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KEN WILBER UNPLUGGED
Christina Kessler, Anne Devillard und Bob Richards
im Gespräch mit Ken Wilber
11. Mai 2002
Wir sind alle Pioniere
Chris t ina: Ken, zurze i t genießt Du besonders in Deutsch land große
Popular i tät . Arbei t s - und Gesprächskre ise , Inst i tute usw. , d ie s i ch mit
Deinen Theor ien beschäf t igen, s chießen wie Pi lze aus dem Boden. Es hat den
Ansche in , dass d ie Deutschen aufgrund ihres phi losophischen Erbes e ine
besondere Aff in i tät zu Deinem Ansatz haben.
Ken: Ich selber empfinde mich als nordeuropäischen Denker mit südeuropäischem
Lebensstil. Alle großen systematischen Denker – von denen die meisten Deutsche
waren – sind wirklich außergewöhnlich. Wenn wir die Philosophen der westlichen
Tradition betrachten, kommen tatsächlich 70 oder 80 % aus dem
deutschsprachigen Raum. Ich denke, dass wohl deshalb eine bestimmte Sympathie
mit den Schritten, die ich zu gehen versuche, besteht. Diese Schritte wurden bereits
von einigen der großen europäischen Denker vorbereitet, z. B. den Idealisten, den
Naturphilosophen und der ganzen Tradition der integrativen Vernunft. Das war
bereits transrationale Spiritualität.
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Und was den südeuropäischen Lebensstil betrifft: Ich liebe es ganz einfach, am
Strand zu liegen, Wein zu trinken und Pasta zu essen.
Heute erleben wir einen Zeitabschnitt in der Geschichte der Menschheit, in dem
uns erstmals das Wissen und die Einsichten aller Kulturen dieser Welt in vollem
Umfang zur Verfügung stehen. Es ist wirklich umwerfend, sich das klar zu machen.
Und das Kennzeichnen des integralen Anliegens, ja seine Keimzelle überhaupt, ist,
die Essenz dieses Wissens herauszukristallisieren.
C: Ja, es i s t e in e inzigart iger Augenbl i ck in der Weltges chi chte und deshalb
s ind die Chancen für pos i t ive Neuerungen sehr groß.
Ken: Richtig, das geschah niemals zuvor. Die Herausforderungen sind groß, aber
auch die Belohnungen, und wir sind alle Pioniere. Was ich am Integralen mag: Es
verwandelt und vervollkommnet unser Wissen. Und was ich daran mag, ein Pionier
zu sein, ist, dass du ein absoluter Idiot sein und trotzdem einen bedeutenden
Beitrag leisten kannst.
C: (lachend): Nun, von Dir kann man nicht gerade behaupten, dass Du e in
Idiot b is t . Du bis t der Pionier der neuen integra len Phi losophie , d ie s i ch
gerade durchzusetzen beg innt . Vie le Menschen f inden Deine Bücher j edoch
schwier ig zu l esen . . .
Ken (neckend): Nicht die Deutschen!
C: Doch, auch. . .
Ken (lacht) Nein, nur die Amerikaner!
C: Nein, es i s t wirkl i ch so . Nicht e inmal 50% der Leser vers t ehen Deine
vo luminösen Arbei t en in e iner Weise , dass s i e Deine Gedanken wirkl i ch auf
den Punkt br ingen und mit ihnen e twas anfangen können. Vie le meinen, Ken
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Wilber l e sen zu müssen, klappen aber nach e in paar hundert Se i t en das Buch
wieder zu, wei l s i e e in fach über forder t s ind.
Ken: Ich verstehe, ich verstehe.
C: Deshalb i s t e s wicht ig - und nicht nur wicht ig , sondern notwendig . . . .
Ken: .. es gemeinverständlich darzustellen, es zugänglicher zu machen.
C: Ja. Eben darum geht es unserer Meinung nach im Augenbl i ck. Deshalb i s t
e s unser heut iges Anliegen, de ine Hauptgedanken e inmal in e iner l e i cht
vers tändl i chen Form darzuste l l en . Deine Ideen s ind wicht ig für unsere
Zukunft und deshalb müssen wir s i e vers t ehen.
Ken: Wenn das Thema auf diese Dinge kommt, habe ich üblicherweise ein paar
Jokes parat. Nehmt diese nicht zu wörtlich. Aber wenn Ihr an wirklich schwierige
Autoren denkt – jeder deutsche Philosoph, dessen Name mit einem H beginnt, ist
schwierig zu lesen: Horkheimer, Hegel, Heidegger, Husserl, Habermas. Die sind
wirklich schwierig. Ken Wilber ist weit entfernt von jenen deutschen Philosophen,
deren Namen mit einem H beginnen. I´m kidding. I´m joking.
C: Ja. Habermas z. B. i s t wirkl i ch s chreckl i ch zu l esen . Während meiner
Studienzei t en habe i ch ihn gehass t . I ch habe ihn gehass t (lachend). Anfangs war
i ch deshalb ers taunt , ihn in Deinen Arbei t en zu f inden.
Ken: Ja, viele Amerikaner haben Habermas erst durch meine Bücher kennengelernt.
Ebenso ist es mit Schelling und Fichte. Ich bin durchaus Deiner Meinung. Die
Schwierigkeit ist jedoch eine andere: wenn du wirklich ernst genommen werden
willst, musst du wie ein Heidegger oder ein Habermas oder ein Husserl schreiben.
In der Philosophie und in den akademischen Kreisen herrscht ein bestimmtes
Elitedenken. Willst du in diesen Kreisen – besonders in Amerika - ernst genommen
werden, musst du gewissermaßen beweisen, dass du zu hochgradig analytischem
Denken fähig bist. Nun, in gewissem Sinne werde ich von der akademischen
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Philosophie nie richtig ernst genommen werden. Ich passe einfach nicht in deren
Typ von Spiel, das, so denke ich, extrem begrenzt ist, weil es bestimmten Regeln
und Vorschriften folgt und eine Club-Mitgliedschaft erfordert. In der Tat ist das
einzige, was du tun musst, um ein offizieller Philosoph zu werden, den Rest der
Welt vollständig zu ignorieren. Aus irgendeinem Grund wird ein solcher
Charakterzug bei diesen Philosophen hochgeschätzt. Und das verstehe ich nicht.
C: Aber die meis t en Deiner Schr i f t en s ind hoch akademisch.
Ken: Aber sie sind leicht zu lesen, oder? Eros, Kosmos, Logos zum Beispiel. Ich
bemühe mich, selbst wenn der Grundgedanke äußerst komplex ist, jeden Satz klar
auszudrücken. Ich versuche Klartext zu reden. Jeder Baustein des Gebäudes ist
sehr, sehr klar. Es ist wie ein Hochhaus mit 42 Stockwerken und all den
dazugehörenden Zimmern und Abteilungen – eine sehr komplexe Struktur. Aber
wenn du gewillt bist, dich hinzusetzen und es zu lesen, dann ist es trotz seiner 800
Seiten eines der einfachsten, leichtesten Bücher. Jeder Satz macht Sinn und ist,
meiner Meinung nach, klar und geradeaus. Wenn die Leute einen tiefen Atemzug
nehmen und dann eintauchen, haben sie in der Regel eine gute Zeit. Unter diesem
Gesichtspunkt unterscheidet sich meine Arbeit doch gewaltig von dem, was
Philosophen normalerweise tun. Wenn die einen Satz formulieren, der einfach und
klar verständlich ist, meinen sie gleich, sie hätten ihre Aufgabe verfehlt, die da
lautet: einen Gedanken so tiefgründig zu erforschen und so verworren zu
formulieren, dass niemand ihn mehr versteht.
C: Aber auch be i Deinen Büchern muss man vorher zumindes t e ine Ahnung
von der Thematik haben, um mitzukommen. Ohne Vorbi ldung hat man auch
be i Dir keine Chance .
Ken (lachend): Das ist wahr.
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C: Also noch e inmal . Wir g lauben, es i s t nun an der Zei t , dem „normalen
Menschen“ e ine e in fache Darste l lung zu präsent i eren und ihm e ine Art
Highl ight anzubie ten , das ö f fne t und Interesse erweckt . Es i s t wicht ig , Ken.
Es i s t wirkl i ch wicht ig . Deine Ideen s ind wicht ig für unsere Zukunft und
deshalb müssen auch wir „Normalbürger“ s i e vers t ehen.
Ken: Ok. Ich werde Euch also einige meiner eher leicht zugänglichen und allgemein
verständlichen Versionen offerieren. Warum fangen wir nicht an mit...? (überlegt) Ja,
wir beginnen mit einer Zusammenfassung, - mit einer der simpelsten
zusammenfassenden Darstellungen, deren ich im Moment fähig bin.
C: Prima. Wir l ehnen uns s chon mal zurück (lachend).
All quadrants, all levels
Ken: Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit basiert auf dem Versuch, alle bekannten
Formen menschlichen Wissens und menschlicher Erfahrung in ein allumfassendes
System oder Modell zu integrieren. Dabei handelt es sich nicht um ein
geschlossenes System, wie beispielsweise das Hegelianische, sondern um ein sehr
offenes, sehr fließendes, in dem auch Raum für neues Material vorhanden ist.
Bevor ich jedoch zum einfachen Teil komme, muss ich zunächst die technischen
Seiten des Modells erklären: alle Quadranten, alle Ebenen, alle Linien, alle
Zustände, alle Typen. Manchmal sprechen wir auch von AQAL - eine Abkürzung
für „all quadrants, all levels“.
Die einfache Version davon ist folgende:
Wenn wir die bekannten Sprachen der Welt anschauen, werden wir feststellen, dass
alle ein erstes, zweites und drittes Personalpronomen besitzen. Während der
gesamten Evolution der Menschheit gab es also die sehr realen Dimensionen des
„Ich“, „Du“ und „Es“. Für das „Du“ lässt sich auch „Wir“ einsetzen. Also haben
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wir eine Ich-Dimension, eine Wir-Dimension und eine Es-Dimension. Die
Tatsache, dass alle Sprachen diese drei Pronomen besitzen, zeigt, dass es sich dabei
um wirklich reale Dimensionen handelt, die in allen Kulturen und allen
Evolutionsstadien zu finden sind. Es handelt sich um universelle Dimensionen.
Diese spiegeln sich in den Bereichen des Guten, des Wahren und des Schönen
wider. Das Schöne z.B. liegt im Auge des Betrachters, dem „Ich“ des Betrachters;
es ist die ästhetische Dimension. Die objektive Wissenschaft beschäftigt sich
dagegen mit dem „Es“ bzw. mit Objekten. Ethik und Moral schließlich befassen
sich mit der „Wir“-Dimension und dem Guten, das wir uns gegenseitig antun
wollen. So stehen das Ich, das Wir und das Es für Kunst, Moral und Wissenschaft -
das Schöne, das Gute und das Wahre. Dies sind Dimensionen der Wirklichkeit, die
wir überall auf der Welt finden. Deshalb bilden sie die Grundlage meiner
Quadranten-Theorie. Wobei das „Es“ natürlich in der Einzahl als „Objekt“ oder
in der Mehrzahl als „Objekte“ auftreten kann.
Das ist also der erste Teil: die Quadranten. Dementsprechend ist es die erste
Aufgabe - egal mit welcher Thematik wir uns befassen - diese vier Dimensionen,
die vier völlig verschiedene Perspektiven einer bestimmten Entität erfassen,
abzuchecken. Jede Entität kann auf künstlerische, wissenschaftliche und moralische
Art erfassen werden – und keine dieser Seiten darf vernachlässigt werden, wollen
wir uns auf eine integrale Art annähern.
Der zweite Teil bezieht sich auf das Spektrum des Bewusstseins, sozusagen auf die
Ebenen oder Zustandsformen des Bewusstseins, um sie gleich alle gemeinsam
abzuhandeln. Jeder Mensch durchläuft abwechselnd den Wachzustand, den
Traumzustand und den formlosen Zustand während des Tiefschlafs. Und es ist
offensichtlich, dass aus den verschiedenen Bewusstseinszuständen in gewissem
Sinne sehr verschiedene „Welten“ entstehen.
Darüber hinaus kennen wir meditative Bewusstseinszustände, intuitive
Bewusstseinszustände usw. Jeder Bewusstseinszustand zeigt uns eine andere Welt.
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Wir können eine komplette Landkarte erstellen aus den uns bekannten Zuständen,
die Männer und Frauen auf der ganzen Welt haben: schamanische
Bewusstseinszustände, wissenschaftliche, künstlerisch-kreative usw. Und wir
können grundsätzlich annehmen, dass sie alle etwas Wichtiges über das Wesen der
Wirklichkeit aussagen.
Wenn wir nun jenen zweiten Teil, den wir „all levels“ oder „all states of consciousness“
nennen mit dem erstgenannten Teil der Quadranten oder den Ich-, Wir- und Es-
Dimensionen zusammenbringen, gelangen wir zu der Erkenntnis, dass jeder
Bewusstseinszustand in einem subjektiven Sinn betrachtet werden kann - in Begriffen
der Ästhetik oder des Selbst-Ausdrucks -, des weiteren auf einer moralischen
Dimension, und dass er schließlich auch wissenschaftlich erforscht werden kann.
AQAL bedeutet also, dass grundsätzlich jeder Typus menschlicher Erfahrung in
einen Gesamtüberblick eingeordnet und wie auf einer Landkarte lokalisiert werden
kann. Der Vorteil einer solchen Gesamtschau ist, dass die Beziehungen und
Verwandtschaften der verschiedenen Disziplinen, ob Politik, Wirtschaft,
Soziologie, Philosophie o.a. auf einen Blick ersichtlich werden. Aber mehr noch:
Wenn wir eine komplette Landkarte der menschlichen tradition besitzen, werden wir
auch das Eigen-Potential dieser Disziplinen wesentlich effektiver nutzen können.
Vergleichbar ist dies mit einer Landkarte der Alpen. Besitzen wir eine gute Karte,
so kommen wir schnell und sicher ans Ziel. Besitzen wir dagegen eine schlechte,
werden wir an einem Berghang zerschellen. Die meisten der heutigen Disziplinen,
seien es Wissenschaft, Medizin oder Erziehungswesen, haben schlechte Karten. Sie
sind unvollständig, sie sind partiell, und die Menschen zerschmettern tagtäglich in
den Alpen ihrer eigenen Dummheit.
Wir versuchen, das nicht zu tun. Wir finden, dass dies keine gute Sache ist. Deshalb
versuchen wir es mit einer mehr integralen Annäherung. Und natürlich versuchen
wir - egal was uns unter die Finger kommt – zu bestimmen, einzuordnen usw.
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Das Wichtigste an dieser Arbeit ist, mit einer extrem offenen Einstellung
heranzugehen. Hier kann man nicht mit Vorurteilen oder Begrenztheiten daher
kommen und behaupten, dass ein spezieller Weg der einzige Weg sei, Dinge und
Situationen zu betrachten. Der integrale Ansatz ist also einerseits ein radikal
pluralistischer Ansatz, andererseits setzt er „das Viele“ in einen übergeordneten
Rahmen, in dem es nicht nur aneinandergereiht sondern auch systematisch
zugeordnet wird. Dieser Rahmen integriert, er verbindet und zeigt auf, dass
grundsätzlich alles mit allem zusammenhängt.
Soweit die theoretische Seite. Sie versucht, eine umfassendere und genauere
Landkarte der menschlichen tradition zu erstellen. Nun kommen wir zur praktischen
Seite. Wie können wir das in unserem Leben anwenden? Wie können wir es für
unser eigenes Wachstum, für unsere Transformation nutzen? Was können wir tun,
wenn wir uns weiter entwickeln wollen? Wie lässt sich das integrale Modell in
Medizin, Erziehungswesen, Politik und in die Planung von Gemeinschaften
einbeziehen? Grundsätzlich ist es auf alles anwendbar, denn die Landkarte deckt
alles ab. Auch in unserem persönlichen Leben, in der Art und Weise, wie wir einen
Betrieb führen, Beziehungen gestalten usw. lässt es sich anwenden. Wir können
sehr viel damit machen. Wir können es, wenn wir wollen, auch nur theoretisch
studieren. Das würde ich jedoch nicht empfehlen. Es geht darum, es zu
praktizieren.
C (lachend): Das war wirkl i ch e ine gute , l e i cht vers tändl i che Zusammenfassung.
Damit s ind ers t mal a l l e Fragen beantworte t .
Ken lacht sein typisches Lachen, laut und herzhaft.
Es gibt keinen „einzig wahren“ Ansatz
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Bob: Nun, i ch habe da noch e ine Frage . Wir sprachen vorhin darüber , dass
wir im Augenbl i ck e inen spezie l l neuen Moment in der Geschi chte der
Menschhei t er l eben. Auf der anderen Sei t e t endieren die Menschen da draußen
in Kultur und Gese l l s chaf t dazu, entweder in „tradi t ions“ der Moderne oder
der Postmoderne zu denken. Auf wel che Weise korr ig i er t das integra le Model l
d ie damit e inhergehenden Irr tümer , d ie s i ch vor a l l em in e inem Hang zum
Absolut i smus ausdrücken - indem e ine bes t immte Sichtweise zur e inzig wahren
Sichtweise erhoben wird?
Ken: Mit Hilfe des integralen Modells können wir in der Tat all die üblichen Formen
des Absolutismus, alle parteiischen Annäherungen, die ihre Sicht für die einzig
wahre halten, aufdecken und korrigieren. Anhand des Quadranten-Modells
betrachten wir jedes Thema zunächst aus den Ich-, Wir-, Es- und Sie (ITS)
Dimensionen. In den heute üblichen Ansätzen der verschiedenen Disziplinen wird
dagegen meist nur einer der Quadranten berücksichtigt, während die Relevanz der
übrigen geleugnet wird. Die typischen Naturwissenschaftler z.B. behaupten, dass
nur individuelle materielle Objekte wirklich sind. Für sie sind weder Subjektivität
noch moralische Dimensionen von Bedeutung. Das einzige, was für sie wirklich
wirklich ist, ist dieser Tisch hier, Steine und Felsen, Dinge also, die wissenschaftlich
messbar sind. Die Naturwissenschaft erhebt also die Es-Dimension zur einzig
gültigen Dimension. Die Systemtheoretiker kommen stattdessen daher und meinen:
„Ok, wir stellen das richtig. Wir betrachten die Systeme der Dinge und die Art und
Weise, wie sie zusammenpassen.“ Aber auch sie schauen noch immer auf Objekte -
auf Systeme von Flüssen etwa, die das Gebirge beeinflussen, welche ihrerseits auf
den physischen Körper einwirken, der wiederum gewisse Auswirkungen auf das
ökologische System haben kann, und so weiter und so fort. Aber dies sind noch
immer nur ITS, die die inneren Dimensionen der Subjektivität, des Bewusstseins
und der erweiterten Bewusstseinszustände usw. außer Acht lassen. Die
Systemtheorie behauptet zwar das Ganze zu betrachten. Tatsächlich beschäftigt sie
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sich aber nur mit einem Teil des Ganzen. Sie befasst sich mit der ITS-Dimension
von Objekten – mit Systemen von Objekten.
Dann gibt es Richtungen, welche die Ich-Dimension zur einzig wahren Dimension
erklären wollen. Bestimmte Weisheitstraditionen z. B. behaupten, dass nur
bestimmte mystische und meditative Zustände, das subjektive Selbst also, die
einzige Realität darstellen, und dass alle anderen Dinge und Erscheinungen
Illusionen sind.
In jüngster Zeit haben wir den postmodernen Ansatz, der besagt, dass die Kultur,
die Wir-Dimension, alle Objekte konstruiert, dass alles eine kulturell-soziale
Konstruktion ist und dem Ich oder dem Es daher keinerlei Wirklichkeitscharakter
zugesprochen werden kann. Alles ist eine Konstruktion des sozialen Wir. So lautet
die Essenz der Postmoderne. Auch sie setzt eine einzige Perspektive absolut.
Wir dagegen versuchen zu sagen: „Wisst ihr was? ihr habt alle recht! Alle diese
Ansätze sind richtig. Aber ihr liegt falsch in dem Moment, wo ihr denkt, dass eurer
Ansatz der einzig wahre ist.“ Wir sagen einfach: „Lasst uns das Ich, das Wir und
das Es betrachten und nicht eines auf das andere reduzieren.“ Genau hier kommen
wir aus der Falle des Absolutismus heraus, der ein Stück der Realität zum einzig
wahren Stück macht. Das gleiche gilt für die Ebenen oder Zustandsformen des
Bewusstseins und auch für die Entwicklungsstufen des Bewusstseins. Die
prämoderne Weltsicht ließ nur bestimmte Zustände und Stadien gelten. In der
Weltsicht der Moderne war nur wissenschaftliche Rationalität und pragmatische
Business-Rationalität erlaubt. Die postmoderne Weltsicht schließlich hat einen
bestimmten pluralistischen Ansatz postuliert, und dies ist wiederum das einzige,
was sie erlaubt.
So, wir versuchen nun, einen Schritt zurückzutreten und der Tatsache gerecht zu
werden, dass wir heute Zugang zu allen Kulturen rund um die Welt haben. Dabei
wird wirklich, wirklich, wirklich offensichtlich, dass es im Hinblick auf die heutige
Weltsituation völlig inadäquat ist, nur Dein spezielles Stück herzunehmen und
dieses zum allein gültigen Stück zu erklären. Dies ist eine sehr überhebliche,
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beschränkte Sichtweise, und das betrifft auch die Postmoderne, die meint, sie allein
liege richtig und alles andere sei ein Irrweg.
Wir sagen: „So funktioniert das nicht. Das macht keinen Sinn. Wenn ja, dann müsst
ihr erklären, warum 99 % der Weltbevölkerung nicht einer Meinung mit euch sind.
99 % der Menschheit müssten für krank oder dumm erklärt werden, nur damit eure
Richtung die richtige sein kann.“ Wir finden gerade das eine kranke und dumme
Sichtweise. Aber gegenwärtig wird leider noch die ganze Welt von ihr beherrscht.
Wir müssen eine Einstellung entwickeln, die großzügig genug ist, um sagen zu
können: „Wir sollten alle diese Dinge im Rahmen ihrer eigenen Bedingungen
akzeptieren.“ Anstatt zu fragen, was richtig oder falsch ist, sollten wir fragen:
„Welche Sicht erlaubt uns die Erkenntnis, dass alle etwas Wichtiges beizutragen
haben?“ Das ist eine völlig andere Fragestellung. Dennoch ist das die einzige Frage,
die wir uns heute, in einer Welt, in der alle Kulturen zusammen kommen, stellen
müssen. Eine solche integrale Sichtweise hinterlässt neue Prägungen in unserem
Mind, denn sie zwingt uns dazu, Begrenzungen zu überwinden und uns so weit wie
möglich auszudehnen. Und das verwandelt unser ganzes Sein. Es ändert unsere
Wahrnehmung und unser Bewusstsein. Wir werden großzügiger, toleranter,
liebevoller, mitfühlender und mit der Ausdehnung erhalten wir die Fähigkeit, mehr
und mehr zu integrieren.
Das Integral Operating System – eine integrale Methode für
jedermann
C: Genau an diesem Punkt wird das Integra le interessant für j edermann –
nicht nur für komplexe Systeme wie Wissenschaf t , Wirtschaf t , Pol i t ik oder
Rel ig ion – sondern auch für den ganz normalen Menschen und das a l l täg l i che
Leben.
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Ken: Richtig. Und das versuchen wir mit vereinfachten Erklärungen wie derjenigen,
die ich gerade gegeben habe, zu erreichen. Auf diese Weise betrachtet, ist es gar
nicht so komplex. Das Integral Institute hat es sich unter anderem zur Aufgabe
gemacht, mein Modell sehr stark zu vereinfachen, um es wirklich rüber bringen zu
können.
Wenn man das Modell einmal unter folgendem Gesichtspunkt betrachtet, wird es
für den Einzelnen noch verständlicher: Die einzelnen Bausteine zum Beispiel, die
ich eben beschrieben habe – die Ich-, Wir- und Es- Dimensionen und die
Bewusstseinszustände – sind ja etwas, was alle Menschen bereits in sich tragen. Es
ist nicht etwas, das ich fabriziert habe und jetzt versuche, in dich reinzutrichtern.
Es ist etwas, was man bereits hat, und wir reden nur darüber. Wenn man das mal
checkt, wird der Job wesentlich leichter. Wenn wir einfache Wege aufzeigen, die
eine gewisse Resonanz in den Menschen erwecken, dann blinkt es sehr, sehr schnell
bei ihnen auf. Denn es handelt sich um Teile ihres eigenen Seins, von denen sie nur
noch nicht wussten, dass es sie gibt. Auf diese Weise können sie selbst erfülltere
und reichere Menschen werden, in ihren Beziehungen, ihrem Beruf, ihrem Leben
und so weiter.
Nachdem die theoretische Arbeit einmal getan ist, kommt nun tatsächlich die
interessante Frage an die Reihe: Wie können wir dies an den normalen Menschen
bringen, den Menschen auf der Strasse, - im besten Sinne?
C: Überal l h in , so dass s i ch wirkl i ch e twas änder t .
Ken: Ja. Bob Richards, der hier sitzt, ist einer der Schlüsselfiguren im Kern des
Integral Institute – und er leistet wahrhafte Pionierarbeit, indem er diese komplexen
Ideen leicht verständlich macht, und das in sehr kurzer Zeit. Sein Integral Operating
System (IOS) ist ein brillantes Beispiel hierfür.
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C: Es i s t ja gerade die Besonderhe i t des Integra len, dass se in Gesi cht s t e t s
zwei Sei t en zugle i ch ze ig t : d ie e ine i s t komplex, wei l s i e der Komplexität
gere cht werden muss , d ie andere dagegen i s t extrem e in fach.
Ken: So ist es. Vorhin sagtest du, dass man den Teil nicht verstehen kann, bevor
man nicht das Ganze kennt. Hierin liegt die Schwierigkeit, die ich habe, wenn ich
verstanden werden will. Denn um das Ganze zu verstehen, müssen die Leute
zunächst einmal Zeit aufbringen. Sie müssen sich durch zwei oder drei dicke
Wälzer wie Eros, Kosmos, Logos durcharbeiten oder zumindest A brief history of
everything lesen. Wenn die Leute das aber mal hinter sich gebracht haben, dann wird
es furchtbar einfach, wirklich sehr, sehr einfach. Wenn man die Quadranten
verinnerlicht, die Ebenen und Zustände verstanden hat, kommt das andere fast
automatisch, einfach weil es etwas ist, was jeder bereits in sich trägt. Man lernt
Dinge zu gebrauchen, die man bereits hat. Wenn man das einmal drin hat, dann
wird man sagen: „Wow, ist das einfach!“ Wenn man es einmal begriffen hat, ist es
wirklich einfach und spart enorme Zeit und Mühe.
Bob: Einer der Gründe, warum ich es Integra l Operat ing System, IOS
genannt habe , i s t , we i l e s wie das Betr i ebssys tem e ines Computers funktionier t .
Wer e inmal die integra le Methode er l ernt hat , wird se ine gesamten
Erfahrungen ent lang der Wege , d ie Ken beschre ibt , organis i eren. Wer IOS
e inmal ins ta l l i e r t hat , zumindest kogni t iv , dessen gesamte Erfahrung wird
s truktur ier t er und klarer . Die Wirkl i chkei t kann besser organis i er t werden,
Komplexität läss t s i ch l e i chter in den Gri f f kr iegen; man kann untersche iden
zwischen Ich- , Wir- und Es-Erfahrungen, zwischen Zuständen des
Bewusstse ins und Entwicklungss tadien des Bewusstse ins usw. Dieses
Operat ing System kann im Business Anwendung f inden, in der Medizin, der
Pol i t ik – überal l .
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C: Und nach e iner gewissen Zei t braucht man nicht e inmal mehr
Untersche idungen zu tre f f en . Dann beg innen wir , nur noch auf das zu hören,
was wir d ie „ innere St imme“ nennen. Hier in l i eg t e in r i es iger Forts chr i t t . Wer
das Integra le ver inner l i cht kommt irgendwann automatis ch an den Punkt, wo
er nur noch auf s i ch se lbs t zu hören braucht , wo s i ch se lbs t d ie Landkarte
erübr ig t .
Ken: Genau! Das ist es! Ich freue mich wirklich, dass Du das sagst. Immer wieder
behaupten die Leute: „Wilber, dieser Besserwisser, will mir seine Art zu denken
aufzwingen.“ Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Wenn ich betone, dass jede
Sprache die Perspektive einer ersten, zweiten und dritten Person hat, meine ich
damit, dass, wenn du in deinem Leben mit einer Situation konfrontiert wirst, du
zumindest wissen willst: „Wie fühle ich mich in dieser Situation? (Ich-Ebene)“. Du
betrachtest auch die objektiven Tatsachen der Situation, also das Es: „Was geht
objektiv gesehen tatsächlich vor sich? Was passiert hier?“ Und du wirst die Wir-
Dimension im Auge haben, d.h. die Menschen, die involviert sind. Auf diese Weise
kannst du ein Einverständnis darüber entwickeln, wohin die Situation führen soll.
Wenn ich also aufzeige, dass es eine Ich-, eine Wir- und eine Es-Dimension gibt,
dann will ich sagen: „Was auch immer du tust, stelle sicher, dass du alle diese
Ebenen abdeckst. Denn sie sind da.“ Es ist nicht etwas, das ich aufzwinge. Es sind
vielmehr Bereiche, die in jedem von uns vorhanden sind. Wir alle durchlaufen
abwechselnd den Wachzustand, den Traumzustand und den formlosen Zustand.
Wenn wir einen von ihnen nicht berücksichtigen, sind wir unvollständig. Man
checkt also nur sich selbst, technisch gesehen: alle Quadranten, alle Ebenen, alle
Linien, - all that stuff. Wenn man das integrale Modell anwendet, ist es tatsächlich
sehr einfach. Es stellt sicher, dass die eigene innere Stimme alle diese Kriterien
überprüft. Es geht nicht um mich. Ich bin an dieser Stelle nicht mehr im Spiel.
Bob: Ken, warum is t es se lbs t für Menschen, d ie den ni cht -dualen Zustand
erre i cht haben, wicht ig , d ie integra le Real i sat ion mit e inzubeziehen?
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Ken: Um dieses Thema gibt es immer wieder heiße Diskussionen. Jede spirituelle
Tradition hat ein Verständnis von Erleuchtung oder kosmischem Bewusstsein oder
Einheit oder satori, unio mystica, wie immer man diesen Zustand nennen mag. Und
nun sagen die Leute: „Was du sagst, ist ja alles schön und gut, Ken. Aber ich
brauche über diesen ganzen Stoff nicht mehr nachzudenken. Ich habe satori
erreicht.“ Wir leben nun aber mal in dieser Welt und in eben dieser Welt bringen wir
unsere Realisation zum Ausdruck. Selbst wenn du die Einheit oder nirvana, - der
buddhistische Terminus für formlose Einheit - realisiert hast, gibt es da dennoch
die Welt der Form, in der du deine Erleuchtung ausdrückst. Du kannst eine perfekte
Erleuchtung erlebt haben; aber wenn du in der Welt der Form zerbrochen, getrennt
und instabil bist, wird deine Erleuchtung in Spaltung, Trennung und Instabilität
zum Ausdruck kommen. In diesem Fall ist die Erfahrung aber nutzlos, sie wird der
wirklichen Welt nichts nützen. Wenn du ein bodhisatva-Gelübde ablegst - das
Gelübde, Erleuchtung zu erreichen um der Menschheit helfen zu können – dann
muss ein Teil des Gelübdes sein, eine möglichst klare Landkarte des menschlichen
Wesens zu besitzen. Or you’re gonna screw it up! Wenn du also dein bodhisatva-Gelübde
wirklich ernst nimmst, musst du ein integraler Denker werden, oder du wirst deine
Aufgabe verfehlen. Es ist dasselbe, wenn wir sagen: “Wenn du eine schlechte Karte
der Alpen besitzt, wirst Du eine Bruchlandung erleben.“ Egal, ob jemand ein guter
Arzt werden will, ein guter Dalai Lama oder ein guter Psychotherapeut, ein guter
Automechaniker oder ein guter Hausverwalter, immer muss er sicher gehen, ob er
alle Teile seines Selbst erfasst hat. Das Integral Operating System, IOS, ist eine
Methode, die, einmal verstanden, dein eigenes System dazu bringt, alle diese Teile
zu überprüfen und sicherstellt, dass du nichts auslässt. Und dies ist wirklich die
eigene innere Stimme, wie Du sagst, es ist deine Stimme. Es ist nicht meine Stimme,
nicht seine, es ist deine ureigene Stimme, und sie führt dich zu einem runderen
Ausdruck dessen, was du bist. Von ihr geführt, wirst du nichts Wichtiges mehr
übersehen oder unterlassen. In diesem Sinne ist das alles sehr nützlich.
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C: Nicht nur nützl i ch , sondern notwendig ! Die innere St imme muss tra inier t
werden, sonst können wir ni cht unters che iden, ob es s i ch wirkl i ch um die
innere St imme handel t , oder nur um e ine der v i e l en anderen St immen, d ie s i ch
s tändig in uns melden.
Ken: Ja, genau. Es verleiht uns im wahrsten Sinne des Wortes das, was die
Buddhisten „unterscheidende Weisheit“ nennen, das, was uns hilft, das
Ursprüngliche, Tiefe und Grundsätzliche vom Oberflächlichen, Hohlen und
Nichtssagenden zu unterschieden. Dies ist sehr wichtig. Es ist nämlich genau die
Eigenschaft, durch die man sich des höchsten Zustandes gewahr wird, und weit
mehr noch: durch die man gezeigt bekommt, wie man diesen Bewusstseinszustand
im Alltagsleben, in der richtigen Welt zum Ausdruck bringen kann.
Der glückliche Umstand an der Begegnung der Kulturen heute ist, dass wir uns von
Halbwahrheiten befreien können, indem wir uns einfach anschauen, was uns alle
diese Kulturen zu erzählen haben. In einer Million Jahren werden wir eine
Betrachtungsweise entwickeln, die nicht mehr cross-cultural ist, sondern cross-galactical
(lacht). In diesem zukünftigen integralen Stadium wird es heißen: „Oh, die
Erdbewohner glauben an diesen Blödsinn, die Venusier glauben an das und die
Bewohner von Alpha-Centaury bilden sich jenes ein“ – genauso, wie wir heute
sagen: „Die Tibeter glauben an das und die Deutschen an jenes“. Eine Million
Jahre später wird man noch immer den Zustand der Einheit erleben wie heute.
Aber die Form wird sich verändern. Und die Form heute ist integral, sie ist cross-
cultural, und wer die Kulturen nicht integrieren kann, der liegt einfach daneben; der
ist begrenzt und unvollständig und verletzt seine eigene Seele. Die Seele leidet
Höllenqualen unter dieser Trennung und Zersplitterung. Deshalb sehnen sich die
Menschen danach, sich in die Größe und Weite auszudehnen, die sie wirklich sind.
Die gegenwärtige Weltsituation aus der Sicht des Stadien-Modells
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C: Das i s t genau die Si tuat ion, d ie wir heute er l eben und es s che int , dass s i e
s i ch von Tag zu Tag mehr zuspi tzt . Auf der e inen Sei t e d ieses
Abgeschni t t ense in , d ie Trennung und Begrenzthe i t , auf der anderen Sei t e d ie
s tarke Sehnsucht nach Ganzhei t , Wachstum und Vol lkommenhei t . Was,
g laubst Du, wird ges chehen?
Ken: Die gegenwärtige Weltsituation sieht nicht gut aus, das muss man zugeben. Da
stehen einige äußerst schwierige Themen an.
Bis zu diesem Punkt unseres Gesprächs haben wir von Bewusstseinszuständen
gesprochen. Jetzt sollten wir die anderen Modelle ins Spiel bringen, um diese Frage
genauer zu beleuchten. Diese Modelle ermöglichen uns ein noch feineres
Verständnis des menschlichen Bewusstseins. Eines dieser Modelle ist das Stadien-
Modell. In der bisherigen Forschung gibt es mehr als hundert solcher
psychologischer Entwicklungs-Modelle.
Die gegenwärtige Szenerie auf unserem Planeten legt die Vermutung nahe, dass es
verschiedene Blöcke auf der Welt gibt, die auf jeweils verschiedenen
Bewusstseinsebenen operieren. Das soll kein Werturteil sein. Es ist die einfache
Feststellung, dass es Unterschiede gibt, die beachtet werden müssen. Alle diese
Entwicklungsmodelle, die von amerikanischen, japanischen und europäischen
Psychologen entworfen wurden, haben ihren Ursprung in der Tradition der
deutschen Idealisten und wurzeln in der Erkenntnis, dass Bewusstsein, wie alles
andere auf der Welt, wächst und sich entwickelt - wie eine Pflanze oder ein Baum.
Es wächst in bestimmten Stadien und erreicht schließlich die Reife. Das einfachste
Stufen-Modell stammt von Jean Gebser. Er bezeichnete die verschiedenen Stadien
als archaisch, magisch, mythisch, rational und integral. Die meisten Menschen
verstehen sofort, was damit gemeint ist. Die Bezeichnungen erklären sich in
gewissem Sinne selbst.
Was nun die unglückliche Situation anbetrifft, die wir zur Zeit erleben: es gibt
große Blöcke, die magisch sind, große Blöcke, die mythisch sind und große Blöcke,
die rational sind. Wenn wir die Skala auf Amerika anwenden, werden wir ähnliche
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Umstände wie in Europa feststellen: weniger als 2% der Bevölkerung befinden sich
auf einem Level, den man als integrales Entwicklungsstadium bezeichnen könnte.
Die meisten sind magisch, mythisch oder rational. Unglücklicherweise erleben wir
auf der gegenwärtigen Weltszene einige sehr magische, tribalistische Organisationen
der terroristischen Sorte, die sich in Konflikt mit fundamentalistischen, mythischen
Glaubensstrukturen befinden, egal ob das nun christliche oder arabische oder
Fundamentalisten anderer Glaubensrichtungen sind. Darüber hinaus haben wir die
rationalen Industrienationen, von denen der Kapitalismus wieder eine eigene
Kategorie darstellt. Alle drei Stadien haben ihre spezifischen downsides.
Die downsides des egoisch-rationalen Stadiums, in dem sich die westlichen
Industrienationen befinden, sind Ausbeutung der Dritten Welt, exzessive
industrielle Rationalisierung, ökologische Probleme und das, was wir McCulture
nennen: die Invasion von McDonald in alle Teile des Globus als Symbol des
amerikanischen Lebensstils. Obwohl ihre Pommes wirklich unschlagbar sind (lacht).
Ebenso kennen wir die downsides des Mythischen mit seinen alleinseligmachenden
Ideologien; diese kulminierten in der spanischen Inquisition, in
fundamentalistischen Glaubensstrukturen, Homophobie, patriarchalem
Machtmissbrauch usw. Und auch die downside des magischen Stammesdenkens ist
offensichtlich: es ist terroristisch, es ist tribalistisch, es ist nicht in der Lage,
dauerhafte Nationen mit bindenden Einheiten zu bilden.
Die eigentliche Schwierigkeit dabei ist folgende. Bevor man nicht selbst in ein
integrales Entwicklungsstadium gelangt, kann man das Spektrum der verschiedenen
Stufen nicht erkennen. Wenn man sich im mythischen Stadium befindet, glaubt
man, dass die eigene Sicht die einzig wahre ist. Das ist wieder der Absolutismus,
von dem wir gesprochen haben. Wer dagegen industriell rational ist, ist davon
überzeugt, dass er allein Freiheit und Wahrheit kennt, dass er alle Menschen fair
und gleichberechtigt behandelt, dass nur er richtig und alle anderen falsch liegen.
Auf diesen drei Ebenen gibt es keine Möglichkeit, Probleme zu lösen. Leider
regieren diese Ebenen unsere gegenwärtige Welt und daher gibt es keinen Weg, die
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Probleme der Welt zu lösen. Das meine ich ernst. Im Augenblick gibt es keinen
Weg.
Bis zu einem gewissen Grad hoffen wir natürlich auf eine Welt der Bewusstheit,
deren innere Schwerkraft zumindest integral ist, welche die Menschheit zu einem
größeren Verständnis, zu mehr Toleranz führen kann. Diese würde eine Kultur
hervorbringen - nein, nicht einmal das, die Kultur selbst würde einen Zustand
hervorbringen, der ein Nebeneinander aller Stufen erlaubt, aber nicht erlaubt, dass
eine über die andere dominiert.
Die egoisch-rationale Konstitution der Industrienationen bemüht sich zwar , ihren
Bürgern bestimmte Rechte und Freiheiten zu garantieren; das ist sicherlich ein
Schritt in die richtige Richtung. Aber sie ist noch lange nicht integral.
Unser wundervoller Mr. Bush ist nicht rational, er ist mythisch. Er ist ein
Fundamentalist, was angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten schon
eine Art industrieller Rationalität erreicht hatten, wirklich verblüffend ist. Amerika
erlaubte uns die Gewässer zu verschmutzen und überall McDonalds hinzusetzen,
darin ist Amerika wirklich gut. Bush aber ist ein fundamentalistischer Bible-fucking
good old boy, der sich über die Austreibung des Bösen und ähnlichen Schrott auslässt.
Oh, er ist sehr mythisch. Die meisten europäischen Politiker sind entrüstet über
ihn, sie sind beängstigt. Es ist unglaublich!
Aber selbst wenn sich jemand auf einem annehmbaren Level befindet, - Schmidt
z.B. oder wen immer wir auswählen; jeder hat seine Favoriten; es gibt tatsächlich
einige gute Führungspersönlichkeiten – gibt es da noch immer diese großen Blöcke,
die ihr Spiel auf einem magisch-tribalistischen Level, einem mythisch-
fundamentalistischen-Glaubens-Level und einem rational-industriellen Level
spielen. Alle hängen sie sich gegenseitig an der Kehle und es gibt keine Möglichkeit,
diesen Konflikt zu lösen, - außer mit den spezifischen Waffen, die zu diesen
Ebenen gehören. Gegenwärtig haben sich alle gegenseitig den Krieg erklärt, und
das bedeutet: wenn einer gewinnt, wird er sich die anderen vom Hals schaffen.
Daran wird sich erst dann etwas ändern, wenn wir einen integralen Level erreichen
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mit einer Art – nicht Weltregierung – aber einer Art Weltföderation, die ein tiefes
Verständnis für Völker, Kulturen und Nationen hat. Diese dürfen dann auf egal
welchem Level sein, aber sie dürfen nicht über die anderen dominieren, nicht
aufgrund ihres spezifischen Entwicklungsstadiums und Wertesystems. Auf der
Basis einer solchen Weltföderation können wir konstruktive Lösungen erwarten.
Aber ich bin davon überzeugt, dass wir erst dorthin gelangen werden, nachdem wir
noch einige sehr schlimme Kulturkriege zwischen diesen Blocks erlebt haben. Jeder
davon hat seine eigenen fürchterlichen Mittel der Kriegsführung. Das grauenvollste
Zerstörungspotential liegt jedoch in den Händen der rationalen Industrienationen.
Nicht nur, dass sie Atomwaffen und das vernichtendste Waffenarsenal besitzen,
weit schlimmer ist, dass sie die Wirtschaft beherrschen. Sie kontrollieren die
ökonomische Marktwirtschaft, sie besitzen das gesamte Geld. Wen wundert es da
noch, dass sich irgendein magisch-tribalistischer Terrorist eine Bombe umschnallt
und in das Word-Trade-Center reinspaziert. Die ganze gegenwärtige Situation
präsentiert ein sehr, sehr schwieriges Szenario. Deshalb sehe ich keine Möglichkeit
zum Aufatmen, keine globale Transformation, keine Zeitenwende. Diese
Vorstellung ist zwar wundervoll und idealistisch, meiner Meinung nach wird das
jedoch noch eine ganze Weile dauern.
Im Augenblick können wir nichts tun, außer immer mehr integrale Keimzellen ins
Leben zu rufen, die dann wachsen und sich ausdehnen. Je mehr Menschen ein
integrales Verständnis entwickeln, desto größer sind die Chancen. Dann könnte es
vielleicht – wenn auch zu einem langsamen, so doch zu einem gewaltlosen
Übergang kommen. Ich möchte diese Möglichkeit nicht ausschließen. Ich weiß
nicht, was geschehen wird. Aber es wird nicht morgen Nachmittag passieren. Was
wir gerne sehen würden, ist eine wachsende Anzahl von Menschen mit einem
integralen Bewusstsein, Menschen die Einfluss haben. Nicht weil die Integralen den
anderen ihre Sicht überstülpen wollen, sondern weil sie sagen: „Ihr müsst auf alle
Völker schauen, bevor ihr eine Entscheidung trefft.“ Dies ist ein umfassender, alles
einschließender Ansatz und nicht etwas, das behauptet: „Meine industriellen Werte
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sind richtig und deine Stammeswerte sind das Werk des Teufels.“ Aber die
Weltszene ist äußerst unbefriedigend, und ich glaube, es wird auf lange Zeit
gesehen noch schwieriger werden. Ich sehe nicht unbedingt die Sintflut oder den
Weltuntergang, aber es wird tough werden.
C: Auf der anderen Sei t e kann gerade dieser enorme Druck den Übergang
beschleunigen. Die gegenwärt igen Umstände regen den Menschen zum
Nachdenken an, rüt t e ln ihn wach, wei l v i e l e der b isher igen Systeme bere i t s
n i cht mehr funktionieren oder zusammenzubrechen drohen. Eine große Anzahl
Menschen i s t o f f en für das Neue und ö f fne t s i ch e iner der Rel ig ion
übergeordneten Spir i tual i tät . Dieser Wandel wird ni cht von pol i t i s chen,
ökonomischen oder re l i g iösen Gruppen oder b locks e inge l e i t e t , das i s t wahr.
Die b lockieren den Wandel nur . Aber er l i eg t in der Luft , und überal l auf der
Welt i s t er zu spüren. Egal wohin i ch auf meinen Reisen komme, beobachte
i ch an der Basis - be im e inze lnen Menschen - d ie Sehnsucht und den Wil l en
nach dem Neuen, d ie Aufbruchst immung. Und diese Sehnsucht geht wei t über
po l i t i s che und wir ts chaf t l i che Neuerungen hinaus . Es i s t e ine Sehnsucht nach
der t i e f s t en Wahrhei t , d i e wir a l l e in uns spüren, d ie Sehnsucht nach
Rückverbindung mit unserem al l e s integr i erenden Wesenskern. Diese
Sehnsucht t re ibt uns gewissermaßen genau dorthin : in das integra le
Bewusstse in . Und zum ers t en Mal in der Menschhei t sgeschi chte haben wir d ie
Chance , zu erkennen, dass das wahrhaf t Integra le n i cht von außen kommt,
durch Kultur und Inst i tut ionen, sondern durch j enen inneren
Bewusstse inszustand geboren wird, von dem le tzt l i ch j eder Mensch e ine
Ahnung hat . Wenn es ge l ingt , d ie Menschen genau an diesem Punkt zu
erwischen, werden s i e spr ingen. Jeder wird spr ingen, wenn er spürt , dass es auf
der anderen Sei t e e ine Antwort auf se ine Sehnsucht g ibt .
Ken: Ich würde sagen: Ja und Nein. Mit einem Teil dessen, was du sagst, bin ich
einer Meinung, mit dem anderen Teil etwas weniger. Wir müssen zwischen
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Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsstadien unterscheiden. Die meisten
natürlichen Zustände, einschließlich einer Art non-dualem, integrativen Zustand sind
den Menschen zugänglich, ja. Wenn aus ihnen jedoch eine dauerhafte
Errungenschaft werden soll, müssen sie zu einem Stadium werden, zu einem
tatsächlichen, grundlegenden Entwicklungsstadium, das man verkörpert.
Betrachten wir die empirische Forschung, die sich damit auseinandersetzt auf
welcher Entwicklungsstufe die Menschheit steht, sieht das jedoch weniger
ermutigend aus. Der Stufenteil ist weniger ermutigend. Der Zustandsteil, den du
angesprochen hast, ist richtig: die Menschen haben Zugang zu diesem Zustand und
sie können ihn anzapfen. Auf jeder Entwicklungsstufe kann man einen
Durchbruch zur Einheitserfahrung alles Seienden, zu dieser Art integralen
Bewusstseins bekommen.
Aber dass dies zu einer dauerhaften Errungenschaft werden kann und es nicht nur
ein einmaliges Gipfelerlebnis bleibt, dazu muss eine Stufe daraus werden. Man kann
dies beschleunigen mit Techniken wie Meditation usw., aber es wird seine Zeit
dauern.
Jemand, der sich auf der mythischen oder rationalen Stufe befindet, braucht
wahrscheinlich mindestens 5 bis 10 Jahre. Wenn er sich einer tiefgreifenden
Psychotherapie unterzieht, und meditiert – dann ist es ein Prozess von fünf oder
zehn Jahren bis zur tatsächlichen Transformation.
C: Das v ie l l e i cht . Dennoch sehe i ch diesen Punkt e twas anders .
Ken: Das ist ok. Ich muss der Forschung und den Tatsachen folgen, und das tue ich
hier. Wenn wir nun also das Stadien-Konzept verfolgen, stellen wir fest, dass sich
etwa 2% auf integral und etwa 25% der Bevölkerung in Amerika und Europa auf
der postmodernen Stufe befinden. Auf der egoisch-rationalen Stufe befinden sich
ungefähr 30% und circa 40% sind mythisch-fundamentalistisch. Das Integral Institute
konzentriert sich nun auf jene 20% der westlichen Kulturen, die fähig sind, direkt
auf die integrale Stufe überzuwechseln. Das ist keine überwältigend große Zahl,
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aber sie ist dennoch bedeutend, weil jene 20 –25% auf der postmodernen Stufe in
der Hauptsache Babyboomer (Erklärung geht aus der nächsten Frage hervor) sind - und
das schon seit 30 Jahren. Die sind also bereit ins Integrale überzugehen. Und das
könnte theoretisch wirklich in einem Jahr geschehen, ich meine tatsächlich morgen
Nachmittag. Die Frage lautet daher: Welche Faktoren können diesen Übergang
beschleunigen? Es wird nicht so aussehen, dass jedermann in der gesamten Kultur
plötzlich integral wird. Die Tatsachen sprechen einfach nicht dafür. Aber 20% der
Bevölkerung! Selbst wenn nur die Hälfte davon sich zum Integralen hinbewegt,
steigt der Anteil zumindest von 2% auf 10 oder 15% an. Eine solche Zahl hat
bereits Substanz. Nehmen wir zum Vergleich die Revolution der 60er Jahre, die
Mai 68 in Paris ihren Anfang nahm: die Umwälzungen der 60er Jahre wurden von
20% der Bevölkerung herbeigeführt.
Auch damals war es nicht so, dass jeder ein radikaler 68er war. Da gab es noch
immer die Fundamentalisten, - die wurden nicht postmodern. Es gab noch immer
die modernistischen Szientisten, - die wurden nicht postmodern. 20% der
Bevölkerung wurde postmodern und das führte zum Anwachsen der Zivilrechte,
des Feminismus, der ökologischen Bewegungen usw. Diese 20% waren also sehr
einflussreich. Was nun meiner Meinung nach in der westlichen Kultur geschehen
wird – die zweite und dritte Welt sind noch magisch-mythish – ist, dass sich in den
nächsten 10 bis 20 Jahren die 2%, die gegenwärtig integral sind, sich auf 10 –15%
ausdehnen werden. Auch wenn das nicht gewaltig erscheint, - als eine permanente
Errungenschaft wird diese Zahl äußerst machtvoll und einflussreich sein, schon
allein deshalb, weil die integrale Stufe eine sehr effektive, eine sehr effiziente Stufe
ist. Gibt man Menschen auf der integralen Stufe eine Aufgabe, dann werden sie
diese 10mal schneller und effizienter ausführen als Menschen auf der
postmodernen Stufe. Sie sehen einfach klarer. Schon mit 5 oder 10% der
Bevölkerung auf integral wird es meines Erachtens zu einem sweeping change
kommen. Sitzen diese Leute dann noch in führenden Positionen, in der Regierung,
der Politik, im Erziehungswesen, beginnen die Universitäten damit, integral zu
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werden .. - oh, das wäre sehr, sehr einflussreich. Realistisch betrachtet ist das aber
das höchste, was wir erwarten können. Wenn 90% dort ankommen, bin ich nur
glücklich darüber. Aber selbst diese realistischen 10-20% sind sehr, sehr
ermutigend.
Was mir am Stadienmodell gefällt: Diese Stadien haben ihr Pendant in der
natürlichen Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen. Das Kind durchlebt die
Stufen des Magischen und des Mythischen und entwickelt sich schließlich zum
Rationalen hin. Es sind also natürliche Stufen, und auch der Ablauf der
Entwicklung ist ein natürlicher Ablauf. Überall auf der Welt werden in jedem
Augenblick Kinder geboren, und sie alle durchlaufen das magische und mythische
Stadium, selbst wenn sie in einer rationalen Kultur geboren werden. Ebenso trägt
das Stadienmodell der Tatsache Rechnung, dass es immer Anhänger
fundamentalistischer Religionen geben wird. Immer. Weil manche Menschen
einfach dort stehen bleiben. Und sie werden wirklich glauben, dass Jesus aus einer
Jungfrau geboren wurde, dass Laotse 900 Jahre alt war, als er geboren wurde usw.
Wenn wir sagen, dass das Integrale ein Evolutionsstadium ist, bedeutet das, dass
sich im Laufe der Evolution die integrale Stufe von selbst einstellen wird. Es ist
nicht etwas, was wir lernen müssen. Es ist ein Stadium der eigenen Entwicklung.
Wir werden also eine wachsende Anzahl integraler Denker erleben, ob diese meine
Bücher gelesen haben oder nicht. Einfach deshalb, weil dies ein Abschnitt ihrer
eigenen Entwicklungsgeschichte ist und sie irgendwann von selbst eine integrale
Sichtweise entwickeln. Das wiederum ist sehr ermutigend. Es ist nicht davon
abhängig, dass die Leute Wilber oder Gebser oder Aurobindo gelesen haben.
Dieser Teil ist wirklich sehr ermutigend.
Fühlst Du Dich mit dieser Art Analyse wohler?
C (lachend): Ja , ja , damit fühle i ch mich wohler . Je tzt haben wir uns ja wieder
ge tro f f en .
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Boomeritis
Bob: Dein neues Buch Boomeri t i s kommt diesen Sommer heraus .
Ken: Nächste Woche schon.
Bob: Wann wird es nach Deutschland kommen?
Ken: Ich bin sicher, dass die Rechte schon verkauft sind. Im allgemeinen wird es
dann sechs Monate später veröffentlicht. Mit der Übersetzung wurde bereits
begonnen, als ich das Manuskript ablieferte.
Bob: Wie würdest Du das Anliegen von Boomeri t i s beschre iben, - innerhalb
des Kontextes , über den wir gerade sprachen?
Ken: Ja. Wir sprachen über diese allgemeinen Stadien des Bewusstseins und der
Evolution, und wir sprachen über die Entwicklung vom Magischen, zum
Mythischen, zum Rationalen und zum Integralen. Bob hat Recht. Boomeritis lässt
sich unmittelbar in diesen Kontext einfügen. Zwischen der rationalen und
integralen Stufe befindet sich ein pluralistisches Stadium, die postmoderne Stufe.
Auf dieser postmodernen Stufe befinden sich ungefähr 20% der Bevölkerung
Amerikas und Europas. Jedes Stadium hat, wie wir feststellten, seine spezifischen
Vor- und Nachteile. Die positiven Aspekte, die wir dem pluralistischen,
postmodernen Stadium zu verdanken haben, sind zivile Rechte, Feminismus, alle
Arten von Gesundheitsreformen, Umweltangelegenheiten usw. Die downside drückt
sich in einer extremen deconstruction aus: alles ist relativ, nichts ist richtig; nichts ist
besser als irgendetwas anderes; man darf keine Vorstellung von irgendeiner Form
absoluter Wahrheit haben. Das führte im akademischen Bereich zu einer Lähmung
des Willens und des Denkens. Diese Sichtweise kann zum Beispiel nicht die Frage
beantworten, ob und warum es verwerflich sein könnte, das World-Trade-Center in
die Luft zu jagen. Die Postmodernen sind also sehr zurückhaltend, was das Äußern
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von Werturteilen betrifft. Das aber lähmt den Handlungswillen. Dieses Phänomen
nenne ich „boomeritis“. Es nahm seinen Anfang mit der Babyboom-Generation (In
Deutschland bezeichnen wir diese Generation im allgemeinen als „die 68er“).
Boomeritis ist ein Roman, der sich mit dieser Problematik auseinandersetzt. Es ist
etwas, was ich noch nie zuvor gemacht habe. Mit Sicherheit wird es einige
Kontroversen hervorrufen und meinen Ruf in einigen Ländern der Erde ruinieren
(lacht). Aber eigentlich macht es mir Spaß umstritten zu sein und dann zu sehen,
was passiert.
Der Roman ist aus der Sicht eines 20jährigen jungen Mannes geschrieben, der
künstliche Intelligenz erforscht. Man muss es gelesen haben, um sehen zu können,
wie schräg und krank es ist. Aber es macht Spaß. Warten wir also ab, was geschieht.
Generell ist es für Leute geschrieben, die Widerstände gegen das integrale
Bewusstsein haben. Darum geht es in diesem Buch. Denn diese Generation hat
wirklich jede Vorwärtsbewegung zum Integralen hin blockiert. Bei denen gibt es
keine universellen Wahrheiten zu integrieren. Die haben nur ihre eingefleischten
Überzeugungen über Relativität. Das allein ist deren absolute Wahrheit. Boomeritis
beleuchtet also deren eigene Widersprüchlichkeit. Und mein zugrundeliegendes
Anliegen dabei ist, mit genau diesen 20% zu arbeiten, die eigentlich bereit wären,
ins Integrale zu gehen. Das ist meine Absicht. Es ist ein Roman, der an diese
Gruppe gerichtet ist.
C: Wenn diese 20% wirkl i ch ins Neue spr ingen, würde das bedeuten, dass s i ch
unser Lebensst i l ändern wird. Weltwei t .
Ken: Absolut.
C: Und wenn s i e das Integra le hine intragen in Bere i che wie . . .
Ken: Huge.
C: Das wäre doch wirkl i ch gewalt ig . Schon mit nur 10% würde s i ch unser
Leben vo l l s tändig ändern.
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Ken: Ja. Das könnte gewaltig werden. Und ich glaube, es wird passieren, und zwar
aus zweierlei Gründen. Einer davon ist, dass die Babyboomer selbst, und zwar sowohl
in Amerika als auch in Europa, gerade die zweite Lebenshälfte erreichen.
Psychologische Transformation geschieht in dieser Phase weit häufiger. Es ist die
Phase, in der sie zum ersten Mal mit dem Phänomen der Sterblichkeit konfrontiert
werden. Jemand, den du gekannt und geliebt hast, ist gestorben, und alle diese
schwierigen Fragen über das Leben werden aufgeworfen. Transformation rückt in
den Bereich des Möglichen. Auf der anderen Seite kommen die neuen Kinder und
Jugendlichen daher. They hit the ground running. Viele von ihnen kommen schon mit
einem integralen Bewusstsein zur Welt und sie antworten auf den post-
modernistischen Senf ihrer Eltern „du kannst kein Statement über die Wahrheit
abgeben, ....“ mit einem „Fuck you, das ist ja lächerlich“. Die haben den Sachverhalt
schnell durchschaut. Und ich liebe das. Im Integral Institute verbringe ich die meiste
Zeit mit den Jugendlichen. Die haben es geschnallt, sie haben es einfach intuitiv
erfasst. Die Boomer dagegen können nicht aufhören mit ihren ewigen Diskussionen.
Stunden um Stunden verbringen sie damit, ohne auf den Punkt zu kommen. Die
denken von mir, ich sei faschistisch, autoritär und schrecklich. Aber die Kinder ...
they hit the ground running. Ja, ich glaube, wir können diese 2% wirklich auf 10%
anheben. Und das wird alles ändern. Es wird wirklich alles ändern. Einfach weil die
neuen Lösungen so viel passender sind, viel effizienter, gewaltlos. Ein Teil unserer
Aufgaben im Integral Institute beinhaltet daher, mit Menschen aus dem
Erziehungswesen, aus der Politik, der Wirtschaft usw. zu arbeiten. Wir sollten diese
Ideen in praktische Wege einbetten. Dann wird es Resultate geben. Und dann
werden auch die Ideen ernst genommen werden. Wenn da einfach nur ein
Philosoph daherkommt, dann heißt es bloß: „Oh, ja..., aber?“
C: Also g ibt es v i e l zu tun .
Ken: Ja. Genau.
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PAUSE
Der Mensch Ken Wilber
C: Wo machen wir j e tzt wei t er , Ken?
Es g ibt Tausende von Fragen. Nicht dass du in Deinen Büchern irgendwelche
Fragen o f f en l i eßes t . Du wir f s t Fragen auf , präsent i er t aber auch
al lumfassende Antworten. Aber dann, e inmal gesät , beg innen die neuen
Gedanken im Inners ten zu brennen und man möchte mehr und mehr darüber
wissen. Man möchte das Neue in j ede Ecke se ines Lebens br ingen.
Bob: Diese europäischen Mädels s ind doch wirkl i ch süß, Ken, oder? ! Eine
Amerikaner in würde s i ch nie so ausdrücken .
C: Warum nicht?
Bob: Amerikanische Mädchen würden fragen: „Wann kaufs t du mir d ieses
Auto? Wann kriege i ch endl i ch das neue Haus?“ Sie würden nicht sagen.
“Gib mir mehr von dieser to l l en Phi losophie .“
(schallendes Lachen)
C (gespielt ernsthaft): Also , lass t uns for t fahren. Erzähl ’ j e tzt doch mal e in wenig
über d i ch se lbs t , Ken. Wie kam es zu de inem ge i s t i g en Durchbruch. Es war
doch e in Durchbruch, oder?
Ken (scherzend): Nun, ich kam von einem anderen Planeten daher.
C: Was du nicht sags t !
Ken: Meine gesamte frühere Ausbildung war wissenschaftlich. Ich studierte Objekte,
Objekte, Objekte, Objekte. ITS, ITS und ITS. Zunächst ging ich zur medical school,
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dann studierte ich Chemie. Aber keine der Fragen, die mich wirklich bewegten,
konnte dadurch beantwortet werden. Alles drehte sich um Objekte. Es gab weder
eine Ich- noch eine Wir-Dimension. Ich dagegen wollte alles über innere
Bewusstseinszustände, über die wirkliche Bedeutung des Lebens, über wirkliche
Werte wissen. So zog es mich zu den östlichen Weisheitslehren hin. Eine intensive
Suche begann, bei der ich versuchte, alle diese Wahrheiten miteinander zu
verbinden. Ich war überzeugt, dass sie alle etwas zu sagen hatten. Mein Weg
begann mit derselben Frage, über die wir vorhin sprachen, nämlich nicht, was
richtig oder falsch ist, sondern wie alles richtig sein kann. Es musste einen Weg
geben, um darzustellen, dass wirklich alle Richtungen etwas Bedeutsames
beizutragen haben. Das ist natürlich eine schwierige Fragestellung. Es ist in der Tat
eine sehr schwierige Fragestellung. Aber ich hatte Glück. Es war die erste Frage, die
ich mir stellte. Mit 23 schrieb ich mein erstes Buch Das Spektrum des Bewusstseins. Es
beinhaltet die Antwort auf die Frage: „Wie kann alles richtig sein?“
C: Da hast du wirkl i ch f rüh ange fangen .
Ken: Mit 23? Ja, das ist ziemlich früh - in Erdjahren gerechnet. (Gelächter)
C: Ich g laube , du kommst wirkl i ch ni cht von diesem Planeten .
Ken: 23 ist früh, ja.
C: Du hast e ine sehr besondere Art von Inte l l i g enz. Wie e in . . . .
Maschinengewehr .
Ken (scherzhaft empört): Das ist eine sehr amerikanische Metapher!
C: Is t e s?
Ken: Ja, wir Amerikaner sind doch sehr machine-gun. Tatatatatatatata ...
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C (neckend): Zumindest empf inde i ch d i ch so . Du br ings t d ie ganze Umgebung
zum Beben.
Ken: Ist das nervig?
C: Nicht im Gerings ten . Es i s t höchst inspir i erend.
(Inzwischen ist die Stimmung ziemlich ausgelassen).
Bob: Er i s t der Rambo der Phi losophie .
Ken: Jetzt ist´s aber genug!
Bob: Er is t der Terminator .
Ken: Oh, nein, nein, nein. Nehmt das bloß nicht auf. Nein, nein, nein ... (wehrt sich
laut lachend)
Bob: Er i s t d ie Mutter Theresa der . . . .
C: Einigen wir uns doch auf „Terminator der Phi losophie“
Ken (spielt den Beleidigten): Das ist kein gutes Image für einen Integrator. Wir
integrieren hier doch. Wir terminieren nicht.
C: Glaubst Du, dass Du e in besseres Image verdient hast?
Ken: Auf jeden Fall ein besseres als „Terminator“.
(Nur mit Mühe kommen wir zum Ernst der Sache zurück).
Es gibt tatsächlich verschiedene Geschwindigkeiten in meinem Schaffen. Wenn ich
in einem meditativen Zustand bin, ist es ganz anders. Die Gedanken sind sehr
langsam und der Raum des Denkens ist sehr weit ausgedehnt. Aber wenn ich
schreibe oder wie jetzt mit Euch arbeite, bringe ich tatsächlich eine enorme
Leidenschaft und eine enorme Intensität hinein. Um eine solche Pionierarbeit zu
leisten, braucht es diese Art der Energie. Ohne diese Intensität kannst du das nicht
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schaffen. Für alle Pioniere ist diese Leidenschaft von höchster Bedeutung. Wenn
du dann wieder heruntergeladen und gesammelt bist, ist das natürlich schön. Ich
arbeite nicht 24 Stunden täglich in dieser Geschwindigkeit. But when I do this kind of
stuff I do, it is very, very intense.
C: Es i s t e ine Art kreat iver Ekstase , n i cht wahr? Ich kenne das auch.
Ken: Ja, anders geht es einfach nicht. Aber wenn du dann in die Zen-Meditation
gehst, ist das total anders. Die Energie ist völlig anders; du hast vielleicht zwei oder
drei Gedanken pro Stunde. Aber jetzt ...
Bob: Ein Kerngedanke des Integra len i s t ja gerade , be ides im Leben zu
vere inen und das ganze Spektrum der Energ ien abzudecken .
C: Und das i s t das Faszinierende daran. Wenn die Menschen e inmal
begre i f en , wie faszinierend diese Art zu l eben i s t , dann werden s i e s i ch dem
Neuen bere i twi l l i g ö f fnen. Wir so l l t en ihnen v ie l l e i cht mehr davon ze igen.
Ken: Ja. Aber eine der Schwierigkeiten, die ich habe ... Schaut, wenn Ihr das, was wir
hier reden und wie wir miteinander sprechen, transkribiert und die Leute lesen es,
lesen es wortwörtlich, und das sind ungefähr 50%, kriegen sie einfach nicht das
Persönliche mit. Ich sitze hier und vieles, was ich sage ist witzig. Oder wir lachen,
und da ist diese bestimmte Art von Leichtigkeit. Und allen Gedanken haftet eine
ganz eigene Begeisterung und Freude an. Wir können Stunden hier sitzen, mit
diesen dichten Ideen, aber tatsächlich macht es doch einen ungeheuren Spaß, oder?
C: Es is t d ie re ine Freude .
Ken: Ja, das ist es. Es ist die Energie und der Tonfall und der Gesichtsausdruck.
Aber von all dem wird nichts rüberkommen im Skript, weil man das alles nicht
sehen kann. Ein Teil meines Problems ist: im geschriebenen Wort bin ich nicht
präsent genug. Das ist ein wirkliches Problem für mich. Wenn die Leute das
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Interview lesen, und die Worte mit ihrer eigenen Vorstellung untermalen, dann
denken sie, dass jemand, der von solchen Dingen spricht, eine sehr ernste,
dominante, autoritäre Person sein muss. Dabei bin ich einfach nur ein ganz
normaler Kerl. I’m just a kind of a … guy. Aber das kommt nicht rüber.
C: Jeder so l l t e Dich so er l eben können , wie wir j e tzt .
(Noch immer ist der Raum von Lachen erfüllt. Ken schnäuzt sich):
Eines der Dinge, die wirklich rübergekommen sind, eines meiner ersten Interviews,
die ich der Öffentlichkeit gab, war eine CD, die George Gruber aufnahm. Ich
sprach von allem Möglichen. Das war tatsächlich das einzige Life-Interview, das ich
in 30 Jahren gegeben habe, wo die Menschen mich reden hören konnten. Wenn ihr
nun die Bemerkungen lest von Leuten, die die CD gehört haben und sie vergleicht
mit den Meinungen über das bloße Skript, dann hieß es bei letzteren: „Mensch, ist
der arrogant. Der weiß alles am besten, er ist dadada ..“ Von denjenigen aber, die
die CD angehört hatten, kam nicht die leiseste Kritik. Da hieß es vielmehr: „Oh,
Ken ist warmherzig ...“
(Unterbricht, den Verzweifelten simulierend) Ach, das hört sich schon wieder bescheuert
an!
(Wir krümmen uns vor Lachen)
Wenn Ihr das schreibt, werden sie sagen „He is a total asshole.“
Also, die Kommentare zur CD lauteten: „Er ist menschlich, er ist warmherzig, er
ist humorvoll, er ist fürsorglich, er ist mitfühlend“...
Aber wenn Ihr das als meine Worte wiederbringt, werden sie denken: „Jesus ...“
Ich habe erkannt, dass etwas Entscheidendes fehlt, wenn jemand als Person nicht
präsent ist.
C: Aber in „Mut und Gnade“ und de inem Tagebuch „Einfach das“ dur f t en
di ch die Leser doch a ls „Mensch“ er l eben .
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Ken: Ja, aber selbst dann .... Es ist immer besser, die Person zu sehen oder zu hören.
Die Tagebücher helfen natürlich bis zu einem gewissen Grad. Aber es ist so viel
verborgen in der Körpersprache, im Gesichtsausdruck, im Stimmfall – ob du etwas
lächelnd erzählst oder mit gerunzelter Stirn. Ich bin nie wirklich missbilligend.
Selbst wenn ich kritisch bin, amüsiere ich mich eher darüber – wie wir alle derart
blöd sein können, versteht Ihr? Aber wenn man das transkribiert, hört sich das
grauenvoll an. Und ich selber muss mir dann an den Kopf greifen und mir sagen
“Oh, I’m a total fucking idiot“.
C: Aber wenn man das Interv i ew e in fach authent i s ch wiederg ibt , so wie es i s t ,
ohne Schnörkel , kann man den Lesern v ie l l e i cht e in wenig von der spezie l l en
Atmosphäre vermit t e ln .
Ken: Aber sie können niemals die Energie miterleben, das Lächeln, das Lachen und
alles, was passiert.
Einer der Gründe, warum ich keine Öffentlichkeitsarbeit gemacht habe liegt darin,
dass für meine Arbeit eben jene Intensität erforderlich ist, von der wir vorhin
sprachen. Wenn ich recherchiere, lese ich in der Regel zwei oder drei Bücher
täglich, und es ist eine Riesenarbeit das ganze Material zu strukturieren. Zum
Forschen und Schreiben brauche ich einfach Zeit. Ich kann entweder hier sitzen
und Bücher schreiben oder rausgehen und lehren. Beides zugleich zu
bewerkstelligen ist sehr hart für mich. Jedes von beiden stellt hohe Anforderungen
an Zeit und Engagement. Beide sind Fulltime-Jobs. Wenn man einmal in die
Öffentlichkeit gegangen ist, muss man Ja oder Nein sagen – und ich habe so viele
Freunde. Ich hasse es, dem einen Ja zu sagen, dem anderen dagegen Nein. Deshalb
habe ich schon vor langer Zeit jegliche Öffentlichkeitsarbeit eingestellt. Bis zu
meinen 26., 27. Lebensjahr, also nach dem Erscheinen meines ersten Buches, war
ich dagegen sehr viel in der Öffentlichkeit. Danach habe ich jedoch 22 Jahre lang
kein einziges Interview mehr gegeben. Momentan, in der Aufbauphase des Integral
Institute, machen wir etwas mehr von dieser Arbeit. Das Integrale wirkt auf viele
Ken Wilber Unplugged Seite 34 von 34
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Menschen bedrohlich, weil sie befürchten, man will ihnen aufschwätzen wie sie zu
denken haben. Viele kriegen es beim Lesen meiner Bücher mit der Angst zu tun;
sie fühlen sich bedroht und werden wütend. Sie glauben, ich wolle sie kontrollieren.
Die Menschen, die mich persönlich kennen lernen, denken das überhaupt nicht.
Vielleicht halten sie mich aus anderen Gründen für ein asshole, aber sie glauben
zumindest nicht, dass ich sie kontrollieren will. Wenn sie mich treffen, machen sie
sich eine Meinung darüber, ob ihnen das, was ich vermittle, gefällt, und sie tun das
aufgrund der Art und Weise wie ich tatsächlich kommuniziere. Was ich zu sagen
habe, wird vermittelt von meinem Körper, meiner Stimme, meiner Energie.
Ich denke, Ihr wisst, was ich damit ausdrücken will. Sollten mich die Leute wirklich
nicht mögen, wäre es mir recht, wenn sie mich aus einem integralen Grund
auseinander nehmen, nicht aber als ganzen Menschen. Wie genau Ihr das machen
werdet, weiß ich nicht. Aber wehe, Ihr schreibt: „Wilber, the terminator, speaks...“
© Copyright Chris t ina Kess ler