essex geschenkt wurden. Aufdie Verbindung zwischen Ihnen und Grace Reeves binich nur gekommen, weil ich im Spectator ein Interviewmit Ihrem Enkel Marcus McCourt gelesen habe, in demer kurz die weit zurückreichende Verbundenheit seinerFamilie mit dem Dorf Saffron Green erwähnt.

Beiliegend finden Sie einen kurzen Artikel aus derSunday Times über meine bisherigen Filme, damit Siesich ein Bild von meiner Arbeit machen können, sowieeinen Artikel aus der LA Film Weekly über »Nebel-schwaden«. Sie werden feststellen, dass es uns gelungenist, eine Reihe hervorragender Schauspieler für die Rol-len von Hunter, Emmeline Hartford und Hannah Lux-ton unter Vertrag zu nehmen, unter anderen GwynethPaltrow, die kürzlich für ihre Rolle in »Shakespeare inLove« einen Golden Globe erhalten hat.

Bitte verzeihen Sie mir meine Aufdringlichkeit, aberwir werden bereits Ende Februar in den SheppertonStudios nördlich von London mit den Dreharbeiten beginnen, und ich brenne darauf, Sie persönlich kennen-zulernen. Ich hoffe sehr, Ihr Interesse für dieses Projektgeweckt zu haben, und würde mich freuen, wenn Sieuns Ihre Unterstützung zusagen könnten.

Sie erreichen mich unter folgender Adresse: Mrs JanRyan, 5/45 Lancaster Court, Fulham, London SW6.

Mit freundlichen GrüßenUrsula Ryan

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Geister regen sich

L etztes Jahr im November hatte ich einen Albtraum.Es war das Jahr 1924, und ich war wieder in River-

ton. Alle Türen standen weit offen, seidene Vorhängebauschten sich im Sommerwind. Ein Orchester spielteauf dem Hügel unter dem alten Ahornbaum. Schwung-volle Geigenmelodien, helles Lachen und das Klirren vonKristall erfüllten die warme Luft, und der Himmel er-strahlte in einem Blau, von dem wir alle geglaubt hatten,der Krieg hätte es für immer geraubt. Einer der Diener,adrett in Schwarz und Weiß gekleidet, goss Champagnerin das oberste Glas eines Turms aus Sektflöten, und alleklatschten Beifall und amüsierten sich über diese köstli-che Verschwendung.

Wie es oft in Träumen der Fall ist, konnte ich michselbst zwischen den Gästen sehen. Ich bewegte mich sehrlangsam, viel langsamer, als es in Wirklichkeit möglichist, und nahm die anderen nur noch verschwommen alsMeer aus Seide und Pailletten wahr.

Ich suchte jemanden.Dann änderte sich das Bild, und ich befand mich in

der Nähe des Sommerhauses, nur dass es nicht das Som-merhaus von Riverton war – das konnte es unmöglichsein. Es war nicht das nagelneue Haus, das Teddy selbstentworfen hatte, sondern ein alter Schuppen, umrankt

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von Efeu, das durch die Fenster hineinkroch und sichwie würgend um die stützenden Balken schlängelte.

Eine Frauenstimme, die ich erkannte, rief vom Seeuferhinter dem Haus meinen Namen. Als ich den Weg hin-unterging, streiften meine Hände das Schilf. Am Uferhockte eine Gestalt.

Es war Hannah in ihrem Hochzeitskleid, die amOberteil applizierten Rosen waren mit Schlamm be-spritzt. Sie blickte mit bleichem Gesicht zu mir auf. Alsich ihre Stimme hörte, lief mir ein eiskalter Schauer überden Rücken. »Du kommst zu spät.« Sie zeigte auf mei-ne Hände. »Du kommst zu spät.«

Ich betrachtete meine Hände, junge, mit dunklemFlussschlamm bedeckte Hände; sie hielten den kalten,steifen Körper eines toten Jagdhundes.

Natürlich weiß ich, was den Traum verursacht hat. Es warder Brief von dieser Filmemacherin. Ich bekomme schonlange kaum noch Post: hin und wieder mal eine Urlaubs-karte von pflichtbewussten Freunden, einen nichtssa-genden Brief von der Bank, bei der ich ein Sparkonto un-terhalte, eine Einladung zur Taufe eines Kindes, dessenEltern, wie mir dann plötzlich bewusst wird, inzwischenselbst keine Kinder mehr sind.

Ursulas Brief war an einem Dienstagmorgen EndeNovember eingetroffen, und Sylvia hatte ihn mir ans Bettgebracht. Mit hochgezogenen Brauen hatte sie mit demBrief in der Luft gewedelt.

»Post für Sie. Irgendwas aus den Staaten, nach denBriefmarken zu urteilen. Vielleicht von Ihrem Enkel?«Ihre linke Braue krümmte sich zu einer Art Fragezeichen,und sie senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern.»Schreckliche Sache. Einfach schrecklich. Dabei ist erdoch so ein netter junger Mann.«

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Während Sylvia seufzend den Kopf schüttelte, be-dankte ich mich für den Brief. Ich mag Sylvia. Sie gehörtzu den Wenigen, die hinter meinem faltigen Gesicht dieZwanzigjährige erkennen können, die noch immer in mirlebendig ist. Aber in ein Gespräch über Marcus lasse ichmich deswegen noch lange nicht von ihr verwickeln.

Als ich sie bat, die Vorhänge aufzuziehen, schürzte sieeinen Moment lang die Lippen, dann ging sie zu einemihrer anderen Lieblingsthemen über: das Wetter. Sieüberlegte, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass wirzu Weihnachten Schnee bekämen, und was für eine Ka-tastrophe das für die alten, gebrechlichen Leute wäre.Ich antwortete auf ihre Fragen, war jedoch eigentlich mitdem Umschlag auf meinem Schoß beschäftigt, wunder-te mich über die krakelige Schrift, die ausländischenBriefmarken, die zerknitterten Ecken, die darauf schlie-ßen ließen, dass der Brief einen langen Weg hinter sichhatte.

»Kommen Sie, ich lese Ihnen den Brief vor«, sagteSylvia, während sie meine Kissen noch einmal auf-schüttelte. »Dann können Sie Ihre Augen ein bisschenausruhen.«

»Nein danke. Aber würden Sie mir bitte meine Brillereichen?«

Nachdem sie sich mit dem Versprechen verabschiedethatte, noch einmal zurückzukommen und mir beim An-ziehen zu helfen, sobald sie ihre Runde gemacht hatte,nahm ich mit meinen ständig zitternden Händen denBrief aus dem Umschlag, in der vagen Hoffnung, dassMarcus endlich wieder nach Hause kommen würde.

Doch der Brief war nicht von ihm. Er kam von einerjungen Frau, die einen Film über die Vergangenheit dreh-te. Sie wollte, dass ich mir ihre Kulissen ansah, dass ichmich an Dinge und Ereignisse erinnerte, die lange zu-

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rückliegen. Als hätte ich mich nicht mein Leben langbemüht, all das zu vergessen.

Ich schenkte dem Brief keine weitere Beachtung. Ichfaltete ihn sorgfältig wieder zusammen und steckte ihn inein Buch, das zu Ende zu lesen ich längst aufgegeben hat-te. Und dann atmete ich tief durch. Es war nicht das ers-te Mal, dass ich an das erinnert wurde, was Robbie undden Hartford-Schwestern auf Riverton widerfahren war.Einmal hatte ich das Ende eines Dokumentarfilms imFernsehen gesehen, eine Sendung über Soldatendichter,die Ruth sich gerade anschaute. Als Robbies Gesicht aufdem Bildschirm erschien, darunter sein Name in gera-den Buchstaben, lief ein Prickeln über meine Haut. Abernichts passierte. Ruth zuckte nicht zusammen, der Spre-cher fuhr fort, und ich trocknete weiter die Teller ab.

Ein anderes Mal entdeckte ich beim Studieren derFernsehzeitschrift einen vertrauten Namen in einer Film-beschreibung. Es ging um eine Sendung mit dem Titel»Siebzig Jahre britischer Film«. Mit klopfendem Herzennotierte ich mir die Uhrzeit, überlegte, ob ich es wirk-lich wagen würde, mir das anzusehen. Am Ende schliefich während der Sendung ein. Emmeline wurde nurflüchtig erwähnt. Ein paar Fotos, von denen keins ihrewahre Schönheit zeigte, und ein Ausschnitt aus einemihrer Stummfilme, The Venus Affair, in dem sie einenrecht merkwürdigen Eindruck machte, hohlwangig undmit ruckartigen Bewegungen wie eine Marionette. Es gabkeine Hinweise auf ihre anderen Filme, die beinahe einenSkandal ausgelöst hätten. Wahrscheinlich ist so etwasheute, in Zeiten der sexuellen Freizügigkeit, nicht mehrder Rede wert.

Ich war also durchaus schon mit solchen Erinnerun-gen konfrontiert worden, aber Ursulas Brief war etwasanderes. Zum ersten Mal seit über siebzig Jahren brach-

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te jemand mich in Verbindung mit den Ereignissen, zumersten Mal erinnerte sich jemand daran, dass eine jungeFrau namens Grace Reeves in jenem Sommer auf River-ton gewesen war. Ich fühlte mich irgendwie verwundbar,ertappt und – schuldig.

Nein. Ich würde diesen Brief auf keinen Fall beant-worten.

Und dabei blieb ich.Aber dann passierte etwas sehr Merkwürdiges. Erin-

nerungen, die lange in den dunkelsten Ecken meines Un-terbewusstseins geschlummert hatten, begannen durchRitzen zu sickern. Bilder tauchten vor meinem geistigenAuge auf, so klar und frisch, als wäre nicht inzwischeneine halbe Ewigkeit vergangen. Und dann, nach den ers-ten vereinzelten Rinnsalen, kam die Sintflut: ganze Ge-spräche, wortwörtlich, mit allen Einzelheiten, Szenen,die wie Kurzfilme vor mir abliefen.

Ich wundere mich über mich selbst. Während mein Ge-dächtnis mich schon seit einigen Jahren oft schmählichim Stich lässt, stehen meine Erinnerungen an diese längstvergangenen Ereignisse klar und deutlich vor mir. Siekommen immer häufiger, die Geister der Vergangenheit,und zu meiner eigenen Überraschung beunruhigen siemich gar nicht sonderlich. Längst nicht so sehr, wie ichbefürchtet hatte. Im Gegenteil, die Gespenster, vor de-nen ich ein Leben lang davongelaufen bin, haben inzwi-schen beinahe etwas Tröstliches, ich freue mich auf siewie auf eine von diesen Fernsehserien, von denen Sylviadauernd schwärmt, wenn sie sich beeilt, um mit ihrerRunde pünktlich zum Sendebeginn fertig zu sein. Ich hat-te wohl ganz vergessen, dass unter all den düsteren Erin-nerungen auch einige heitere wiederzuentdecken sind.

Als vergangene Woche der zweite Brief kam, in der-selben krakeligen Handschrift und auf dem gleichen wei-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Kate Morton

Das geheime SpielRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 688 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-29031-0

Diana

Erscheinungstermin: November 2007

Zwei Schwestern, ein geheimes Spiel und eine verbotene Liebe Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kommt Grace Bradley als Dienstbotin nach RivertonManor. Selbst noch nicht erwachsen, bewundert sie die Hartford-Mädchen Hannah undEmmeline, die mit ihrer unbeschwerten Fröhlichkeit für Leben auf dem Anwesen sorgen. Dochdie Begegnung mit dem jungen Dichter Lord Robert Hunter wird Hannah und Emmeline fürimmer verändern. Als einzige Vertraute versucht Grace die beiden Schwestern vor Unheil zubewahren – vergeblich … Mehr als 75 Jahre bewahrt Grace das Geheimnis, bis sie endlich die Wahrheit über jene Tagepreisgibt.