Keine Angst vorm „blauen Blut“: Diese Umgangsformen … · A 15/2 Adelige Umgangsformen heute...

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Z Y X W V U T S R Q P O N M L K J I H G F E D C B A Tipps & Trends Suchwortverzeichnis A 15/1 Adelige Umgangsformen heute www.stil.de Ausgabe 4/2012 21 Keine Angst vorm „blauen Blut“: Diese Umgangsformen gelten in Adelskreisen DARUM GEHT ES: Welche Bedeutung hat der Adel heute? Ist er ein Relikt vergan- gener Epochen? Benötigen Sie spezielle Umgangsformen oder besonderes Wissen, um sich in aristokratischen Kreisen zu bewegen? Lesen Sie, wie Sie im 21. Jahrhundert angemessen mit adeligen Titelträgern umgehen: weder ignorant noch unterwürfig. Die Themen: Adel und Adelstitel sind längst abgeschafft: Stimmt das? . . . . . . 2 So bewegen Sie sich auch in Adelskreisen parkettsicher . . . . . . . 4 1. Gut Informiert ist halb gewonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Gehen Sie sorgsam mit Titeln und Formen um . . . . . . . . . . . . 9 3. Bleiben Sie Sie selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4. Respektieren Sie die adeligen Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Ihr Experten-Team: Agnes Anna Jarosch und Horst Arnold Agnes Anna Jarosch ist Chefredakteurin von „Der gro- ße Knigge“, Buchautorin und zertifizierter Coach. Sie leitet den „Deutschen Knigge-Rat“, schult deutsch- landweit Führungs- und Nachwuchskräfte und wird überregional in den deutschen Medien zitiert (Print, Rundfunk, Fernsehen). Dieser Beitrag entstand in Zu- sammenarbeit mit Horst Arnold, Protokollchef der Bundespräsidenten von 1974 bis 2001. Aktualisierung! Bitte nehmen Sie, falls vorhanden, den veralteten Beitrag A 15 aus Ihrem Ordner heraus.

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Tipps & Trends

Suchwortverzeichnis

A 15/1Adelige Umgangsformen heute

www.stil.de Ausgabe 4/2012 • 21

Keine Angst vorm „blauen Blut“: Diese Umgangsformen gelten in Adelskreisen

DARUM GEHT ES: Welche Bedeutung hat der Adel heute? Ist er ein Relikt vergan-gener Epochen? Benötigen Sie spezielle Umgangsformen oder

besonderes Wissen, um sich in aristokratischen Kreisen zu bewegen? Lesen Sie, wie Sie im 21. Jahrhundert angemessen mit adeligen Titelträgern umgehen: weder ignorant noch unterwürfig.

Die Themen:�� Adel und Adelstitel sind längst abgeschafft: Stimmt das? . . . . . . 2

�� So bewegen Sie sich auch in Adelskreisen parkettsicher . . . . . . . 4

�� 1. Gut Informiert ist halb gewonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

�� 2. Gehen Sie sorgsam mit Titeln und Formen um . . . . . . . . . . . . 9

�� 3. Bleiben Sie Sie selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

�� 4. Respektieren Sie die adeligen Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Ihr Experten-Team: Agnes Anna Jarosch und Horst Arnold

Agnes Anna Jarosch ist Chefredakteurin von „Der gro-ße Knigge“, Buchautorin und zertifizierter Coach. Sie leitet den „Deutschen Knigge-Rat“, schult deutsch-landweit Führungs- und Nachwuchskräfte und wird überregional in den deutschen Medien zitiert (Print, Rundfunk, Fernsehen). Dieser Beitrag entstand in Zu-sammenarbeit mit Horst Arnold, Protokollchef der Bundespräsidenten von 1974 bis 2001.

Aktualisierung! Bitte nehmen

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Adel und Adelstitel sind längst abgeschafft: Stimmt das?Wüssten Sie auf Anhieb, wie Sie sich zu verhalten haben, wenn Sie es bei einem Small Talk mit einer Gräfin, einem Freiherrn oder einer Frau von Exempel zu Musterberg zu tun hätten? Falls nicht, befinden Sie sich in guter Gesell-schaft. Die meisten Menschen sind unsicher, wie sie Ade-lige korrekt ansprechen und sich parkettsicher in Adels-kreisen bewegen.

Häufig bekomme ich zu hören, dass Adel und Adelstitel längst abgeschafft seien. Diese Aussage ist so nicht richtig. Korrekt ist: Artikel 109 Absatz 3 der Weimarer Reichsver-fassung vom 11. August 1919 hebt öffentliche Vorrechte der Geburt auf und bestimmt, dass Adelsbezeichnungen nur noch als Teil des Namens gelten und nicht mehr ver-liehen werden dürfen.

„Hoheit“ und „Durchlaucht“

Nach diesen Bestimmungen sind Anreden wie „König-liche Hoheit“ oder „Durchlaucht“, die den Angehörigen adeliger Familien vor 1919 zustanden, fortgefallen.

Die den Namen vorangestellten Abkürzungen, zum Bei-spiel S. K. H./I. K. H. (Seiner Königlichen Hoheit/Ihrer Kö-niglichen Hoheit) sind ebenfalls entfallen.

Diese Anreden sind nur dann zu berücksichtigen, wenn Verwandtschaften zu regierenden Adelshäusern im Aus-land bestehen. Außerdem werden diese Kürzel im privaten Schriftverkehr sowie beim gesellschaftlichen Umgang in Adelskreisen immer noch gepflegt und verwendet.

hinweis: Welchem Mitglied eines Adelshauses welcher Titel zukommt, ist auch für Kundige nur aus dem jeweili-gen Abschnitt des Genealogischen Handbuchs des Adels zu ersehen.

Keine Vorrechte mehr

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Adelige Abkürzungen und ihre Bedeutung

I. H. Ihrer Hochwohlgeboren

S. H. u. I. H. Seiner Hochwohlgeboren und Ihrer Hoch-wohlgeboren oder

S. I. H. H. Seiner und Ihrer Hochwohlgeboren/-en

S. E. Seiner Erlaucht

I. E. Ihrer Erlaucht

S. D. Seiner Durchlaucht

I. D. Ihrer Durchlaucht

S. K. H. Seiner Königlichen Hoheit

I. K. H. Ihrer Königlichen Hoheit

S. K. K. H. Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit

Faszination für Herrscherhäuser und blaues Blut

Trotz Weimarer Verfassung: Heute, ein knappes Jahr-hundert später, ist die Begegnung mit einer blaublütigen Persönlichkeit für viele Normalbürger immer noch ein be-sonderes Ereignis.

Es bleibt dabei, dass viele Menschen auch heute noch fas-ziniert sind von den Stammbäumen und Wappen, der Tra-dition und den Umgangsformen.

Dem Adel ist es also weitgehend gelungen – Gesetze hin oder her –, die „Aura des Blaublütigen“ als markantes Merkmal zu bewahren – Ausnahmen und Negativbeispie-le aus der Presse bestätigen diese Regel. Die besondere Aura wird gepflegt durch die Formen des Umgangs, die Einstellung und den adeligen Ehrenkodex. Seite A 15/15

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So bewegen Sie sich auch in Adels-kreisen parkettsicherViele Menschen sind schlecht informiert und unsicher: Sie verhalten sich gegenüber Titelträgern entweder ignorant oder unterwürfig. Doch das sollte heute passé sein: Treten Sie in aristokratischen Kreisen respektvoll und angemes-sen, aber auch partnerschaftlich und selbstbewusst auf. Lesen Sie, wie Ihnen das gelingt.

1. Gut informiert ist halb gewonnenAdelige fühlen sich der eigenen Historie, Tradition und Kul-tur überdurchschnittlich verpflichtet. Aus diesem Grund machen auch Sie eine gute Figur, wenn Sie über einige wesentliche kulturelle und historische Besonderheiten des Adels informiert sind.

Königliches Blut und besondere Verdienste

Adelig war/wurde, wer königliches Blut an sich besaß oder den Adelstitel vom König oder von einem anderen Adeligen verliehen bekam – meistens für besondere Ver-dienste, militärische Siege oder aus Gunst. Später wurden in Deutschland auch Beamte und Juristen in den Adels-stand erhoben.

Alle Gruppen dienten dem Oberhaupt, das seinen Thron von Gottes Gnaden erhielt. Den Adelsstand bot der Kö-nig/Kaiser an, um Gefolgsleute enger an seine Macht zu binden, sie zu belohnen und durch Landgabe abzu-sichern, denn mit dem Landbesitz waren Einnahmen verbunden. Die Adeligen schworen dem König Treue bei Gott. Das nannte man die Ständegesellschaft: Jeder hatte seinen festen Platz, den die Nachkommen automatisch übernahmen. Den Stand aus eigener Kraft zu wechseln, war nahezu unmöglich.

Stand durch Geburt

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Welche Bedeutung hat welcher Adelstitel?Kaiser und Könige gibt es in Deutschland nicht mehr, aber die folgenden Adelsbezeichnungen:

Herzogin/Herzog

Der Herzog (altdeutsch „herizogo“ – der, der vor dem Heer zieht) stand unter dem Kaiser/König und gehörte wie er zur Fürstengruppe. Ursprünglich war der Herzog ein er-wählter germanischer Heerführer, in Frankreich wurde er später zum Mittler zwischen dem König und den Grafen. Auf deutschem Boden gab es bis zur Weimarer Verfas-sung etliche Herzog- und Großherzogtümer, die auch das Recht hatten zu adeln.

Fürstin/Fürst

Der einfache Fürst gehört auch zur Gruppe der Fürsten und steht rangmäßig über dem Grafen und dem Prinzen, aber unter dem Herzog. Der Begriff ist abgeleitet von „furisto“, der althochdeutschen Bezeichnung für den Führer eines politischen Verbandes. Es gab geistliche (Erzbischöfe, Bischöfe) und weltliche Fürsten (Mark- und Pfalzgrafen, Kurfürsten), die den Kaiser wählten. Fürstenhäuser gibt es in Deutschland noch – aber keine regierenden mehr.

Prinzessin/Prinz

Als Prinzessin oder Prinz wurden in Deutschland die standesgemäßen Nachkommen eines Fürsten, Königs oder Herzogs bezeichnet. Nahm der Prinz als Nachfolger seinen Platz ein, ging der Fürstentitel des Vaters auf ihn über.

Gräfin/Graf

Der Graf war ursprünglich mit dem Fürsten gleichgestellt, wurde diesem aber später untergeordnet. Er war Amts-träger eines Königs oder Fürsten, besaß Land und hatte besondere Vorrechte. Sein Verwaltungsbezirk hieß Graf-

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schaft, der Adelstitel wurde später jedoch auch ohne ein Amt verliehen. Grafen gehörten zum niederen Hochadel.

Freifrau/Freiherr und Baronin/Baron

Freiherren gehörten im Mittelalter genau wie Ritter und Edle zum niederen Adel. Der Freiherr war ursprünglich – etwa im Gegensatz zum abhängigen Bauern – ein freier Mann. Der Titel „Baron“ entspricht dem des „Freiherrn“. Dieser Titel wurde außerhalb von Deutschland verliehen, zum Beispiel im Baltikum.

„Baron“ und „Freiherr“ sind nicht beliebig austauschbarEin Freiherr wird häufig als Baron bezeichnet. Das ist allerdings nicht korrekt. Seit der Weimarer Verfas-sung gelten adelige Anreden wie Freiherr oder Baron als Namensbestandteile. Das bedeutet: Ein Anrecht auf die Anrede „Baron“ besteht heutzutage, sofern der Na-mensbestandteil „Baron“ im Pass vermerkt ist. Das ist bei Freiherren in der Regel nicht der Fall. Baron und Freiherr können heutzutage, wenn man es genau nimmt und sich an die Regeln hält, nicht wie Synonyme aus-getauscht werden.

Ritter und Edle

Ritter und Edle standen zwischen dem titulierten und dem untitulierten Adel. Ritter waren die adeligen Gefolgs-leute und Kriegsdiener des Hochadels. Erfüllte man die sittlichen und militärischen Maßstäbe, konnte man vom Herrscher oder von einem anderen Adeligen zum Ritter erhoben werden. Als Edle bezeichnete man vor allem in Süddeutschland und in Österreich einen Adelsstand, der unter dem Freiherrn/Baron, aber über dem untitulierten Adel stand.

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Untitulierter Adel

Diese Gruppe ist die größte. Sie besteht aus den Familien des Niederadels, die nur ein „von“ oder ein „von und zu“ in ihrem Namen haben. Es kann auch sein, dass Adelsfa-milien gar kein Adelszeichen führen.

Warum wird das adelige „von“ mit „v.“ abgekürzt?Vielleicht fällt Ihnen auf, dass Adelige das „von“ in ihrem Namen in der Regel mit „v.“ abkürzen. Das hat geschichtliche Gründe: In der preußischen Armee kam es im 19. Jahrhundert immer öfter vor, dass Nichtadeli-ge den Offiziersrang erreichten. Häufig waren es Frie-sen oder Holländer, deren „van“ im Namen in ein „von“ abgeändert wurde. Um die Unterscheidung – adelig oder nicht – zu ermöglichen, einigten sich die Adeligen in der norddeutschen Region darauf, ihre Namen mit einem „v.“ abzukürzen. Heute gilt die seit 1919 verwen-dete Form als verbindlich.

Adel versus Bürgertum – auch heute noch?Lange Zeit waren Hochzeiten zwischen Hochadel und nied-rigem Adel oder einfachen Landsleuten ausgeschlossen. Eheschließungen hatten die Aufgabe, die Macht und den Einfluss des eigenen Familienstamms zu mehren. Außer-dem glaubte man früher, dass das Blut eine göttliche Kraft hätte und geschwächt würde, wenn man unadelig oder un-terhalb seines Standes heiratete. Man blieb unter sich und kommunizierte nur mit seinesgleichen auf einer Augenhöhe.

Gleich und gleich gesellt sich gernAuch heute heiraten Adelige sehr oft untereinander. Das hat in den meisten Fällen nichts mit Hochmut zu tun, sondern mit dem Bekanntenkreis oder mit den ähnlichen

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Wertevorstellungen und Interessen. Ein Metzger wird heutzutage schließlich auch kaum etwas dagegen haben, wenn seine Tochter einen fleißigen Berufskollegen heira-tet. Heutzutage steht selbstverständlich auch in regieren-den Königs- und Fürstenhäusern die Liebe an erster Stelle, wenn es um die Eheschließung geht.

Vererbung von Adelstiteln früher und heuteWährend der Monarchie wurde der volle Familienname samt Adelstiteln vom Vater auf das ehelich gezeugte Kind übertragen. Uneheliche Kinder und Adoptivkinder erhielten nur den Familiennamen, aber keinen adeligen Rang. Heut-zutage zählen Adelstitel als Namensbestandteile und wer-den auch auf Adoptiv- und uneheliche Kinder übertragen.

Entspannter UmgangIm Großen und Ganzen ist der Umgang mit dem Adel heutzutage entspannt. Lediglich in regierenden Königs- und Fürstenhäusern ist bei offiziellen Anlässen ein mehr oder weniger strenges Protokoll zu befolgen.

Etikette im englischen Königshaus – Begegnungen mit der Royal FamilySollten Sie einmal die große Ehre haben, einem Mit-glied der Royal Family zu begegnen oder vielleicht eine Einladung zu einem der zahlreichen Anlässe zu erhalten, bei denen auch die Queen oder eines ihrer Fa-milienmitglieder anwesend ist, gelten strenge Etikette-vorschriften:

� Die Damen machen bei der Begrüßung während des Händereichens einen leichten Knicks (nicht übertreiben).

� Die Herren verbeugen sich leicht mit dem Kopf, ma-chen jedoch keinen Diener aus der Hüfte.

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� Bei der ersten Begrüßung sprechen Sie die Queen mit „Her Majesty“ an, die Familienmitglieder mit „Your Royal Highness“. Im weiteren Gesprächsverlauf wird lediglich das „Ma’am“ oder das „Sir“ verwendet.

� Ändern Sie nicht das Thema, das von einem Mitglied der königlichen Familie begonnen wurde.

� Es ist unhöflich, eine Party vor der Queen zu verlas-sen, es sei denn, Sie haben wichtige Gründe.

In Deutschland gibt es keine regierenden Adelshäuser und kein strenges Hofprotokoll mehr. Im Umgang mit deutschen Adeligen genügt es, wenn Sie Ihre gewohnt guten Umgangsformen an den Tag legen.

2. Gehen Sie sorgsam mit Titeln und Formen um

Alle Menschen wissen es zu schätzen, wenn man ihren Namen richtig ausspricht und eine korrekte Anrede wählt. Die wenigsten wissen jedoch ad hoc, wie man Adelige richtig anspricht: „Herr Graf“ oder einfach nur „Herr von Beispielshausen“?

„Herr Graf“ sagten früher nur die Bediensteten, deswegen ist diese Ansprache nicht empfehlenswert. Da der „Graf“ jedoch seit der Weimarer Verfassung ein Namensbestand-teil ist, wäre streng genommen die Anrede „Herr Graf von Beispielshausen“ korrekt. Doch das sagt niemand; statt-dessen hat es sich eingebürgert, den Zusatz „Herr“ oder „Frau“ wegzulassen. Da die Anredeformen „Herr Baron“ oder „Frau Gräfin“ für das Dienstpersonal reserviert wa-ren, sind diese Anreden heute üblich:

� Graf: Graf (von) Beispielshausen

� Freifrau: Frau (von) Beispiel

� Baron: Baron (von) Exempel

� Herzogin: Herzogin (von) Musterreich

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Mit „von“ oder ohne?Das „von“ oder das „von und zu“ kann wegfallen, wenn Sie Barone, Herzoginnen oder Grafen mündlich oder schrift-lich ansprechen, zum Beispiel: Gräfin von Beispielshausen oder Gräfin Beispielshausen.

Untitulierte AdeligeUntitulierte Adelige, beispielsweise „Hans von Muster“, sprechen Sie mit „Herr von Muster“ an. Auch viele titu-lierte Adelige wählen diese simple Anrede für sich und verzichten im Gespräch auf ihren Titel. Ihnen genügt die Anrede „Herr von Beispielshausen“ statt „Graf (von) Bei-spielshausen“. Bitte beachten Sie: Auf das „von“ nach dem „Herrn“ sollten Sie in diesem Fall jedoch nicht verzichten!

mein tipp: Sollten Sie unsicher sein, wie jemand an-gesprochen werden will, fragen Sie nach. Das ist weder ein Fauxpas noch eine Schande.

Das Problem mit dem UnderstatementViele Adelige legen Wert auf Understatement und stellen sich selbst ohne Adelstitel vor. Sie wollen niemanden mit ihrem Namen beeindrucken oder gar einschüchtern. Graf von Beispielshausen würde sich beispielsweise bescheiden als „Bernd (von) Beispielshausen“ vorstellen – nach dem Motto: Man rühmt sich nicht selbst.

In Adelskreisen geht man außerdem davon aus, dass spätes-tens bei der Namensnennung klar ist, mit wem man es zu tun hat. Schließlich kennt man sich, ist über einige Ecken mitei-nander verwandt und deswegen häufig auch per Du.

Die korrekte Vorstellung ist wichtig

Achten Sie nichtsdestotrotz darauf, dass Sie Titelträger immer korrekt mit ihrem ganzen Namen samt Titel vor-

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stellen, damit sie auch von neuen Bekanntschaften korrekt angesprochen werden.

Wissen Sie nicht, dass jemand adelig ist, muss Ihnen das nicht peinlich sein, und Sie brauchen sich auch nicht zu entschuldigen. Reden Sie Ihr Gegenüber korrekt mit Titel an, sobald Sie davon erfahren.

Was bedeutet „ohne Tritt“?Bewegen Sie sich als Nichtadeliger in konservativ-adeli-gen Kreisen, kann bei der Vorstellung der Zusatz „Berta Beispiel, ohne Tritt“ sinnvoll sein. Ihre neue Bekannt-schaft weiß dann, dass Sie keinen Adelstitel haben und dass sie Sie mit „Frau Beispiel“ richtig anspricht.

Keine Angst vor FehlernJohannes Baron von Mirbach schreibt in dem Büchlein „Adelsnamen, Adelstitel“, dass niemand von seinem Ge-genüber die historisch richtige Anrede verlangen, kann:

„Es kann nicht der Sinn unserer traditionsreichen FOR-MEN sein, dass diese zwischen uns Barrieren aufbauen, nur weil wir Angst haben, durch einen Fehler in Form und Anrede als ‚formlos‘ aufzufallen. Wir müssen uns den le-bendigen Kontakt untereinander erhalten, wir müssen uns möglichst oft begegnen, wir müssen unsere Kinder in die Gemeinschaft hineinwachsen lassen, und diesen Zielen dürfen unsere FORMEN nicht im Wege stehen.“

Diese Ansicht teilt auch „Der große Knigge“. Ob ein Adeliger eher moderne oder klassische Anreden und Um-gangsformen pflegt, können Sie nicht erahnen. Folgende Indizien helfen Ihnen bei der Einschätzung:

Alter: Je älter eine adelige Person, desto eher ist sie kon-servative Umgangsformen und Anreden gewohnt.

Religion: Der katholische Adel pflegt alles in allem eine strengere Etikette als der protestantische.

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Region: In Norddeutschland sowie in Großstädten ist die Vorherrschaft des Adels im Gegensatz zu Süddeutschland und ländlichen Regionen relativiert.

Gesellschaftliche Position: Adelige, die sich als Aristo-kraten (Elite – „Herrschaft der Besten“) in politischen und wirtschaftlichen Führungs- und Entscheiderrollen verste-hen, denken unter Umständen eher hierarchisch als Ade-lige, die normale „bürgerliche“ Berufe (Journalist, Archi-tekt, Floristin etc.) ergreifen.

3. Bleiben Sie Sie selbstMüssen Sie sich gegenüber adeligen Menschen anders ver-halten als sonst? Die Antwort muss Nein lauten, schließ-lich sind Adelige auch nur Menschen – wie Sie und ich. Diese Meinung teilen auch viele Titelträger.

Was zeichnet den Adel heute aus?„Was kannst du als Adeliger mir zum Adel sagen, wie benimmt man sich mit Adeligen, was würdest du mir raten?“ Ich rief einen netten Bekannten an, der als Au-tor über das Schicksal seiner uralten adeligen Familie von sich hatte reden machen. Er ist originell, witzig, wortgewandt, gebildet, er hat viel Erfolg, wird zu al-lem Möglichen im Fernsehen befragt, sitzt in Talk-shows neben Rappern, kommt mit allen Leuten klar, hat in internationalen Gremien gearbeitet, alle sagen, er sei charmant – vor allem: Er sagt mir die Wahrheit. Seine Antwort: „Adel, meine Liebe, das ist nur noch eine Erinnerung. Adel ist in den besten Fällen Talent, ansonsten, wenn Adelige gut geraten sind, nehmen sie sich nicht wichtig.“

Doch auch wenn Ihr adeliger Gesprächspartner sich selbst nicht zu wichtig nimmt, sollten Sie ihn wichtig genug neh-

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men. So ist zum Beispiel die korrekte Anrede für jeden Menschen ein Zeichen des Respekts. Und auf solche Zei-chen des Respekts wiederum legen viele Adelige besonde-ren Wert. Für sie sind Manieren und Umgangsformen kein steifes Korsett, sondern eine sinnvolle, bewahrenswerte Hilfe im täglichen Alltag. Nicht Egoismus oder die eigene Bequemlichkeit bestimmen ihr Handeln, sondern die Ach-tung vor dem anderen, vor Ihnen. Wenn es also eine Regel im Umgang mit Adeligen gibt, so lautet sie: Verhalten Sie sich wie immer. Denn: Sie sind, was Sie sind, ganz gleich wer Ihnen gegenübersteht.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?

Viele Adelige verfolgen heute nach wie vor das Ziel, selbstlos zum Wohle der Familie und der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen und sich für christliche oder humanistische Ideale einzusetzen. Im 18. Jahrhun-dert schrieb der englische Staatsphilosoph Edmund Bur-ke: „Der König kann einen Mann in den Adelsstand er-heben, einen Gentleman kann er nicht aus ihm machen.“

Für Normalbürger gilt im Gegensatz dazu: Heute wird niemand mehr in den Adelsstand erhoben, doch nobel und ehrenhaft kann jeder sein. Mit einem solchen Ziel kom-men wir auch den „adeligen Tugenden“, dem Ehrenkodex und dem Hauch des Besonderen etwas näher.

Stehen Sie zu Ihren Überzeugungen

Viele Adelige haben großen Respekt und Wertschätzung für die Traditionen und Werte ihrer Urahnen. Der Dyna-mik zwischen Ererbtem und Neugewonnenem ist aller-dings jeder ausgesetzt:

„Es erben sich Gesetz’ und Rechte Wie eine ew’ge Krankheit fort, Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte Und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Wahnsinn, Wohltat Plage;

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Weh dir, dass du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, Von dem ist leider! nie die Frage.“(aus: „Faust“, J. W. von Goethe)

Traditionelle und moderne UmgangsformenWandel vollziehen sich nicht überall in der Gesellschaft gleich schnell. In adeligen Kreisen werden Sie unter Um-ständen mit Umgangsformen konfrontiert, die Ihnen etwas antiquiert erscheinen mögen. Als Dame werden Sie zum Beispiel mit „Sehr verehrte Frau Muster“ angeschrieben. Als Herr hören Sie: „Gestatten Sie, dass ich Sie vorstelle?“

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Adel über die moder-nen Entwicklungen bei den Umgangsformen nicht infor-miert wäre. Im Gegenteil: 2004 traten in der „Benimm-Show“ von Thomas Gottschalk die Gruppen „Adel“, „Motorradfahrer“, „Service-Kräfte“ und „Jugendliche“ gegeneinander an. Das Ergebnis: Die adeligen Gäste wussten mit Abstand am besten über die zeitgemäßen Umgangsformen Bescheid.

Traditionelle Formen und WerteDer Adel sieht die konventionellen, klassischen Umgangs-formen vielmehr als Kultur- und Erbgut, das er gern pflegt und erhält. Er ist oft nicht so trendig und innovativ, aber auch nicht so hektisch, wankelmütig, schnelllebig oder überstürzt wie manch andere Bevölkerungsgruppe. Der Vorteil: Beständigkeit gibt gerade in wirtschaftlich oder politisch unsicheren Zeiten Orientierung.

Sie brauchen die Formen des Adels nicht zu übernehmen: Bleiben Sie bei Ihren Umgangsformen und Ihrem Ver-ständnis von Höflichkeit. Sie müssen auch nicht mit „vor-züglicher Hochachtung“ oder mit „angenehm“ antworten. Formulierungen wie „Mit besten Grüßen“ oder „Ich freue mich, Sie kennenzulernen“ sind auch in adeligen Kreisen angemessen.

Umgangsformen als Kulturgut

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4. Respektieren Sie die adeligen WerteAdel verpflichtet – doch wozu eigentlich? Traditionell zum selbstlosen Dienst am Menschen und zur Ausbildung von Talenten, Tugenden und Tüchtigkeit.

Es gibt einen „ethischen Kodex des europäischen Adels“, den auch deutsche Adelsverbände unterstützen. Darin wird den adeligen Mitgliedern empfohlen, sich für das Wohl einer europäischen Gesellschaft einzusetzen. Fol-gende Werte gelten als zukunftsweisend, erstrebens- und erhaltenswert:

1. geistig-moralische Werte: Respekt gegenüber ande-ren religiösen und philosophischen Traditionen, Würde der Person, Förderung der Menschenrechte unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und Rasse, uneigennützi-ges Dienen, Übernahme von Verantwortung, Wort hal-ten, Verpflichtungen erfüllen.

2. familiäre Werte: Förderung von Familiensinn und Fa-milienverband, Betrachtung der Familie als Ausgangs-punkt der Gesellschaft, Würdigung der Ehe, „Schön-heit der ehelichen Liebe“, Schutz des kulturellen Erbes, Erinnerung der Verstorbenen, Erhaltung der Familien-traditionen und der -solidarität, Achtung zwischen den Generationen.

3. gesellschaftliche Werte: Berufung zur Verantwortung, zur Führung zum Wohl aller – und nicht der eigenen Vorteile willen – Erwerb von Sprachkenntnissen und Führungskompetenzen, Profession statt Mittelmäßig-keit, Bürgersinn, Aufbau Europas, gemeinwohlorien-tiertes Handeln.

Schon im Mittelalter galt: Ritterliches und adeliges Ver-halten sollten geprägt sein durch Fairness, Höflichkeit, Selbstbeherrschung und Zurückhaltung. Sich um diese Werte bemühen zu können, war damals ein Privileg derer, die eine Ausbildung genossen hatten und nicht mehr um das tägliche Überleben bangten.

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Der perfekte AdeligeAus dem adeligen Selbstverständnis ergibt sich ein gewis-ser Lebensstil, der vielleicht für den Hauch des Besonde-ren mitverantwortlich ist und der – gemäß dem adeligen Ehrenkodex – gepflegt werden sollte:

� Der perfekte Adelige kümmert sich um das Wohlerge-hen anderer und wahrt die Umgangsformen.

� Er hat Sinn für Heimat und empfindet einen gesunden Stolz für sein Land. Auch wenn er heute keine Lände-reien mehr besitzt, bleibt die Verbundenheit zu Grund und Boden, Land und Wald: Vielleicht ist er Land-schaftsarchitekt, Förster oder er geht auf die Jagd.

� Seine Kinder wählen ihren Beruf nicht vorrangig nach Prestige und Verdienst aus, sondern bedenken ihren Nutzen für die Gesellschaft.

� Zu seinen Pflichten gehören der Umweltschutz und ein bewusster Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

� Er ist nicht humorlos, sondern erkennt die positive Wir-kung des Humors in der Gesellschaft an.

Ihr Lebensstil entscheidetSie merken: „Der perfekte Adelige“ ist längst nicht mehr an Adelsprädikate gebunden. Die Werte, der Ehrenkodex und der Lebensstil stehen heutzutage auch Ihnen – unabhängig von Ihrer Herkunft und Ihrer monetären Situation – offen. Sie haben die freie Wahl, auf Fairness und Höflichkeit zu setzen.

Wie also sollen Sie mit Adeligen umgehen? Die Frage lässt sich mit Mark Twain (amerikanischer Schriftsteller) be-antworten. Er sagte: „Freundlichkeit ist eine Sprache, die Taube hören und Blinde lesen können.“ Der Satz lässt sich ergänzen: Freundlichkeit ist eine Sprache, die Adelige und Nichtadelige gleichermaßen sprechen und verstehen.