Kittler - Interview - Nicht Cyborg, sondern Affe

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    Nicht Cyborg, sondern Affe -

    ein Interview mit Friedrich Kittler

    erschienen am 17. April 2005 auf Telepolis

    Sie scheint sonderbar unzeitgem, diese Rechtschreibreform am Ende der Gutenberg-Galaxis? Wozudenn noch? Das Leitmedium Buch ist durch den Computer abgelst. Vielleicht gehen wir gar auf denTag zu, da Computer eine durchgngig computerisierte Umwelt steuern. Aber so sehr wir uns danachsehnen, wir werden diesen Tag nicht als Cyborg erleben. Einfach, weil sich Silizium und Kohlenstoffnicht miteinander vertragen. Der Mensch bleibt ein Affe, in den der Virus namens Spracheeingedrungen ist. Und deshalb will er sich von bundesdeutsch verfetteten Gesen in den

    Ministerien nicht diktieren lassen, wie er zu schreiben hat, sagt Friedrich Kittler, Professor frsthetik und Geschichte der Medien an der Humboldt-Universitt Berlin.

    TELEPOLIS:Warum denn noch eine Rechtschreibreform, wenn die Schrift nunmehr nur noch eineUnterkategorie des alphanumerischen Codes ist?

    KITTLER: Das stammt von Vilem Flusser, glaube ich.

    TELEPOLIS: Sollte man also nicht besser ber die Funktionslosigkeit der Sprache sprechen?

    KITTLER: Hat jemals jemand je gesagt, die Sprache wre nicht das Haus des Seins? Klar, Drucke,

    Schriften und auch Alphabete sind alle irgendwelche Galaxien, Medien, lang vor Gutenberg und langenach ihm. Aber nur soweit sie diesem Haus des Seins, des Gliederns, Scheidens, Fgens irgendwieentsprechen, find ich, sollten bundesdeutsch verfettete Gese in den Ministerien weniger an ihnenrhren drfen als wir alle. Wir werden im Moment von Leuten aus dem zweiten Bildungsweg regiertund die mchten unsere Bildung aus dem ersten Bildungsweg abschaffen.

    TELEPOLIS: Vielleicht gibt es diese Reform, nicht weil sie ntig ist, sondern weil sie mglich ist.Wollte man Programmiersprachen einer vergleichbaren Reform unterziehen, es wre unmglich.

    KITTLER: Wenn ich manchen meiner Bcher da erlaube, in anderen nur dass, spr ich schonden Unterschied. In Pascal, C, Intel-Assembler wgen solche Unterschiede noch viel schwerer. Statt

    eines Kommas einfach ein Semikolon gesetzt zu haben, kann mrderisch sein. Es gibt Semikola, diedas Programm in Endlosschleifen strzen. Irgendwie muss man dann mit dazwischengehen.Diese Schreibsysteme, die Sie mit Recht alphanumerisch nennen, sind eineindeutig und jedes Elementist wichtig, unersetzlich und unnderbar. Jedes Element, jedes kleinste Element trgt einemathematische oder logische Bedeutung. Das ist eine neue, ganz strenge Orthografie. Insofern kannman kein Jota oder kein Tpfelchen dran ndern, wie es Jesus von Nazareth in Bezug auf dashebrische Alphabet gesagt hat. Und umgekehrt hat die deutsche Rechtschreibung eine sehr, sehrlange Geschichte. Man knnte sie im Ganzen erzhlen, was sehr lustig wre. Eine entscheidende, fruns historisch wichtige Etappe ist die gewesen, als die Hierarchien des spten Mittelalters in dieSchrift hineingegossen wurden. Im Unterschied zum Beispiel zum Franzsischen schreiben wir ja

    smtliche Hauptworte, diese Nominalsubstantive, gro, um die Frsten, die Bischfe und die Heiligenzu ehren. Das waren die ersten. Im frhen Barock, also um Sechszehnhundert, war es schon sodramatisch, dass die sozialen oder die kulturellen Hierarchien in der deutschen Groschreibung

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    abgebildet waren. Fr Gott den Herrn, der noch hher war als alle anderen Wesen, mussten eben diebeiden ersten Buchstaben gro geschrieben werden. Also HErr mit gro H und gro E und klein rr,um die besondere Signifikanz zu zeigen. Es ist ja bekannt, dass die Reformer die Abschaffung derGroschreibung zu ihrer allerdringlichsten Aufgabe gemacht haben. Das haben sie nichtdurchgekriegt. Den politisch sozialen Grundgedanken der Rechtschreibreform sieht man in diesemTeil, der nicht durchgesetzt wurde, am deutlichsten. Es ging um die Abschaffung des Hierarchischenam Deutschen und das kann man ja schon deshalb nicht abschaffen, weil die Ministerprsidenten der

    Bundeslnder de facto die direkten Rechtsnachfolger der Frsten sind und diese verhalten sich in derFrderalismusdiskussion ganz so, als ob sie immer noch der Herzog von Sachsen oder von Badenoder von Bayern wren.

    TELEPOLIS: Unsere westliche Werteskala, die auf dem geschriebenen Wort aufbaut, ist durchTelefon, Radio, Fernsehen ins Wanken geraten. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele sehrgebildete Leute in unserer Zeit es schwierig finden, diese Frage zu beantworten, ohne dabei moralischin Panik zu geraten. Dieses Argument von Marshall McLuhan findet sich bei denReformbefrwortern in gewisser Weise wieder. Streitpunkt seien nicht die einzelnen orthografischennderungen. Es geht um die Krise der Schrift selbst, so das Argument. Es gehe um Macht. Die

    Intellektuellen sehen ihre Seins- und Schaffensgrundlage in Gefahr. Deshalb schimpfen sie so auf dieRechtschreibreform.

    KITTLER: Niemand wrde an dieser Stelle McLuhan mehr zustimmen und mit vielleicht besserenGrnden von McLuhan als den von Ihnen vorgelesen Stzen. Es wre schn, wenn wir alleunsterblich wren und Platon reden hren knnten. Er wrde uns seine Meinung selber sagen. Abernein, er ist tot und so muss er schreiben. Aus dem einfachen Grund, weil berlieferung ohne Symbolenicht funktioniert. Und deshalb ist die Krise nicht so riesig wie sie McLuhan beschreibt.

    TELEPOLIS: Aber es gibt eine ernsthafte Krise der Schrift.

    KITTLER: Ich sehe es nicht so recht. Wir knnen rber gehen und ich zeige Ihnen endlos viel Code,den ich in meinem Leben geschrieben habe und der macht schne Bildchen und Tne. Ich generieremit Schrift das Gegenteil.

    TELEPOLIS: Bilder und Tne.

    KITTLER: Das ist der Punkt, den McLuhan noch nicht begriffen hat, weil er an der Schwelle desComputerzeitalters seinen Blackout gehabt hat, glaube ich. Ich schreibe einfach Buchstaben undZahlen und am Ende sehe ich ein Stck Natur als simuliertes Bild. Aber das ist nicht die normaleSchrift. Das ist nicht die Schrift von Herrn Schrder und nicht die Schrift unserer Kultusminister undnicht die Schrift unserer Dichter.

    TELEPOLIS: Wer beherrscht schon Programmiersprachen oder hat auch nur Zugang zu Programmen.Es fhrt dazu, dass die Welt als Computersimulation erlebt wird.

    KITTLER: Das ist von Baudrillard.

    TELEPOLIS: Und Sie greifen es auf.

    KITTLER: Es kann niederschmetternd sein, dass man nicht mehr wei, was simuliert ist und wasnicht. Einige Bilder sind einfach gefilmt, andere berechnet. Der normale Zuschauer soll keinenUnterschied sehen und sieht ihn wohl auch nicht. Filme wie Matrix ziehen ihre ganze Faszination

    daraus und aus dem Drohgehabe, das solchen Filmen immer innewohnt.

    TELEPOLIS: Sie haben sich in einem Interview mit Alexander Kluge darber unterhalten, wie sich

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    Computer einordnen lassen. Tote Arbeit im marxschen Sinne, dass, wenn sie in eine Maschinehineinschneiden, das Blut der Arbeiter, die sie gebaut haben, herausfliet, scheinen diese Computer

    jedenfalls nicht nur zu sein, meinte Kluge.

    KITTLER: Blut?

    TELEPOLIS: Ja, weil Computer heute von Computern gebaut werden, nicht von Menschen und

    Computer zuallererst mit Computern verschaltet sind und nicht mit Menschen. Besonders traurigscheinen Sie darber nicht zu sein. Sie mgen den Cyborg-Gedanken nicht besonders.

    KITTLER: Da haben Sie vllig recht. Ich sehe nicht, warum zwischen menschlichem Fleisch,zwischen Kohlenstoffverbindungen und diesem Silizium und Siliziumdioxid-Geschichten stndigBrcken gebaut werden sollen, damit auch noch diese Grenze verschwindet. Das ist ja der Traum vomCyborg. Der Mainstream der Hardwareentwicklung, der Siliziumchipentwicklung hat sich in keinsterWeise cyborgmig in den letzten 50 Jahren bewegt, sondern kitzelt immer dringlicher dieGrundstruktureigentmlichkeiten von Silizium heraus. Es gibt berlegungen, zu Kohlenstoffberzugehen und nicht mehr auf der Ebene von vielen Moleklen, sondern von Einzelmoleklen dieWelt sich rechnen zu lassen. Aber Quantencomputer sind theoretisch viel, viel interessanter. Dieorganischen Computer wrden die Dinge nur linear verbessern. Woran wir heute einen Tag rechnen,daran wrden Kohlenstoffcomputer eben einen halben Tag rechnen. Die Quantencomputer wrdenstatt an einem Tag in drei Sekunden fertig sein. Das ist theoretisch absolut sicher.

    TELEPOLIS: Sie haben einmal gesagt, wir steuern auf den Tag zu, da Computer eine durchgngigcomputerisierte Umwelt steuern.

    KITTLER: Das ist etwas tendenziell gesagt, damit die Leute etwas erschrecken. Als Fluchtlinie habeich das gesagt.

    TELEPOLIS: Mich wrde interessieren, was ist der Mensch in dieser Welt, wenn er kein Cyborg ist?KITTLER: Am liebsten wrde ich ja mit William Burroughs antworten: Er ist ein Affe, wie alleanderen Affen, aber von einem fremden Planeten ist der Virus namens Sprache in den Menscheneingedrungen.

    Das Gesprch fhrte Antje Wegwerth[erschienen am 17. April 2005 auf Telepolis (Heise)]

    Beitrge:

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