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Kinderschutz eine mission impossible? Kinderschutzkonferenz 2019 Kinderschutz in Kooperation Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin 29.November 2019

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Kinderschutzeine mission impossible?

Kinderschutzkonferenz 2019

Kinderschutz in Kooperation

Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin

29.November 2019

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Die Aufmerksamkeit für den Kinderschutz und die Folgen

• Von „Pascal“ über „Kevin“ ,“Lea-Sophie“ , „Yagmur“ zu…….

• Flut von Publikationen (Handbücher, Aufsätze, Stellungnahmen)

• Steigende Zahl von „Meldungen“ in den Jugendämtern

• „Arbeitsverdichtung“ und Überlastungsanzeigen in den sozialen Diensten

• Verunsicherung in Einrichtungen und Diensten freier Träger

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Pressemitteilung des Stat. Bundesamtesvom 6. September 2019

Im Jahr 2018 haben die Jugendämter in Deutschland bei rund 50 400 Kindern und

Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung festgestellt. Das waren 10 % oder rund

4700 Fälle mehr als im Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter

mitteilt, ist dies nicht nur der höchste Anstieg, sondern auch der höchste Stand an

Kindeswohlgefährdungen seit Einführung der Statistik im Jahr 2012. Insgesamt

prüften die Jugendämter rund 157 300 Verdachtsfälle im Rahmen einer

Gefährdungseinschätzung.

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Meldungen an das Jugendamt und Ergebnisse der Gefährdungseinschätzung

Gesamtzahl

Akute KindeswohlG

Latente KindeswohlG

Weiterer Hilfebedarf

Kein Hilfebedarf

2014 124.000 18.600 22.400 41.600 41.500

2015 129.500 20.800 24.200 43.200 41.300

2018 157.300 24.900 25.500 53.000 53.900

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Arten der Kindeswohlgefährdung (2018)

Anzeichen von Vernachlässigung 60%

Anzeichen für psychische Misshandlungen

wie beispielsweise Demütigungen, Einschüchterung,

Isolierung und emotionale Kälte

31 %

Hinweise auf körperliche Misshandlung 26%

Hinweise auf sexuelle Gewalt 5%

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Die Reduzierung der Kinder- und Jugendhilfe auf den Kinderschutz

• Die mediale Aufrüstung und die (nicht erfüllbaren) Erwartungen an das Jugendamt

• Kinderschutz als technologisch plan- und beherrschbarer Vorgang?

• Zwischen Begrüßungspaket und Krisenintervention (die Ambivalenz „aufsuchender Hilfen“)

• Der (niederschwellige) Zugang • des Staates zur Familie

oder

► der Familie zum Staat

• Die Rolle der Früherkennungsuntersuchungen

► Potentiale und Grenzen der Prävention

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Kinderschutz....

• als Grundrecht des Kindes/ Jugendlichen

• als Pflicht der Eltern

• als Pflicht des Staates

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Übersicht

1. Der Kinderschutz im Dreieck Eltern-Kind-Staat

2. Die Aufgaben des Jugendamtes

3. Das Jugendamt und seine Kooperationspartner

4. Kinderschutz und Datenschutz

5. Kinderschutz und strafrechtliche Garantenhaftung

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Das Kind und sein spezifischer Status

• „Kinder“ (Kinder und Jugendliche) sind ab der Geburt Träger von Rechten und Pflichten

• und damit auch von Grundrechten, wie dem Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit und dem Recht

auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG)

• „Kinder“ bedürfen aber des Schutzes und der Hilfe, um sich zu einer eigenverantwortlichen

Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln:

►Deshalb besteht für „Kinder“ eine gesteigerte verfassungsrechtliche Schutzverantwortung für

ihre Persönlichkeitsentwicklung

►Andererseits: Die Position des Kindes zwischen Schutzbedürftigkeit und (wachsender)

Autonomie

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Die Eltern…

• sind in erster Line zuständig für die Wahrnehmung der Schutz- und

Hilfeverantwortung

• Art.6 Abs.2 Satz 1 GG: Elterliche Erziehungsverantwortung

• §§ 1626 ff BGB: Elterliche Sorge,

• §§ 1684 ff BGB: Pflicht und Recht zum Umgang mit dem Kind

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Dem „Staat“

obliegt die Aufgabe, zum Schutz des „Kindes“ einzuschreiten,

1. wenn dem „Kind“ aufgrund elterlichen Versagens bei der Erziehung oder wegen Vernachlässigung Gefahren drohen

• sog. Staatliches Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG)

• aber Vorrang von Hilfe vor Eingriff

2. wenn dem „Kind“ außerhalb des Verantwortungsbereichs der

Eltern Gefahren drohen

• Gefahren in der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz)

• Gefahren in Einrichtungen (Heimaufsicht)

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Die Aufgaben des staatlichen Wächteramts sind aufgeteilt auf

Jugendamt• Pflicht zur Gefahrerforschung

(§ 8a SGB VIII)

• Angebot von Hilfen

• Anrufung des Familiengerichts

• Einschaltung anderer Institutionen

• Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII)

Familiengericht• Erörterung der Kindeswohlgefährdung

(§ 157 FamFG)

• Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

• Elterliche Sorge (§ 1666 BGB)

• Umgangsrecht (§ 1684 Abs. 3 BGB).

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Das Dreiecksverhältnis: Eltern-Kind-Staat

Staat (Gericht, Jugendamt)

• Freiheits- und Abwehrrecht/

Wächteramt (Art.6 Abs.2 GG)

• Staatl. Mitverantwortung (Grund)Rechte des Kindes

• Information auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung

• Beratung auf Schutz vor Gefahren für sein Wohl

• Hilfe auf staatlichen Schutz

• Intervention

• Eltern Elternverantwortung Kind

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Die Wahrnehmung staatlicher Mitverantwortung

►Ziel: Förderung der Entwicklung junger Menschen und Schutz vor Gefahren

►Die Verantwortungsverteilung zwischen Eltern und Staat – Das Konzept von Art 6 GG

Primäre Erziehungsverantwortung der Eltern

Eltern als Interpreten des Kindeswohls

Der Staat als „Grenzwächter“ (Unvertretbarkeitskontrolle)

Kindeswohl als „negativer Standard“

►aber: Vorrang unterstützender Maßnahmen vor Eingriffen

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Zwischenfazit

• Sorge für das Kind und Kinderschutz sind primär Aufgabe der Eltern im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung

• Der Staat bietet ein breites Spektrum von Hilfen in unterschiedlichen Lebenslagen an, damit

• Eltern ihrer Elternverantwortung (besser) gerecht werden können

• das Kind oder der Jugendliche in seiner Entwicklung gefördert wird

• eine Kindeswohlgefährdung vermieden oder ihre Fortdauer unterbunden wird

• Der Staat schützt das Kind oder den Jugendlichen (gegen den Willen der Eltern) vor einer (weiteren) Gefährdung,

wenn

• das Kindeswohl gefährdet ist und

• die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, an der Abwendung der Gefährdung mitzuwirken

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Übersicht

1. Der Kinderschutz im Dreieck Eltern-Kind-Staat

2. Die Aufgaben des Jugendamtes

3. Das Jugendamt und seine Kooperationspartner

4. Kinderschutz und Datenschutz

5. Kinderschutz und strafrechtliche Garantenhaftung

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Die Herausforderungen

• Organisation im Jugendamt / Fallbelastung

• Die richtige Entscheidung im Einzelfall

• Einerseits darf der Staat nicht unverhältnismäßig in das Elternrecht eingreifen („Übermaßverbot“),

• Andererseits hat er seine Schutzpflicht gegenüber dem Kind/Jugendlichen effektiv zu erfüllen

(“ Untermaßverbot“).

• Verletzung von Amtspflichten bei der Wahrnehmung von Aufgaben

• Garantenhaftung der fallzuständigen Fachkraft

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Die Aufgaben des Jugendamtes: Hilfe

• Das Jugendamt gewährt Hilfe zur Erziehung, übernimmt damit aber keine

Aufgaben der elterlichen Sorge

• Ggf. geht der Gewährung der Hilfe die Bestellung des Jugendamtes zum Vormund oder

Pfleger durch das FamG voraus:

• In diesen Fällen ist das Jugendamt im Bezug auf das Kind in doppelter Funktion tätig

• als zuständige Sozialleistungsbehörde für die Steuerung des Hilfeprozesses

• als für das Kind gerichtlich bestellter Vormund/ Pfleger

• Es unterstützt/ entlastet/ befähigt die Eltern zur Wahrnehmung ihrer

Verantwortung und sorgt damit für eine Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung

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Die Aufgaben des Jugendamtes im Hilfeprozess

• Verantwortung für die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf HzE

• durch Entscheidung über die geeignete und notwendige Hilfe

• durch Vereinbarung der Hilfeziele

• durch Steuerung des Hilfeprozesses

• durch regelmäßige Hilfeplangespräche mit allen Beteiligten

• durch Aktualisierung des Hilfeplans bei sich verändernden

Rahmenbedingungen unter Beteiligung aller Akteure

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Welche Hilfe ist die richtige?Kriterien, Anknüpfungspunkte

Verständigung im Verhältnis Fachkraft - Eltern/ Kind bzw. Jugendliche(r)

• Problemakzeptanz

• Problemkongruenz

• Hilfeakzeptanz

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Wenn die Eltern die Hilfe ablehnen:

• §§ 27 ff. SGB VIII geben dem Jugendamt keine Befugnis zur „Zwangshilfe für die Eltern“

• Anrufung des Familiengerichts• bei möglicher Kindeswohlgefährdung: Erörterung (§ 157 Abs.1 FamFG)

Ziel: Ermahnung der Eltern und Ausloten des Kooperationspotentials• bei festgestellter Kindeswohlgefährdung: Entscheidung über Maßnahmen nach § 1666 BGB

Ziel: Eingriff in die elterliche Sorge zum Schutz des Kindes

• Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt bei „dringender Gefahr für das Wohl des Kindes“ (§ 42 SGB VIII)

► Die Kooperationswilligkeit bzw .- fähigkeit der Eltern ist eine Frage, die sich während des gesamten Hilfeprozesses stellt

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Zur Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle

• Hilfe zur Erziehung wird häufig im Kontext einer (drohenden ) Kindeswohlgefährdung

geleistet

• Dann müssen Eltern damit rechnen, dass ihnen bei einer Weigerung die elterliche Sorge

durch das Familiengericht entzogen wird

• Wie gelingt es den Fachkräften, die Eltern in diesem „Zwangskontext“ für eine

Kooperation zu gewinnen und eine Vertrauensbasis zu schaffen?

• Potentiale und Grenzen des Zwangskontextes

• Wann hat der Kinderschutz Vorrang vor der Vertrauensbeziehung?Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 23

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Hilfe zur Erziehung unter der Bedingung von Freiheitsentziehung:Die Rechtslage

• Aufenthaltsbestimmung durch die Eltern/ den Vormund/ Pfleger

• Genehmigung der elterlichen Entscheidung, die Freiheitsentziehung in einer

Einrichtung nach der Maßgabe des Hilfeplans vorzunehmen, durch das

Familiengericht

• Gewährung von Hilfe zur Erziehung unter der Bedingung von Freiheitsentziehung als

Ergebnis des Hilfeplanverfahrens in der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes

• Erbringung der Hilfe in der Einrichtung (eines freien Trägers)

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Prüfung der Eignung und Notwendigkeitder Freiheitsentziehung unter Einbeziehung aller Beteiligten

• Schutzwirkung freiheitsentziehender Maßnahmen im Hinblick auf Selbst- oder Fremdgefährdung

• Förderung der Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen und Änderung seines Verhaltens?

• langfristige positive Wirkungen im Hinblick auf den Erziehungsprozess?

• Frage der Alternativen?

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Erweiterung des familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes

durch das Gesetz v. 17.Juli 2017 (BGBl. I S. 2424)

Vorher

• bezog sich der Genehmigungsvorbehalt nur auf eine freiheitsentziehende Unterbringung.

Seit 1.10. 2017:

• sind im Interesse des Kinderschutzes auch freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie

Fixierungen, medikamentöse Sedierungen, Anbringen von Bettgittern nicht ohne

gerichtliche Genehmigung zulässig

• Solche Maßnahmen kommen in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken sowie

in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe zur Anwendung

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Genehmigungsvorbehalt des Familiengerichts (§ 1631 b BGB)

(1) Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des

Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, solange sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer

erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch

andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit

dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

►Neuer Absatz 2 (seit 1.10.2017)

(2) Die Genehmigung des Familiengerichts ist auch erforderlich, wenn dem Kind, das sich in einem Krankenhaus, einem Heim

oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über

einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerechter Weise die Freiheit entzogen werden soll. Absatz 1 Satz 2

und 3 gilt entsprechend.

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Pflicht des Jugendamtes zur Gefährdungseinschätzung (§ 8a Abs.1 SGB VIII)

• im Kontext einer Meldung durch private Personen

• im Kontext eines aktuellen Hilfeprozesses in der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes

• im Kontext einer Meldung seitens der Kita (§ 8a Abs.4 SGB VIII)

• im Kontext einer Meldung durch einen Berufsgeheimnisträger (§ 4 Abs.3 KKG)

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Die Pflicht des Jugendamtes zur Inobhutnahme (§ 42 Abs.1 Satz 1 SGB VIII)

Die Fallvarianten:

• Schutz von Kindern und Jugendlichen in akuten Krisensituationen (Nr. 1 und 2)• Selbstmelder

• Inobhutnahme bei dringender Gefahr für das Kind oder den Jugendlichen

• Erstversorgung unbegleitet eingereister Flüchtlinge (Nr.3)

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Übersicht über die Struktur der Vorschrift(§ 42 SGB VIII)

• Abs.1: Voraussetzungen für die Inobhutnahme

• Abs.2: Pflichten gegenüber dem Kind/ Jugendlichen

• Abs.3: Klärung der Krisensituation mit den Eltern

• Abs.4: Ende der Inobhutnahme

• Abs.5: Voraussetzungen für freiheitsentziehende Maßnahmen

• Abs.6: Vollzugshilfe durch die Polizei

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Selbstmelder (§ 42 Abs.1 Satz 1 Nr.1) : Subjektives Schutzbedürfnis reicht aus

• Notwendig ist (nur) eine Vorprüfung, ob das Kind sich tatsächlich

subjektiv für gefährdet hält.

• Die Inobhutnahme darf nicht von einer Gefährdungseinschätzung

abhängig gemacht werden.

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Inobhutnahme wegen dringender Gefahr für das Wohl des Kindes oder Jugendlichen (§ 42 Abs.1 Satz 1 Nr. 2)

• Dringende Gefahr für das Kind/ den/ die Jugendliche(n)

• Schwelle des § 1666 BGB

• Befugnis zu Wegnahme von einer anderen Person / Zuführung

• Auch gegen den Willen des Kindes/ Jugendlichen

• Kein Widerspruch der Eltern

• oder eine (Eil)Entscheidung des FamG kann nicht abgewartet werden

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Pflichten gegenüber dem Kind/ Jugendlichen (Abs.1 Satz 2, Abs.2)

• Vorläufige Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten

Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform

• Klärungshilfe: Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme die Situation, die zur Inobhutnahme geführt

hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und

Unterstützung aufzuzeigen.

• Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu

benachrichtigen.

• Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen

und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen

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Inobhutnahme und Gefährdungseinschätzung

• Gefährdungseinschätzung

• als wesentliches Element der Inobhutnahme (Klärungshilfe)

• als der Inobhutnahme vorausgehendes Verfahren auf der Grundlage einer Meldung (§ 8a Abs. 2 Satz 2)

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Abs.3: Klärung der Krisensituation mit den Eltern

• Zustimmung zur bzw. unverzügliche Unterrichtung der Eltern von der

Inobhutnahme und Abschätzung des Gefährdungsrisikos

• Bei Widerspruch der Eltern

• Übergabe des Kindes/ Jugendlichen an die Eltern bei fehlender Kindeswohlgefährdung oder

bei Abwendung der Gefährdung durch die Eltern (ggf. im Zusammenhang mit HzE)

• Andernfalls: Herbeiführung einer Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen

Maßnahmen (§§ 1666 , 1666a BGB); bis dahin: Fortsetzung der Inobhutnahme

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Übersicht

1. Der Kinderschutz im Dreieck Eltern-Kind-Staat

2. Die Aufgaben des Jugendamtes

3. Das Jugendamt und seine Kooperationspartner

4. Kinderschutz und Datenschutz

5. Kinderschutz und strafrechtliche Garantenhaftung

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Wo bleiben die freien Träger?Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis

Jugendamt

HzE Leistungs- u. Entgeltvereinbarungen

Übernahmen der Kosten

im Einzelfall

Leistungsberechtigte Leistungserbringer

Person Dienstvertrag (Einrichtung, Dienst, Pflegeeltern)

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Die freien Träger…

• werden auf Grund ihres eigenständigen Betätigungsrechts tätig

• handeln sorgerechtlich im Auftrag der Eltern/ des Vormunds und übernehmen damit Schutzpflichten für das

Kind

• sind über das Hilfeplanverfahren in die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Hilfe zur Erziehung eingebunden

und übernehmen Kooperationspflichten gegenüber dem Herkunftsjugendamt

• handeln bei stationären Hilfen auf der Grundlage der Leistungs-/ Qualitätsentwicklungs- und

Entgeltvereinbarungen mit dem örtl. Jugendamt

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Die Rolle der freien Träger bei der Inobhutnahme

• Inobhutnahme als „andere Aufgabe“ (§ 2 Abs.3 SGB VIII)

• Beteiligung freier Träger nach Maßgabe von § 76 SGB VIII

• Beteiligung an der „Durchführung und Ausführung“

• Die hoheitlich Befugnis, durch VerwAkt über die Inobhutnahme zu

entscheiden, ist (mangels ausdrücklicher gesetzl. Regelung) nicht übertragbar

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Dazu OVG Koblenz (v. 3.3. 2016 – 7 A 10607/ 15.OVG)

Die Übertragung einer Aufgabe "zur Ausführung" bedeutet eine vollständige Verlagerung der Ausführung der

Aufgabe auf den freien Träger der Jugendhilfe. Die Aufgabe selbst kann mangels gesetzlicher Grundlage nicht

auf den freien Träger der Jugendhilfe übertragen werden, weshalb das Gesetz aus Klarstellungsgründen die

Ergänzung "zur Ausführung" verwendet. Dies bedeutet im Ergebnis, dass alle die Aufgabenwahrnehmung

betreffenden grundsätzlichen Entscheidungen weiterhin durch den Träger der öffentlichen Kinder- und

Jugendhilfe zu treffen sind; die Mitwirkung des freien Trägers führt insoweit ebenso wenig zur Verlagerung

dieser Entscheidungskompetenz wie zu einer Entbindung von der Letztverantwortlichkeit des öffentlichen

Trägers (vgl. § 76 Abs. 2 SGB VIII).

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Dazu OVG Koblenz (v. 3.3. 2016 – 7 A 10607/ 15.OVG)

Vor allem aber ist mit der Übertragung "zur Ausführung" keine Abgabe

hoheitlicher Befugnisse – etwa zum Erlass von Verwaltungsakten –

verbunden; § 76 SGB VIII berechtigt nicht zu einer Beleihung des freien

Trägers der Jugendhilfe mit hoheitlichen Befugnissen. Diese sind von der

Übertragung im Sinne von § 76 SGB VIII ausgenommen. Kann eine Aufgabe

nicht ohne die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse erfüllt werden, so

kommt daher nur die Mitwirkungsform der Beteiligung in Betracht

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Deshalb…

• …ist Inobhutnahme ohne oder erst aufgrund der nachträglichen Einschaltung und

Zustimmung des Jugendamtes unzulässig

• …muss das Jugendamt eine 24 stündige Rufbereitschaft vorhalten

• …kann die Rufbereitschaft organisatorisch bei Dritten (zB: Jugendschutzstelle eines freien

Trägers) angebunden werden, wenn auf diese Weise die sofortige Einschaltung der

Bereitschaft habenden Fachkräfte des Jugendamtes gewährleistet ist.

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Netzwerke Kinderschutz (§ 3 KKG)

Abs.1 Verpflichtung zum Aufbau und zur Weiterentwicklung von Netzwerken mit

folgenden Aufgaben• Gegenseitige Information der Leistungsträger über das jeweilige Angebots- und Aufgabenspektrum

• Klärung struktureller Fragen der Angebotsgestaltung und –entwicklung

• Abstimmung von Verfahren im Kinderschutz

Abs.2 Einbeziehung aller Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen bzw. Eltern in Kontakt

stehen, in die Netzwerke

Abs.3 Anbindung der Netzwerke an die Strukturen der Kinder- und

Jugendhilfe

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick

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Aufgaben der Netzwerke

• Fallübergreifende (strukturelle) Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure

• Netzwerke im Kinderschutz („insbesondere im Bereich Früher Hilfen“)

• Verantwortung der Jugendämter

• Ausdifferenzierung der Netzwerkstrukturen• altersbezogen• thematisch

• Herstellung von Verbindlichkeit durch Vereinbarungen

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Einzubeziehen in die Netzwerke sind (§ 3 Abs.2 KKG) sind insbesondere…

• Einrichtungen und Dienste der öffentlichen und freien Jugendhilfe

• Einrichtungen und Dienste, mit denen Verträge nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bestehen

• Gesundheitsämter

• Sozialämter

• Gemeinsame Servicestellen

• Schulen

• Polizei- und Ordnungsbehörden

• Agenturen für Arbeit

• Krankenhäuser

• Sozialpädiatrische Zentren

• Frühförderstellen

• Beratungsstellen für soziale Problemlagen

• Beratungsstellen nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes

• Einrichtungen und Dienste zur Müttergenesung sowie zum Schutz gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen

• Familienbildungsstätten

• Familiengerichte und

• Angehörige der Heilberufe

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In Berlin: § 10 Abs.3 KinderschutzG

(3) Die Jugend- und Gesundheitsämter stellen jeweils die Koordination in Angelegenheiten des

Kinderschutzes sicher. Jedes Jugendamt und jedes Gesundheitsamt unterhalten jeweils eine

Koordinationsstelle Kinderschutz.

(4) Die Koordinationsstellen Kinderschutz des Jugendamtes haben insbesondere folgende Aufgaben:

1. Sicherstellung der Kooperation zwischen allen für den Kinderschutz relevanten Einrichtungen,

Vereinigungen, Diensten und Institutionen durch lokale Netzwerke Kinderschutz,

2. Entgegennahme und Weiterleitung von Meldungen zum Kinderschutz,

3. Sicherstellung und Kontrolle geeigneter Maßnahmen sowie

4.Dokumentation und Statistik.

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Schule und Kinderschutz

• Handlungspflichten der Schule ergeben sich aus dem Schulgesetz

• Pflicht zur Zusammenarbeit bei Kindeswohlgefährdung (§ 5a SchulG)

• Konkretisierung der Zusammenarbeit im Einzelfall in § 4 KKG

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 47

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§ 5a Schulgesetz für das Land Berlin (Schulgesetz - SchulG)Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendamt

Werden der Schule gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes

oder eines Jugendlichen bekannt, so geht die Schule im Rahmen ihres schulischen Auftrags

den Anhaltspunkten nach. Hält sie das Tätigwerden der Kinder- und Jugendhilfe für

erforderlich, so hat sie das Jugendamt unverzüglich zu informieren. Die Zulässigkeit der

Datenübermittlung richtet sich nach § 64 Absatz 3 Satz 1 des Schulgesetzes . Im Übrigen

wirkt die Schule darauf hin, dass Maßnahmen zum Schutz und Wohl des Kindes und zur

Unterstützung der Eltern erfolgen. Sie arbeitet hierzu mit den zuständigen Stellen der

Bezirke zusammen.

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Welche Handlungspflichten obliegen den Fachkräften der Schulsozialarbeit?

• Dabei ist vorab zu klären, ob die Schulsozialarbeit• in der Verantwortung der Schule oder

• in der Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe (§ 13 Abs.1 SGB VIII)

• geleistet wird.

• Unterschiedliche Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

• Bei einer Zuweisung der Aufgabe zur Jugendhilfe gilt für freie Träger

§ 8a Abs.4 SGB VIII, sonst § 4 KKG

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Schulbezogene Jugend- und Jugendsozialarbeit§ 14 AGKJHG Berlin

(1) Schulbezogene Jugendarbeit soll durch eigene Bildungsmaßnahmen und freizeitpädagogische Angebote dazu beitragen, die

unterschiedlichen Lebensräume der Schule, der Familie und der Freizeit zu verbinden. Die Träger der Jugendarbeit sollen geeignete

Maßnahmen entwickeln und diese in Abstimmung mit den beteiligten Schulen den Schülerinnen und Schülern anbieten. Es soll darauf

hingewirkt werden, dass Angebote und Projekte Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen des Schulalltags finden und sich die Schule zum

Gemeinwesen hin öffnet.

(2) Schulbezogene Jugendsozialarbeit hat den Auftrag, in eigener Verantwortung die schulische Bildungsarbeit zu unterstützen und zu

ergänzen, insbesondere durch Beratungsangebote für Schüler, Eltern und Lehrer bei Konflikten und Problemen. Sie soll die Zusammenarbeit

zwischen Schule und Jugendamt sowie zwischen Schule und den Trägern der freien Jugendhilfe fördern.

(3) Jugendlichen, die ihre Schulpflicht erfüllt haben und auf weiterführende schulische Angebote nicht mehr ansprechen, kann in Einrichtungen

der Jugendsozialarbeit in freier Trägerschaft die Vorbereitung auf die Nichtschülerprüfung zum nachträglichen Erwerb einer dem

Hauptschulabschluss oder dem erweiterten Hauptschulabschluss gleichwertigen Schulbildung nach § 60 Abs. 3 des Schulgesetzes vom 26.

Januar 2004 (GVBl. S. 26) in der jeweils geltenden Fassung ermöglicht werden

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Übersicht

1. Der Kinderschutz im Dreieck Eltern-Kind-Staat

2. Die Aufgaben des Jugendamtes

3. Das Jugendamt und seine Kooperationspartner

4. Kinderschutz und Datenschutz

5. Kinderschutz und strafrechtliche Garantenhaftung

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 52

Datenschutz als Vertrauensschutz

• Personenbezogene soziale Dienstleistungen als Leistungstypus in der Kinder- und Jugendhilfe

• Rat/ Hilfe wird nur in Anspruch genommen, wenn die ratsuchende Person mit Diskretion rechnen kann

• Diskretion ist nicht Grenze, sondern Bedingung fachlichen Handelns

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 53

Grundsätze

• Datenschutz als funktionaler Schutz des Vertrauens in helfende Beziehungen

• Transparenzgebot: die betroffene Person soll durchschauen können, was • von ihr preisgegeben oder

• mit gespeicherten Informationen geschehen soll oder bereits geschehen ist

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 54

Datenschutz als Handlungsmaxime für die Kinder- und Jugendhilfe (Wiesner/ Mörsberger SGB VIII Anh.4)

• Diskretion ist Bedingung effektiver Hilfen: der Klient öffnet sich nur, wenn er der Verschwiegenheit des

Helfers traut

• Das „Sozialgeheimnis des SGB“ (§ 35 SGB I) soll einen fairen Ausgleich dafür bilden, dass Antragsteller für

Leistungen nach dem SGB verpflichtet sind, alle für eine Verwaltungsentscheidung notwendigen

Informationen preiszugeben

• Mit den spezifischen Vorgaben im SGB VIII hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das

Informationsinteresse der Behörde bei diesen Varianten zurückzustehen hat, weil der Zugang zu Familien als

besonders wichtig einzustufen ist

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 55

Wegweiser zu den Fundstellen im Dschungel des Datenschutzrechts

• Sozialgeheimnis: SGB I § 35

• Offenbarungs- bzw. Weitergabebefugnisse: SGB X

• Bereichsspezifische Regelungen: SGB VIII

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 56

§ 35 SGB I als Grundnorm des Sozialdatenschutzes:Sozialgeheimnis

(1) Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten

(§ 67 Abs. 1 Zehntes Buch) von den Leistungsträgern nicht unbefugt

erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). …

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 57

Daten-/Sozialgeheimnis (§ 35 Abs.1 Satz 2 SGB I)

► Konsequenzen für die Organisation:

Die Wahrung des Sozialgeheimnisses umfasst

die Verpflichtung, auch innerhalb des Leistungsträgers

sicherzustellen, dass die Sozialdaten

-nur Befugten zugänglich sind oder

-nur an diese weitergegeben werden.

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 58

Daten-/Sozialgeheimnis (§ 35 Abs. 2,3 SGB I)

(2) Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten ist nur unter den

Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des Zehnten Buches zulässig.

(3) Soweit eine Übermittlung nicht zulässig ist, besteht

keine Auskunftspflicht,

keine Zeugnispflicht und

keine Pflicht zur Vorlegung oder Auslieferung von

Schriftstücken,

nicht automatisierten Dateien und

automatisiert erhobenen, verarbeiteten oder genutzten Sozialdaten.

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 59

Welche Vorschriften gelten für wen? Der Anwendungsbereich (§ 61 SGB VIII)

(1) Für den Schutz von Sozialdaten bei ihrer Erhebung und Verwendung in der Jugendhilfe gelten § 35 des Ersten

Buches, §§ 67 bis 85a des Zehnten Buches sowie die nachfolgenden Vorschriften. Sie gelten für alle Stellen des

Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, soweit sie Aufgaben nach diesem Buch wahrnehmen. Für die Wahrnehmung

von Aufgaben nach diesem Buch durch kreisangehörige Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht örtliche

Träger sind, gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(2) Für den Schutz von Sozialdaten bei ihrer Erhebung und Verwendung im Rahmen der Tätigkeit des Jugendamts

als Amtspfleger, Amtsvormund, Beistand und Gegenvormund gilt nur § 68.

(3) Werden Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe in Anspruch genommen, so ist

sicherzustellen, dass der Schutz der personenbezogenen Daten bei der Erhebung und Verwendung in

entsprechender Weise gewährleistet ist.

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 60

Datenschutz im Jugendamt:Informationsgewinnung (§ 62 SGB VIII)

• Sozialdaten • sind (grundsätzlich) beim Betroffenen zu erheben (§ 62 Abs.2 SGB VIII)

• dürfen ausnahmsweise ohne Mitwirkung des Betroffenen erhoben werden• Abschließender Katalog in § 62 Abs.3 SGB VIII

• Abs.3 Nr.2 Buchstabe d: Verifizierung von Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung (§ 8a)

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 61

Datenschutz im Jugendamt:Informationsweitergabe (§§ 64, 65 SGB VIII)

Zulässig:

• Mit Einverständnis der betroffenen Person

• Sonst• Bei anvertrauten Daten: bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung• Bei anderen sozialen Daten

• Unter den Voraussetzungen des § 69 SGB X• Aber dann auch nur, wenn der Erfolg einer zu gewährenden Leistung nicht in Frage gestellt wird

• Schlüsselfragen :• Ist Weitergabe gegen den Willen hilfreich oder nicht• Ist die Weitergabe im Hinblick auf eine strafrechtliche Garantenpflicht geboten?

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 62

Anonymisierung und Pseudonymisierung§ 64 Abs.2a SGB VIII

(2a) Vor einer Übermittlung an eine Fachkraft, die der

verantwortlichen Stelle nicht angehört, sind die Sozialdaten zu

anonymisieren oder zu pseudonymisieren,

soweit die Aufgabenerfüllung dies zulässt.

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 63

Zusammenfassung• Datenschutz im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist

Vertrauensschutz

• Für die Informationsgewinnung als auch die Informationsweitergabe ist die Einwilligung der Königsweg

• Eine Informationsweitergabe ohne Einwilligung ist nur bei einer auf andere Weise nicht abwendbaren Kindeswohlgefährdung (Kinder- und Jugendhilfe) oder bei einer akuten Gefahr für Leib oder Leben (Gesundheitsberufe) zulässig.

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Änderungen durch die EU-DatenschutzGVO

Dazu

• Art.129 des Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 279/ 679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/ 680

– (Zweites Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz EU –

2. DSAnpUG-EU v. 20. 11.2019)

• Im wesentlichen redaktionelle Anpassungen, z.T. Konkretisierungen

► Dazu ein Übersichtsaufsatz von P.C. Kunkel in ZKJ 2020 Heft 1

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 64

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Übersicht

1. Der Kinderschutz im Dreieck Eltern-Kind-Staat

2. Die Aufgaben des Jugendamtes

3. Das Jugendamt und seine Kooperationspartner

4. Kinderschutz und Datenschutz

5. Kinderschutz und strafrechtliche Garantenhaftung

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 65

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Vorab: Die verschiedenen Pflichtenkreise

Adressat der Verpflichtung

Rechtsmittel/ Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen

Rechtsgrundlage

Sozialrechtliche Leistungspflichten

Träger der öff. JHilfe Klage vor dem VerwGInformelle Rechtsbehelfe

SGB VIIIbzw. andere Bücher des SGB

Amtspflichten bei der Erfüllung konkret zugewiesenerAufgaben

Kommune für beschäftigte Amtsträger

Klage auf Schadensersatz § 839 BGB; Art. 34 GG

Vermeidung von Schäden durch Verletzung bestimmter Rechtsgüter

Haftung verantwortlicher Personen (Privatpersonen, Mitarb. Freier Träger)

Klage vor dem ZivilG auf Ersatz des entstandenen Schadens

§§ 823, 827 BGB

Vermeidung von strafbarem Verhalten

Spez. Voraussetzung bei unechten Unterlassungsdelikten:

Strafmündige Personen

Strafmündige Personen, die in Bezug auf die zu schützende Person eine Garantenstellung haben

Anklage und ggf. Strafe

Vorwerfbare Verletzung einer Sorgfaltspflicht

StGB

§ 13 StGB

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 67

Zur strafrechtlichen Relevanz von Sozialarbeit

• Soziale Arbeit ist kein rechtsfreier Raum, sondern

• (wie zB. die Tätigkeit von Ärzten oder Polizisten)

• mit strafrechtlichen Haftungsrisiken konfrontiert

• Strafrechtliche Verantwortung ist persönliche Verantwortung

►angeklagt wird die Fachkraft X,

nicht „das Jugendamt“

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 68

Zur strafrechtlichen Verantwortung wegen Unterlassens(einer gebotenen Handlung)

Personen müssen sich

• nicht nur wegen aktiven Tuns – etwa einer falsch angewandten pädagogischen Methode oder

Therapie oder wegen eines tätlichen Übergriffs auf Kinder –

• sondern auch, weil sie gebotene Handlungen unterlassen und das Unterlassen zu einem „Erfolg“,

einer Rechtsgutsverletzung (Körperverletzung, Tod), geführt hat

strafrechtlich verantworten,

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 69

Warum kann man wegen „Nichtstun“ bestraft werden?Das Konstrukt der „Garantenstellung“

• Während der Kreis aktiv handelnder und für die Rechtsgutsverletzung

verantwortlicher Personen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang zwischen

Handlung und „Erfolg“ leicht bestimmbar ist

• bedarf es hinsichtlich der Identifizierung einer Person, die wegen des

Unterlassens einer gebotenen Handlung für den „Erfolg“ verantwortlich ist, einer

Eingrenzung auf einen bestimmten Personenkreis, der zu der geschädigten

Person in einer bestimmten Pflichtenstellung steht

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 70

Die Antwort im Strafrecht: § 13 StGB: Begehen durch Unterlassen

„ Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum

Tatbestand eines Strafgesetzes gehört ist nach diesem

Gesetz nur dann strafbar,

• wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und

• wenn das Unterlassen der Verwirklichung des

gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“.

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 71

Welche Personen haben „rechtlich dafür einzustehen?“

Im Strafrecht wird dafür der Begriff der Garantenstellung verwendet

• Die nähere Bestimmung des Personenkreises ist nicht gesetzlich geregelt, sondern Ergebnis der

strafrechtlichen Entwicklung in Lehre und Rechtsprechung. Danach werden (heute) zwei

Kategorien gebildet

► Beschützergaranten:

Personen, denen Obhutspflichten im Hinblick ein bestimmtes Rechtsgut obliegen

• Überwachungsgaranten:

Personen, denen aufgrund ihrer Verantwortung für bestimmte Gefahrenquellen

Sicherungspflichten gegenüber jedermann obliegen

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Garantenstellung Garantenpflicht

• Aus der Übernahme einer Garantenstellung erwachsen bestimmte Garantenpflichten

• Auch diese können nicht dem Strafgesetzbuch entnommen werden,

• sondern ergeben sich aus der jeweils

• gesetzlich

• vertraglich

• innerdienstlich

• übernommenen Aufgabenstellung

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Die entscheidenden Fragen

• Wann entsteht in der Kinder- und Jugendhilfe für die „zuständige“ Fachkraft eine

Garantenstellung in Bezug auf ein bestimmtes Kind

und

• welche Pflichten ergeben sich daraus zur Abwehr von Gefahren für ein Kind ???

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 74

Schon mal vorweg: Eine Strafbarkeit setzt aber noch mehr voraus

1. Garantenstellung

2. Garantenpflichten: Verletzung von Garantenpflichten durch Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt (fahrlässiges Handeln)

3. Eintritt einer Rechtsgutsverletzung („Erfolg“)

4. Die Rechtsgutsverletzung muss Folge der Verletzung der Garantenpflicht sein (Kausalität)• Der Geschehensablauf muss vorhersehbar gewesen sein: ex ante Betrachtung – Grenzen

prognostischer Beurteilung• Das schädigende Ereignis muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch das

Tätigwerden zu verhindern gewesen sein• Keine strafrechtliche Verantwortung, wenn die Rechtsgutsverletzung trotz fachgerechtem Verhalten

eingetreten ist

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 75

Fachkräfte als Beschützergaranten

• Fachkräfte, die bei einem Träger der öffentlichen oder freien

Jugendhilfe Aufgaben nach dem SGB VIII wahrnehmen bzw.

Leistungen erbringen,

• übernehmen auch Aufgaben zum Schutz von Kindern und

• werden damit Beschützergaranten

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 76

Wie wird die Fachkraft im ASD/ RSD zur Beschützergarantin?

• Eintritt in die Garantenstellung durch konkrete Aufgabenübertragung(Fallzuständigkeit und Erstkontakt)

• Art der Aufgabe:

Abwendung einer Kindeswohlgefährdung

• Wo ist die Gefährdungsschwelle erreicht, die eine Garantenpflicht

auslöst:

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Ab welchem Zeitpunkt/ welcher Schwelle besteht die (strafrechtliche) Garantenpflicht?

• mit dem Empfang der Meldung im Jugendamt ?

• mit dem Erstkontakt ?

• bei der Identifizierung gewichtiger Anhaltspunkte?

• mit der Feststellung einer Kindeswohlgefährdung?

►Es gibt dazu bisher• keine einhellige Meinung in der Fachliteratur

• keine höchstrichterliche Rechtsprechung

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 77

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Ausgangspunkt ist die verfassungsrechtliche Aufgabenverteilung beim Kinderschutz zwischen Eltern und Staat (►Art.6 Abs.2 GG)

►Der Schutz von Leben und Gesundheit des Kindes ist zunächst Teil der (primären)

elterlichen Erziehungsverantwortung

►Die Aufgabe des Staates bezieht sich auf die Abwehr von Gefahren für das Kind,

zu der die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 78

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Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Garantenstellung von Fachkräften

„Im Hinblick auf das verfassungsrechtlich abgesicherte Erziehungsrecht der Eltern kommt eine

Garantenstellung dritter Personen, also eine Verursachungshaftung für Schäden an Gesundheit oder

Leben des Kindes, erst in Betracht, wenn die Eltern in ihrer Schutzfunktion ausfallen. Solange dies

nicht so ist, wäre ein Jugendamtsmitarbeiter schlicht nicht „zuständig“ für das Leben eines Kindes

im Haushalt seiner Eltern. Es wäre daher geradezu verfassungswidrig, einen unbedingten,

strafrechtlich sanktionierten Handlungsauftrag an die Jugendhilfe zu formulieren, solange die

Vermutung besteht, die Eltern lebten ihr Erziehungs- und Fürsorgerecht noch im Interesse des Kindes

aus.“

(Heghmanns, Zur strafrechtlichen Verantwortung im Kinderschutz – Jugendamt 2018, 230, 231)

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 79

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Problem

• Wie lässt sich in der Praxis die Grenze zwischen Elternverantwortung und staatlichem

Wächteramt feststellen?

• Einerseits darf der Staat nicht unverhältnismäßig in das Elternrecht eingreifen

(„Übermaßverbot“),

• Andererseits hat er seine Schutzpflicht gegenüber dem Kind/Jugendlichen effektiv zu

erfüllen (“ Untermaßverbot“).

Gratwanderung: „Vertrauen versus Kontrolle“

► Aufgabe: Fachgerechte Interpretation und Umsetzung von § 8a SGB VIII

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 80

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Antwort

• „Sobald die Eltern als primäre Garanten ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen (wollen oder können), kann die

Aufgabenzuweisung an die Jugendhilfe, für das Kindeswohl zu sorgen, zu einer Garantenstellung führen“

• Ob die Eltern diese Aufgabe erfüllen wollen oder können, kann aber nicht abschließend vor Beginn der Hilfe

geklärt werden.

• Die notwendige Feststellung ist daher das Ergebnis einer Gefährdungseinschätzung, die

• nach einer Meldung oder

• im Verlauf eines Hilfeprozesses erfolgt.

• Kein Recht zur Dauerbeobachtung (Kontrollbesuche), aber Reaktion auf neue Hinweise/ Anhaltspunkte

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 81

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Pflichten für das Jugendamt nach § 8a SGB VIII

• Die Fachkraft kommt zu der Einschätzung, dass • eine Kindeswohlgefährdung besteht

• und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (§ 8a Abs. 2. S. 1, Hs. 1 i.V.m. §1666 BGB)►FamG

• Die Eltern können oder wollen an der Gefährdungsabschätzung nicht mitwirken (§ 8a Abs. 2 S. 1, Hs. 2) ►FamG

• Es besteht eine dringende Gefahr (§ 8a Abs. 2 S. 2) ►Inobhutnahme

• Es besteht eine Kindeswohlgefährdung, die mit Hilfe von Leistungen an die Eltern abgewendet werden kann (§ 8a Abs. 1 S. 3)

• Es besteht eine Kindeswohlgefährdung, zu deren Abwendung das Tätigwerden anderer Institutionen notwendig wird (§ 8a Abs.3).

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 82

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Für die Praxis heißt das:

Empfang der Meldung Amtspflicht zur Gefährdungseinschätzung,

Erstkontakt Amtspflicht zur Gefährdungseinschätzung

Identifizierung gewichtiger Anhaltspunkte Amtspflicht zur Gefährdungseinschätzung

Bei Feststellung einer Kindeswohlgefährdung Amtspflicht zur Prüfung der Kooperationswilligkeit-/ fähigkeit der Eltern

bei festgestellter Kindeswohlgefährdung, zu deren Abwendung die Eltern bereit und in der Lage sind

Amtspflicht bei Anbieten und Gewährung von HzEdurch Entwicklung, Anwendung und Überprüfung eines Schutzkonzepts im Rahmen des Hilfeplans; Formulierung von Aufgaben Schutzpflicht bei Änderung des elterlichen Verhaltens: mangelnde Kooperation der Eltern trotz fortbestehender Kindeswohlgefährdung

Bei festgestellter Kindeswohlgefährdung, zu deren Abwendung die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind

Schutzpflichterfüllung durch Anrufung des FamG

Akute Kindeswohlgefährdung, die sofortiges Tätigwerden erfordert Schutzpflichterfüllung durch Inobhutnahme

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Garantenstellung Vorgesetzter

• Der/die Vorgesetzte übernimmt eine Garantenstellung, sobald ihm ein Vorgang, der Pflichten

nach § 8a auslöst, zur Kenntnis kommt

• Er kann / wird seine daraus resultierende Pflichten auf die nachgeordneten „zuständigen „

Mitarbeiter delegieren, die damit ihrerseits zu Garanten werden

• Der Vorgesetzte haftet im Rahmen seiner Garantestellung „nur noch“ für Versäumnisse bei der

Kontrolle, Auswahl oder Ausstattung seiner Mitarbeiter

• Erstattet der zuständige Mitarbeiter eine Überlastungsanzeige, dann erweitert sich seine

Garantenstellung wieder auf eine uneingeschränkte Pflichtenstellung

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Strafrechtliche Konsequenzen einer Überlastungsanzeige

• Die Überlastungsanzeige nimmt den Vorgesetzten in die Pflicht, befreit den Mitarbeiter aber nicht aus seiner

Pflichtenstellung.

• Sie hat aber Folgen für die Bewertung der Sorgfaltspflichtverletzung der Fachkraft und kann zum Ausschluss der

Verantwortlichkeit führen

• Unterlässt der fragliche Mitarbeiter hingegen die Überlastungsanzeige und hätte sie zur Wiederherstellung seiner

Arbeitsfähigkeit geführt (z.B. weil weitere Ressourcen zur Verfügung gestanden hätten, weil man ihn von anderen

Aufgaben entbunden hätte etc.), so wäre auf diesem Wege die Rettung des fraglichen Kindes möglich gewesen und der

Mitarbeiter, der weder etwas zur Rettung unternommen noch seine Überlastung angezeigt hatte, muss sich dann die

Mitverursachung des Kindestodes zurechnen lassen.

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 85

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Das nächste Problem:Fahrlässige Begehung der Straftat setzt

„Außerachtlassung der im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt“ voraus

• Was ist der Maßstab für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht?

• Ergibt sich der Maßstab für die strafrechtlich geforderte Sorgfalt aus den Anforderungen des SGB VIII:

„Wer sich an die Anforderungen des SGB VIII hält,

macht sich nicht strafbar“??

• Wie konkret sind die gesetzlichen Vorgaben?

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 86

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Wann liegt eine Sorgfaltspflichtverletzung vor?

►Einen für alle Jugendämter verbindlichen Kodex fachlicher Standards

(Regeln der fachlichen Kunst) gibt es nicht.

• Kann jedes Jugendamt die Standards selbst definieren?

• Was ist „sozialpädagogische Fachlichkeit“?

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 87

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Grundlagen für Standards

• Vorgaben von § 79 SGB VIII zur Personalausstattung

• Vorgaben von § 79a SGB VIII zur Qualitätsentwicklung

• (Weiter)Entwicklung und Anwendung von Kinderschutzkonzepten im Jugendamt

• Verwendung von Einschätzungshilfen/ Kinderschutzbogen: „Berliner Kinderschutzbogen“

Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 88

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Berliner Kinderschutzbogen

• Der Berliner Kinderschutzbogen wurde aus dem Stuttgarter Modell heraus entwickelt

und erprobt. Dabei wurden Verfahrensstandards definiert, die zwei Handlungsschritte

beinhalten.

• Erst wenn nach dem "1. Check für eine Mitteilung bei eventueller

Kindeswohlgefährdung" diese nicht auszuschließen ist oder vorliegt, folgt der 2. Schritt,

der Kinderschutzbogen.

• Dieses Instrument zur Risikoabschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ist breit

angelegt und beinhaltet Diagnostik, Bewertung und Dokumentation.

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 90

Voraussetzungen für die Strafbarkeit

1. Garantenstellung

2. Garantenpflichten: Verletzung von Garantenpflichten durch Ausserachtlassung der erforderlichen Sorgfalt

3. Eintritt einer Rechtsgutsverletzung

4. Die Rechtsgutsverletzung muss Folge der Verletzung der Garantenpflicht sein• Der Geschehensablauf muss vorhersehbar gewesen sein: ex ante Betrachtung – Grenzen

prognostischer Beurteilung• Das schädigende Ereignis muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch das

Tätigwerden zu verhindern gewesen sein• Keine strafrechtliche Verantwortung, wenn die Rechtsgutsverletzung trotz fachgerechtem Verhalten

eingetreten ist

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 91

Amtspflichten, deren Erfüllung zur Feststellung einer Kindeswohlgefährdung und (dann) bei mangelnder Kooperation der Eltern zu einer Garantenpflicht führen

können

• Im Prozess der Gefährdungseinschätzung (§ 8a)

• bei der Aufklärung der Gefährdungssituation (Diagnose)

• bei der Bewertung der Erkenntnisse

• bei der Prognose der weiteren Gefährdungsdynamik

• Im Prozess der Hilfesteuerung

• Entwicklung , Umsetzung und Anpassung eines Schutzkonzepts

• Vereinbarung und Prüfung der Kooperationspflichten des Leistungserbringers

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 92

Grenzen der Beherrschbarkeit des Geschehensablaufs

• Begrenzte Einsicht in innerfamiliäre Dynamik

• Begrenzte rechtliche Befugnisse

• Sorgerechtliche Maßnahmen sind dem Familiengericht vorbehalten

• Unmittelbarer Zwang ist der Polizei vorbehalten

• Aber: Sind Familiengericht/ Polizei rechtzeitig informiert worden?

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 93

Wie weit gehen die Sorgfaltspflichten bei der Anrufung des Familiengerichts?

• Die Schutzmöglichkeiten des Jugendamtes hängen

• von der Kooperation mit den Eltern

• von den Vorgaben des Familiengerichts ab

• Verantwortungsbereich des Jugendamtes bei der Anrufung des Gerichts

• Einlegung von Rechtsmitteln

• Inobhutnahme trotz Anrufung des Gerichts

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Wiesner Kinderschutz Treptow Köpenick 94

Erlischt die Garantenstellung der Fachkraft im Jugendamt bei Fallübergabe an die Fachkraft des freien Trägers?

• Fortbestand der Garantenstellung für die fallzuständige Fachkraft im Jugendamt nach

Einschaltung eines freien Trägers

• Voraussetzung: Vorausgehende Hilfegewährung, keine unmittelbare

Inanspruchnahme beim freien Träger

• Änderung der Schutzpflichten der Fachkraft des Jugendamts in Auswahl- und

Kontroll- und Informationspflichten mit der Fallübernahme durch den freien Träger

• Verpflichtung zur Kontrolle, ob Vereinbarung nach § 8 a Abs.4 SGB VIII eingehalten

wird

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Damit der Kinderschutz nicht zur mission impossible wird, brauchen wir….

1. praktikable Rechtsgrundlagen

2. qualifizierte Fachkräfte und eine Anerkennung ihrer Arbeit, die sich auch in der Bezahlung niederschlägt

3. gute Organisation, Fallzahlenobergrenzen und ein gutes Arbeitsklima im Jugendamt

4. eine gute Kooperation mit den anderen Systemen: auf Augenhöhe, in Kenntnis der unterschiedlichen Aufträge und Befugnisse

5. eine sachliche Berichterstattung in den Medien

6. eine kinder-und familienfreundliche Gesellschaft, die es Eltern leichter macht, Verantwortung für ihre Kinder zu tragen

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Danke für

ihren Einsatz in der Kinder- und Jugendhilfeund fürs

Zuhören