Kindhäuser 1995.107.4
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Rechtstreue als Schuldkategorie*
V on Professor D r. U rs Kindhäuser, Ros t o ck /Bonn
Einle i tung
Meine Ausführungen beschäftigen sich mit folgender Frage: Kann es mate-
riale strafrechtliche Schuld in einer pluralistischen und demokratisch verfaß-
ten Gesellschaftgeben? Die Antwort wird zwar positiv ausfallen, aber nicht
unerheblich abweichen von den beiden Hauptströmungen in der heutigen
strafrechtlichen Grundlagendiskussion: dem Funktionalismus einerseits und
den Ausläufern des subjektivistischen Vernunftliberalismus andererseits.
DieAusführungen sind invier Abschnitte gegliedert, von denen sich der erste
mit einigen markanten Positionen, die heute zur Frage der materialen Schuld
vertreten werden, kritisch auseinandersetzt. Im zweiten Abschnitt werden die
handlungstheoretischen Grundlagen eines diskursiven Schuldbegriffs darge-
stellt, dessen rechtstheoretische Verankerung unter dem Aspekt demokrati-
scher Normsetzung im dritten Abschnitt behandelt wird. Im vierten Abschnittwird abschließend das Problem gestreift, inwieweit der Täter vor einer Instru-
mentalisierung durch den Schuldvorwurf bewahrt werden kann.
I . Neutralitätsgebot un d materiale Schuld
1. Ausgangsfrage
Unter formaler Schuld verstehe ich den Inhalt des Schuldvorwurfs, der als Er-
gebnis der dogmatischen Zurechnung einer Straftat erhoben wird. Dieser
Vorwurf besagt:Hätte der Täter dasMotiv zur Normbefolgung dominant ge-
bildet, sohätte er sein rechtswidriges Verhalten vermeiden können. Gründe -
seien esSchuldausschließungsgründe, seien esEntschuldigungsgründe -, das
Motiv zur Normbefolgung nicht zu bilden, sind nicht ersichtlich. Folglich
kann dem Täter sein deliktisches Verhalten zur Schuld zugerechnet werden.
Formal nenne ich diese Schuld, weil sie ihren Grund nicht positiv zur Spra-
che bringt. Das Strafrechtliche an dieser Schuld ergibt sich alleinaus dem Um-stand, daß ein strafrechtlich sanktionierter Normbruch Gegenstand des Vor-
wurfs ist. Warum das Fehlen des Normbefolgungsmotivs mit Strafe geahndet
wird und warum der Täter dasMotiv zur Normbefolgung hätte bilden sollen,
bleibt unbeantwortet. Die Antwort aufdiese Fragen gibt die materiale Schuld.
Unwesentlich erweiterter und durch Anmerkungen ergänzter Text des Vertrags auf derStrafrechtslehrertagung im Mai 1995 in Rostock.
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Es versteht sich, daß die Frage nach der materialen Schuld nicht unbeant-
wortet bleiben darf, wenn der Schuldvorwurf samt strafender Reaktion
nicht der legitimierenden Grundlage entbehren soll. Da die Feststellung ma-
terialer Schuld kein expliziter dogmatischer Prüfungsschritt ist, muß mate-
riale Schuld weiterhin in den formalen Gang der Zurechnung eingewoben
sein. Der formale Schuldvorwurf muß, mit anderen Worten, unausgespro-
chen materiale Schuld enthalten.
Nun bereitet die Suche nach der materialen Schuld nicht nur große
Schwierigkeiten, weil sie im Schuldvorwurf nicht ausdrücklich erwähnt
wird. Es gibt auch eine normative Sperre, die als Neutralitätsgebot des
Rechts gegenüber den Motiven seiner Befolgung bezeichnet werden kann.
Bereits Kant hat verdeutlicht, daß nur Legalität, das äußere gesetzeskonfor-
me Verhalten, erzwungen werden kann und darr. Aus welchen Gründen die
Norm befolgt wird, muß mithin freigestellt werden. Unter dieser Vorausset-
zung darf dem Täter nicht vorgeworfen werden, er hätte das rechtswidrige
Verhalten aus bestimmten Gründen vermeiden können und müssen. Zur ra-
tionalen - vorallem: moralischen - Motivation darf dasauf äußere Gesetzes-förmigkeit angelegte Recht nicht verpflichten
3.
Immerhin geht Kant noch davon aus, daß das Gesetz seine Befolgung^er-
dienen müsse, daß es also die Möglichkeit bieten müsse, aus guten Gründen
befolgt zu werden . Doch selbst diese These ist fragwürdig: Gibt es in einer
pluralistischen Gesellschaft überhaupt Gründe, die eine Norm allgemein-
verbindlich legitimieren? Muß nicht schon deshalb das Recht jedem das Mo-
tiv zur Befolgung seiner Normen freistellen, weil es gar keine allgemein ein-
sichtigen Gründe für seine Normen - jedenfalls für alle Normen - bieten
kannt Wie soll es aber auf Legitimität bezogene materiale Schuld geben,
wenn Gründe fehlen, die jedermann zur Normbefolgung rational motivie-
ren können? Um eine Antwort auf diese Fragen vorzubereiten, seien einige
Vorschläge zur Bestimmung materialer Schuld kritisch betrachtet, zunächst
Positionen eines subjektivistischen Vernun ftliberalismus.
1Das rechtlich neutrale Motiv zur Normbefolgung ist zu unterscheiden von tatbestand-
lich vertypten Motiven der Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung; erhellend hierzu
Kühl, m:Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, 1991, S. 139, 144 ff.2Kant, Metaphysik der Sitten, hrsg. von Weischedel, WerkeBd. IV, 1975,S. 337 ff.
3Vgl. auch Klaus Günther, JB RuE 1994, 143,148 f. und passim.
4Kant, Metaphysik der Sitten (Anm. 2), S. 325, 509 ff.
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2. Vernunf t l iberal ismus: Schuld als Selbstwiderspruch
a) Liberalistische Ansätze werden - in idealtypischer Verkürzung - im we-sentlichen in zwei Varianten vertreten, von denen die eine - in unseren Tagen
vor allem von Hof fe* artikulierte - Version aufHobbes zurückgeht. Diese
Position deutet den Menschen als ein zunächst ungebundenes Wesen, das sei-
ne Interessen um seiner selbst willen verfolgt, jedoch auf Grund seiner Ver-
nunf t sieht, daß ungebremste Freiheit mehr schadet als nutzt. Er schließt da-
her mit den anderen Egoisten, denen er ins Gehege kommt, zumindest der
Idee nach einen Vertrag: Man koordiniert die Freiheitsbereiche so, daß jeder
zwar auf ein Stück Freiheit verzichtet, durch den Verzicht aber die Möglich-
keit gewinnt, die verbliebene Freiheit, weil sie nun von anderen geachtet und
nicht mehr verletzt wird, voll zu nutzen. UntermStrich fällt für den einzelnen
mehr Freiheit ab, als er aufgibt, so daß sich das Geschäft - Freiheitsverzicht
Zug um Zug gegen Freiheitsgewinn - für jeden lohnt und daher legitim ist.
Die eigentliche Pointe dieses Ansatzes liegt in der Inhaltsoffenheit des
verwendeten Freiheitsbegriffs; das jeweils konkret verfolgte Partikularinter-
esse spielt ebensowenig eine Rolle wie seine intersubjektive Bewertung. Uti-
l i taristischen Ansätzen, die das hoffnungslose Unternehmen starten, einen
allgemeinen Nützlichkeitsmaßstab für das Austarieren unterschiedlicher In-
teressen zu liefern, ist der vernunft l iberale Ansatz wechselseitiger Freiheits-
koordination daher weit überlegen . Zudem kann der liberalistische Ansatz
5Vgl. nur Hoffe , Politische Gerechtigkeit, 1987, S. 382 ff.; durchschlagende Kritik bei
Klaus Günther, Rechtshistorisches Journal 1991, 233 ff.6
Leviathan, hrsg. von Fetscher, 1966.7
Dies gilt auch für die von Arthur Kaufmann, ARSP 1994,476, jüngst vorgeschlagene Form
eines negativen U tilitarismus, der es zum Gebot macht, menschliches Elend zu minimieren.
D e facto is t dieser Utilitarismus noch freiheitseinschränkender als der positive, der m it den
mehr oder min der diffusen Zielvorgaben Glück bzw. Nu tzen freie Selbstbestimmung kaum
einengt. D agegen sind die von Kaufmann exemplarisch genan nten U mstände wie Armut ,
Krankhei t , Hunger und Obdachlosigkeit sehr konkret und dam it zugleich (theoriewidrig)
inhaltliche Vorgaben eines positiven U tilitarismus: Du rch die Minimalisierung von Armut,
H ung er usw. wird fraglos das Glück der Menschheit befördert. D as eigentlich Bedenklichean Kaufmanns Vorsch lag liegt in der - sicher auch gar nicht sogemeinten - Radikalisierung
de s Sam ariterprinzips. Es geht ja nicht um die sinnvolle Forderung, zur V erm inderun g von
Leid beizutragen, sondern um die kategorische Forderung: „H andle so, daß die Folgen dei-
ner Handlung verträglich sind mit der größtmöglichen Ve rmeidun g oder Verminderung
menschlichen Elends", was auch die M inimie rung unverm eidbaren Leides einschließen soll(a. a. O., S. 486). Damit ist selbst eine an sich gu te Ha ndlun g moralisch falsch, wenn durch
eine Handlungsalternative mehr Leid vermindert werden könnte: So dürfte ich den Ver-
unglückten V nicht retten, wenn ic h statt seiner auch de n Verunglückten U, der im Ge-
gensatz zu V eine große Fam ilie zu versorgen hat, retten könnte - und dies angesichts des
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das Sanktionieren von Normen unter Bezugnahme auf die Rationalität des
Trittbrettfahrens begründen: Wenn die anderen den Vertrag halten und ich
ihn breche, habe ich doppelt gewonnen: die Leistung der anderen erhalten
und die eigene eingespart. Dem ist durch Vertragssanktion zu begegnen, die
wiederum legitim ist, weil wir ohne Sanktion und daher bei allgemeinem
Vertragsbruch wieder im Naturzustand landeten, also in der sub specie Frei-
heitsentfaltung schlechtesten aller denkbaren Situationen .
Bei einer so verstandenen Legitimation der Norm ist materiale Schuld ein
Defizit an Vertragstreue, die sich aus keinem anderen Motiv speist als aus
dem der zweckrationalen Wahrung eigener Interessen. Diese Variante des
Vernunftliberalismus ist freilich dem vernichtenden Einwand ausgesetzt, daß
ein rein zweckrational konstituiertes Subjekt keinen zweckunabhängigen
Grund hat, sich auch dann an den geschlossenen Vertrag zu halten, wenn dies
seinen Interessen widerspricht. So zweckrational es sein mag, die anderen als
Vertragspartner zur Erreichung eigener Ziele zu behandeln, so zweckrational
kann es sein, Verträge wieder zu brechen, wenn sich so eigene Ziele besser
verwirklichen lassen . Der Vertragsbruch vermag also keinen rechtlichenoder moralischen Vorwurf gegenüber dem Täter zu begründen .
b) Diese Schwäche vermeidet dieKantische Version des Vernunftliberalis-
mus, die im heutigen Strafrecht einige präzise Ausformulierungen gefunden
hat , sie deutet Vernunft nicht als rein zweckrational, sondern als moralisch
imprägniert. Die Vernunft ist als Ratio des guten Willens bereits a priori auf
das Prinzip der Verallgemeinerung bezogen: An die Stelle der Motivation
aus schierem Selbstinteresse tritt die Selbstgesetzgebung der Vernunft . Für
kategorischen Charakters der Forderung auch dann, wenn V mein Vater ist.Dies zeigt nur,
daß jede allgemeinverbindliche inhaltl iche Ausgestaltung des Verallgemeinerungs-
prinzips den Keim des Tugendterrors in sich trägt.8
Hierananknüpfend nochKindbäHser , GA 1989,493,496 ff.; ähnlich Koriath, Grundlagen
strafrechtlicher Zurechnung, 1994, S. 245 ff.9
Gemeint ist vo r allem: Das Prinzip „pacta sunt servanda" läßt sich nicht rein zweckra-
tional begründen. Daß sich (utilitaristische) Regeln zweckrationalen Handelns fo rmu-
lieren lassen, soll nicht nur nicht bestritten werden, sondern ergibt sich schon daraus,daß Zweckrationalität Entscheidungsregeln voraussetzt.10
Vgl. Apel, in: Brumlik u. a. (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit , 1993, S . 149,
152 f.; vgl. auch Köhler ·, in : Vielfalt des Rechts - Einheit der Rechtsordnung?, H a m b u r -ger Ringvorlesung, 1994, S. 61, 65 f.
11Vgl. Kahloy Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Un-terlassungsdelikten, 1990, S. 272 ff.; Köhler , Der Begriff der Strafe, 1986;E. A. W o l f f ,
ZStW 97 (1985), S. 786 f f . ; Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989,S. 128 ff.; in
erhellender Frontstellung gegen das „moderne" Strafrecht Naucke, Z S t W 9 4 (1982),
S. 525 ff.
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Kant ist das Prinzip der gleichen Freiheitsrechte aller Menschen vom auto-
nomen Einzelsubjekt immer schon gewollt und anerkannt. Vorallem Köhler
und Zaczyk ziehen hieraus für das Strafrecht den Schluß, daß das Recht, das
die Freiheitssphären koordiniert, auf der vernunftgemäßen Anerkennung
des Prinzips gleicher Freiheit beruht .
Auch in dieser Kantischen Variante des Vernunftliberalismus ist materiale
Schuld defizitäre Vernunft: Die Straftat sei sittliche Selbstkorruption eines als
gleiches und freies Vernunftwesen geachteten Mitmenschen. Der Straftäter
negiere durch die Tat die in der Norm kondensierte Vernunft des allgemeinen
Rechtsverhältnisses; er widerspreche durch die Unvernunft seiner Tat sichselbst als Vernünftigem . In der vernunftgemäß schlüssigen Handlungsbe-
stimmung soll zugleich der subjektive Geltungsgrund der Norm liegen.
Indessen ist ein so interpretierter Vernunftliberalismus weder erkenntnis-
theoretisch überzeugend, noch wird er den spezifischen strafrechtlichen Er-
fordernissen gerecht. Zunächst ist schon das Bild eines der Gesellschaft vor-
gelagerten vernünftigen Subjekts fragwürdig . Rationalität im allgemeinen
wie Moralvorstellungen im besonderen werden im Sozialisationsprozeßdurch die Sprache intersubjektiv vermittelt und sind damit unaufhebbar mit
dem Rationalitätsstatus einer konkreten Gesellschaft verbunden. Ein Sozial-
vertragsmodell läßt sich nicht ohne vorgelagertes Bild einer Gesellschaft ent-
wickeln . Modelle, die gleichwohl an den Prämissen festhalten, wie etwa das
vom Schleierdes Nichtwissens, den die Verhandlungspartner bezüglich ihrer
konkreten Rolle in der späteren Gesellschaft tragen sollten16, laufen im Kern
12 Vgl. Köhler un d Zaczyk (Anm.11), m it jeweils eingehender /fowi-Interpretation.13 Vgl.Köhler,Der Begriff der Strafe, 1986, S. 29 f.: „Als Prozeß im Denken besteht das Bösein der Selbstkorrumpierung, Selbstnegation der Einsicht in das wirklich Gute/Richtigeder Handlungsmaximenbestimmung." Vgl. auch den., Über den Zusammenhang vonStrafrechtsbegründung und Strafzumessung, 1983,S. 38. Ähnlich Zaczyk, Das Unrechtder versuchten Tat, 1989,S . 201: Indemder Täter „Handlungsmöglichkeiten ergreift, dieer als Vernünftiger fü r sich ausgeschlossen hat, negiert er in gleichem M aße seine eigeneVcrnünftigkeit" . Der Selbstwiderspruch ergibt sich daher schon, w ie Günther, JBRuE 1994,151, aufzeigt, wenn die Norm au s unvernünftigen Motivenbefolgt wird.
14
Da das Denken durch dieSprache - samt ihrer politischen und rechtlichen Grundbegrif-fe - bestimmt ist, die Sprache aber der „Vernunftwerdung" des einzelnen vorgelagert ist,läßt sich kaum die Konstitutiondes Gemeinwesens aus der Vernunft der einzelnen ab -leiten; vgl. dagegen £. A. W o l f f , ZStW 97 (1985),S. 786, 814 ff.
15 Treff end Jakobs, in: Mehrheitsprinzip, Ko nsens und Verfassung, 1985, S. 23, 27: „Es istdas Dilemma der Sozialvertragstheorien, mehr an Regelunterworfenheit vor dem Staatpostulieren zu müssen, als ohne Staatzu erwarten ist, oder aber zu wenigplausiblen A n-nahmen prästabilierter Harmonien greifen zu müssen"; vgl. auch a. a. O., S. 31.
16 Vgl.die einflußreiche Konstruktion von Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, deutsch1979, S. 159 ff. und passim.
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auf zwei Gerechtigkeitskriterien hinaus: Unparteilichkeit und Reziprozität.
Doch diese Kriterien lassen sich auch ohne Anleihenan eine idealisierende Bil-
derwelt von Vernunftwesen für die Rechtsbegründung fruchtbar machen17.
Gewichtiger ist der Einwand, daß der Vernunftl iberalismus in der geschil-
derten Fassung keine befriedigende Lösung des paradoxen Verhältnisses von
schuldrelevantem Motivationsdefizit und rechtlicher Neutralität gegenüber
dem Normbefolgungsmotiv anbietet . Er negiert nämlich einfach das Neu-
tralitätsgebot, indem er verlangt, daß die Normbefolgung auf Grund ver-
nunftgemäßer Selbstbestimmung zu erfolgen habe19. So gewinnen nach Zac-
zyk2^ Rechtsgüter „nur Wirklichkeit, wenn die Einzelnen ihre je konkretenHandlungen an dem Rechtsgut ausrichten, sein Dasein und damit die Frei-
heit der Anderen wollen und dieser Einsicht gemäß handeln"; das Gegeben-
sein rechtlicher Verhältnissesei dadurch bedingt, daß die einzelnen „die sub-
jektive Leistung der Konstitution dieser Verhältnisse erbringen".
Praktisch kommt dies einer völligen Überforderung des Normadressaten
gleich und konterkariert zudem die demokratische Setzung der Norm. Nor-
men werden in einer pluralistischen, demokratisch verfaßten Gesellschaftnicht auf Grund individueller Vernunftschlüsse, sondern diskursiv formu-
liert. Hierbei sollen zwar alle Interessen berücksichtigt werden; da der Mei-
nungsbildungsprozeß aber durch Mehrheitsentscheidung abgebrochen wird,
ist esprinzipiell möglich, daß der einzelne die Norm nicht als seiner Vernunftgemäß akzeptieren kann. Deshalb kann demokratisches Recht die Geltungs-
gründe seiner Normen nicht rein subjektiv fundieren; beispielhaft sei nur aufdas Stichwort Abtreibungsverbot verwiesen. Zwischen der sittlichen Selbst-
bestimmung der Person und demokratisch begründetem rechtlichen Sollen
17 Zum philosophischen Paradigmenwechsel vom Bewußtsein zur Sprache vgl. Kindhätt-
ser, Intentionale Handlung, 1980, S. 50 ff., m. w. N.18 Vgl. auch Günther,]^ RuE 1994,143,150 f.19 Anders die «̂-Interpretation Kerstings, Wohlgeordnete Freiheit, 1984, S . 16 f f . , 42 f f . :
D as - juridischer Vernunft entsprechende - Rechtsgesetz legitimiert nur denZwang, derwiederum nur indirekt nötigt: „Letztlich ist es die Selbstliebe, die zu gesetzeskonfor-
mem Verhalten motiviert. Der in Aussicht gestellte Zwang is t eine Information, die derhandlungsvorbereitende Verstand in sein Kalkül einbezieht und so die Selbstliebe voreiner Dummhei t bewahrt" (S. 34 f.). Insoweit kann die Rechtspflicht eine heteronomeErfüllung zulassen, die Rechtspflichterfüllung also „Ergebnis massiver Fremdbestim-mung" sein (S . 31).
20 Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, S. 198.21 Vgl. auch Zaczyk, Das Unrechtder versuchten Tat, 1989, S. 171: D ie Anerkennung von
(personalen) Rechtsgütern müsse „jedem begegnenden Anderen gegenüber geleistetwerden". Ähnlich ders., Strafrechtliches Unrechtund die Selbstverantwortung des Ver-letzten, 1993, S. 26, 31: Unrecht als Verfehlung einer praktischen Leistung des Täters.
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läßt s ich keine prästabilierte Harmonie ausmachen22
. Das hier relevante Pro-
blem ist beisp ielhaf t für jeden Ansatz, der den Geltungsgrund der Norm un-
mit telbar aus der individuellen Moralität ableitet, ohne die gesellschaftliche
Vermittel theit der Normgenese zu berücksichtigen. In der sozialen Welt
kann der einzelne nicht zugleich bei sich und im allgemeinen sein .
Daß sich die moderne Gesellschaft im Meinungskampf integriert, daß der
Staat vomzwangsbewehrten Nachtwächter zum kooperativen Partner - vor
allem in den Bereichen Wirtschaft und Arbeit - mutierte, daß das Austarie-
ren negat iver Freiheiten von der Sicherung sozialer Teilhaberechte überla-
gert wird, daß sich die staatlichen Gewalten nicht nur zunehmend ineinan-
der verschlingen, sondern sich auch mit Parteien und Verbänden verflech-
ten , daß Selbstbestimmung heute wesentlich von der Verfügbarkeit über
Daten abhängt, kurz: daß Handlungsfreiheit im Lichte kommunikativer
Freiheit zu interpretieren ist, kommt dem rückwärts gewandten Vernunftli-bera l i smus heutiger Prägung nicht in den Blick.
3. Jakobs: Selbstwiderspruch qua Definition als BürgerIn seiner präventionsorientierten Deutung strafrechtlicher Schuld verzichtet
Jakobs auf eine inhaltliche Festlegung des Subjekts der Zurechnung. Dem
22 In diesem entscheidenden Punk t ist Kö hlers ansonsten höchst eindrucksvoll geschlosse-ne Konzeption auffallend unbes t immt : D er Rechts-Setzungsprozeß soll Rü cksicht neh-
m en „auf seine eigene V orausse tzung in der Subjektautonomie" (Köhler, D er Begriff derStrafe, 1986, S. 46); gleichwohl kann die Rechtsnorm „sogar der moralisch autonom fü r
r ichtig gehal tenen M axime widersprechen" (a. a. O., S. 47).Da m it diese Kon t ingenz be-hoben und in der Straftat „die Selbstnegation des Subjekts als prakt isch Vernünft igen"(a . a. O., S. 49) gesehen werden könnte , müßte Köhler ein Kriterium bieten, mit dessenHi l f e sich d ie Übere in s timm ung sub jek tive r und in tersubjektiver V ernün f t igkei t fes t -stellen l ieße. D ie m ange lnde Erweis l ichkei t e ines so lchen Kr i ter iums ist die Bruchstel lej ed e r Theor ie , d ie intersubjektive Gel tung sub jek t iv - und rechtl iche S chuld gar im bö -sen Wil len - fundieren will. Äh nl ich ve r s teh t Zaczyk, D as Unrech t d e r ver such ten Tat,
1989, S. 151, den Rechtssatz als A u s d r u c k „gemeinsamer Richtigkeit" , ohn e den Schrit tvon der su bjek t iven zur gem einsam en Richt igkeit zu expl izieren; vgl. ders., Strafrechtl i-ches U nrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, 1993,S. 25: Im Staat erschei-ne „die Ausr ich tung der Vernunf t le i s tung des einzelnen bei der B est imm ung seinesVer-
haltens objektiviert".2* So Jakobs, Das Schuldprinzip, 1993, S. 28 f . Der subjektivistische V ernu nft l iberal ismu s
k a n n zwar die Notwendigkeit staat l ich gesetzten Rechts aufweisen - besonders klar:Zaczyk, ARSP-Beihef t 56 (1994), S. 105,119 ff. -, nicht aber die für einen sub jekt iv fun-dierten Schuldbegriff notwendige Kongruenz von subjektiver Vern unf t und rechtlicherAllgemeinheit .
24 Hinzuweisen is t nur auf die quasi-staatliche Ordnungsfunkt ion von Tarifvereinbarun-gen.
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Täter wird nur die Rolle eines freien Bürgers zugeschrieben, die besagt, daß
er das Recht beanspruche, seinen Kopf selbst zu verwalten und sein Leben
selbst zu gestalten. Synallagma dieser eingeräumten Freiheit ist die „Ver-
bindlichkeit, Rechtstreue zu leisten"25
. Damit dieses Verständnis des Sub-
jekts der Zurechnung nicht formal bleibt, verlangt/<*& obs, daß die zu befol-
genden Normen legitim sind: Sie sollen Normen einer Ordnung sein, die je-
dem die zu seiner freien und gleichen Entfaltung nötigen Subsidien zuweist.
Materiale Schuld ist damit mangelnde Rechtstreue gegenüber legitimen
Normen, die sich durchaus im traditionellen Sinne als Gesetze gleicher Frei-
heit interpretieren lassen.
Die mangelnde inhaltliche Festlegung des Personbegriffs macht diese
Lehre immun gegen die Einwände, denen der Vernunftliberalismus - in der
zuletzt dargestellten Variante - ausgesetzt ist. Materiale Schuld verlangt kei-
ne sittliche Selbstkorrumpierung. Der Täter muß sich nicht gegen die für ihn
nachvollziehbaren Gründe normgemäßen Verhaltens entscheiden, um
schuldhaft zu handeln, weil die individuelle Vorzugswürdigkeit der Norm in
einer pluralistischen Gesellschaft ohnehin nicht beweisbar ist. Nach diesemAnsatz genügt es vielmehr für materiale Schuld, die Rolle eines freien Bür-
gers zu beanspruchen, ohne gegenüber Normen, die gleiche Freiheit zutei-
len, rechtstreu zu sein.
Indessen schüttetJakobs mit seiner rein objektiven Begründung materia-
ler Schuld das Kind gleich mit dem Bade aus. Auch wenn Schuld nicht im
subjektiven Nachvollzug der für die Norm sprechenden Gründe bestehen
kann, muß der Schuldvorwurf mehr beinhalten als mangelnde äußerliche
Regelkonformität. Es muß eine innere Beziehung zwischen der Norm und
dem Normadressaten zur Begründung materialer Schuld geben , zumal
sich auch nur so die emotionale Komponente der Enttäuschung über den
Normbruch erklären läßt27
'.Jakobs' Interpretation von Rechtstreue paßt, so
modern sie klingt, auch in den paternalistischen Staat des aufgeklärten Ab-
solutismus. Daß Normen in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft auch
25 Jakobs, Das Schuldprinzip, 1993, S. 35.26
Ob dieser Einwand auch noch nach Jakobs' Vortrag auf der Rostocker Strafrechtsleh-
rertagung (ZStW 107 [1995], S. 843) gilt, mag hier dahinstehen; jedenfalls ist mit derVerankerung von Schuld in „personaler Kommunika t ion" , die auf wechselseitigen A n-
erkennungsverhältnissen beruht, weder eine rein äußerliche (funktionale) Betrachtungde s Schuldbegriffs noch die Au ßerachtlassung psychischer Konsti tuenten beim Person-begriff zu vereinbaren.
27Kritisch zur fehlenden emotionalen Kom ponente auch Schumann, Positive Generalprä-
vention, 1989, S. 8 f.; Streng, NStZ 1995, 161, 162; vgl. hierzu unten IV .
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und gerade auf intersubjektiven Verständigungsleistungen über gerechte In-
teressenkoordinationen beruhen und damit Ausdruck politischer Autono-
mie der einzelnen Rechtssubjekte sind, bleibt unberücksichtigt. Ein konzep-
tueller innerer Zusammenhang zwischen materialer Schuld und Legitimität
der Norm fehlt; es ist gewissermaßen einem glücklichen 'Zufall zu verdan-
ken, wenn die Norm, deren Bruch dem Täter zugerechnet wird, auch einer
legitimen Rechtsordnung angehört.
Rechtstreue ist keine Gegenleistung zu staatlicher Fürsorge, sondern muß
aus der Autonomie begründet werden, an der Verständigung über Normen
teilzuhaben. Insoweit liegt der Gedanke nahe, Schuld in Relation zur Rolledes Straftäters als Staatsbürger zu interpretieren. Daher sei eine normative
Gesellschaftstheorie näher betrachtet, die die Staatsbürgerrolle ganz in den
Vordergrund stellt: der Kommunitarismus.
4. Kommunitarismus: Selbstwiderspruch des Täters als Staatsbürger
Der Kommunitarismus ist zwar in die juristische Fachdiskussion noch nicht
tiefer eingedrungen; in der Rechtsphilosophie hat er jedoch schon Boden ge-wonnen
28, und es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es zu Ausfor-
mulierungen seiner Einsichten auch im Strafrecht kommt. Es lohnt daher der
Versuch eines skizzenhaften Entwurfs einer kommunitaristischen Schuld-
lehre29
.
Der Kommunitarismus ist aus der kritischen Auseinandersetzung mit der
namentl ich vonJohn Rawls vertretenen Fassung des Liberalismus in der an-
glo-amerikanischen Rechts- und Staatsphilosophie hervorgegangen. DieKritik bedient sich einerseits des erkenntnistheoretischen Instrumentariums
der Hermeneutik und analytischen Philosophie und sieht sich andererseits in
einer geistesgeschichtlichen Tradition, in der Aristoteles ebenso wie Cato,
Machiavelli und die französischen Aufklä re r zumindest teilweise ihren Platz
haben . Der politische Grundgedanke lautet, daß eine Demokratie so gut
28Vgl. auch Seelmann, Rechtsphilosophie, 1994, S. 187 ff.
29Wobei aus dem breiten Spektrum der Diskussionsbeiträge vor allem die sog. substantia-
listische oder neo-aristotelische Richtung herausgegriffen wird, die den Status des Bür-
gers ethisch interpretiert und auf Gemeinwohlorientierung festlegt; vgl. zusammenfas-
send Forst, in: Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993, S. 196 ff.30
Vgl. zum Diskussionsstand Brumlik u. a. (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit,
1993; Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, 1994; Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus,
1993; Zahlmann (Hrsg.), Kommunitarismus in der Diskussion, 1992. Ob die Berufung
auf die genannten philosophischen Gewährsleute stets berechtigt ist, mag hier dahinge-
stellt sein.
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und so schlecht ist, wie ihre Mitglieder die ihnen obliegenden staatsbürger-
lichen Pflichten erfüllen.
Der Kommunitarismus läßt sich als normative Gesellschaftstheorie for-
mulieren, die den Wert der Freiheit nicht geringer schätzt als der Liberalis-
mus. Er impliziert nicht die Idee einer volonte generate im SinneRousseaus^
sondern kann das Gemeinwohl auch als ex ante offene Resultante im demo-
kratischen Meinungsstreit sehen. Auch er setzt auf die Partizipation an Ver-
fahren, auf den Pluralismus der Meinungen und der sozialen Kräfte. Wäh-
rend der Liberalismus aber statisch denkt - ist die bürgerliche Gesellschaft
erst freiheitlich verfaßt, laufen die Dinge gewissermaßen von selbst, wennnur jeder die Freiheit der anderen achtet -, denkt der Kommunitarismus
dynamisch. An die Stelle der vernunftgemäßen Interessenverfolgung tritt die
Tugend , deren Ausübung erst Freiheit schafft. Freiheit ist keine feste Grö-
ße, sondern wird durch die Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten er-
rungen und durch Engagement garantiert. Ein Volk, bei dem die Tugend
fehlt und völlige Sittenverderbnis eingerissen ist, so konstatiert Macbiavelli,
kann keinen Augenblick in Freiheit leben . Erkenntnistheoretisch interpre-
tiert der Kommunitarismus den einzelnen nicht als geschichtsloses und ato-
mistisches Vernunftwesen, sondern als Kind einer konkreten Gesellschaft in
einer konkreten Epoche. Seine Identität ist keine der Gesellschaft zeitlich
oder logisch vorgelagerte Größe, sondern wird erst gesellschaftlich konsti-
tuiert. Die Identitätsstiftung des Selbst durch die Gesellschaft begründet ei-
ne Verbundenheit zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft im Sinne ei-
ner Gemeinschaft, aus der die jeweiligen Verbindlichkeiten, das Allgemein-
wohl zu fördern, folgen . Wesentlich ist allerdings, daß die fragliche Gesell-
schaft demokratisch verfaßt ist. Denn nur in der Demokratie folgt aus der
Teilhabe an der Macht über alle die Verpflichtung,das Wohl aller zu fördern.
Nach diesem Verständnis wird der einzelne nicht als Privatperson gese-
hen, die sich im - zumindest gedachten - Austausch vonRechten und Pflich-
31Zaczyk sieht dies, im Anschluß an Fichte, anders: Der Gesel lschaftsvertrag sei „als sich
ständig neu vollziehender und bestätigender Wille aller anzusehen, diese konkrete staat-
l iche Ordnung anzuerkennen"; Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, S. 184.
Dies läßt sich freilich nur aus Klugheitsregeln entwickeln und nicht (logisch) aus dem
bloßen Erfordernis miteinander verträglicher Willkürbereiche des subjekt iven katego-
rischen Imperativs folgern.32
Vgl. hierzu auch Münkler, Die Idee der Tugend, Archiv für Kulturgeschichte 73 (1992),
S. 381.33
Machiavelli, Discorsi, hrsg. von Zorn, 1966,1, 16 (S. 57).34
BeispielhaftMaclntyre, in: Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993, S. 84 ff.
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Rechtstreue als Schuldkategorie 711
ten auch a ls Staa tsbürger betätigen d arf, sondern er wird gewissermaßen in
seine Rolle a ls Staatsbürger hineingeboren. A ls Staa tsbürger trägt der einzel-
ne für das Gesamtwohl Veran twortung und hat die den Bestand von Staat
u nd Gesellschaft sichernden Normen einzuha l ten , u m das geme insame Stre-
ben nach dem Guten nich t zu beeinträchtigen . Rech ts treu e meint dam it
staatsbürgerliche Tugend im Sinne einer ethisch begründeten Bindung an die
rechtlich verfa ßte Gesellscha ft, deren Teil ma n ist , wäh rend Schuld M iß-
a c h t un g der Verantwortung für das Gemeinwohl bedeutet . Durch den
N o r m b r u c h verläßt - soHannah Arendt*7
- der einzelne dieGemeinschaft .
So einleuc hten d und praxisnah der Komm un itarismu s mit seiner Erkennt-nis auftrit t , daß das allgemeine Wohl nich t von der formalen Qualität der Ge-
setze, sondern vom Engagement der Bürger abh ängt, und so zutreffend die er-
kenntnis theoret ische Einsicht der Geschichtlichkeit des Denkens und Füh-
lens ist, so problematisch erscheint die politisch-ethische Konsequenz einer
Identifikation deseinzelnen mit seiner Rolle alspatriotische r Staa tsbürger .
Daß das Recht nu r die Befolgu ng seiner Normen vorschreibt, die Gründe für
die Befolgung abe r freistellt un d au ch n icht erzwingen will und kann , wird
hierbei au ßer acht gelassen. Der Komm un i ta r ismu s n egiert das Neutralitäts-
gebot des Rechts, indem er Normbefolgung au s staatsbürgerlicher Tugend
verlangt, u n d befrachtet damit den Täter m it rechtsfremden Quali täten.
M it dieser K ritik soll freilich die fun da men ta le Bedeu tun g von Koopera-
tion für eine freiheitliche Gesellschaft nicht abgestrit ten werden; es wird
vielmehr noch zu fragen sein, ob sich die kornmunitar ist ische Grun da us s a ge
n i c h t a uc h m it einem liberalen Rec htsverständnis vereinba ren läßt .
I I . D ie sozialintegrative Aufgabe des Rechts
1. Ausgangspunkt
Vorläufig ist resümierend fes tzuh a l ten , daß der kurze Streifzug du rch einige
Ansätze zu r Bes t immung ma teria ler Schuld in eine aporetisch e Situation ge-
führ t zu ha ben scheint: Entwe der verzich tet man- wieJakobs - auf eine in-
nere B e z i e h u n g zwischen Täter u n d Normlegit imität , oder m an gibt da sNeutral i tätsgebot me hr oder w eniger preis u n d beschränkt die Aufgabe des
35Vgl. Madntyre, Der Verlust der Tugend, 1988, S. 204 f.
36 Vgl. au ch Fletcher, Loyalität, 1994.37 M ac h t und Gewa lt, 1985, S. 42; ähn lich Maclntyre (A nm . 35), S. 204.38 Zur Kri t ik vgl. a u c h Günther, JB Ru E 1994, 143, 151 f.
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712 UrsKindh ä u s e r
Rechts nicht nur auf die Garantie von Legalität. Beide Alternativen sind un-
befriedigend. Weder kann auf den Vorwurf subjekt iv fundierter materialer
Schuld verzichtet werden, weil sonst der Schuldvorwurf die Strafe nicht
rechtfertigt, noch kann zur Begründung materialer Schuld gegen das Neu-
tralitätsgebot verstoßen werden, weil sonst dem Täter etwas zum Vorwurf
gemacht wird, was nicht Gegenstand der auf Legalität beschränkten Schuld-
zurechnung ist.
Die Situation wäre indessen nicht ausweglos, wenn es einen Grund gäbe,
der den einzelnen an die Norm bindet, ohne die Freiheit des Befolgungsmo-
tivs einzuschränken. Die Norm dürfte einerseits kein äußerlicher, heterono-
mer Befehl sein, andererseits aber auch den Adressaten nicht auf Grund einer
vorrechtlichen Autonomiemoral auf ihre Befolgung festlegen. Demnach ist
nach Bedingungen zu suchen, unter denen sich die Legitimität der Norm für
den Adressaten bereits aus ihrer Legalität ergibt. Nur dann ist materiale
Schuld rein auf Legalität bezogen, frei von sittlichen, moralischen oder wert-
ethischen Implikationen, irreduzibel normativ und doch nicht funktional,
weil sie auf die Legitimationsbedingungen der Legalität und nicht auf derenFunktion bezogen ist
39.
Ein so umschriebener Schuldbegriff ist inhaltsreich und muß von den
rechtstheoretischen Voraussetzungen bis zu seiner dogmatischen Ausgestal-
tung begründet werden. Dies kann hier nur geschehen, indem der Begrün-
dungsweg anhand einiger Antworten auf Schlüsselfragen markiert wird.
Begonnen sei mit der Klärung der handlungstheoretischen Grundlagen.
2. Handlungstheoretische Grundlagen
Normen begrenzen den Bereich faktisch möglichen Verhaltens um der
Schaffung einer Ordnung des Zusammenlebens willen; sie dienen - neben
anderen Loyalität erzeugenden Gemeinschaftsfaktoren wie Familie, Traditi-
on, Kultur oder Religion- der sozialen Integration40
. Durch soziale Integra-
tion wird neben der natürlichen Welt eine soziale Welt konstituiert, die, um
39Selbstverständlich ist der so verstandene (straf-)rechtliche Schuldbegriff moralischer
Kritik und Legitimation zugänglich; Moral ist für ihn nur nicht konstitutiv. Z u einemVersuch, den Demokratiegedanken für den strafrechtlichen Schuldbegriff frucht bar zu
machen, vgl. auch Munoz Conde, GA 1978,65, 73 ff.40
Besonders dichten L oyalitätsverhältnissen kann das Recht um deren sozialer Integrati-
on willen in zweifacher HinsichtRechn ung tragen: Es kann entweder spezifische Loya-
litäten „verrechtlichen", wie dies bei institutionellen Garantenstellungen der Fall ist,
oder solchen Loyalitäten- wieetwa bei Entschuldigungsgründen - den Vorrang vor
rechtlicher Mindestsolidarität einräumen (vgl.hierzu unten I I I3 ) .
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Rechtstreue alsSchuldkategorie 713
mit Habermas zu sprechen, „aus institutionellen Ordnungen (besteht), die
festlegen, welche Interaktionen zur Gesamtheit jeweils berechtigter sozialer
Beziehungen gehören"41
.
Soziale Integration gelingt, wenn die Beteiligten ihr Verhalten auf den Be-
reich des Gesollten einschränken. Da jedoch der durch Normen ausgegrenz-
te Bereich des Möglichen existent bleibt, ist abweichendes Verhalten nicht -
wie etwa die Mißachtung mathematischer Regeln - eo ipso sinnlos, sondern
potentiell sinnhaft. Jede Abweichung, die zeigt, daß es jenseits des Gesollten
eine mögliche Welt gibt, zeigt die Zerbrechlichkeit sozialer Integration auf
und wirkt potentiell desintegrierend. Und zwar potentiell, weil die Abwei-
chung auch als Zufall, Unglück oder verzeihliches Mißgeschick gedeutet
werden kann, kurz: als ein Verhalten, das selbst keinen Sinn beansprucht und
daher auch den Sinn der Norm nicht in Frage stellt . Desintegrierend ist
vielmehr nur ein solches Verhalten, das als kommunikativer Akt eines zur
Kommunikation fähigen Subjekts Sinn beansprucht und damit den Bereich
des sinnhaft Möglichen über die konsentierte Grenze hinaus ausweiten will.
Das Kriterium dafür, wann einem Verhalten diese Bedeutung zukommt undwann nicht, ist dieSchuld. Schuldhaftes Verhalten ist - ganz allgemein - ab-
weichende, aber sozial verständliche Sinngebung.
Die Berechtigung, Schuld in diesem Sinne zu interpretieren, leite ich aus
der Annahme ab, daß soziale Integration über diskursive Verständigung
lauft. Da diese Annahme im Zentrum meiner Rekonstruktion des Schuldbe-
griffs steht und zudem die weitere - wenn manso will: „alteuropäische" -
Differenz zum Funktionalismus markiert, seien - im Anschluß an die von
Habermas erarbeitete Theorie kommunikativen Handelns - zunächst die
beiden Grundbegr i f fe des erfolgsorientierten und des verständigungsorien-
t ierten Handelns kurz erläutert und voneinander abgegrenzt.
4' Hahermas, Vorstudien un d Ergänzungen zur Theorie d es kommunikat iven Handelns ,
1984, S. 585.42Daher ist ein mangelnder Normbefolgungswille nicht per se belastend, nämlich dann
nicht, wenn dasVerhalten keiner rationalen Deutung zugänglich - vor allem: nicht von
einem Zweck getragen - ist; dann steht es nicht in Sinnkonkurrenz zur Norm.43
Zu den geschichtsphilosophischen Grundlagen einer Normativierung des Schuldbe-griffs vgl. Oelmüller, in : Baumgartner u. a. (Hrsg.), Schuld un d Verantwortung, 1983,
S. 9 ff.44
Vgl. hierzu und zum folgenden vor allem Habermas^ Theorie des kommunikativen
Handelns, 2 Bde.,1981 ; d e r s . > Vorstudien un d Ergänzungen zur Theoriedes kommuni -
kativen Handelns, 19 84 , S. 59 5 ff. und passim; ders.^ Faktizität und Geltung, 1992.
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714 UrsKindhäu s e r
Erfolgsorientiertes oder instrumentelles Handeln ist ein Verhalten, bei
dem der Täter Mittel einsetzt, um ein willkürlich gewähltes Ziel zu errei-
chen. Der Aktor betrachtet hierbei seine Umwelt - auch dritte Personen -objektivierend, d. h. als fördernde oder hindernde Faktoren seines Hand-
lungsplans. Demgegenüber ist verständigungsorientiertes oder diskursives
Handeln auf dieErzielung von Übereinstimmung - vonKonsens - bezogen.
Die Beteiligten verfolgen ihre Ziele nicht ohne Berücksichtigung der Inter-
essen anderer, mit der Folge, daß im Interessenkonflikt der Stärkere obsiegt,
sondern sie versuchen, sich zu verständigen; die jeweiligen Interessen wer-
den über das Medium der Sprache koordiniert.Dies setzt voraus, daß die Beteiligten nicht die Rolle von beschreibenden
Beobachtern, sondern von Teilnehmern (Sprechern/Hörern) übernehmen,
die selbst Ansprüche geltend machen und für deren Einlösung einstehen
wollen. Die Verständigung lebt vom Perspektivenwechsel : Nur wenn wir
wechselseitig die jeweilige Bereitschaft unterstellen, den oder die anderen als
Personen anzuerkennen, die jeweils fähig und berechtigt sind, freie und glei-
che Stellungnahmen mit Ja oder Nein zu akzeptieren oder abzulehnen46
, istrationales Argumentieren möglich. Verständigungsorientierte Kommunika-
tion verlangt also, daß sich die Beteiligten wechselseitig Zurechnungsfähig-
keit zuschreiben47. Erweist sich diese Zuschreibung für einen Beteiligten als
unberechtigt, wechselt dieser Beteiligte in die Rolle des Beobachters mit ob-
jektivierender Einstellung.
Bei der Verständigung über die Koordination von Interessen trägt Ego
nicht nur seinen Standpunkt vor, sondern muß, damit Kommunikation über-
haupt gelingt, einen Perspektivenwechsel vornehmen. Damit Ego sich so äu-
ßern kann, daß Alter ihn versteht, muß sich Ego erst in die Rolle Alters ver-
setzen und sich aus dessen Perspektive betrachten. So erlangt Ego wiederum
individuel les Selbstverständnis: Ego lernt sich selbst und seine Interaktions-
rolle erst durch Übernahme der Rolle anderer verstehen. Beim diskursiven
Prozeß der Verständigung über Handlungskoordination geht es also weder
um eine atomistische Subjektivität noch um eine Preisgabe der Individualität
durch Einfügung in ein Kollektiv, sondern um die Gewinnung von individu-
45Vgl. aus em pirisch-genetischer Sicht auch Dux,D er Täter hinter dem Tun, 1988, S. 43 ff.
46 Vgl. Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie,
1976, S. 497, 518 ff.47 Vgl.zu den wechselseitig zugeschriebenen Bedingungen von Personalität Kindhäuser,
G A 1989, 493, 500 ff.; juristischen Personen kommt,wonach Häußling in der D iskus-sion fragte, diese Personalität „naturgemäß" nicht zu.
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Rechtstreue als Schuldkategorie 715
eller Autonomie durch Perspektivenwechsel: Die Einnahme der Rolle ande-
rer ist notwendig zur Findung und Konstitution eigener Identität .
Die Rationalität, die die verständigungsorientierte Kommunikation ver-
langt, ist nicht instrumenteller Natur. Wer sich darauf einläßt, diskursiv
Wahrheits- oder Geltungsansprüche zu begründen, drückt damit schon aus,daß sich Wahrheit und Geltung nicht durch Täuschung oder Überzeugungs-
manipulationen finden lassen. Mit der Aufnahme eines rationalen Gesprächs
wird also implizit das Prinzip anerkannt, daß nur der Zwang des besseren
Arguments gilt . Es ist dies das Diskursprinzip der Gleichberechtigung und
solidarischen Mitverantwortung aller Beteiligten . Anerkennung heißthierbei nicht, daß dieses Prinzip als bereits realisiert anzusehen sei, sondern
nur, daß es als regulative Idee der Verständigung gelten soll: Es wird kontra-
faktisch antizipiert alsBedingung der Möglichkeit - und zwar der wohl ein-
zigen Möglichkeit - gewaltfreier Lösungen von Interessenkonflikten.
Nun können einzelne Sprechaktsituationen wegen ihrer Unsicherheitsfak-
toren, vor allem wegen des Dissensrisikos, noch keine soziale Ordnung her-
be iführen und stabilisieren. Auch die Lebensform im Sinne Wittgensteins ,̂also der unausgesprochene Hintergrundkonsens von gemeinsamen Deu-
48 Daß das Su bjek t durc h ko m m unikative n Perspektivenwech sel seine Identität findet,schließt - entgegen Maiho f ers Einwand in derDiskussion - gewiß nicht Reflexion dur chVernunftgebrauch aus, und zwar in den de m Subjekt von der Sprache gesetzten Gren-zen; vgl. Wittgenstein, Tractatus (Schriften, Bd. 1), 1960, Satz 5.6: „Die Grenzen meinerSprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.".
49
E s geht um die Anerkennung eines Prinzips, nicht um eine D eutung der Beteiligten alsVernunftsubjekte der idealistischen Philosophie, w'ieM üssig, Schutz abstrakter Rechts-güter und abstrakter Rechtsgüterschutz, 1994, S. 127 ff., gegen Habermas einwendet.
50 Meinem Ansatz liegt keine Diskursethik mi t Letz tbegründungsanspruch zugrunde.Vie lmehr gehe ich von einem kri t ischen Rationalismus aus, der besagt, daß diskursivnach gerechten Handlungskoordinationen zu suchen ist, die aber keinen Richtigkeits-anspruch haben, sondern im Gegenteil sowohl hinsichtlich der Tatsachen als auch derWer tungen einem steten Prozeß der kri ti schen Ü be rp rüf ung unterwo rfen bleiben.
31 Vgl. nu r Philosophische Untersuchungen (Schriften, Bd. 1), 1960, §241; hierzu auchKindhäuser, Intentionale Handlung, 1980, S. 41 m. w. N. Vgl. auch den - theoretischweiter entfalteten - Begriff der Lebenswelt beiHabe rmas , Faktizität und Geltung, 1992,S. 37 ff.: Die Lebenswelt ist ein durch Kommunikation reproduzierter Zusammenhangineinander versch ränkter kultureller Üb erlieferungen, legitimer Ordnungen und perso-naler Identitäten. Zu r Lebe nswelt gehören auch Institutionen, die m it einem una nfe ch t-baren Autoritätsanspruch auftreten (Inzesttabu) und bei denen Faktizität und Geltungverschmelzen; die Geltung hat die Kraft des Faktischen. Diese Einebnung der Spannungzwischen Faktizität und Geltung verleiht der aus der Lebenswelt geschöpften Gewiß-heit ihre Stabilität und im m un isiert sie gegen den Druck kontingenzerzeugender Erfah-rung.
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716 Urs K i n d h ä u s e r
tungsmustern und Loyalitäten, der jeder sprachlichen Verständigung zugrun-
de liegt52
, vermag diese Stabilität nicht zu vermitteln, zumal im Zuge der ge-
sellschaftlichen Evolution der Bereich nicht problematisierter Gewißheiten
und tabuisierter Handlungsformen schrumpft. Im Verhältnis dazu wächstder
Bereich individueller Freiräume, und diese Freiheiten bedürfen, soweit sie im
sozialen Raum aufeinanderstoßen, der normativen Koordinierung, auf die
sich die Beteiligten verständigen. Diese Verständigungsleistung sozialer In-
tegration übernimmt in einer säkularisierten Welt maßgeblich das Recht53
.
3. Legalität und Legitimität
Das Recht trägt zur sozialen Integration durch die doppelte Geltungsweise
seiner Normen bei. Zum einen kann dasRecht den Zugang zum außerhalb des
Gesollten liegenden Bereich des Möglichen mit den ihm eigenen Zwangsmit-
teln versperren. Insoweit wird der Handlungsspielraum des einzelnen fak-
tisch auf den Bereich des Gesollten begrenzt, und zwar auf einer instrumen-
teilen Ebene. Es ist dies der äußere Aspekt des Rechts im SinneKants^, die
äußere Normkonformität des Verhaltens, das Handeln auf legalem Boden.
Wenn es zum anderen aber zutrifft , daß soziale Integration über verstän-
digungsorientiertes Handeln läuft, dann ist zwar instrumenteller Zwang
conditio sine qua non für die Sicherung der Grenze zwischen Legalität und
Illegalität, aber allenfalls in sekundärer Weise. Die Hauptlast der Koordina-
tion von Freiräumen trägt der diskursive Prozeß, dessen Gegenstand die
richtige Grenzziehung ist. Auch dieser Prozeß entfaltet, wie bereits erwähnt,
Bindungs- und vor allem Selbstbindungswirkungen, und zwar allein schonaufgrund seiner pragmatischen Regeln; die Beteiligten an der verständi-
gungsorientierten Kommunikation erklären sich jeweils zuständig für die
Einlösung der von ihnen erhobenen Ansprüche. Die wechselseitige Zu-
schreibung der Fähigkeit und des Willens, übernommene Bindungen ein-
und durchzuhalten, ist das rechts- und kommunikationstheoretische Pen-
dant zur metaphysischen Willensfreiheit.
Die Dimension der sozialen Integration, die ihr über die Faktizität der
Ordnung hinaus Sinn, Rationalität und Gerechtigkeit verleiht, ist die Di-
mension der Legitimität. Diese Dimension ist, um es zu wiederholen, keine
bloß redundante idealisierende Ausschmückung, die die Faktizität des
52Vgl. auch Searle, Ausdruck und Bedeutung, 1982, S. 139 ff.
53Vgl. hierzu und zum folgenden vor allem Hahermas, Faktizität und Geltung, 1992,
S. 41 ff., 61 ff. und passim.54
Vgl. Metaphysik der Sitten (Anm. 2), S. 324.
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Rechtstreue alsSchuldkategorie 717
Rechts nur mit metaphysischem Blutenstaub verziert, sondern als Dimensi-
on der Binnenperspektive bei der Verständigung über Normen das primäre
Moment sozialer Integration. Max Weber hat verdeutlicht, daßgesellschaft-
liche Ordnungen nur als legitime von Dauer sind, weil bloße Verhaltensre-
gelmäßigkeiten aufgrund von unreflektierter Eingewöhnung oder bestimm-
ten Interessenlagen noch keine Ordnung konstituieren. Vielmehr sollen Ver-
haltenserwartungen vor allem dann eine empirische Chance auf Bestätigung
haben, wenn ihnen das Einverständnis sinnhafter Gültigkeit zugrunde
liegt55
. Dieser Geltungskonsens verlangt zwar nicht, daß Normen um ihrer
Legitimität willen befolgt werden, aber die Normen müssen doch den Be-troffenen als gültig vorschweben . Die Erwartung, daß Normen befolgt
werden, ist nicht als bloße Prognose eines künftigen Ereignisses zu verste-
hen, sondern impliziert auch denv gefühlsmäßig verankerten normativen
Sinn, berechtigt zu sein . Die sozialintegrative Kraft des Rechts kann sich
bei dieser Sicht also nur entfalten, wenn sich zu der durch Sanktionierung
garantierten faktischen Befolgung der Normen deren Legitimität gesellt.
Dementsprechend muß selbst ein funktionaler Schuldbegriff, der seinen
Gegenstand aus der Beobachtung der normstabilisierenden Mechanik von
Zurechnung bestimmen will, die Integrationsleistung des Legitimitätsdis-
kurses in sich aufnehmen . Insoweit liegen auch Horrorgemälde einer
Funktionalisierung des Strafrechts neben der Sache59
. Der funktionale
55Max Weber, Wirtschaft un d Gesellschaft, 1956, S. 22 f.; vgl. bereits Rousseau, Der Ge-
sellschaftsvertrag, 1. Buch, 3. Kap itel; vgl.auch Habermas, Vorstudien un d Ergänzun-gen zur Theorie des kommunikat iven Handelns, 1984, S. 577 f., m. w. N.56
Vgl. V7efo?r (Anm.55) ,S .23.57
Vgl. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, 1991,S. 1 44 f.58
Das wird vonJakobs nicht nur nicht geleugnet, sondernm it seiner Formel vom Schuld-prinzip als Bestandsbedingung gesellschaftlicher O r d n u n g klargestellt (vgl. nur Das
Schuldprinzip, 1993,S. 8 und passim). Nicht stimmig ist es daher, wenn Hirsch diesem
Ansatz einerseits vo rwirft, die Abhängigkeit d es Schuldprinzips von der jeweiligen Ver-
fassung der Gesellschaft führe zu einer völligen M anipulierbarkeit des Schuldbegriffs,
zumal zeitweilige geistige Verirrungen der Durchschnittsbürger (Hexenwahn, Rassen-
ha ß etc.)nicht auszuschließen seien, and ererseits aber die für den traditionellen Schuld-begriff maßgebliche Willensfreiheit in dem gelebten allgemeinen Selbstverständnis der
Rechtsadressaten verankert und sogar postuliert, „daß mit den Strafandrohungen undauch der Strafe selbst in besonderem Maße an dieses Selbstverständ nis des Menschen an-geknüpft wird"; ZStW 106 (1994), S. 746, 753, 763.
09Vgl.d ie nüchterne und m it Vorurteilen aufräumende Analyse v on Frisier, D ie Struktur
des „voluntativen Schuldelements", 1993, S. 74 ff., 95 ff. und passim; vgl. aber auch zu
instrumentalisierenden militaristischen Ansätzen Burkhardt, in : Baumgartner u. a.(Hrsg.), Schuld und Verantwortung, 1983, S. 51, 63 ff.
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718 UrsKindhäu s e r
Schuldbegriff ist allerdings dem Einwand ausgesetzt, daß sich aus der Beob-
achterperspektive der Sinngehalt der Binnenperspektive nicht adäquat re-
konstruieren läßt, genauer: daß sich systemische Funktionen nicht bruchlos
in Normen und Zweck-Mittel-Relationen umsetzen lassen60
. Ein einfaches
Beispiel: Aus der extern zu konstatierenden Stabil isierungsfunktion von
Dunkelfeldern läßt sich k aum ableiten, daß d ie Strafverfolgung intern nur
selektiv vorgehen solle oder wolle . Gerade w enn also Sch uldzu rechnu ng
konzeptuell in einen Zusammenhang mit der sozialintegrativen Aufgabe des
Rechts gestellt wird, kom mt der auf Legitimität bezogenen Binnenperspek-
tive die tragende Rolle zu62
.
I I I . Rechtstreue in der sozial- u n d rechtsstaatlichen Demokratie
l. Kom mu nikative Autonomie und komm unikative Loyalität
D amit stellt sich d ie Frage, wie die schuldre levante Leg itimität von No rm en
in deren Legalität einfließen kann. Au sgangspu nkt einer Antwort ist die A n-
nahme, daß es in einer säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft keineinhaltlichen Gründe a priori gibt, die verhaltensregu lierende Nor me n legiti-
mieren . Legitimität kann daher nur abgeleitet werden aus der Autonomie
der am Prozeß der sozialen Integration Beteiligten. Dam it ist zugleich vor-
ausgesetzt, daß der einzelne nich t als Mittel zur Durch setzung h eteronomer
Zwecke - etwa demWillen Dritter, einer objektivierten Gemeinwohlorien-
t ierung oder Systemnützlichkeit - untergeordnet werden darf.
Mit dem Abstellen auf Autonomie ist keine Rückkehr zu einer subjektivi-
stischen Vernun ftgesetzgebu ng verbu nden. Geht man von der Aufgabe des
60Vgl. auch Frister (An m . 59), S. 80 ff.; Neumann, ZStW 99 (1987), S. 567, 592 f.; Oelmül-
ler (Anm . 43), S. 12; Schild, GA 1995, 101, 119 f. Der gleiche Einw and betrifft die sog.ökonomische Analyse des Strafrechts. Deren teilweise eindrucksvolle Erklärungen -
vgl. nu r Adams/Shavell, G A 1990,337 ff . - ändern nichts an demUmstand ,daß das Mo-
dell den Sinn von Schuldzuschreibung und Strafdistribution aus der Binnenperspektivenicht adäquat rekonstruiert.
61 Zu de m lassen sich aus der Beobach terperspektive auch keine K riterien der Auslegung
formulieren, was namentlich bei neuen , noch nicht im plementierten und damit „funk-
t ionierenden" Normen auf der Hand liegt. Zur einschlägigen Problematik der Dunkel-feldforschung vgl.Kreuzer, NStZ 1994,10 f., m. w. N.
62Dies folgt auch schon daraus, daß Normstabilität ein quantitativer Begriff ist, dessenstrafrechtsspezifische Festlegung nur normativ erfolge n kann.
63Vgl. auch Roxin, Strafrechtliche Grund lagenproble me , 1972, S. 12 f.; vehem ent vertre-tene Gegenposition bei Naucke, in : Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M.
(Hrsg.), Vom unmö glichen Zustand des Straf rechts, 1995, S. 483 ff.
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Rechtstreue als Schuldkategorie 719
Rechts aus, soziale Integration zu leisten, und zwar nicht irgendwie, sondern
gerecht, alsodie Interessen aller Betroffenen berücksichtigend, dann scheidet
eine Bestimmungder Handlungskoordination nach Maßgabe individueller
Vernunft aus64
. Hierbei wird nicht etwa bestritten, daß die Freiheit Egos mit
derjenigen Alters in ein reziprokes Verhältnis zu setzen ist, sondern nur, daß
die Bestimmung dieses Verhältnisses, also die Ziehung der Grenze, individu-
ellen Vernunftschlüssen überlassen bleiben kann. Denn diese Vernunft-
schlüsse müssen sich nicht decken65
, so daß es, wenn die individuelle Ver-
nunf t das letzte Wort hat, zu keiner konsentierten Grenze der Freiheiten
kommen muß und Alter dann doch, wenn Ego der Stärkere ist, heteronom
bestimmt wird . Die angemessene und beiden Seiten gerecht werdende
Grenze kann nur durch Verständigung erzielt werden. Diese Verständigung
muß auf Loyalität im Sinne solidarischer Mitverantwortung an ihrem Gelin-
gen beruhen, ohne daß die Freiheit des einzelnen zugunsten patriotischer Tu-
gendpflichten verdrängt wird. Es ist deshalb nach einem Modell zu suchen,
das diskursive Kooperation mit subjektiven Freiheitsrechten verbindet.
Der Grundbegriff verständigungsorientierter Handlungskoordination istdie kommunikative Autonomie des einzelnen. Damit ist die wechselseitig
zugeschriebene Fähigkeit und Berechtigung gemeint, als freier und gleicher
Teilnehmer an verständigungsorientierter Kommunikation zu Geltungsan-
sprüchen Stellung nehmen zu können und zu dürfen .
64 Kurz und treffend Günther, K J 1992,178,193 f. Daß ein Vernunftliberalismus m it reli-giösen oder ethischen Vorstellungen konfligieren kann, zeigt Fletcher, Loyalität, 1994,
S. 8, anhand der (möglichen) Inkompatibilität von universalistischer Moral und derV orstellung eines Bundes zwischen Gott und dem jüdischen Volk auf.
65Vgl. auch Zaczyk, ARSP-Beiheft 56 (1994), S. 105,120: „Wo die Linie zwischen meinerRechtssphäre und der des anderen verläuft, vermag ich nicht mit Gültigkeit für den an-
deren anzugeben." Zu den Gründen gehö ren z. B. die von Rawls aufgezeigten „Bürden
der Vernunft"; vgl. den., Die Idee des politischen Liberalismu s, S. 336 ff.; vgl. auch Geis,
JZ 1995, 324, 329 f.66
In der Theorie wird das Problem umgangen, indem der Theoretiker ahistorisch-speku-lativ ein Modell entwickelt, wie und worauf sich die Vernünftigen kraft (wessen?) Ver-
nunft notwendig (? ) einigen; beispielhaft W o l f f , ZStW 97 (1985), S. 786, 814 ff. Der ge-
samte Prozeß der sozialen Integration — samt der sich erst in diesem Prozeß herausbil-denden subjektiven wie intersubjektiven Vernünftigkeit - wird ausgeblendet. Zutreffend
dagegen Zippelius, Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, 1994, S. 72: „DasRecht, das die Freiheiten der Menschen äußerlich gegeneinander abzugrenzen hat, is tnicht als Schema vö lliger Koexistenz individueller moralischer Autonomie realisierbar."
67Vgl.auch Günther, in : Koller u. a. (Hrsg.), Theoretische Grundlagen der Rechtspolitik,ARSP-Beiheft 51 (1991), S. 58 ff.
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720 Urs Kindhäuser
B ei derVerständigung über Normen - also auf Dauer gestellter, allgemein-
gültiger Handlungskoordinationen - nimmt jeder derTeilnehmer eine Dop-
pelrolle ein. Einerseits ist er Autor der Norm, andererseits macht er sich zu-
gleich zum Adressaten der Norm, die ihm seinen Handlungsspielraum zu-
weist. Als jemand, der Normen festlegt, besitzt der Beteiligte öffentliche Au-
tonomie. Als jemandem, dem qua Verständigung Handlungsspielräume zu-
gewiesen werden, kommt dem Beteiligten dagegen private Autonomie zu;
nur er bestimmt noch, wie er seinen Handlungsspielraum nutzt. Öffentliche
und private Autonomie sind, so gesehen, nur die zwei Seiten kommunikati-
ver Autonomie bei der Verständigung über Handlungskoordinationen.
Für das Modell kooperativer Verständigung kraft kommunikativer Auto-
nomie ist ein bestimmtes Maß an Loyalität notwendig, das die Bereitschaft
umfaßt, jedem von einem behaupteten Geltungsanspruch Betroffenen die
Möglichkeit der Stellungnahme einzuräumen. Ohne diese Mindestsolidari-
tät kann Verständigung nicht gelingen. Diese notwendige Voraussetzung
verständigungsorientierter Handlungskoordination sei kommunikative
Loyalität genannt.Die bislang skizzierte diskursive Seite des Modells trägt deutlich kommu-
nitaristische Züge; es geht um die Ermöglichung gemeinsamer Freiheit
durch Kooperation. DasWesen dieser - wenn man sowill: positiven - Frei-
heit ist nach dem Kommunitarismus-Theoretiker Taylor „die Partizipati-
on an der Selbstregierung", und diese Teilnahme „wird als Fähigkeit angese-
hen, zumindest zeitweise an der Formierung eines herrschenden Konsenses
beteiligt zu sein, mit dem man sich zusammen mit anderen identifizieren
kann". Insoweit wird, so Taylor^ von uns „eine gemeinsame Treue zu und ei-
ne gemeinsame Sorge für bestimmte historische Institutionen als gemeinsa-
m es Bollwerk unserer Freiheit und Würde als Bürger" gefordert.
Es ist jedoch noch das andere Element des Modells zu sehen, wenn Hand-
lungskoordinationen in der Form des Rechts getroffen werden. Dann wird
Autonomie verrechtlicht, und zwar öffentliche wie auch private. Die Betei-
ligten nehmen in Form von Rechten an der Verständigung teil und verstän-
digen sich zugleich über Recht, und hier vor allem wieder über subjekt ive
Rechte69.
68Charles Taylor, in: Honneth (Hrsg.), Kommunitar ismus , 1993, S. 126 f.
69Zur Gleichursprünglichkeit privater und öffentlicher Autonomie vgl. Günther,
KJ 1994,470; Habermas, Faktizi tät und Geltung, 1992,S. 1 09 ff. Kritisch hierzu Blanke,KJ 1994, 439,455 ff.; Köhler,Rechtsphilosophische Hefte 1994,133 f.; Kupka, K J 1994,461.
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Rechtstreue als Schuldkategorie 721
Das subjektive Recht ist als solches nicht aus der intersubjektiven Ratio-
nalitätdes Diskurses ableitbar, und zwar schon deshalb nicht, weil das sub-
jektive Recht negative Freiheit impliziert: Subjektive Rechte sind, nament-
lich als Menschenrechte, auch Abwehrrechte. Sie gestatten Teilhabe, aber
auch Verweigerung und damit Distanzierung von intersubjektiver Rationa-
lität; ein negatives Freiheitsrecht ist auch ein Recht auf Irrationalität . Inso-
weit geht ein dissoziatives Element - oder in den Worten Hegels: ein Mo-
ment der Entzweiung - in die notwendig auf rationale Kooperation ver-
wiesene soziale Integration ein. Die demokratisch verfaßte Gesellschaft, die
sich im Wege des rechtsförmigen Diskurses konstituiert und stetig reprodu-ziert, scheint also gewissermaßen den Sprengsatz ihrer Atomisierung und ih-
res Auseinanderbrechens in sich zu tragen.
Negative Freiheitsrechte lassen sich jedoch, wie vor allem Klaus Gün-
ther aufgezeigt hat, ohne inhaltliche Abstriche so interpretieren, daß sie
mit dem Modell der rechtsförmigen Verständigung zu vereinbaren sind.
Subjekt ive Rechte haben unter dem Aspekt kommunikativer Autonomie
zwei Seiten. Zum einen kann der Berechtigte im Rahmen seines Rechts in-strumentell tun und lassen, was er will. Er ist, soweit er sich in seinem Recht
bewegt, von kommunikativer Loyalität entbunden: Er muß nicht die Stel-
lungnahme anderer einholen oder beachten. Diese Seite des subjektiven
Rechts ist die des kommunikativen Freiraums. Zum anderen impliziert die
Wahrnehmung eines Rechts die Zustimmung der Betroffenen zu dem jewei-
ligen Handeln. Denn das subjektive Recht ist ja aus der normativen Abstim-
m un g mit anderen hervorgegangen, ist also gespeicherte Verständigung. Die
Wahrnehmung eines subjektiven Rechts schließt damit die Verletzung der
kommunikativen Autonomie anderer aus . Insoweit läßt sich das subjekti-
ve Recht definieren als vorweggenommene Zustimmung zur Ausübung in-
strumentel ler Freiheit . Diese Überlegung gilt gleichermaßenfür subjektive
pr iva te und öffentliche Rechte, d ie sich nur auf unterschiedliche Gegen-
s tandsbereiche beziehen.Es versteht sich zudem, daß kraft kommunikativer
70Vgl. Wellmer, Endspiele: Die unversöhnliche Moderne, 1993,S. 39, 47.
71Hegel) Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. von Moldenhauer u .a . , 1986,§ 184 (S. 340).
72G£«i£er ,KJ1994,470 .
73Die Möglichkeit des Mißbrauchs eines subjektiven Rechts ist damit selbstredend nicht
ausgeschlossen.74 Vgl. hierzu auch Hahermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 112, unter Berufung auf
von Savigny.
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722 UrsKindhäuser
Autonomie Kompetenzen auch auf überindividuelle bzw. kollektiveInstitu-
tionen übertragen werden können.Mit dem Verlassen des Freiraums, der durch das subjektive Recht zuge-
ordnet wird, lebt die Bindung an kommunikative Loyalität wieder auf. Das
Verlassen des Freiraums ist nur dann nicht illoyal, wenn es im Wege der Ver-
ständigung geschieht; es gilt das Prinzip „volenti non fit iniuria". Verläßt der
Handelnde dagegen seinen Freiraum instrumenteil, so verletzt er die kom-
munikative Autonomie des oder der Betroffenen, und zwar namentlich
dann, wenn er in Rechte Dritter eingreift. Der Normbruch, das illegale Ver-
lassen des eigenen kommunikativen Freiraums, verletzt bei genauerem Hin-
sehen die kommunikative Autonomie der anderen in zweierlei Hinsicht.
Zum einen ist die Normbefolgung aller notwendige Bedingung der Akzep-
tabilität der Norm. Es ist dies die allgemeine Rationalitätsbedingung von
Normen; nur unter der Voraussetzung, daß Ego und Alter die Norm auch
befolgen, können Ego und Alter der Norm jeweils zustimmen. Zum anderen
verletzt der Normbruch die Möglichkeit der davon Betroffenen, zu dem
fraglichen Verhalten Stellung zu nehmen. Der Normbruch instrumentali-siert andere durch Abbruch und Verweigerung von Kommunikation; er ne-
giert mithin gewaltlose soziale Integration durch loyale Verständigung.
2. Demokratische Legitimation
Wie verhält sich nun dieses Modell loyaler Verständigung zur demokrati-
schen Setzung von Verhaltensnormen? Der demokratische Prozeß der
Normsetzung muß weder notwendig zu einem gerechten Ergebnis kommennoch nach der Entscheidung beendet sein75. Die Vernünftigkeit der Norm
ist vorläufig und grundsätzlich fallibel. Die Demokratie kann nur die Vor-
aussetzungen für eine interessenberücksichtigende Verständigung schaffen,aber keine endgültig bindenden Übereinkünfte liefern. Hierbei interpretiere
ich Demokratie nicht nur als Volkssouveränität, sondern auch und gerade alsHerrschaft des Rechts. Dies bedeutet, daß soziale Integration durch demo-
kratische Verständigung ein offener Prozeß der Meinungsbildung ist , in
75 Zum Verhäl tnis von Diskurs und Demokratie - kritisch, aber auch bereichsweise klä-rend - Scheit, Wahrheit, Diskurs,Demokratie, 1987, S. 370 ff.
76 A llerdings sind in der abendländischen Rechtsentwicklung die Moralprinzipien selbstweitgehend konstant. Ä nderungen ergeben sich daraus, daß die jeweils relevante Tatsa-chenbasis sich wandelnden Beurteilungen unterliegt; vor allem ändert sich die Einschät-zung dessen,w as gleich und was ungleich ist. So sind etwa die revidierten Anschauun-gen der letzten Jahrzehnte über Homosexuali tä t , die gesellschaftliche Rolle von Frauen
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Rechtstreue alsSchuldkategorie 723
dem es nur nautische Positionen gibt. In den Worten Martin Krieles : „Al-
les ist in Bewegung. Auch der festgehaltene Standpunkt ändert seine Funk-tion durch die Bewegung der Umwelt.... Niemand kann je sagen, seine An-
sicht sei absolut vernünftig. Es gibt nur Grade von Vertretbarkeit und Plau-
sibilität. Dafür gibt es keinen anderen Maßstab als den der möglichst breiten
und dauerhaften Zustimmung." Die Legitimität der Norm ergibt sich also
aus ihrer Überprüfung im demokratischen Verfahren, durch „challenge and
answer", freilich immer vor dem Hintergrund des Erfahrungsschatzes der
Rechtsentwicklung. Eckstein dieses Erfahrungsschatzes interessengerechter
sozialer Integration ist die Verfassung.
Um also nicht mißverstanden zu werden: Ich plädiere nicht für eine
schlichte Ersetzung rechtlicher Legitimationskriterien durch schiere Mehr-
heitsentscheidungen. Ausgangspunkt ist vielmehr die Überlegung, daß Nor-
men dann inhaltlich gültig sind, wenn ihnen jeder Betroffene zustimmen
kann. Dieses Gültigkeitskriterium ist jedoch - parallel zum Induktionspro-
blem in den Naturwissenschaften - in der Endlichkeit unseres Handlungs-
und Erfahrungshorizontes nicht einlösbar. Insoweit ist jede Norm fallibel,und wir müssen uns darum bemühen, sie zu falsifizieren, also nach Fällen zu
suchen, in denen sie den Interessen möglicher Betroffener nicht gerecht
wird; institutionalisiert ist dies vornehmlich Sache der parlamentarischen
Opposition, informell aber auch Aufgabe der Rechtswissenschaft und der
Medien. Je aussichtsloser die Suche verläuft, desto eher ist zu vermuten, daß
die Norm allgemein zustimmungsfähig ist, wie dies etwa für den Kernbe-
stand strafrechtlicher Verhaltensnormen - z. B. Totschlag oder Vergewalti-
gung - zutrifft78
.
Gleichwohl gilt: Soweit die prozeduralen Verfahren der Normsetzung
über Rechte laufen - Wahlrecht, freies Mandat usw.-,hat der Berechtigtein-
strumentelle Freiheiten und muß nicht verständigungsorientiert handeln.
Das ist parlamentarischer Alltag. Wir können zwar den Abgeordneten und
damit der Mehrheit ansinnen, auf Konsens hin zu argumentieren, aber wir
und K indererziehung nicht auf eine Veränderung der M oralprinzipien, sondern auf eine
Revision von Tatsachenannahmen zurückzuführen, beispielsweise auf die Erkenntnisdes Irrtums, Kinder durch körperliche Züchtigungzu anständigen Menschen machen
zu können. Vgl. auch Wellmer, Ethik und Dialog, 1986, S. 122 ff.77 WdStRL 29 (1971), S. 46, 53.'8
Da diese Normen konstitutiv für unsere Lebensform sind, besteht bezüglich ihrer Gül-tigkeit ein in der Regel nicht them atisierter Hintergrundkonsens, was wiederum dazuführt , da ß ihnen „naturrechtliches" Prestige zuerkannt wird, jedenfalls aber ein Ver-botsirrtum nahezu ausgeschlossen erscheint.
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724 Urs K i n d h ä u s e r
können sie nicht auf eine entsprechende Motivation verpflichten, weil auch
hier das Neutralitätsgebot uneingeschränkt gilt. Die prinzipielle und struk-turell, d. h. rechtsimmanent, gar nicht zu behebende Möglichkeit einer Dik-
tatur der Mehrheit kann nur rechtsförmig eingeschränkt werden: durch ver-
fassungsrechtliche Grundaussagen, die vor politischen Stimmungsschwan-
kungen geschützt werden, durch Rechte, die Persönlichkeits- und Minder-
heitenschutz gewähren, durch Verfahrensregelnund Regeln des „fair play",
durch Begründungsansprüche und -pflichten, durch die institutionalisierte
Rollendistanz von Entscheidungsträgern, durch Rechtsanwendung und -fort-
bildung von Justiz und Exekutive usw. Dies meine ich mit einer Demokratie
unter der Herrschaft des Rechts . Kurz: Das Recht kann seine Rationalität
nur rechtsförmig garantieren, das heißt unter einer größtmöglichen Ausdif-
ferenzierung kommunikativer Autonomie in private und öffentliche auto-
nome Freiräume, in zwangsbewehrte Rechte und kontrollierende Gegen-
rechte, in sachgemäße Repräsentation und argumentative Prozeduren der
Entscheidungsf indung.
Der hier verwandte Konsensbegriff bedarf noch einer Erläuterung. Imgroben lassen sich bei Verständigungen drei Arten von Konsens unterschei-
den : Voraussetzung von Verständigung überhaupt ist ein sog. Hinter-
grundkonsenS) der sich auf die gemeinsame Lebensform, gemeinsameÜber-
zeugungen und Wertungen, vor allem die gemeinsame Sprache bezieht und
nicht thematisiert wird . Im Idealfall mag der Diskurs dazu führen, daß sich
die Beteiligten nicht nur auf ein gemeinsames Ergebnis einigen, sondern
auch hinsichtlich der zu diesem Ergebnis führenden Gründe übereinstim-
men. Ein solcher Argumentationskonsens is t jedoch für das hier vertretene
Modell verständigungsorientierter Handlungskoordination im Recht nicht
erforderlich; es genügt, wenn die Beteiligten einen Ergebniskonsens erzielen,
also das Resultat akzeptieren, ohne auch die jeweiligen Gründe hierfür zu
teilen. Ein Ergebniskonsens in diesem Sinne ist namentlich der Kompromiß.
Nun ist deutlich geworden, daß demokratisch legitimiertes Recht gegen-
über den Motiven der Befolgung seiner Normen aus wenigstens zwei Erwä-
gungen neutral sein muß: Es hat nicht nur auf die Normierung von Motiven
mangels empirischer Erzwingbarkeit, sondern auch - aufGrund der Fallibi-
79Vgl. auch Zippelius (Anm. 66),S. 67 f f . , 110 ff.
80Hinsichtlich der Terminologie vgl. Giegel, in : ders. (Hrsg.), Kommunikat ion und Kon-sens in modernen Gesellschaften, 1992,S. 7, 9.
81Vgl.zum p ragmatischen Konsens der Verständigung Wellmer, in : G/ege/(Hrsg.), Kom-munikation und Konsens in modernen Gesellschaften, 1992,S. 18 ff.
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Rechtstreue als Schuldkategor ie 725
l i tät derNorm - mangels zwingender rationaler Überzeugungskraft der Be-
gründung zu verzichten. Eine demokratisch gesetzte Norm kann nicht mit
dem Anspruch beweisbarer Richtigkeit auftreten. Demnach kann rechtliche
Schuld nicht den Vorwurf sittlich-vernünftiger Blindheit oder gar Bosheit
implizieren.
3. Kriterien materialer Schuld
Ist nun aber materiale Schuld mangels Richtigkeitsgewähr der gebrochenen
(demokratisch legitimierten) Norm überhaupt möglich? Die Antwort lautetnein, wenn materiale Schuld auf individuelle Vernunft oder Gemeinschafts-
verbundenheit bezogen wird. Denn individuelle Vernunf t ist ebensowenig
wie Tugend eine Konstituente von Recht, auf das Schuld als Rechtsschuld ja
verweist. Die Antwort lautet dagegen ja, wenn materiale Schuld auf die Kon-
stituenten von Recht, nämlich kommunikative Autonomie und kommuni-
kative Loyalität bezogen wird. Denn der Bruch einer demokratisch gesetz-
ten Norm verletzt nicht weniger die kommunikative Autonomie der Betei-
ligten als der Bruch einer absolut gültigen Norm. Bei einer Verankerung des
Rechts in kommunikativer Autonomie ist das legale Recht nicht ein mehr
oder minder verzerrtes Abbild eines richtigen überpositiven Rechts, aus dem
es seine Richtigkeit ableitet, sondern nur existent und zugleich richtig nach
Maßgabe des status quo diskursiver Verständigung. Es gibt kein Recht vor
der Verständigung, das gewissermaßen nur noch zu ratifizieren wäre, son-
dern Recht wird qua Verständigung überhaupt erst geschaffen. Recht kann
„verbessert" werden, gewiß, aber nur durch Verständigung. Das heißt: Derzus t immungsf re ie Raumdes subjekt iven Rechts ist abhängigvon Verständi-
gung, gleich, in welchem Maße die Verständigung de facto geglückt ist.
Auch wenn also der Handlungsspielraum des einzelnen lediglich durch
vor läuf ig vernünft ige Normen festgelegt ist, kann er legitimerweise nur im
Wege loyaler Verständigung geändert werden. Mit dem Normbruch negiert
der Täter die derNorm zugrunde liegende Verständigungund damit die kom-
munikative Autonomie der Beteiligten, und zwar unabhängig davon, ob erdie Norm - aus welchen Gründen auch immer - für unvernünftig oder un-
gerecht hält. Nicht seineVernünf t igkei t , sondern die kommunikative Loya-
lität gegenüberderAutonomie der anderen bindet den Täter an dieNorm. Es
liegt nun auf der Hand, die so umschriebene kommunikative Loyalität, auf
der die legitimierende BindungsWirkung demokratischer Normen beruht,
Rechtstreue zu nennen. Schuld im demokratischen Rechtsstaat ist, noch ganz
allgemein formuliert,einHandeln, dasmangelnde Rechtstreue - also ein De-
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726 Urs K i n d h ä u s e r
fizit an kommunikativer Loyali tät , die rechtsförmige Verständigung über-haupt ermöglicht - ausdrückt. Ein so verstandener Schuldbegriff impliziertfreilich auc h eine schu ldm inder nde vis a tergo: eine Sozialisation des Täters, inder verständigungsorientiertes Handeln nicht hinreichend zur Sprache kam.
An sonsten sind unter diesen Vo raussetzungen Defekte der kommunikat i -ven Fähigkeiten schuldausschließend, während entschuldigend Umstände
wirken, un ter denen Loy alität geg enüb er beliebigen anderen nicht zu erwar-ten ist. Beispielhaft hierfür ist der entschuldigende Notstand. So läßt sichauch dieAusnahmeregelung in § 35Abs. l Satz 2 StGB erklären: Es geht hierweder um eine besondere p sychische B elastbarkeit von Personengruppen82
noch um eine präventive Bestrafungsnotwendigkeit . Unter Notstandsbe-
dingu ngen wird v ielm ehr keine allgemeine Rech tstreue erwartet, weil spezi-fische Loy alitäten grun dsätzlich als vorrangig angesehen werden
84. W er aber
z. B. durch das Ergreifen bestimmter Berufe verdeutlicht, daß er für jeder-mann in besonderem M aße einzustehen bereit sei, also jeder m ann nicht nurM indestsolidarität, sondern spezifische Loy alität entgegenbringen werde,
kann sich in Notlagen nicht mehr darauf berufen, daß er einem in Not gera-tenen Dritten gegenüber nur nachrangig zu Solidarität verpflichtet sei. Glei-
ches gilt fü r denjenigen, dem mit der Gefahrverursachung anstelle allgemei-ner Rechtstreue die spezifische Loy alität eines Garan ten g egenüb er dem vonihm Gefährdeten aufgebürdet wird.
Es mag noch die Frage im Raum stehen, mit welcher Berechtigung der ein-zelne auf Rechtstreue festgelegt werden darf: Da das Recht seine Aufgabeder gew altlosen sozialen Integration nur im Wege der Verständigu ng erfüllenkann, ist das Verbot illoyaler Mißachtung der kommunikat iven Autonomieanderer die - fallible - Grundnorm des Rechts. Diese Grundnorm kannnicht durch eine absolute Letztbeg ründu ng oder einen subjek tiven Ver-nunftschluß bewiesen w erden; sie rech tfertig t sich selbst als Teil unserer Le-bensform. Loyalität is t eine Grunderfahrung dieser Lebensform, die inzi-dent bei jeder V erständ igun g von den Beteiligten wechselseitig vorau sgesetztwird. Insoweit is t kommunikative Loyalität notwendiges Definiens der
Rechtsperson. Auch gegenüber dieser Grundnorm des Rechts gilt das Neu-tralitätsgebot. Niemand is t rechtlich gezwungen, Rechtsnormen aus Ach-tung vor der kom mu nikativen Autonom ie anderer zu befolgen. Es kann nur
82 So etwa Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 756 f.83 So etwa Roxin,Allg. Teil, 2. Aufl. 1994, § 19 Rdn. 3.84 Ähnlich, wenn auch nicht mit dieser Spezifizierung, spricht Jescheck, in: LK, vor § 13
Rdn. 72, von der Erw artun g eines höheren Maßes an Rechtstreue.
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Rechtstreue alsSchuldkategorie 727
kein Recht geben, die kommunikative Autonomie anderer illoyal zu verlet-
zen. Rechtstreue wird nicht positiv gefordert; es wird nur ihr sich im Norm-
bruch manifestierendes Fehlen mit dem Schuldvorwurf verübelt . Damit ist
zugleich einsichtig, warum die Feststellung materialer Schuld kein expliziter
dogmatischer Zurechnungsschritt sein kann: Zurechnung zur Schuld ist
nichts anderes als bereichsweise, nämlich auf den Normbruch bezogene, Wi-
derlegung allgemein unterstellter Rechtstreue.
4. Rechtsgüterschutz
Die bisherigen Überlegungen bedürfen sub specie Strafrecht noch einiger
Modifikationen; sie bezogen sich bislang nur allgemein auf demokratisch le-
gitimierte Normen, ohne den strafrechtlichen Besonderheiten Rechnung zu
tragen. Es muß aber noch einen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck
der verletzten Norm und dem strafbegründenden Schuldvorwurf geben.
Aus der Deutung der strafrechtlichen Schuld als Defizit an kommunikativer
Loyalität ergibt sich, daß Aufgabe des Strafrechts der Schutz elementarer
Bedingungen verständigungsorientierter und damit gewaltloser sozialer In-tegration ist . Es geht also beim strafrechtlichen Unrecht um die Beein-
trächtigung von Bedingungen, unter denen Handlungen überhaupt erst ver-
ständigungsorientiert koordiniert werden können .
Rechtsgüter können im Lichte kommunikativer Autonomie definiert
werden, und zwar alssolche Eigenschaften von Personen, Sachen oder Insti-
tutionen, die die freie und gleiche Teilnahme an normativer Verständigung
ermöglichen bzw. absichern88. Vom Schutz erfaßt ist auch die Privatsphäre,
die den Bereich markiert, der nur mit Einverständnis des Berechtigten Ge-
genstand von Kommunikation sein darf. Weil die strafrechtlich relevante
normative Verständigung rechtsförmig ausgestaltet ist, sind Rechtsgüter zu-
gleich Gegenstand von Rechten. Im Individualbereich sind dies die - vor al-
85Loyalität wird also- entgegen den Einwänden vonSchreiber und Hirsch in der Diskus-sion - keineswegs alspositive Leistung vomeinzelnen gefordert.
86Die gesteigerte Reaktion auf terroristische Gewalttaten läßt sich mit Hassemer, in :Baumgartner u. a. (Hrsg.), Schuld und Verantwortung, 1983, S. 89, 99, dadurch erklä-ren, daß der Terrorist glaubhaft behauptet, über den vordergründigen Bankraub etc.hinaus die Zerstörun g der staatlichen und rechtlichen Ordnung überhaupt zu bezwek-ken, und das heißt: Verständigung in toto aufzukündigen.
87Meines Erachtens läßt sich von diesem Ansatz her ein - vonMüller-Dietz und Schüne-mann in der Diskussion vermißtes - Kriterium für einen berechtigten Anwendungsbe-reich von Strafrecht begründen.
88Beispielhaft für rechtsgeschäftliche UrkundenZaczyk^ in : Lüderssen u. a. (Hrsg.), M o-dernes Straf recht und ultima-ratio-Prinzip, 1990, S. 113,125 f.
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728 Urs K i n d h ä u s e r
lern absoluten - subje ktiven Rechte. A ber auch soweit überin dividue l l reprä-
sentier te vers tändigungsorient ier te Interessenwahrnehmung - z. B. inJustiz
oder Verwaltung - strafrechtl ich gesichert wird, we rden dieSchutzbereiche
durch Rechte un d Pflichten abgesteckt89
.
Insoweit konstituiert das Recht n icht notwen dig seine Güter selbst; auch
„vorrechtl iche" (natürl iche) Eigenschaften wie Gesundh eit oder Leben kom-
me n als Gü ter in Betracht. Geschützt we rden sie aber nur, we nn sie Ge gen-
stand von Rech ten sind, wob ei d as jew eilige Recht zugleich maßge blich für
Inhalt und Grenze des Schu tzes ist. Die Abschichtung von Verantwortungs-
bereichen oder die rechtfert igende Einw il ligung s ind beispielhafte Verde ut-
l ichungen dafür , daß das Strafrecht nicht vor dem Eingriff in Güter als sol-
che, sondern nur vor der Verletzung von Rechten an Gütern schützt . Das
Ge me inte läßt sich unschwe r am Kernbere ich der Individualgüter verde utl i-
chen. Nicht die Körperver le tzung als solche m acht das Un recht aus, sondern
die Bee inträchtigung der körperl ichen Integri tä t unter Mißachtung der Zu-
st imm ung des Be troffene n. Unrecht wird a lso ers t dann begangen, we nn das
Recht des Betroffenen auf W ahrun g seiner körperlichen Integrität verletzt ist .Diese R ech tsgüterde finition p aßt sich in die bereits aufgeze igten Kriterien
materialer Schuld ein: Wenn materiale Schuld die mangelnde Loyalität ge-
genüber der kommunikativen Autonomie anderer is t , so zeigt sich dieser
Mangel im Bruch einer strafrechtl ichen Norm, die Subsidien kom mu nikati-
ve r Autonomie schützt.
I V . Instrumental is ierungdes Schuldigen?
Auf die grundlegend e Dichotomic von erfolgsorient ier tem und verständi-
gungsorien t ier tem H ande ln läßt sich auch zur B ean twortun g der Frage zu-
rückgreifen, ob der Täter dur ch d ie Zuschreibun g s trafrechtl icher Schuld in-
st rumental is ier t wird. V or allem die provokante These des funkt ionalen
89Dieser Ansa t z zwingt fre i l ich dazu, nebulöse Rechtsgüter wie die Reinhe i t der Amts-
f ü h r u n g oder die Funkt ionsfähigke i t der Kredi twi r t schaf t auf die jewei l igen recht l ichenRegelungsgehal te , die gesichert werden sollen, zu reduzieren; vgl. insoweit Kindhäuser,
Madrid-Symposium, S. 125, 127 ff. Ob und - gegebenenfal ls - inwieweit sich dieGüter
des Umweltstrafrechts in diese Konzeption e infügen , muß hier dahingestell t bleib en ;
zur Problematik vgl. Kindhäuser, Festschrift für Helmrich, 1994, S. 967.90
Ein Beispiel für über indiv idue l l e Güter: Bei den Aussagedel ikten wird der Schutzbe-
reich durch den Beweisgegenstand, auf den sich die Wahrhei tspfl icht des Zeugen be-
zieht , best immt.91
Die nicht notwendig für den einzelnen einklagbar se in müssen; grundlegend hierzu
Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 144 ff. und passim.
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Rechtstreue als Schuldkategorie 729
Schuldbegriffs , Schuld sei ein Derivat des Strafzwecks im Sinne positiver
Generalprävent ion , hat die Vorstellung genährt, eine funktionale, ja eine
normative Interpretation der Schuld überhaupt führe zu einer Instrumenta-
lisierung des Täters . Meines Erachtens bietet dagegen gerade ein diskursi-
ver Schuldbegriff die Möglichkeit, die persönlichkeitsschützende Erbmasse
der klassischen Vergeltungstheorie zu bewahren, ohne einerseits deren me-
taphysische Implikationen zu übernehmen und andererseits sinnvolle Prä-
vention a priori auszuschließen. Ausgangspunkt ist in jedem Fall: Auch die
Strafe festlegenden Sanktionsnormen und damit das Institut der Strafe selbst
haben keine andere Legitimationsgrundlage als die, selbst Ergebnis rechtli-cher Verständigung zu sein.
Da es mir bei der Rekonstruktion des Schuldbegriffs primär um die Per-
spektive der Teilnehmer geht, hängt die Antwort auf die Frage nach der In-
strumentalisierung des Täters davon ab, wie mit dem Täter aus der Binnen-
perspektive der Schuldzurechnung umgegangen wird: ob ihm verständi-
gungsorientiert oder strategisch, d. h. um der Erzielung eines bestimmten
Erfolges willen, Schuld zugeschrieben wird.
Einer der wenigen Vorschläge für eine zweckfreie Deutung des strafenden
Schuldvorwurfs wird in der heutigen Diskussion von Anhängern einer idea-
listischen Vergeltungstheorie94 angeboten und lautet vereinfacht: Der Täter
negiere durch den Normbruch das Recht, und diese Geltung beanspruchen-
de Negation müsse vernunftnotwendig durch die Strafe wieder negiert wer-
den95; dasVerbrechen als existierender böser Wille in seinem Verallgemeine-
rungsschein sei durch die Strafe wieder aufzuheben . Unklar ist hieran zu-
92Vgl . nur Jakobs, Allg. Teil, 2. Auf l . 1991,17/18 ff .
93Beispielhaft Bock, ZStW 103 (1991), S. 636;Otto,GA 1981,481; StUbinger, KJ 1993, 33;vgl. dagegen Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 85 ff.; Luzon, GA 1984,393, 396 ff.; Neumann, ZStW 99 (1987), S. 567, 587 ff.
94Z um geistesgeschichtlichen Verhältnis von Talion und V ergeltung einerseits und Talion
und Prevention andererseits vgl.Eben, m: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, 1991,S. 249 ff., m. w. N.
95 Vgl.auch Hegel (Anm. 71), § 99: „Die positive Existenz der Verletzung ist nur als der
besondere Wille des V erbrech ers. Die V erletzu ng dieses als eines daseienden Willens is talso das Aufheben des Verbrechens, das sonst gelten würde,und ist die Wiederherstel-lung des Rechts."
96Köhler, Der Begriff der Strafe, 1986, S. 50 f.; äh nlich ders., Über den Zusammenhangvon Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, 1983,S. 38: „Wenn ein wechselseitiges
Rechtsgleichheitsverhältnis fortbestehen soll, bedarf also der in der Straftat objektivierteGeltungswiderspruch zum Recht der Aufhebung." Vgl. auch Zaczyk, D as Unrecht derversuchten Tat, 1989, S. 187 f., sowie Seelmanns gründliche Interpretation von Hegels
Straftheorie, Ju S 1979, 687, 690.
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nächst die angebliche Vernunftnotwendigkeit des Zusammenhangs von
Normbruch und Strafe: Eine Rechtsverletzung kann auch durch Wiedergut-
machung ausgeglichen werden . Aber selbst wenn man den idealistischen
Ansatz beimWort nimmt und von einem die Straftat überdauernden existen-
ten bösen Willen des Verbrechens ausgeht, bleibt meines Erachtens rätsel-
haft, warum und wie dieser böse Wille durch Strafe wieder aus der Welt ge-
schafft oder Rechtsgeltung durch Anerkennung wieder restituiert werden
kann. Nur der Täter selbst kann seinen Willen ändern, und nur der Täter
selbst kann die vom ihm verweigerte Anerkennung des Rechts revidieren .
Doch gerade dies zu tun muß das Recht sub specie Neutralitätsgebot dem
Täter selbst überlassen.
Mit dem strafenden Schuldvorwurf wird weder der faktische Normbruch
restituiert noch die verletzte Idealität der Norm geheilt - letzteres wirdvom
Rechtswidrigkeitsurteil deklaratorisch erledigt und bedarf keiner metaphy-
sischen Homöopathie. Es wird vielmehr die gefühlsmäßige Enttäuschung
über den Normbruch verarbeitet . Damit meine ich nicht etwa, daß Strafe
in ihrer heutigen Gestalt eine Form von Rache ist, sondern möchte auf dieParadoxie hinweisen, daß wir den Täter gerade durch den Schuldvorwurf als
Teilnehmer verständigungsorientierter Interaktion anerkennen. Damit eine
Person überhaupt einem anderen eine Verletzung verübeln kann, muß sie ei-
97Vgl. dagegen Köhlers Begründung mit Bl ick auf Hegel: „Schadensersatz kann daher
grundsätzlich nichtdas Strafrecht erfüllen, da er nur die Seite der B esonderheit, nicht die
im verletzten Allgem einen bestehende V erbrechensquali tät betrifft" (ARSP 1989, 265,
267). W arum aber soll nicht auch das verletzte Allgemeine Gegenstand einer (symboli-schen) Wiedergutmachung sein können?
98Sollte der Täter hierbei nicht als empirisches Subjekt verstanden, sondern nur als Ver-
nünftiger geehrt werden, stellt sich die Frage, warum sich dann die vergeltende Strafe
überhaupt nach den empirischen Voraussetzungen des Schuldvorwurfs (Tatmotive, So-zialisation etc.) richten soll.
99Im übrigen is t auch nicht zu sehen, inwieweit der böse Wille des Verbrechers m it dem
Anspruch auf Veraiigemeinerbarkeit auftritt . D ie These, der Täter behaupte m it seiner
Tat, daß das,was er tue, allgemein getan werdendürfe, kann schwerlich aufgestellt wer-
den. Im Regelfall will der Dieb nicht selbst bestohlen und der Mördernicht selbst getö-te t werden. Also kann die Unvernunf t des Täters allenfalls darin liegen, daß er etwas tut,
von dem er nicht will oder wollen kann, daß alle es tun; das ist gerade der Witz beimTrit tbret t fahren.
100Grundlegend Strawson, in: Pothast (Hrsg.), Seminar: Freies Handeln und Determinis-
mus , 2. Aufl . 1988, S. 201 ff.; hierzu auch Günther, in:Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Mo-
ral, 1991, S. 212 ff.; Habermas, Erläuterungen zu r Diskursethik , 1991, S. 142 f f . ; Munoz
Conde, GA 1978, 65, 73 f.; teilweise kritischSteinvorth,Freiheitstheorien in der Philo-
sophie der Neuzeit, 1987, S. 250 ff.; vgl. aus empirischer Sicht Dttx, Der Täter hinterdem Tun, 1988, S. 51 ff.
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Rechtstreue als Schuldkategorie 731
nen Perspektivenwechsel vornehmen: Nur wenn der Verletzte davon aus-
geht, daß er in der Rolle des Täters die Verletzung aus Loyalität unterlassen
hätte, kann er dem Täter die Tat als Manifestation mangelnder Loyalität ver-
übeln. Die in der Schuldzurechnung zum Ausdruck kommende Widerle-
gung von Rechtstreue setzt die Unterstellung voraus, daß der Normbruch
von einer als loyal definierten und damit auf gewaltlose Verständigung fest-gelegten Rechtsperson begangen wurde. Es kann also nicht darum gehen,
das Tatübel mit dem Strafübel in irgendeiner Weise zu verrechnen; dies wäre
nur eine Addition von Übeln und obendrein sub specie sozialer Integration
sinnlos. Der Schuldvorwurf ist vielmehr eine Möglichkeit, auf das Übel derStraftat nicht durch eine objektivierende Betrachtung des Täters, sondern
unter Beibehaltung der verständigungsorientierten Einstellung zu reagie-
ren101. Wird der vergeltende Schuldvorwurf von der ihn eher diskreditieren-
den Negationsmetaphysik befreit, so zeigt sich, daß sein tiefer „alteuropäi-
scher" Sinn darin besteht, den Täter trotz der von ihm gezeigten Illoyalität
nicht objektivierend - alsGegenstand desSachenrechts - behandeln zumüssen, sondern ihn weiterhin als loyale und zurechnungsfähige Rechtsper-
son ansehen zu können.
Freilich bewegt sich Strafe auch auf der instrumenteilen Ebene des
Rechtszwangs, der die Faktizität des Rechts sichert. Nur ist - wie beim
Normbruch - dasGeschehen im Licht der legitimierenden verständigungs-
orientierten Ebene zu interpretieren. Der Vorwurf materialer Schuld enthält
den Tadel mangelnder Loyalität gegenüber der kommunikativen Autonomie
der Interaktionspartner. Dieser Schuldvorwurf spricht den Täter nicht ob-
jektivierend in der dritten Person an, gewissermaßen als Störfaktor sozialerIntegration, sondern eben als Teilnehmer normativer Verständigung. Die
kommunikative Autonomie des Täters wird gewahrt; ihm wird angetragen,
das Strafübel als symbolische Reaktion der Enttäuschung über die Illoyalität
seines Verhaltens anzunehmen und seine Tat aus der Perspektive der anderen
zu würdigen.
Doch es ist wiederum das Gebot der Neutralität des Rechts gegenüber der
Orientierung an seinen normativen Aussagen zu beachten. Ob der Täter denstrafenden Schuldvorwurf in dieser Bedeutung akzeptieren will, ist ihm
101 Ähnlich Günther (Anm. 100), S. 205,211 ff.; vgl. auch zur B edeutung der Zuschreibungvon Verantwortung für die soziale Integration van der Yen, in : Baumgartner u. a.(Hrsg.), Schuld und Verantwortung, 1983, S. 31, 35 f.
102 Vgl. Kant (Anm. 2), § 49, Allgemeine Anmerkung E (S. 453).
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ebenso freigestellt wie das Motiv, aus dem er die Norm befolgt . Schuld-
vorwurf und Strafe müssen nur die Qualität haben, die es dem Täter ermög-
licht, sie um ihrer Legitimität willen zu akzeptieren104. Dies bedeutet: Der
Schuldvorwurf muß berechtigt sein, und die Strafe muß dem gezeigten Maß
an Illoyalität entsprechen. Um nicht mißverstanden zu werden: Schuldzu-
rechnung setzt keinen geglückten Dialog mit dem Täter voraus. Entschei-
dend ist nur, daß der Täter als Teilnehmer eines Dialogs mit entsprechend
abgesicherten diskursiven Rechten behandelt wird .
Der aufgezeigte Sinn der Schuldzurechnung läßt sich nicht in Zwecke
transformieren, mag er auch extern betrachtet funktional erklärbar sein. Re-lativ zur emotionalen Grundlage des Übelnehmens ist Schuld notwendig
zweckfrei. Ich kann nicht jemandem zu einem bestimmten Zweck böse sein,
sondern nur aus einem bestimmten Grund, nämlich einer Enttäuschung.
Zwecke geben instrumenteilen Handlungen ihren Sinn, haben aber keinen
Platz in teilnehmenden Reaktionen auf interpersonale Konflikte. Der straf-
rechtliche Schuldvorwurf ist eine formalisierte Reaktion, ein generalisiertes
Übelnehmen . Insoweit lassen sich auch Strafzwecke nicht mit demSchuldvorwurf selbst koppeln . Man kann nicht jemandem einVerhalten
zum Zwecke der Erziehung, der Abschreckung usw. verübeln108. Wer
103D ie Argu men te gegen den Vernunft l iberal ismus gelten hier unte r umgekehr tem Vorzei-chen wieder: Nach Köhler, Der Begriff der Strafe, 1986, S. 50 ff., verlangt Strafe als Ne-
gation der Negation,daß der Täter „nicht bloß theoretisch, sondern im prakt isch-kon-kreten Selbstbestimmungsprozeß sich setzen und realisieren (erg. muß)als (potentiell)
Vernünft igen, der partikulär nach vernunf twidr iger (selbstwidersprüchlicherweise die
Verallgemeinerung verweigernder) Handlungsm axime gehandelt hat".Eine solche Ver-ständigungsleistung zu fordern , widerspricht dem Neutrali tätsgebot des Strafrechts, un-
geachtet der Tatsache,daß das Strafrecht nich t legitimiert ist, die Straftat moralisch alsSelbstnegation eines sittlichen Vernunf t subjekts zu qualifizieren. Zutreffend siehtKöh-
ler, a. a. O., S. 52, freilich, daß der geforderte Vernunf t schluß als „autonom-moral ische
Leistung" nicht erzwingbar ist.104
Vgl. insoweit auch Arthur Kaufmann, in: Köpcke-Duttler (Hrsg.) , Schuld - Strafe - Ver-
söhnung , 1990,S. 34, 4 8 ff.; W o l f f, ZStW 97 (1985), S. 821 f.105
In der Sache parallel Köhler, Der Begriff der Strafe, 1986, S. 53: Das Rechtsverhäl tnis
zwischen Allgemeinheit und Täter darf durch die Strafe nicht negiert werden.106 Insoweit hat eine Theorie des Strafverfahrens der Theoriedes materiellen Straf rechts zu
korrespondieren. Beide Rechtsmaterien lassen sich als Ausprägungen einer umfassen-
den Strafrechtstheorie, die auf soziale Integration durch Sicherung k o m m u n i k a t i v e r
Au tonomie bezogen ist, rekons truieren.107 Vgl. insoweit auch Müller-Dietz, Festschrift fü r Jescheck, 1985,S. 813, 815.108
So mag man einem K ind gegenü ber zum Zwecke der Erz iehung so tun,als rege m an sich
ü b e r eine Verfehlung auf,um die Erforder lichkei t norm gem äßen Verhaltens emotional
zu verdeutl ichen. „Echtes" Verübeln ist dagegen stets zweckfrei und beruht auf rezipro-ker Anerken nung .
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zweckhaf t verübelt, heuchelt und negiert damit die kommunikative Autono-
mie desTäters. Wohl aber läßt sich ein schuldangemessenes Übel mit weiter-
gehenden Zwecken verbinden. Spezialprävention etwa, die dem Täter nicht
oktroyiert, sondern als Sozialisationshilfe angeboten wird, steht einem ver-
ständigungsorientierten Schuldvorwurf im hier verstandenen Sinne nicht
entgegen . Aber auch Generalprävention degradiert den Täter nicht not-
wendig zum Objekt, sei es, daß die Übelszufügung zeigt, daß dasVerlassen
des legalen Raums nicht hingenommen wird110, sei es, daß durch die Übels-
zufügung bestätigt wird, daß gewaltfreie soziale Integration nur über loyale
Verständigung läuft.
10 9Vgl. auch Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 271 ff.; Roxin, Straf-
rechtliche Grundlagenprobleme, 1972,S. 26 f.; ders., Festschrift fü r Arthur Kaufmann,
1994, S. 519,530 f.; W o l f f, ZStW 97 (1985), S. 823 f.110 Vgl. auch BVerfGE 45,187, 255 ff.
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