Kirikane in der Kunst Chinas und des Nahen...

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Kirikane in der Kunst Chinas und des Nahen Ostens Von Dietrich Seckel (Heidelberg) Am Ende meines Aufsatzes Kirikane- Die Schnittgold-Dekoration in der japanischen Kunst, ihre Technik und ihre Geschichte (Oriens Extremus I/1, 1954, 71-88) wies ich kurz darauf hin, daß die Japaner diese für ihre Plastik und Malerei überaus charakteristische und wichtige Technik so gut wie sicher von China übernommen hätten, daß dort aber außer in Rand- gebieten wie Tunhuang anscheinend keine Beispiele erhalten seien. In- zwischen sind nun wenigstens ein paar Fälle genauer bekannt geworden, die das Kirikane auch für die Kunst Chinas, und zwar spätestens der Sung-Zeit, einwandfrei belegen •. Daß aus älterer Zeit - etwa der T'ang- Zeit - im eigentlichen China so sehr wenige buddhistische Kunstwerke erhalten sind und Kirikane-Beispiele vor der Sung-Zeit dabei kaum zu finden sein dürften, liegt bekanntlich teils an der Buddhistenverfolgung von 845 und anderen Katastrophen, teils überhaupt an der Vergänglichkeit der für Kirikane-Dekor vorzugsweise in Betracht kommenden Materialien: Holz, Trockenlack und Ton in der Plastik, Seide, Papier und Lehmwände in der Malerei. Im Kunstgewerbe freilich ist das Kirikane für die T'ang-Zeit in mehreren Fällen eindrucksvoll repräsentiert, namentlich im Shösöin. Beispiele aus der chinesischen Kunst In Kirikane ausgeführte Gewandmuster an chinesischen Holzskulpturen finden sich bei drei in der Mahäräjaliläsana-Haltung sitzenden Kuanyin- Figuren der Sung- oder etwas späterer Zeit: 1. Amsterdam, Museum van Aziatische Kunst. Hier kam nach Entfernung einer wohl Ming-zeitlichen groben Gesamtvergoldung eine Kirikane-Deko- ration auf leuchtend rotem Grund zu Tage, die ausgedehnte und z.T. feine netz- und kreisförmige Muster bildet. Die Statue präsentiert sich nun als eine der in ihrer originalen Farben- und Goldfassung besterhaltenen chine- sischen Skulpturen in abendländischen Sammlungen 1 Auf Abbildungen mußte hier verzichtet werden, weil für die minutiösen Ki_ri- kane-Details schwierige Spezialphotographien und Farbreproduktionen erforderhch gewesen wären. 1 Farbreproduk.tion: Illustrated London News, 20. November 1947 (H. F. E. VrssER: "A Twelfth-Century Chinese Wooden Bodhisattva Revealed in its Original Beauty:"; vgl. VrssER in Zs. Phoenix, Jg. 1, Nr. 8, 1946, S. 26--28). SECKEL: Kun st des Buddhis- (Kunst der Welt), Baden-Baden 1962, Taf. S. 229. Auf beiden Abbildungen sind die feinen Muster kaum zu erkennen. 149

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Kirikane in der Kunst Chinas und des Nahen Ostens

Von Dietrich Seckel

(Heidelberg)

Am Ende meines Aufsatzes Kirikane- Die Schnittgold-Dekoration in der japanischen Kunst, ihre Technik und ihre Geschichte (Oriens Extremus I/1, 1954, 71-88) wies ich kurz darauf hin, daß die Japaner diese für ihre Plastik und Malerei überaus charakteristische und wichtige Technik so gut wie sicher von China übernommen hätten, daß dort aber außer in Rand­gebieten wie Tunhuang anscheinend keine Beispiele erhalten seien. In­zwischen sind nun wenigstens ein paar Fälle genauer bekannt geworden, die das Kirikane auch für die Kunst Chinas, und zwar spätestens der Sung-Zeit, einwandfrei belegen •. Daß aus älterer Zeit - etwa der T'ang­Zeit - im eigentlichen China so sehr wenige buddhistische Kunstwerke erhalten sind und Kirikane-Beispiele vor der Sung-Zeit dabei kaum zu finden sein dürften, liegt bekanntlich teils an der Buddhistenverfolgung von 845 und anderen Katastrophen, teils überhaupt an der Vergänglichkeit der für Kirikane-Dekor vorzugsweise in Betracht kommenden Materialien: Holz, Trockenlack und Ton in der Plastik, Seide, Papier und Lehmwände in der Malerei. Im Kunstgewerbe freilich ist das Kirikane für die T'ang-Zeit in mehreren Fällen eindrucksvoll repräsentiert, namentlich im Shösöin.

Beispiele aus der chinesischen Kunst

In Kirikane ausgeführte Gewandmuster an chinesischen Holzskulpturen finden sich bei drei in der Mahäräjaliläsana-Haltung sitzenden Kuanyin­Figuren der Sung- oder etwas späterer Zeit:

1. Amsterdam, Museum van Aziatische Kunst. Hier kam nach Entfernung einer wohl Ming-zeitlichen groben Gesamtvergoldung eine Kirikane-Deko­ration auf leuchtend rotem Grund zu Tage, die ausgedehnte und z.T. feine netz- und kreisförmige Muster bildet. Die Statue präsentiert sich nun als eine der in ihrer originalen Farben- und Goldfassung besterhaltenen chine­sischen Skulpturen in abendländischen Sammlungen 1•

• Auf Abbildungen mußte hier verzichtet werden, weil für die minutiösen Ki_ri­kane-Details schwierige Spezialphotographien und Farbreproduktionen erforderhch gewesen wären.

1 Farbreproduk.tion: Illustrated London News, 20. November 1947 (H. F. E. VrssER: "A Twelfth-Century Chinese Wooden Bodhisattva Revealed in its Original Beauty:"; vgl. VrssER in Zs. Phoenix, Jg. 1, Nr. 8, 1946, S. 26--28). SECKEL: Kunst des Buddhis­~us (Kunst der Welt), Baden-Baden 1962, Taf. S. 229. Auf beiden Abbildungen sind die feinen Muster kaum zu erkennen.

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2. Museum of Fine Arts, Boston. Auch an dieser Kuany in-Figur kamen bei einer Reinigung Reste von Kirikane-Ornamenten, und zwar Lotusblumen, auf dem roten Gewand ans Licht, besonders an den Beinen und an weniger exponierten, daher besser erhaltenen Stellen der Rückseite. Die Ausführung ist wesentlich großformiger und gröber als an der Amsterdamer Figur.

3. Auch eine Figur gleichen Typs im Art Institute, Chicago, seileint Kirikane-Dekor zu besitzen 2•

Etwa gleichzeitig entstand ein Werk der Malerei, in dem vom Kirikane in reicher und delikater Weise Gebrauch gema<ht ist und das erst in jüngster Zeit im Original für genaueres Studium zugänglich wurde: die 19 Meter lange Handrolle mit buddhistischen Figurengruppen und Einzelfiguren, die von Chang Shen-wen 111 zwischen 1173 und 1176 für den König des Reiches Ta-li 121 in Yünnan gemalt wurde und die ebenso als ikonographisches Kom­pendium, als religionswissenschaftliches Studienobjekt, als kulturhistoris<hes Dokument wie wegen ihrer südchinesischen Herkunft, ihrer genauen Datie­rung und ihrer malerischen Qualität von größter Bedeutung ist 3• In diesem Werk finden sich die drei typischen Methoden der Goldverwendung neben­einander: Malerei mit Goldfarbe- d. h. pulverisiertem Blattgold mit einem Leim-Bindemittel vermengt -, Auflegen von Blattgold in relativ großen Flächen und eigentliches Kirikane 4 • Eine genaue Beschreibung würde viel zu weit führen; es sei nur auf einige bemerkenswerte Besonderheiten der Kirikane-Technik hingewiesen. Vielfadl ist das Gold in ziemlich breiten Streifen aufgeklebt, ebenso oft aber auch in äußerst s<hmalen, fast faden­artigen Linien, so besonders bei Nimben und Gewandkonturen. Mittlere Stärke haben die Goldstreifen etwa an Standarten oder Stäben (z. B. des Bodhisattva Kshitigarbha), an architektonischen Rahmungen (z. B. an dem Baldachin des Vimalakirti) und auch an den die gesamte Bildrolle oben und unten einfassenden Randlinien. Ungewöhnlich sind vor allem drei Fälle.

Erstens das Bild, das den thronenden, rotgewandeten Buddha Shäkyamuni inmitten einer zart gemalten, weißen Lotusrosette zeigt 5 , deren Blätter, wie auch der Buddha selbst, je ein stilisiertes Schriftzeichen tragen (wohl shou, langes Leben); von dem Herzen eines links unten knieenden, halbnackten

r Farbreproduktion: Werner SPEISER: China (in der Reihe Kunst der Welt), Baden-Baden 1959, S. 197.

3 Helen B. CHAPIN: "A Long Roll of Buddhist Images", in: Journal of the Indian Society of Griental Art (Kalkutta), Vol. 4, June 1936, December 1936; Vol. 6, June/ December 1938. Ergänzungen und Korrekturen dazu: Harvard Journal oi Asiatic Studies 8, 1944, 171 ff. - Farbreproduktionen: James CAHILL: Chinese Painting, Editions d'Art Albert Skira, Genf 1960, S. 51; SECKEL (Anm. 1) 205, 247. Vgl. Three Huf!dred Masterpieces of Chinese Painting in the Palace Museum, Taichung (Ta1wan) 1959, Bd. 3, Taf. 124-126.

" In Three Hundred Masterpieces (s. Anm. 3) ist mit irreführender Verein­fa~un~ nur von t'u-chin 131, "Goldmalerei", die Rede. Auch Helen CHAPIN (s. Anm. 3) spncht Immer nur von .Gold", ohne die Techniken zu untersdleiden. Meine Angaben beruhen auf dem Studium des Originals in der Ausstellung "Chinese Art Trea­sures", Oktober 1961 im Metropolitan Museum, New York.

5 CHAPIN's Gruppe 31; a. a. 0., Dec. 1936, S. 4 (dort genaue Beschreibung).

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Sädhaka (Tantra-Adepten) windet sich nun ein feiner Goldfaden zu jedem dieser Schriftzeichen und somit durch die ganze Lotusblüte hin bis zu dem goldenen Schriftzeichen im Herzen des Buddha, wodurch die metaphysische Identität zwischen dem Gläubigen und der nBuddha-Natur" des Seins symbolisiert wird.

Zweitens zeigen die vielen Arhats (Lohan) und Ch·an-(Zen-)Patriarchen (Chapin Gruppe 14-30 und 32-47) nicht nur an ihren Nimben, sondern auch an den Säumen ihrer Kutten oder an ihren Stühlen das Kirikane, über­wiegend in äußerst feinen Fäden; und zwar scheint es so, als seien auch kurvige, sich winklig abbiegende und spitz zulaufende Linien (Abb. 1) in Kirikane ausgeführt, obwohl eine solche den Pinselduktus nachbildende Formung der Goldstreifen technisch äußerst schwierig und sonst dem Kiri­kane fremd ist. Die spitzen Enden dieser Linien würden technisch voraus­setzen, daß die Goldstreifen vor dem Aufkleben sorgfältig zugespitzt wären, was gewöhnlich nicht geschieht. Seltsamerweise leuchten aber diese Konturen, wie am Original festzustellen ist, im Unterschied von gold­gemalten Stellen genau so hell hervor wie die unbezweifelbaren Kirikane­Linien; sie begegnen auch an der lndra- und Brahmä-Gruppe (Chapin 12, 13). Handelt es sich also wirklich um diese Technik - ein vorsichtiges Fragezeichen ist jedoch geboten -, so hätten die Chinesen eine Virtu­osenleistung vollbracht, die selbst die in solchen Dingen sonst unerreichten Japaner selten gewagt zu haben scheinen sa. Neben dem linearen Kirikane zeigt eins der Patriarchengewänder auch Blütenmuster, die in der üblichen Weise aus kleinen dreieckigen Blattgoldstückd:len zusammengesetzt sind, ein anderes dagegen außer Kirikane für Saumkonturen und Nimbus ein reiches Muster in Goldmalerei, welche auch bei den Bodhisattvas, Lokapälas und anderen Figuren in dieser Bildrolle die Regel ist. Besonders gilt das von den vielen, die zweite Hälfte des Werks beherrschenden Kuanyin­Manifestationen; dazwischen jedoch findet sich immer wieder auch in grö­ßeren Flächen (oft auf roter Grundierung) aufgetragenes Blattgold - so etwa an einem Reliquienstüpa. Die drei Goldtechniken sind hier also in rei­d:lem Wechsel kombiniert.

Drittens ist es ikonographisch auffallend, daß in dieser Rolle auch den Figuren der am Anfang dargestellten Königsprozession in großem Umfang Golddekor, einschließlid:l des Kirikane, gegeben wird, namentlich an ihren Gewändern und hohen, blütenförmigen Kronen, ja sogar am Rand einer Mönchs-Bettelsehaie- auffallend, weil weltlichen Personen dieser numinose Schmuck in der buddhistischen Kunst normalerweise nicht zukommt. Auch bei den Arhats und Patriarchen, die zwar über die empirische Welt erhaben, aber ihr doch noch zugehörig sind und gewöhnlich als schlichte Mönche auf­treten, nimmt es in diesem Werk ein sonst ungewöhnliches Ausmaß an'·

5& So auf dem Amida-Raigö-Bild der Ostasiatischen Kunstabteilung der ehem. Staatlichen Museen Berlin, z. B. bei einigen Gewandlinien an der linken Körperseite des Amida (Ausstellungskatalog: Kunst Ostasiens, Berlin 1963, Nr. 99 ; 12. Jhdt.) .

8 Uber die ontologisch begründete Symbolik des Goldes in der buddhistischen Kunst handelte ich in: "Das Gold in der japanischen Kunst", Asiatische Studien (Bern) 12, 1959 [1961], 82 ff.

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Gegenüber diesem Rollbild von künstlerisch wie tedmisch bedeutender Qualität machen die Tunhuang-Gemälde, soweit sie Goldschmuck in Form des Kirikane tragen (was nicht allzu häufig vorkommt) einen weit gröberen, mehr provinziellen Eindruck. Einige Beispiele aus der Stein Collection im British Museum seien genannt. Aus zweimal vier kleinen Rauten und drei kurzen parallelen Linien ist der Haarschmuck einer Gläubigen auf dem Gemälde mit Kuanyin als Seelenführer zusammengesetzt, der die Frau ins Reine Land des Amitäbha geleitet (10. Jhdt. ?) ; doch ist der Schmuck sehr simpel und handwerksmäßig ausgeführt. Der Goldschmuck Kuanyins scheint Goldmalerei mit Kirikane zu kombinieren, ist jedoch nicht mehr gut zu er­kennen 7• Ferner findet sich z. B. auf einem Fragment eines Amitäbha­Paradieses (British Museum, No. 0218) das Kirikane in Form von vier­eckigen Stückchen, von dünnen Umrißlinien und von größeren, unregel­mäßig geformten flächigen Blättern zur Wiedergabe goldenen Schmucks -alles in ziemlidl derber Technik. Das letztgenannte Verfahren grenzt schon an das Belegen größerer Flädlen mit Blattgold (chin-po, jap. kim­paku 141) und darf strenggenommen nicht mehr zum Kirikane gerechnet wer­den. Basil Gray hat auch an Wandgemälden in Tunhuang, und zwar solchen aus der Sui-Zeit, die Verwendung von Blattgold für Schmuckstücke konstd­tiert, aber keine Angaben über die Technik gemacht 8•

Auf den Tunhuang-Gemälden begegnet noch eine andere Technik, die man im Vergleich mit dem ansprudlsvollen echten Kirikane ein billiges Aushilfsverfahren nennen muß: etwa an der Figur des Lokapäla Vaishravana auf dem Bilde, das ihn mit großem Gefolge übers Meer kommend darstellt (British Museum, Nr. Ch. 0018) 9, sind größere Flächen seiner Rüstung mit Blattgold belegt, auf welchem feine Muster und andere Einzelheiten mit Tusche gezeichnet sind. Aus dem Tunhuang-Bestand des Musee Guimet in Paris seien als Beispiele erwähnt: Nr. 17794 (Kshitigarbha als Richter) mit größeren Blattgoldstücken für Rüstungen und ein Räuchergefäß, deren Binnenzeichnung mit Tusdle über dem Gold ausgeführt ist; Nr. 17780 (Fünf "Dhyäni"-Buddhas) mit der gleichen, in großem Umfang angewendeten Tedl-

7 Farbreproduktion: Aurel STEIN: Serindia, Oxford 1921, Bd. 4, Tat. LXXI (Ch. LVII. 002); Aurel STEIN/Laurence BINYON: The Thousand Buddhas, London 1921, Taf. XXXVIII; SECKEL (s. Anm. 1) S. 227. - Aus Rauten zusammengesetzte Blüten­ornamente begegnen auch auf Geräten aus Zentralasien: Lackkorb (?) aus dem Astäna-Grab III. 2. 055, wohl 8. Jh. (Aurel STEIN: Innermost Asia, Oxford 1928, Bd. 3, Tat. XCIII); sie erinnern unmittelbar an gewisse, freilich qualitativ bessere Stücke des gleichen Jahrhunderts im Shösöin, Nara; s. meinen am Anfang zitierten Aufsatz, S. 77 und Abb. 10. Zu der dortigen Fig. 1 (Kirikane-Dekor auf einer Koto im Shösöin) jetzt Farbreproduktion in Shösöin Hömotsu, Hokusö (Treasures of the Shösöin, North Section), Tökyö 1962, Tat. 13, 14.- Herr H. F. E. VISSER (Amsterdam) war so freundlich, mich auf das im Amsterdamer Museum van Aziatische Kunst be­findliche Fragment eines aus Bein geschnitzten Kammes aus der T'ang-Zeit aufmerk­sam zu machen, der Reste von feinen Kirikane-Ornamentlinien zeigt.

8 Basil GRAY: Buddhist Cave Paintings at Tun-huang, London 1959, S. 24. ° Farbreproduktion: STEIN, Serindia Bd. 4, Tat. LXXII; STEIN!BINYON, Thousand

Buddhas Taf. XLV.

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nik, jedoch mit roter Binnenzeichnung. In beiden Fällen findet sich auch Kirikane-Dekor aus kleinen geometrischen Partikeln. Dagegen zeigt Nr. 1143 (Avalokiteshvara [= Kuanyin] als lebensverlängernder Bodhisattva) in deut­lichem Unterschied von den beiden anderen Techniken reine Goldmalerei, die durdllockeres Tüpfeln, kurvige Pinselstriche und -haken sowie dickeren oder dünneren, in Ubergängen schattierten Goldauftrag charakterisiert ist. Jene Methode der größeren Blattgoldstücke mit Binnenzeichnung ver­wendet man gelegentlich auch in Japan, sogar im Yamato-e, das nur relativ geringen Gehraum vom Blattgold macht 10 , z. B. in dem Emakimono "Yüzü­Nembutsu-Engi", von dem vor einiger Zeit das Art Institute in Chicago eine Rolle erworben hat (wohl frühes 14. Jahrhundert): außer Goldmalerei - an buddhistiscllen Figuren, doch audl an Landschaftspartien wie Hügel­wellen und Baumstämmen - und normalem Kirikane, etwa für die Licht­strahlen Amitäbhas, findet sich an ziemlich vielen Stellen flächiger Blatt­goldbelag mit Tuscllzeidlnung darüber, so an heiligen Gestalten oder an der Cintämani-Bekrönung einer Kapelle. Bezeichnend, daß es sidl auch hier um eine Art von Behelfstechnik handelt, denn im 14. Jahrhundert war der Höhepunkt der Emaki-Kunst wie auch des Kirikane bereits überschritten; aus ihrer klassischen Zeit, dem 12. und 13. Jahrhundert, sind mir keine Beispiele für dies Verfahren bekannt.

Um nach China zurückzukehren, so sind aus der Ming-Zeit in japanischen Sammlungen Beispiele von buddhistisdlen Bildstickereien mit Kirikane er­halten, die 1963 auf einer Ausstellung im Nationalmuseum zu Nara zu sehen waren 11 . Sie zeigen Nimben in ziemlich breiten Goldstreifen sowie aus Blatt­gold ausgeschnittene und aufgeklebte Kurvenmuster in Wolken- und Blütenform auf den Gewändern, ferner an einem Thron und einer Frucht­schale. Stellenweise - ursprünglich vielleicht überall - sind die Gold­streifen mit ganz dünnen Fäden in Abständen von etwa 0,5 cm überstickt, um sie besser festzuhalten; auf einem Lohan-Bild (Nr. 107) findet sich diese Technik an den Konturen des Mönchsgewandes , an der Fruchtsdlale, den

10 Akihisa HAst I Dietrich SECKEL : Emaki: Die Kunst der klassischen japanischen Bilderrollen, Zürich 1959 (München 1962), S. 55; SECKEL: ,.Das Gold in der japanischen Kunst" (s. Anm. 6), S. 103. Die erwähnte Technik heißt japanisch kaki-okoslti 161 (Bijutsu Kenkyü Nr. 223, July 1962, S. 63 f.) und scheint aus der Nord-Sung-Malerei übernommen zu sein.

11 Katalog: Shishü-butsu-ten !111, Nara 1963; Nr. 107 (Lohan; Kuonji, Yamanashi­Präfektur), Nr. 108 (Lohan; Sammlung Mitsui Hachiröemon, Tökyö), Nr. 114 (Tri­ptychon: Shäkyamuni, Manjushr1, Samantabhadra; Shuzenji, Shizuoka-Präfektur); leider ohne technische Angaben und Abbildungen. Solche aufgelegten und über­nähten Goldstreifen (mit Papier- oder Pergamentbasis?) können auch als Bestand­teil der Sticktechnik, als Mittelding zwischen Kirikane und Goldstickerei betrachtet werden; jedenfalls ist diese Technik von der Goldbrokatweberei zu unterscheiden. Die Technik, Konturen gestickter Blüten usw. durch aufgelegte Goldfäden zu beto­nen, geht (nach Tunhuang-Funden zu urteilen) mindestens auf die späte T'ang-Zeit zurück; siehe Schuyler CAMMANN: "Embroidery Techniques in Old China", Archives of the Chinese Art Society of America 16, 1962, S. 17, mit Nachweisen aus Aurel STEIN: Serindia Vol. 2 und Vol. 4 (z. B. Pl. CVI).- Blattgold-Auftrag auf japanischen Textilien: SECKEL, "Das Gold ... " (s. Anm. 6), S. 96. -Siehe audl Nachträge am Ende des Aufsatzes.

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Früchten und Blättern. Zu unterscheiden ist dieses echte Kirikane von der gleichfalls auf diesen Bildern verwendeten Goldfadenstickerei (z. B. an der Löwenmähne des Manjushri-Bildes Nr. 114).

Verglichen mit dem im überlieferten Bilderbestand Chinas recht seltenen Kirikane ist die gewöhnliche Goldmalerei dort natürlich viel häufiger. So sind die Goldpartien in den beliebten Grün-Gold-Landschaften (chin-pi shan­shui 171) stets mit dem Pinsel gemalt, und auch ein Werk erlesener buddhisti­scher Miniaturmalerei wie das Titelbild des Vimalakirti-Sütra im Metro­potitan Museum in New York 12, das auf violetter Seide fast vollständig mit Gold und Silber gemalt ist - nur stellenweise auch mit Dunkelblau und Grün -, macht vom Kirikane gar keinen Gebrauch: übrigens wird auch hier gelegentlich über die Goldmalerei eine Detailzeichnung in Tusche gelegt - doch darf man in diesem Falle nicht von einem primitiven Ersatz für das sdlwierigere Kirikane sprechen, weil hier nicht bloß komplizierte Ornamentpartien vereinfacht, sondern gerade die Feinheiten des Gesichts­ausdrucks gezeigt werden sollten.

Freilich ist es oft überaus schwer festzustellen, ob es sich um Goldmalerei oder Kirikane handelt, zumal wenn das Gold schon etwas abgerieben oder ein Bild altersdunkel geworden ist; den Angaben in Katalogen und anderen Publikationen ist leider häufig nidlt zu trauen 13• Vielleicht ist es daher willkommen und auch für die praktischen Bedürfnisse von Sammlern, Museumsleuten und Kunsthändlern nützlich, hier einmal generell die

Unterscheidungsmerkmale des Kirikane

gegenüber der Goldmalerei

kurz aufzuzählen 14• Bei ihrer Feststellung ist in sehr vielen Fällen die Benutzung eines starken Vergrößerungsglases und einer kräftigen Lampe

1! Datiert 1116/1118, Osvald Srn:EN: Chinese Painting, Bd. 3 (London 1956), Taf. 212; Farbreproduktion: Sm:EN, Early Chinese Paintings from the A. W. Bahr Collec­tion, London 1938.

13 So erwies sich etwa das Gold auf dem Gemälde von Ch'en Chü-chung 181: "Wen-chi's Return to China" (ca. 1205; vgl. Three Hundred Masterpieces III 116) in der Palast-Sammlung, Taichung (Formosa) trotz der Feststellung des Aus­stellungskatalogs "Chinese Art Treasures • (Washington etc. 1961/ 1962, No. 48) bei genauer Untersuchung des Originals nicht als Kirikane.

u Manche dieser Punkte (nicht alle) sind in meinem früheren Kirikane-Aufsatz erwähnt, doch an verstreuten Stellen; die dort gebotene Beschreibung der Technik samt den dazugehörigen Illustrationen ist die Voraussetzung für obige möglichst kurz gefaßte Liste. - Ob die von Langdon WARNER (The Cralt of the Japanese Sculptor, New York 1936, S. 27) beschriebene Kirikane-Technik " ... leaf was folded according to an intricate scheme . . . and, when sliced with a calculated economy of cuts, it was opened out to show a lace-like web. This web was laid down on lines of wet glue ... " - jemals praktiziert wurde und überhaupt prakti­kabe~. war, ~st zu. bezweifeln. Eine genaue Beschreibung einer mit Kirikane ge­schmuckten Japamschen Kultstatue des 12. Jhdts. bietet Sherwood F. MoRAN: "The Kir.ikane Decoration of the Statue of Fugen Bosatsu, Okura Museum Tökyö", in: Onental Art, N. S. 6, 1960, 125-129.

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unentbehrlich, denn der bloße Augenschein trügt bei der extremen Feinheit der Unterschiede nur zu oft.

1. Kirikane glänzt heller als Goldmalerei, sofern seine Oberfläche gut erhalten istl5•

2. Aus technischen Gründen können mit Kirikane keine Flächenformen mit kurvigem Umriß (Kreise, Ellipsen, Blätter, ganze Blüten u. dergl.) aus­geführt werden, außer wenn solche in größerem Format ausgeschnitten und aufgelegt werden- dann aber handelt es sich um Flächenbelag mit Blatt­gold (chin-po, kim-paku, s. o.) und nicht um eigentliches Kirikane. Liegen kleinformatige kurvig begrenzte Flächenformen vor, so ist von vornherein Goldmalerei als wahrscheinlich anzunehmen.

3. Die typischen Kirikane-Formen sind gerade Linien (welche zu Kurven­linien gebogen werden können, s. Nr. 7) und geometrische Partikel (Quadrate, Redltecke, Rauten, Dreiecke), die von relativ breiten geraden Streifen abgeschnitten werden (Abb. 2); aus soldlen - z. T. sidl überkreu­zenden - Linien und Einzelpartikeln werden die kompliziertesten Muster zusammengesetzt (Gitter, Netze, Sterne, Blüten, Wolken etc.). Die Gold­malerei unterliegt diesen Beschränkungen nicht und wählt von vornherein oft ganz andersartige, ihrer eigenen Technik angemessene, aus freier, flüssiger Pinselzeichnung entwickelte Motive.

4. Normalerweise bleibt die Breite der Goldstreifen beim Kirikane von Anfang bis Ende gleich; An- und Abschwellen einer Goldlinie deutet auf Goldmalerei hin (doch s. o. S. 151 und Abb. 1, wobei es sich aber um einen Sonderfall handelt).

5. Die Goldstreifen-Linien haben normalerweise gerade - oder jeden­falls kantig - abgeschnittene Enden. Stoßen zwei solche Linien in einem Winkel zusammen, so bleiben infolgedessen oft winzige Lücken, die bei Goldmalerei nicht vorkämen.

6. Wenn in einem geradlinigen Kirikane-Muster der Goldstreifen um eine Ecke geführt wird, z. B. in dem beliebten quadratischen "Donner­muster" (lei-wen), so wird der Streifen beim Aufkleben durch Umkippen auf seine andere Seite herumgelegt; dabei entsteht an der Ecke eine schräge Kante, ein sicheres Merkmal des Kirikane (Abb. 3). Gitter und ähnliche aus geraden Linien zusammengesetzte Muster entstehen dagegen durch das Sieh-Uberkreuzen gewöhnlicher gerader Streifen.

7. Wird ein gerader, meist sehr schmaler Streifen beim Aufkleben in die Form einer Kurvenlinie gelegt, so ergibt sich niemals eine glatte Bogen­führung wie bei der Goldmalerei mit dem Pinsel, sondern die Kurve wird stets mehr oder weniger steif, unregelmäßig, mandlmal zitterig aussehen;

15 Die tedmischen Gründe dafür s. Griens Extremus 1/1, 1954, S. 80. Besonders deutlich wird der Unterschied wenn Kirikane auf Goldmalerei aufgelragen ist; ein ?ekanntes japanisches Beispi~l ist das Bild "Sen~ü-Yüge_?-Kan~on" l81 im R~ö­lD. des Köya-san [lOJ (Fujiwara-Zeit; Nihon Kokuho Zenshu 6; Bl)Utsu Kenkyu. 33).

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nicht selten reißt der notwendigerweise sehr dünne und ziemlich lange Streifen und es entstehen kleine Lücken. Ist der Streifen breiter, so ergeben sich Risse an der Außen- oder zusammengeschobene Runzeln an der Innen­seite der Kurve. Man kann sich das - ebenso wie Merkmal 6 - mit Hilfe schmaler Papierstreifen klarmachen. Zeigt jedoch eine Kurvenlinie den typischen an- und abschwellenden, glatten Pinselduktus, womöglidl mit dem "Nagelkopf 11 -Ansatz am Beginn und einem der aus der Kalligraphie bekannten, nur mit dem Pinsel ausführbaren Sch.lußhäkdlen oder -sdlwänz­chen, so handelt es sich um Goldmalerei.

8. Ein auf farbigen Grund aufgeklebter Goldstreifen sitzt anders auf der Seide oder dem Papier als eine flüssig aufgemalte Goldlinie, deren Pigment (Goldpaste) sich mit der Oberfläche inniger verbindet und die Textur im günstigen Falle deutlich durchscheinen läßt. Bei scharfer Schrägbeleuch­tung ist dies Merkmal unter Umständen gut zu erkennen.

9. Goldmalerei kann jedoch, besonders in der (relativ späten) Sung- und Kamakura-Zeit, bei dickerem Auftrag bisweilen ein leichtes Relief zeigen, auch wenn es sich nicht um die damals beliebte moriage-Technik 1111 handelt (Farbe oder Gold über Reliefgrundierung).

10. Goldmalerei unterscheidet sich von Kirikane oft auch durch Abschat­tierung infolge des dickeren oder dünneren Auftrags der Goldpaste und der schmiegsamen Pinselführung.

11. Wenn Kirikane-Linien oder -Punkte abgerieben oder abgeblättert sind - was bei Goldmalerei an und für sich schon viel weniger vorkommt, falls sie nicht auf einer Relief-Grundierung aus weißem Kalk liegt -, so hinter­lassen sie oft deutliche Spuren, entweder von dem Leim, mit dem sie auf­geklebt waren, oder von der Vorzeichnung, der sie ursprünglich folgten 16.

Westliche Parallelen

Wenn wir als Abendländer solc..h. eine bezeichnend ostasiatische Kunst­technik wie das Kirikane studieren, liegt die Frage nahe: gibt es etwas Ähnliches vielleicht auch im Westen? Der Goldgrund und Golddekor unserer mittelalterlichen Gemälde, die Verwendung von Gold in der Olmalerei, der Blattgoldbelag gotischer und barocker Holzskulpturen: das alles und mancherlei sonst ist nicht wirklich vergleichbar. Etwas aber, was dem ost­asiatischen Kirikane in technischer Hinsicht - wenngleich bei weitem nicht dem künstlerischen und handwerklichen Niveau nach - genau entspricht, sind die großen, aus Blattgold-Rauten und sdunalen Streifen zusammen-

18 Deutlich sichtbar auf der Farbtafel mit einem Detail der Amitäbha-Figur aus einem Wandbild der "Phönix-Halle" {Höödö) des Tempels Byödö-in zu Uji, Japan (1053): Hoodo Zulu (Hekiga-hen) 1121, hrsg. von der Bunkazai Hogo Iin-kai [11] (Com­mission for Protection of Cultural Properties), Tökyö 1958, Abb. 42; vgl. AKIYAMA Terukazu: Japanische Malerei, Genf (Skira) 1961, TafelS. 43.

(11] ~J:.

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gesetzten, auf die Farbsdlid:lt geklebten Kränze oder Halsketten - manch­mal auch Gewandmuster - der Mumienporträts aus A.gypten 11. Dieser Schmuck hatte wohl überwiegend einen sakralen Charakter und wäre darin dem Kirikane der buddhistischen Kunst Ostasiens verwandt. Natürlich er­hebt sich nun die Frage, ob zwischen den beiden so weit getrennten Phäno­menen irgendein Zusammenhang besteht, ob es auch anderswo noch Beispiele für eine derartige Golddekortechnik gibt und ob sie etwa als räumliche und zeitliche Zwischenglieder anzusprechen wären. Ohne Vollständigkeit zu erstreben, sei hier einiges Material für die Diskussion dieser Frage gesam­melt.

Für das in Ostasien, besonders häufig in Tunhuang, zusammen mit dem Kirikane im engeren Sinne vorkommende Verfahren (s.o.), kleinere oder größere Blattgoldstücke aufzukleben und auf ihnen die feine Binnenzeich­nung in Tusche oder bisweilen in roter Farbe anzubringen, finden sich west­liche Parallelen. An erster Stelle sind die in Chotscho (Turfan) entdeckten manichäischen Miniaturen zu nennen, Werke der höfischen Kunst im dorti­gen Uighurenreich und etwa im 8./9. Jhdt. geschaffen. Sie vertreten als öst­lichste, zufällig erhaltene Belegstücke eine wesentlich ältere und viel weiter im Westen beheimatete Kunst. In reichem Maße, entsprechend der luxuriösen Ausstattung dieser Handschriften, ist hier das Gold verwendet, überwiegend in relativ großflächigem Auftrag 18, teilweise aber auch in feineren, sChmalen Streifen, wenn der Gegenstand der Darstellung es gebot oder erlaubte (z. B. bei dünnen Baumstämmchen, Blütenstengeln, Ranken oder auch Rahmen­leisten) 19 . Da außer den in Chotscho gefundenen Miniaturen von der mani­chäischen Buchmalerei nichts erhalten ist, läßt sich die Frage, ob ihre Goldtechnik von China übernommen oder aber aus dem Westen Asiens mit­gebracht wurde, nicht leicht beantworten.

Seit ca. 670 gab es in China dank seinen engen Verbindungen mit Tur­kestan eine manichäische Mission, 694 besuchte ein manichäischer "Electusu den Kaiserhof, und 719 wurde ein höherer manichäischer Würdenträger aus Baktrien dorthin gesandt. 762 besetzten die Uighuren Loyang, ihr Chaghan Bugug (ca. 760-780) begegnete dort manichäischen Geistlichen, wurde be­kehrt und machte den Manichäismus in seinem Reich zur Staatsreligion. In China wurde dieser zwar 843 zusammen mit dem Buddhismus verboten, lebte aber in dem - freilich überwiegend buddhistischen - Uighurenreich von

17 Hilde ZALoscER: Porträts aus dem Wüstensand: Die Mumienbildnisse der Oase Fayum, Wien/München 1961, Taf. 13, 17, 18, 28 (die letzte farbig) . Die Ver­fasserin spricht S. 17 und 18 nur von gemalten Goldkränzen; an Originalen - ich untersuchte solche im British Museum, im Metropolitan Museum in New York ':ffid anderen Museen - ist der Sachverhalt jedoch eindeutig feststellbar, was mcht ausschließt, daß auch Goldmalerei gelegentlich vorkommen mag. - Auf dem Frauenporträt Nr. 29772 im British Museum ist außer dem Kranz ein Halssdunuck in Blattgoldstückehen ausgeführt (Abb.: A. F. SHORE: Portrait Painting from Roman ~gypt, 1962, Taf. 7), auf vier Bildnissen (09.181.3, .5, .6, .7} im Metropolitan Museum 1st auch der ganze Bildgrund mit Blattgold belegt. . . .

18 Albert von LE CoQ: Die buddhistische Spätantike in M1ttelaszen, Bd. 2, Berhn 1923, S. 18; Farbtafeln 6(e), 7(d 1,2,3); vgl. LE CoQ: Chotscho, ~erlin .1913: - Mario BussAGLI: Die Malerei in Zentralasien, Genf (Skira) 1963, farb1ges T1telb1ld.

18 LE CoQ: Chotscho Taf. 5.

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Cbotscho (8./9. Jhdt.) fort 20 • Nach alledem sähe es fast so aus, als könne man das in Rede stehende Phänomen einfach durch d·en starken Einfluß der T'ang-Kultur und der buddhistischen Kunst auf die Uighuren erklären. Doch ist es ja bekannt, daß die Manichäer im Iran und im ganzen Nahen Orient von früh an eine bedeutende, ja luxuriöse Buchmalerei und Buchausstattung liebten; Mani (216-276 oder 277) selbst war Maler, weil er seine Lehre auch durchs Bild verbreiten wollte, und schon Augustin (354-430) ereiferte sich nach seiner Bekehrung vom Manichäer zum Christen über den Luxus dieser Bücher, von deren allzu reichem Goldschmuck er ausdrücklich spricht (Contra Pausturn 13). Mani hat schon zu seinen Lebzeiten seine Religion bis nach Ägypten verbreiten können, und auch nach Osten hin schickte er Missionare, Schreiber und Buchmaler - zunächst nach Choräsän, von wo aus dann, be­sonders über das wichtige Ausstrahlungsgebiet Sogdien, dieser Glaube sich immer weiter ausbreitete 21 • Die Entstehung der manichäischE:m Malerei -es gab auch Wandgemälde- mitsamt ihrem Goldschmuck muß man also im Zusammenhang der spätantik-vorderasiatischen (d. h. syrisch-mesopota­misch-iranischen) Kunstgeschichte sehen. Diese Tatsachen, die Existenz der in die gleichen größeren kunsthistorischen Zusammenhänge gehörenden goldverzierten Mumienporträts sowie die zwar verlorene, aber in einer Spät­form in Turfan erhaltene manichäische Buchmalerei, die zwischen dem 3./4. und dem 8./9. J hdt. vom Nahen bis zum Fernen Osten eine bedeutende Ent­faltung erlebt haben muß, lassen vermuten, daß es in Westasien schon im 2. Viertel des 1. nachchristlichen Jahrtausends eine religiöse Malerei gab, für die bestimmte Verfahren des Golddekors charakteristisch waren; diese sind dann offenbar mit der manichäischen Mission auch in China bekannt gewor­den. Neben anderem beweist die Tatsache, daß die unter den manid1äischen Turfantunden besonders häufig vorkommende Buchform der Codex und nicht die Rolle ist, den westlichen Ursprung dieser Buchkunst.

Daß die manichäische Buchmalerei und ihre Golddekoration, wie sie in den Turfantunden vor uns steht, ihre spezifische Form wohl kaum einem chinesi­schen Einfluß verdankt, darauf deuten nicht nur viele ikonographische und stilistische, in den iranischen Bereich zurückweisende Züge hin, auch nicht nur das, was wir über die Frühgesdlichte der manidläischen Malerei im Nahen Osten erschließen können, sondern vor allem der offenbar sehr we­sentliche Beitrag, den sie zur Ausbildung der islamischen Buchmalerei ge­leistet hat - so daß eine innerhalb des Nahen Ostens verlaufende, ge­schlossene Entwicklung sichtbar wird, die zeitlich früher liegt als die TuTfan­Miniaturen und ohne Zusammenhang mit Ostasien denkbar ist 22. Außer den

!o Geo WIDENGREN: Mani und der Manichäismus (Urban-Bücher 57), Stuttgart 1961, S. 133 f.; Annemarie VON GABAIN: Das uigurische Königreich von Chotscho 850-1250 (Sitz.-Ber. d. Deutschen Akad. d. Wiss. Berlin, Kl. f. Sprachen, Literatur u. Kunst, Jgg. 1961, Nr.5), Berlin 1961, S. 19.

21 WIDENGREN, a.a.O., S. 41 f. 22 Die Wandmalereien von Samarra (838-883), in denen die sasanidisdle Tradi­

tion fortlebt, trugen ebenfalls aufgeklebtes Blattgold (Perlen, Flaschen, Schalen, Diademe, Gürtel usw.), das freilich bis auf geringe Reste abgeschabt worden war (Ernst HERZFELD: Die Malereien von Samarra, Berlin 1927, S. 10 f.; Taf. I; die Farb­tafeln II und VI bieten Rekonstruktionen des ursprünglidlen Zustands einsdlließli<:h des Golddekors). - Ein wegen seines ziemlich weit westlich liegenden Fund-(ob

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(syrisch-arabischen) nestorianischen Christen, die spätantike Kunsttraditio­nen vermittelten, waren es Manichäer, die für die ersten islamischen Herr­scher als Schreiber und Maler arbeiteten, und auch nach dem Erlöschen ihrer Religion im Iran wirkten die Maltedmik, der Motivschatz und die Stilformen ihrer Kunst noch lange weiter 23 • Jedenfalls begegnen wir auch inder-nun freilich überwiegend erheblich später belegten - arabischen und persischen Buchmalerei den gleichen Goldtechniken wie in der manichäischen und z. T. der ostasiatisd:len: dem Aufkleben größerer oder kleinerer, grob zurecht­geschnittener Blattgoldstücke mit linearer Zeichnung darüber, aber auch dem Auftragen von schmalen Blattgoldstreifen 24 • Die persische Keramik des 12./ 13. Jhdts. kennt ebenfalls das Aufkleben von Blattgoldstückehen und -streifen, aus denen z.T. omamentale Gebilde in der Art des ostasiatischen Kirikane oder auch kufische Insdlriften geformt werden; es handelt sich um die mit der Miniaturmalerei eng verwandte sog. Minai-Keramik aus Rayy und aus Kashan mit Uberglasur-Emailmalerei, deren Technik einschließlich des Blatt­golds- dieses wird mit der Sd:lere zured:ltgeschnitten, aufgeklebt und dann poliert - in einem Traktat von 1301 beschrieben ist 25 • Das Aufkleben von Blattgolddekor auf die Glasur kam übrigens auch bei der chinesischen Ting­yao-Keramik der Sung-Zeit gelegentlid:l vor 26• Ein Zusammenhang zwischen West und Ost besteht dabei wohl nidlt; die beiden relativ späten Phänomene leiten sid:l vermutlich aus der hier wie dort seit langem bestehenden Tradi­tion des Golddekors in Malerei und Kunstgewerbe her.

Herstellungs-?)ortes und seiner relativ frühen Entstehungszeit (spätestens 7. Jh.) interessantes Stück aus Zentralasien ist die hölzerne Reliquienbüchse aus Kutschä (Tökyö, Sammlung Kimura), die ausgesprochen gandhareske und namentlich irani­sche Malereien trägt und deren oberer und unterer Rand ringsherum mit Reihen von quadratischen Blattgoldstückehen verziert ist. In der Kette der zufällig erhaltenen Zeugnisse für die aus dem Nahen Osten stammende Golddekortechnik bildet das Reliquiar ein wichtiges Zwischenglied. (KUMAGAI Nobuo in Bijutsu Kenkyü 191, March 1957, Farbtafel I, Text S. 250; vgl. BussAGLI a. a. 0 . S. 83, 86 f., 89.)

23 "Manichaean art, as far as can be judged from the scant remains, seems to have had special significance as an exchange agent formulating and transmitting motifs, techniques, and ideas that were of considerable importance for later Persian art." (Ugo MoNNERET DE VILLARD: The Relations of Manichaean Art to Iranian Art. In: A. U. PoPE and Ph. AcKERMAN: Survey of Persian Art, Bd. 3, London/New York 1939, S. 1820-1828; Zitat: 1828.) - Mario BussAGLI (a.a.O., S. 111) vertritt die Auf­fassung, der aus dem Zusammentreffen iranischer und chinesischer Elemente in der manichäischen Malerei von Turfan entstandene Stilwille sei westwärts gedrungen und habe dann einen tiefen Einfluß auf die islamische Kunst ausgeübt; diese Auffas­sung bedarf wohl gerrauerer Prüfung.

24 Beispiele bei Richard ETTINGHAUSEN: Arabische Malerei, Genf (Skira) 1962 (zahl­reiche Farbtafeln); schmale "Kirikane"-Streifen: Tafel S. 111 (Baghdad, ca. 1225-1235). - Basil GRAY: Persische Malerei, Genf (Skira) 1961, Farbtaf. S. 20, 21, 29, 32 u. a. (spätes 13. und 14. Jhdt.); Survey of Persian Art (s. Anm. 23), Bd. 5, Taf. 813ff. (z. T. farbig).

25 Maurice S. DIMAND: A Handbook of Muhammadan Art, 3rd Edition, New York 1958, S. 186 ff. -Beispiele: Survey of Persian Art (s. Anm. 23), Bd. 5, Farbtaf. 651 , 652 (hier Muster aus kleinen geometrischen Goldpartikeln, 12. Jhdt.), 669, 670, 672, 679, 693, 699.

21 FUJIO KoYAMA: Keramik des Orients, Tökyö/Würzburg/Wien 1959, Taf. 27; vgl. japanische Originalausgabe: Töyö Ko-Töji 1141 Tökyö 1954-57, Sung-Heft, Erläute­rungstext zu Taf. 1. Daß es sich um aufgelegtes Blattgold handelt, beweisen auch die Eindruckspuren an den Stellen, wo das Gold verschwunden ist.

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Die Selbständigkeit der Entstehung, Entwicklung und vielseitigen Anwen­dung des Blattgolddekors im Nahen Osten leuchtet aus dem Gesagten wohl ein- namentlich auch aus chronologischen Gründen, wobei dem "Kirikane"­Dekor der Mumienporträts der ersten naChchristliChen Jahrhunderte als Re­präsentanten einer wohl weiter verbreiteten spätantiken Kunstübung beson­deres Gewicht zukommt. So dürfte die manichäische BuChmalerei von Turfan ihre GoldteChnik wohl kaum aus der chinesischen Kunst übernommen haben. Ob sie sie umgekehrt an die chinesische Kunst vermittelt hat, müßte unter besonderer Berücksichtigung der Chronologie genauer untersucht werden. Die frühesten Belege für das Kirikane und die mit ihr zusammenhängenden Techniken in China und seinen Nachbargebieten (besonders Tunhuang) stammen aus der T'ang-Zeit, vor allem aus ihrer zweiten Hälfte (also etwa 750-900), während der älteste Beleg in der damals völlig unter koreani­schem und chinesischem Einfluß stehenden japanischen Kunst in das frühe 7. Jhdt. zurückgeht (Lokapäla-Holzstatuen in der Goldenen Halle des Höryüji) und die Arbeiten im Shösöin (errichtet 756) chinesische Werke min­destens aus dem frühen 8., vielleicht dem 7. Jhdt. voraussetzen. Für das späte 7. Jhdt. aber haben wir (s.o.) einen Beleg über die Anwesenheit von Manichäern in der T'ang-Hauptstadt, und bekanntlich hat gerade die Kunst der kosmopolitisch gesinnten T'ang-Zeit überaus zahlreiche Anregun­gen aus dem Westen Asiens - durCh Vermittlung Zentralasiens - aufge­nommen. Dennoch ist der nun naheliegende SChluß niCht zwingend, vor allem wegen des relativ sehr frühen, wenn auch sporadisChen Auftretens des Kiri­kane in Japan, das Vorbilder im China der Sechs-Dynastien-Zeit vorausset­zen würde, für die bisher jeder Hinweis fehlt. Es mag solche Vorbilder ge­geben haben; aber nur wenn gleichzeitige Belege für eine - vielleicht durch manichäische oder andere Kultureinflüsse vor 600 vermittelte- Auf­nahme der westasiatischen Golddekortechnik in China vorlägen, wäre ihre Herkunft aus dem Nahen Osten wahrscheinlich. Doch ist ja die Uberlieferung der chinesischen Kunst, namentlich der Malerei und der Holz- oder Lackpla­stik der T'ang- und Vor-T'ang-Zeit, zu lückenhaft, als daß man die Möglich­keit, jene DekorteChnik für Arbeiten der Plastik, Malerei und Gerätkunst sei in China selber schon früh und selbständig erfunden worden, ausschlie­ßen könnte oder gar müßte. Das letzte Wort kann noch nicht gesprochen werden; immerhin: angesichts der überragenden kunsttedmischen Begabung der Chinesen wäre eine solche Originalität ja schließlich nicht zu verwundern. Den Ruhm der letzten Perfektion allerdings kann das japanische Kirikane für sich in Anspruch nehmen, das spätestens im 11. Jhdt. 27 - also vor den von uns herangezogenen sung-zeitlichen Werken Chinas- bereits ein hohes technisches und ästhetisches Niveau erreichte und diese Leistungen im 12. und 13. Jhdt. noch überbot 28.

! 7 Vgl. Anm. 16. 28 Modernes Kirikane in traditionellem Stil und Verfahren von NISHIDE (oder

NismmE) Taizö, Zeitschrift Geijutsu Shinchö [15) (Tökyö) XIII/2, Nr.146, 1962, S. 114ff., mit Abbildungen.

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Nachträge zu Anmerkung 11:

Uber buddhistisdle Bildstickereien ersdlien jetzt auf Grund der erwähnten Aus­stellung das Werk Shilbutsu, hrsg. vom Nationalmuseum zu Nara (Tökyö, Kadokawa Shoten, 1964); s. dort Abb. 142 ff., technisdle Erläuterungen S. 84 ff.

Ein Stickerei-Fragment mit einem sitzenden Bodhisattva, das aus Chotscho stammt (etwa 800/900), trägt an den Haaren, Gewandlinien und Schmuckstücken der Figur aufgenähte vergoldete Papierstreifen; Albert von LE CoQ I Ernst WALD:>CHMIDT:

Die buddhistische Spätantike in Mittelasien, Teil VII (Neue Bildwerke III), Berlin 1933, Taf. 34.

Goldstickerei unter Verwendung von Blattgoldstreifen war seit der Tang-Zeit gebräudllidl und blieb es auch viel später nodl; s. Sekai Bijutsu Zenshü Bd. 14 (Tökyö, Heibonsha 1945), S. 278 zu Textabb. 172: Beispiel aus der Yüan-Zeit (1295).

Dagegen fand sidl echtes, äußerst feines Kirikane auf Textilien der Sung-Zeit unter den Objekten im Inneren der von dem Priester Chönen aus China mitgebrach­ten Shäkyamuni-Statue im Seiryöji zu Kyöto (terminus ante quem: 985) ; s . Gregory HENDERSON and Leon HuRVITZ: "The Buddha of Seiryöji", Artibus Asiae 19, 1956, Sonderdruck S. 24 (Anm. 40) und S. 40.

Abb. 1

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Abb. 2 Abb. 3

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