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THEOLOGISCHE FORSCHUNG

WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE ZUR KIRCHLICH·EV ANGELISCHEN LEHRE

------5 - - - ---

!(ERYGMA

UND MYTHOS

BAND 111

DAS GESPR.lfCH MIT DER PHILOSOPHIE

9 4

SOND€R7'\USG7'\B€

WISS€NSCH7' \FTLICH€ BUCHG€M€INSCH7' \FT • D7'\RMST7'\DT

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THEOLOGISCHE FORSCHUNG

WISSENSCHAFTUCHE BEITRÄGE

ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE

HERAUSGEBER: DR. THEOL. HANS-WERNER BARTSCH

FÜNFTE VERÖFFENTLICHUNG

KERYGMA UND MYTHOSill.BAND

Das Gespräch mit der Philosophie

9 4

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H ~ M B U R G = V O L K S O O R F

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KERYGMA UND MYTHOS

III. Band

Das Gespräch mit der Phi losoph ie

Mit Beiträgen von

Pwfessor Dr. Karl Jaspers, Basel, und

Professor Dr. Kurt Reidemeister, Göttingen

Professor D. Dr. RudolfBultmann, Marburg,

Professor Dr. Fritz Buri, Basel, und

Pfarrer Dr. Hans -Werner Bartsch, Mölln

'Herausgegeben

von

Hans-Werner Bartsch

9 4

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H M ß UR G- VO LI<S 0 0 R F

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Alle Rechte vorbehalten bei Herbert Reich • Evangelischer Verlag GmbH.

Hamburg-Volksdorf

Gesamtherstellung:

Buchdruckerei Frankenstein GmbH, Leipzig (III/I8/u.7) :._ 5ooo/54/54

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· VORWORT

Die Entmythologisierungsdebatte erscheint vielen als der "sauer gewordene Krieg"

innerhalb der Theologie. Auf beiden Seiten vermögen die Gesprächspartner nichtsanderes mehr zu tun, als die eigene Position zu festigen, und aus dem Gespräch, das

sich doch immer um gegenseitiges Verstehen müht, ist unversehens eineAuseingnder-

setzung geworden, bei der es nur noch darum geht, sich voneinander abzusetzen. Daß

diese Entwicklung nicht nur für die Theologie, sondern viel mehr für die Kirche Jesu

Christi, zu der doch die Gesprächspartner auf beiden Seiten gehören, auch e n n diese

Gemeinsamkeit manchmal kaum noch sichtbar ist, ein Unheil bedeutet, ist einsichtig.

Dennoch ist es auch bei der Einsicht in das Unheilvolle dieser Situation nicht leicht,

das Ges!Jräch wieder dahin zu führen, wo es seinen Ausgang nahm, zu dem gemein-samen Bemühen um eine jedem Verkündiger der Botschaft des Neuen Testaments

gestellte Aufgabe.

Bei diesem Stand der Dinge erscheint KarlJaspers'Vortrag als eine Stimme von "drau-

ßen". Stets ist es so, daß ein neuer Gesprächspartner einem Gespräch, das sich tot ge-

laufen a t , n e u e s L e b e ~ zu geben vermag.Und darum erscheint es für das innertheolo-

gische Gespräch von Nutzen, die Chance zu ergreifen, dieKarlJaspers selbst in seinem

Votum sieht, "daß ein von außen Kommender auf weniger Beachtetes und doch

Wesentliches aufmerksam würde". Wie die Stimmen der katholischen Theologie die-senDienst tun, so kann es auch diese Stimme der Philosophie, und es wird um so nütz-

licher sein, nicht nur Karl Jaspers allein, sondern daneben aucP. die grundsätzlich an-

dere Stellungnahme, die Kurt Reidemeister gibt, zu beachten.

Bultmann und seinen Schülern ist damit die Gelegenheit gegeben, die eigenePosition

gegenüber der Kritik von dieser Seite zu überprüfen und vielleicht auch dem theolo-

gischen Partner gegenüber klarer darzustellen. Dies geschieht nicht nur in den Bei-

trägen Bultmanns und des Herausgebers, sondern zugleich in positiver Aufnahme der

Kritik von Karl Jaspers in der Skizzierung der "Theologie der Existenz" von FritzBuri. Die Theologie innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche wird aus der

Gegenüberstellung mit der Berner Theologischen Schule, als deren Vertreter F. Buri

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zu sehen ist, nur lernen können, und sei es nur dies, daß sie dieses Gegenüber nicht

dahin vereinfacht, als hätte sie nur den alten, längst überwundenen Liberalismus vor

sich, mit dem ein Gespräch kaum noch lohnt.

Zu Dank verpflichtet ist der Herausgeber den Verfassern, sowie der"Schweizerischen. . .Theologischen Umschau", dem Herausgeber der "Sammlung", und der"Theologischen

Zeitschrift", Basel, Zeitschriften,. in denen die Beiträge zuerst erschienen, sowie dem

Piper-V erlag, München, und dem Springer-Verlag, Heidelberg.

Mölln, im März r954 Hans-W erner Bartseh

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INHALT

Seite

I. Kar/ Jaspers: Wohrheil und Unheil der Bultmanns&hen Entmythologisierung 9

Situation, ausder

diese Kritik entspringt . . . . . . . . . . . . .11

I. Zwei brüchige Voraussetzungen Bultmanns . . . . . . . . . . 12

1 . Begriff eines modernen Weltbildes und moderner Wissenschaft . 12

2 . Begriff einer wissenschaftlichen Philosophie . . . . . . . . . 14

Il . Die Aufgabe der Philosophie als transzendentaler Erhellung und deren Auffassung bei

Bultmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

1. Hinweis auf die Stätte aller unserer Vergewisserung. 17

2 . Mythus und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . 18

a) Der Absturz des Mythus . . . . . . . . . . . 19

b) Die Aufgabe, das Mythische rein ZUrückzugewinnenc) Die Aufgabe, im Mythischen selber den geistigen Kampf existentieller Glaubens-

möglichkeiten zu vollziehen .

3· Glauben und Verstehen................

a) Erklären und Versrehen ..............

b) Ursprüngliches Verstehen und Verstehen des Verstandenen

c) Spannung und Einheit beider . .

d) Berührung des Unverständlichen. . . . . . . . . . . .

e) Kritik an Bultmann •................

III. Die Frage nach den Mächten, die hinter. der Diskussion über Entmythologisierung

stehen: Verwandlung und Aneignung biblischer Religion

1 . Der Seelsorger . . . . . .

2 . Orthodoxie oder Liberalität . . . . . . . . . . . .

a) Glaube in der Liberalität . . . . . . . . . . . .

b) Orthodoxie und Liberalität in ihrem Verhalten zum Unverständlichen .

c) Liberalität und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . .

d) Zweideutigkeit der Worte: Aufklärung, Liberalität, Konservativ .

e) Der Offenbarungsgedanke ..............

Erstens: Die Frage, woran Gottes Offenbarung zu erkennen. .

.

Zweitens: Die Verborgenheit Gottes und ihre Deutung . . . . .

Drittens: Sinn der Gegenständlichkeit im Umgreifenden, der Zirkel.

20

2.1

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Seite

Viertens: Die Geschichtlichkeit der mythisch sprechenden Glaubensgehalte . 39

Fünftens: Die Konsequenz der Mythisierung der gesamten Glaubenssprache . 40

Sechstens: Die Leidenschaft des Kampfes und ihr Ende . . . . 40

f) Ist Bultmann liberal oder orthodox? . . . . . . . • • . . . 41

3· Die Frage nach dem Einswerden von Theologie und Philosophie . 4;

IV. Bultmanns geistige Persönlichkeit . . . . . . . . 44

11. Rmlolf Bultmann: Zur Frage der Entmythologisierung. 47

Antwort an Kar! Jaspers . . . • . . . • . . . • • . . . . • 49

III. Hans-Werner Baftsch: Die philosophische Bestreitung der Entmythologisierung . . 61

Eine Antwort auf Karl Jaspers' Vortrag: "Wahrheit und Unheil der Bultmannsehen

Entmythologisierung". , . . .

I V. Fritz Buri: Theologie der Existenz . . . . . . . . . . . .

V. Kurt Reidemeister: Ober den Ursprung der Theologie Bultmanns 93

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I

KARL]ASPERS

WA[IRHEIT UND UNHEIL

DER BULTMANNSCHEN ENTMYTHOLOGISIERUNG

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SITUATION,

AU S DER DIESE KRITIK ENTSPRINGT

Religion ist als geschichtliche Wirklichkeit und als Gegenwart eines Glaubensdurch keine Philosophie zu begreifen, aber für das Philosophieren wie ein Pol, vondem es ständig betroffen wird, oder wie ein Gewicht, das es nicht heben kann; oderwie eih Widerstand, der unüberwindlich ist und dessen Überwindung, wenn sie einmal erreicht scheint, nicht die Zufriedenheit der nun vollendeten einen Wahrheitentstehen läßt, sondern vielmehr etwas wie Schrecken über die plötzlich fühlbareLeere.

Daher beginne ich meinen Vortrag zögernd. Ich soll sprechen von einer Welt, in

der ich nicht zu Hause bin. Weder durch Praxis noch durch Amt bin ich legitimiert.Im Vergleich zum Theologen habe ich zu geringe Kenntnisse. Auch bin ich über diegegenwärtigen Bewegungen zu wenig informiert. Ich muß fürchten, die Dinge vonaußen zu sehen, wie ein Wanderer in einem fremden Lande. Die einzige Chancekönnte sein,daß ein von außenKommender aufwenigerBeachtetes und doch Wesentliches aufmerksam würde.

Aber es bleibt etwas Ungemäßes. Wenn ich zu Ihnen zu sprechen wage, weil Siemich aufgefordert haben, so bleibt doch bestehen: Der Philosoph soll dem Pfarrerund dem Theologen nicht dreinreden. Was Regel und Schelling in dieser Hinsicht

getan-haben, muß warnen.

Nun ist heute eine merkwürdige Situation. Bultmanns Entmythologisierung istdurch die Breite und Erregung der Diskussion zu einem Ereignis geworden, dasetwas zu tun hat mit der Mitte der Religion. Das schon kann dem Philosophen trotzseiner Ferne nicht gleichgültig sein. Zudem aber spricht Bultmanns Entmythologisierung eine Sprache, die bis an den Punkt, der zu nennen ist, im Raum der Philosophie stattfindet und daher philosophischer Kritik sich aussetzt. Beides reizt zueiner philosophischen Erörterung. Wenn ich die Grenzüberschreitung riskiere, so

bitte ich um Ihr Wohlwollen, mir Behauptungen zu gestatten, für die bei der Kürzedes Vortrags die Begründungen nur spärlich sind, mich fragend klopfen zu lassen andas, was ich s e l b ~ r nicht zu vertreten und in das ich nicht einzugreifen habe, obgleiches mich im Philosophieren auf das Ernsteste angeht.

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12 KARL JASPERS

I. Zwei brüchige Voraussetzungen Bultmanns

Bultmanns Forderung der Entmythologisierung gründet sich auf zwei Voraussetzungen: erstens auf seine Auffassung von moderner Wissenschaft, modernem

Welt- und Menschenbild- diese bringt ihn zu seinen Verneinungen so vieler christlicher Glaubensgegenstände. Zweitens auf seine Auffassung von Philosophie - dieseermöglicht ihm die Aneignung der nach seiner Meinung noch wahren Glaubensgehalte durch existentiale Interpretation, deren Begrifflichkeit in einer wissenschaftlichen Philosophie bereitliegen soll. Diese beiden Voraussetzungen sind wie zweiSäulen, auf denen das Gebäude seiner Thesen ruht. Beide Säulen scheinen mir nichttragfähig.

r. Begriff eines modernen Weltbildes und moderner Wissenschaft

Bultmann spricht von einem modernen Weltbild, dessen in sich geschlosseneKausalität keine Unterbrechung durch Wunder dulde, von dem modernen Menschenbild, das die Einheit des Menschen aufrechterhalte gegen vermeintliche Einbrüche durch G ö t t e ~ und Dämonen von außen. Dann spricht er auch grundsätzlichvon der Denkungsart der Wissenschaft, die prüft und begründet. Was kann damitgemeint sein?

Entweder ineint Bultmann eine heute durchschnittliche, unüberwindbare Auffassungsweise, die dem modernen Menschen eigentümlich ist. Das aber kann nicht

stimmen.Denn

die Auferstehung etwawar

den Zeitgenossen damalsso

unglaubwürdig wie den Menschen heute. Die Übertreibung des Unterschiedes des Geistesder Zeitalter verführt dazu, das Gleichbleibende, zum Menschen als solchem Gehörende zu übersehen, so den jederzeit lebendigen natürlichen Realismus und Materialismus. Gleichbleibend ist auch die Bereitschaft zum Glauben des Absurden.Anch diese ist heute nicht geringer als damals, nur hat dieser Glaube gegenwärtigzumTeil andere Inhalte, so etwa die ErwartungdesEintritts des endgültigen Glücksaller in der klassenlosen Gesellschaft durch Vollendung der Gewaltsamkeit, die siemagisch herbeiführt - analog der Erwartung früherer Missionare, daß das Reich

Gottes zugleich mit dem Weltende eintrete in dem Augenblick, da das Evangeliumfaktisch allen Menschen verkündet ist (gemäß einer biblischen Verheißung). Der

absurde Glaube in neuerer Zeit von der Astrologie bis zur Theosophie, vom Nationalsozialismus bis ;:um Bolschewismus zeigt eine nicht geringere Macht des Aberglaubens als zu allen Zeiten. Dies Gleichbleibende der menschlichen Natur und diedabei mitwirkende Rationalität ist universell und hat mit moderner Wissenschaftnichts zu tun, wenn sie heute auch gelegentlich deren in Herkunft und Sinn nichtverstandene Ergebnisse benutzt.

Oder Bultmann meint in der Tat clie eigentümlich moderne Wissenschaft, die

etwas Neues in der Geschichte ist, das, beginnend seit dem Ende des Mittelalters,in sachlicher Entfaltung seit dem 18. Jahrhundert wirklich geworden ist. Diese Wissenschaft aber ist erstaunlicherweise heute ebenso von jedermann angerufen wie vonwenigen gekannt, ja den meisten, sogar vielen Gelehrten, anscheinend auch Bult-

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WAHRHEIT UND UNHEIL 13

mann, der. als historischer Spezialist in ihr mitarbeitet, in ihren Grundsätzen unbe

kannt. Sie hat etwa als ein entscheidendes Kennzeichen, daß sie auf ein Weltbild ver

zichtet, weil sie erkennt, daß dies unmöglich ist. Zum erstenmal in der Geschichte

hat sie uns von-Weltbildern befreit, während alle Zeitalter, auch das unsere in seiner

Durchschnittlichkeit, in Weltbildern lebten. Sie macht ernst mit den Prinzipien, zwin

gend, allgemeingültig und methodisch zu wissen, weiß darum jederzeit ihreGre,nzen,

begreift die Partikularität all ihrer Erkenntnisse, weiß, daß sie nirgends das Sein er

kennt, sondern Gegenstände in der Welt, die sie methodisch bestimmt, kennt ihre

jeweiligen Bedingungen, weiß, daß sie keine Führung des Lebens bringen kann. Sie

erreicht das neue, großartige Wissen, das in griechischer Mathematik, Medizin, Geo

graphie, Astronomie, Mechanik, politischer Einsicht nur in Ansätzen vorgebildet,

aber nicht im ganzen und grundsätzlich als Geistesverfassung der Wissenschaftlich

keit und nicht inder

gewaltigen Breiteder

Entfaltung durch Zusammenarbeit unablässig fortschreitend gewonnen wurde. Die sie bewährende Folge ist zum ersten

mal, daß, was so eingesehen wird, von allen Menschen auf derErde, die es auffassen,

wiederum als zwingend begriffen und in Besitz genommen wird. Das ist mit keiner

Rationalität früheren Charakters, mit keiner Philosophie jemals so gelungen wie mit

der Schärfe der methodischen Begrenzung und der Entschiedenheit der Spezialisie

rungen. Aber diese Wissenschaft hat in bezug aufGlaubensfragenkeine auflösenden

Konsequenzen, die nicht schon die frühere universale Rationalität gehabt hätte. Nicht

als moderne Wissenschaft hat sie diese Konsequenzen, sondern nur dann, wenn sie

als Wissenschaft nicht mehr grundsätzlich begriffen wird, was auch heute noch durchweg, sogar bei manchen spezialistisehen Forschern, der Fall zu sein scheint. Denn

diese Wissenschaft ist der Menge bisher zugänglich geworden nur in vermeintlich

endgültigen Ergebnissen in bezug auf das Ganze der Dinge, diesen Verabsolutierun

gen und Verkehrungen, diesen vermeintlich wissenschaftlichen Weltbildern, die viel

mehr den modernen Wissenschaftsaberglauben, nicht Einsicht in das Erkannte, in

Sinn, Gehalt und Grenzen der Wissenschaft bedeuten.

Bultmann spricht von dieser Wissenschaft, einzelne traditionelle Wendungen auf

greifend, in ziemlich summarischer Weise: Er stellt etwa einfach als Gegenbegriffe

mythisches und wissenschaftliches Denken auf, erklärt das wissenschaftliche Denkenals präformiert im Arbeitsdenken-in beiden Fällen trifft er eine Teilwahrheit. Durch

aus verfehlt er dagegen den Sinn der modernen Wissenschaft, wenn er behauptet:

das eigentlich wissenschaftliche Denken entstehe in Griechenland durch die Frage

nach der Arche, nach dem einheitgebenden Ursprung der Vielfältigkeit der Welt.

Denn gerade diese Frage bleibt immer eine philosophische, durch Wissenschaft me

thodisch überhaupt nicht zu stellende und nicht zu beantwortende. Wissenschaftlich

ist nur die Systematik unter jeweiligen hypothetischen Voraussetzungen und unter

Führung einheitgebender Ideen, die wissenschaftlich nie das Ganze des Seins treffen

können und deren Fragen nur dann wissenschaftlich sind, wenn sie Ansatzpunktefür echte methodische Untersuchungen zu ihrer Beantwortung geben. Durchaus falsch

ist Bultmanns Satz: "Der Einheit der Welt im. wissenschaftlichen Denken entspricht

die Einheit des wissenschaftlichen Denkens selbst." Das Gegenteil ist wahr.

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14 KARL JASPERS

2 . Begriff einer wissenschaftlichen Philosophie

Durch eine vermeintliche Wissenschaft, die vielmehr die durchschnittliche Auf-klärung aller Zeiten. ist, sieht Bultmann eine Fülle biblischer Glaubensgegenstände

zerstört. Aber er will den Glauben nicht zerstören, sondern retten. Die Rettung er-folgt durch das, was Bultmann die existentiale Interpretation nennt. Hierfür brauchter die Philosophie, die er wissenschaftliche Philosophie nennt. Diese Philosophievollziehe das natürliche Selbstverständnis des menschlichen Daseins, dieses Daseins,dem es um sich selber geht, das, in Angst und Sorge, zum Tode lebt; endlich undbodenlos, geworfen in sein Dasein ohne ein Woher und Wohin, brüchig in sich, undso fort. Zu dieser Bultmannsehen Philosophie ist zu sagen:

a) Sie bezieht sich ausdrücklich und faktisch ausschließlich auf Heideggers Buch"Sein und Zeit". Ob er dieses Buch in Heideggers Sinn verstanden hat, das hätte derUrheber dieser Philosophie zu entscheiden. Mir scheint ein wunderliches Verhältnisvorzuliegen. Heideggers Buch ist ein kompliziertes Gebilde: In Gestalt phänomeno-logisch objektivierender Analyse unter Aufstellung der ExistentiaHen in Analogiezu den Kategorien wird ein Wissen in lehrbarer Form nahegelegt, erbaut wie eineStahlkonstruktion. Aber der Antrieb des Ganzen ist nicht ein indifferentes Wi&sen-

wollen von etwas, das so ist, sondern eine Grunderfahrung des Menschseins, keines-wegs die Grunderfahrung des Menschseins schlechthin als eine allgemeingültige. Sieverzichtet auf allen Glauben, nimmt it l Entschlossenheit v ~ r dem Nichts eine "mo-derne" Menschl:n ansprechende Haltung ein, berührt ahnungsvoll das Sein. Dadurchbekommt die Konstruktion Leben und Gewicht.

Diese Philosophie scheint mir in Zweideutigkeiten zu stehen. Sie denkt eine Exi-stenzphilosophie, faktisch auf dem Boden Kierkegaards, Luthers, Augustins, abersie denkt sie zugleich wissenschaftlich, phänomenologisch, objektivierend. DerAppellzum Selbstsein, Echtsein und Eigentlichsein, zur Einsenkung in die Geschichtlichkeitder eigenen zu übernehmenden Herkunft des Soseins, zum Ernst der Frage in der

trostlosen Situation ist da wie in jener großen Überlieferung, deren Gehalte fallengelassen sind in einem leer werdenden Ernst. Die Objektivierung zur Lehre aber

macht das Ganze zugleich wieder unverbindlich, phänomenologisch neutral, lernbarund als Wissen anwendbar und damit philosophisch verkehrt. Daher konnten Psych-iater die ExistentiaHen zur Beschreibung von gewissen Anfällen, Zuständen undDauerformen der Geisteskrankheiten benutzen, nicht ohne Erfolg in manchen aufdiese Weise möglich werdenden Beschreibungen. Und daher kann Bultmann die Exi-stentiaHen als eine vermeintlich wissenschaftliche philosophische Erkenntnis sowohlzur Exegese wie zur Aneignung biblischer e : J ~ : t e benutzen. Diese Anwendung wurdedadurch erleichtert, daß die Begdffe dieses Philosophierens selber schon ihre Her-kunft aus biblisch fundiertem Denken h a t t e n ~

b) Die Beschränkung der Philosophie auf ein Buch von Heidegger und, wie ichvermute, das Mißverständnis dieses Buches durch Heraushebung seiner "wissen-schaftlichen", objektivierenden, lehrmäßigen Seite bedeutet bei Bultmann faktischseine Absperrung von aller Philosophie. Das zeigt sich in seinen Schriften auch sonst.

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WAHRHEIT UND UNHEIL 15

So oft Bultmann philosophiegeschichtliche Tatbestände bei seinen Forschungen be

richtet, handelt es sich um Aussagen, die man referieren kann, um jenen Bestand vor

dergründiger Richtigkeiten historischer Wiedergabe, nicht um die Philosophie selber.

Kein Hauch etwa kantischen oder platonischen Denkens scheint ihn berührt zu ha

ben. Seine, übrigens Heidegger selbst, wie mir scheint, f ~ e m d e Auffassung von Phi

losophie ist die der wissenschaftlichen Philosophie im Sinne der Professorenphilo

sophie des I 9· Jahrhunderts oder der doxographischen Auffassung der hellenistischen

Zeit. Wie brüchig müßte eine darauf begründete Theologie Heidegger erscheinen,

wenn er sich dazu äußern wollte!

c) Wenn etwas in den Ansätzen des Philosophierens, die man heute trotz ihrer

Verschiedenheit in Gesinnung, Form und Gehalt als Existenzphilosophie zusammen

faßt, gemeinsam ist, dann ist es negativ der Durchbruch durch die wissenschaftliche

Philosophie und positiv das Ergreifen eines Ernstes, der allem bloßen Wissen abgeht.

Das nun ist verschleiert durch eine Unterscheidung, die der philosophischen Unecht

heit wieder Einlaß gewährt, die Unterscheidung von existentialer Analyse und exi

stentiellem Denken. Ich weiß nicht, ob Heidegger selber diese Unterscheidung schon

gemacht hat- sie würde jener Zweideutigkeit entsprechen - oder ob erst Bultmann

sie instaurierte. Die Folgen dieser Unterscheidung sind: Man will in wissenschaft

licher Objektivität mit existentialer Analyse erkennen, was nur existentiell einen Sinn

haben kann. ExistentiaHen vergegenständlichen, was nur in Signen Hinweis sein

kann. Als gemeingültiges Erkennen wird behandelt, was nur als Erwecken und Un

ruhigmachen Sinn hat. Es wird unverbindlich gewußt, was nur verbindlich im inne

ren Handeln vollzogen werden kann. Die Verantwortung für das Wort begnügt sich

mit wissenschaftlich rationaler Verantwortung, statt für Gehalt und Wirkung ein

zustehen. Man gestattet sich als philosophisches "Bewußtsein überhaupt" zu reden,

wo man nur als man selbst im Ernst reden darf. Man täuscht ein Wissen vor, wo alles

auf jenen Grund ankommt, der nie gewußt wird und den wir seit Kierkegaard

Existenz nennen. Es wfrd in begrifflichen Bestimmungen fixiert, was nur im tran-

' szendierenden Denken in Schritten geschehen kann, die Sinn nur haben in dem Maße,

als sie in einem inneren Handeln Widerhall finden und Wirklichkeit in der Lebens

praxis des so Denkenden werden oder waren.

Weiter liegt in der Objektivierung zu gewußten ExistentiaHen und zu wissen

schaftlicher Philosophie die Folge eines neuen Dogmatismus, weniger der Begriffs

gestalt als der Haltung: Eine moderne Weise der Verzweiflung findet ein Selbstver

ständnis ohne Transzendenz. Entschlossenheit als solche, ohne Gehalt, wird sich

genug. Eine vermeintliche Erkenntnis davon, was wir sind oder sein wollen oder

sein können oder vermeintlich nicht anders sein können, erzeugt eine neue Intoleranz

der Denkungsart, nämlich Wahrheit überhaupt zu beanspruchen für das, was nur

das eigene Dasein ist, das sich als das moderne, der Zeit gemäße fühlt. Von daherkommt eine Neigung mancher revoltierender, ihre Bodenlosigkeit im Nichts verab

solutierender Menschen, nicht etwa aus einem wissenschaftlichen Fortschritt einer

wissenschaftlichen Philosophie.

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Das letztere meint Bultmann, während er der vorher charakterisierten Neigung

fernsteht. Daher wird bei ihm das Philosophieren in Heideggers Buche "Sein und

Zeit" in dem einen Sinn einer wissenschaftlich allgemeingültigen Erkenntnis vom

Menschsein isoliert. Dieser Sinn mag dem Buche selber schon eigen sein, aber beiläufig und nicht eindeutig. Losgelöst und indifferent gemacht, wird dieses Denken

zu einem Werkzeug denkenden Aneignens der existentiellen Sätze der Bibel durch

existentiale Auslegung. Es ist ein täuschendes Werkzeug. Es macht jedenfalls, so

aufgefaßt, blind für Philosophie. Was es für die Bibel leistet, sehe ich mit Zweifeln.

Woher kommt es, daß das, was beiHeidegger Ton hat, bei Bultmann so tonlos wird?

Mir scheint, von Bultmanns Wissenschaftsvorurteil in bezug ·auf die Möglichkeit der

Philosophie, seinem Wissenschaftsaberglauben in der Philosophie.

Existentiale Analyse gibt es nicht, weder als wissenschaftliche Erkenntnis noch als

ernsthafte Aneignung. Sie ist, wenn sie philosophisch ist, niemals wissenschaftlichneutral, nie allgemeingültig, sondern sogleich existentiell: Sprache aus dem Ernst

für den Ernst, aus der Ergriffenheit für den Ergreifbaren, mit der Verantwortung

nicht für wissenschaftliche Richtigkeit, die hier nicht zu suchen und nicht zu finden

ist, sondern für die Wahrheit dessen, was ich darin will und vollziehe und bin und

auf das ich andere zur Antwort anrufe. Die philosophische Sprache hat die Verant-.

wortung für das, wohin ihre Gedanken zielen, was durch sie im inneren Handeln

aus mir wird und welche Folgen im äußeren Handeln und in konkreten Entschei

dungen und im alltäglichen Leben daraus entspringen. Diesem Ernst entziehe ich

mich durch jene Unterscheidung von existential und existentiell für den Bereich solchen Sprechens. Sie ist keine kritisch klärende, sondern eine ins Unverbindliche ver

führende Unterscheidung. Sie lähmt, statt zu erwecken. Sie bringt ins endlose Weiter

reden ohne Fortschritt. Sie gibt dem so Gesagten einen hohlen Ton.

!I. Die Aufgabe der Philosophie als transzendentaler Erhellung und deren

Auffassung bei Bultmann

Wenn ich gewagt habe, Bultmanns Positionen als wissenschaftsfremd und phi

losophiefremd zu kennzeichnen, habe ich dann nicht mindestens übertrieben? Hat

nicht die Philosophie noch eine andere, bei meinen Erörterungen vergessene Auf

gabe, nämlich die Erhellung und kritische Begrenzung all unserer Wissens- und

Glaubensweisen? In der Tat hat gerade hier Bultmann durch seine Auffassung von

Mythen, vom Wissen und Glauben den Raum sichern wollen, in dem der Glaube

möglich ist. Diese philosophische Aufgabe betrifft nicht den Gehalt, sondern die

Denkform. Die Entmythologisierung soll durch Aufweis einer geschichtlich überhol

ten, heute falschen Denkform den Glauben von dieser Form befreien. Es handelt

sich um jenes Feld philosophischer Arbeit, das durch Plato zuerst angebaut, seit Kant

transzendental genannt wurde und heute mannigfach, so auch unter dem Titel einer_

Erhellung der Weisen des Umgreifenden, betrieben wird. Die hier vollzogene Be

sinnung hat, im Unterschied zu der eigentlichen, die Gehalte zeigenden philosophi

schen Spekulation, einen Charakter, der der wissenschaftlichen Erkenntnis durch

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die Art des Anspruchs auf Allgemeingültigkeit verwandter ist, aber diese doch nicht

erreicht.

Wiederum beschränke ich mich auf einige Thesen:

1. Hinweis auf die Stätte aller unserer V ergewisserung

Alles, was für uns wirklich ist und was wir wirklich sind, ist in unmittelbarer

Erfahrung gegenwärtig. Diese Erfahrung aber ist unmittelbar und geradezu auf

keine Weise in ihren hohen Augenblicken oder ihrer Verarmung, in ihrer Konzen-

tration eines Lebens oder ihrer Zerstreuung, sie ist überhaupt nicht als Zustand zu

fassen. Sie bleibt die Stätte aller Verwirklichung, ohne daß diese Stätte selber als ein

Ganzes und als Gegenstand erkennbar wäre. Aber wir stellen bei allem, was be-

hauptet. wird, die Fra:ge, ob und wie sein Gehalt für uns wirklich ist, eine Frage, die

nicht rational, sondern durch diese Wirklichkeit selber an dieser Stätte beantwortet

wird. Ohne solche Antwort bleibt leeres Gerede.

Diese Stätte ist der Ort, wo ein Bewußtsein auf Gegenstände gerichtet ist, die es

sich gegenüber stellt und meint. Alle Helligkeit, alles Denken und Sprechen ist in

dieser Spaltung dessen, der denkt, und des Gegenstandes, den er denkend meint,

von Subjekt und Objekt. Diese Spaltung ist der lichte Kamm <;!er Welle, der getra-

gen wird von einem tiefen Grunde, oder ist die Flamme, die in der Spaltung des Be-

wußtseins genährt wird durch den Zustrom aus dem unerschöpflichen Umgreifen-

den. Bleibt die Nahrung aus, verschwindet der Grund, ist bloß noch die Spaltung·eines die Gegenstände meinenden Bewußtseins da, so ist es wie ein Rascheln abge-

fallener, vertrockneter Blättermassen, die die Sprachhülsen eines Gewesenen durch-

einanderwirbeln und in äußerlichen Ordnungen jeweils einen Schein von Bestand

auftreten lassen in der Endlosigkeit des beliebigen Anderswerdens.

Das Bewußtsein und seinen Grund in dem ganzen Umfang der Möglichkeiten zu

erfassen, versucht die Philosophie etwa in der Aufstellung der Erkenntnisstufen von

der Sinnlichkeit bis hinaus zum übersinnlichen Anschauen der Gottheit (Antike und

Mittelalter) oder etwa in der Erörterung der Vermögen des menschlichen Gemüts,

nämlich des Denkens als Gegenstandserfassens, des W ollens als V erwirklichens, desFühlens als Inneseins seines Zustandes (Kant) oder etwa in der Erhellung der W ei-

sen des Umgreifenden, in denen die Spaltung von Subjekt und Objekt stattfindet,

von ihm gleicherweise auf der subjektiven und objektiven Seite erfüllt; so als Dasein

in seiner Umwelt, als Bewußtsein überhaupt mit seiner Gegenstandswelt, als Geist

mit seiner Gestaltenwelt, als Existenz mit ihrer Transzendenz. Wenn auf jedem

dieser Wege die Stätte der Gegenwärtigkeit in ihrem ganzen Umfang durchschritten

wird, dann wird das in die Weisen des Umgreifenden Unterschieden,in seiner Ein-

heit hell, nämlich im Ineinanderspiel und Widerspiel der Weisen des Umgreifenden,

ihrer Untrennbarkeit voneinander, ihrem Sichtreffen im Bewußtsein überhaupt, undwird als Ganzes wiederum benannt als Mensch, als Vernunft oder, wenn das, was

an dieser Stätte gegenwärtig sein kann, benannt wird, als das Sein, als Gott, als das

Umgreifende alles Umgreifenden.

2 Kerygma. 5. Bd.

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Eines ist allen diesen phiiosophischen Untersuchungen gemeinsam. Sie versuchen

etwas wissenschaftlich Unmögliches in ihrer doch der Wissenschaft sich annähernden

Form. Sie sprechen von etwas, das Grund aller Gegenständlichkeit, selber aber nicht

Gegenstand ist. Sie heißen darum seit Kant transzendental. Sie transzendieren nicht

gleichsam nach vorn, über alle Gegenstände hinaus zu einem Dahinterliegenden,

sondern gleichsam zurück, über alles gegenständliche Bewußtsein hinaus in den

Grund der Möglichkeit des so mannigfachen Gegenstandseins. Daher das Unange-

messene aller Sätze, die doch in solchen Untersuchungen ihren Sinn haben.

Wir können nicht anders denken als in der Weise, daß uns etwas zum Gegenstand

wird. Bewußtsein haben, heißt in jener Helle leben, die durch die Spaltung von Ich

und Gegenstand ermöglicht wird. Es heißt aber auch, in diesem Gefängnis leben

der Spaltung des Ichs von einem gegenständlich Gewußten. Wir möchten es durch-

brechen, indem wir uns dieser Spaltung in der Reflexion bewußt W<;!rden. Dannsehen wir, daß es immer schon durchbrachen ist, wo Menschen im Ernst leben. Die

Gegenständlichkeit ist eine Weise, in der das Umgreifende hell wird, das im bloßen

Gegenstand verloren ist. Die Ungegenständlichkeit des Umgreifenden wird gegen-

wärtig in der Weise der Vergegenständlichung der jeweils eigentümlichen Weise des

Umgreifenden: als Objektivität, die nur Sinn hat, wenn sie von der zugehörigen Sub-

jektivität getragen wird. So ist Leibhaftigkeit des Gegenstandes für das Dasein, ist

logische Gegenständlichkeit für das Bewußtsein überhaupt. So ist aber auch der My-

thus, als Leibhaftigkeit der Transzendenz, für Existenz, für die er doch Chiffer ist

und in der bloßen Leibhaftigkeit verschwindet.

Nicht Vergegenständlichung ist ein berechtigter Vorwurf (denn nichts wird hell

ohne Vergegenständlichung), sondern falsche Vergegenständlichung. So ist für ein

Denken der Transzendenz in der Seinsspekulation der Gegenstand so da, daß er

doch erst im Zusammenbruch seines Gegenstandseins durch die Gedankenbewegung

gegenwärtig werden läßt, was gemeint war. So wird gegenständlich Gedachtes zu

Signen möglicher Existenz,, die als Existentialien eines objektiv Gemeinten ihren

eigentlichen Sinn verlieren. Immer ist die Frage, wie wir die unumgängliChe Gegen-

ständlichkeit ergreifen und zugleich in ihrer Unangemessenheit erfassen, und wie

wir sie von der falschen Vergegenständlichung unterscheiden.

Das nun sind mühevolle und in der Durchführung umfangreiche Untersuchungen

der Philosophie. Auf Grund eines philosophischen Bewußtseins, das sich in solchen

Untersuchungen geklärt hat, erlaube ich mir nun einige Bemerkungen zu Bultmanns

Thesen.

2 . Mythus undWissenschaft

Bultmann unterscheidet mit einer auf Aristoteles zurückgehenden Tradition My-thus und Wissenschaft. Er hält das mythologische Denken für Sache einer Vergan-

genheit, die durch das wissenschaftliche Denken überwunden ist. Sofern aber im

Mythus ein Gehalt verborgen ist, der diese nur dem damaligen Zeitalter gemäße

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Sprache fand, ist er zu übersetzen. Der Mythus ist zu interpretieren und so unter Ab

werfung des mythischen Gewandes in gegenwärtig gültige Wahrheit zu bringen.

Diesem Gedanken widerspreche ich. Mythisches Denken ist nicht vergangen, son

dern uns jederzeit eigen. Allerdings ist der Begriff des Mythus keineswegs eindeutig,Er enthält folgende Momente:

I . Der Mythus erzählt eine Geschichte und bringt Anschauungen im U n t e r s c h i e ~von Denken in Allgemeinbegriffen. Der Mythus ist geschichtlich in der Gestalt sei

nes Denkens wie in seinem Inhalt. Er ist nicht Einkleidung eines Allgemeinen, das

dann besser direkt, als Allgemeines, in Gedanken gefaßt würde. Er erklärt durch

geschichtliche Herkunft im Unterschied von Erklärung durch eine in allgemeinen

Gesetzen begriffene Notwendigkeit.

z. Der Mythus behandelt heilige Geschichten und Anschauungen, Göttergeschich

ten irri. Unterschied von bloßen Daseinsanschaulichkeiten.

3· Der Mythus ist Bedeutungsträger, aber von Bedeutungen, die nur in dieser sei

ner Gestalt ihre Sprache haben. In mythischen Gestalten sprechen Symbole, deren

Wesen es ist, nicht übersetzbar zu sein in eine andere Sprache. Sie sind nur in die

sem Mythischen selber überhaupt zugänglich, sind unersetzlich, unüberholbar. Ihre

Deutung ist rational nicht möglich, vielmehr geschieht ihre Deutung durch neue My

then, durch ihre Verwandlung. Mythen interpretieren einander.

Wie dürftig und spracharm unser Dasein, wenn mythische Sprache riicht in ihm

gilt! und wie unwahr, wenn die unumgängliche mythische Denkweise mit albernenInhalten erfüllt wird. Die Herrlichkeit und das Wunder der mythischen Anschau

ung muß gereinigt, aber nicht abgeschafft werden. Entmythologisierung ist fast ein

blasphemisches Wort. Es ist nicht Aufklärung, sondern Aufkläricht, die das Wort

Mythus so entwerten kann. Hört die Pracht des Sonnenaufgangs auf, eine leibhaf

tige, immer neue, beschwingende Wirklichkeit zu sein, eine mythische Gegenwart,

auch wenn wir wissen, daß wir mit der Erde uns bewegen, also vom Aufgang keine

Rede sein kann? Hört das Erscheinen der Gottheit auf dem Sinai, im Dornbusch

auf, ergreifende Wirklichkeit zu sein, auch wenn wir wissen, daß im Sinne raum

zeitlicher Realität hier menschliche Erlebnisse stattgefunden haben? Entmythologisieren, das würde bedeuten, ein Grundvermögen unserer Vernunft zum Erlöschen

zu bringen. Aber in dem Entmythologisierungsdrang steckt doch eine halbe Wahr

heit von der echten Aufklärung her:

a) Der Absturz des Mythus

Mit der Wahrheit des mythischen Denkens geschieht eine Verkehrung durch alle

Zeiten bis heute: die Verwandlung der mythischen Chifferschrift in materielle

Realität ihres Inhalts; die Berührung mit eigentlicher Wirklichkeit durch deren einzige Sprache gleitet ab in den Materialismus der Handgreiflichkeit und Brauchbar

keit. Daher hat alle Zeit und hat auch Bultmann wieder recht, wenn er Leibhaftig

keitsbehauptungen in bezugauf Dinge in der Welt bestreitet, die unserem ganz an-

••

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deren realen Wissen zugänglich sind, das in der modernen Wissenschaft seine Ent

faltung, Bestimmtheit und Klarheit in der Begrenzung erfahren hat. Ein Leichnam

kann nicht wieder lebendig werden und aus dem Grabe steigen. Historische Be

richte sich widersprechender Zeugen mit spärlichen Angaben können nicht eine histo

rische Tatsache erweisen. Wegen unseres durchschnittlichen Materialismus wird die

Abgleitung mythischer Chiffersprache in die Auffassung garantierter und garantie

render Leibhaftigkeit immer wieder stattfinden, wie sie schon bei den ersten Christen

und überall sonst in der Welt stattgefunden hat. Diese V erkehrungen kritisch aufzu

heben wird eine Aufgabe für alle Zeiten bleiben. Die Erfüllung dieser Aufgabe mag

Bultmann einen Augenblick Entmythologisierung nennen und trifft damit etwas

Wahres: die Verdinglichung, die transparenzlose Leibhaftigkeit einer vermeintlichen

Realität in ihrer Falschheit zu zeigen.

b) Die Aufgabe, das Mythische rein Zurückzugewinnen

Die Forderung aber bleibt nur dann recht, wenn sie im Gegenzug zugleich die

Verwirklichung der mythischen Sprache vollziehen lehrt. Nicht Vernichtung, son

dern Wiederherstellung der mythischen Sprache ist der Sinn. Denn sie ist die Sprache

jener Wirklichkeit, die selber nicht empirische Realität ist, der Wirklichkeit, mit der

wir existentiell leben, während unser bloßes Dasein sich ständig an die empirische

Realität verlieren will, als ob diese allein schon die Wirklichkeit selber sei. Das Recht

zur Entmythologisierung hat nur, wer die Wirklichkeit in der Chiffersprache des

Mythischen um so entschiedener festhält.

Die eigentliChe Aufgabe ist daher nicht, zu entmythologis-ieren, sondern das my-

thische Denken in der Vergewisserung der Wirklichkeit rein zu gewinnen, in dieser

Denkform anzueignen die wundersamen mythischen Gehalte, die uns sittlich ver

tiefen, menschlich erweitern, indirekt aber uns der Hoheit des von ihnen niemals er

füllten, sie alle übersteigenden Gottesgedanken bildloser Transzendenz näherzu

bringen.

Um dem mytischen Denken im eigenen Leben legitime und unersetzliche Wir

kungsmacht zu geben, sind zwei kritische Gedanken notwendig.

Der erste sagt: Wenn ·die mythische Sprache geschichtlich ist und daher ihre Wahr

heit ohne Anspruch auf Allgemeingüligkeit eines Wissens bleibt, so vermag sie ge

rade dadurch der Geschichtlichkeit d ~ r Existenz mitzuteilen, was für diese einen

unbedingten Charakter gewinnen kann. In der Aussagbarkeit bleibt bedingt und hi-

storisch relativ, in der Objektivität bleibt schwebend, was für den darin Denkenden

ein Unbedingtes gegenwärtig erhellt. Es gehört zu den Grundeinsichten philosophi

scher Selbstbesinnung, daß die Wahrheit, die allgemeingültig für alle ist, nur relativ

auf dem Standpunkt des Bewußtseins überhaupt gilt und existentiell gleichgültig ist,

daßdagegen die existentielle Wahrheit, die identisch mit dem sie Denkenden wird,

so daß er in ihr lebt und stirbt, gerade darum geschichtlich sein muß und in der Aus

sagbarkeit nicht allgemeingültig für alle werden kann. Das Recht, im Mythischen zu

leben, hat nur, wer die Unbedingtheit geschichtlicher Existenz, die sich darin hell

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wird, nicht verwechselt mit der Allgemeingültigkeit eines Inhalts, der als Behauptung von einer Realität als gültig für alle auftritt. Auch wäre diese überlieferte Wirklichkeit verloren, wenn sie aufgelöst würde in allgemeine philosophische Ideen.

Wo aber mythische Sprache im Augenblick unbedingten Entschlusses zur Geltunggelangt, ist nicht vorauszusehen. Sie zu lernen, in der Anschauung zu eigen zu machen,bedeutet nur Möglichkeit und Vorbereitung. Aber schon dies geschieht geschichtlich.Sich der eigenen Herkunft der Öeschichtlichkeit anzuvertrauen, bedeutet für uns diegrößere Nähe von Bibel und Antiketrotz aller Neigung zu den asiatischen Gehalten.

Per zweite kritische Gedanke bringt alle mythischen Bilder in die gehörigeSchwebe durch die selber biblische Forderung: Du sollst dir kein Bild und Gleichnismachen. Alles Mythische ist eine Sprache, die verblaßt vor der Transzendenz der

einen Gottheit. Wenn wir in der mythischen Sprache als Chiffersprache erblicken,

hören, denken, wenn wir keine konkrete Vergewisserung ohne solche Sprache anschaulich machen können, so düden wir doch zugleich wissen: Es gibt keine Dämonen, es gibt keine magisch-kausale Wirkung, es gibt keine Zauberei. Darum bleibtdoch nicht weniger ein begleitendes und ergreifendes Bild: wie die drei Engel denAbraham besuchen, wie Moses die Gesetzestafeln ~ m p f ä n g t , wie Jesaias in der Vision nicht Gott selber, aber seine nächste Erscheinung sieht, wie Gott im Donner deneinen, l.n dem leisen Wehen den andern anspricht, wie Bileams Eselin es besser siehtals ihr Reiter, wie der Auferstandene abwehrend sagt: noli me tangere, wie er zumHimmel fährt, wie der Heilige Geist die Gläubigen ergreift, und so fort ins Unend

liche.Nun sind die drei Trennungen: von Leibhaftigkeit und Chiffersein, dann von my-

thischen Gehalten und transzendentem Gott, schließlich von unbedingter Geschichtlichkeit und bedingter Allgemeingültigkeit, nur dem philosophisch erhellten Bewußtsein eigen. Ursprünglich kann eines sein, was wir so trennen, und wird es wieder, woes wirkendes Leben ist. Daher ist dem philosophisch Naiven Leibhaftigkeit und Charakter der Chifferschrift nicht getrennt. Es gibt eine fromme Anschauung dieserLeibhaftigkeit, als ob sie auch empirische Realität sei. Die Frömmigkeit zeigt sich

darin, daß die Konsequenzen eines materialistischen, magischen, nutzenden Miß

brauchs solcher Leibhaftigkeit wie selbstverständlich ausbleiben. Dagegen gibt eseine unfromme, materialistische Anschauung der mythischen Leibhaftigkeit als einergreifbaren Realität, der der Charakter der Chiffer verlorengeht und die damit erstAberglaube wird.

c) Die Aufgabe, im Mythischen selber den geistigen Kampf existentieller Glaubensmöglichkeiten Zu vollziehen

Die wesentlichste und große Aufgabe aber ist für jeden, der das Feld mythischen

Denkens betritt, innerhalb dieses Denlrens zu ringen um das für wahr Geglaubte.Mythus steht gegen Mythus, nicht in rationaler Diskussion, nicht notwendig mitdem Ziel der Vernichtung des anderen, sondern im geistigen Kampf. Dieser Kampfwird unredlich, wenn er den gegnerischen Gehalt in der Veräußerlichung sieht und

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wenn er gar an ihm die mythische Denkform bekämpft, die er für die Gestalt deseigenen Glaubens verleugnet. Der Kampf ist nur offen und erhellend, wenn er

aus dem Ursprung gegen den Ursprung sich richtet. Aus dem Zustand, in den derMensch durch eine bestimmte mythische Anschauung gerät, wehrt er sich, an solchemZustand teilzunehmen, oder bejaht sich in ihm. Er erblickt die Folgen für das Tun

und Sichverhalten. Aber er kann nicht, was er für sich verwirft, für alle verneinen.Er i r d für den andern gelten lassen, was er selbst nicht annimmt. Es handelt sichum existentielle Wahrheit, die nur im mythischen Denken geistig wirksam wird,ohne Mythik aber au.ßerhalb unseres Horizontes bliebe.

So erwächst die Kraft aus dem Bibellesen nicht dem gleichmäßig folgenden Gehorsam gegen die Texte, sondern durch die Teilnahme an den Gehalten, die der

Lesende abstößt oder aneignet. Er gerät mit den mythischen Inhalten in Zustände,

die er dadurch als Möglichkeiten erfährt, er sieht die Gehalte in den Bildern, dieihm gegeneinander treten, sich in Stufen der W esentlichkeit ordnen und die alleüber sich hinaus weisen ins Bildlose. Nicht rationale Erkenntnis, sondern existentielle Erhellung im Raum der sich widersprechenden, der polaren, der sich ergänzenden und der sich ausschließenden Möglichkeiten der Bibel setzt sich um in Antriebund Abwehr. Die Bibel ist ein für uns bevorzugter Ort dieses Ringens, ein andererdie griechischen Epen und Tragödien, ein anderer die heiligen Bücher Asiens.

Nicht Übersetzung, nicht Umdeutung, nicht Interpretation durch ein begrifflichAllgemeines - dies alles, seit dem Altertum geübt, mag auch beiläufig einen be

schränkten Sinn eigentümlicher Aneignunghaben-,

sondern Eintreten und Verweilen in der mythisch anschaulichen Gegenwärtigkeit lehrt den Vollzug der klärendenKämpfe, in denen kein Besiegter vernichtet wird, sondern als abgewiesene Möglichkeit gekannt bleibt.

Bei Bultmann nun meine ich ein Ergebnis solchen Ringens um die Warheit biblischer Gehalte gegen andere biblische Gehalte wahrzunehmen, dem ich nicht folge.Hier liegt der entscheidende Punkt des Für oder Wider. Bultmann, der als Forscherfür alle Teile der Bibel interessiert ist und für das Neue Testament überall durchbedeutende Forschungen die historische Erkenntnis vermehrt hat, scheint als Theo

loge ganz anders, nämlich in seiner Wertschätzung klar und bestimmt. Gegenüberdem Alten Testament ist er fast gleichgültig. Das Studium der Synoptiker zeigt ihm,daß wir von Jesus historisch wenig wissen. und daß ungemein viele Inhalte dieserBücher Allgemeingut der noch nicht christlichen Umwelt waren. Dagegen findet sich

die höchste Schätzung bei ihm für Paulus und das Johannesevangelium. Die Offenbarung liegt für ihn nicht in einem historisch kennbaren Jesus, sondern in einemausden späteren Texten hörbaren und in diesen selber gemeinten Heilsgeschehen, dasdie Jünger und Apostel konzipiert haben. Dabei liegt das Gewicht auf dem mythischen Gedanken von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, diesem für unser

Philosophieren fremdesten Gedanken. Bultmann neigt als gläubiger Leser des NeuenTestaments zu der in diesen Büchern ausgesprochenen Theologie, dagegen wenigeroder gar nicht zur Lebenswirklichkeit des Neuen Testament.s. Der spiritualisierteChristus des Johannesevangeliums, wie ein Märchenzauber auf Goldgrund, etwas in

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seiner Weise vielleiCht Schönes und Fesselndes, scheint uns an Gehalt außerordentlich viel geringer als die Wirklichkeit Jesu bei den Synoptikern. Darauf kommt es

Bultmann nicht an. Er ist wenig berührt von der Absurdität des gnostischen Mythus

im Johannesevangelium, den er als solchen doch erstmalig klar erkennt, aber alsÜberwindung des Mythus versteht. Er ist trotz seiner eingehenden Interpretationkaum berührt von der Tatsache des ersten christlichen mythisch gegründeten Antisemitismus in diesem Evangelium, der weder bei Paulus noch bei den Synoptikernda ist und selber ein Zeichen ist für die Glaubensweise des Verfassers dieses Evangeliums der Liebe. Die Auswahl, Betonung, Wertschätzung, Rangordnung und Verwerfung der besonderen in der Bibel vorkommenden Gehalte läßt sich nur klärendurch den Kampf innerhalb der mythischen Anschauungsweise selber, die wir heutewie jederzeit zu vollziehen vermögen und faktisch vollziehen.

J. Glauben und Verstehen

Bultmat:J.n hat sein Denken unter den Titel "Glauben und Verstehen" gebracht.Verstehen ist Thema fast aller seiner Erörterungen: Exegese des Neuen Testamentsist sein Arbeitsgebiet, "existentiale" Interpretation die Form der verstehenden Aneignung. Der Glaube wird vorausgesetzt und selber erst in seinem Wesen herausgebracht durch das Verstehen, nämlich als Glaube an das Heilsgeschehen, nicht alsGlaube an die leibliche Auferstehung. Er begründet sein Glaubensverstehen mit denTexten -durch Überordnung des Sinns der Johanneischen und Paulinischen Schrif

ten über die synoptischen - , und er versteht die Texte durch seinen Glauben. Dasist der n ~ u s w e i c h l i c h e hermeneutische Zirkel in allem Verstehen, aber hier in einerbesonderen Gestalt vermöge des absoluten Glaubensanspruchs. Den Begriff "Verstehen" nun gebraucht Bultmann in ,der Selbstverständlichkeit eines Sinns, bei demmir Entscheidendes vergessen scheint.

U n m i t t e l b a ~ e Wirklichkeit enthält in eins, was wir in der Reflexion kritisch scheiden und was im erfüllten Leben wieder als ein untrennbares Ganzes da ist: sinnhaftes Angesprochenwerden und sinnfremdes Geschehen, persönliches Wirken und Fordern und Helfen des Du und unpersönlicher Widerstand, Unterworfenwerden und

Materialwerden oder Übermächtigwerden der Dinge, dunkle Mächte und klare Ursachen, Wahrnehmbares und Zugrundeliegend-Gedachtes, Stimmungen und kalteNotwendigkeit. Was in solchen kritischen Scheidungen der unmittelbaren Wirklichkeit liegt, e r ö r ~ e r i : J . wir näher in bezug auf den Sinn von "Verstehen".

a) Erklären und Verstehen

Im Erfassen der Wirklichkeit unterscheidet man: Erklären und Verstehen. Wasvon außen als das schlechthin Andere gesehen wird, das heißt N a t ~ r und wird er

klärt als ein Geschehen unter Gesetzen. Was von innen als das Andere, aber Verwandte wahrgenommen wird, heißt Seele oder Geist oder Person, und dieses wirdverstanden als Sinnzusammenhang. Faktisch, soweit empirische Forschung möglich

, I

ist, ist Gegenstand des Erklärens die Natur, der Kosmos, die Materie, das bewußt-

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lose Leben, ist Gegenstand des Verstehens der Mensch und die Inhalte seiner gei

stigen Geschichte.

b) Ursprüngliches Verstehen und Verstehen des VerstandenenIn einem weiteren und allumfassenden Sinn nennen wir Verstehen jede Weise,

in der wir denkend Wirklichkeit gegenwärtig haben. Jede Weise des Auffassens, ob

der Natur oder des Menschen, der Mächte, der Götter, Gottes, heißt Verstehen. Es

gibt nichts anderes als Verstehen. Naturverständnis, Selbstverständnis, Gottesver

ständ'nis und so fort, alles ist Verstehen. V erstehen ist die Weise der Gegenwart des

Seins, das wir sind. Dieses ist die Wirklichkeit und Wirkungsmacht dieses Ver

stehens selber.

Davon verschieden ist nur eines: daß wir das irgendwo von irgendwem Verstan

dene nachträglich noch einmal verstehen können, ohne selber wirklich darin und dabei zu sein. Wir können Cäsar verstehen, ohne Cäsar zu sein (Simmel), wir können

Kunstwerke verstehen, ohne sie selbst hervorzubringen, wir können wissenschaft

liche Erkenntnisse verstehen ohne eigenes Erkennen. In diesem Sinne verstehen wir

nicht nur, sondern verstehen das V erstandene (Böckh: Erkennen des Erkannten).

Dies V erstehen des Verstandenen vollzieht in großem Stile die Philologie und die

durch sie mögliche Geistesgeschichte, die Mythengeschichte, Religionsgeschichte,

Kunstgeschichte, Sprachgeschichte, Literaturgeschichte, Staats- und Rechtsgeschichte,

Philosophiegeschichte.

Was wir in den Wissenschaften als Verstehen dem Erklären gegenüberstellen, istalso dieses Verstehen des Verstandenen, nicht das ursprüngliche Verstehen. Das

ursprüngliche Verstehen ist die Wirklichkeit des V erstehens selber, ist im Besitze

seiner selbst und des Verstandenen; das Verstehen des V erstandenen ist im Blick

auf jene Wirklichkeit ihr selbst in der Blässe der eigenen Wirklichkeit fern. Das

ursprüngliche Verstehen entscheidet gut und böse, wahr und falsch, schön und häß

lich; das Verstehen des Verstandenen steht dem in einem Abstand der eigenen Un

verbindlichkeit gegenüber und unterscheidet nur richtig und unrichtig im Treffen

oder Nichttreffen des einst in der Wirklichkeit gemeinten Sinns. Das ursprüngliche

Verstehen vollzieht in jedem Augenblick Wertungen; das V erstehen des Verstandenen suspendiert die eigenen Wertungen, je richtiger es wird (Max Weber).

c) Spannung und Einheit beider

Diese anscheinend klare Unrerscheidung ist aber in der Tat nicht eine reine Schei

dung zweier Gebiete, sondern Ausdruck einer Spannung, in der der Wille zur

maximalen Helligkeit im Verstehen des Verstandenen methodisch vorübergehend

jene Suspension der Wertungen versucht, obgleich das wertende Dabeisein faktisch

die Quelle aller Einsicht im Verstehen bleibt.Die Schwierigkeit machen wir deutlich an dem geisteswissenschaftlichen Verstehen

als empirischer Wissenschaft. Geisteswissenschaft ist erstens gebunden an Doku

mente, Zeugnisse, Werke, Sprachen in Raum und Zeit, an das sinnlich jetzt Gegen-

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wärtige, das aus der Vergangenheit oder aus der Ferne· mir vor Augen ist, sie istzweitens gebunden an mein Verstehenkönnen. So wie sinnliche Wahrnehmung in derNaturwissenschaft das Vermögen der Sinnesorgane voraussetzt, so das Verstehen inder Geisteswissenschaft darüber hinaus das Vermögen verstehender Anschauung.Hier wird nun der eben so einfach behauptete Tatbestand, wir könnten Cäsar ver-stehen, ohne Cäsar zu sein, vielmehr zur Frage: Wie ist das möglich? Wie verhältsich das Verstehen des V erstandenen als wirklichkeitsloses Verstehen zu dem ur-sprünglichen wirklichen Verstehen? Wie verhält sich Verstehen des Verstandenenzu einer Aneignung des Verstandenen in eigener Wirklichkeit, Daß für beideWeisen des Verstehens, des ursprünglichen und des verstehenden VerstehenS', das-selbe Wort gebraucht wird, ist ein Hinweis, daß ein Zusammenhang beider besteht.

Wiederum haben wir zwei Wege zu trennen als grundsätzlich auf verschiedene

Ziele gerichtet.Die scheinbar klare Scheidung zwischen Verstehen und Verstehen des Verstande-nen wird aufgehoben in dem ursprünglichen Verstehen selber, das aus dem schonVerstandenen sich entzündet. Es ist das Wesen des Geistes, sich im Rückbezug aufsich selbst hervorzubringen. Er nährt sich aus dem Verstandenen in seinem ursprüng-lichen Verstehen, er selber ist Geschichte, ist Geist durch Überlieferung. Er fängt niean, wenn er ursprünglich ist. Er hat stets schon Voraussetzungen des Verstandenen(Hegel). Dieses ursprüngliche Verstehen auf dem Grunde des Verstehens des Ver-standenen verwandelt, eignet an, aber kennt nicht den Maßstab, richtig zu verstehen,

was vor ihm im Verstehen gemeint war.Oder er

gibtsich

den Anspruch, den Autorbesser zu verstehen, als er sich selbst verstand (der Satz stammt von Kant, der es

aber von den Lesern seiner Werke erwartet).Dagegen steht der andere Wille, der nur verstehen will, was verstanden wurde,

nur wissen will und richtig treffen will, was faktisch gemeint war im Gedachten, Ge-glaubten, dichterisch und künstlerisch Geschaffenen. Er läßt sich nicht abbringen vondem Ziel richtiger Erkenntnis vorgefundenen Geistes durch die für den Historikergefährliche, für den Theologen oder Philosophen sinnvolle Wendung: Man solleverstehend herausheben, was an sich in der Sache lag. Er will vielmehr empirisch

möglichst zwingend zeigen und rein herausheben, was faktisch gemeint war.Nun gibt es im ursprünglich Verstandenen wahr und falsch, gut und böse, schön

und häßlich. Soweit der Spätergekommene im eigenen ursprünglichen Verstehen es

besser weiß, kann er um so klarer das einst wirklich Gemeinte überblicken und danndas Irren als empirischen Befund gewesener geistiger Wirklichkeit zeigen. Dies giltjedoch eindeutig und klar nur von wissenschaftlicher Erkenntnis. überall sonst ge-schieht kein Überblicken, das sich in besserem Wissen und besserem Recht dünkendürfte. Vielmehr liegt das Unersetzliche des ursprünglichen Verstehens, das aus derVergangenheit zu uns spricht, darin, daß es unerschöpflich ist. Wo das nicht der Fall

ist, hat es kein eigentliches Interesse, sowenig wie erledigte wissenschaftliche Irr-tümer. Das hinzukommende Verstehen des Verstandenen steht daher, wo es unüber-bietbar Ursprüngliches vorfindet, wohl im Ringen mit dem V ergangenen, aber ohneabsolut gültigen Maßstab. Dieses Ringenkönnen wird nur suspendiert (das heißt

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aber keineswegs ausgelöscht), wenn die historische Wirklichkeit als solche empirischverstanden werden soll.

Dieses reine, von sich selbst absehende Verstehen des Verstandenen ist also nicht

ein Vorgang passiven Abbildens.Es

fordert die Möglichkeit eigenen ursprünglichenVerstehens, dessen Aktivität nur suspendiert ist. Daher ist das Verstehenkönnen inden Geisteswissenschaften individuell begrenzt, nicht gleichermaßen bei jedem vorauszusetzen wie die biologische Gegenwart der Sinnesorgane bei allen Gesunden.Die Begrenzung des Verstehenkönnens beschränkt die zwingende Mitteilbarkeit derGeisteswissenschaften, bringt sie in den Zug scheinbarer Nichtallgemeingültigkeitund läßt den großen geisteswissenschaftlichen Leistungen in viel höherem Maße alsden naturwissenschaftlichen den persönlichen Charakter.

Verstehenkönnen des Verstandenen ist schon ein mögliches Seinkönnen, ist selber

durch diese Möglichkeit in Bewegung, ist in den eigentümlichen Zug des Beteiligtseins gebracht, so die politische Einsicht des an der Tat Verhinderten, die Kunsteinsicht dessen, der wohl ergreifen, aber nicht schaffen kann, der wohl das Vermögender Anschauung, aber nicht der Schöpfung ästhetischer Ideen hat, die Religionseinsicht dessen, der einen Glauben vielleicht sehnsüchtig begehrt oder aus Selbstbehauptung der Vernunft verwehrt, aber 'selber nicht verwirklicht.

Die Spannung zwischen ursprünglichem Verstehen und Verstehen des Verstandenen hat wesentliche Folgen. Zwischen dem, der im Verstehen selbst ursprünglichwirklich ist, und dem, der nur versteht, was schon verstanden wurde, bleibt ein

Sprung. Der zusehende Verstehende kann vielleicht weiter gelangen, mehr einsehenals irgendeiner von denen, die es selber tun und sind. Aber die Weite der Einsichthat er um den Preis der Blutlosigkeit und dazu noch um den Preis einer grundsätzlichen Beschränkung: Überall müssen wesentliche Momente seiner Einsicht entgehengerade dadurch, daß er nicht selber ist, was er einsieht. Und leicht führt uns die Er-

griffenheit im Verstehen des Verstandenen zu der Verwechslung, solches Verstehenschon für eigene Wirklichkeit zu halten. Bei Gewöhnung an solches Verhalten geraten wir in die Selbsttäuschung, die eigene Existenz durch den Schein des verstehenden Erlebens von Möglichkeiten zu ersetzen, die Unverbindlichkeit einer ästhetis.chen

Lebenshaltung für eigene Wirklichkeit zu halten.

d) Berührung des Unverständlichen

In jedem ursprünglichen Verstehen wird das Unverständliche berührt. Der kritischen Klarheit zeigt es sich in zwei entgegengesetzten Gestalten: das Unverständliche, das als das Dunkle schlechthin nur Gegenstand des Erklärens als Naturgeschehen ist, und das Unverständliche, das in jeder Existenz wirklich, aber, obzwarunerhellt, ins Unendliche' verstehend erhellbar ist.

Dem entsprechen-jene zwei Methoden: die des von außen, naturwissenschaftlichvorgehenden Erklärens der Herkunft des Wirklichen aus dem absoluten, unerhellbaren Dunkel des schlechthin Andern - und die des Verstehens, die das sachlichSinnhafte entfaltet und dadurch in die einmalige Geschichtlichkeit eindringt.

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Beide Wege führen ins Unendliche: das. Erklären zur Erkenntnis der Gesetze des

Geschehens, das sein Inneres nicht enthüllt und das für diesen Erkenntnisaspekt auch

kein Inneres hat - das Verstehen zur Erkenntnis der Sinnzusammenhänge, die stets

auf ein Tieferes weisen; Dort wird im Verfahren des Erkennens immer entschiedener

das Dunkel ein absolutes, die Zufälligkeit des Soseins, hier das Hellwerdenkönnen

eines grundsätzlich ganz und gar zur Offenbarkeit Drängendes deutlich.

Beide Wege führen auf etwas, das, obgleich methodisch für unser Erkennen radi

kal getrennt, im transzendierenden Denken einer Metaphysik vielleicht koinzidiert.

Darauf weist, daß die Existenz des Menschen in ihrem tiefsten Bewußtwerden zu

vereinigen scheint das, was als naturgegeben in seinem Aspekt allgemein erforschbar

ist, und das, was geschichtlich in seiner Unersetzlichkeit ins Unendliche verstehbar

ist. Denn das, als was Existenz sich selbst übernimmt, ist die Zweideutigkeit des Un

verständlichen selber, das sich dem tiefsten Verstehen als Dunkel und als Erhellbarkeit zeigt.

Der Sinn alles großen Verstehens birgt in sich die Berührung des Unverständ

lichen nach beiden Seiten. In dem Maße dieser Berührung wird das Verstehen des

Verstandenen selber ursprüngliches Verstehen, tritt es ein in die Wirklichkeit, weil

es Moment der eigenen geschichtlichen Verwirklichung wird.

e) Kritik an Bultmann

Beurteilen wir mit den hier entwickelten Unterscheidungen Bultmanns Erörte

rungen des Verstehens, so scheint mir: Weil Bultmann die Differenz vom ursprüng

lichen Verstehen und Verstehen des Verstandenen wohl weiß, aber nicht bewußt

hält, erlischt in seinen Schriften die große Spannung zwischen beiden. Zwischen

empirischer, philologischer Exegese und theologischer Glaubensaneignung geht es

hin und her. Die beiden großen Ziele der historischen Forschung und des ursprüng

lich verstehenden glaubenden Dabeiseins erbauen in ihrem Gegensatz kein durch

das Ringen mitreißendes Werk, sondern kollabieren eher spannungslos in einer Un

klarheit, um beiden Zielen auf einer geringeren Ebene nebeneinander zu dienen.

Das wird fühlbar, wenn wir den Umgang mit dem Unverständlichen noch einmal

bedenken.

Ist Verstehen noch im Schlagen an das Unverständliche? noch in der Erhellung

der Grenze? Nur nach der einen Seite war uns die Grenze grundsätzlich; hier wird

sie nur immer dunkler, unüberwindlicher, je entschiedener das Erkennen ist; noch

am Geiste ist das Merkmal seines Naturseins die Unbeweglichkeit des Nichthörens,

die Starre in der Unzugänglichkeit für Gründe, der Abbruch des Verstehens selber,

die Selbstbehauptung eines Unverständlichen, das sich noch im scheinbar Verständ

lichen als in seinem Vordergrund verbirgt. Nach der anderen Seite liegt die Tiefe

der unendlich fortschreitenden V erstehbarkeit frei, das Sichoffenbarenwollen der

vernünftigen Existenz. ·

Dem Willen zum Verstehen (das sich nicht mit dem Erkennen von außen be

gnügt) zeigt im Schlagen an das Unverständliche entweder dieses selber sich in

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mythischen Gestalten und spekulativen Begriffen; dann ist es, als ob es sich zeigen

wollte, aber es verbirgt sich doch in der großartigen und vieldeutigen Sprache. Oder

das Unverständliche öffnet sich der unendlichen Kommunikation der Existenz zwi

schen Menschen.Glaube sieht das Unverständliche beider Seiten in eins durch sein ursprünglicheb

Verstehen im Mythus und dann im Begriff, ohne es wirklich zu verstehen. Es schlägt

an das Unverständliche, es vergegenwärtigend in dieser Weise des Verstehens. Die

ser Glaube teilt sich mit, in eins sich selbst und dem andern. Glaube, der sich mitteilt,

macht Anspruch auf Verstandenwerden. Mitteilbarkeit ist Verstehbarkeit.

Wenn Bultmann Glauben mit dem Verstehen verbindet, trifft er daher auf den

entscheidenden Punkt. Die Frage ist nur, wie solches Verstehen im Schlagen an das

Unverständliche sich vollzieht. "Existentiale" Interpretation als wissenschaftliche

Einsicht scheint unmöglich: Sie vollzieht eine falsche Vergegenständlichung. Trotzbewußter Abwehr der Vergegenständlichung kann diese nicht aufhören, wird jedoch

im Selbstmißverständnis unbemerkt, darum ein falsches Wissen und in den Mittei

lungsweisen falsches Glauben. Dagegen gilt: Verstehen des Glaubens ist, wenn es

Gewicht hat, in der Mitteilung "existentielle" Interpretation. Solches Verstehen ge

schieht nicht als Methode einer Forschung. Es ist ein Sprechen aus der Quelle. Es

gelingt nicht in Indifferenz wissenschaftlicher Erkenntnis, die es hier nicht gibt, son

dern nur mit der Verantwortung des Soverstehens. Es ist ein Umkreisen, Umschrei

ben, Erörtern, Verwandeln. Dies Sprechen aus dem Glauben ist selber Glauben,

bereitet vor den existentiellen Augenblick, erinnert den ewigen Grund, und zwar inder Sprache der mythischen Bilder - und in philosophischen Sprachen spekulativer

Begriffe.

Wir alle leben in Bildern, auch wenn wir in philosophischer Spekulation sie über

schreiten. Man kann sie den unumgänglichen Mythus nennen, mag er armselig oder

tief sein, mag er zum Wahn werden, der die Langeweile übertäubt, den Drang zum

Ungeheuren einen Zerstörerischen Augenblick lang befriedigt, oder mag er die Ge

stalt der wunderbarsten Verschwendung in Scheitern und Opfern werden. Der

Mythus ist, philosophisch gesprochen, die apriorische Vernunftform transzendieren

der V ergewisserung. Er ist, psychologisch gesprochen, die Erlebnisweise des Wirk

lichen. Aber weder apriorische Vernunftform noch psychologische Erlebnisform sind

an sich schon Wahrheit. Sie können erfüllt sein mit hysterischem Spiel von Zau

berern, Hexenmeistern, Rattenfängern, die es können "so oder so", die selber glau

ben und nicht glauben, es erfinden und,dann wie dabei sind, und die dann die Faszi

nierten erblinden machen, ihrem Banne zu folgen, in ästhetischer Erbaulichkeit von

Snobisten oder in politischer Realität von Nihilisten. Sie zerstören in jedem Fall,

dort die Intimität und Seihsterheilung der Seele, das mögliche Selbstsein, hier das

Dasein im Ganzen.

Der Ernst des Gehaltes liegt also nicht schon in der apriorischen Form und der

psychologischen Verfassung. Vielmehr vermag nur der Ernst den Ernst zu erwecken.

Weiche Sprache er spricht, das ist das Wagnis dessen, der berufen ist. Er steht unter

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seinem Gewissen des Sichidentifizierens mit dem Gesagten nicht für den Augen

blick, sondern für immer.

Keine dieser beiden Weisen des Sprechens, weder die zauberisch-nihilistische noch

die echte, finden wir bei Bultmann. Er spricht wissenschaftlich. Er will redlich dasRichtige. Da er jedoch als das "wissenschaftliche Bewußtsein überhaupt" Theologie

redet, befangen in falschen Vorstellungen von moderner Wissenschaft und von wis

senschaftlicher Philosophie, fehlt bei ihm das, was Aneignung fühlbar macht. Ein

theologisches wie ein philosophisches Sprechen muß sinnfremd dahinfallen, wenn es

sich entzieht in die Wissenschaft, das heißt, wenn nicht das Pneuma darin weht. Die

Theologie gründet daher ihr Verstehen auf den Heiligen Geist. Ob er irgendwo

weht oder nicht, wer könnte das allgemeingültig entscheiden! Aber der Hörende

darf es aussprechen, wo er sich von ihm, und mag er noch so schwach sein, getroffen

weiß, wo nicht. Und er kann umschreiben, wie ihm das Ausbleiben erscheint. WoAneignung geschehen ist, da ist der Ton hörbar aus der Glaubwürdigkeit des Um

greifenden, woraus gesprochen wird. Dann ist aufgehoben die Unglaubwürdigkeit

der unumgäqglichen Objektivierung, bei der nur sachliche Geltung in Anspruch ge

nommen wird. Bei Bultmann ist in der Weise des Sprechens überall die Verantwor

tung des wissenschaftlichen Forschers fühlbar, die ausreicht bei den historischen Er-

kenntnissen, aber unzureichend ist, wo es sich um Theologie handelt. Wo der Ernst

der Sprache aus dem Glauben stattfindet, da wird aus dem Umgreifenden gespro

chen, das in der Objektivität des Gesagten und der Subjektivität des Sprechenden

beides in eins zusammenhält. Dieser eigentliche, entweder theologische oder philosophische Ernst, der wissenschaftlich nicht möglich ist, ist verloren, wo im Umgrei

fenden die subjektive Seite dahinfällt zugunsten einer bloßen Objektivität des Glau

bensinhalts oder zugunsten der Objektivität einer im "existentialen" Denken objek

tivierten Subjektivität, - und ebenso ist dieser Ernst verloren, wo die objektive Seite

dahinfällt zugunsten einer willkürlichen und schwärmerischen Subjektivität. Bult

manns Glaubensverstehen scheint sich selbst als Exegese zu verstehen. Der weite

Raum der Möglichkeiten und Spannungen und Entscheidungen des Verstehens ist

wie verschwunden.

III. Die. Frage nach den Mächten, die hinter der Diskussion über

Entmythologisierung stehen: Verwandlung und Aneignung biblischer Religion

Fasse ich das Gesagte zusammen. Die transzendentalen Erörterungen, die ihre

Ausläufer in der Methodologie des Verstehens und der Exegese haben, haben einen

zweideutigen Charakter. Einerseits öffnen und trennen sie die Räume unseres Wis

sens, unseres Wirklichkeitsbewußtseins, unseres Selbstverständnisses. Sie sind Kritik,

d. h. sie verwehren falsche Vermengungen. Sie sichern durch Rechtfertigung aus demUrsprung die Möglichkeit dessen, was etwa fälschlich für nichtig erklärt wird. Sie

wollen kritisch neutral sein, nichts vorwegnehmen bezüglich der Gehalte. Sie klären

das Medium, in dem alles, was Sprache gewinnen kann, sich im geistigen Kampfe

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begegnen mag. Sie halten den Raum frei für alle Möglichkeiten der Gegenwärtig-keit von Wirklichem.

Anderseits aber sind solche Erörterungen durchweg der Vorhang, hinter dem sich

anderes abspielt, das, worauf es eigentlich ankommt: in unserem Felde die Antwortauf die Frage nach der Aneignung und Verwandlung biblischen Glaubens im gegen-wärtig wirksamen Glauben. Wenn wir hinter den Vorhang treten, stellen sich dieFragen sogleich anders. Was bisher beiläufig berührt wurde, wird jetzt Thema.

Die echte Verwandlung in der glaubenden Lebenswirklichkeit wird nicht erdacht,nicht geplant und nicht gemacht. Nur aus ihr, sofern sie schon geschieht, kann gespro-chen werden. Die Kritik einer Theologie (ebenso der Philosophie, von der hier nichtdie Rede ist) wird dann die wissenschaftlich unmögliche, aber sachlich entscheidendeFrage stellen, ob und was sie für diese glaubende Lebenswirklichkeit bedeuten möge.

Es kann sein, daß Theologen sprechen im .Ausweichen ihrer Ungläubigkeit vordem existentiellen Anspruch durch Reden über ihn, durch Kenntnisse eines gedach-ten Glaubens und durch Operationen zur Sicherung der Kirche aus der Tendenz zurSelbsterhaltung jeder von Menschen hervorgebrachten Institution. Oder das theo-logische Sprechen kann etwas ganz anderes sein: die kunstvolle Ausarbeitung einerweitgehend unglaubwürdig gewordenen und doch noch begehrten Religion zu einerGestalt "für die Gebildeten unter ihren Verächtern", Schleier machend vor demErnst aus dem guten Willen einer Gesellschaft und dem noch fortbestehenden, ausder

Herkunft anvertrauten und nicht ganz preisgegebenen Glauben.Wo stehen Bultmanns Gedanken? Wiederum müssen wir zunächst den Horizont

erblicken, innerhalb dessen eine Antwort möglich ist. Wir tun es auf dreifacheWeise. Der Ort, an dem entschieden wird, ist die Praxis des Seelsorgers in seinerGemeinde. Der sachliche Kampf geht zwischen Liberalität und Orthodoxie. Diedrohende oder beschwingende Frage ist die nach dem Einswerden von Theologieund h i l o s o p h i e ~

r. Der Seelsorger

Die Aneignung des biblischen Glaubens wird nicht durch Forschung vollzogen,sondern durch Glaubenspraxis. Die Glaubenssprache wird nicht angeeignet durchÜbersetzung aus dem Mythologischen in ein vermeintlich Unmythologisches, sonderndurch unwillkürliche Verwandlung in gegenwärtig bezwingenden Sinn innerhalbdes Mythischen selber. .

Diese Aufgabe sieht bei Bultmann so aus, als ob sie durch Kritik und Ausschei-dung wissenschaftlich unhaltbarer Falschheiten gelöst würde, als ob das Negative

einer vermeintlichen Säuberung schon zur Wiedergeburt führe, als ob mythischeSprache als solche abzuwerfen sei. Weil Bultmann den Gehalt mythischer Spracheals unübersetzbare Wahrheit verkennt, wirkt sein Denken nicht beschwingend, viel-mehr so arm; mir scheint fast erstickend. Das in der Verwandlung Gleichbleibende

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der mythischen Wahrheit ist nicht losgelöst von geschichtlichen Kleidern, ohne diesegeradezu zu haben. Niemand kann durch Exegese, noch weniger durch "existentiale"Interpretation "wissen", was für den Glauben in der Bibel steht.

Die Aufgabe ist überhaupt nur in der Nachfolge Sache einer gelehrten Theologie,ursprünglich vielmehr Sache der Theologie des Seelsorgers, der täglich in der Praxissteht, der der konkreten menschlichen Situation Genüge tun und sich bewähren muß.Sie ist ebensowenig Sache der Philosophie, mag die Philosophie auch die Zugängezur Transzendenz im formalen Transzendieren, in den existentiellen Bezügen zurTranszendenz, im Lesen der C h i f f e r s c h r i ~ t erhellen.

Die Aufgabe despraktischen Seelsorgers (der heute auch außerhalb der Kirchenin den Feldern der Psychotherapie, Antroposophie, Christian Science u. a. höchstfragwürdig auftritt) ist außerordentliCh. Der Seelsorger wagt die Sprache der r a n s ~zendenz als Sprache Gottes zu hören und zu sprechen in der gemeinschaftlichen Le-benswirklichkeit selber, angesichts der Ereignisse und Schicksale, der Hoffnungenund Verzweiflungen. Die Sprache wird mit Recht gewagt von dem, der selbst vonihr durchdrungen ist. Sie ist wahr im Dabeisein, unglaubwürdig als bloß gedachtoder gar als bloß gesagt. Wo sie wahr ist und daher wirkt am Sterbebett, bei der Hoch-zeit, bei der Bestattung, in der Not des Daseins, erfüllt sie ihren Sinn. Dann ist siedas, ~ o r a n wir endliche Wesen uns voran tasten, was uns eine Vergewisserung fin-den läßt. Der so sich bewährende Seelsorger vermag, was kein Philosophieren be-greifen kann, den Kultus in Gemeinschaft und die Sakramente zu vollziehen, die

heiligen Feste heilig zu feiern. ·Der die heiligen Handlungen vollziehende Priester, der die Offenbarung verkün-

dende Pfarrer, der die Geheimnisse der Gottheit wissende Theologe, sie sind in einsein Urphänomen der Menschheit, das sich unter mannigfachen Namen verbergenkann, aber. immer wieder da ist. Vergegenwärtigt man den ungeheuren Anspruch,der im Ergreifen dieses Berufes liegt, so steht man voll Bewunderung und Sorge vordiesem Wagnis, das durch das eigene Leben und seinen Ernst das Heil nicht für sich

allein, sondern für alle sucht, das nicht aufhört im Sicherbarmen und Helfen, dasglaubwürdig wird durch die Erscheinung des Seelsorgers, der, wenn er auch unab-lässig noch ringt, und wenn er auch nicht geradezu um das Heil weiß, doch schon inder Wahrheit steht. Durch ihn wird die mythische Sprache wirkungskräftig. Er nimmtdie mythische Welt auf, läßt sie gegenwärtig werden, nicht durch Theorien der Philo-sophen und Theologen, sondern durch die Ursprünglichkeit der Aneignung aus derBetroffenheit im eigenen Glauben

. Was das bedeutet, wird vielleicht klarer durch Aufzeigen dessen, was für die ein-zelnen den Pfarrerberuf unmöglich machen kann. Er ist unmöglich für den, der ent-täuscht oder enttäuschbar ist durch die Eigenschaften der Mehrheit der Gemeinde,

zuder

doch alle gehören, durch die Verständnislosigkeit, die Unredlichkeit.Er

istunmöglich für den, dem sich der Glaube in absolute Innerlichkeit verwandelt, der

alle Realität in der Zeit, die Leibhaftigkeit des Heiligen verliert, weil das ihm einbloß Äußerliches und daher zu Verwerfendes wird. Der Beruf ist unmöglich bei

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einer radikal negierenden Ansicht vom TotalunheiL Die Welt ist am Ende, ist verloren, es bleibt nur kontemplative Verzweiflung. Menschen wie Sebastian' Franckoder Kierkegaard, für die alle diese Unmöglichkeiten bestanden, versuchten vergeblich, Pfarrer zu sein oder zu werden.

Vielleicht ist eine gewisse Analogie zwischen den Berufen des Pfarrers und desArztes. In beiden hat der praktische Beruf den Vorrang vor dem Wissen, das nur einHilfsmittel ist. Die Zukunft des Arztseins entscheidet sich nicht an den medizinischenForschungsstätten, die Zukunft des biblischen Glaubens nicht in der akademischenTheologie.

Nicht die Raffinements der Gedankenbauten vermögen zu verwirklichen. Kierkegaards Konstruktion des christlichen Glaubens als Glaube an das Absurde ist voneiner bewunderungswürdigen Konsequenz und einem verführenden Reichtum. Wäre

sie wahr, so würde damit, wie mir scheint, die biblische Religion am Ende sein. Ohnedie harmlosere Leistung Bultmanns damit vergleichen zu wollen, darf vielleichtdoch die Analogie bemerkt werden in der radikalen Säuberung zugunsten eines Heilsgeschehens, einer andeten Absurdität, die aber die Klarheit und die KonsequenzenKierkegaards vermeidet. Beide leisten etwas für die rationalistisch verbildete Welt,um- ohne das zu wollen - dem Glaubenslosen durch einen rationalen Gewaltakt so

etwas wie das gute Gewissen eines Nochglaubenwollens und -könnens zu geben.

Heute wird der Ort, an dem sich Arztsein und biblische Religion entscheiden,

wenig beachtet, dagegen der Lärm an den Orten medizinischer Forschung und theologischer Konstruktion in breiter Öffentlichkeit gehört. Das ist vermutlich eine akustische Täuschung über das wirkliche Geschehen.

Die Analogie des Verhältnisses des modernen Menschen zum Pfarrer und zumArzt ist illustrierbar anläßlkh eines Satzes von Bultmann: "Man kann nicht . . . inKrankheitsfällen moderne medizinische und klinischeMittel in Anspruch nehmen undgleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben." Nun,das kann man sehr wohL Aber schlimmer als das: der Aberglaube in medizinischenDingen ist heute nicht selten ebenso absurd wie in jener materialisierten Geister- und

Wunderwelt. Und bei den durch die psychoanalytische Glaubensanschauung oderähnliche moderne Bewegungen infizierten Arzten nähern sich sogar wieder die Inhalte der Dämonologie, nur in etwas anderer Ausdrucksweise.

Bultmanns kritische Energie scheint sich gegen nicht gefährliche Bedrohungen zuwenden. Aber gegen die heute gewaltigen wirklichen Gefahten, gegen die der Angsterwachsenen, in ratlosem Irregehen ergriffenen trügerischen Hoffnungen und Erwartungen, gegen die Ausflüchte, die analog in Medizin, Politik, Theologie und überallruinös sind, bringt Bultmann keine Hilfe. Er beteiligt sich nicht am Kampf gegen sie.Er

bleibt in der theoretischen Erörterung, die Aufkläricht mit Orthodoxie verbindet,zwar in anderer Weise, aber grundsätzlich ebenso wie die rationalistische Theologie,die einst von Lessing durchschaut und verworfen wurde zugunsten entweder echterOrthodoxie oder echter Liberalität. Das nun ist deutlicher zu machen.

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2. Orthodoxie oder Liberalität

Hinter dem Vorhang der Entmythologisierung ist das eigentlich Wesentliche verborgen: Der Kampf der Orthodoxie gegen die Liberalität. Wo steht Bultmann in

diesem Kampfe? Vor unserer Antwort brauchen wir eine Verständigung über denSinn von Liberalität und Orthodoxie.

a) Glaube in der Liberalität

Liberalität lebt nicht aus bodenlosem Verstande, nicht aus gesChichtsloser Kritik.Wer liberal denkt, weiß dies: Philosophische Sicherungen und theologischeKonstruktionender Glaubenserkenntnis sind vergeblich, wenn fehlt, worauf alles ankommt:der Glaube, der nicht zuerst als gesagter Inhalt, nicht als Bekenntnis, sondern als

Lebenswirklichkeit in der Sichtbarkeit eines Menschen durch Gemeinschaft im Glauben mit anderen Sprache findet, und zwar am Leitfaden und in den Gehäusen derÜberlieferung als des geschichtlich gemeinsamen Grundes einer ehrfürchtig ergriffenen, aber auch wandelbaren Autorität.

Dasselbe anders gesagt: Die Liberalität läßt den Glauben leben in der Objektivitä t zugleich mit der Subjektivität, in der Untrennbarkeit beider. Sie ist gekennzeichnet durch die Weise, wie ihr die Objektivität gilt. Sie überwindet Leibhaftigkeit undWissen, ohne sie preiszugeben, in der Sprache schwebenden Charakters. Sie läßt denGlauben Kraft gewinnen, nicht durch Bekenntnis in Aussagen, sondern durch die

Praxis des Lebens. Sie gibt jeden Aberglauben, d. h. die Verabsolutierung des Objekts, preis und bewahrt im Wissen das Nichtwissen, hört im Nichtwissen die Spracheder Symbole des Transzendenten, in den Glaubensleibhaftigkeiten die Wirklichkeit,die nicht diese Leibhaftigkeit ist, sondern durch sie spricht, ohne Sicherheiten in der

Welt zu geben.

Dieser Glaube im Raum der Liberalität lebtkraftseiner selbst, unmittelbar vonder Transzendenz, ohne Garantie eines von außen Wahrnehmbaren oder Überlieferten, aber von diesem erweckt und erfüllt als das, was alles so Überlieferte wiederumzu prüfen vermag; dieser Glaube ist nicht durch Stützen gehalten, auch nicht durch

die Stütze eines objektiven Heilsgeschehens als absoluten, die Bedingung des Glaubens selbst erst verleihenden Ereignisses.

Die Schwere der Liberalität liegt in der Verantwortung des auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen, der nur durch die Freiheit und auf keinem anderen Wegeerfährt, wie er sich in ihr, aber nicht durch sie von der Transzendenz geschenkt wird.

b) Orthodoxie und Liberalitätin ihrem Verhalten zum Unverständlichen

Es war schon die Rede von den Grenzen des Verstehens. Wir schlagen überall

an das Unverständliche, an diesen Stein,der da

ist, an diese stumme Natur, die nichtantwortet, wenn sie als Material sich bezwingen läßt, als Wide.rstand unüberwindlich, als Übermacht vernichtend ist, dann an diesen Menschen, diesen unbeweglichen,der redet, aber nicht antwortet, dann jeder an sich selbst, an das in mir Unbegreif-

3 Kc:tygma. Bd. S

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liehe, das gegen allen meinen Willen immer wieder da ist und sich gibt, als sei es das,

was ich bin.

Unser Verstehen ist die Bewegung im Raum zwischen dem Unverständlichen auf

allen Seiten, eine Bewegung, die einerseits das schlechthin Unverständliche als dasdurch Gesetz in seinem dunklen Geschehen immer klarer von außen erkennt, die

andrerseits das Unverständliche als ein ins Unendliche Erhellbares, nicht grundsätz

lich und absolut Unverständliches, vielmehr zum Verstandenwerden Drängendes

erfährt.

Orthodoxie und Liberalität lassen sich kennzeichnen durch ihr Verhalten zu dieser

Bewegung. Wo sie aufhört im Wissen, ist Orthodoxie, wo sie weitergeht, ist Libera-

. lität. Jedes Fertigsein, jedes vollendete Bescheidwissen ist Illiberalität. Jeder ent

deckt diese am anderen dort, wo dieser keine Antwort mehr gibt, nicht hört, unzu

reichend antwortet, entdeckt sie in sich selber als ständige yerführung, und dies zu

wissen und in sich selber kritisch danach zu fragen, den Gegner als Hilfe bei dieser

Selbstprüfung zu erkennen und ihn daher zu suchen, ist ein Grundzug der Liberalität

selber.

c) Liberalität und Aufklärung

Dioe Liberalität ist im Bunde mit der Aufklärung, aber mit der echten Aufklä

rung als der unaufhaltsamen verantwortlichen Bewegung der Vernunft, ohne je voll

endet zu sein, nicht mit der falschen Aufklärung als vermeintlicher Vollendung des

Bescheidwissens mit rationalen Mitteln.

Die schlechte Aufklärung gibt es geschichtlich zu allen Zeiten. Sie ist in derTat der

Unglaube, der seinen festen Boden in Rationalitäten abergläubisch zu haben meint.

Er wird verführt durch zwingende Erkenntnisse, die mit verkehrt aufgefaßten oder

selber· verkehrt gewordenen Aussagen eines religiösen Glaubens in Widerspruch

stehen. Er hat seine Macht, soweit er solche Erkenntnisse vertritt.

Daher wird es eine immer wiederholte Theologenaufgabe, den Glauben gegen die

· Aufklärung zu retten durch Annahme dieser unausweichlichen Erkenntnisse, die vonder Aufklärung her ihn vernichten wollen. Der Gegner soll überwunden werden,

indem man sich seine Waffen aneignet. Bei Bultmann vollzieht sich dieser Kampf

gegen die Vernichtung des Glaubens durch Aufklärung wiederum mit dem alten

Mittel, die Aufklärung maximal zu akzeptieren, um dann den Glauben nur um so

entschiedener zu behaupten. Dies aber geschieht, wie mir scheint, in einem Akzep

tieren von Aufgeklärtheit, die eine falsche ist, und einer wissenschaftlichen Philo

sophie, die keine Wissenschaft ist, - um dann in einem plötzlichen Sprung, auf hal

bem Wege unterbrechend, zu dem absurdesten Glaubensinhalt zu gelangen, der

rücksichtslos mit einer gewaltsam anmutenden Entschiedenheit festgehalten wird.Daher kehrt auch der Mangel aller dieser Unternehmen wieder, dem ungläubigen

Gegner doch nicht genug zu tun, dem Gläubigen aber die Sache selbst zweifelhaft

werden zu lassen. Der Liberalität des Glaubens vollends gibt er den Anblick eines

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täuschenden Auswegs, mit dem als dem Anspruch der Denkmethode "existentialer"

,Interpretation die Orthodoxie stabilisiert wird.

Die Liberalität steht ganz anders im Bunde mit der echten Aufklärung, der un

vollendbaren Bewegung der Vernunft. Sie befreit sich ebenso vom Wissenschaftsaberglauben wie von einer vermeintlich wissenschaftlichen ·Philosophie und deren

Ergebnissen, wie von der Orthodoxie. Sie will nicht retten. Vorbild und eine ihrer

großen Erscheinungen ist Lessing. Lessing wandte sich sowohl gegen die Orthodoxie

gewaltsamer Art wie gegen die aufgeklärte rationalistische Theologie, die durch

Umdeutung retten wollte, wie gegen die verneinende und vernichtende Auffassung

des in seiner Aufklärung so selbstgewissen Reimarus. Lessing, auf einem Hügel bei

seite des Weges über alle hinausblickend, ohne sich einzubilden, das Ganze des Wah

ren zu sehen, blieb mit seinem unendlichen, kritischen Drang offen für die ihn an

sprechenden Gehalte der Bibel. Lessing verwarf das Halbe, das Verschleiernde, dasSichselbertäuschende. Daher hatte er Neigung, ohne selber mitzutun, zu der klaren,

wahrhaftigen, offenen Orthodoxie in ihrer frommen Gestalt (nicht etwa zu der un

frommen und unredlichen Intoleranz des Pastors Götze). Erhörte auf die Gründe

der Aufgeklärtheit des Reimarus als zur Wahrheit wichtigen Untersuchungen, aber

er erkannte dessen Grenzen und Grenzüberschreitungen. Die geringste Neigung aber

hatte er zu dem Rationalismus der Theologen, die, in ihrer Halbheit inkonsequent,

retten wollten, aber bei guter Absicht wider Willen unwahrhaftig wurden. Bei Bult

mann sehe ich keinen Lessingschen, keinen Kantischen, keinen Goetheschen, keinen

liberalen Geist, sondern deren Gegner. Er mutet gelegentlich an wie eine neue Gestalt jenes Rationalismus, dann wie ein Neubegründer der Orthodoxie.

d) Zweideutigkeit der Worte: Aufklärung, Liberalität, Konservativ

Aufklärung, Liberalität, Konservativ sind zweideutige Worte. Sie verwirren,

wenn man nicht unterscheidet: Aufklärung als unendliche Bewegung im Sichheraus

arbeiten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit (Kant) und Aufklärung akZu-

stand des Bescheidwissens (Aufkläricht) - Liberalität als grenzenlose Offenheit für

Vernunft und Kommunikation zum Gedeihenlassen aller echten Gehalte, auch derer,die nie in einem Menschen sich verbinden können, und Liberalismus als intolerante

Verabsolutierung eines vermeintlich endgültigen Verstandeswissens von der Freiheit

und Gleichheit aller Menschen, die in derTat den beliebigen Triebhaftigkeiten Raum

gibt - konservative Gesinnung als Ehrfurcht der Erinnerung und des Bewahrens,

des Verwehrens leichtsinnigen Abwerfens und Zerstörens, und Konservativismus als

lebensfeindliche Fixierung unbeweglich gehaltener Institutionen, Gedankenformen,

Red einhalte.

Daher fallen in eins zusammen: die Aufklärung, die Liberalität, das Konservative - und dieses eine Ganze wendet sich gegen die dazu untereinander sich bekämp

fenden, aber in der Gesinnung verwandten Mächte des Rationalismus, des Libera

lismus und des Reaktionären.

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e) Der Offenbarungsgedanke

Das schlechthin Trennende zwischen Liberalität und Orthodoxie ist die Stel

lung zum Offenbarungsgedanken. Daß Gott sich lokalisiert an Ort und Zeit, ein

malig oder in einer Folge von Akten, sich hier und nur hier direkt offenbart habe, istein Glaube, der in der Welt Gott zu einem Objektiven befestigt. Dieses soll nicht

nur Gegenstand der Ehrfurcht aus geschichtlicher Bindung sein, sondern die Absolut

heit des Göttlichen selber haben. In kanonischen Schriften, in Bekenntnis und Dog

matik, im Sakrament der Priesterweihe, in der Kirche als corpus mysticum Christi

und anderen Gestalten ist die Offenbarung und die W i t e r ~ a b e ihrer Gnade leib

haftig da.

Diese Offenbarung wird in der Liberalität nicht geglaubt. Wohl ist ihr gegenwär

tig das Geheimnis des Offenbarwerdens des Wahren in Sprüngen der Geschichte des

Geistes, die Unbegreiflichkeit, wie Menschen dazu kamen, ist gegenwärtig als dertiefe Grund des noch Unverstandenen in allem Offenbargewordenen. Aber die Ge

wohnheit, das gleiche Wort Offenbarung für jenes unverr-ückbare absolute Handeln

Gottes und für dieses Offenbarwerden von Wahrheit zu gebrauchen, darf nicht über

den radikalen Unterschied beider hinwegtäuschen.

Orthodoxie wirft diesem liberalen Glauben vor, er mache den Menschen zum

Herrn, der denkend darüber verfüge, was Gott könne und dürfe und was ·Gott zu

sagen vermöge. In der Liberalität, die ihr mit Unglauben identisch ist, sage der

Mensch alles selber, aber er müsse sich etwas sagen lassen von Gott. Der Mensch

könne nach dem Bibelwort nur erkennen, sofern er erkannt werde. Daher sei dieletzte große Alternative: ob der Mensch mit seiner Vernunft Herr und Richter über

alles sei, was ist, was sein kann und was sein soll, oder ob er darüber Gott zu hören

habe (Fries, TübingerTheologische Quartalsschrift 1953, S. 287). Orthodoxie verlangt

das Bekenntnis des Glaubens an die Offenbarung- etwa an die "Verkündigung vom

Gekreuzigten und Auferstandenen" - und behauptet, daß es dieser Verkündigung

gegenüber "um die Entscheidung zwischen Glaube und Unglaube, und in dieser Ent

scheidung um das ewige Leben und den ewigen Tod geht" (Denkschrift der Tübin

ger Fakultät, S. 34). Dazu ist au,s der Liberalität zu sagen:

Erstens: Die Frage, woran Gottes Offenbarung Z!l erkennen

Woran ist Offenbarung erkennbar? Welches Kriterium der Wahrheit wird für die

direkue Offenbarung Gottes angegeben? Entscheidend dies,. daß die Offenbarung

selber diesen Anspruch erhebt. Aber, so ist die Antwort, was immer als Offenbarung

gesagt und getan ist, es ist gesagt und getan in weltlicher Gestalt, weltlicher Sprache,

menschlichem Tun und menschlichem Auffassen.

Der Offenbarungsglaube sagt dagegen: Wenn in der Offenbarung selbst der An

spruch erhoben wird, so kann dieser nur Gottes Anspruch sein. Sie unterscheidet sichselbst von allem Mythischen durch die Ausschließlichkeit, Einmaligkeit und Abso

lutheit ihrer Glaubensforderung. Jedoch hebt diese Behauptung nicht auf, daß sie

doch alle Merkmale des Mythischen trägt. Die Liberalität erklärt nicht für unmög-

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lieh irgend etwas, was Gott als absolute Transzendenz bewirken könnte, aber sievermag selber nichts anderes wahrzunehmen als von Menschen vollzogenes Tun,Sprechen, Erfahren.

Zweitens: Die Verborgenheit Gottes und ihre Deutung

Entscheidend ist die Verborgenheit Gottes. Was immer in der Welt als GottesTat und Wort sich absolut setzt für alle, ist Menschentat und Menschenwort, die dieForderung erheben, als Gottes Wort und Gottes T : : ~ o t geglaubt und anerkannt zuwerden. Wer dagegen die Verborgenheit Gottes unangetastet läßt, vermag seinerseits in rationaler Form die Verborgenheit mythisch zu deuten, wie Kant es tat. Kant

meint, in der Bewahrung der Verborgenheit die ewige Weisheit zu erkennen. Denn

wenn Gott irgendwo in seiner Majestät selber vor Augen stände, :n Wirklichkeitoder Wort, so würden wir Marionetten, die nur am Gängelbande gehen. Gott aberhat gewollt, daß wir durch Freiheit den Weg zu ih,m finden. Dieser Weg führt zu ihmdadurch, daß unsere selbstverantwortliche Vernunft in der Welt seine zweideutigenWinke vernimmt, um durch die Wirklichkeit unseres sittlichen Lebens zu ihm zu gelangen.Die Liberalität will für sich di.e Bewegung in der Zeit nicht aufheben lassen durch

die fixierte Endgültigkeit eines Offenbarungsinhalts. Sie will sich offenhalten fürdas Hören der Sprache der Gottheit in aller Wirklichkeit. Sie hört aus der V e r b o r ~genheit Gottes den Anspruch an uns, der in der Verborgenheit als solcher liegt. Sieverwehrt daher den absoluten Gehorsam gegenüber demWort einer heiligen Schrift,der Autorität kirchlichen Amtes, weil sie die höhere Instanz unmittelbaren Bezugeszur Gottheit in der eigenen verantwortlichen Freiheit der Vernunft in jedem Menschen für möglich hält. Vor dieser Instanz kann das in Ehrfurcht vor der Überlieferung Hingenommene doch jederzeit von neuem geprüft und verwandelt werden.

W enh Mythus gegen Mythus spricht, so darf man sagen: Die Liberalität widersteht der Behauptung der direkten Offenbarung nicht aus einem Willen zu leererFreiheit, sondern aus dem Gottesgedanken selber, der in ihr Wirklichkeit ist durchden Bezug auf die verborgene, alles führende Transzendenz.

Drittens: Sinn der Gegenständlichkeit im Umgreifenden, der Zirkel

Der Vorwurf des Offenbarungsglaubens gegen die Liberalität, in dieser werdedas objektive Handeln Gottes nicht anerkannt, vielmehr mache das Subjekt desMenschen sich zur letzten Instanz, ist irreführend.

Dieses Ausspielen der Objektivität gegen das Subjekt, ebenso wie das entgegengesetzte Ausspielen der Subjektivität gegen die Objektivität, beruht auf dem Verkennen der Grundstruktur all unseres Daseins, Bewußtseins, Existierens in Subjekt-Objekt-Spaltung derart, daß kein Objekt ohne Subjekt, kein Subjekt ohne Ob

jekt ist, vielmehr das Umgreifende, in dem wir und das wir sind, sich inder

Spaltung durch das Zueinander beider Seiten, nicht durch eine Seite allein, hell wird.Das Dasein ist in seiner Umwelt, das Bewußtsein überhaupt auf Gegenstände gerichtet, Existenz mit der Transzendenz.

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Die Transzendenz, Gott, das Umgreifende alles Umgreifenden, werden für uns

niemals hell, so wie sie ohne unsere Subjektivität sind. Die Wirklichkeit der Tran

szendenz als Objekt ist nur in der Sprache der Chiffern, nicht aber wie sie an sich

selbst ist, für uns da. Die Wirklichkeit der Transzendenz ist nur für Existenz. Beide

kommen im Dasein und Bewußtsein, aber nur als Sprache, zur Erscheinung. Aspekt

Gottes, Handeln Gottes, Gottes Wort, alles das sind Chiffern, durch die die Wirk

lichkeit für ein Subjekt, das mögliche Existenz ist, in der Erscheinung gedacht, gehört,

befragt wird.

Keineswegs verfügt der Mensch als Philosoph über das, was Gott möglich und

nicht möglich sei. Aber er wird sich bewußt der Bedingung der Gegenständlich-

keiten in der Struktur dessen, wie alles Sein uns gegeben wird. .

. Für das HeUwerden des Umgreifenden in der Subjekt-Objekt-Spaltung gilt: Ich

verfüge nicht im Denken, sondern ergreife als Ergriffener, denke, wassich

mir imDenken als das Andere zeigt, von mir gemeint als das von mir Unabhängige, auch

ohne mich Seiende. Und ich werde mir bewußt der subjektiven Bedingungen für

das Gegenwärtigwerden des Sinns der jeweiligen Objektivität. Nur als vitalem

Dasein zeigt sich mir die Realität, mir als Bewußtsein überhaupt das gültig Erkenn

bare, mir als möglicher Existenz die Transzendenz. Die Entfaltung der Subjektivi

tä t bedeutet das Ansichtigwerden der zugehörenden Objektivität. Das eine bringt

das andere nicht hervor, ist aber Bedingung der Erscheinung des Objekts für das

Subjekt, der Verwirklichung des Subjekts durch das Objekt.

Nun scheint für die philosophische Selbstvergewisserungder

Liberalität die Behauptung der Offenbarung Gottes als eines in der Welt vorgekommenen Ereignis

ses auf einer Verwechslung zu beruhen. Das Verhältnis von Subjekt und Objekt in

dem Bezug von Existenz auf Transzendenz wird fälschlich behauptet in der Form

des Verhältnisses des Wissens auf das Gewußte in der Welt. Die Transzendenz, die

nicl;lt in der Chiffernsprache zweideutig spricht, sondern in der Offenbarung ein

deutig da ist, ist doch nur die Bibel, die Kirche, ist die Behauptung von Menschen,

die als Zeugen Gottes, Stimme Gottes, Tat Gottes für ihre Aussagen Gehorsam von

allen verlangen und diesen Gehorsam Glauben nennen. Für die immer menschlich

geschichtlich begründete Autorität wird die direkte und ausschließliche AutoritätGottes in Anspruch genommen.

Nun wird gefragt: Ist erst die Offenbarung als objektive Realität da und folgt

dann der Glaube an sie in der Wahrnehmung ihrer Wirklichkeit? Oder ist der

Glaube an Offenbarung in eins und untrennbar von der Offenbarung selbst, die

den Glauben bewirkt? Ist dann hier wie in all unserer Gegenwärtigkeit das Sub

jekt an das Objekt und das Objekt an das Subjekt gebunden? Ist dann Offenbarung

das, was immer geschieht, wenn geglaubt wird, wenn der Glaube an Gott gegeben

wird? Ist daher solche Offenbarung in der geschichtlichen Vielfachheit überall dort,

wo sie behauptet wird, im Abendland in ihren verschiedenen Gestalten (Judentum,die christlichen Konfessionen, der Islam) und in Asien?

Oder ist gerade die Verallgemeinerung der Offenbarung zu einer geschichtlichen

Möglichkeit, von der die Offenbarung in Jesus Christus oder Moses nur Fälle sind,

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gegen den Sinn der Offenbarung? Sind die anderen Fälle, die Offenbarung der

ewigen Veden für die Rishis, oder der kanonischen Bücher der Chinesen, nicht Of

fenbarung? Kann der Anspruch einer Offenbarung, die einzige zu sein, berechtigt

oder muß er unberechtigt sein?

Oder ist Offenbarung gar so weit zu fassen, daß jeder Mensch in seiner Freiheit

die Möglichkeit hat, sich von der Transzendenz geschenkt und geführt zu erfahren,

auch in der Zweideutigkeit aller Zeichen in der Welt?

Solche Fragen gewinnen ihre Antwort durch den Hinweis auf die Zusammen

gehörigkeit von Subjekt und Objekt in dem durch diese Spaltung hell werdenden

Umgreifenden. Daher nehmen die Antworten logisch die Form eines Zirkels an,

entweder: Offenbarung durch Offenbartwerden im Subjekt, in dem das Ansichsein

der Offenbarung als eines objektiven Bestandes erfaßt wird- oder: Vernunft in der

Bewegung der Vernunft, der sich zeigt, was für Vernunft sich vernünftig bewährt.

Es ist der Zirkel von Subjekt und Objekt, die - aber in mehrfachen Gestalten -

sich gegenseitig bedingen, begründen, tragen. Zirkel ist die unumgängliche Grund

form unserer Selbstvergewisserung im Ganzen. Der Aufweis des Zirkels bedeutet

nicht schon die kritische Vernichtung des Gedankens. Vielmehr steht Zirkel gegen

Zirkel nicht durch logische Argumentation, sondern durch Vergewisserung der

Tiefe oder Plattheit, der Angemessenheit oder Unangemessenheit des je beson

deren Zirkels, der Folgen des Denkens und Lebens in einem bestimmten Zirkel.

Aus diesen Zirkeln kommen wir nicht heraus, mögen wir auch jeden einzelnen Zir

kel überwinden. Er ist rein logisch in den einzelnen Fällen immer derselbe,- nicht

besser oder schlechter, ist zum Beispiel auch im materialistischen Zirkel: Die Welt

ist ein Produkt unseres Gehirns, das Gehirn ist Produkt der Welt, die durch das

Gehirn sich selber in dieser Erscheinung wahrnimmt. Der Zirkel der Vernunft und

der Zirkel des Offenbarungsglaubens, Liberalität und Orthodoxie, beide sind Zir

kel, beide liegen im Kampf miteinander, nicht weil einer dem anderen den Zirkel

vorwerfen dürfte, sondern aus dem Gehalt und den Folgen des jeweiligen Zirkels

heraus.

Viertens: Die Geschichtlichkeit der mythisch sprechenden Glaubensgehalte

Die Liberalität vermag im geschichtlichen Grunde ihrer jeweiligen Herkunft zu

leben, wie wir Abendländer im biblischen Grunde, aber sie gibt preis die Ausschließ

lichkeit eines in Sätzen zu bekennenden Wahren. Sie anerkennt, daß derWeg zu Gott

auch ohne Christus möglich ist, daß Asiaten ihn auch ohne Bibel zu finden vermögen.

Aber sie begreift die Bedeutung der Geschichtlichkeit und die Unumgänglichkeit

der geschichtlichen Herkunft und deren Sprache für den Glauben. Für sie kommt

alles darauf an,daß

dieKraft

des Glaubens nicht geschwächt wird, wenn der Geschichtlichkeit die absolute Geltung ihre Objektivationen für alle Menschen ge-

nommen ist, das heißt wenn die objektive Garantie in der Welt aufhört. Die philo

sophische Besinnung (als Transzendentalphilosophie Kants und ihrer Folgen bis

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heute), die dem liberalen Glauben eine Notwendigkeit ist, kann hilfreich sein, zwarnicht dadurch, daß sie als solche schon Glaubensgehalte zu geben vermöchte, aberdadurch, daß sie für diese freimacht. Sie öffnet den Raum und läßt das in den Glau-

bensgehalten liegende Wahre gegen Unglauben und gegen Orthodoxie vergewissern.Denn alles Überlieferte gilt als mögliche Sprache und wird wahre Sprache nicht

in einer Allgemeinheit, sondern in geschichtlichen Situationen für Existenz, die inihr zu sich kommt. Im Medium des Mythischen selber findet das geschichtliche Rin-gen der Existenzen miteinander statt. Das geschieht hinter den Vordergründender rationalen und mythischen Vergegenwärtigung durch das Existieren in seinerselbst sich vergewissernden, erhellenden, absetzenden Erörterungen eines unendlichfortschreitenden Verstehen&.

Fünftens: Die Konsequenz der Mythisierung der gesamten Glaubenssprache

Wenn in der Liberalität ein objektives Heilsgeschehen als absolutes Ereignisund Bedingung des Heils für alle Menschen nicht geglaubt wird, so gilt ihr dochdieses Heilsgeschehen nicht anders als die mythischen Gestalten sonst. Es ist auchein Mythus und als solcher vom Ernst existentieller Wirklichkeit zu prüfen auf dieKraft, die von seiner Sprache ausgeht, und die Wahrheit, die ihm in der Wirklich-keit des Lebens entspringt. Die Liberalität läßt den Offenbarungsglauben und auchden Glauben an dies Heilsgeschehen gelten als mögliche Wahrheit für den, der es

glaubt, sofefn der Offenbarungsgläubige nicht durch Tat und Wort Konsequenzenzieht, die die Freiheit des unmittelbar vor Gott sich findenden Menschen zerstörtund mit Gewalt irgendwelcher Art die anderen zwingen möchte.

Daher hat Buri mit Mut, wenn man an die heute noch allgemein geltende Theo-logie denkt, die Konsequenz der Bultmannsehen Entmythologisierung gezogen. Un-befangen geht er den Weg zu Ende. Auch die Verkündigung des Heilsgeschehensbringt einen Mythus. Aber Buri will nicht entmythologisieren, um zu vernichten.Nachdem er die gesamte Sprache der Religion ohne Einschränkung als mythische

Sprache erkannt hat, bejaht er sie als Sprache, um zu versuchen und anzuleiten, sienun recht zu sprechen, um in ihrem Medium uns dessen zu vergewissern, was wirglauben, was wir tun sollen und was wir hoffen und woraufhin wir zu leben wagen.Nun hat ein ganz anderes Gewissen die Führung als die Bekenntnistreue, nämlichder Ernst des Lebens selber, das Wagen des Ernstes in der Unsicherheit und Un-gewißheit und die in der konkreten Situation glaubwürdige Erhellung seiner Tran-szendenz.

Sechstens: Die Leidenschaft des Kampfes und ihr Ende

Anspruch der Orthodoxie und Reaktion der Liberalität waren wegen der Bedeu-tung des Inhalts, der Entscheidung über unser ewiges Heil, von außerordentlicherLeidenschaft, von der noch heute ein leises Nachklingen spürbar ist.

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Mit Staunen hören wir jene nun bald zwei Jahrtausende währenden Verdikte

der Orthodoxie über unseren ewigen Tod, unsere Selbstvergötterung, unseren Hoch

mut, unsere Anmaßung, daß wir den Menschen, uns selbst zum Richter über Gott

werden lassen. Mit Staunen hören wir die merkwürdige, kritiklose, keine Kritikduldende, den dies nicht Glaubenden zu ewiger Verdammnis verurteilende, dem

Glaubenden die ewige Seligkeit verheißende Forderung.

Leben wir ohne Gott? Ist unser Vertrauen, daß Gott uns zu Hilfe kommt auf

eine uns unbegreifliche und unvoraussehbare und unberechenbare Weise, sofern

wir in gutem Willen uns bemühen, daß er in Schrecken der Vernichtung und des

Todes mit uns sein kann, ein Wahn? Bultmann sagt, daß der Gottesgedanke ohne

Christus als Wahn zu bezeichnen sei "vom christlichen Glauben aus".

Dürfen wir nicht denken: Selbst wenn die Orthodoxie recht hätte, würde Gott

uns nicht verwerfen, weil wir uns redlichen WiJlens bemühen, wenn auch ständigversagend und uns täuschend? War Gott nicht mit Hiob gegen die orthodoxen

Theologen? '

Wer in menschlicher Vernunft lebt, darf sich im Kampfe mit anderen nicht auf

Gott berufen, sondern nur auf Gründe in der Welt. Denn Gott ist Gott so gut des

Gegners wie mein Gott. Wie aber, wenn Orthodoxie, wenn der Fanatismus der

Konfessionen uns abspricht, Gott zu dienen, im Gehorsam gegen Gott leben zu wol

len, wenn unser Gottesbewußtsein von ihnen für Wahn erklärt wird? Gegen In

toleranz bleibt nur Intoleranz. Da es sich hier aber heute nicht mehr um Daseins

kampf handelt, da die Ketzervernichtungen im Namen der Offenbarungen heutenicht mehr geschehen (wir sollen nie vergessen, daß sie in der Natur der Sache lie

gen), sondern heute im Namen anderer Instanzen als Gott vor sich gehen, so darf

man schweigen wegen der Unerheblichkeit der von orthodoxen Theologen noch

immer erteilten Verdikte.

f) Ist Bultmann liberal oder orthodox?

Nach diesen Erörterungen ist die Antwort auf die Frage, wo Bultmann stehe, zu

sammenzufassen.

So zuverlässig und vielfältig Bultmann als Historiker uns belehrt, so sehr scheint

er als Theologe ein Verführer zu werden, der zu retten scheint und nicht rettet, zu

geben scheint und nicht gibt und dann entscheidend eine unbewegliche Orthodoxie

des Heilsgeschehens festhält, das er doch zugleich durch die Unglaubwürdigkeit

seines glaubenden Gewaltakts auch untergräbt. Seine Weise, die alten Aufklärungs

fragen zu wiederholen, ihnen nachzugehen und einen Rest, die Mitte des Glaubens

selbst, zu retten, kann den heimlich Ungläubigen unter Theologen vielleicht ge

fallen, weil sie so vieles nun nicht mehr zu glauben brauchen, und muß den Ortho

doxen mißfallen, weil er ihnen so viel von dem nimmt, worauf sie sich gründen.

Wenn er keine neue Gestalt der Glaubenssprache gefunden hat, aber eine neue

Methode wahrer Glaubensaneignung mit seiner existentialen Interpretation ge-

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wiesen zu haben meint, so scheint mir das nicht nur philosophisch unhaltbar, son

dern ist vermutlich auch praktisch für den Pfarrer unergiebig.

Wer aber philosophiert, muß am Ende betroffen sein, wenn er sieht, was der ge

tettete Rest des Glaubens ist, was unmythisch sein soll, was Bultmann das Wesentlichste ist: nämlich die Rechtfertigung allein durch den Glauben, den Glauben an

das Heilsgeschehen, dieses für einen Philosophierenden fremdeste, wunderlichste,

existentiell kaum noch eine Sprache bedeutende, dies Lutherische mit seinen schreck

lichen Konsequenzen. Er selber faßt den Sinn seines Tuns zusammen in dem Satze,

der den Anspruch dieses Tuns in seiner Höhenlage charakterisiert und es enthüllt:

"Die radikale Entmythologisierung ist die Parallele zur Paulinisch-Lutherischen

Lehre von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werk allein durch den Glauben."

Mir scheint: Die Position Bultmanns ist in der Sache ganz und gar orthodox und

illiberal, trotzder Liberalität des Forschers und des Menschen.

Diese Illiberalität sieht in Bultmanns Situation etwa so aus:

Dem gar nicht allgemeingültigen Philosophieren mit einer Daseinserheilung der

Verzweiflung (wie Heideggers "Sein und Zeit" aufgefaßt werden kann) bietet sich

als Ergänzung die Rettung durch den Glauben an das Heilsgeschehen. Der hoff

nungslosen Sündhaftigkeit, die durch die Gnade erst eigentlich erkannt wird, bietet

sich diese Gnade an durch ein Ereignis, das mich retten soll, wenn ich daran glaube.

Aber keineswegs ist jene Daseinsanalyse verzweifelten Bewußtseins die Wahr

heit des Menschseins überhaupt, sondern eine Weise, in der sich einzelne, viele, nie

mals alle Menschen wiedererkennen. Keineswegs ist die radikale Sündhaftigkeit

die Wirklichkeit des Menschen schlechthin, die nur aufgehoben wird durch ein Ge

schehen, das an einem anderen Ort in Raum und Zeit durch Gott stattgefunden

haben soll.

Dagegen steht im biblischen Glauben selber ein ganz anderes Bewußtsein: das

Bewußtsein von Gott geschaffenen eingeborenen Adels des Menschen, seiner nobi-

litas ingenita, wie er im pelagianischen Denken hieß. Dieser, ständig in Gefahr, ist

demütig in dem Bewußtsein, sich nicht selbst geschaffen zu haben, in seinem ihmaufgegebenen Bemühen darauf angewiesen zu sein, sich selbst geschenkt zu werden,

um sich nicht auszubleiben. Dieses Bewußtsein weiß sich in Gottes Hand, aber nur

in der unmittelbaren Beziehung der eigenen Freiheit zur Gottheit, nicht durch eine

Hilfe, die in diesem Ursprung von allem, was ich sein kann, von außen hinzukäme.

Dieses Bewußtsein lebt in dem Vertrauen, durch das ganz der eigenen Verantwor

tung anheimgestellte Bemühen den Willen des verborgenen Gottes zu erfüllen, und

in dem Vertrauen auf unbegreifliche, unvoraussehbare, nicht in irgendeine Rechnung

aufzunehmende Weise seine Hilfe zu erhalten. Dieses Bewußtsein der gottgeschenk

ten nobilitas ingenita heißt im biblischen Denken "der Christus in mir". Dieser Adelist kein Besitz. Ich habe ihn nicht, indem ich ein für allemal so bin. Er ist nur, indem

er ständig errungen wird. Er kann verloren werden. Diese Auffassung vom Men

schen und seiner Freiheit und seiner Aufgabe ist die der Liberalität.

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WAHRHEIT UND UNHEIL 43

J. Die Frage nach dem Einswerden von Theologie und Philosophie

In der Liberalität scheint die natürliche Entwicklung - als Vorwurf ausgespro

chen, mit Sorge gesehen, mit Befriedigung aufgenommen - , daß Theologie und Phi

losophie sich treffen, vielleicht am Ende wieder eines werden könnten, wie sie es

bei Plato, den Stoikern, Origenes, Augustin, Cusanus waren. Sollte das geschehen,

so muß man unterscheiden: Theologie und Philosophie mögen eines werden kön

nen, nicht aber Religion und Philosophie. In der Religion fließt die von der Philo

sophie nicht erreichbare und nicht begründbare Wirklichkeitsquelle durch die Ge

meinschaft in bezug auf heilige Orte, Handlungen, Gegenstände, Bücher, durch

Kultus und Gebet, durch das Amt des Priesters, kurz durch die Leibhaftigkeit der

Chiffern. Hier hört die Philosophie auf und blickt auf ein Anderes.

Die Philosophie und jeder ihrer Lehrer ist ohne Bezug auf diese Heiligkeit. Eine

Philosophie, die diesen Abgrund überspringen wollte, würde als Philosophie nicht

.zu einer bestimmten Religion kommen, sondern zu allen Religionen in ihrer Ge

samtheit (so wie Proklos sich Hierophant der ganzen Welt nannte), und das ist reli

giös widersinnig. Es wäre Aufhebung der Geschichtlichkeit der Religion, ihres

Ernstes in der Geschichtlichkeit. Was man philosophische Religion genannt hat,

wäre Religion ohne alle Merkmale einer lebendigen Religion, wäre ein Rest nach

Abzug von Kultus, Gebet, Gemeinde, Heiliger Schrift. Sehellings Philosophie der

Mythologie und Offenbarung, mit der Absicht auf eine philosophische Religion, en

det zwar in Christus und scheint dadurch sogar verengt, aber dem Sinne nach doch

durch Aufhebung des Christusgedankens in Schellings positiver Philosophie der Ge

schichtlichkeit des Wirklichen im Ganzen.

Wenn die Alternative zum kirchlichen Glauben aufgestellt wird, soll die Philoso

phie nicht zu sich überreden wollen. Eher sollte sie vor sich warnen.

Wenn die Theologie zur Philosophie wird dergestalt, daß als Quelle das Einzige

und Eigentümliche der Religion nicht mehr fühlbar ist, dann kann der Philosophie

rende wohl erschrecken. Es ist, als ob plötzlich der Gegner nicht mehr da sei, den er

als in der Welt unerläßlich kennt, im Kampf mit dem er die eigenen Impulse geklärt

und neu entzündet hat. Er fragt sich, in welcher Gestalt der alte Gegner doch wieder,noch verschleiert, da ist. Es ist, als ob er diesen Gegner, den er nie vernichten, son

dern nur zum offensten Reden bringen wollte, nicht entbehren könne.

Dann hat er die Sorge wegen der Ohnmacht des Philosophierens für die Mehr

zahl der Menschen. Die der Philosophie identisch gewordene Theologie könnte

in die gleiche Ohnmacht verstrickt werden. Was der Philosoph darf, sich an Ein

zelne wenden, das ist der Theologie versagt, die sich in der Kirche an alle wenden

soll. Es ist die Frage, ob für die Mehrzahl von uns Menschen nicht das unumgäng

lich ist, worin Philosophie versagen muß: die Religion als Kult, Gemeinschaft, die

Leibhaftigkeit und Autorität greifbarer Gegenwart. Es ist die Sorge, daß das, wasPhilosophie nicht zu leisten vermag und wofür sie auf das andere blicken durfte,

wohin sie jeden weisen konnte, der bei ihr kein Genügen fand, nun überhaupt nicht

mehr geschieht.

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44 KARL JASPERS

Weiter ist es eine Sorge der Philosophie selber um den Gehalt der biblischen Religion. Es könnte sein, daß statt der Verwandlung in der Neugestaltung der für unsunersetzlichen biblischen Impulse vielmehr eine Verwässerung eintrete, die dieVorstufe ihres V erschwindens würde.

Dann steht am Ende dem Philosophierenden vor Augen, daß Menschen, ratlosgeworden durch bloßen Verstand, ohne die Philosophie zu erreichen, in die schreckliche Daseinsform transzendenzloser Tyrannis geraten, in der sie wieder einfach gehorchen, aber als Abendländer ohne biblischen Glauben und daher für unserenBlick ohne Gehalt ihrer Existenz.

Gegen die Bedrohung des Einswerdens von Philosophie und Religion dadurch,daß Philosophie und Theologie eins würden, läßt sich aber sagen: Das möglicheEinswerden mit der Philosophie bedeutet Einmütigkeit im kritischen Bewußtsein

der Erhellung und Scheidung aller Möglichkeiten des Umgreifenden, nicht aberdas Einswerden in der Praxis der geschichtlichen Religio.n. Diese Praxis bleibt dieeigene Gabe und die eigene Berufung des Seelsorgers, seine Wirkung in Erfüllungdes Kultus, der Predigt, der mythischen Sprache.

IV. Bultmanns geistige Persönlichkeit

Wer, ob als Theologe oder Philosoph, mit Ansprüchen auftritt, die in der Tat

über die Wissenschaft hinausgehen, auch wenn sie sich fälschlich wissenschaftliche

Form geben, muß es sich gefallen lassen, persönlich erblickt zu werden. Denn hiersind SaChe und Person eins. Beide erleuchten sich für den Beobachter gegenseitigin dem Umgreifenden, aus dem gesprochen wird.

Bultmann hat die Diskussion über die Entmythologisierung in Gang gebracht,vielleicht zu seiner eigenen Überraschung. Sein erster Aufsatz zur Sache "NeuesTestament und Mythologie" steht als zweiter in der Schrift "Offenbarung und Heilsgeschehen" 1941. Keineswegs ist er dort als ein solcher von besonderer Bedeutungbetont. Wenn also etwas in der Theologenwelt schon bereitlag, das durch diesenAufsatz in Flammen geriet, so ist doch das Ganze so sehr von der Persönlichkeit

Bultmanns geprägt und hat sich in seinen Bahnen bewegt, daß man unwillkürlichauf ihn den Blick richtet, wenn diese Sache interessiert.

Bultmann ist der Historiker, dessen Forschungen \ngemein zuverlässig infqrmieren. Er ist von der nicht häufigen Redlichkeit, die ihn unbequeme Tatbestände unumwunden anerkennen läßt, so wenn er etwa den Satz schreibt: Jesus hat sich geirrt.Ich gestehe, daß ich als Nichtfachmann von keinem zeitgenössischen Theologen so

viel gelernt habe wie von ihm und von Dibelius. Die historische Belehrung durchBultmann ist in einer wundervoll klaren Sprache geboten. Man bewegt sich mit ihmals historischer Zuschauer, interessiert sich für die merkwürdigsten Dinge.

So wie Bultmann dann aber zu "existentialer Interpretation" übergeht, wozu er

zwischenhinein immer wieder geneigt ist, wird er historisch langweilig, man lerntnichts mehr. Das ab:er, was damit erstrebt wird, scheint nicht erreicht, kaum im An-

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WAHRHEIT UND UNHEIL 45

satz da. Ich weiß nicht, ob das einen Pfarrer ergreifen kann. Den, der im eigenen

Glauben nicht dabei ist, läßt es jedenfalls unberührt. Bultmann bewahrt auch bei der

existentialen Interpretation den immer gleichen wissenschaftlichen Ton, wissend

und argumentierend. Alle Herrlichkeit der Bibel überzieht er mit einer distanzieren

den und zugleich einhüllenden Schicht sachlichen Redens. Nicht Grimm und nicht

Heiterkeit, aber etwas von Eigensinn und Trübheit umfängt den Leset;.

Aber die Diskrepanz zwischen dem Historiker und Theologen darf nicht ver

leiten, die eine der beiden Seiten von Bultmanns Werk durch die andere ZU recht

fertigen oder zu verneinen. Weil er ein großer Forscher ist, braucht er noch kein

guter Theologe zu sein. Falls er - vielleicht - ein versprechender und enttäuschen

der, ein schlechter Theologe ist, wird sein wissenschaftliches historisches Werk nicht

fragwürdig.

Aber ich fürchte: Würde jemand Bultmann wegen seiner Redlichkeit rühmen,

so würde Bultmann diese für eine Selbstverständlichkeit halten und das Lob als gar

nichts Sonderliches akzeptieren; er würde nicht betroffen sein, würde nicht etwa

antworten: Keinem Menschen gelingt es; Redlichkeit ist zwar ein menschlicher, aber

ein ungeheurer Anspruch, ich fürchte, daß ich ihm nicht genüge. Nun ist kein

Zweifel, daß Bultmanns Redlichkeit ihn stets führt dort, wo er wissenschaftlich

arbeitet und zuverlässig ist, aber es echeint mir, daß die Natur der Sache ihm die

Redlichkeit unmerklich trübt, wenn er nicht als Forscher, sondern als Theologe vom

Glauben spricht. Aber wer vermöchte das zu entscheiden! Hier steht jeder vor dem

Unverstandenen des andern, den er nicht übersieht, und kann nur den Aspekt aus

sprechen, der sich ihm gezeigt hat, nicht als Urteil, sondern als Frage:

Welche geistige Macht wirkt durch Bultmann, oder etwa gar keine? Er ist nicht

liberal und nicht autoritär orthodox: man meint die untilgbare fromme Kindheits

erinnerung standhalten zu sehen gegen den Sinn seines in der Tat sachlich auflösen

den, wie mir scheint Theologie und Philosophie preisgebenden Denkens; er ist

suggeriert von einem durchschnittlich modernen, vermeintlich aufgeklärten Welt

bild; er spricht in der Form des Wissenkönnens wissenschaftlich in der Weise, daß

der fühlbare Einsatz von Glaube und Verantwortung ausbleibt. Wenn in diesem

Durcheinander von Wissenschaft und Theologie aber eine Macht bleibt, so am Ende

die der Orthodoxie. Es scheint die wunderlichste Mischung von falsclier Aufklärung

und gewaltsamer Orthodoxie zu sein.

Von da her in Verbindung mit der Selbstgewißheit wissenschaftlicher Methoden

kommt wohl jene Unerschütterlichkeit mit unbewegbarer Würde. Von da her die

Leichtigkeitetwa einer Form des Kommunikationsabbruchs gegenüber einem ortho

doxen Gegner, auf den er nicht eingehen will: "Ich denke, mit ihm schiedlich

friedlich auseinanderzukommen, wenn wir uns nur gegenseitig je ein Eingeständnis

machen: ich, daß ich von der Realtheologie nichts verstehe, er, daß er von der Ent

mythologisierung nichts versteht." Es ist wohl physisch unmöglich, den vielen zuantworten, die in solcher Diskussion privat ode.r öffentlich sich äußern. Es ist auch

wohl eine Faktizität, daß so oft ein Miteinanderreden vergeblich scheint. Aber bei

des ist doch schwer zu tragen für den im biblischen Denken wurzelnden Kommuni-

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kationswillen. Daß dieser allzu oft schweigen muß, ist selbstverständlich, aber daß

dieses Schweigen seine Unbetroffenheit spüren läßt dadurch, daß mit beißender

Ironie ein radikales Nichtverstehenkönnen fixiert wird, das scheint mir Symptom

eines verschlossenen Grundcharakters, der sich festzuhalten strebt. Die Gelassenheit

dieses in der Welt so oft zu hörenden "Das ist mir unverständlich", "Wir werden

uns nie verstehen" ist auch B u l ~ m a n n eigen. Mir scheint sie da.s Zeichen jeder, nicht

nur der christlichen Orthodoxie.

Der große Gelehrte hat, so scheint es, sich auf ein Feld gewagt, wo er irreführt:

den Philosophierenden, den er ohne Philosophie läßt, den Pfarrer, dem er eigentlich

k ~ i n e n Weg zeigt. Denn sind die Sprechweisen, die Bultmann lehrt, dem Pfarrer

und seiner gläubigen Gemeinde nicht ungemein schwer verständlich? Helfen sie

denen, die unbefangen sich klar werden wollen in der Wirklichkeit pneumatischer

Ergriffenheit, die das Leben zu tragen vermag?

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I I

RUDOLF BULTMANN

ZUR FRAGE DER ENTMYTHOLOGISIERUNG

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ANTWORT A N KARL JASPERS

Ich hatte mich zuerst gefreut, ja, es als eine Ehre empfunden, daß sich Karl Jaspers

zur Frage der Entmythologisierung geäußert hat. Aber je öfter iCh seine Ausführungen gelesen habe\ desto schwerer wurde es mir, darauf zu antworten. Und zwar

deshalb, weil ich immer stärker empfinde, wie wenig sie im Sinne echter Kommuni

kation gehalten, im Stile eines sokratisch-platonischen &aUyecr.:tat gefaßt sind, wie

sehr es ex cathedra gesprochene Worte sind.

Jaspers hat mich in die Lage versetzt, auf manches überhaupt nicht antworten zu

können. Denn wenn ich mich gegen den yorwurf verteidigen wollte, daß mich "kein

Hauch etwa kantischen oder platonischen Denkens berührt zu haben scheint" (15),

daß ich die Philosophie als die "wissenschaftliche Philosophie im Sinne der Profes

sorenphilosophie des 19. Jahrhunderts oder der doxographischen Auffassung derhellenistischen Zeit" verstehe (1 5 , daß ich echte Aufklärung mit Aufkläricht ver

wechsle (34ff.), so würde ich ja eine komische Rolle spielen. Ich kann auch nichts

gegen seine Skepsis, ob meine theologische Arbeit dem Pfarrer einen Dienst leiste

(4If.), sagen wollen. Und daß ich auf seine Charakteristik meiner Person (44f.)

eingehe, wird ja niemand erwarten. Auf einen Nekrolog kann man nicht ant

worten.

Ich erspare es mir aber auch, auf Jaspers' Kritik meiner "Voraussetzungen" einzu

gehen, auf denen "wie auf zwei Säulen" das Gebäude meiner Thesen angeblich ruht

(12ff.). Es mag aus dem Folgenden indirekt deutlich werden, daß ich weder der

Meinung bin, die moderne Wissenschaft liefere ein "Weltbild" in dem Sinne wie

Jaspers diesen Terminus versteht, noch daß ich mich auf eine philosophische Doktrin

berufe. Was die letztere Frage betrifft, so darf ich dankbar hinweisen einmal auf die

Ausführungen von Kurt Reidemeister2 , der gezeigt hat, daß es sich bei der Ent

mythologisierung um ein hermeneutisches Problem handelt, das aus einer konkreten

Situation erwächst, die nicht in einer besonderen Weise zu philosophieren begründet

ist, und daß in dieser konkreten hermeneutischen Situation das Begriffspaar existen

tiell, existential seinen verbindlichen Sinn bekommt. Sodann auf die Schrift Ftiedrich

1 Zuerst erschienen in der Schweizerischen Theologischen Umschau 1953. Nr. 3/4, S·74-xo6,dann im Merkur. Die Seitenzahlen der Zitate nach dem Text in diesem Band.

2 Erschienen in der Sammlung VIII, 1953, S. pS-5 34; in diesem Band Seite 93,

4 Kerygma, Bd. 5

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50 RUDOLF BULTMANN

Gogartens: "Entmythologisierung und Kirche"1• Hier ist deutlich gemacht, daß es

nicht Abhängigkeit von einer philosophischen Lehre Heideggers bedeutet, wenn man

von seiner Existenz-Analyse lernt, weil in dieser das gleiche Problem angegriffen ist,

das der Theologie aufgegeben ist und das sie - etwa seit Ernst Troeltsch - bewegt,

nämlich das für die Theologie durch das g e s ~ i c h t l i c h e Verständnis der Bibel akut

·gewordene Problem der Geschichte. Im Bestreben, den Bezug des menschlichen Seins

auf die Geschichte und damit das geschichtliche Verstehen zu klären, und damit aus

dem traditionellen "Subjekt-Objekt-Schema" herauszukommen, kann die Theologie

von Heidegger lernen. "Selbstverständlich muß es nicht Heidegger sein, bei dem man

lernt. Meint man es anderwärts besser lernen zu können, dann ist es gut. Nur: ge

lernt werden muß es."

Wenn es schon allgemein gilt: "Wer sich kritisch auf die Begriffe besinnt, die er

gebraucht, ganz gleich, ob das theologische oder physikalische sind, kommt damit indie Nähe der Philosophie und bedient sich ihrer Arbeit" (Gogarten), so liegt es h e u t ~nicht an willkürlicher Wahl oder an individuellem Belieben, wenn theologisChe Ar

beit von der modernen philosophischen Arbeit lernt, sondern es ist in der geschicht

lichen Situation begründet, in der hier wie dort die Einsicht in die Fragwürdigkeit

des bis heute die Wissenschaft e h ~ r r s c h e n d e n Denkens aufgebrochen ist.

Würde eine echte Diskussion der Frage der Entmythologisierung nicht davon aus

gehen müssen, das Problem zu fix.ieren, um das es sich bei 'dieser Frage handelt?

Sieht Jaspers dieses Problem? Für ihn ist es ausgemacht, daß ich den Glauben retten

will, soweit er sich angesichts unausweichlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse rettenläßt (34, 41); daß ich "dem Glaubenslosen durch einen rationalen Gewaltakt so

etwas wie das gute Gewissen eines. Nochglaubenwollens und -könnens" verschaffen

will (p). Das ist nun ganz gewiß nicht meine Absicht. Die Entmythologisierung hat

nicht den Sinn, durch kritische Abstriche an der Tradition, bzw. an den biblischen

Sätzen, den Glauben für. den modernen Menschen akzeptabel zu' machen, sondern

diesem klar zu machen, was christlicher Glaube ist, und ihn damit vor die Frage der

Entscheidung zu stellen, einer Entscheidung, die gerade dadurch provoziert wird,

daß der Anstoß, das mcdnYaÄov, der Glaubensfrage- nun nicht speziell dem moder-

nen Menschen, sondern dem Menschen überhaupt (von dem der moderne Menschnur eine Spezies ist) deutlich gemacht wird. Daher geht mein Versuch der Entmytho

logisierung allerdings davon aus, die Anstöße hinwegzuräumen, die für den moder

nen Menschen daraus erwachsen, daß er in einem durch die Wissenschaft bestimmten

Weltbild lebt.

Solches Verfahren hat sein Ziel nicht darin, dem modernen Menschen beruhigend

zu sagen: "dies und jenes brauchst du nicht mehr zu glauben". Das sagt es freilich

auch und kann dadurch in der Tat von einem G e w i s s e n s d r u ~ befreien; aber nicht

deshalb, weil gezeigt wird, daß das Quantum des zu Glaubenden geringer sei, als

der moderne Mensch geglaubt hatte, sondern weil gezeigt wird, daß glauben etwas

1 Stuttgart, Vorwerk-Verlag I953· '

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ZUR FRAGE DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 51

qualitativ anderes sei als das Akzeptieren einres größeren oder geringeren Quantums

von Sätzen. Indem die Entmythologisierung klären will, was der Sinn des Glaubens

ist, führt sie vor die Entscheidungsfrage, nicht jedoch zu einem "denkenden An-eignen der existentiellen Sätze der Bibel durch existentiale Auslegung" (I 6), nicht als

eine "neue Methode wahrer Glaubensaneignung" mittels existentialer Interpretation (4I).

Dieses - die Sichtbarmachung dessen, was christlicher Glaube ist, die Sichtbar

machung der Entscheidungsfrage - scheint mir das Einzige, aber auch das Entschei

dende zu sein, was der Theologe zu tun hat angesichts drer "heute gewaltigen wirk

lichen Gefahren, gegen die der Angst erwachsenen, in ratlosem Irregehen ergriffenen

trügerischen Hoffnungen und Erwartungen, gegen die Ausflüchte, die analog in Me

dizin, Politik, Theologie und überall ruinös sind" (32). Er hat die Frage deutlich zu

machen, die Gott dem Menschen stellt und die für den "natürlichen" Menschen derAnstoß ist, weil sie die Preisgabe aller selbstges)Jchten Sicherheit fordert.

Daß sich Jaspers diesen Anstoß nicht klar gemacht hat, zeigt sich einerseits darin,

daß für ihn der Anstoß offenbar im Absolutheitsanspruch der im Christentum ge

glaubten Offenbarung. besteht (wovon noch zu reden sein wird), andrerseits darin;

daß er den biblischen Glauben zu dem "Bewußtsein des von Gott geschaffenen ein

geborenen Adels des Menschen" verharmlost und dieses "Bewußtsein der gottge

schenkten nobilitas ingenita" gar noch mit dem biblischen (übrigens paulinischen)

"der Christus in mir" gleichsetzt (42), daß er für die paulinische Lehre von der

Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werk allein durch den Glauben kein Vers'tändnishat (4.1), und daß er im Johannes-Evangelium den "ersten christlichen mythisch ge

gründeten Antisemitismus'' findet (23).

Das eigentliche Problem ist also das hermeneutische d. h. das Problem der Inter

pretation der Bibel und der kirchlichen Verkündigung in der Weise, daß diese als

ein den Menschen anredendes Wort verstanden werden können. Das Problem der

Hermeneutik scheint mir aber von Jasperstrotz der langen Ausfuhrungen über das

Verstehen (23-28) nicht wirklicherfaßt worden zu sdn. Daß er die Verantwortung,

einen biblischen Text zu i ~ t e r p r e t i e r e n , nicht am eigenen Leibe erfahren hat, ist ihm

natürlich nicht vorzuwerfen. Aber dürfte man nicht erwarten, daß er sich diese Auf

gabe und ihre Verantwortung klar zu machen versuchte?

Er ist so gut wie ich davon überzeugt, daß ein Leichnam nicht wieder lebendig·

werden und aus dem Grabe steigen kann (2o), daß es keine Dämonen und keine

magisch-kausale Wirkung gibt (2I). Wie nun, wenn ich als Pfarrer in Predigt und

Unterricht Texte erklären soll, die von der körperlichen Auferstehung Jesu, von Dä-:

monen oder von magisch-kausaler Wirkung reden? Oder wenn ich als wissenschaft

licher Theologe den Pfarrer durch meine Interpretation zu seiner Aufgabe anleiten

soll? Wie würde Jaspers z. B. Röm. 5,r2-2I oder6,I-I

I interpretieren, wenn er vordie konkrete Aufgabe gestellt würde? Wenn er vom Heilsgeschehen, das in der Tat

im Neuen Testament in der Form des Mythos (etwa Phil. 2,6-n) erzählt wird, sagt,

daß dieser Mythos "als solcher vom Ernst existentieller Wirklichkeit' zu prüfen" sei

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52 RUDOLF BULTMANN

"auf die Kraft, die von seiner Sprache ausgeht, und die Wahrheit, die ihm iri der

Wirklichkeit des Lebens entspringt" (4o), so kann ich auf eine so vage Aussage nur

mit der Frage erwidern: "Wie macht man das?"

Sein Zauberwort, mit dem das hermeneutische Problem niedergeschlagen wird, istdie "Chiffer" (gelegentlich auch: "Symbol"). Die mythologischen Aussagen der Texte

sind "Chiffern", die mythologische Sprache ist "Chiffernsprache". "Chiffer" wofür?

Für die "Transzendenz", für den transzendenten Gott. Der Mythos "ist die Sprache

jener Wirklichkeit, die selber nicht empirische Realität ist, der Wirklichkeit, mit der

wir existentiell leben" (2.0).1

Mit der Definition des Mythos als Chiffer der Transzendenz ist die Aufgabe der

Interpretation erst angedeutet, aber keineswegs schon erledigt. Es mag aller Mytho

logie (wenn wir von rein ätiologischen Mythen absehen) gemeinsam sein, daß sie von

einer Wirklichkeit redet, die jenseits der empirischen Realität liegt und vom Bezugedes Menschen zu ihr redet. Aber ist jene Wirklichkeit und damit das Sein des Men

schen in aller Mythologie in der gleichen Weise verstanden? Etwa in der indischen,

der griechischen und in der biblischen Mythologie? Den Reichtum und die Verschie

denheit der "Chiffern" kann Jaspers natürlich nicht übersehen. Aber ist diese Ver

schiedenheit gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß alle Mythen nur Chiffern der

Transzendenz sind? Wenn Jaspers sagt, daß das Wahre "in Sprüngen der Geschichte

des Geistes" (36) offenbar wird, so scheint es, daß für ihn die Verbundenheit der

Mythen eine rein zufällige, durch historische Konkretion bedingte ist.

Oder mißverstehe ich ihn? Er redet ja auch davon, daß Mythos gegen Mythos steht(2.1), und daß es gilt "innerhalb dieses (des mythischen) Denkens zu ringen um das

für wahr gelaubte" (2.1ff.). Da Jaspers dafür keine Beispiele gibt, sondern

nur ganz allgemein davon redet, daß "die Bibel ein für uns bevorzugter Ort dieses

Ringens" sei, "ein anderer die griechischen Epen und Tragödien, ein anderer die

heiligen Bücher Asiens" (zz), so kann ich mir keine Vorstellung davon machen, in

welcher Weise dieser "geistige Kampf" geführt werden soll. Gilt es nicht, die ver

schiedenen Mythologien hinsichtlich des in ihnen sich aussprechenden Existenzver-

1 Wenn ich einmal absehe von der Frage, ob von dieser Wirklichkeit nNr in mythologischer

Sprache geredet werden kann, wieJaspers,behauptet, so möchte ich fragen, ob seine Auffassung

vom Mythos, sofem er diesen als Chiffemsprache definiert, von der meinen so verschieden ist.

Wenn ich gelegentlich formuliert habe, daß sich im Mythos das Wissen des Menschen um Grund

und Grenze seines Seins ausspricht, ist das so verschieden :von dem, was Jaspers meint? Einig bin

ich mit ihm jedenfalls darin, daß der Mythos mißverstanden ist, wenn die Wirklichkeit, von der

er redet, als "empirische Realität", wenn seine Sprache als diejenige, ,garantierter und garantieren

der Leibhaftigkeit" aufgefasst wird (zo). Freilich meine ich, daß solches Mißverständnis nicht

ein sekundäres Abgleiten ist, sondem daß es vielmehr für den ursprünglichen Mythos charakteri

stisch ist, daß in ihm die "empirische Realität" und jene "WJrklichkeit, mit der wir existentiell

leben", noch ungeschieden sind. Mythisches Denken ist ebenso objektivierend wie wissenschaftliches, wenn es 2. B. die Transzendenz Gottes als räumliche Entfernung, oder die unheimliche

Macht des Bösen als in einer Person (dem Satan) verkörpert vorstellt. Eben daher die Aufgabe

der Entmythologisierung.

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ZUR FRAGE DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 53

ständnisses zu interpretieren? Gibt es Verschiedenheit des Verständnisses von Existenz nur in der Philosophie (z. B. zwischen Jaspers und Heidegger), nicht auch ·inder Mythologie?

Kurz: ich sehe nicht, daß Jaspers das hermeneutische Problem edaßt und sichdarum bemüht hat. Denn. daß die Aneignung der mythischen Glaubenssprache"durch unwillkürliche Verwandlung in gegenwärtig bezwingenden Sinn innerhalbdes Mythischen selber" zu geschehen habe (3of.), läßt ja gerade die Frage offen, wasdenn solche Verwandlung eigentlich sei, oder was in ihr geschehe; ebenso was "dasin der Verwandlung gleichbleibende der mythischen Wahrheit" sein (3of.).

Jaspers entzieht sich dem hermeneutischen Problem aber auch dadurch, daß er dieAufgabe einer sachgemäßen Auslegung der Bibel dem Wissenschaftler abspricht unddem Seelsorger zuweist. Dieser "wagt die Sprache der Transzendenz als Sprache Got

tes zu hören und zu sprechen in der gemeinschaftlichen Lebenswirklichkeit selber"(3 r ). Darf ich die Frage stellen, ob der Seelsorger, um die Sprache der Bibel als dieSprache der Transzendenz und damit als die Sprache Gottes zu hören, nicht auch dieSprache des Hebräischen und des Griechischen verstehen muß? Oder ob er, wenn er

sie nicht versteht, sich nicht auf die Wissenschaftler verlassen muß, die sie verstehen?Und besteht die Übersetzung ins Deutsche der Gegenwart nur in der1Übertragungfremder Vokabeln in deutsche? Oder bedarf es dafür nicht eines w ~ i t e r g e h e n d e nVerständnisses der Sprache, ihrer Begrifflichkeit, des sie leitenden Denkens? So daß

Übersetzung immer zugleich Auslegung ist?

Muß nun die vom Wissenschaftler gelieferte Übersetzung nicht (soweit das erreichbar ist) "richtig" sein? Kann der Exeget, der (um in den Begriffen von Jaspers zureden) das (ursprünglich) Verstandene verstehen will, das ursprünglich Verstandenemit seinen "Wertungen" von gut und böse, wahr und falsch, schön und häßlich (24)vergegenwärtigen, ehe er den Text "richtig" verstanden hat? "Die Aneignung desbiblischen Glaubens wird nicht durch Forschung vollzogen" (3o). Gewiß nicht! aber

wann hätte ich das je behauptet? "Verstehen des Glaubens (d. h. doch wohl: glaubendes Verstehen) . . . geschieht nicht als Methode einer Forschung" (z8). Gewiß

nicht! aber glaubend"erstehende Aneignung des biblischen Wortes ist doch nur mög

lich, wenn das biblische Wort jeweils in die der Gegenwart verständliche Spracheübersetzt ist. Und ist solche Übersetzung ohne methodische Forschung möglich?

Nun ist freilich solche methodische Forschung (die also ursprünglich Verstandenesverstehen will) nicht möglich, wenn die Möglichkeit ursprünglichen V erstehens nichtim Forscher vorhanden ist, d. h. wenn er nicht ein ursprünglich verstehendes, ein existentielles Verhältnis zu der Sache hat, um die es in dem zu interpretierenden Textegeht\ Er kann also, wenn er aufzeigen will, was im Text als gut und böse, wahr und

falsch usw. gilt, das niM' tun, wenn für ihn selbst gut- und böse-sein, wahr- und falschsein usw. existentielle Möglichkeiten sind. Das hindert aber g,ar nicht, daß er bei der

1) Ich darfhier wohl auf meinen Aufsatz"Zum Problem der Hermeneutik" (Glauben und Verstehen II , 1953, S. 2.11-2.35) verweisen

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54 RUDOLF BULTMANN

Interpretation seine "Wertungen" suspendiert, d. h. in der Frage hält. Die sachliche

Interpretation des "Richtigen" führt indirekt den Hörer oder Leser in die Situation

der Entscheidung. Die Interpretation selber kann nur das "Richtige" sehen und zei

gen wollen. Sie deckt in solcher Interpretation Möglichkeiten von Existenzverständnis auf und richtet dadurch indirekt einen Appell an den Hörer oder Leser, nimmt

ihm aber die Entscheidung nicht ab. Natürlich kann sie nicht verhindern, daß der

Hörer oder Leser das Gesagte mißversteht, wenn er den Appell nicht vernimmt.

Was von jeder Interpretation gilt, das gilt ebenso von der Interpretation der Bibel.

Auch sie vermag nur das "Richtige" zu sehen und zu zeigen, und sie vermag es nur

dann, wenn der Interpret ein Verhältnis zu der Sache hat, um die es hier geht. Das

bedeutet aber nicht das Unmögliche, daß der Interpret seinen Glauben voraussetzt,

wohl aber, daß er von der Frage seiner Existenz bewegt ist, auf welche Frage der

Glaube eine !llögliche, aber nicht durch die Interpretation andemonstrierbare Antwort ist.

Die Verkennung der Situation des Interpreten durch Jaspers scheint mir mit sei

ner Bestreitung der Möglichkeit einer existentialen Analyse überhaupt zusammen

zuhängen. Warum eine solche nicht möglich sein soll, vermag ich nicht einzusehen.

Gewiß unterscheidet sich das, was Jaspers "Existenzerhellung" zu nennen pflegt, von

Heideggers phänomenologischer Analyse des Daseins dadurch, daß sich die "Exi

stenzerhellung" nur im Existieren und nicht lösbar von "existentieller Kommunika

tion" vollzieht. Aber Jaspers kann doch gar nicht umhin, das, was er "Existenzerhel

lung" nennt, so zu explizieren, daß es allgemeinverständlich wird, d. h. er muß es zur

Lehre objektivieren. Und wenn Jaspers sagen könnte, daß sich die Objektivation im

echten (existentiellen) Verstehen selbst aufhebt, so gilt Entsprechendes für Heideg

gers Analyse. Seine phänomenologische Analyse des Daseins als eines in sich ver

schlossenen und zu sich entschlossenen Daseins im Sein zum Tode nimmt auch dem

'jenigen, den sie als "Lehre" überzeugt, nicht das Wagnis der Existenz ab. Vielmehr

zeigt sie, daß Existenz nur je von mir übernommen werden kann, und macht die von

Jaspers geforderte Verantwortung deutlich, die Verantwortung "zum: Selbstsein,

Echtsein und Eigentlichsein, zur Einsenkung in die Geschichtl\chkeit der eigenen zu

übernehmenden Herkunft des Soseins, zum Ernst der Frage in der trostlosen Situa

tion" (14).

Ob man einen Satz von Jaspers wie den: ;,Es gibt nichts anderes als Verstehen . . .Verstehen ist die Weise der Gegenwart des Seins, das wir sind" (24) als einen Satz

existentialer Analyse bezeichnen wiil oder nicht,- scheint mir ein Wortstreit zu sein.

Oder die Rede von der "Verantwortung des auf sich selbst zurückgeworfenen Men

schen, der nur durch die Freiheit und auf keinem anderen Wege erfährt, wie er sich

iri ihr, aber nicht durch sie von der Transzendenz geschenkt wird" (33)! Oder die Er-

wägung, "daß jeder Mensch in seiner Freiheit die Möglichkeit hat, sich von der Transzendenz geschenkt und geführt zu erfahren" (39)! Wenn sich der Leser solcher Sätze

diese aneignet, weil er in ihnen Klarheit über sein Sein zu finden meint, übernimmt

er dann eine Lehre der "wissenschaftlichen Philosophie im Sirine der Professoren-

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ZUR FRAGE DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 55

philosophie des 19. Jahrhunderts" (15)? Vor solchem Mißverständnis kann auch

Jaspers sich nicht retten: Aber im Mißverständnis oder im Mißbrauch der existen

tialen Analyse liegt.doch gewiß kein Beweis für ihre Unmöglichkeit.

Dem hermeneutischen Problem kommt Jaspers m. E. am nächsten in seinen.Refle

xionen über das Subjekt-Objekt-Verhältnis. Aber käme es ihm auf ein ÖtaUyea-9-atim Sinne gemeinsamen Wahrheitsuchens in gegenseitiger kritischer Befragung an,

so hätte er doch nicht übersehen können, daß eben jene Frage nach· dem Subjekt-Ob

jekt-Verhältnis auch meine hermeneutischen Bemühungen bewegt, daß ich mich näm

lich bemühe, ein echtes V erstehen vergangenen Existenzverständnisses aus der Sicht

des objektivierenden Denkens herauszunehmen. Daher fühle ich mich ~ o n seinem·

Urteil nicht getroffen, daß ich in der Objektivität des Gesagten und der Subjektivität

des Sprechenden beides nicht in eines ~ s a m m e n h a l t e (29).

Ich_ könnte nun freilich nicht sagen, daß dieses "Zusammenhalten" ·das Werk des

"Umgreifenden" sei. Vielmehr meine ich, daß es sich einfach darin ereignet, daß Sub

jekt in echter Begegnung das Objekt als Anrede vernehme. Hinter diese zurückgehen

in der Reflexion auf das "Umgreifende" scheint mir nicht nur eine überflüssige Spe

kulatioh zu sein, sondern auch den Ernst der Anrede, der Begegnung, zu verfehlen.

Die Begriffe der Begegnung und der Anrede spielen bei Jaspers keine Rolle. Das

aber scheint mir nichts Geringeres zu besagen, als daß die Geschichtlichkeit des

menschlichen Seins von ihm nicht voll erfaßt ist. Soweit ich aus seinen Ausführungen

entnehmen kann, versteht er unter der Geschichtlichkeit nur die Tatsache, daß derMensch je an einer Stelle des historischen Zeitablaufs steht, daß er unter zufälligen

historischen Bedingungen lebt und unter dem Einfluß historischer Tradition steht.

Deshalb erscheint mir auch Jaspers' Begriff von Transzendenz als fragwürdig. Zu

nächst hat Transzendenz offenbar den negativen Sinn des Ungegenständlichen; die

Einsicht, d;tß Existenz. nicht zur Welt des ßegenständlichen gehört, führt dann da

zu, das Ungegenständliche zu hypostasieren zum "Umgrc:ifenden alles Umgreifen

den", ja zu Gott, so daß nun in der Tat in der für Jaspers unentbehrlichen mytholo

gischen Sprache ger.edet werden kan'n;z. B.

daß der Mensch die Möglichkeit hat,sich von der Transzendenz g e ~ c h e n k t und geführt zu erfahren (39), oder daß die

Liberalität niCht irgend etwas für unmöglich erklärt, was Gott als absolute Tran

szendenz bewirken kön'nte (39). Fühlt man sich beim "Umgreifenden alles Umgrei

fenden" an das "Universum" Schleiermachers erinnert, den Jaspers gelegentlich mit

einer boshaften Bemerkung bedenkt (30), so erinnern andere Aussagen an Kant.

Nach Jaspers ist der "unmittelbare Bezug zur Gottheit in der eigenen verantwort

lichen Freiheit der Vernunft in jedem Menschen möglich" (37). "In der unmittelba

ren Beziehung der eigenen Freiheit zur Gottheit" weiß sich "das Bewußtsein in Got

tes Hand" (42). Was ist dann schließlich diese "Transzende'nz" anderes, als wasfrüher einmal "Geist" genannt wurde? Geist, der freilich der "Leibhaftigkeit'1 gegen

über transzendent ist, der aber der menschlichen Vernunft immanent ist! Ist solche

"Transzendenz" die Transzendenz Gottes? Wenn nach Jaspers "das Geheimnis des

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56 RUDOLF BULTMANN

Offenbarwerdens des Wahren in Sprüngen der Geschichte" offenbar wird (36), so

scheint die "Transzendenz" auch der Geschichte immanent zu sein.

Sein Begriff der Transzendenz führt nun Jaspers zu seiner Deutung des Offen-

barungsglaubens. "Daß Gott sich lokalisiert an Ort und Zeit, einmalig oder in einerFolge von Akten, sich hier und nur hier offenbart habe, ist ein Glaube, der in der

Welt Gott zu einem Objektiven befestigt" (36). Sehr richtig! Auch richtig, daß in

den christlichen Kirchen der Offenbarungsglaube oft so verstanden wurde und wird.

Aber sieht Jaspers nicht, daß gegen solchen Offenbarungsglauben auch immer wie

der der Kampf geführt wurde? Weiß er nicht, daß ich gerade gegen die Fixierung

Gottes zu einem Objektiven, gegen das Mißverständnis der Offenbarung als Offen

bartheit kämpfe? Sieht er nicht, daß es das Ziel meiner "Entmythologisierung" ist,

die mythologische Eschatologie des Neuen Testaments so zu interpretieren, daß das

Offenbarungsgeschehen als "eschatologisches" Geschehen in echtem Sinne deutlichwird? Er mag meine Auffassungfür falsch halten, aber kann ein echtes & a U r E a . : t a ~statthaben, wenn die Intention des Gegners ignoriert wird?

Nun, ich habe den Eindruck, daß Jaspers ein wirkliches öw).erfa.:iat mit mir nicht

für möglich hält, und zwar wegen dessen, was er als meine Orthodoxie bezeichnet,

bzw. dt;Shalb, weilich als christlicher Theologe den Absolutheitsanspruch der im

Christentum geglaubten Offenbarung behaupte. Ist es Jaspers klar, daß, wo immer

Offenbarungsglaube redet, er die Absolutheit der geglaubten Offenbarung behaup

tet, behaupten muß, weil er sich selbst als die Antwort auf das: "Ich bin der Herr

dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!" versteht. Es steht

jedem frei, solchen Offenbarungsglauben für absurd zu halten. Aber wenn er das tut,

so sollte er nicht von Offenbarung reden. Denn es ist jedenfalls auch absurd, durch

einen Blick über die Geschichte der Religion oder des Geistes hier oder dort Offen

barung finden zu wollen. Als Historiker kann ich nur hier oder dort Offenbarungs

glauben feststellen, niemals aber Offenbarung. Denn Offenbarung ist Offenbarung

nur in actu und pro me; sie wird nur in der persönlichen Entscheidung als solche ver

standen und anerkannt.

Dann istes

auch absurd, die Frage zu stellen: "Woran ist Offenbarung erkennbar? Welches Kriterium der Wahrheit wird für die direkte Offenbarung Gottes an

gegeben?" (36)- sofern solche Frage voraussetzt, daß man sich zuerst der Wahrheit

des Anspruchs der Offenbarung vergewissern könnte, ehe man sie als solche aner

kennt. Gerade das ist ausgeschlossen, wo von Offenbarung in echtem Sinne die Rede

ist, und die Niederschlagung der Frage nach Kriterien gehört zu dem Anstoß, den

die Offenbarung wesenhaft bietet. Als ob sich Gott vor dem Menschen rechtfertigen

müßte! Als ob nicht jeder (auch der in der Forderung von Kriterien verborgene)

Geltungsanspruch vor Gott verstummen müßte! Als ob nicht die Geltung des Men

schen das Geschenk an den vor ihm zunichte gew0rdenen Menschen wäre! Das istdoch der Sinn der - nach Jaspers mythologischen ~ Lehre von der Rechtfertigung

allein aus Gnade ohne des Gesetzes Werke. Denn die "Werke" sind hier gemeint als

das Verhalten des Menschen, der durch eigene Kraft seine Geltung vor Gott gewin-'

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ZUR FRAGE DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 57

neo, seinen Anspruch vor Gott, sein "Rühmen", begründen will, und die "Gerechtigkeit" ist nichts anderes als die Geltung des Menschen vor Gott.

Ist dieses - die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade ohne des Gesetzes

Werke-der"Offenbarungsinhalt",so muß freilich der christlicheGlaube die " f i x i e ~ eEndgültigkeit" dieses "Offenbarungsinhalts" (37) behaupten. Er würde sonst garnicht im Ernst von Offenbarung reden. Es ist aber klar- und mich dünkt, Jaspershätte das sehen sollen-, daß dieser "Offenbarungsinhalt" nie im Sinne einer Orthodoxie als eine Lehre angeeignet werden kann, ohne sofort seine Wahrheit zu verlieren. Geschieht das, so hat Jaspers' "Liberalität" völlig recht, wenn sie "für sich dieBewegung in der Zeit nicht aufheben lassen will durch die fixierte Endgültigkeiteines Offenbarungsinhalts" (37). Aber Wahrheit ist jener "Offenbarungsinhalt" janur jeweils als Ereignis.

Meint Jaspers etwa, ich sei mir nicht klar darüber, daß "Was immer als Offenbarung gesagt und getan ist", - daß es "gesagt und getan ist in weltlicher Gestalt,weltlicher Sprache, menschlichem Tun und menschlichem Auffassen" (36)? Nun,eben dieses wird ja (in mythologischer Sprache!) in der christlichen Lehre von derInkarnation ausdrücklich behauptet. Es kommt nur darauf an, daß die Inkarnationnicht als ein vor etwa 1950 Jahren passiertes Mirakel verstanden wird, sondern als"eschatologisches" Geschehen, das, in der historischen Person Jesu anhebend, stetsim verkündigten Wort verkündigender Menschen gegenwärtig ist "als von Menschenvollzogenes Tun, Sprechen, Erfahren" (37).

Freilich: wenn das "Heilsgeschehen" ein objektivierbares Ereignis in einer fernenVergangenheit wäre, und wenn es in diesem Sinne ein "objektives Heilsgeschehen"wäre, so hätte die "Liberalität" ganz recht, es nicht "als absolutes Ereignis und Bedingung des Heils für alle Menschen" anzuerkennen (4o). Aber im christlichen Verstande wird "die Kraft des Glaubens" nicht nur nicht "geschwächt", "wenn der Geschichtlichkeit die absolute Geltung ihrer Objektivarianen für alle Menschen genommen ist, d. h. wenn die objektive Garantie in der Welt aufhört" (39), sondern imGegenteil: erst dann gewinnt der Glaube Sinn und Kraft; denn erst dann ist er echteEntscheidung.

Wenn Olfenbarung wirklich als Gottes Offenbarung verstanden wird, so ist siekeine Mitteilung von Lehren, auch nicht von ethischen oder geschichtsphilosophischenWahrheiten, sondern die unmittelbare Anrede Gottes je an mich, je mich an denmir vor Gott zukommenden Platz weisend, d.h. mich in meine Menschlichkeit rufend,die ohne Gott nichtig ist und nur in der Erkenntnis ihrer Nichtigkeit für Gott offenist. Es kann daher für die Wahrheit der Öffenbarung nur ein einziges "Kriterium"geben, nämlich dieses, daß das mit dem Anspruch, Offenbarung zu sein, begegnendeWort den Menschen in die Entscheidung stellt,- in die Entscheidung nämlich, wie

ersich

selbst verstehen will: aus eigener Kraft, Vernunft und Tat sein Leben, seineEigentlichkeit gewinnend, oder aus der Gnade Gottes. Der Glaube, der den Anspruch der Offenbarung anerkennt, ist kein blinder Glaube, der auf äußere Autorität hin etwas Unverständliches akzeptiert. Denn derMensch kann verstehen, was das

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58 RUDOLF BULTMANN

Wort der Offenbarung sagt, da es ihm die beiden Möglichkeiten seines Selbstver

ständnisses anbietet.

Aber ebenso ist auch zu sagen: der Glaube akzeptiert auf Autorität hin Unglaub-

liches/ Denn die Möglichkeit, aus der Gnade Gottes zu leben, kann ihrem Wesennach nur eine je mir geschenkte, keine allgemein zur Verfügung stehende, nur zu. er

greifende sein, sonst würde gerade das, was der Sinn der Offenbarung ist, die Be

gnadigung des vor Gott zunichte gewordenen Menschen, aufgehoben. Der Mensch

lebt nicht von der Idee der Gnade Gottes, sondern von der je ihm zugesprochenen

Gnade.

Die f f e n b ~ r u n g kann also nur jeweils Ereignis sein, wann und wo das Wortder

richtenden und schenkenden Gnade jeweils einem Menschen zugesprochen wird.

Daß es ein solches Zusprechen gibt, in dem Gott nicht als Gottesidee - mag sie so

richtig sein, wie sie will - erscheint, sondern als mein Gott, der hier und jetzt zu mir

spricht, und zwar durch den Mund von Menschen, das ist der "entmythologisierte"

Sinn des o o y o ~ ; o ' a ( J ~ 8yC.vB1:o, der kirchlichen Inkarnationslehre. Und insofern ist

die christliche Verkündigung an eine Tradition gebunden und blickt auf eine histori

sche Gestalt und ihre Geschichte zurück, a:Is sie in dieser Gestalt und ihrer Geschichte

die Legitimation des Zusprechens sieht. Und das ist det; "entmythologisierte" Sinn der

BehauptUng, Jesus Christus sei das eschatologische Phänomen, das die Welt zu ihrem

Ende bringt, daß dieser Christus nicht ein historisches Phänomen der Vergangenheit

ist, sondern als das Wort der vernichtenden und im Vernichten lebendig machenden

Gnade jeweils Gegenwart ist in der Zusage, deren Inhalt nicht eine allgemeine Wahr

heit ist, sondern die Anrede Gottes je in der konkreten Situation. Das ist das P a r a ~dox des christlichen Glaubens, daß das e s c h a t a l o g i s ~ e Geschehen, das der Welt ihr

Ende setzt, in der Geschichte der Welt Ereignis geworden ist und in jeder Predigt,

wenn sie echte Predigt ist, und jedem christlichen Zuspruch, Ereignis wird. Und

das ist das Paradox der Theologie, daß sie objektivierend - wie alle Wissenschaft -

vom Glauben reden muß, im Wissen, ~ a ß alles Reden seinen Sinn nur findet in der

Aufhebung der Objektivation.

Der Absolutheits-Anspruch des christlichen Glaubens ist für Jaspers der Anstoß.Es könnte demnach scheinen, daß ich von der Wirkung meines Entmythologisie

rungs-Versuchs auf ihn ganz befriedigt sein dürfte. Denn der Sinn der Entmytho

logisierung ist doch, den Anstoß zur Geltung zu bringen. Indessen zweifle ich, ob mir

das bei Jaspers gelungen ist; denn ich zweifle, ob der Anstoß von ihm richtig ver

standen ist. Er ist es nämlich nicht, solange er verstanden wird als die Behauptung

der Absolutheit der christlichen Religion. Als solcher ist er sinnlos. Die christliche

Religion ist ein Phänomen der Weltgeschichte, so gut wie andere Religionen, und sie

kann wie diese in bezug auf ihren geistigen Gehalt und auf das in ihr lebendige V er

ständnis menschlicher Existenz in den Blick gefaßt werden. Gewiß kann man dieReligionen der Erde auch hinsichtlich ihres Gehalts und der Tiefe ihrer Einsicht in

das Wesen der menschlichen Existenz ordnen. Aber selbst wenn man bei solchem

VersuchderOrdnung der christlichen Religion den höchstenRang zusprechen wollte;

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ZUR FRAGE DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 59

wenn man etwa ihren unersetzlichen Wert für die menschliche Kultur behaupten

wollte, so wäre damit grundsätzlich etwas anderes gemeint; als der Absolutheits-An

spruch des christlichen Glaubens. Dieser Anspruch kann nur - aber er muß auch -

vom Glaubenden jeweils erhoben werden, und zwar nicht auf Grund eines Ver

gleichs mit anderen Glaubensweisen, sondern nur als die Antwort auf das anredende

Wort, das je mich getroffen hat. Und diese Antwort lautet: ;nf(!tE,n(!Ot;'l:iva anEAEV

O'Of.U.3-a; ~ ~ p , a - r ; a ?;oofit; aloovtov EXEtt; (Joh. 6,68).

Anm.: Prof. Jaspers hat hierauf eine Antwort angekündigt, die im Buch des Pipet-Verlag,München, ebenfalls abgedruckt wird.

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III

H.W.BARTSCH

DIE PHILOSOPHISCHE BESTREITUNG DERENTMYTHOLOGISIERUNG

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EINE ANTWORT AUF KARL]ASPERS ' VORTRAG:

, .WAHRHEIT UND UNHEIL DER BULTMANNSCHEN

ENTMYTHO LOGIS IERUNG"

Wenn wir uns mit Karl Jaspers' Votum kritisch auseinandersetzen, so geschieht

dies von einer Sicht des Bultmannsehen Unternehmens her, deren Unterschied zu

der von Jaspers vorausgesetzten von vornherein festgestellt und begründet wer

den muß.

Das Bultmannsehe Unternehmen steht im Dienst der Verkündigung der Kirche.

Es hat seinen Ursprung in dem immerwährenden Bemühen des Predigers, die Bot

schaft des Neuen Testaments dem Hörer in der Gegenwart verständlich weiter

zusagen. Ganz abgesehen davon, ob Bultmann selbst seine Arbeitso

versteht odernicht, muß sie so verstanden werden von dem Zusammenhang her, in dem sie in

der Geschichte der Auslegung des Neuen Testaments steht. Das unter dem Schlag

wort "Entmythologisierung" bekanntgewordene Unternehmen ist nur die konse

quente Weiterführung der formgeschichtlichen Forschungsarbeit, die als wesentlich

stes Ergebnis die Erkenntnis gezeitigt hatte, daß der "Sitz im Leben" der synopti

schen Perikopen die urchristliche Predigt ist, daß von daher die Intention der Evan

gelien allein die Verkündigung ist. Damit kommt Bultmanns Unternehmen in Zu

sammenhang mit der theologischen Arbeit Martin Kählers und seines Schülers

Schniewind, ein Zusammenhang,der

auch durch die Vorbehalte, die Schniewindgeltend gemacht hat, nicht verringert wird1 • Eine Nichtbeachtung dieses Zusammen

hanges würde ein Lösen der Arbeit von ihren Wurzeln bedeuten und zugleich ein

Verständnis der Wirkung verhindern, die Bultmann seit der Zeit des Kirchenkamp

fes gerade auf die junge Generation der Ffarrer- und zwar in erster Linie auf ihre

Predigt und erst von daher auf ihre Theologie - bis heute ausübt.

Bultmann hat bei diesem Unternehmen Begriffe und Gedankengänge verwendet,

die er bei dem Philosophen Heidegger fand. Er sieht bei diesem Philosophen ein

Verständnis des menschlichen Daseins, das bis zu einem bestimmten Punkt dem

entspricht, was das Neue Testament über das menschliche Dasein aussagt. DasNeue Testament spricht den Menschen auf dieses Verständnis seines Daseins hin

1 Vgl. dazu in "Kerygma und Mythos", Bd. 12, s. nff. und I2.2.ff.

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64 HANS-WERNER BARTSCH

mit seiner Botschaft an. So bleibt Bultmann auch in diesem Punkt im Dienst der

Verkündigung.

Wir haben nunmehr die Aufgabe, zu prüfen, inwieweit die Ablehnung, die Bult

mannvonseiten Jaspers' erfährt, durch Mißverständnisse bedingt ist, diez.

T. durchNichtbeachtung dieser Richtung seiner Arbeit entstanden sind, inwieweit es sich um

einen notwendigen Dissensus handelt, der aus der Verschiedenartigkeit der Auf

gaben erwachsen ist, die der Theologie und der Philosophie gestellt sind.

I,

Jaspers sieht die Entmythologisierung auf zwei Voraussetzungen gegründet, auf

Bultmanns Auffassung der modernen Wissenschaft sowie des modernen Welt- und

Menschenbildes und auf seine Auffassung von der Philosophie. Diese beiden Säulen,auf die er das Unternehmen gegründet sieht, erscheinen ihm nicht tragfähig (u ) 1•

Damit ist eine durch den Gesprächspartner bedingte Verschiebung der Diskus

sion gegenüber dem Gespräch innerhalb der Theologie gegeben, die gleich zu An-fang die Feststellung einer bestimmten Begrenzung der von Jaspers vorgetragenen

Kritik erlaubt.

Die Auffassung der Wissenschaft, des Welt- und Menschenbildes und der Philo

sophie sind durchaus nicht Voraussetzungen, auf denen die Entmythologisierung

wie ein Gebäude auf seinen Säulen ruht, sondern das durch die Entwicklung dermodernen Wissenschaft geprägte Welt- und Menschenbild ist in seinem Unterschied

zum Welt- und Menschenbild des Neuen Testamentes der Anlaß des Unternehmens,

und die aus der Philosophie übernommenen Begriffe sind das Sprachmaterial, mit

dem Bultmann den Versuch einer Interpretation der neutestamentlichen Botschaft

Wlternimmt. Die Voraussetzung für Bultmanns Unterfangen ist dagegen die Inter

pretierbarkeit der neutestamentlichen Botschaft. Um diese Voraussetzung geht das

theologische Gespräch seit Beginn und wird weiterhin darin verharren, daß diese

Voraussetzung auf der einen Seite abgelehnt und auf der andern Seite freudig er

griffen wird.Allerdings greift Jaspers' Kritik darum nicht weniger tief. Sind auch die Voraus

setzungen für das Unternehmen nicht berührt, so ist doch damit, daß die Auffassung

der Wissenschaft und die benützten philosophischen Begriffe einer Kritik unter

zogen werden, der Erfolg des Unternehmens in Frage gestellt, insofern, für den

Fall, daß die Kritik recht hat, die Interpretation Bultmanns keine bessere Verstehens

möglichkeit für den modernen Menschen bietet. Es geht zwar nicht wie in der theo

logischen Diskussion um die Legitimität des Unternehmens, es geht aber darum, ob

die Notwendigkeit für das Unternehmen gegeben ist, ob es einen Erfolg auf Grund

der Interpretationsmethode versprechen kann. Hat Jaspers recht, so ist das Unternehmen Bultmanns, selbst wenn es theologisch legitim ist, die von Bultmann ge-

1 Die Seitenzahlen der Zitate nach dem Text in diesem Band.

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DIE PHILOSOPHISCHE BESTREITUNG 65

botene Interpretation tatsächlich die Aussagen des Neuen Testamentes in ihrem

Gehalt wiedergibt, am Ende erfolglos, da die Interpretation Bultmanns dem moder

nen Menschen ebenso unverständlich bleibt wie die Botschaft des Neuen T e ~ t a -

mentes selbst. Ist tatsächlich, wie Jaspers behauptet, sowohlder

Realismusund der

Materialismus des Menschen ebenso gleichbleibend wie seine "Bereitschaft zum

Glauben des Absurden" (12), so ist zudem die Notwendigkeit einer Interpretation

nicht einzusehen.

Es ist nun aber zu fragen, ob Jaspers bei seinem Reden von dem modernen Men

schen tatsächlich den Menschen meint, den Bultmann mit seiner Interpretation an

zusprechen sich müht. Bultmann hat bei seinem Unternehmen den Menschen im

Auge, der als der Hörer der neutestamentlichen Botschaft diese auf Grund seines

Weltbildes nicht mehr so zu hören vermag, wie sie der Mensch zur Zeit Jesu hörte,

als Anrede, die sein eigenes Leben betrifft, als Kerygma. Es ist nun die Frage, ob

Jaspers den gleichen Menschen im Auge hat, wenn er von der gleichbleibenden Be

reitschaft zum Glauben des Absurden spricht, und vollends, wenn er die der moder

nen Wissenschaft eigene Freiheit von einem Weltbilde anführt.

Dieses Gleichbleibende hat Jaspers damit ebenso überschätzt, wie er Bultmann

ein Unterschätzen vorwirft. Er sieht den Glauben im Neuen Testament grundsätz

lich als einen Glauben des Absurden in Parallele zu allem modernen Aberglauben,

wie er sich sowohl in der Erscheinung des Nationalsozialismus und Bolschewismus

wie.auch im Glauben an Astrologie usw. zeigt.

Mit dieser Feststellung bestätigt Jaspers ungewollt die Notwendigkeit des Bult

mannsehen Unternehmens, ganz abgesehen davon, ob es erfolgreich ist; denn nicht

die Unfähigkeit zu solchem "Glauben" bedingt diese Notwendigkeit einer Inter

pretation, sondern gerade die von Jaspers damit bezeugte Tatsache, daß der Glaube

des Neuen Testamentes nicht mehr anders denn als solcher "Glaube des Absurden"

verstanden wird. Jaspers bezeugt, daß er nicht mehr versteht, was das Berichten von

wunderbarem Geschehen - man glaube ihm oder nicht - eigentlich bezeugen will

über die Feststellung eines wunderbaren Geschehens hinaus. Die Notwendigkeit

für eine Interpretati"on des Neuen Testamentes liegt eben darin, daß der neutesta

mentliche Glaube sich durchaus nicht im Glauben an das Absurde erschöpft, daß er

aber heute lediglich als solcher erscheint.

Der Unterschied läßt sich gerade an den von Jaspers angeführten Beispielen sehr

gut aufzeigen. Der moderne Aberglaube, wie er sich im Nationalsozialismus und

Bolschewismus ebenso ausprägt wie im Glauben an Astrologie und Theosophie, ist

nicht dem Glauben der frühern Missionare analog, wie Jaspers meint. Im Natio

nalsozialismus und Bolschewismus glaubt der Mensch an den Eintritt des vollkom

menen Glücks "durch Vollendung der Gewaltsamkeit, die sie magisch herbeiführt"(12). Es ist aber die gewaltsame Durchsetzung seiner Ideen, es ist die eigene Kraft,

der der Mensch damit die Fähigkeit zuschreibt, dieses säkulare Reich Gottes herbei

zuführen. Der Aberglaube des modernen Menschen ist der ausschließliche Glaube an

l Kerygma, Bd. 3

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66 HANS-WERNER BARTSCH

die eigene Macht. Der Glaube der frühern Missionare an das Kommen des Gottes-'

reiches gründete dagegen in einem Geschehen, das sie bezeugten, in dem eschatolo

gischen Handeln Gottes. Es ist nun kein Zweifel darüber, daß diese Wandlung zu

dem modernen Aberglauben ihre Wurzel in der Entwicklung der wissenschaftlichen

Forschung hat, die dem modernen Menschen ein wachsendes Vertrauen in die eigene

Macht gegeben hat. Aber auch der Aberglaube, der sich in dem Glauben an Astr<r

logie usw. zeigt, ist in seiner heutigen Gestalt nicht ohne dieses Vertrauen denkbar.

Dadurch ist der mirakelhafte Charakter allen wunderbaren Geschehens stärker in

den Vordergrund getreten, und der Mensch sucht durch allerlei magische Praktiken

das seiner Kontrolle zu unterwerfen, was sich der eigenen Macht entzieht. Alles

wunderbare Geschehen im Neuen Testament zeugt dagegen von dem der Macht

und Kontrolle des Menschen sich entziehenden Handeln Gottes, und die Berichte

davon haben in diesem Zeugnis ihr eigentliches Ziel. Dies ist jedoch, wie Jaspers

unter Beweis stellt, dem modernen Menschen nicht mehr verständlich. Daß ein

Wunder nur noch als Mirakel verstanden wird, ist, abgesehen von der Frage der

Bereitschaft zum Glauben an wunderbare Ereignisse, in der Entwicklung der Wis

senschaft begründet.

Bultmann selbst ist z. T. mitverantwortlich dafür, daß Jaspers die_ Frage des

Wunders allein in der Frage der Bereitschaft des Glaubens sieht, nicht aber in der

Frage nach der Möglichkeit des Verstehens seiner von den neutestamentlichen Zeu

gen intendierten Aussage. Seinen Satz, daß man nicht "in Krankheitsfällen moderne

medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen (kann) und gleichzeitig an

die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben" (Kerygma und My

thos I, S. 18 von Jaspers zitiert und zurückgewiesen S. 32), hat Jaspers mit Recht

zurückgewiesen. Aber Bultmann hat doch auch die hier aufgewiesene Frage des

Glaubens- als Kern des eigentlichen Problems neutestamentlichen Glaubens auf

gezeigt: "Aber der zum Aberglauben herabgesunkene Geister- und Wunderglaube

ist etwas völlig anderes, als was er als Glaube einst war." (K: u. M. I, S. 18, Anm. x.)

Diese Frage wird vollends deutlich in seiner Unterscheidung von Wunder und Mi

rakel, die Jaspers nicht genügend beachtet hat.

Von nicht geringerer Bedeutung ist Jaspers' Behauptung,daß

die moderne Wissenschaft "als ein entscheidendes Kennzeichen (hat), daß sie auf ein Weltbild ver

zichtet, weil sie erkannt hat, daß dies unmöglich ist" (13). Es steht uns nicht zu, diese

Behauptung zu bezweifeln. Es wäre allerdings zu fragen, ob dieser Verzicht auf ein

Weltbild auch der Wissenschaft überhaupt möglich ist. Der Verkündiger der bibli

s ~ e n Botschaft hat jedoch nicht "die Wissenschaft" als sein Gegenüber, sondern den

Menschen, der diesen Verzicht auch dann nicht leisten kann, wenn er diese Einsicht

hat. Er kann von daher wohl zu der Erkenntnis der Vorlä'ufigkeit seines Weltbildes

kommen, und diese Erkenntnis scheint stärker um sich zu greifen. Dadurch ist wohl

eine Entspannungder

apologetischen Situationder

Kirche erreicht, aber mandarf

diese Entspannung einerseits nicht überschätzen, und anderseits ändert! sich da

durch im Grunde nichts, da dem Verkündiger immer noch Menschen gegenüber

stehen, die in einem bestimmten Weltbild befangen sind, und dieses Weltbild bleibt

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DIE PHILOSOPHISCHE BESTREITUNG 67

von dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Forschung bestimmt. Jaspers er-kennt dies auch, wenn er sagt, daß auch unser Zeitalter "in seiner Durchschnittlich-keit" in Weltbildern lebt. Es ist eben jener Mensch, dem die Wissenschaft eben nur

"als Wissenschaft nicht mehr grundsätzlich begriffen" (r3) zugänglich ist, demsich

der Verkündiger gegen übersieht. Weil Bultmann diesen Menschen im Auge hat,dem die Wissenschaft bisher nur "in vermeintlich endgültigen Ergebnissen in bezugauf das Ganze der Dinge" (r3) zugänglich geworden ist, darum trifft sein Satz fürdiesen Menschen zu: "Der Einheit der Welt im wissenschaftlichen Denken entsprichtdie Einheit des wissenschaftlichen Denkens selbst." (Von Jaspers zitiert und be-stritten S. r J.)

li.

Jaspers' Kritik hat ihren Grund darin, daß der Philosoph nicht den Verkündigerder biblischen Botschaft hinter dem Unternehmen Bultmanns sieht, sondern ledig-lich den t h e o l o g i ~ c h e n Wissenschaftler. Darum sieht er auch nicht den Menschen,um dessen willen diese Interpretation versucht wird und den Bultmann in seineneinleitenden Darlegungen zeichnet, um die Notwendigkeit der Interpretation zu er-weisen. Dieser Mangel hat eine weitere Folge in Jaspers' Kritik an Bultmanns Un-terscheidung zwischen "existential" und "existentiell". Jaspers kritisiert die existen-tiale Interpretation Bultmanns: "Als allgemeingültiges Erkennen wird behandelt,

was nur als Erwecken und Unruhigmachen Sinn hat . . . Es wird in begrifflichen Be-stimmungen fixiert, was nur im transzendierenden Denken in Schritten geschehenkann, die Sinn nur haben in dem Maße, als sie in einem inneren Handeln Widerhallfinden und Wirklichkeit in der Lebenspraxis des so Denkenden werden oder waren."(15.)

Diese Kritik hat um so mehr Gewicht, als sie sich mit mancher Kritik von theo-logischer Seite trifft. Die scheinbare Teilnahmslosigkeit der Aussagen existentialerInterpretation läßt übersehen, daß diese Aussagen immer auf eine existentielleEntscheidung zielen, diese stets entweder in Ablehnung oder in Übernahme hervor-

rufen. Es trifft durchaus zu, daß es ein Irrtum ist, zu meinen, man könne durch exi-stentiale Interpretation etwa über den christlichen Glauben neutral etwas wissen,ohne sich ihm gegenüber für das eigene innere Handeln zu entscheiden. Es kanndarum vollends bei der christlichen Theologie kein unverbindliches Wissen g e b e n ~Ist in diesem Sinne allem, was Jaspers als vermeintliche Kritik an Bultmanns U n t e r ~nehmen vorbringt, zuzustimmen, so kann diese Kritik selbst nur als ein Mißver-ständnis genommen werden,das um so verständlicher ist, als ihm eine ganzeReihe vonTheologen ebenso verfallen sind. Es wäre nur zu fragen, wie man einem solchen Miß-verständnis überhaupt entgehen kann. Gibt es einen Weg der Interpretation, der im

transzendierenden Denken geschieht, oder kann man es der Interpretation anmer-ken, daß sie so und nicht anders geschieht? Kann )llan es kenntlich machen, daß die

Interpretation im inneren Handeln Widerhall finden muß? Liegt nicht vielmehreben das, was Jaspers bei Bultmann vermißt, in der Verantwortung des Predigers.

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68 HANS-WERNER BARTSCH

dem Bultmann die Aufgabe nicht abnehmen kann, den er aber für .seine Aufgabe

zurüstet und für den darum die Interpretation immer nur den Sinn haben kann, den

Jaspers von solchen Aussagen erwartet.

Daß die I n t ~ r p r e t a t i o n Bultmanns nur in dieser Zielrichtung verstanden werden

kann, wird noch' durch einen weiteren Umstand bestätigt. Nur scheinbar ist das

Selbstbewußtsein jener biblischen Zeugen, auf das hin Bultmann ihre Aussagen in

terpretiert, das Letzte, auf das seine Interpretation zielt. In dem Wandel des Selbst

verständnisses von der ungläubigen zur gläubigen Existenz, der durch die existen

tiale Interpretation sichtbar wird, tritt als diesen Wandel Schaffendes das eschatolo

gische Handeln Gottes hervor, wird nicht direkt, objektiviert, sondern indirekt durch

die von ihm erzeugte Wandlung des Zeugen erkennbar. Damit wird durch diese

Interpretation verständlich, daß die Zeugen dieses Handeln Gottes bezeugen wol

len. Sie tun es, indem sie objektivierend von diesem Handeln Gottes reden,es

inWundern usw. sichtbar werden lassen. Für uns erkennbar ist jedoch jener W ~ n d e ldes Selbstverständnisses, und dieser Wandel deutet auf das nicht zu wissende und

nicht zu erkennende, sondern nur in der Entscheidung anzunehmende oder zurück

zuweisende Handeln Gottes hin. Indem Bultmann die neutestamentlichen Aus

sagen in existentialer Interpretation wiedergibt; bezeugt er ebenso dieses Handeln

Gottes, wie es die neutestamentlichen Zeugen taten, auch wenn dies in der Form

nicht immer von vornherein einsichtig ist.

III.

Vielleicht kann Jaspers dieses letzte Ziel der Interpretation, die Verkündigung

des Wortes, das mir mit dem Anspruch begegnet, Gottes Wort zu sein, gar nicht in

den Blick bekommen, weil es nur dem deutlich wird, der sich von diesem Worte ge

troffen weiß. Und nur von daher ließe sich Jaspers' Kritik endgültig zurückweisen,

während wir diese Intention der Arbeit Bultmanns nur neu bezeugen, aber keines

wegs beweisen können. Es läßt sich jedoch im weiteren Verlauf der Kritik deutlich

machen, wie eben dieses Ungenügen, ein von daher notwendiges Ungenügen der

Erkenntnis des Zielsder

Arbeit immer wieder sichtbar wird. Damit wird zugleichdie Notwendigkeit des Dissensus zwischen dem Theologen, dem Diener dieser

V e1:kündigung und dem Philosophen deutlich. Das gilt besonders für die Kritik, die

Jaspers nunmehr der Entmythologisierung als existentialer Interpretation des My

thos zuteil werden läßt.

"Entmythologisierung ist fast ein blasphemisches Wort. Es ist nicht Aufklärung,

sondern Aufkläricht, die das Wort Mythus so entwerten kann." (19.) Dies erscheint

Jaspers so, weil ihm der Mythos eine "ergreifende Wirklichkeit" (19) bleibt, auch

wenn er sich bewußt ist, "daß im Sinne raum-zeitlicher Realität hier menschliche

Erlebnisse stattgefunden haben" (19).Er

wehrt sich darum gegen die Verarmungunseres Lebens, die durch eine Eliminierung der ·Mythen eintreten muß. Dennoch

sieht er hinter Bultmanns Bemühen "eine halbe Wahrheit", nämlich "die Abglei

tung mythischer Chiffersprache in die Auffassung garantierter und garantierender

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•DIE PHILOSOPHISCHE BESTREITUNG 69

Leibhaftiglreit" (zo) kritisch aufzuheben. Das ist eine Aufgabe, die allen Zeiten

immer wieder gestellt ist. Es kann nun allerdings nicht behauptet werden, daß Bult-

mann lediglich dieser von Jaspers anerkannten Notwendigkeit Rechnung trägt;

denn Entmythologisierung des Neuen Testaments geschieht sicher nicht zur "Wie-derherstellung der mythischen Sprache", für sie hat der Mythos nicht wie für Jaspers

einen eigenen selbständigen Wert, sondern der Mythos tri tt überhaupt nur in seiner

Beziehung zur neutestamentlichen Verkündigung in das Blickfeld des Theologen.

Deshalb geht es ihm auch nicht darum, die "ergreifende Wirklichkeit", die sich für

den Philosophen im Mythos offenbart, herauszuheben und diese in der mythischen

Sprache als der ihr gemäßen Chiffer zu bewahren, sondern es geht ihm darum, daß

der Anspruch, der in den mythologischen Aussagen der Bibel an mich ergeht, hörbar

bleibt. Er war für den Menschen neutestamentlicher Zeit in den mythologischen

Aussagen selbst hörbar. Die mythologischen Aussagen riefen den Menschen zu einersein Leben bestimmenden Entscheidung. Wie Jaspers selbst es unter Beweis stellt,

können sie dies heute nicht mehr, zumindest nicht mehr so unmittelbar und so all-

gemein. Der Anspruch, der Ruf zur Entscheidung gegenüber dem Anspruch des

Wortes wird nicht mehr gehört, die Mythen sind lediglich noch Chiffern für eine

hinter ihnen stehende "ergreifende Wirklichkeit".

Die Zustimmung, die Jasperstrotz allem praktisch dem Unternehmen Bultmanns

zollt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Jaspers damit etwas anderes als Er-

gebnis erwartet hat, als Bultmann selbst intendiert. Dies wird sichtbar in der For-

derung Jaspers', "im Gegenzug zugleich die Verwirklichung der mythischen Sprachezu vollziehen" (zo), obwohl praktisch die Entmythologisierung auch dieser Forde-

rung nachkommt. Das wird in der programmatischen Schrift Bultmanns und auch

in der theologischen Diskussion selbst zwar nicht deutlich, es muß sich aber not-

wendig in der Praxis des Predigers zeigen, der unter dem Programm Bultmanns die

Verkündigung vollzieht. Der Prediger verzichtet nicht auf die mythische Sprache.

Er redet weiter vom Wunder der Auferstehung, weil er keine andere Möglichkeit

kennt, anschaulisch vom eschatologischen Handeln Gottes zu reden, aber er redet

in der mythischen Sprache mit dem Wissen, daß er nur dieses Handeln Gottes, aber

weder die "objektive Wirklichkeit" eines wunderbaren Geschehens noch die "er-greifende Wirklichkeit" des Mythos selbst bezeugen soll.

Für den Prediger ist jedoch die Notwendigkeit des Redens in mythologischer

Sprache lediglich praktisch bedingt. Sie ist durch die Unmöglichkeit verursacht,

direkt, objektivierend vom Handeln Gottes zu reden. Alles Reden von Gotues

Handeln kann es nur in seinen Wirkungen bezeugen. So weist der Mythos für den

Prediger als Zeugen von diesem Handeln über sich selbst hinaus, während für Jas-

pers der Mythos einen Eigenwert hat, der gewahrt werden muß und der durch das,

was Jaspers als Entmythologisierung gelten lassen will; nur klarer heraustreten soll.

Es geht nur darum, daß der Charakter der Chitierschrift gewahrt bleibt gegenübereiner "unfrommen, materialistischen Anschauung der mythischen Leibhaftigkeit als

einer greifbaren Realität, der der Charakter der Chiffer verlorengeht und die damit

erst Aberglaube wird". So ist die Notwendigkeit des mythischen Redens für Jaspers

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70 HANS-WERNER BARTSCH

grundsätzlich gegeben, nicht nur praktisch durch die U n z u l ä n g l i c h k e i ~ unseres Re

den!. bedingt.

Hier zeigt sich der notwendige Dissensus zwischen dem Theologen und dem

Philosophen, der zuletzt in dem begründet ist, was Bultmann als Heilsgeschehenbezeichnet, von dem wir als von dem eschatologischen Handeln schon verschiedent

lich sprachen. Da dieses dem Philosophen unzugänglich ist, er von ihm zumindest

nicht so reden kann, wie Bultmann es tut, muß sich dieser Dissensus ergeben, kann

Jaspers der "Entwertung'! des Mythos durch Bultmanns Unternehmen nicht zustim

men. So spitzt sich die Auseinandersetzung in dem Punkte zu, den Jaspers selbst als

das entscheidende Für und Wider bezeichnet.

IV.Jaspers meint in Bultmanns Arbeit "das Ergebnis solchen Ringens u ~ die Wahr

heit biblischer Gehalte gegen andere biblische Gehalte wahrzunehmen", dem er

nicht folgen kann (zz). Ei: meint, Bultmann folge ausschließlich Paulus und Johan

nes unter Abwendung vom Alten Testament und den Synoptikern. Er zeichnet die

theologische Position Bultmanns durchaus richtig: "Die Offenbarung liegt für ihn

nicht in einem historisch kennbaren Jesus, sondern in einem aus den spätem Texten

hörbaren und in diesen selber gemeinten Heilsgeschehen, das die Jünger und Apo

stel konzipiert haben" (zz). An diesem Satz ist nur der Schluß irreführend. Geradeuach der Darstellung Bultmanns, die Jaspers mit diesem Satz ja wiedergeben will;

ist das Heilsgeschehen nicht eine Konzeption der ersten christlichen Zeugen, son

dern eben das eschatologische Handeln Gottes. Die Konzeption der Jünger und

Apostel ist das Zeugnis von diesem Heilsgeschehen, so wie die spätere Gemeinde

theologie seine Entfaltung ist. Aber Jaspers zeigt mit diesem Satz die gleiche Grenze

seines V erstehens, die sich vorher gezeigt hatte, daß er zwischen beidem nicht zu

unterscheiden vermag, da er nichts von diesem Heilsgeschehen weiß, das sich keiner

Erkenntnis darbietet, sondern lediglich im Glauben angenommen und bezeugt wer

den kann. Wie darum dieses Heilsgeschehen für ihn zusammenfallen muß mit denMythen, die ,von daher ihren Eigenwert bekommen, so muß es wiederum zusam

menfallen mit dem Zeugnis der Jünger und Apostel. Ein relatives Recht zu dieser

Meinung erwächst aus der Tatsache, daß nach der Darstellung Bultmanns dieses

Heilsgeschehen uns tatsächlich nur im Zeugnis der Jünger und nur in den es bezeu

genden mythologischen Aussagen begegnet. Auch auf theologischer Seite hat dieser

Umstand ja dazu geführt, daß man Bultmann vorwarf, es gäbe bei ihm gar kei;.1

Heilsgeschehen mehr, es ereigne sich bei ihm nur Selbstbewußtsein, und dieses

Selbstbewußtsein sei der letzte Rest von Heilsgeschehen, von dem Bultmann noch

zu sprechen vermöge. Bultmann wisse nichts mehr vom Osterereignis, sondern nurnoch vom Osterglauben der Jünger. Es ist dies jedoch ein Kurzschluß, der eine on

tische Identität dort annimmt, wo lediglich ein notwendiger Weg für die Bezeugung

und für unser Erkennen angegeben ist.

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DIE PHILOSOPHISCHE BESTREITUNG 71

Jaspers möchte dieser Theologie die "Lebenswirklichkeit des Neuen Testaments"

(22) gegenüberstellen. Die "Wirklichkeit Jesu bei den Synoptikern" (23) erscheint

ihm an Gehalt reicher als der "spiritualisierte Christus des Johannes-Evangeliums",

bei dem er lediglich den "Märchenzauber auf Goldgrund" sieht. Nach dem, was

Jaspers über die Wirklichkeit der Mythen gesagt hat, können wir uns vorstellen,

was ihm die Wirklichkeit Jesu bedeutet, die auch für ihn, abgesehen von der Frage

nach der Historizität der einzelnen Berichte, vorhanden ist. Es ist eine Wirklichkeit,

die 11nübersetzbar ist, die nur so in Mythen ausgesagt werden kann, es ist aber nicht

der Anspruch eines an mich ergehenden Wortes.

In diesem Gegeneinanderstellen der Theologie des Paulus und Johannes gegen

die Synoptiker durch Jaspers zeigt sich der Schaden, der daraus entstanden ist, daß

die Forschungsarbeit am Neuen Testament, wie sie durch die gattungs- und form

geschichtliche und durch die religionsgeschichtliche Forschung vorangetrieben wor

den ist, von der Philosophie überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen wurde,

daß sie eben durch die Arbeit Bultmanns zum erstenmal von der Philosophie regi

striert, aber noch nicht voll verarbeitet worden ist. Hätte etwa ein Resümee dieser

Arbeit, wie es Sir Edwyn Hoskyns in seinem Buch "The Riddle of the New Testa

ment" gibt, den Gesichtskreis der Philosophie erreicht, wäre ein solches Gegenein

anderstellen nicht möglich. Jaspers wüßte .dann, daß man nicht von einer Lebens

wirklichkeit des Neuen Testaments im Gegensatz zur Verkündigung des Heilsge

schehens reden kann, daß vielmehr die Verkündigung dieses Heilsgeschehens auch

für die von ihm angeführte Lebenswirklichkeit dieGrundlage

bildet,daß

das ganzeNeue Testament in allen seinen Teilen nur Entfaltung dieser Verkündigung gibt,

die wohl hier und dort verschieden ausgeprägt ist, aber niemals gegensätzlich, selbst

dort nicht, wo es lange so geschienen hat, wie etwa in dem Verhältnis des Jakobus

Briefes zu Paulus. Darum trifft Jaspers' Analyse der Arbeit Bultmanns als Ergebnis

eines Ringens um die Wahrheit biblischer Gehalte gegen andere biblische Gehalte

nicht zu. Es geht vielmehr um die Herausarbeitung des Kerns der neutestament

lichen Schriften, von dem her das ganze Neue Testament zu verstehen ist. Dieser

Kern ist aber in der Verkündigung des Christus durch die Forschungsarbeit heraus

geschält, an der Bultmann entscheidenden Anteil hat.

V.

Mit dieser Kritik ist eine Entscheidung gefallen: Das Heilsgeschehen, von dem

her und auf dessen Bezeugung hin Bultmanns Interpretation sich vollzieht, ist für

Jaspers lediglich ein Teil biblischer Gehalte, gegen den er andere Gehalte meint

stellen zu können, die für ihn im Ringen um die Wahrheit den Vorzug haben. Die

damit gegebene Ablehnung des Zeugnisses vom Heilsgeschehen ist dabei das Ent-

scheidende. Sie ist der eigentliche Kern der ganzen Haltung Jaspers', und wenn ervom "Unheil" der Entmythologisierung spricht, so darum, weil durch sie allein die

ses Heilsgeschehen als Inhalt des Neuen Testaments erscheint und das, was Jaspers

selbst am Neuen Testament wesentlich ist, verlorengeht, wo nicht dieses Zeugnis

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72 HANS-WERNER BARTSCH

angenommen wird. Jaspers läßt damit jedoch das ganze Unternehmen nicht fallen,

sondern prüft kritisch im folgenden, inwieweit( es Bultmann gelungen ist, den

Glauben an dieses Heilsgeschehen verständliclt zu machen. Diese kritische Betrach

tung des durch die Interpretation der neutestamentlichen Zeugnisse dargebotenenVerstehens des urchristlichen Glaubens setzt ein mit einer wesentlichen Unterschei

dung in der Definition des Verstehens.

Eigentliches, ursprüngliches Verstehen bedeutet "jede Weise, in der wir denkend

Wirklichkeit gegenwärtig haben" (24). "Verstehen ist die Weise der Gegenwart des

Seins, das wir sind" (24). Davon unterscheidet Jaspers das "Verstehen des Verstan

denen". Nach der von Jaspers gegebenen Definition und besonders im Blick auf

das Unternehmen Bultmanns erscheint es mir besser, vom Verstehen eines einmal

von irgendwem geleisteten Verstehens zu sprechen. Zumindest erscheint mir dieses

Verstehen eines einmal geleisteten Verstehens von dem unterschieden zu sein, wasman Verstehen des Verstandenen nennen kann. Wenn Jaspers dann aber weiterhin

diese Unterscheidung nicht als klare Scheidung zweier Gebiete, sondern als Aus

druck einer Spannung verstanden wissen will, so scheint mir dieses mehr für das

Verstehen eines einmal geleisteten V e r s ~ e h e n s zuzutreffen.

Eine reine Scheidung beider Verstehensweisen ist darum nicht möglich, weil die

Suspendierung der eigenen Wertung, des eigenen Dabeiseins nur uneigentlich, nicht

wirklich möglich ist; denn die eigenen Wertungen sind die Quelle aller Einsicht, die

zum Verstehen führt. Darum ist in jedem Verstehen des Verstandenen als Möglich

keit das eigentliche, ursprüngliche V erstehen immer mit vorhanden.

Ebenso ist aber immer vorhanden die Gefahr, aus der Spannung in eine Ver

wechslung beider Verstehensweisen zu geraten, das Verstandene zu .;>bjektivieren

und es für die eigene Wirklichkeit zu halten. Dieser Gefahr ist Bultmann nach Jas

pers' Kritik erlegen. Er erwartete, bei Bultmann echtes, ursprüngliches Verstehen

zu finden, und fand nur jenes Verstehen des Verstandenen, das sich selbst bereits

für eine Wirklichkeit hält, ohne dieses Verstehen in Aneignung selbst tatsächlich zu

leisten. "Trotz bewußter Abwehr der Vergegenständlichung kann diese nicht auf,.

hören, wird jedoch im Selbstmißverständnis unbemerkt, darum ein falsches Wissenund in den Mitteilungsweisen ein falsches Glauben" (28). Eine schärfere und zu

gleich verstehendere Verurteilung von Bultmanns Bemühen ist kaum denkbar. Was

aber hatte Jaspers erwartet? Er spricht es aus: "Die Theologie gründet daher ihr

Verstehen auf den Heiligen Geist. Ob er irgendwo weht oder nicht, wer könnte das

allgemeingültig entscheiden! Aber der Hörende darf es aussprechen, wo er sich von

ihm, und mag er noch so schwach sein, getroffen weiß, wo nicht. Und er kann um-·

schreiben, wie ihm das Ausbleiben erscheint. Wo Aneignung geschehen ist, d ~ ist

der Ton hörbar aus der Glaubwürdigkeit des Umgreifenden, woraus gesprochen

wird. Dann ist aufgehoben die Unglaubwürdigkeit der unumgänglichen Objektivierung, bei der nur sachliche Geltung in Anspruch genommen wird. Bei Bultmann

ist in der Weise des Sprechens überall die Verantwortung des wissenschaftlichen

Forschens fühlbar" (29). Ein "nur" wäre hier hinzuzufügen und weiter: es ist nicht

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DIE PHILOSOPHISCHE BESTREITUNG 73

fühlbar jenes Umgreifende, das dem Hörer erst alle Worte zum Klingen bringt, sie

für ihn zur Anrede, zum Ruf des Glaubens werden läßt.

Jaspers' Kritik läßt sich weder zurückweisen noch entkräften. Er will das Um-

greifende hören, aus dem jede Theologie wächst, er will das Wehen des Heiligen

Geistes spüren. Es ist aber zu fragen, ob Jaspers hier nicht an die Grenze schlägt, die

jeder Theologie als Wissenschaft gezogen ist, sofern ihr wissenschaftliches Bemühen

in Spannung steht zu dem Auftrag der Verkündigung. Is t darum Jaspers' Kritik

nicht ebenso sachlich entscheidend wi•e wissenschaftlich unmöglich, ebenso zu be-

urteilen, wie er es selbst tut: "Die Kritik einer Theologie wird dann die wissen-

schaftlich unmögliche, aber sachlich entscheidende Frage stellen, ob und was sie

für diese glaubende Lebenswirklichkeit bedeuten möge" (30). Kann aber diese

Frage überhaupt beantwortet werden? Kann sie so beantwortet werden, daß dar-

aus ein wissenschaftlich schlüssiger Beweis erwächst? Dies ist nicht möglich. Es kann

nur bezeugt werden, daß die Theologie dies und dies fÜr die glaubende Lebens-

wirklichkeit bedeutet, so wie etwa für Bultmanns Arbeit von seiten der Prediger

bezeugt werden kann, daß diese Arbeit Entscheidendes für ihre Predigttätigkeit,

und das wäre dann ja ihre glaubende Lebenswirklichkeit, bedeutet. Aber genau sokönnte bezeugt werden, daß sie nichts, radikal nichts bedeutet, sondern den Fra-

genden leer läßt. Beides ist möglich. Und wo man nach einer objektiven Antwort

sucht, wird man anstatt des Heiligen Geistes allenfalls Geist aufweisen können,

anstatt des Glaubens allenfalls eine Gläubigkeit. Hier schlägt Jaspers an die Grenze

des Unverständlichen darum, weil der Geist weht, wo er will, und weil der Glaube

dort erwächst, wo Gott es will, weil die Frage nur da eine Antwort erhalten kann,

ubi et quando visum est deo.

Dennoch behält Jaspers' Frage, die er damit nicht nur Bultmann, sondern aller

Theologie stellt, ihre Bedeutung. Sie weist den Theologen immer wieder auf die

Gefahr, in der er als wissenschaftlicher Theologe steht. Es kann sein, "daß Theo-

logen sprechen im Ausweichen ihrer Ungläubigkeit vor dem existentiellen An-

spruch durch das Reden über ihn, durch Kenntnisse eines gedachten Glaubens und

durch Operationen zur Sicherung der Kirche" (3o). In dieser Gefahr steht die kon-

servative Theologie in gleicher Weise, ohnedaß

siees

selbst vielleicht in der ver-meintlichen Geborgenheit der rechten Lehre gewahr wird. Anderseits läßt sich frei-

lich nicht unter Beweis stellen, daß diese Gefahr vermieden ist.

Im Grunde weiß Jaspers aber auch, daß er von Bultmann etwas erwartet hat, was

dieser nicht leisten kann, da es nur in der Verkündigung selbst geschehen und nur

im Glauben erkannt werden kann. Er sieht, es ist "nur in der Nachfolge Sache einer

gelehrten Theologie, ursprünglich vielmehr Sache der Theologie des Seelsorgers,

der täglich in der Praxis steht, der der konkreten menscp.lischen Situation Genüge

tun und sich bewähren muß" (3 I). Als eigentliche Aufgabe der Theologie, die Bult-

mann nicht erfüllt, nennt Jaspers, "gegen die heute gewaltigen wirklichen Gefahren,gegen die der Angst erwachsenen, in ratlosem Irregehen ergriffenen trügerischen

Hoffnungen und Erwartungen, gegen die Ausflüchte, die analog in Medizin, Poli-

tik, Theologie und überall ruinös sind" (32), Hilfe zu bringen. Eine solche Hilfe

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74 HANS-WERNER BARTSCH

muß die echten Hoffnungen und Erwartungen aufzeigen, die wirkliche Zuflucht

bieten. Die christliche Theologie kann das aber nur im Bemühen um ein Verstehen

jener Hoffnung und Erwartung, die die ersten Missionare verkündeten. Ihre Auf

gabe kann darum nur die einer Interpretation im Sinne des Verstehens von Verstandenem sein mit aller Spannung, die solchem Verstehen zu eigen sein muß.

So ernsthaft die Theologie in dieser Situation den Vorwurf bedenken muß, den

Jaspers Bultmann gegenüber erhebt, er bleibe in theoretischen Erörterungen stek

ken, die Aufkläricht und Qrthodoxie verbinden, da dieser Vorwurf aus der Sorge

erwächst, die Spannung zwischen ursprünglichem Verstehen und dem Verstehen

des Verstandenen könne im Selbstmißverständnis aufgegeben sein, so darf die

Theologie sich doch zugleich daran erinnern, daß dieser Vorwurf nicht vermieden

werden kann, daß jede Theologie in diesen Verdacht geraten muß, die sich inter

pretierend um ein Verstehen des einmal geleisteten Glaubens bemüht.

VI.Warum einerseits J aspers' Erwartung nicht erfüllt werden k ~ n n und wieweit sein.

Vorwurf dennoch zu Recht bestehen kann, wird deutlich in der Abgrenzung, die

Jaspers von seiten der "echten Liberalität" gegen die echte Orthodoxie und gegen

Bultmann vollzieht.

"Dieser Glaube im Raum der Liberalität lebt kraft seiner selbst, unmittelbar von

der

Transzendenz, ohne Garantie eines von außen Wahrnehmbaren oderüber

lieferten, aber .von diesem erweckt und erfüllt als das, was alles so überlieferte

wiederum zu prüfen vermag; dieser Glaube ist nicht durch Stützen gehalten, auch

nicht durch die Stütze eines objektiven Heilsgeschehens als absoluten, die Bedingung

des Glaubens selbst erst verleihenden Ereignisses" (33). Diese von Jaspers Vertre

teneLiberal ität steht im Gegensatz zu Rationalismus und Liberalismus, zu dem Un

glauben, "der seinen festen Boden in Rationalitäten abergläubisch zu haben meint"

(34). Liberalismus ist "die intolerante Verabsolutierung eines vermeintlich endgül

tigen Verstandeswissens von der Freiheit und Gleichheit aller Menschen" (35), wäh

rend Liberalität die "grenzenlose Offenheit für Vernunft und Kommunikation zumGedeihenlassen aller echten Gehalte"(ib.) ist. Damit steht die Liberalität aber auch

notwendig im Gegensatz zu aller Orthodoxie, bei der diese Offenheit, die stetige

Bewegung, die Liberalität bedeutet, aufhört im Wissen. '

Dennoch kommt Jaspers gerade hier den Aussagen Bultmanns so nahe, daß der

Gegensatz beider bei gegenseitigem Verstehen sichtbar werden kann. Jaspers' Frage:

"Ist erst die Offenbarung als objektive Realität da und folgt dann der Glaube an

sie in der Wahrnehmung ihrer Wirklichkeit?" (38), verneint Bultmann ausdrücklich

im Gegensatz zu aller konservativen Theologie, der alles an der "Objektivität" des

Heilsgeschehens liegt, d.h.

an ihrer Gelöstheit vom Glauben, an ihrem Vorher demGhmben gegenüber. Ihr gegenüber betont Bultmann, daß das Heilsgeschehen zu

gleich Gegenstand und Grund des Glaubens ist, also nicht etwas "Objektives", das

vorher und abgesehen vom Glauben wahrnehmbar ist, sondern immer erst im Er-

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DIE PillLOSOPillSCHE BESTREITUNG 75

greifen durch den Glauben. Er würde also die zweite Frage Jaspers' bejahen: "Oder

ist der Glaube an Offenbarung in eins und untrennbar von der Offenbarung selbst,die den Glauben bewirkt?" (38).

Scheint hier eine Übereinstimmung vorzuliegen, die das Wesentliche berührt,der

gegenüber alle Unterschiede mehr am Rande liegen, soweit sie nicht nur auf Miß-verständnissen beruhen, so wird der Unterschied als wesentlicher und notwendigerjedoch sofort in einer weiteren Frage erkennbar: "Ist daher solche Offenbarung inder geschichtlichen Vielfachheit überall dort, wo sie behauptet wird, im Abendland

in ihren verschiedenen Gestalten (Judentum, die christlichen Konfessionen, der Is-lam) und in Asien?" (38). Jaspers bejaht diese Vielfachheit der Offenbarung, da

ihm jede nur die Möglichkeit einer solchen ist, die im Glauben ergriffen wird, aber

auch dann nur als mögliche, niemals als absolute geglaubt wird. Die von ihm ver-

tretene Liberalität "gibt preis die Ausschließlichkeit eines in Sätzen zu bekennendenWahren. Sie anerkennt, daß der Weg zu. Gott auch ohne Christus möglich ist, daß

Asiaten ihn auch ohne Bibel zu finden vermögen" (39). Hierin weiß sich Jaspersmit Lessing eins, in dem er den vornehmsten Vertreter solcher Liberalität sieht.

Wollen wir nicht in den Fehler der Orthodoxie verfallen, die die Ausschließlich-keit der Offenbarung von vornherein, als vorher gegebene behauptet, so müssen wirdieser Liberalität ihr relatives Recht in bezug auf die Erscheinung der Offenbarung

abgesehen vom Glauben zugestehen. Das Recht liegt in dem vorher zitierten Satz,daß die Offenbarung nicht als objektiv gegebene Realität behauptet werden, son-

dern lediglich vom Glauben bezeugt werden kann. In der Bezeugung durch denGlauben kann es jedoch das Zugeständnis solcher Vielfachheit und damit Rela-tivität der Offenbarung nicht mehr geben, zumindest nicht für den christlichenGlauben. Dies hat seinen Grund darin und erweist sich darin als notwendig, daß

der christliche Glaube an eine Person der Geschichte gebunden ist. Bereits in der

Frühzeit des christlichen Glaubens war es sein Charakteristikum, daß er sich aufeine Gestalt der unmittelbaren Vergangenheit bezog und nicht auf eine Gestaltmythischer Vorzeit. Diese Bindung hat der christliche Glaube bis heute festgehalten.Mythische Gestalten aber sind wandelbar, sie können in den verschiedensten Aus-

prägungen immer wieder den gleichen Glauben als Möglichkeit der Lebensverwirk-lichung zum Ausdruck bringen; Geschichtlich ist an ihnen lediglich die jeweiligeAusprägung, die Form, die sie in dieser oder jener Religion annehmen. Sie sinddarum immer Leistungen des Glaubens bzw. der Glaubenden selbst, auch wenn"die Bedeutung der Geschichtlichkeit und die Unumgänglichkeit der geschichtlichenHerkunft und deren Sprache für den Glauben" (39) begriffen wird. Diese Bedeu-tung erschöpft sich jedoch in der Geltung des Glaubens, sie meint nicht die be-stimmte Person, an die der christliche Glaube gebunden ist.

Dennoch bleibt der Glaube in eins und unabtrennbar von der Offenbarung selbst.

Das heißt, daß die Person Jesu Christi nicht ab,gesehen vom Glauben als Offen-barung erkannt wird oder auch nur erkennbar ist. Von ihrer Erkennbarkeit kannüberhaupt nur geredet werden vom Erkennen im Glauben her, niemals vorher oder

abgesehen davon. Das Erkennen der Offenbarung geschieht im Glauben. So geht

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76 HANS-WERNER BARTSCH

für den von außen Betrachtenden wohl Christus in die Relativität der Glaubensinhalte ein, wird zu einer Gestalt in der Vielfachheit der Offenbarung. Für den Glauben aber ist das Zugeständnis einer solchen Vielfachheit nicht möglich, denn er

unterscheidet wohl zwischen der Offenbarung als seinem Grund und dem Glaubenselbst, aber diese Unterscheidung ist erst eine nachträgliche, in der Besinnung desGlaubens auf sich selbst vollzogene: Er muß diese Unterscheidung vollziehen, da

der Grund des Glaubens eine Person der Geschichte ist und keine auswechselbaremythische Gestalt.

Darum aber ist die Entmythologisierung die notwendige Besinnung des Glaubens auf diesen geschichtlichen Grund inmitten der mythologischenAussagen.WennBuri und Jaspers diesen Grund ebenfalls mythisch nennen, da auch das verkündeteHeilsgeschehen mythisch sei, so entfernen sie sich von Bultmanns Definition des

Mythos, der diesen Begriff nicht auf das eschatologische Handeln Gottes selbst angewandt wissen will, sondern lediglich auf die Formen seiner Bezeugung. Er bestreitet die Anwendbarkeit dieses Begriffes auf dieses Zeugnis selbst, da es alsZeugnis vom eschatologischen Handeln Gottes dieses nicht als erkennbar aufweisenwill, sondern es nur als geschehen bezeugt und die Entscheidung zwischen Annahmeund Ablehnung offen läßt. Es verobjektiviert also nicht, wie das mythologischeReden es tut. So ist es auch keineswegs eine Forderung der Offenbarung, "als GottesWort und Tat geglaubt und anerkannt zu werden" (37), sondern der Zeuge gibtlediglich Kunde von dem ihm gewordenen Geschenk des Glaubens in dem Wissen,

daß dieses Geschenk auch jeweils dem Hörer widerfahren kann, soweit es Gott gefällt, der in der Entscheidung zwischen Ja und Nein zu diesem Zeugnis verborgenam Werke ist. So bleibt, wie Jaspers es fordert, die Verborgenheit Gottes durchausgewahrt. Sie wird nirgends angetastet, allein Gott durchbricht sie in seiner Freiheithier und da, wo er es will, wo er sich dem Glaubenden im Glauben erschließt, je-doch niemals so, daß dieses Durchbrechen nun aufgewiesen werden könnte. .

Von hier aus wird der notwendige Dissensus zwischen Jaspers und Bultmannverständlich. Es dürfte klar sein, daß der Zeuge der Offenbarung Gottes nicht voneinem "Wagen des Ernstes in der Unsicherheit und Ungewißheit" (4o) reden kann,

handelt es sich doch gar nicht um ein eigenmächtiges, nicht einmal um ein selbstgeleistetes Wagen, sondern um ein Überwundensein, ein Ergriffensein durch Gott, dassich nicht in die Relativität mit andern Glaubensinhalten bringen läßt. Darum kannder christliche Glaubt: sich auch niemals selbst nur als mögliche Sprache verstehenneberi anderen möglichen. Sie ist für ihn wahre Sprache auch in einer Allgemeinheitund bewährt sich lediglich als solche in der geschichtlichen Situation.

Ebenso sieht der Glaube nicht in der eigenen Kraft, wohl aber in der Kraft Gottes, der er seine Existenz verdankt und die er bezeugt, das Heil für alle Menschen;und er kann dieses nirgends anders seh,en, da ihm dieses Handeln Gottes, das er

zwar überall wirksam glaubt, doch nirgends anders erkennbar ist. Es muß ihm abermüßig erscheinen, über die Möglichkeit einer anderweitigen Erkennbarkeit desHandeins Gottes zu reflektieren, da es ihm hier begegnet. Darum kann er seineAufgabe nur darin sehen, dieses und nichts anderes zu bezeugen. Damit ist jedoch

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DIE PIDLOSOPHISCHE BESTREITUNG 77

weder eine Intoleranz noch das Fällen von Verdikten verbunden, es schließt ledig

lich eine Indifferenz aus, die in jedem Glauben die Möglichkeit der Wahrheitsfin

dang sieht, die das "Heilsgeschehen nicht anders als die mythischen Gestalten sonst"

(40) wertet.

Die Toleranz des Glaubens, um die es Jaspers geht, erwächst aus dem Wissen,

daß es für den Glaubenden keine Möglichkeit gibt, den Nichtglaubenden zu über

zeugen, da er selbst ja nicht über ein Wissen von der Offenbarung verfügt, sondern

diese nur im Glauben ergreifen kann. Er ist niemals, wie Jaspers es zu vermuten

scheint, der die Wahrheit oder die Offenbarung Besitzende, sondern es trifft für ihn

lediglich das Paulus-Wort zu: "Nicht daß ich's schon ergriffen habe, oder schon voll

kommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen möchte, nachdem ich

von Christo Jesu ergriffen bin." (Philipper J, r2.) In diesem Glauben ist also die

von Jaspers gegen die Sicherheit der Orthodoxie gestellte dauernde Bewegung vorhanden. Dieser Glaube bedingt aber zugleich das von Jaspers abgelehnte Wissen

von der "radikalen Sündhaftigkeit des Menschen schlechthin" (42)· und steht gegen

die von ihm behauptete nobilitas ingenita. Durch diesen Begriff ist keineswegs, wie

Jaspers meint, der biblische Passus "Christus in mir" wiedergegeben; denn der Chri

stus in mir ist das Geschenk, das durchaus nicht eingeboren ist und nur wieder a:us der

Verschüttung zutage gefördert wird. Dieser Paulinische Ausdruck ist das "nicht Ich",

die neue Existenz, die der Glaubende im Ergriffensein von Christus gewinnt.

Darum ist auch der Gedanke auf falschem Wege: "Selbst wenn die Orthodoxie

recht hätte, würde Gott uns nicht verwerfen, weil wir uns redlich bemühen" (4r).Das Ergriffensein ist ja nicht das Ergebnis redlichen Bemühens, und ebensowenig

geht es um ein Verwerfen im Sinne eines Gerichtsurteils. Gerade diese Vorstellung

hat, wie Bultmann gezeigt hat, das Johannes-Evangelium entmythologisiert. Das

Verworfenwerden bzw. das Bestehen im Gericht geschieht jetzt angesichts des ge

schehenden eschatologischen Handeins Gottes, und die Verkündigung kann nur

weiter bezeugen: Wer nicht an den Sohn Gottes glaubt, der ist schon gerichtet. Jetzt

geht das Gericht über die Welt (Joh. u , JI). Daß damit kein Verdikt über das phi

losophische Bemühen ausgesprochen ist, ist überflüssig, noch zu betonen.

VII.

Zum Abschluß bringt Jaspers Erwägungen über das Verhältnis von Philosophie;

Theologie und Religion, um in diesem Zusammenhang noch einmal das Verfehlen

des Bemühens Bultmanns aufzuzeigen. "Wer aber philosophiert, muß betroffen sein,

wenn er sieht, was der gerettete Rest (vorher= die Mitte) des Glaubens ist, was

unmythisch sein soll, was Bultmann das Wesentliche ist: nämlich die Rechtfertigung

allein durch den Glauben, den Glauben an das Heilsgeschehen, dieses für einenPhilosophierenden fremdeste, wunderlichste, existentiell kaum noch eine Sprache

bedeutende, dies Lutherische mit seinen schrecklichen Konsequenzen" (42_f). Weil

Bultmann sich hier entschieden illiberial erweist, der Orthodoxie verpflichtet, darum

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78 HANS-WERNER BARTSCH

erreicht er nicht, was Ziel der Liberalität ist, das Einswerden von Philosophie und

Theologie.

Allerdings ist dieses Ziel insofern begrenzt, als es die Religion nach Jaspers' Auf

fassung nicht erfassen kann. "In der Religion fließt die von der Philosophie nicht er

reichbare und nicht begründbare Wirklichkeitsquelle durch die Gemeinschaft in be

zug auf heilige Orte, Handlungen, Gegenstände, Bücher, durch Kultus und Gebet,

durch das Amt des Priesters, kurz durch die Leibhaftigkeit der Chiffern" (43). Es

wird hier noch einmal Jaspers' Interesse am Mythos erkennbar, da auch der Mythos

für ihn diese Leibhaftigkeit der Chiffern bietet.

Unterstellen wir zunächst, daß mit der Religion hier zugleich der christliche

G_laube und die christliche Verkündigung getroffen seien, so ist zu f r a g ~ n , ob Bult

mann nicht gerade in seinem Reden vom Heilsgeschehen diese "von der Philosophie

nicht erreichbare und nichtbegründbare Wirklichkeitsquelle" aufgezeigt hat. DieseFrage erfährt eine positive Antwort darin, daß Bultmann dort vom "mythologi

schen Rest" redet der bei aller Entmythologisierung bleibt, wo Jaspers von der Praxis

der geschichtlichen Religion spricht, der die Gabe der "mythischen Sprache" (44)

eigen ist; Der Unterschied zwischen beiden fällt mit dem Unterschied zusammen,

der zwischen jeder Religion und der christlichen Verkündigung besteht. Für die

Religion fällt mythische Sprache und jenes, was als mythologischer Rest bei der

Entmythologisierung des Neuen Testamentes zurückzubleiben scheint, zusammen.

Nur von daher ist überhaupt von einem· mythologischen Rest zu reden, wie Bult

gtann ihn auch nur uneigentlich in Rücksicht auf solche Sicht seines Unternehmenserwähnt. Die Religion lebt in der mythischen Sprache, insofern sie darin ausspricht,

was letztlich unerhellbar und daruni unaussprechbar bleiben muß. Die Chiffern

bleiben ein letztes, hinter denen das Dunkel lebt, das die Chiffern nur umschreiben

und in seiner Dunkelheit benennen, aber nicht erhellen können. Für die christliche

Verkündigung ist die mythische Sprache auch Chiffer für etwas, das die Alltags

sprache a u s z u ~ p r e c h e n nicht ausreicht, das darum immer als mythologischer Rest

hinter allem Entmythologisieren erscheinen muß. Aber sie bezeugt dieses als das

eschatologische Handeln Gottes in der Geschichte und darum unterschieden von

allem Mythos, sodaß der

Ausdruck "mythologischer Rest" in Wahrheit immer nuruneigentlich gebraucht werden kann.

Die Religion ist grundsätzlich, wesentlich an den Mythos gebunden. Für sie kann

darum der Vorgang einer Entmythologisierung nur insofern Sinn haben, als er den

Mythos in seine eigentliche Bedeutung setzt. Sie kann der mythischen Sprache und

Praxis nicht entraten, weil sie darin lebt, das Dunkel der menschlichen Existenz

durch solche Umschreibung als scheinbar erhellt darzustellen. Da sie sich nach

denkend aber immer bewußt bleiben muß, daß es sich bei dem Umschreiben nur

um Chiffern handelt, das Erhellen nur ein Aufweisen des Dunkels sein kann, ist

sie wesentlich an: die Sprache des Mythos gebunden.Die

christliche Verkündigungbedient sich dieser mythologischen Sprache ebenfalls als Chiffer, jedoch im gläubi

gen Bezeugen, daß durch das eschatologische Handeln Gottes der Grund der

menschlichen Existenz nicht mehr im Dunkel liegt, die mythologische Sprache

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DIE PHILOSOPHISCHEBESTREITUNG 79

darum nicht unerklärbare, sondern erklärbare Chiffer ist. Entmythologisierung istdarum Besinnung des Glaubens auf den Gehalt seiner Sprache auch da, wo er sichdieser Sprache weiter bedient, da er ihrer in der Praxis nicht entraten kann.

Soweit die Theologie dieses Nachdenken vollzieht auf dem Grunde des Heils-geschehens, des eschatologischen Handeins Gottes, entgeht sie der Gefahr, der-gestalt zur Philosophie zu werden, "daß als Quelle das einzige und eigentümlicheder Religion nicht mehr fühlbar ist" (43). Soweit Bultmann die christliche Ver-kündigung auf die Mitte des Glaubens so hingewiesen hat, daß auch dem Philo-sophierenden diese Mitte sichtbar geworden i s t - und Jaspers gibt den Beweis da-für, daß das geschehen ist, wenn er auch mit Unbehagen davon spricht (42) - , hater dem Gespräch zwischen der Philosophie und Theologie den Dienst geleistet, daßdie Grenze zwischen beiden darin sichtbar wird, daß beide von einem verschiede-nenGrunde her reden, dieTheologievon einemnur zu bezeugendenHeilsgeschehenher, dessen Bezeugung vielleicht praktisch, niemals aber wesentlich an die mytho-logische Sprache gebunden ist, die Philosophie von einer Liberalität her, von der

her aller Glaube nur als möglicher Glaube erscheinen kann, dem darum jedesReden von einem Heilsgeschehen als ein Ärgernis erscheinen muß, unerträglicherals das Ärgernis der mythologischen Sprache.

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IV

FR/TZ BUR!

THEOLOGIE DER EXISTENZ

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Im Denken der Gegenwart hat sich ein Begriff von Existenz herausgebildet, dermir für das Verständnis und die Beantwortung der Grundfragen christlicher Theologie so bedeutsam erscheint, daß ich hier programmatisch von der Möglichkeit undNotwendigkeit einer Theologie der Existenz reden möchte.\. '

Als Beispiele solcher Grundfragen, die hinter allen uns beschäftigenden theologischen Einzelproblemen immer wieder auftauchen, hebe ich hervor:

erstens: die Frage nach dem Wesen des Glaubens an die Heilsoffenbarung Gottes in Christus in seinem Verhältnis zu einer außerhalb dieses Zusammenhangsmöglichen Gotteserkenntnis;

zweitens: die Frage, wie der Mensch um Sünde und Schuld wissen und Versöhnung erfahren könne, ohne daß dabei die Natur durch die Gnade oder die Gnadedurch die Natur in Frage gestellt wird;

drittens: die Frage nach dem Verhältnis von erforschbarer und gestaltbarer Geschichte einerseits und zu glaubender göttlicher Heilsgeschichte anderseits - undzwar beides sowohl in bezug auf die Überlieferung als auch in bezug auf die Zukunft.

Gerade im Blick auf diese theologisch wesentlichen Problemstellungen läßt sich

der hier in Frage stehende Existenzbegriff folgendermaßen charakterisieren:

Erstens bezeichnet Existenz ein Selbstsein, das nur durch begrifflich-gegenständliches Denken erhellt, wissenschaftlich-allgemeingültig aber nicht bewiesen werdenkann. In solchem Selbstverständnis erfährt sich Existenz als bezogen auf eine ebenfalls nicht zu vergegenständlichendeTranszendenz. DieseTranszendenz des Glaubensfür Existenz ist etwas anderes als das Nichts, vor das sich das gegenständliche Erkennen an seinen Grenzen gestellt sieht.

Zweitens wird sich Existenz ihres Zusichselberkommens, auf dem Hintergrundeines möglichen Verfehlen- und Verfallenkönnens, als eines unverfügbaren Geschenkes bewußt. Während die Grenzen des gegenständlichen Denkens und dieSelbsterfahrung es verbieten, das Verfehlen und Verfallen auf eine außerhalb c;ler

Existenz gelegene Macht abzuschieben, versteht Existenz sich in ihrer Selbstver

wirklichung als Gnade.Drittens ist sich Existenz bewußt, daß sie in ihrem Selbstverständnis nie am An

fang steht und daß die Art und Weise, wie sie sich in verwandelnder Aneignung6•

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84 FRITZBURI

der Überlieferung verwirklicht, gerade um der Unbedingtheit ihrer Geschichtlich-keit willen nie auf Allgemeingültigkeit Anspruch erheben darf. So aber erscheint inder Gemeinschaft selbstseiender Existenzen das Reich der Wahrheit in der Zeit.

Was mit diesen Bestimmungen des Existenzbegriffes, wie er heute vor allembei

Karl Jaspers vorliegt, gemeint ist, läßt sich am besten in ihrer Anwendung auf dievorangehend erwähnten Grundprobleme christlicher Theologie zeigen. Dabei wirdsich nicht nur die Stichhaltigkeit, sond,ern auch die theologische Fruchtbarkeit un-seres Existenzbegriffs erweisen.

In der Offenbarungsfrage stehen sich in der heutigen theologischen Situation vorallem zwei Auffassungen gegenüber. Nach der einen kann von einer Offenbarungund Erkenntnis Gottes nur in Christus für den Glauben gesprochen werden. Außer-halb des Glaubens an Gottes Offenbarung in Christus gibt es keine Gotteserkennt-nis. Daß dem so ist, wird daraus abgeleitet, daß jene angebliche Gotteserkenntnissich nicht auf die alleinige Offenbarung in Christus beruft, sondern ihr im Gegen-teil widerstreitet. Daß Christus Gottes alleinige Offenbarung ist, sei aber nicht ob-jektiv begründbar, sondern das erwahre sich nur im Vollzug dieses Glaubens selbst.Dieser radikalen Offenbarungstheologie steht eine andere Auffassung gegenüber,wonach die Offenbarung Gottes nicht auf Christus eingeschränkt ist, sondern viel-mehr auf Grund von Gottes allgemeiner Offenbarung eine Erkenntnis Gottis auchaußerhalb des christlichen Glaubens möglich sei. Diese außerchristliche Gottes-erkenntnis sei freilich nicht zum Heil genügend; aber sie bilde den u n u m g ~ n g l i c h e nAnknüpfungspunkt für die Heilsoffenbarung Gottes in Christus. Außer auf diesepraktische Notwendigkeit berufen sich die Vertreter dieser Verbindung von natür-licher Gotteserkenntnis und Offenbarungsglauben auch auf das Zeugnis der Schriftund auf die weit überwiegende Mehrheit der christlichen Lehrtradition.

Wir können es uns hier ersparen, auf die diesbezüglichen Auseinandersetzungenin der Theologie der Gegenwart einzutreten. Ihr Resultat scheint mir darin zu be-stehen, daß die Vertreter beider Standpunkte Recht und Unrecht zugleich haben,und zwar in einem Maße, daß ihre Argumente sich gegenseitig aufheben. Die

christologische Offenbarungstheologie erhebt gegenüber den Vertretern einer in ir-gendeinem Maße zu berücksichtigenden natürlichen Theologie nicht zu Unrecht denVorwurf der Inkonsequenz gegenüber den eigenen Voraussetzungen und der In-fragestellung des christlichen Offenbarungsanspruchs. Die letzteren dagegen wei-sen mit nicht zu überhörenden Gründen auf die Unhaltbarkeit jenes unentwegten

"Christomonismus" hin.

A n g e s i c h t ~ des damit sichtbarwerdenden Nullpunktes der Diskussionslagekönnte man sich fragen, ob nicht eine Rückkehr zu den Positionen der von diesen

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THEOLOGIE DER EXISTENZ 85

mehr oder weniger konsequenten Offenbarungstheologien als bloße natürlicheTheologie abgelehntert Typen von Theologie am Platze wäre, deren Bestrebendahin ging, die christliche Überlieferung wissenschaftlich zu bearbeiten und in ein

System zeitlos gültiger wissenschaftlicher Wahrheiten überzuführen. Indes geradedaran hindert uns nun unser Begriff der Existenz und die damit verbundene Einsicht in die Grenzen wissenschaftlichen Erkennens. Was uns von der früheren liberalen Theologie in erkenntnismäßiger Hinsicht scheidet, das ist die Einsicht in dieUnzuständigkeit des begrifflich-gegenständlichen, wissenschaftlichen Denkens so-

wohl in bezug auf das Sein im Ganzen wie in bezug auf die Wirklichkeit von Existenz.

Speziell gegenüber der spekulativ-liberalen Theologie müssen wir in Anschlagbringen, daß für wissenschaftliches Erkennen, das notwendig immer begrifflich

gegenständlich ist, Aussagen über das Sein im Ganzen wie über das Sein an .sich

unmöglich sind. Hinter dem in gegenständliche Begriffe gefaßten Sein heben sich

immer neue Horizonte ab, die eben gerade durch die Vergegenständlichung in Er-

scheinung treten, vor jedem Zugriff aber zurückweichen. Was in gegenständlicheBegriffe gefaßt ist, stellt aber auch deswegen nie das Sein an sich dar, weil Gegenständlichkeit stets subjektbezogen ist. Gegenständliche Aussagen sind gerade inihrer objektiven Gültigkeit immer auf ein Subjekt bezogen und deshalb in ihrerAllgemeingültigkeit im wissenschaftlichen System stets relativ. Das seiner Grenzenbewußte, wirklich kritisch-wissenschaftliche Erkennen kann deshalb nie Aussagenüber das Sein im Ganzen und an sich, über die Welt als Ganzes und Gott als derenUrsprung machen, sondern, wenn es sich selber treu bleibt, so wird es hier nur voneinem Nichts sprechen können. Die Anerkennung dieses Nichts bedeutet freilich,daß die Welt für gegenständliches Denken n i c h ~ in sich schließbar ist, sondernoffen bleibt nach einer von ihr ebenso unablösbaren wie unauslotbaren Tiefe hin.

Entgegen den Gottesbeweisen, aber auch entgegen der Bestreitung einer Schöpfungsoffenbarung müssen wir also auf diesem Boden sagen: es gibt eine allgemeineOffenbarung, aber es gibt keine natürliche Gotteserkenntnis. Für begriffliches Er-

kennen offenbart sich Gott schlechthin als Geheimnis. Der mythologische Ausdruckdafür könnte lauten: Die Welt ist Schöpfung. Aber über einen Schöpfer läßt sich

hier noch keine Aussage machen.

Das wird erst möglich, wenn wir der anderen, wissenschaftlich-objektiv ebenfallsnicht faßbaren Wirklichkeit ionewerden: der Wirklichkeit der Existenz, d. h. jenesSelbstseins, als das ich mich je selber in meinem Selbstverständnis als verantwortliches Personwesen verwirkliche, das sich aber in keiner Weise zum Gegenstandder Betrachtung machen, sondern auf diese Weise nur erhellen läßt. Daß ich Ich

bin und nicht ein anderer, daß nicht "es" in mir denkt und "etwas" in mir handelt,sondern daß ich verantwortlich wähle und entscheide, das kann ich weder mir nocheinem anderen wissenschaftlich beweisen. Meines Selbstseins in Freiheit und Verantwortung werde ich in einem nicht mehr zu vergegenständlichendenAkt derSelbst-

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86 FRITZBURI ·

verwirklichung inne. Die Art dieses Vollzuges ist freilich bedingt durch die Helligkeit des ihm voraufgehenden und nachfolgenden begrifflichen Denkens; aber er istweder dessen Resultat noch Gegenstand. Für gegenständliche Betrachtung gibt es

Existenz in diesem Sinne überhaupt nicht. Sie kann begrifflich nur umkreist, abernicht direkt ausgesagt werden.

Mit diesem Ionewerden meiner selbst als Existenz ist nun aber - ebenso unausweichlich wie die Unmöglichkeit einer begrifflichen Fassung- ein Bezug auf Transzendenz verbunden. Gerade in ihrer Selbstverwirklichung erfährt sich nämlich Existenz paradoxerweise zugleich als bestimmt, geschaffen, erwählt, sich geschenkt. Umdiesen ihren unverfügban!n · Geschenkcharakter weiß sie aus der Erfahrung, daß

dieses Zusiehselberkommen auch ausbleiben kann, daß es unerzwingbar ist. In ihremeigentlichen Sein wird Existenz ihrer selbst als eines Geschöpfes gewahr, das in sei

ner Situation zur Selbstverwirklichung bestimmt ist. Diesem Geschöpfsein entsprichtjetzt aber auf der andern Seite nicht einfach ein Nichts, sondern im nichtobjektivierbaren Ionewerden ihrer selbst hat es Existenz mit einem Schöpfer zu tun, der für sie·Person ist, wie sie sich selber als Person erfährt. Dieses nicht zu vergegenständlichendeSichverwirklichen von Existenz in der Bezogenheit auf ihren ebenfalls nicht zu vergegenständlichenden schöpferischen Ursprung in ~ e r Transzendenz bezeichnen wirim U n t ~ r s c h i e d zum begrifflichen Erkennen als Glauben. Auch der Glaube erhelltsich in begrifflichem Denken, aber in dieser Selbsterhellung weiß er um die völligeUngegenständlichkeit seines Inhalts. Ich kann weder wissen noch beweisen, daß ich

glaube, sondern nur auf Glauben hin und von Glauben her denken. Dieses Verständnis des Glaubens und seines Bezogenseins auf einen persönlichen Gott, wie es

am unmittelbarsten im Gebet in Erscheinung tritt, hat eine gewisse Ähnlichkeit mitdem sogenannten religiösen Erkennen der Ritschl-Hermann-Ttöltschschen Glaubenslehre. Der Unterschied besteht aber darin, daß Theologie der Existenz von denfür jene Theologen typischen Versuchen einer psychologischen Erfassung des Glaubens und eines wissenschaftlichen Ausweises seiner Gehalte absieht und statt dessen,wie die heutige radikale Offenbarungstheologie, vom unbegründbaren Wagnis desGlaubens aus denkt- aber nun nicht einfach in mythologischen Behauptungen sich

ergehend, sondern in ständiger kritischer Erhellung jeder ihrer Vergegenständlichungen. Wie die heutige "Und-Theologie" weiß sie auch um eine zwiefache Offenbarung Gottes als des Schöpfers und Erlösers für Existenz, während es für gegenständliches Denken an der Grenze seiner Immanenz nur das Nichts gibt,' in das alleGegenständlichkeiten, auch diejenigen des· sogenannten Glaubens, sich auflösen -wenn sie nicht als Ausdruck des Selbstverständnisses von Existenz gedeutet werden.

Damit dürfte in dieser Hinsicht Theologie der Existenz nicht nur über die durchdie heutige Offenbarungstheologie überholte liberale Theologie hinausführen, son

dern auch über die Nullpunktsituation, welche in der Problematik dieser Offenbarurigstheologie sichtbar geworden ist.

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THEOLOGIE DER EXISTENZ 87

II.Wir wenden uns dem zweiten Punkt zu: der Frage nach dem Verhältnis der Na

tur des Menschen zum Wirken der Gnade in der Erlösung. Das hier vorliegende

Problem läßt sich am besten in der Gestalt des katholisch-reformatorischen Gegen

satzes darstellen.

Die katholische Theologie faßt bekanntlich die Wirkung des Sündenfalls Adams

so auf, daß dadurch der Mensch seine schöpfungsmäßige Gottebenbildlichkeit nicht

völlig verloren hat. D!!.s ist möglich auf Grund de11 Unterscheidung einer zwie

fachen urständischen Ausstattung des Menschen, bestehend aus den unverlierbaren

dona natu1'ae, wozu auch der freie Wille und das verantwortlichePersonsein gehören,

und einem verlierbaren und durch den Sündenfall tatsächlich verlorengegangenen

donum superadditum. Mit Hilfe jenes unverlorenen Teiles der schöpfungsmäßigenGottebenbildlichkeit ist es dem Menschen möglich, mit der Gnade, die als eine über

natürliche Kraftsubstanz vorgestellt wird, zusammenzuarbeiten, und zwar so, daß

dabei wohl die Gnade den Anfang macht, daß aber auf Grund der- mit Hilfe jener

erworbenen - innewohnenden Gnade der Mensch zum Erwerb vor Gott verdienst

licher Werke fähig ist.

Diese Werkgerechtigkeit ist es, was den Protest der Reformation herausgefordert

und sie mit Berufung auf die paulinischeRechtfertigung des Sünders durch den Glau

ben ohne desG:esetzesWerke den Synergismus von Natur und Gnade verwerfen und

das sola gratia proklamieren ließ. Diese Ausschaltung der Werke wurde anthropo

logisch begründet durch die Lehre von der durch den Sündenfall bewirkten völligen

Zerstörung der urständischen Vollkommenheit. Grundsätzlich ist in bezug auf den

natürlichen Menschen von keiner Gottebenbildlichkeit zu reden. Da er auch als Ge

rechtfertigter, d. h. als einer, dem Gott seine Sünde um des Sühnetodes Jesu willen

nicht zurechnet, ein Sünder bleibt, so bleibt für ihn die Verwandlung in die Gotteben

bildlichkeit Christi eine eschatologische Verheißung.

Wir haben hier nicht auf die Schwierigkeiten einzutreten, die aus dieser Recht

fertigungslehre den Reformatoren und ihren Nachfolgern in bezug auf die dafürin Anspruch genommene Schriftgemäßheit und die darauf zu gründende Ethik er

wachsen sind. Emil Brunn er hat in seiner Ethik geschrieben, daß "seit der Reforma

tionszeit keine einzige Ethik vom Zentrum evangelischen Glaubens aus entworfen

worden" sei. Karl Barthaber sieht bekanntlich das Moment der Gnade in gewissen

Ausprägungen katholi9Cher Theologie besser gewahrt als in derjenigen Brunners. In

der Tat besitzt die k a t h o l i s ~ e Theologie die Möglichkeit, in ihrer Anthropologie

die Zerstörung des Ebenbildes so weit gehen zu lassen, daß ihre Position nicht mehr

hinter derjenigen des protestantischen Imago-Restes zurücksteht, und ferner kann sie

in der Gnadenlehre die gratia praeveniensso

stark betonen,daß

dadurch gewisseAusformungen der Heiligungslehre auf protestantischer Seite in den Schatten gestellt

werden. Die beiden von uns herausgestellten Typen katholischer und reformatori

scher Auffassung des Verhältnisses von Natur und Gnade lassen sich also nicht ein-

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88 FRITZBURI

fach auf beide Konfessionen verteilen, sondern stellen Exponenten der die ganzechristliche Lehrtradition durchziehenden Konkurrenzierung von· Natur und Gnadedar. Brunners Vorschlag eines qualitativen statt eines quantitativen Verständnissesdes Imago-Restes bildet einen Ansatz zu einer Überwindung dieser Problematik.Aber er leidet an der inneren Halbheit, daß er diese Interpretation nicht auch aufdas christologische Heilswerk und die darin begründete Erlösung ausdehnt, indemer hier an der mythologischen Gegenständlichkeit festhält. Das hat ihm mit Rechtden Vorwurf der Inkonsequenz und des Katholisieren& eingetragen.

Was ist aber von einet Theologie der Existenz a ~ s zu dieser Problematik vonNatur und Gnade zu sagen? Nach dem über den Existenzbegriff von uns Ausgeführten kann man über den Menschen als verantwortliches Personwesen keine allgemeingültige objektive Aussage machen. Personsein läßt sich nicht wissenschaftlich bewei

sen,s o ~ d e r n

Person binich

nur im Vollzug meiner nichtobjektivierbaren Selbstverwirklichung in Freiheit und Verantwortung. Desgleichen ist ein anderer für mich

nur Person in dem Maße, wie ich ihn als solche in einem nicht zu sichernden Wagnisyerstehe. Dieses unmittelbare, personale V erstehen meiner selbst wie des andern istaber nur möglich auf dem Wege begrifflich-gegenständlichenErkennens- nicht.so,daßdieses Verstehen das beweisbare Resultat dieses begrifflichen Erhellens wäre, wohlaber so, daß es ohne dasselbe nicht zur Klarheit über sich selber gelangen könnte.

Aus dieser Eigentümlichkeit, daß nicht zu vergegenständlichendes Personseih zumbewußten Vollzug nur durch gegenständlich-begriffliches Erkennen kommt, folgt

nun aber beides: daß die Gottebenbildlichkeit durch ihre Vergegenständlichungzerstört und zugleich im Innewerden dieses Zerstörtseins gewonnen wird.Der Mythus vom Sündenfall drückt diese Paradoxie so aus, daß er die Protopla

sten dadurch zu verantwortlichen Personen werden läßt, daß er sie nach den Früchten des Baumes der Erkenntnis greifen und davon essen und eben damit schuldigwerden läßt. Vor dem Greifen nach jener verbotenen Frucht konnten sie gar nichtschuldig werden, d. h. wissen, daß sie vor Gott ihre Bestimmung verfehlt. haben;Schuld und Reue gibt es erst, nachdem die äußere Autorität durch das Begreifen demeigenen Wesen einverleibt worden ist. Im Augenblick, wo ihnen die Augen für ihr

Verantwortlichsein, für ihr Sein als Existenz aufgehen, hat die paradiesisch kindlicheGottunmittelbarkeit ein Ende. Für den Begreifenden ist das Paradies zum Mythusgeworden, die begrifflich erhellte Existenz aber zugleich zur Schuld des Wie-Gottsein-Wollens; denn wie ein Gott scheint der Begreifende über seine Gegenstandswelt verfügen zu können. Indem er um die Welt und um sich selber weiß, ist er zugleich aus der Welt Gottes herausgefallen und mit sich zerfallen. Gegenständlichbetrachtet erscheint diese Geschichte tragisch - um Mensch zu werden, muß der

Mensch Sünder werden - , aber dieser Ausweg in die Tragik wird verlegt durch dasBewußtsein der Schuld, die nicht auf einen anderen und auch nicht auf den Erschaf

fer der Schlange abgeschoben werden kann, sondern die der Mensch selber auf sichnehmen muß.Aber in dieser Sündenfallgeschichte hat die christliche Kirche von jeher auch schon

das Protevangelium gefunden von Evas Same, welcher der nach ihm schnappenden

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THEOLOGIE DER EXISTENZ 89

Schlange den Kopf zertreten wird. Dem seine Schuld auf sich nehmenden Menschenerwächst ein Erlöser. In verschiedenenGestalten durchzieht der messianischeMythusdie Bibel. Immer aber bezeichnet er ein besonderes schöpferisches Eingreifen Gottes,

das indes mit der Eigentätigkeit des Geschöpfes deswegen nicht in Konkurrenz,aber auch nicht in einem klug abzuwägenden Zusammenwirken steht, weil es alseine neue Schöpfung ganz Gnade ist und doch zugleich dem zur Teilnahme an der

Vollendung Erwählten Gelegenheit gibt, seine Erwählung in freier Entscheidungzu verwirklichen.

Existenz, die ihre gegenständlich erhellte Situation, zu der mit dieser Vergegenständlichung auch gerade das Wie-Gott-sein-Wollen und alles daraus folgendeSichselbstbehaupten in Sorge, Angst und Unmenschlichkeit als Rebellion gegen ihre Geschöpflichkeit gehört - Existenz, die diese ihre Situation nicht bloß als gegenständ

lich feststellbare und dann immer auch bloß relative Verfehlung, sondern als unbedingte Schuld übernimmt, erfährt eben darin in nicht zu vergegenständlichenderWeise ihre Versöhnung nicht nur als ein Seindürfen, was sie ist, sondern auch alseine Gelegenheit, Sühne zu leisten und besser zu machen, was sie gefehlt hat. Existenz, als zugleich von Anfang an schuldig und versöhnt, ist in der Tat nicht eineschöpfungsmäßige Vorfindlichkeit, sondern erfährt sich immer als eine je besondereSchöpfung der Gnade- in der Terminologie der Gottebenbildlichkeit ausgedrückt:die Gottebenbildlichkeit des Menschen gehört nicht zu seiner Natur als unverlierbares Wesensmerkmal, sondern sie ist je in Erscheinung tretendes Geschenk der

Gnade, paulinisch gesprochen: Sein in Christus.Von hier aus ist die Erschaffung des Menschen tatsächlich christologisch zu verstehen und von hier aus dann auch die Schöpfung und die Vorsehung, die Prädestination und die Rechtfertigung.Dem Bösen kommt für Existenz- wie derSchlange

nur die Bedeutung zu, den Menschen Mensch werden zu lassen, um dann von der

neuen Kreatur zertreten zu werden. Es dient wohl zur Erhellung und damit zur Verwirklichung von Existenz, wenn sie in begrifflichem Denken der Rebellion gegenGott in seiner Schöpfung, des Übels in seiner Welt, der Widersprüchlichkeit im eigenen Verhalten, der Verfehlung ihrer Bestimmung inne wird; aber für Existenz ist

das alles, wie Karl Barth sagt, nur das Nichtige, der fliehende Schatten. Ihr mehrWirklichkeit zugestehen hieße aus dem Glauben herausfallen. Der deus absconditus

war noch immer in der Gefahr, eine Konstruktion des Unglaubens darzustellen.Aber im Unterschied zu Barths Theologie gründet für Theologie der Existenz das

alles nicht in einem objektiven Heilsgeschehen, sondern im möglichen Selbstverständnis von Existenz. Dem mythologischen Heilsgeschichtsdogma kommt nur dieBedeutung zu, Ausdruck des Selbstverständnisses von Existenz zu sein.

III.Diese Unterscheidung führt uns zur dritten der am Anfang genannten Grundfra

gen christlicher Theologie: der Frage nach dem Verhältnis von Geschichte undHeilsgeschichte.

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FRITZBURI

Hier stehen sich heute im Streit um Bultmann gegenüber eine Heilsgeschichtstheologie, welche einer historisch-wissenschaftlichen Theologie als Mythologie erscheinen muß, und eine Interpretation der Überlieferung, welche von dem Glauben an

das entscheidende Heilsgeschehen in Christus aus nur als Auflösung der Theologiein Philosophie beurteilt werden kann. Die Lage wird noch dadurch kompliziert, daßdie Heilsgeschichtstheologie der geschichtswissenschaftliehen Forschung nicht ausweichen, wohl aber nichts von Mythologie wissen wili - Bultmann und seine Anhänger ihrerseits von einem einmaligen Heilsgeschehen in Kreuz und AuferstehungChristi reden, für das nach ihnen in der Philosophie kein Platz vorhanden sein soll.So wie hier der Art und Weise, wie auf der einen und anderen Seite von einemHeilsgeschehen in der Geschichte gesprochen wird, je von der anderen Seite widersprochen wird, bleibt von einem solchen Geschehen überhaupt nichts mehr übrig.

Schärfer, als es hier geschieht, könnte die Selbstaufhebung der Theologie nicht inErscheinung treten.Von einer Theologie der Existenz aus, wie wir sie im V orllngehenden entwickelt

haben, ist dieser Ausgang freilich nicht überraschend. In einer geistigen Situation,wie die unsrige es nun einmal ist, zu der um ihres Wissenschaftsbegriffs willen derMythosbegriff als Vergegenständlichung eines wissenschaftlich nicht mehr faßbarenSachverhalts - nämlich des Seins im Ganzen und der Existenz - gehört, ist es unausweichlich, daß siclJ die geistige Substanz der Überlieferung auflöst, wenn wir dieserunserer Situation nicht oder nur halb ReChnung tragen. Das ist aber sowohl in det

Mythodoxie wie in dem Bultmannsehen Reden vom Kerygma der Fall.AberTheologie der Existenz stellt nicht nur in objektiver Analyse dieses commune

naufragium tbeologiae und dessen Ursachen fest, sondern schickt sich auch an, ausden disiecta membraein Neues zu bauen.

Ausgangspunkt ist und bleibt das Selbstverständnis von Existenz. Darin aberweiß sich Existenz nie am Anfang. Was sie ist, das ist sie in und durch Überlieferung.Mag es von bestimmten Ausformungen christlicher Tradition als nichtchristlich beurteilt werden, so ist doch das, was wir über Offenbarung und Gnade ausführten,nur möglich auf dem Boden biblisch-christlicher Überlieferung, und zwar n i ~ t nurder Form, sondern auch dem Gehalt nach. So sehr Theologie der Existenz eine universale Möglichkeit des menschlichen Selbstverständnisses bildet, so tritt sie dochnie als die eine, universale Wahrheit auf den Plan, sondern stets in einer bestimmten geschichtlichen Ausformung. Wagen wir es, in den jeweiligen Ausformungenmythologischer Heilsgeschichtskonzeptionen und in dem Anspruch der Universalitä t ihrer Gültigkeit den notwendig gegenständlichen Ausdruck der Unbedingtheitdes darin sich verwirklichenden und aussprechenden Existenzverständnisses zusehen; dann stellen weder ihre Deutung als Ausdruck menschlichen Selbstverständnisses noch ihr mythologischer Charakter für uns einen Anstoß dar. Gerade in ihrergegenständlichen Relativität ist di.e Heilsgeschichte und sind ihre Ausgestaltungenin der Lehre von der Kirche und den Heilsmitteln, einschließlich der individuellenund universalen Eschatologie, Gestaltswerdungen von Existenz als Gnade und Erscheinungen der Gemeinschaft von Existenz in einem Reich der Gnade. Was für mich

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THEOLOGIE DER EXISTENZ 91

als Existenz in der Tradition meiner Kirche, in ihren Bekenntnissen und Institu

tionen, in ihrem Kultus und ihren Ordnungen unbedingt gilt, das erhebt nicht den

Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Alleinseligmachen, sondern das ist in der

Unbedingtheit, in welcher ich mich darin mit andern verstehe und verwirkliche, eine

Erscheinungsform des Ewigen in der Zeit.

Diese Möglichkeit besteht auch für Theologie der Existenz als christliche Theo

logie. Das zeigt sich in der Vergangenheit darin, daß christliche Theologie, wo sie

lebendig war, unter allen möglichen Ausprägungen und Selbstmißverständnissen,

im Grunde stets Theologie der Existenz war - und in der Gegenwart darin, daß es

nicht nur in einer untheologischen und n a c h c . . ~ r i s t l i c h e n Welt ein Verständnis und

eine Gemeinschaft im Sinne von Theologie der Existenz gibt, sondern daß Christus

sogar durch theologisch und konfessionalistisch verschlossene Türen eingehen und

sichals der Herr seiner oft

soseltsamen Jünger erweisen kann, indem er sie aufeinander hören und einander verstehen läßt.

Und das gibt uns den Mut, nicht von einem finis christianismi zu reden, sondern

läßt uns eine Hoffnung fassen auf eine Zukunft christlichen Glaubens.

Arun.: Unter gleichem Titef erschien "Grundriß der Dogmatik" bei Haupt AG., Bem.

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V

KURT REIDEMEISTER

ÜBER DEN URSPRUNG DERTHEOLOGIE_BULTMANNS

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Die sokratische Ironie ist noch immer aktuell, und wenn wir uns dem Gebiet desallgemeinen Welt- und Selbstverständnisses nähern und in ihm bewegen wollen, tunwir gut daran, uns den Sinn jenes "ich weiß, daß ich nicht weiß" vor Augen zu halten

und kritische Vorsicht walten zu lassen auch da, wo Geläufiges - Allzugeläufiges einrasches Urteil zu erlauben scheint. Es fehlt uns zwar nicht an Achtung vor den positiven Wissenschaften, und wenn im Raum der allgemeinen Bildung ein Satz auftaucht,der sich durch seine Terminologie als Aussage einer positiven Wissenschaft zu erkennen gibt, so schalten wir gleich die Vorsicht ein, die aus der Einsicht entspringt, daßein solcher Satz nur im Begründungszusammenhang dieser Wissenschaft ganz undecht zu verstehen ist. Aber wenn ein wie auch zu begründender und zu denkenderSatz das allgemeine Selbst- und Weltverständnis berührt, so regt sich gleich dieGegenrede, als ginge es nur darum, sich da zu behaupten, wo man steht, und jedes

Berührende durch Selbstbehauptung zu überwinden. Das ist eine fruchtbare Quellevon Mißverständnissen.

Dieser Vorbehalt ist am Platz, wenn wir uns um das Verständnis der Entmythologisierung des Neuen Testamentes bemühen wollen. In Bultmanns Aufsatz "NeuesTestament und Mythologie" selbst und in den unter dem Titel "Kerygma und Mythos" gesammelten anschließenden Aufsätzen fallen uns zunächst zahlreiche im philosophisch-literarischen Bildungsgespräch geläufige Allgemeinbegriffe wie Mythos;Weltbild, Weltbild der modernen Wissenschaft, Existenz, existentiell, existentialauf; ja dem ersten Eindruck zufolge konstituieren sie geradezu die Problematik, umdie es geht, und die Versuchung zu rascher Entgegnung bleibt uns weiß Gott nicht erspart. Aber die Vorsicht lohnt sich, und wenn wir uns einige Augenblicke in der

Lage des unbeteiligten Beobachters zu halten verstehen und die Diskussion verfolgen, so weit sie sich in jenen allgemeinen Begriffen verfolgen läßt, so haben wir alsbald die Genugtuung, daß wir die sokratische Ironie auch anderen kritisch zuwendendürfen.

Bultmann g e b r a u c . ~ t den Terminus "mythologisch" zur Bezeichnung einer Auffassungsweise von Vorgängen in der Welt, der Auffassung nämlich, nach der sich in

diesen Vorgängen Natürliches und Übernatürliches durchsetze, und er meint, daßeine solche Auffassungsweise hier und dort in der Antike die geläufig-alltägliche gewesen sei. Das weist ins Historisch-Konkrete. Aber ist "mythologisch" nicht aus Mythos und Logos zusammengesetzt und wird nicht von dem Glauben gehandelt, der

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96 KURT HEIDEMEISTER

auch mein Glaube sein soll, so fragt sich nun gleich der glaubend Fühlende und tritt

in die Verteidigung seiner Unbedingtheit ein, ohrtesich davon Rechenschaft zu geben,

daß er dabei das Gebiet des allgemeinen Selbstverständnisses betreten hat und nun

seine Abhängigkeit von diesem Schwankenden bekundet.So wehrt der eine die Ent-

mythologisierung ab, weil sie ihm die Idee des Mythos und damit die Form des Glau

benssatzes nähme, während der andere klagt: warum wird es mir, wenn ich das

Weihnachtsevangelium lese, zugemutet, dabei einen Tei::minus zu bedenken, der

mich in seiner Verknüpfung "Mythos des zosten Jahrhunderts" an Bösestes erinnert?

In der Distanz des Beobachters erkennen wir leicht, daß diese beiden Einwendun

gen sich einerseits nicht mit dem Gegenstand, der mythologischen Auffassungsweise

von Weltvorgängen befassen und andrerseits im systematischen Raum sich gegen

seitig aufheben. Und Beispiele solcher Mißverständnisse lassen sich vermehren. Wie

solltees

anders sein. Weltbild und Glaube - mußtesich

nicht jene Erwartungzu

Worte melden, welche von der ganz neuen gequantelten Lücke in der physikali

schen Kausalität sich eine baldige natürliche Auferstehung des Wunderglaubens ver

spricht? Existenz - mußte nichtder Verdacht verlauten, daß die Existenzphilosophie

nur eine Mode des geistigen Selbstverständnisses sei, die keine Aufenthaltsgenehmi

gung in der Theologie verdiene? Und schließlich (um auch das Komische nicht zu

verschweigen) das Paar existentiell und existential - ist es nicht eine Zumutung für

das wortnahe Selbstverständnis, daß so ähnlich klingende Worte systematisch unter

schieden werden sollen?

*

"Der Name RudolfBultmann und der Begriff Verstehen werden für alle, die die

theologische Bewegung der letzten Jahrzehnte wachen Sinnes mitgemacht haben, -

und sie werden ja wohl auch für alle künftig zu schreibende Theologiegeschichte unse

rer Tage- unzertrennlich verbunden bleiben", so beginntKarl Barth seine Ausein

andersetzung mit Bultmann in den Theologischen Studien und richtet damit unseren

noch in Unordnung und schwächlicher Allgemeinheit befangenen Blick auf den Ort,

wosich

das Wesentliche zutragen muß. Was können wir - Laien für Laien - tun,um diesen Ort nach unserem Vermögen zu bestimmen?

Die Gedanken Bultmanns wurzeln im Boden der neutestamentlichen Philologie,

und das neuentstandene strengere Verständnis von Worten, die zugleich kanonische

Worte sind, führt ihn mit innerer unausweichlicher Logik zuder Frage, wie das philo

logisch begründete V erstehen der Schrift mit dem V erstehen der Schrift als das "Wort

Gottes" zu verstehen sei. Es ist also eine Frage, die in der Philologie begründet doch

der systematischen Theologie angehört, weil sie wesentlich nach dem V erstehen von

Glauben fragt.

Um das Gewichtige dieses Vorgangs in der protestantischen Theologie zu ermessen, erinnern wir uns an die Stunde der Reformation. Der neue Grund, den Luther

für sich selbst als einen festen Grund fand, war die Entdeckung des Glaubens an die

Gnade der Rechtfertigung aus Glauben allein. Das "sola fide" ist der Angelpunkt

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ÜBER DEN URSPRUNG DER THEOLOGIE BULTMANNS 97

seiner Gewißheit und von hier aus versteht er das Wort der Schrift als Evangeliumund den Glauben als mögliches Geschenk dieses Wortes. Darum verdeutscht er nundieses Wort und zwar so, daß es nun in der Welt, der es verkündet ist, lebendig underweckend gegenwärtig sei. Und ohne sonderliche systematisch-theologische Skrupelüber die Grenze des Iumen naturale und der Offenbarung schiebt er die dogmatischtheologische Tradition beiseite und setzt in die Mitte der Theologie die Pflege desWortes. Ich weiß nicht, warum uns nicht ein solcher Aufsatz wie Luthers Sendbriefvom Dolmetschen öfters vorgerückt wird. Denn schwerlich gibt es eine Einführungin die Hermeneutik, welche es an Eindringlichkeit mit Luthers Verteidigung seinerÜbersetzung "allein durch den Glauben" gegen die Vorhaltung, jenes "allein" stündenicht im Text, aufnehmen könnte.DieserAnfang hat auch die Entwicklung bestimmt,und wenn auf dem Boden der Theologie in den anschließenden Jahrhunderten Großes und Gültiges zutage gekommen ist, so finden wir es vor allem gerade in der Philologie der beiden Testamente.

Aber der Geist der Philologie ist seiner eigenen Gesetzlichkeit nach im Wandelbegriffen. Während sich die historische Quellenkritik mit der Zeit des Liberalismusund des Wissenschafts- und Bildungsoptimismus leicht vertrug, hat die von Diltheyvertiefte Auffassung der Hermeneutik die inhaltliche Deutung des philologischdurchgeprüften Schrifttums als eine Aufgabe begriffen, bei welcher das Verstehensich auf sich selber richten muß und die sich unmittelbar mit dem Verstehen desGlaubenswortes berührt. Und so kommt es mit innerer Logik zu der Frage, die

Bultmann als erster deutlich bezeichnet hat: Wie kannich

nach Aufdeckung derhermeneutischen Situation, in der ich mich diesen Schriften als menschlichen Dokumenten gegenüber befinde, und nach dem Aufgehen der Einsicht, daß es Dokumente sind, die von einer anderen Auffassung der Weltvorgänge als ich sie habegeprägt, sich erst allmählich in ihrem gemeinten Sinn erschließen, indem ich reflektierend jene Auffassung von meiner eigenen abhebe und in der inneren Konsequenzjener früheren Auffassung, durch mein gewohntes Denken ungestört, zu denkenlerne,- wie kann ich das Neue, die in diesen menschlichen Zeugnissen verkündeteneue Botschaft,die sich ja zunächst an Zeitgenossen wendet, erkennen, und wie soll

ich dieses Neue, das mir in den alten zeitgebundenen Formen, wie ich weiß entgegentritt, auf mich, den in seinen eigenen Auffassungen gebundenen, als Botschaftbeziehen. Die Situation, die in dieser Frage deutlich wird, ist konkret. Sie ist nichtin einer besonderen Weise zu philosophieren gegründet. Sie deckt zwar meine Abhängigkeit v:on allgemeinen vernünftigen, wissenschaftlichen oder halbwissenschaftlichen Vorstellungen und Gedanken auf und zeigt, daß ich über die Gedanken, dieich habe, nachdenken muß, um der hermeneutischen Aufgabe gerecht zu werden,aber die Entdeckung dieser Abhängigkeit ist nicht ein Vorurteil zugunsten meinereigenen Gedanken. Die Situation ist vielmehr ein fester Ort, von dem aus ich so

wohl nach anderen wie nach meinen Auffassungen von menschlichen und geistigenDingen fragen kann und frage, weil ich einsehe, daß ich nur so zu echtem Verstehenkommen kann. Nun muß ich dabei zwar auch die Verbindlichkeit der Gedanken,die ich habe, prüfen, und es mag sein, daß ich dabei irre. Es mag sich ergeben, daß

7 Kerygma, Bd. 3

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98 KURT HEIDEMEISTER

ich wissenschaftlichen Aussagen eine objektive Verbindlichkeit zuspreche, die sienicht besitzen, und daß ich darüber belehrt werden kann. Aber wie ich mich auch imeinzelnen verfehle, die hermeneutische Frage selbst wird dadurch nicht entkräftet,

sondern nur erneuert, und sie wird eine beständige Frage bleiben,es

sei denn, manbrächte es fertig, glaubwürdig zu machen, daß die rechte Pflege des Wortes durchPhilologie und Hermeneutik verletzt würde. Diese Einordnung unseres Gegenstandes in die Theologiegeschichte wird unter anderem durch die breite vorsichtigeDenkschrift der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen mitdem Titel "Für und Wider die Theologie Bultmanns" gestützt. Hieraus folgt insbesondere, daß es falsch ist zu behaupten, daß die Theologie Bultmanns wesentlichin einer rationalen Wissenschaftstheorie oder Anthropologie begründet sei.

*Nach Ausgrenzung des Unbestreitbaren wenden wir uns einem Einzelbeispiel für

Umstrittenes zu. In einer früheren Geographie wurde die Erde als eine Scheibe vorgestellt und ergänzt durch einen oberen und unteren W eltbezirk, in dem sich wieauch immer die Sonne und die Gestirne aufhielten und bewegten. Diese insoweitnatürliche Welt wird zu einer mythologischen (so gebrauchen wir diesen Terminus),insofern die untere und obere Welt mit mehr als Natürlichem bevölkert, die Gestirneselbst belebt, das Untere als das Totenreich, das obere als Himmel und Wohn

stätte der Himmlischen gedacht werden, und zwar real bevölkert und bewohnt, soreal, wie die Sonne, die dieses Reich durchwandert. Nun kennen wir den zweitenArtikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses, wo es heißt: Niedergefahren zurHölle, wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel; wir findenähnlich lautende Stellen in den kanonischen Schriften und kommen zu der Frage,wie weit die in Babyion und Ägypten z. B. n a c h g ~ i e s e n e nach oben und unten aufgeteilte Welt die Evangelisten und Apostel und ihre Berichte und Auslegungen bestimmt hat. Entmythologisierung ist dann: die mythologische Vorstellung transparent zu machen sowohl für das schlicht Natürliche, wie für das Geistliche, welches

das Neue ist, weiches Evangelisten und Apostel zu Worte bringen.Dies Beispiel ist paradigmatisch, weil daran die objektivierbar 'mythologischenZüge ebenso. deutlich sind, wie das in dieser mythologischen VorstellungsweiseAusgesagte wesentlich ist. Mit Sorge trachten wir nach der rechten Behutsamkeit,ohne die ein Versuch hier eine Klärung anzubahnen vermessen wäre. Wir hattenschon festgestellt, daß die Entmythologisierung zwar auf dem Boden der Philologieerwachsen doch eine Aufgabe der systematischen Theologie ist. Und so ist es sicherzweckmäßig, wenn wir versuchen, in diesem Gebiet Boden unter die Füße zu bekommen, um den rechten Abstand wahren zu können.

Die zz Bücher von Augustinus' de civitate Dei geben uns eine solche Fundierungzwar nicht unmittelbar, aber sie stellen sich doch als ein übersehbar systematischerRahmen vor den Sachverhalt, den wir erkennen möchten, und zerlegen die allzudirekt gestellte Frage der Entmythologisierung in Etappen, bei denen die eigene

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ÜBER DEN URSPRUNG DER THEOLOGIE BULTMANNS 99

Stellungnahme uns leichter fällt. Das Werk des Kirchenvaters ist eine metaphysische Ontologie und Theologie, deren begriffliche Form der Philosophie des spätenPlatonismus entnommen ist. Der räumlichen Ausdehnung und Gestalt nach gleichtdie äußere Welt Augustins dem Kosmos des Aristoteles mit dem Unterschied, daß

der Raum selbst unendlich und die Weltkugel irgendwo in diesem Raum ist. Dieerste grundsätzliche Polemik gegen 'den Platonismus geht um die Zeitform der Weltund die Veränderlichkeit der Elemente des Seienden in der Welt. Der Kosmos derPhilosophie ist dauernd und ohne Anfang und Ende und seine Elemente sind unveränderlich. Nach Augustinus ist die Welt geschaffen, die Zeit ist innerweltlich undhat einen Anfang und das Seiende in der Welt ist veränderlich. Denn im Heilsgeschehen verändert sich das Wesen des Menschen und der Anteil des Überweltlichenan der Welt.

Diese wenigen Angaben genügen, um zu erkennen,daß der Prozeß der Entmytho-

logisierung bei Augustinus schon begonnen hat. Denn jenes Unten und Oben der

Glaubensartikel besitzt in seiner realen Welt keine wörtliche Deutung. Gott istnicht räumlich und nicht an einer Stelle im Raum. Eine at.:.sdrückliche Überlegungbezieht sich auf die Bedeutung des Wortes "Tag" in der Schöpfungsgeschichte.Denn von Tagen .im wörtlichen Sinn könne erst nach Erschaffung der Sonne dieRede sein, und es sei möglich,daß mit dem erschaffenen Licht am Anfang die Engelgemeint seien. Damit stoßen wir auf die Stelle, an der sich das Mythologische in der

Ontologie Augustins behauptet: Es gibt Engel und Dämonen, sie sind erschaffeneGeister; die ersteren verharren in der Anschauung Gottes und dienen im Gottesstaat, die anderen sind auf sich und ihren Stolz bedacht, im Weltstaat wirkend undFeinde des Gottesstaates. Es gibt Wunder und Prophezeiungen, hier wie dort, uridGottes- und Weltstaat sind nicht als übernatürlicher und natürlicher Stand, sondernals gut und böse wesentlich unterschieden. Denn Gut und Böse sind metaphysischeQualitäten; gut ist die Hinwendung zu Gott. Hier findet das Heilsgeschehen seinenontologischen Ort. Der vernünftige Mensch weiß, daß Gott ist, aber er kennt nichtden rechten Weg zu ihm. Christus als Mensch und Gott ist der rechte Mittler zwischen Mensch und Gott, der den Weg zum höchsten Gut, der ewigen Seligkeit führt

undder

als Unterpfand dieser Verheißung für die Gläubigen den Tod,der

seitder

selbstherrlichen Abwendung Adams von Gott den Menschen verhängt ist, in seinerAuferstehung überwunden hat.

Im Blick auf diese großartige Verschmelzung griechischen und biblischen Den-

kens zu einem Weltbild, das uns weder griechisch noch' biblisch anmutet, dürfen wiruns ohne Skrupel gestehen: diese Welt ist nicht unsere Welt. Diese Welt ist durchdacht, aber es sind nicht Gedanken, die wir selbst als wahr vollziehen können. Es

ist klar, wir müssen nicht nur das Mythologische, sondern auch die ontologische Metaphysik dieses Systems auflösen dürfen, wenn wir seinen Gehalt für uns lebendig

und glaubhaft machen wollen. Aber sobald Augustins Theologie für uns lebendigwird (und sie ist es ja), so stehen wir auch schon in der Frage nach der ·Entmythologisierung des Evangeliums, denn da'S ist ein Thema seiner Theologie. So gliedert sich

die zuerst unmittelbar-gestellte Frage auf und ordnet sich als Frageweise objekti-

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100 KURT HEIDEMEISTER

viert in die Geschichte der Theologie ein. Um zu unserer eigenen unmittelbaren

Frage zurückzufinden, müssen wir die hermeneutische Situation, in welche uns Au-.

gustins Weltbild versetzt, aufklären, das heißt uns selb.st und unser Urteil zu ver

stehen versuchen, und das ist eine l e i c h t e ~ Aufgabe, als die ursprüngliche.

*

Das eine der eingangs genannten Mißverständnisse hellt sich nun auf: Die Ver

wemslung von Entmythologisierung mit Zerstörung von Mythen als Chiffern eines

tieferen Gehalts oder die Bagatellisierung des Mythologischen in der Weltauffas

sung, mit der wir in Auseinandersetzung geraten, zugunsten des lebenerweckenden

Mythos ist im Blick auf-Augustinus nicht mehr möglich. Denn Augustinus benützt

nicht Gefühlsamkeit von Mythologemen, um die Vernunft seiner Leser in Schwebezu setzen und .schwankend zu machen. Er denkt vernünftig ernst und sachlich, und

er macht das zu Glaubende nach Kräften faßlich, auch da, wo das Erkennen Stück

werk bleibt und Halt machen muß. Im rhetorischen Pathos vertauscht er doch nicht

den Raum der Predigt und den Raum der Theologie. Er lehrt zu denken. Und so

zeichnet sich das Mythologische in seiner Welt so deutlich für uns ab und enthebt

uns der Sorge, ob die moderne Wissenschaft. ein festes Weltbild habe oder nicht,

weil wir jedenfalls sehen: dies Weltbild beschreibt nicht eine uns noch möglicher

weise zustehende Welt.

Noch eine andere Sorge wird uns abgenommen, die Sorge nämlich um das Wunder und die Meinung, daß das Wunder doch den Vorrang habe und wenn auch nur

in einer der vorgeschlagenen fühlsamen Weisen, als Signum zur Anerkennung ge

bracht sein müsse, ehe wir nach dem Gehalt fragen dürften. Denn weil das Supra

naturale ja nach Augustinus auch dämonisch sein kann, so folgt offenbar, daß das

Spezifische der christlichen Botschaft nicht im Wunder als solchem zur Erscheinung

kommt. Vielmehr sehen wir, die erste Unterscheidung, die zu vollziehen ist und die

Augustinus in Kommunikation mit Porphyrius vollziehen kann, ist die Unterschei

dung von Gut und Böse und die Frage nach dem rechten Weg zum höchsten Gut,

zur ewigen Seligkeit. Aber dann sind wir ja auf etwas erstes verwiesen, von dem wirwissen, sofern wir Gewissen haben.

Aber haben wir ein Gewissen, kennen wir Reue, ist es der kategorische Imperativ,

genügen wir uns, entscheiden wir frei, selbstherrlich wie Adam im heroischen Ge

fühl unserer mythisch gespiegelten Größe? Oder gibt es Sünde, Beichte, Freispre

chung, Gnade? So bringt uns auch die vereinfachte hermeneutische Situation zu

einer Besinnung auf Dinge, die sich der objektiven Darstellung entziehen und deren

Charakter wir abheben können und bezeichnen müssen, wenn wir Unterscheidbares

nicht verwischen und vermischen wollen. Es ist das Begriffspaar existentiell, exi

tential, das seinen verbindlichen Sinn in dieser konkreten hermeneutischen Situa,tion bekommt, und diese Scheidung ist fundamental, weil sie die Verantwortung be

trifft und das in vernünftigem Wissen Erreichbare von dem Nichtvorweisbaren, das

nur im Glauben erreicht werden kann, trennt, und weil die Vermischung der Ver-

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ÜBER DEN URSPRUNG DER THEOLOGIE BULTMANNS 101

antwortungen auf den bequemen Weg und zu Schwärmerei, Fanatismus und Über-heblichkeit führt.

Daß diese entschiedene Trennung der Zuständigkeiten von Relevanz für die

Theologie ist, wird noch deutlicher, wenn wir uns zum Abschluß dem spezifischChristlichen in Augustins Lehre zuwenden und nach der Beziehung von Vernunftund Heilsgeschehen fragen. Die Vernunft, so hören wir, vermag zwar nach demWeg zum höchsten Gut zu fragen, aber sie vermag ihn nicht zu erkennen; so kanndie Vernunft aus sich selbst auch nicht den Glaubensstand, der im Heilsgeschehenbegründet ist, beurteilen. Das heißt in unserer Terminologie: die Vernunft ist so

eingerichtet, daß sie Glauben nur als existential begreifen, aber niemals behauptenkann, dies hier ist Glaube. Gewiß, die sogenannte Lehre von der Rechtfertigungdurch den Glauben und damit die Auslegung des zweiten Glaubensartikels nach

Mactin Luthers Katechismus ist in ihrem möglichen Gehalt vonder

Vernunft ausaur mit Hilfe des Begriffs existential zu begreifen, der allein es erlaubt von Existen-ziellem zu sprechen, das nie Besitz sein kann. Wenn etwas dem Zeitgeist fehlt\ so

diese Anerkennung, daß Existenzielles nicht durchschaubar ist und daß der Menschsich als Wesen, zu dem Glaube, Hoffnung und Liebe gehört, nur in Anerkennungdieser Beschränkung denken datf. Nichts ist wesentlicher für den Menschen, alsdies zu wissen. Darum unterscheidet sich die Theologie Bultmanns von der Philo-sophie der Zeit im wesentlichen, obgleich sie historisch und terminologisch mit ihrzusammenhängt.

1 Diese Abwehr richtet sich auch gegen den Aufsatz von Jaspers über die TheologieBultmanns in der Schweizerischen Theologischen Umschau, den wir in unserer Darstellungnicht berührt haben, weil er zu wenig mit der Sache zu tun hat. In der Tat verfehlt Jaspersseinen Gegenstand schon im Ansatz, indem er unterstellt, daß die Theologie Bultmanns ineiner rationalistischen Wissenschaftstheorie und Anthropologie wurzele, und die Banalitätseines Gegners geht (wie eine nicht abreißende Kette von Entgleisungen) durchaus auf seineeigenen Kosten. Die anschließende Darstellung des philosophischen Glaubens ist aber dochbeachtenswert: Von der Grazie und Würde Platos bei der Durchleuchtung von Mythen und

von der kritischen Zurückhaltung Kants vor dem Transzendenten ist darin auch nicht eineSpur zu finden, geschweige denn, daß sokratische Ironie, Humor, Ehrfurcht, Güte oder gar

Gnade in dieser Luft lebendig werden könnten.Wir

verstehen diese düstere Selbstherrlichkeitals das konsequente Ergebnis eines philosophischen Irrtums, nämlich der Verkennung derZuständigkeiten. Besonders deutlich ist die Verfehlung des theologischen Gegenstandes in der

Kritik der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, von der Jaspers seinen .Äuße-rungen nach nur die absurde rationale Chiffer zu Gesicht bekommen hat.

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Ver l agsank ün di gunge n

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THEOLOGISCHE FORSCHUNG

WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE- - - - - 1 - - - - -KERYGMA UND MYTHOS

Herausgeber Pastor Dr. theol. Hans-W erner Bartsch-Sahms

englische Broschur, DM 1o,oo

3· erweiterte Auflage, Stand z/1954·

Prof. D. Rudolf Bultmann, Pastor Friedrich Hochgrebe, Dr. Paul Olivier,

Prof. D. Julius Schniewind t, Dr. J. B. Soucek-Prag, Pastor Götz Harbsmeier,

Prof. D.Dr. Ernst Lohmeyert, Pastor Hermann Sautert, Prof. D.Dr. Friedrich

K. Schumann, Prof. D. Dr. Helmut Thielicke.

Nachtrag vom Herausgeber: Der gegenwärtige Stand der Debatte. Dieser

Nachtrag erscheint gleichzeitig als Sonderdruck. 40 S. brosch. DM I ,6o

+

HERBERT REICH EVANGELISCHER VERLAG GMBH.

HAMBURG-VOLKSDORF

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THEOLOGISCHE F O R S C H U N G

WISSBNSCHAFTLICHE BEITRÄGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE

- - - - - 2 - - - - -KERYGMA UND MYTHOS

Diskussionen und Stimmen des In- und Auslandes

englische Broschur, DM u,oo

Prof. Dr. Karl Barth DD.-Basel, Pastor Dr. Hans- Wemer Bartsch,

Prof. D. Rudolf Bultmann, Prof. Dr. Fritz Buri-Basel, Dr. Christian Hartlich,

Prof. D. Albrecht Oepke-Leipzig, Prof. Dr. Regin Prenter-Aarhus, Dr. Walter

Sachs; Pastor Hermann Sauter t. Prof. Dr. Ethelbert Stauffer, Prof. D. Dr.

Werner Georg Kümmel.

+

Die Urteile und verschiedenen Auftagen beweisen:

.,daß Bultmann seine Arbeit als Dienst in der Gemeinde Jesu Christi ernst

nimmt. Wenn wir das von ihm lernen würden, wäre auch unsere Auseinander

setzung mit ihm eine dem Gegenstand angemessene. Der Ausleger der Schrift,

der Prediger im Amt hat dazu eine große Hilfe in der Sammlung gewichtiger

Beiträge in diesen beiden Bänden. Sie sind ihm eine erschöpfende Darbietung

all der Gedanken, die man sich über das Problem der rechten Auslegung und

Verkündigung machen muß." "Pfälz_isches Pfarrerblatt" 12. 1953

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Wer sich . . . über den gegenwärtigen Stand der Diskussionen um Bultmanns. . . .Thema der Entmythologisierung auf dem laufenden halten will, der greife zu

diesem Buch. ,,Der Lutheraner", Frankfurt ro. 1953

. . . Auch die dorfkirchliche Verkündigung geschehe aus ernsthafter theolo-

gischer Arbeit und greife ebenso bewußt die unserem Geschlecht aufgegebene

Frage nach der Entmythologisierung auf. Dazu verweisen wir hier auf dieses

wertvolle und vielseitige Sammelwerk ..• "Deutscher Dorfkirchen/reundH

. . . Seit Rudolf Ottos Buch über "Das Heilige" hat wohl kaum die Veröffent-

lichung eines Theologen eine so lebhafte und nachhaltige Wirkung geübt wieRudolf Bultmanns radikale "Entmythologisierung" . . . "Stimmen der Zeit"

weist darauf hin, daß die Haltung heutiger Menschen, die Bultmann zur Be-

seitigung ihrer Glaubensbekenntnisse veranlaßte, auch in katholische Kreise

eingedrungen sei. Auch ein Aufsatz im "Hochland" bezeugt das weitwirkende

Interesse dieser Frage · "Seele", München

. . . Das Buch wird das Handwerkszeug jedes Theologen sein müssen, der die

lebendige For&chung in dieser entscheidenden Frage verfolgt.

"Deutsches Pfarrerblatt'

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THEOLOGISCHE FORSCHUNG

WISSENSCHAFTLICHE BEITRAGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE- - - - - 3 - - - - -Pfarrer Dr. theol. Gerhardt Steege-Greifswllld.

MYTHOS

Differenzierung und Selbstinterpretation

englische Broschur 76 Seiten, DM 4,8o

Eine Greifswalder Dissertation, die sich bemüht ~ m die Klärung des Begriffs

Mythos bei den verschiedenen Forschern, wie Paul Altbaus, J. J. Bachofen,

Karl Beth, Emil Brunner, Friedrich Gogarten, Otto Haendler, Karl Jaspers,

C. G. Jung, Karl Kerenyi, Neuenschwander, Fr. Schneider, Wilhelm Stählin,

Paul Tillich u. v. a. Und schließt in Auseinandersetzung mit Rudolf Bult

mann.die eigene Stellungnahme mit Hilfe des Begriffs "Autognosis"

. . . erscheint diese Dissertation, die sich darum bemüht, Bewegung in die müde

gewordenen Fronten zu bringen. Im Anschluß an Bachofen, C. G. Jung undKerenyi zeigt Steege, wie sich geistesgeschichtlich das für das mythische Be

wußtsein bezeichnende Eingebettetsein des Menschen'zui differenzierten Hal

tung der Neuzeit hin entwickelt. Anerkennung oder Ablehnung der Entmy

thologisierungsforderung beruht zuletzt auf der Annahme einer differenzier

ten oder identischen Lebenshaltung. DasNotwendige Buch 11/195J

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THEOLOGISCHE FORSCHUNG

WISSENSCHAFTLICHE BEITRAGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE----- 4 -----Pfarrer Dr. Peter Dalbert-Davos

DIE THEOLOGIE

der hellenistisch-jüdischen Missionsliteratur

unter Ausschluß von Philo und ]osephus·

englische Broschur, 128 Seiten, DM 9,8o

Diese für die Exegese des NTs besonders wichtige Literatur wird hier in ihrenunbekanntesten Teilen dargestellt unter dem Gesichtspunkt ihrer missionarischen Tendenz und der dadurch bedingten theologischen Position.

Schriften, wie die desDemetrios, Philos d.Älteren, Eupolemus,Artapanos u.a.,die dem Theologen bisher kaum ein Begriff waren, werden hier erstmalig im

Gesamtzusammenhang ihrer missionarischen Intention dargestellt. Die reicheVerwertung der modernen Literatur über jenen Zeitabschnitt gibt die Ge

währ, daß sowohl dieser Gesamtzusammenhang recht gesehen wird, wie auchdie Bedeutung der Schriften für das Verständnis des Neuen Testamentes undseiner Umwelt.

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Von den Bänden I-11 "KERYGMA UND MYTHOS", zusammengefaßt zueinem Band, erschien eine englische Übersetzung des bekannten OxforderTheologie-Professors Re g in a I d H. F u 11 er beim befreundeten S.P.C.K.Verlag London 10l1953·

Die Angelsächsischen Länder gehen nun mit ihrer Gründlichkeit an das heißumstrittene Problem der Entmythologisierung.

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THEOLOGISCHE FORSCHUNG

WISSENSCHAFTLICHE B.EI'I'RAGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHllE

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Kann man von Bultmanns Exegese her predigen?

Die Prüfung eines solchen Versuches ist eine theologische Aufgabe, der sich

jeder Verkünder der Kirche nicht entziehen darf.

Dr. Hans-W erner Bartsch

DIE ANREDE GOTTES

Das biblzsche Wort an den modernen Menschen

Ganzleinen mit Kunstdruck-Schutzumschlag DM J,S5

96 Seiten auf holzfrei-weißem Papier

Die vorgelegten Predigten haben das Ziel, die in den biblischen Texten offen

oder verborgen vorhandene Anrede Gottes an den Menschen unserer Tage

weiterzugeben. - Für den Theologen liegt der Anreiz zum Studium dieser

Predigten darin, daß die Möglichkeit solcher Predigt aus einem Verständnis

der biblischen Botschaft erwachsen ist, das durch die Theologie R.Bultmanns,.