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»Das ist der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören« Mehr als 25 Jahre lang hat Gregor Gysi die Politik in Deutschland mitgeprägt, demnächst zieht er sich aus der ersten Reihe zurück: Im Exklusiv-Interview zieht er Bilanz – Seite 6 Selten zuvor haben so viele Be- schäftigte in Deutschland ge- streikt. Bei Bahn und Post, in Kitas und Krankenhäusern legten sie die Ar- beit nieder, um sich gegen eine immer härtere Arbeitswelt zu wehren. Sie kämpfen für bes- sere Bezahlung, familienfreundliche Arbeitszeiten, für mehr Anerkennung und zusätzliches Personal. Aus gutem Grund: Immer mehr Menschen erkranken wegen Arbeitsstress und Arbeits- verdichtung. Zudem prägen prekäre Jobs zuneh- mend die Arbeitswelt und sorgen für Existenz- ängste. DIE LINKE will das ändern und kämpft an der Seite der Beschäftigten für eine menschenfreundliche Arbeitswelt. Dazu hat sie die Kampagne »Das muss drin sein.« gestartet. Eine der wichtigsten Forderungen lautet: Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst. So krank macht die neue Arbeitswelt – Seite 4 Welche Beschäftigten streiken und warum – Seite 5 Vor zwei Jahren enthüllte Edward Snowden den größ- ten Überwachungsskandal der Geschichte: Geheim- dienste, allen voran die US- amerikanische NSA, spionie- ren die gesamte Menschheit aus - auch die deutsche Bevöl- kerung. Seitdem behindert die Bundesregierung die Aufklär- ung – wohl auch, weil der deutsche Geheimdienst BND in den Skandal verstrickt ist. Mehr dazu auf Seite 3 Klar Klar Nr. 35 Sommer 2015 www.linksfraktion.de Zeitung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Beim Regionalligisten SV Babelsberg 03 haben Flüchtlinge eine eigene Mannschaft gegründet. Demnächst sollen sie in der Kreisliga auf Punktejagd gehen und wären damit das erste reine Flüchtlingsteam im deutschen Fußballbetrieb. Auf Seite 12 Babelsberg Meisterliches aus Keine Rendite mit der Miete Der Film »Mietrebellen« über den Berliner Wohnungsmarkt feiert international Erfolge und ermutigt zum Widerstand gegen gierige Investoren, skrupellose Makler und rasant steigende Mieten. Mehr auf Seite 10 DIGITALE SELBST- VERTEIDIGUNG 6 Tipps gegen NSA, BND & Co. Die Augen und Ohren der Spitzel: Abhöranlage in Bad Aibling in Bayern Tarifkonflikt im Sozial- und Erziehungswesen Streik bei der Deutschen Post Arbeitskampf des Krankenhauspersonals Martin Plenz Achtung, wir werden überwacht! FÜR GUTE ARBEIT! FÜR GUTE LÖHNE! Uwe Hiksch picture-alliance/dpa ( 2 ) picture-alliance/dpa picture-alliance/dpa Griechisches Nein zum Spardiktat Die Mehrheit sagt Nein: Mehr als 61 Prozent der grie- chischen Bevölkerung haben sich bei einem Referendum Anfang Juli gegen die Spar- politik und die Diktate der Ex-Troika (Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank, EU-Kommission) ausgesprochen. Mehr auf Seite 2 Frank Schwarz Aus Solidarität mit dem griechischen Volk: Kurz vor dem Referendum wirbt die Fraktion DIE LINKE mit einer nächtlichen Projektion an der Fassade des Bundesfinanzministeriums in Berlin für ein »Oxi« (Nein).

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»Das ist der richtige

Zeitpunkt, um aufzuhören«

Mehr als 25 Jahre lang hat Gregor Gysi die Politik

in Deutschland mitgeprägt, demnächst zieht er sich

aus der ersten Reihe zurück: Im Exklusiv-Interview

zieht er Bilanz – Seite 6

Selten zuvor haben so viele Be-schäftigte in Deutschland ge-streikt. Bei Bahn und Post, in Kitas und Krankenhäusern legten sie die Ar-beit nieder, um sich gegen eine immer härtere Arbeitswelt zu wehren. Sie kämpfen für bes-sere Bezahlung, familienfreundliche Arbeitszeiten, für

mehr Anerkennung und zusätzliches Personal.Aus gutem Grund: Immer mehr Menschen erkranken wegen Arbeitsstress und Arbeits-verdichtung. Zudem prägen prekäre Jobs zuneh-mend die Arbeitswelt und sorgen für Existenz-

ängste. DIE LINKE will das ändern und kämpft an der Seite der Beschäftigten für eine menschenfreundliche

Arbeitswelt. Dazu hat sie die Kampagne »Das muss drin sein.« gestartet. Eine der wichtigsten Forderungen lautet: Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst.

So krank macht die neue Arbeitswelt – Seite 4Welche Beschäftigten streiken und warum – Seite 5

Vor zwei Jahren enthüllte Edward Snowden den größ-ten Überwachungsskandal der Geschichte: Geheim-dienste, allen voran die US-amerikanische NSA, spionie-ren die gesamte Menschheit aus - auch die deutsche Bevöl-kerung. Seitdem behindert die Bundesregierung die Aufklär-

ung – wohlauch, weil der deutsche Geheimdienst BND in den Skandal verstrickt ist. Mehr dazu auf Seite 3

KlarNr. 35 ✶ Sommer 2015 ✶ www.linksfraktion.de Zeitung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

KlarNr. 35 ✶ Sommer 2015 ✶ www.linksfraktion.de Zeitung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Beim Regionalligisten SV Babelsberg 03 haben Flüchtlinge eine eigene Mannschaft gegründet. Demnächst sollen sie in der Kreisliga auf Punktejagd gehen und wären damit das erste reine Flüchtlingsteam im deutschen Fußballbetrieb. Auf Seite 12

BabelsbergMeisterliches aus Keine Rendite

mit der Miete

Der Film »Mietrebellen« über den Berliner Wohnungsmarkt feiert international Erfolge und ermutigt zum Widerstand gegen gierige Investoren, skrupellose Makler und rasant steigende Mieten. Mehr auf Seite 10

DigitAle SelBSt- verteiDigung6 Tipps gegen NSA, BND & Co.

Die Augen und Ohren der Spitzel: Abhöranlage in Bad Aibling in Bayern

Tarifkonflikt im Sozial- und Erziehungswesen

Streik bei der Deutschen Post

Arbeitskampf des Krankenhauspersonals

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griechisches nein zum Spardiktat Die Mehrheit sagt Nein: Mehr als 61 Prozent der grie-chischen Bevölkerung haben sich bei einem Referendum Anfang Juli gegen die Spar-politik und die Diktate der Ex-Troika (Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank, EU-Kommission) ausgesprochen. Mehr auf Seite 2

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Aus Solidarität mit dem griechischen Volk: Kurz vor dem

Referendum wirbt die Fraktion DIE LINKE mit einer nächtlichen

Projektion an der Fassade des Bundesfinanzministeriums in

Berlin für ein »Oxi« (Nein).

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Schallende Ohrfeige für Angela Merkel

Kommentar

Die Menschen in Grie-chenland haben sich zum Glück nicht einschüch-tern lassen. Das Ergebnis des Referendums ist eine schallende Ohrfeige für Kanzlerin Angela Merkel und die EU-Technokraten. Die griechische Bevölke-rung hat deutlich »Nein« zu neuen Krediten und Kürzungsprogrammen ge-sagt. Statt eines neuen Rettungsrings aus Blei haben sie die Freiheit gewählt.

Auch wir als deutsche Steu-erzahlerinnen und -zahler können der griechischen Bevölkerung dankbar sein: Wenn dieses Votum re-spektiert wird, können nicht erneut europäische Steuermilliarden für eine völlig verfehlte Politik verschleudert werden.

Der Vorschlag der Institu-tionen – Europäische Zen-

tralbank, EU-Kommission und Internationaler Wäh-rungsfonds –, der unter anderem Mehrwertsteu-ererhöhungen und Renten-kürzungen vorsah, muss deshalb jetzt endgültig vom Tisch.

Entweder Merkel und ihre Troika-Gang respektieren in neuen Verhandlungen endlich demokratische Entscheidungen und un-terstützen nun einen Kurs-wechsel in Griechenland hin zu mehr Wachstum und einem Schuldenschnitt. Oder Griechenland muss sich mutig auf den eigen-ständigen Weg hin zu mehr Wirtschaftswachstum und Sozialstaat machen.

Von Sahra Wagenknecht

Editorial

Der NSA-BND- Skandal muss Konsequenzen haben

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit zwei Jahren haben wir es mit einem Über-wachungsskandal mit unvorstellbaren Aus-maßen zu tun. Von der Existenz und dem Umfang dieses Überwachungssys-tems wissen wir nur durch Edward Snowden. Die erste Pflicht der Bundesregie-rung wäre die vollständige Aufklärung gewesen. Aber davon kann nach wie vor keine Rede sein.

Schon jetzt ist erwiesen, dass der deutsche Aus-landsgeheimdienst BND jahrelang als Helfershelfer des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA agiert und diesem Zugang zu Daten verschafft hat, die ihn absolut nichts angehen. Der BND hat Amtshilfe für die NSA geleistet, um deutsche und euro-päische Unternehmen auszuspähen, also Wirt-schaftsspionage zu be-treiben. Er hat mitgehol-fen, befreundete europäi-sche Regierungen und die

EU-Kommission zu belau-schen, was den Beziehun-gen beträchtlich schaden kann. Und das offenkundig mit Wissen und zumindest stillschweigender Billigung der Verantwortlichen im Bundeskanzleramt und der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Es müssen die nötigen Konsequenzen aus die-sem Skandal gezogen werden. Das Duckmäu-sertum der Bundesregie-rung gegenüber der US-Regierung muss endlich überwunden werden. Der BND ist keine Auslands-abteilung der NSA. Er muss endlich parlamen-tarisch kon trolliert, sein Eigenleben muss been-det werden.

Mit solidarischen Grüßen

Gregor Gysi ist Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE

Sahra Wagenknecht ist 1. Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE

In den vergangenen fünf Jah-ren wurde die griechische Gesellschaft durch das Kür-zungsdiktat der Institutionen (Europäische Zentralbank (EZB), Internationaler Wäh-rungsfonds und EU-Kommis-sion) so in Mitleidenschaft gezogen, wie man es vorher nur in Kriegszeiten kannte: Ein Viertel der Wirtschafts-leistung wurde zerstört, die Jugendarbeitslosigkeit stieg auf über 50 Prozent (siehe Grafiken unten). Ende Januar zeigte die grie-chische Bevölkerung die-sem Wahnsinn das Stopp-schild – und wählte die linke Partei Syriza in die Regierung. Es folgten fünf-monatige, nervenaufreibende Verhandlungen mit den Institu-tionen, früher Troika genannt, über die Zukunft des Landes. Doch für die Gläubiger stand ein Ende der Lohn- und Ren-tenkürzungen nie zur Debatte. Ihr einziges Ziel war der Re-gimewechsel in Griechenland: Durch ein Scheitern der neuen Regierung sollte der Bevölke-rung in ganz Europa deutlich gemacht werden, dass in einer »marktkonformen Demokra-tie« (Angela Merkel) neolibe-rale Politik nicht abgewählt werden kann.

Wenige Tage vor dem Aus-laufen des zweiten Pro-gramms für Griechenland am 30. Juni legten die Ins-titutionen ein vergiftetes Angebot vor, verbunden mit einem 48-stündigen Ultima-tum. So sollte die griechische Regierung gezwungen werden, fast alle ihre Wahlversprechen aufzugeben.Bei Annahme des Vorschlags wären alle von ihr formulierten roten Linien überschritten ge-wesen, etwa niedrige Primär-überschüsse, keine weiteren Lohn- und Rentenkürzungen, ein starkes Investitionspro-gramm und eine Umstrukturie-rung der Schulden. Stattdes-sen hätte sie unter anderem die Mehrwertsteuer, auch für Lebensmittel, stark erhöhen und die Renten erheblich kür-zen müssen. Der wirtschaft-liche Niedergang und damit auch die humanitäre Katast-rophe in Griechenland wären weitergegangen.Statt sich dem Diktat der Gläu-biger zu unterwerfen, brachte der griechische Ministerprä-sident Alexis Tsipras ein Re-ferendum auf den Weg: Das griechische Volks sollte selbst entscheiden. Ebenso wie die griechische Regierung plädier-ten namhafte Ökonomen wie Jo-

seph E. Stiglitz für ein »Nein«. Dem schloss sich eine deutli-che Mehrheit von mehr als 61 Prozent der Griechinnen und Griechen an: Sie stimmten für Demokratie anstatt für erneu-te wirtschaftliche und soziale Strangulierung. Noch in der Woche vor der Abstimmung hatten die In-stitutionen ein Klima der Angst zu schüren versucht, um das »Nein« zu verhin-dern. Die EZB gab den grie-chischen Banken keine neue Liquidität. Die Banken mussten schließen, die Geldautomaten gaben nur limitierte Beträge aus, Rentnerinnen und Rent-ner ohne Geldkarten mussten vor Sonderschaltern Schlange stehen.Doch die griechische Be-völkerung hat sich nicht erpressen lassen – eine Entscheidung, die auch im Sinne der Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler in den Geberländern ist. Denn jetzt besteht die Hoffnung, dass nicht erneut viele Milliarden Euro benutzt werden, um sinn-los Tilgungen und Zinsen eines überschuldeten Landes zu bedienen, anstatt damit Maß-nahmen für Wachstum und Wohlstand zu finanzieren.Alexander Troll

griechisches nein zum Kürzungsdiktat der ex-troika

Das Verelendungs programmWelche Auswir-kungen hat-ten die so-genannten Hilfspro-gramme seit dem Jahr 2010 in Grie-chenland?

Durch-schnittslohn: -38 Prozent

Menschen ohne Krankenversicherung:

+500 Prozent

Anfang Juli stimmte zum ersten Mal das Volk eines europäischen Staates über die Politik der Institutionen ab. Dass das Ergebnis so eindeutig ausfiel, hat viele Gründe.

Quelle: Griechisches Generalsekretariat für Kommunikation, 2015.

Alle Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von 2010 bis 2014.

Durch-schnittsrente: -45 Prozent

Arbeits-losigkeit:

+102 Prozent

Junge Griechinnen und Griechen feiern

das Ergebnis des Referendums auf dem

Syntagma-Platz in Athen.

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Mindestlohn: -26 Prozent

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Er schockte die Weltöffent-lichkeit: Edward Snowden. Als seine Enthüllungen im Juni 2013 bekannt wurden, trauten viele zunächst ihren Ohren nicht. Zu unglaublich klang, was der ehemalige US-Geheim-dienstmitarbeiter zu sagen hatte: Erstens, die Geheim-dienste der USA hören weltweit Telefonate ab, lesen E-Mails mit und überwachen das Internet. Zweitens, im Visier sind nicht nur Terroristen, sondern die Massenüberwachung zielt auf die Menschheit insgesamt. Drittens, die USA arbeiten dabei eng zusammen mit den Diensten Großbri-tanniens, Kanadas, Neuseelands und Aus-traliens.Dem Schock folgte die Empörung, be-sonders in Deutsch-land. Plötzlich war der Blick auf das In-ternet ein anderer: Der einstige Frei-raum war nun der Schlüssel zur Mas-senüber wachung geworden. Zehntau-sende Menschen gin-gen auf die Straße und forderten das Ende der Überwachung und die Aufklärung des Skandals. Auch weil immer wieder der Verdacht auftauchte, der

deutsche Geheimdienst BND sei darin verwickelt.

So sagte Snowden über BND und den US-ameri-kanischen Ge-

heimdienst NSA: »Die stecken unter

einer Decke.«Doch Aufklärung betrieb im Bundestag damals nur die Opposition aus SPD, Grünen und DIE LINKE. Die Bundesre-gierung aus CDU/CSU und FDP wiegelte ab, erklärte gar weni-ge Monate nach Snowdens

Enthüllungen den Skandal für erledigt. Dumm nur, dass kurz darauf Bundeskanzlerin An-gela Merkel (CDU) höchstper-sönlich als Opfer der Überwa-chung galt. Der Verdacht lau-tete, US-Geheimdienste hätten jahrelang das Handy der deut-schen Re-

gierungschefin abgehört. Erst danach forderte Merkel Aufklä-rung über die Abhörpraktiken der USA in Deutschland.Doch daran, das wird zwei

Jahre nach Snowdens Ent-hüllungen deutlich, hatte die Regierung unter Angela Merkel offenbar nie ein ernsthaftes Inte-resse. Wohl auch, weil

immer mehr Indizi-en dafür sprechen,

dass der BND Teil des

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umspannenden Spionagenetz-werkes ist. Beides lässt sich

am NSA-Untersuchungs-ausschuss zeigen.Die Regierung blo-ckiert die Arbeit des

Ausschusses, der den Skandal aufklären soll, wo sie nur kann: Sie verweigert Informationen, stellt oftmals nur geschwärzte und damit unbrauchbare Dokumente zur Verfügung, greift immer wieder bei Zeugenaussagen ein. Trotzdem gelang es dem Aus-

schuss, Unglaubliches auf-zudecken: So hat der BND

in gigantischem Umfang über Satelliten und Kabel fließende Kommunika-tion ausspioniert und sensible Daten an die US-Geheimdienste NSA und CIA wei-tergeleitet – auch von deutschen Bür-gerinnen und Bür-gern. Zudem hat der BND im Gegenzug für Technik und Ge-heimdienstwissen seinen exklusiven Zugang zu einem der wichtigsten Inter-

netknotenpunkte Eu-ropas in Frankfurt am

Main an die britischen und US-amerikanischen

Geheimdienste verhökert. Und: Der BND soll gezielt

europäische Unternehmen und Politiker für die NSA aus-spioniert haben. Die Regierung steht immer mehr unter Druck: Entweder wusste sie von den Taten des BND, dann hat sie daran mit-gewirkt, dass die Grundrechte von Millionen Bürgerinnen und Bürgern verletzt werden. Oder sie wusste nichts davon, dann hat sie versagt. Sicher ist nur eins: Aufklärung will diese Bundesregierung aus Union und SPD nicht. Ewald Riemer

Absoluten Schutz vor Überwachung gibt es nicht. Aber mit ein paar Tricks können Sie es NSA, BND & Co. schwer machen. Der kleine Klar-Leitfaden.

1. Aller Anfang ist schwer Was auf den ersten Blick kompliziert scheint, ist es in Wirklichkeit nicht. Sie müssen sich nur mit ein paar Programmen, technischen Werkzeugen und Verhaltensweisen vertraut machen.

2. Sichere Passwörter Auch wenn es lästig ist: Legen Sie sich komplizierte Passwörter für jedes einzelne Programm zu. Noch bes-ser: Nutzen Sie Passwortmanager wie KeePass, die erstellen gute Passwörter und verwalten sie bequem.

3. Anonym surfen Ein ungeschützter Computer hinter-lässt beim Surfen im Internet mit seiner IP-Adresse digitale Spuren. Dadurch kann ein Geheimdienst erkennen, welche Internetseiten Sie besuchen, wo Sie wohnen, wer Sie sind. Ein soge-nannter Tor-Browser verhindert das, indem er Ihren Computer anonymisiert: www.torproject.org.

4. e-Mails verschlüsseln Eine Mail ist nur so privat wie eine Postkarte. Wenn Sie Ihre Mails jedoch mit entsprechenden Program-men verschlüsseln, ist das vorbei. Eine sehr gute Einführung bieten www.verbraucher-sicher-online.de und https://emailselfdefense.fsf.org/de.

5. Smartphones sichern Zahlreiche Apps und Programme helfen, Smartphones etwas sicherer zu machen. So

lassen sich unter anderem Nachrichten und Te-lefongespräche verschlüsseln (www.prism-break.

org/de). Doch Experten warnen, dass insbesonde-re bei Smartphones viele Lücken unbekannt sind. Deswegen: Vertrauliche Gespräche und Nachrich-tenübermittlungen mit solchen Geräten vermeiden.

6. Der Weg ist das Ziel Sie müssen am Ball bleiben und immer wieder nach-forschen, was der Stand der Dinge ist, etwa bei www.privacy-handbuch.de. Machen Sie daraus einen Wettkampf. Stellen Sie sich vor, wie Geheim-dienstmitarbeiter Spaß daran haben, in Ihrem per-sönlichen Leben rumzuschnüffeln, und verderben Sie diesen Leuten das Handwerk.

DigitAle SelBStverteiDigung

Achtung, wir werden überwacht!Vor zwei Jahren enthüllte Edward Snowden den größten Geheimdienstskandal der Geschichte. Seitdem behindert die Bundesregierung die Aufklärung – wohl auch, weil der deutsche Geheimdienst in den Skandal verstrickt ist.

… Ihr Telefon abhören,… Ihre E-Mails lesen,… Ihre Computerchats live mitverfolgen,… das Mikrofon Ihres Computers anschalten und mithören,… heimlich Fotos mit der Kamera Ihres

Laptops schießen,… Ihre Profile knacken (Facebook, Foren etc.), Nachrichten schreiben, illegale Internetseiten besuchen und selbst Straftaten begehen.

… welche Suchbegriffe Sie im Internet eingeben,… mit wem Sie wann telefonieren und worüber Sie sprechen,… was Sie im Internet bestellen und auch… wo Sie sich aufhalten.

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Kranke Arbeitswelt

Der Befund ist dramatisch. In Deutschland haben psy-chische Erkrankungen in der Arbeitswelt drastisch zugenommen. Im Jahr 2012 betrug die Zahl der Arbeits-unfähigkeitstage aufgrund solcher Krankheiten mehr als 61 Millionen. Das sind fast doppelt so viele Fehltage wie im Jahr 2001. Psychische Erkrankungen sind auch der häufigste Grund für Frühberentung-en: Im Zeitraum von 1993 bis 2012 hat sich die Zahl der Anträge auf Erwerbsmin-derungsrente aufgrund von Depressionen, Burn-out und ähnlichen Krankheiten fast verdoppelt. Betroffen sind

überdurchschnittlich oft Frau-en – besonders in Branchen, in denen Schichtarbeit, Wo-chenenddienste und Rufbe-reitschaft typisch sind. Das ergab eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. im Bun-destag.Auf Stress am Arbeitsplatz reagieren viele Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer mit Doping. Knapp drei Millio-nen Menschen haben bereits verschreibungspflichtige Me-dikamente genutzt, um im Job leistungsfähiger zu sein oder um Stress abzubauen. 6,7 Pro-zent der berufstätigen Men-schen haben schon einmal zu leistungssteigernden Pillen gegriffen, regelmäßig dopen

Wie haben Smartphones und Internet die Arbeitswelt verändert?Jonas Rest: Diese Technologien ma-chen es extrem einfach, Arbeit auszula-gern. Arbeit, die vorher von Angestell-ten mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen erledigt wurde, wird nun über Internet-Plattfor-men abgewickelt. Früher wäre es un-denkbar gewesen, dass ein deutscher Energieversorger die Zählerstände sei-ner deutschen Kunden für Centbeträge in Indien eingeben lässt.

Für die »Berliner Zeitung« haben Sie die Auswirkungen der Digitalisierung in Deutschland recherchiert. Welches Phänomen hat Sie am meisten überrascht?Wie stark Menschen als Ersatz für Com-puterprogramme eingesetzt werden. Bei Unternehmen wie Amazon oder Zalando fallen viele Aufgaben an, die nicht oder nur zu sehr hohen Kosten automatisiert erfüllt werden können:

Kataloge sortieren, Ware klassifizieren oder Produktbeschreibungen texten. All diese Aufgaben werden zerlegt in Abermillionen Minijobs und über Inter-net-Plattformen erledigt.

Warum machen das nicht Computer?Vielfach ist es billiger, Menschen anstel-le von Computern einzusetzen! Auch in Deutschland ist dieses sogenannte Clickworking über Internet-Plattformen mittlerweile weit verbreitet.

Wie muss man sich die Arbeit eines Klickarbeiters vorstellen? Die Menschen, die für solche Plattfor-men arbeiten, haben keine Arbeitsver-träge. Sie sind »digitale Minutenlöhner«, die ausschließlich pro geleistete Aufga-be bezahlt werden. Wie viel sie verdie-nen, hängt davon ab, wie viele Aufträge sie machen. Als Selbstständige müssen sie sich selbst versichern. Bei Krankheit oder Urlaub bekommen sie kein Geld.

Laut IG Metall verrichten in Deutsch-land etwa eine Million Menschen sol-

che Tätigkeiten. Sie haben mit vielen dieser Klickarbeiter gesprochen. Wie denken sie über ihre Jobs?Viele sind froh, wenn sie abends oder zwischendurch mit zwei, drei Stunden Arbeit zehn Euro zusätzlich verdienen. Zum Beispiel eine alleinerziehende Frau, die, während das Kind schläft, arbeiten kann. Auch Schüler können sich so ihr Taschengeld aufbessern. Es gibt aber auch Leute, die das hauptberuflich ma-chen. Viele von ihnen gehen ihrer Arbeit nach wie einem normalen Bürojob: Sie fangen um 9 Uhr an und klicken bis 17 Uhr Aufträge.

Kann man mit solch einem Job über die Runden kommen?Ich habe niemanden getroffen, der oder die einen solchen Job dauerhaft machen möchte. Und ich glaube nicht, dass viele Klickarbeiter auf 8,50 Euro pro Stunde kommen. Das mag zwar vereinzelt pas-sieren. Bei den meisten liegt der Stun-denlohn jedoch deutlich darunter. Die Auftragslage ist manchmal so dünn,

dass einige in dieser Zeit nicht mehr als einen Euro pro Stunde verdienen.

Wie organisiert sich diese neue »digitale Arbeiterklasse«?In Deutschland gibt es bisher keine Interessenvertretung. In den USA ist das anders. Dort organisieren sich die Selbstständigen. Ich kann mir gut vor-stellen, dass wir in Deutschland eine ähnliche Entwicklung sehen werden.Interview: Ruben Lehnert

Jonas Rest ist ein vielfach ausgezeichneter Journalist und arbeitet als Redakteur für die »Berliner Zeitung«.

»Menschen sind häufig billiger als Computer«Der Fachjournalist Jonas Rest über die neue »digitale Arbeiterklasse«, Minutenlöhner und Sekundenjobs

Immer mehr Beschäftigte leiden unter psych-ischen Krankheiten. Viele dopen sich im Job.

DIE LINKE hat am 1. Mai die Kampagne »Das muss drin sein.« gestartet. Eine der wichtigsten Forderungen dieser Kampagne lautet: Ar-beit umverteilen statt Dau-erstress und Existenzangst! Unter anderem sollen die Beschäftigten mehr Mitbe-stimmungsrechte bezüglich Arbeitszeit und -gestaltung erhalten. Die maximal zu-

lässige Wochenarbeitszeit soll auf 40 Stunden gesenkt werden. Zudem sollen eine Anti-Stress-Verordnung ein-geführt und der betriebliche Arbeits- und Gesundheits-schutz gestärkt werden.

sich 1,9 Prozent – das sind knapp eine Million Erwerbstätige. Herausgefunden hat diese Zahlen die Krankenkasse DAK und sie in ihrem aktuellen Gesundheitsreport dokumen-tiert. Bemerkenswert ist ein weiterer Befund: Die Einnahme vermeintlich leistungsfördern-der Medikamente steigt, je un-sicherer der Arbeitsplatz und je einfacher die Tätigkeit ist. Diejenigen, die solche Me-dikamente nehmen, um be-ruflich Erfolg zu haben oder zumindest

den Arbeits-platz nicht zu verlie-ren, gehen ein hohes Risiko ein. Körperliche Nebenwir-kungen wie Kopfschmerzen und Schlafprobleme, Persön-lichkeitsveränderungen und Abhängigkeit sind möglich.Ruben Lehnert

Arbeit umverteilen statt Dauerstress und existenzangst!

Folgenreiche Entwick- lung: Arbeitsverdich-

tung und Stress nehmen in der

Arbeitswelt zu.

Mehr unsichere, schlecht bezahlte JobsDer Anteil spezieller Beschäf-tigungsverhältnisse ist in den vergangenen zwanzig Jahren stark ge- wachsen.

Teilzeit- arbeit

+70%

+277% geringfügige Beschäftigung

+39% befristete Beschäftig- ungs ver- hältnisse

+300 % Leiharbeit

Quelle: Bundesregierung

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Ob bei der Bahn, der Post, im Krankenhaus oder in Kitas – der Streik als Mittel des Arbeitskampfs wird populärer. Klar zeigt aktuelle Beispiele.

Amazon gehört zu den größ-ten Versandhändlern welt-weit. Doch bei Löhnen und Arbeitsbedingungen will der US-Konzern kein Händler sein. In Deutschland weigert er sich, den Tarif des Versandhan-dels an seine mehr als 10 000 Beschäftigten zu zahlen und einen entsprechenden Tarif-vertrag abzuschließen. Einem Beschäftigten des Handelsrie-sen hierzulande entgehen so jährlich laut der Gewerkschaft ver.di bis zu 9.000 Euro.Die ersten großen Streiks bei Amazon gab es im Mai 2013: Im hessischen Bad Hers-feld streikten rund 600 und in Leipzig rund 500 Beschäftig-te. Der Konflikt erfasste zwi-schenzeitlich sieben von neun Standorten in Deutschland. Seit mehr als zwei Jahren tobt eine wahre Streikschlacht.Amazon nutzt die vielen Standorte im In- und Aus-land, um die Belegschaf-ten auszuspielen und um

die Wirkung von Streiks zu mindern. Stefan Najda, Gewerkschaftssekretär im Fachbereich Handel der ver.di-Bundesverwaltung: »Amazon kann per Knopfdruck zumin-dest einen Teil der Warenströ-me zwischen Standorten ver-schieben.« Werde ein Versand-zentrum bestreikt, schicke die Münchner Zentrale Waren aus einem anderen Lager. Eine wichtige Rolle spielen Ver-sandzentren, die Amazon in Osteuropa besitzt: bisher zwei in Polen, ein weiteres in Tsche-chien. »Die Standorte bedienen vor allem den deutschen Markt. In Polen und Tschechien hat Amazon noch keine eigenen Vertriebsseiten«, berichtet Najda. In Polen wird laut ver.di ein Viertel des hiesigen Lohns bezahlt, das sind etwa 400 Euro im Monat. In Tschechien liegt der Mindestlohn nach Medien-berichten gar bei nur 330 Euro.So sichert sich der US-Konzern beste Profite – und

schürt die Angst der hiesi-gen Beschäftigten vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. In eine solche Richtung wei-sen auch Erfahrungen, die Tim Schmidt, Betriebsratsvorsit-zender des Amazon-Versand-zentrums in Rheinberg am Niederrhein, gesammelt hat.

»In einem Arbeitsgerichts-verfahren haben die Firmen-vertreter mitgeteilt, dass es keinen größeren Personalbe-darf geben werde, weil ein Teil des Warenvolumens über die Standorte in Osteuropa läuft«, sagt er. Doch die Strategie von Amazon hat Grenzen. Najda: »Wenn Amazon einmal einen Auftrag in einem Versand-zentrum platziert hat, können sie diesen nicht mehr einfach verschieben.« Man habe es ge-schafft, die Auslieferung vor Ostern durch Streiks empfind-

lich zu stören. Testkäufe seien mit zehn Tagen Verspätung angekommen. In den Versand-zentren hätten sich liegen ge-bliebene Waren gestapelt. Ein weiterer Vorteil: Der Organi-sationsgrad von ver.di an Stand-orten wie Bad Hersfeld oder Rheinberg ist weiter gestiegen und liegt inzwischen schon bei 50 Prozent. Und: »Wir sind eu-ropaweit gewerkschaftlich eng vernetzt«, sagt Najda. Niels Holger Schmidt

Deutsche Post AgDas Postmanagement will bis zu 20 000 Brief- und Paketzusteller in neue Tochterunternehmen ab-schieben. Für die gleiche Arbeit sol-len sie dort 20 bis 30 Prozent weniger Lohn erhalten. Die Post hatte erst die Zahl der befristet Beschäftigten stark erhöht, nun drängt sie sie in die Tochterfirmen. Beschäftigte sowie die Gewerkschaften ver.di, DPVKOM und dbb wehren sich dagegen. Im ver-gangenen Jahr erzielte die Post einen Gewinn von mehr als zwei Milliarden Euro. Davon profitiert auch die Bun-desregierung, die indirekt Miteigentü-merin ist. Sie lässt das Management gewähren, selbst wenn Leiharbeits-

kräfte, zum Teil sogar angeworben von der Bundesagentur für Arbeit, als Streikbrecher eingesetzt werden. Auf mehrere Warnstreiks folgte im Juni ein unbefristeter Streik.

neue deutsche StreikkulturDeutsche Bahn AgÜberstunden, schlechte Bezahlung und

familienunfreundliche Arbeitszeiten machen den

Beschäftigten zu schaffen. Um das zu ändern, hatte

die Gewerkschaft GDL zu Warnstreiks und regulä-

ren Streiks aufgerufen. Die Bundesregierung, al-

leinige Eigentümerin der Deutschen Bahn, hat den

Konflikt eskalieren lassen: Das von ihr initiierte

Tarifeinheitsgesetz bedroht die Existenz von Be-

rufsgewerkschaften, zu denen auch die GDL zählt.

Eine Einigung in diesem Tarifkonflikt brachte erst

eine Schlichtung durch Matthias Platzeck (SPD)

und den thüringischen Minister präsidenten Bodo

Ramelow (DIE LINKE) Anfang Juli. Die Hartnäckig-

keit der Streikenden hat sich ausgezahlt!

Tim Schmidt, Betriebsratsvorsitzender des Amazon-Versand-zentrums in Rheinberg am Niederrhein

Seit Jahren wurden an der Berliner Charité Arbeitsplätze gestrichen. Die Folgen: Die Pflegekräfte leiden unter Überstunden und Stress, die Patientinnen und Patienten unter einer schlechteren Betreuung. Angesichts dessen fordern die Gewerkschaft ver.di und die Pflegekräfte der Charité nicht mehr Lohn oder mehr Urlaub. Sie kämpfen für zusätzli-

ches Personal für die Stationen der Klinik – zum Wohle der Patienten. Dafür führten sie den ersten Streik für mehr Personal im Krankenhaus überhaupt und erzielten einen ersten Erfolg. ver.di und die Klinikleitung ver-ständigten sich Anfang Juli auf Eckpunkte: Deutlich mehr Fachkräfte sollen in Zukunft für mehr Qualität bei der Pflege sorgen!

Sozial- und erziehungsdiensteDie Arbeitsbedingungen für Erzieherin-nen, Jugendpfleger und Sozialarbeite-rinnen sind oftmals skandalös: Berufs-anfängerinnen erhalten wenig Lohn und zumeist nur befristete Verträge. Unfreiwil-lige Teilzeit führt zu niedrigen Einkommen und später zu Armutsrenten. Deswegen verhandeln die Gewerkschaften ver.di und GEW seit Jahresbeginn mit der Ver-einigung kommunaler Arbeitgeber über einen neuen Tarifvertrag. Ihr Ziel ist es, die Sozial- und Erziehungsdienste aufzuwer-ten, unter anderem mittels einer durch-schnittlichen Lohnerhöhung von rund zehn Prozent. Nach einem vierwöchigen Streik sollte eine freiwillige Schlichtung eine Einigung bringen. Über das Ergebnis dieser Schlichtung beraten und entschei-den nun die Gewerkschaftsmitglieder.

Aufstand bei AmazonSeit Jahren ignoriert der Versandhändler die Forderungen seiner Beschäf tigten in Deutschland. Doch die geben nicht auf.

universitätsklinik Charité

Kundgebung der Postbeschäftigten

Demonstration des Pflegepersonals

Solidarität mit den Erzieherinnen

Streikende Lokführer

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 Im Dezember 1989 begann alles: Der Rechtsanwalt Gregor Gysi wird zum Partei-chef der SED-PDS gewählt. Der Bruch mit dem Stalinismus als System und der demo-kratische Sozialismus sollten große Ziele für den Berliner und die deutsche Linke werden.

 In den Jahren nach der Wende gelingt es Gysi, Querdenker und parteilose Prominente zur Mitarbeit zu bewegen. Der Schriftsteller Stefan Heym eröffnete im Jahr 1994 als Alterspräsident den Bundestag mit einer denkwürdigen Rede.

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Trotz Niedriglohnsektor, Altersarmut und NSA-BND-Skandal: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist beliebt, die CDU liegt in Umfragen bei über 40 Prozent. Warum?Gregor Gysi: Vielen Leuten er-scheint eine Alternative zu Kanz-lerin Merkel nicht möglich. Das liegt vor allem daran, dass die SPD zum Anhängsel der Union geworden ist. Daran wird sich kaum etwas ändern, solange Sig-mar Gabriel sich damit zufrieden-gibt, Vizekanzler zu sein.

DIE LINKE ist seit den vergangenen Wahlen erstmals Oppositionsführerin im Bundestag. Ist sie dieser neuen Verantwortung bisher gerecht geworden?Wir haben Alternativen zur Re-gierungspolitik benannt. Und wir befriedigen das Bedürfnis nach Opposition auch von Menschen, die uns nicht gewählt haben. Ich bekomme viele Zuschriften von Menschen, die uns zwar nicht ge-wählt haben, aber sagen, dass es gut ist, dass es DIE LINKE gibt.

Was zeichnet DIE LINKE im Bundestag aus?Wo sich alle anderen Parteien einig sind, aber die Mehrheit der Bevölkerung es des Öfteren sogar anders sieht, formulieren wir Alternativen. Der Krieg in Afghanistan fand die Zustim-mung aller anderen Fraktionen, nur unsere nicht. Bei der Rente mit 67 sind alle anderen Frakti-onen dafür, wir nicht. Die ganze falsche Euro-Rettung – alle an-deren Fraktionen sind dafür, nur wir sind dagegen.

Das Drama um Griechenland scheint Ihnen recht zu geben: Trotz milliardenschwerer Ret-tungspakete ist das Land bei-nahe pleite, der Bevölkerung geht es schlechter denn je. Wie hätte man vor Jahren auf die Krise in Griechenland reagieren sollen?Als den griechischen Banken die Pleite drohte, hätte man sie plei-tegehen lassen müssen. Bürgerin-nen und Bürgern sowie klein- und mittelständischen Unternehmen hätte man die Guthaben erstatten müssen. Aber die Großgläubiger der griechischen Banken – auch französische und deutsche Ban-ken – hätten halt Pech gehabt, sie hatten sich verspekuliert.

Hierzulande wird in vielen Medien der Eindruck erweckt, als habe die Bundesregierung dem griechischen Volk mit vie-len Milliarden Euro geholfen.

Das Geld ist nie an die Griechin-nen und Griechen gegangen, son-dern an die Banken, jedenfalls zu über 90 Prozent. Die Banken können noch so viel zocken, sie müssen keine Verluste fürchten: Die übernehmen die Steuerzah-lerinnen und Steuerzahler!

Derzeit wird viel über einen Grexit diskutiert, also über ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro. Was würde das für Deutschland bedeuten?Mit einem Schlag müssten die deutschen Bürgerinnen und Bür-ger 60 Milliarden Euro zahlen, denn wir haften für 27 Prozent der griechischen Staatsschul-den. Das hat die Bundesregie-rung gegen unseren Willen un-terschrieben. Übrigens: Auch Frankreich und Italien müssten jeweils mehr als 40 Milliarden Euro zahlen. Das ist offenkundig der falsche Weg.

Und wie sieht der richtige aus?Griechenland und der gesamte Süden Europas brauchen eine wirkliche Aufbaupolitik – eine Art Marshallplan. In Griechen-land muss investiert werden: in Bildung, in Schiffsindustrie, in Tourismus und in alternative Energien. Dann kommt das Land voran, kann höhere Einnahmen erzielen und auch Schulden zu-rückzahlen.

DIE LINKE hat Anfang Mai die Kampagne »Das muss drin sein.« gestartet. Wie beteiligt sich die Fraktion DIE LINKE an dieser Kampagne?Wir unterstützen die Kampagne durch Anträge und Debatten im Parlament. Bundestagsabgeord -

nete sind zudem auf Straßen, Plät-zen und bei Kundgebungen aktiv.

Eine der Forderungen der Kam-pagne lautet: Befristung und Leiharbeit stoppen! Viele Men-schen sind aber froh, wenn sie überhaupt einen Job haben. Wenn man über Jahre hinweg immer wieder nur Halbjahres-verträge bekommt, kann man sein Leben nicht planen: Man traut sich nicht, Kinder in die Welt zu setzen oder eine Woh-nung zu beziehen, wie man sie benötigt. Deshalb müssen wir gegen prekäre Beschäftigung vorgehen: gegen Leiharbeit, be-fristete Arbeitsverhältnisse ohne Sachgrund und gegen den Nied-riglohnsektor insgesamt.

Angesichts der Arbeitskämpfe bei der Bahn, der Post, im Sozial- und Erziehungswesen: Ändert sich der Zeitgeist?Hoffentlich! Ich wünsche mir, dass die Menschen sich nicht länger abfinden mit prekärer Beschäf-tigung.

Auf der an-deren Seite gehen immer weniger wählen. Was bedeutet das für die Demokratie?Wahlen spielen für viele Menschen kaum eine Rolle. Die sagen sich: »Ich habe die schon einmal gewählt, aber nichts hat sich verändert; und ich habe jene schon einmal gewählt, aber verän-dert hat sich auch nichts.« Hinzu kommt , dass

viele Parteien vor der Wahl etwas versprechen, aber nach der Wahl etwas ganz anderes tun.

Wie könnte man Wahlen attraktiver machen?Meine Idee ist, dass die Frak-tionen im Bundestag das Recht bekommen, bei jeder Bundestagswahl eine Frage zu stellen, auf die die Be-völkerung mit Ja oder Nein antworten kann.

Also Bundestags-wahlen plus Volks-abstimmungen?Ja, ich möchte nicht auf die repräsentative Demokratie verzich-ten, sie aber um sol-che Volksentscheide ergänzen. Der Wahl-kampf würde sich ändern: Die Par-teien müss-ten zu den

»Die Alternativen formulieren wir!«

exklusiv-interview

Mit Oskar Lafontaine führt Gysi die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag ab dem Jahr 2005. Mit den beiden Frontmännern gelingt im Jahr 2007 nach der Fusion von WASG und PDS zur Partei DIE LINKE der politische Durchbruch in ganz Deutschland.

Gysi und Lothar Bisky begegneten sich im Jahr 1989 als Redner auf dem Alexanderplatz. Bis zum Tod Lothar Biskys prägten sie gemeinsam DIE LINKE. Sie waren enge Freunde und trugen maßgeblich zur Vereinigung von WASG und PDS bei.

Gregor Gysi im Gespräch über milliardenschwere Fehler der Bundesregierung, die Arbeitskämpfe bei Post & Co. und die Gründe für seinen geplanten Rückzug vom Fraktionsvorsitz.

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Seit mehr als 25 Jahren prägt Gregor Gysi die Politik in Deutschland mit. Im Herbst zieht er sich aus der ersten Reihe zurück. Klar erinnert an beson-dere Momente seiner Karriere.

gregor gysi – Bilder eines Ausnahmepolitikers

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 Der Politiker Gysi arbeitet auch als Autor und Moderator. In seiner regelmäßigen Matinee am Deutschen Theater interviewt er die verschiedensten Typen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik. Hier ist Hape Kerkeling zu Gast.

 Im Dezember 2014 wird erstmalig ein Mitglied der Partei DIE LINKE Regierungschef eines Bundeslandes: Gregor Gysi gratuliert dem Ministerpräsidenten Thüringens, seinem Genossen und Weggefährten Bodo Ramelow.

www.linksfraktion.de ✶ Sommer 2015 ✶ Klar ✶ Seite 7 konkreten Fragen Stellung bezie-hen. Das würde die Demokratie attraktiver machen und die Wahl-beteiligung erhöhen.

Worüber würden Sie abstimmen lassen wollen?Na, vor einigen Jahren über den unverzüglichen Abzug der Bun-deswehr aus Afghanistan, heute vielleicht über das Verbot von Leiharbeit oder die gleiche Rente in Ost und West für die gleiche Lebensleistung.

Sie haben kürzlich bekannt-gegeben, im Herbst nicht erneut für den Vorsitz der Fraktion DIE LINKE zu kandidieren. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer?Ja, aber ich habe sie schon im Mai 2013 aus vielen Gründen getrof-fen. Unter anderem möchte ich einen Fehler vermeiden, den viele begehen, die in der ersten Reihe der Politik stehen: Sie gehen erst, wenn sie gehen müssen. Ich glau-be, ich habe für das, was ich leis-ten kann, den Zenit an Ansehen in der Gesellschaft erreicht. Das ist der richtige Zeitpunkt, um aufzu-hören und die Fraktionsleitung an andere zu übergeben.

Die Parteivorsitzenden haben dafür Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch vorgeschlagen.Ich finde diesen Vorschlag gut.

Kaum jemand kann sich Gregor Gysi auf der Hinterbank im Bundestag vorstellen.Das ist auch schwierig. Aber ich habe versprochen: Wenn ich die Verantwortung abgebe, werde ich die Fraktion auch nicht ver-suchen, heimlich weiterzuführen. Deshalb muss ich auch andere Aufgaben übernehmen.

Welche?Eine Rolle in der Außenpolitik kann ich mir vorstellen. Zudem

möchte ich meinen Anwaltsbe-ruf ausbauen und meine Mode-ration am Deutschen Theater fortsetzen.

In Ihrer langen politischen Karriere haben Sie viele Persönlichkeiten treffen dürfen. Wer hat Ihnen am meisten imponiert?Nelson Mandela, weil er einen Großmut an den Tag legte, der für mich und viele andere unvorstell-bar ist. Ich bezweifle, dass ich nach über 20 Jahren im Gefängnis so hätte sein können wie er.

Auf welchen politischen Erfolg sind Sie besonders stolz?Auf DIE LINKE und deren Akzep-tanz in der heutigen Gesellschaft. Vor 25 Jahren war es undenkbar,

dass eine Partei links von der Sozialdemokratie solch eine Ak-zeptanz in der Gesellschaft hat, wie wir sie haben. Darauf bin ich schon etwas stolz.

An welches Kompliment erin-nern Sie sich besonders gern? Im Januar 1990 war ich in Frank-reich beim Ministerpräsidenten. Da war auch Willy Brandt. Und er sagte mir: »Ich habe einen Freund, der hat gesagt: ›Im Au-genblick gibt es zwei Leute in Deutschland, die die größte Verantwortung haben – Hans Modrow und Gregor Gysi. Und die machen das ziemlich verant-wortungsbewusst.‹«

Sie haben gesagt, Sie ent-scheiden nächstes Jahr, ob Sie erneut für den Bundestag kan-didieren. Wovon hängt das ab?Von mir und der Entwicklung der Fraktion und der Partei. Also davon, ob ich das Gefühl habe, gebraucht zu werden oder nicht. Und davon, ob ich von meinem Leben her das Gefühl habe, es zu brauchen oder nicht. Da will ich mich aber jetzt nicht unter Druck setzen, auch nicht setzen lassen.

Interview: Ruben Lehnert, Benjamin Wuttke

Zur PersonGregor Gysi, Jahrgang 1948, war von März bis Oktober 1990 Mitglied der Volkskam-mer, gestaltete als Partei-vorsitzender die Gründung der PDS und war viele Jahre lang ihr Fraktionsvorsitzen-der im Bundestag. Er initiier-te die Gründung der Partei DIE LINKE und führt seitdem die Bundestagsfraktion als Vorsitzender. Zwischenzeit-lich war er Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin. Im Herbst wird sich der ge-lernte Rinderzüchter und Rechtsanwalt aus der ers-ten Reihe der Politik zurück-ziehen. Als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus dem Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick bleibt er dem Parlament erhalten.

Ab Herbst sollen die bis-herigen stellvertretenden Vorsitzenden, Sahra Wagen-knecht und Dietmar Bartsch, gemeinsam die Fraktion DIE LINKE führen. Diesen Personalvorschlag unterbreite-ten die Vorsitzenden der Partei

DIE LINKE, Katja Kipping und Bernd Riexinger, Mitte Juni im Anschluss an Beratungen des geschäftsführenden Partei-vorstands.Das letzte Wort haben die 64 Mit-glieder – 35 Frauen und 29 Män-ner – der Fraktion DIE LINKE:

Am 13. Oktober wählen sie die neue Fraktionsspitze. Gregor Gysi, der der Fraktion seit ihrem Einzug ins Parlament im Jahr 2005 vorstand, hatte Anfang Juni angekündigt, nicht erneut als Vorsitzender zu kan-didieren.

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sollen gregor gysis nachfolge antreten

Sommer 2010 beim Fest der Linken in Berlin: Gregor Gysi interviewt die amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis. In seiner Jugendzeit hatte auch Gysi eine von Hunderttausenden Protestpostkarten in die USA geschickt, um die Freilassung der inhaftierten Lehrerin zu fordern.

Wahlkampfplakat aus dem Jahr 1990

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Der renommierte Stadtforscher Andrej Holm über staatliches Ver-sagen angesichts wachsender Wohnungsnot.

Stimmt der Eindruck, dass es in Groß-städten und in kleineren Universitäts-städten sehr schwierig ist, mit einem durchschnittlich gefüllten Geldbeutel eine Wohnung zu finden?Andrej Holm: Ja, steigende Mieten und Verdrängungsdruck beobachten wir vor allem in solchen Städten. Dort nutzen Vermieter die erhöhte Nachfrage aus. Vor allem Haushalte mit geringem Ein-kommen bleiben dabei auf der Strecke.

Immer häufiger hört man von Zwangs räumungen. Sie haben unlängst an einer der ersten wissen-schaft lichen Studien zu diesem Thema am Beispiel Berlin mitge-wirkt. Was haben Sie rausgefunden?Wo hohe Neuvermietungsmieten oder die Umwandlung in Eigentumswoh-nungen locken, setzen Vermieter Räu-mungsklagen selbst dann durch, wenn die Sozialämter Mietschuldenübernah-men anbieten. Da andererseits für viele Mietrückstände die strengen Auflagen

der Hartz-Gesetze zu den Kosten der Unterkunft und die repressive Praxis der Jobcenter verantwortlich sind, spre-chen wir von staatlicher Koproduktion der Wohnungsnot. Das staatliche Hilfs-system ist überfordert: Unzureichende Unterbringung in Notunterkünften wird zur Regel und zum Dauerzustand.

Nur ein Problem in Berlin?Nein, das ist über Berlin hinaus verallge-meinerbar. Das staatliche Hilfssystem kann in Städten mit hohem Verwer-tungsdruck die Wohnungsnot nicht wirklich verhindern.

Der soziale Wohnungsbau wurde seit den späten 1980ern bundesweit stark zurückgefahren. Warum? Der Rückzug wurde mit allgemeinen Sparzwängen begründet. Es herrsch-te zudem die Überzeugung, der Markt werde es schon richten. Wohnungs-politik in der Bundesrepublik versteht sich traditionell als zeitweise Korrektur des Marktes und hat die Logik der Ge-winnmaximierung nie infrage gestellt. Angesichts der schnell steigenden Mieten und des gravierenden Ver-sorgungsproblems im Wohnbereich setzen einzelne Bundesländer und Städte nun wieder verstärkt auf die Förderprogramme.

Wird das die derzeitige Wohnungsnot lindern? Angesichts der begrenzten Fördervo-lumen ist das nur der berühmte Trop-fen auf den heißen Stein. Es gibt keine Stadt, in der die neu geförderten Sozi-alwohnungen die Abgänge aus früheren Förderprogrammen übersteigen. Ob-wohl wieder mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau gesteckt wird, sinkt die Zahl der Sozialwohnungen weiter.

Sie halten nicht viel von der soge-nannten Mietpreisbremse der Bun-desregierung, die seit Anfang Juni gilt. Warum? Die Mietpreisbremse hat zu viele Ausnah-men, etwa bei Modernisierungen oder Neubauten. Zudem soll sie knapp ober-halb der Durchschnittsmieten wirken und dient so vor allem den Mittelschichten.

Was würde Menschen mit unter-durchschnittlichem Einkommen wirklich helfen? Mehr Förderprogramme, kommunaler Wohnungsbau und dauerhafte Bele-gungsbindungen.Interview: Ralf Hutter

»Jobcenter mitverantwortlich für Zwangsräumungen«

Miete kaum noch bezahlbar

Horrormeldung für Mieterinnen und Mieter: Wohnen wird immer teurer – in Großstädten und Ballungszentren, aber auch in mittelgroßen Städten. Spitzen-reiter Berlin: Hier stiegen die durchschnitt-lichen Mietpreise in den Jahren 2009 bis 2014 um mehr als 56 Prozent. In Augsburg gingen sie um 50 Prozent hoch. Besonders groß sind die Sorgen bei Men-schen, die eine neue Wohnung suchen: Am heftigsten explodieren Mieten bei Neuver-mietungen. Die kürzlich von der Bundes-regierung beschlossene Mietpreisbremse wird nur wenig helfen. Sie gilt nur in weni-gen Gegenden und enthält zahlreiche Aus-nahmen: möblierte Wohnungen, Studen-tenwohnungen, umfassend modernisierte Wohnungen, Neubauten und Umwandlun-gen in Eigentumswohnungen.Die Mietpreisbremse soll bei Neuver mie-tung die Miete auf maximal 10 Prozent über dem Niveau der ortsüblichen Ve r g l e i c h s -miete deckeln. Doch diese Ver-gleichsmieten sind in den letz-ten Jahren vie-lerorts massiv gestiegen. Mie-ten werden also auf einem Ni-veau gebremst, das für den Durchschnitts-

verdiener ohnehin kaum mehr bezahl-bar ist. Doch nicht nur in Großstädten ist der Wohnungsmarkt angespannt. Hend-rik Siebolds aus Au-rich in Niedersach-sen kennt dieses Problem: »Gerade die Mieten von So-zialwohnungen stei-

konkurrieren. Das vergiftete Angebot: Höchstpreis zahlen oder, sofern nicht wegen Eigenbedarfs der Rausschmiss droht, dem neuen Eigentümer eine ex-trem hohe Miete zahlen. Seit Monaten ist der Protest der Be-wohner weithin sichtbar. In den Fens-tern hängen Plakate, auf denen steht, wie lange welche Hauspartei schon dort wohnt: 3, 15 sogar 65 Jahre. »Wir möchten, dass zukünftige Investoren wissen, wie lange wir schon hier sind«, sagt Michael Po-weleit, Mitglied der Hausgemein-schaft. Das ganze Haus kämpft zusam-men. Einige der Mieter haben ihre Wohnungen gekauft und en-gagieren sich nun für ihre Nach-barn. Dazu zählt auch das »Inves-

torencasting«. Kommen potenzielle Investoren zur Besichtigung, wer-den sie angesprochen. »Wir wollen wissen, mit wem wir es zu tun haben und ob sie die Mieter-rechte kennen«, sagt Poweleit. Verirren sich Käufer zu den Besichti-gungen, die gleich ein-ziehen möchten, ist die Hausgemeinschaft vor Ort und vermittelt mit-tels bedruckter T-Shirts die Botschaft »Mieter-schutz statt Eigenbe-darf«.Timo Kühn/Paul Schwenn

gen hier un-

aufhaltsam, in den letzten Jahren

um 39 Prozent.« Siebolds lebt seit seiner Geburt in Ost-friesland. »Es fehlt an kleinen und günstigen Wohnungen«, sagt er. Um die Missstände zu bekämpfen, »bedarf es der Unterstützung durch die öf-fentliche Hand«.Doch die hat nicht nur den so-zialen Wohnungsbau fast kom-plett eingestellt, sondern ihr Wohneigentum an private In-vestoren verschleudert. So hat der Bund in den vergangenen 20 Jahren um die 90 Prozent seiner Wohnungen verkauft. Und: Die verbliebenen 40 000 Woh-nungen sollen jetzt auch noch verkauft werden!

B e t r o f f e n davon s ind beispielswei-se Mitglieder einer Hausge-meinschaft im Berliner Bezirk Te m p e l h o f -Schöneberg. Vor einem Jahr erhielten sie die Info: Ihre Woh-nungen wür-den verkauft. Wenn sie woll-ten, könnten sie um diese mit Investoren

So will Die linKe Wohnen bezahlbar machenJeder Mensch muss das Recht auf bezahlbaren und angemessenen Wohnraum haben. DIE LINKE fordert eine neue Wohnungspolitik:

  Neustart beim sozi-alen Wohnungsbau

inklusive Neubau von jähr-lich 150 000 Wohnungen.

  Eine Mietpreisbremse, die flächendeckend

und ohne Ausnahme gilt.

  Erhöhung des Wohngelds.

  Verbot von Mieterhöhung allein

wegen Neuvermietung.

  Begrenzung der Mieterhöhung bei

Bestandsmieten ohne Wohnwertverbesserung auf Höhe der Inflation.

  Keine weitere Priva - tisierung von kom-

munalen Wohnungen.

 Zwangs- umzüge

stoppen.

Seit Jahren steigen die Kosten für Mieter. Ein Ende ist nicht in Sicht, auch weil die Mietpreisbremse unwirksam ist.

Andrej Holm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Humboldt- Universität und einer der bekanntesten Stadtsoziologen Deutschlands.

Polizisten bei einer Zwangsräumung in Berlin

Kristine Ohlens und Michael Poweleit wohnen in dem vom Bund verkauften Haus in der Berliner Vorbergstraße.

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Ausnahmezustand rund um Schloss Elmau in den Bay-erischen Alpen: Tausende Polizisten marschieren auf, Räumpanzer und Scharfschüt-zen beziehen Stellung. Hier treffen sich die Staats- und Regierungschefs von Deutsch-land, Frankreich, Italien, Groß-britannien, Japan, Kanada und den USA zum G-7-Gipfel. Unter Ausschluss der Öf-fentlichkeit schmieden sie geheime Pläne. Zum Beispiel zum Handelsabkommen TTIP und zum Konflikt in der Ukra-ine. Entscheidende Akteure wie Russland und China sind bei diesem Treffen ausge-schlossen – ebenso die ge-samte Weltbevölkerung.Demokratie geht anders, wie man bereits drei Tage vor dem Gipfel auf dem Markt-platz in der Münchener Innenstadt erleben kann: beim Internationalen Gipfel der Alternativen. Hier ist jeder Mensch eingeladen, Ideen zu globaler Gerechtigkeit, öko-logischer Umgestaltung und einer friedlichen Weltpolitik öffentlich zu diskutieren. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE beteiligt sich mit zwei

Veranstaltungen zu TTIP an diesem Alternativgipfel. Eine dieser Diskussionsrunden be-sucht auch Christian Schwar-zenberger. Der 27-jährige Inge-nieur aus Eschborn engagiert sich beim globalisierungskri-tischen Netzwerk Attac. »Seit einem Auslandsaufenthalt in Mexiko interessiere ich mich für die globalen Folgen solcher Abkommen«, erzählt er.Am Nachmittag reiht er sich am Karlsplatz in einen bun-ten Demonstrationszug ein. Christian Schwarzenberger ist begeistert: »Als ich anfing, mich gegen TTIP, CETA und Co.

zu engagieren, nahmen knapp 500 Leute an solchen Demos teil. Heute sind es 35 000.«Auch DIE LINKE mischt mit: mit einem Lautsprecherwa-gen, lauter Musik und vielen Mitgliedern. Das Fronttrans-parent trägt Niema Movassat, Sprecher für Welternährung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. »Ich will zeigen, dass die G-7-Regierungschefs nicht für mich sprechen – und erst recht nicht für die ganze Welt«, sagt der 30-Jährige.Am Wochenende, während des G-7-Gipfels, verlagert sich der Protest nach Gar-misch-Partenkirchen. Auch

Christian Schwarzenberger ist wieder dabei: Er zeltet in dem Camp, das Aktivisten im Ort errichtet haben. »Ständig kommen Menschen aus Gar-misch vorbei, um über den G-7-Gipfel und unseren Pro-test dagegen zu diskutieren«, berichtet er. Am Samstag beteiligt er sich vor Ort an einer weiteren De-monstration. Am Sonntag

klettert er mit einigen Hundert G-7-Gegnern auf einem Wan-derweg Richtung Schloss Elmau. Gemeinsam erreichen sie den Absperrzaun. Dort ver-sperren ihnen Spezialkräfte der Polizei den Weg. Trotzdem ist Christian Schwarzenberger zufrieden. »Dass wir hier sind, ist ein wichtiges Zeichen«, sagt er. Sophie Freikamp/Paul Schwenn

35 000 gegen 7Während sich die Regierungschefs der G 7 Anfang Juni in einem Luxushotel verbarrikadieren, finden in München der »Gipfel der Alternativen« und eine große Demonstration statt.

G-7-Gipfel in Zahlen

24 Stunden dauerte das Treffen.

16 000 Meter betrug die Länge der Absperrgitter.

20 000 Polizisten waren im Einsatz.

360.000.000 euro soll das Treffen gekostet haben.

250.000 euro kostete jede Minute.

Quelle: Merkur, Bund der Steuerzahler

Was für ein Rekord! Nach nicht einmal einem Jahr haben mehr als zwei Millionen Menschen die selbstorganisierte Europäische Bür-gerinitiative gegen die Freihandels-abkommen TTIP und CETA un-terschrieben. Damit ist diese Bürgerbewegung die bis-her größte in Europa.Das zeigte sich in den letzten Monaten auch auf der Straße: Am 18. April fanden mehr als 750 Aktionen und Kundgebungen in 50 Ländern auf allen Konti-nenten statt, mehr als 200 davon allein in Deutschland.Unterschriftenrekord und Pro-testaktionen zeigen: Je länger die undurchsichtigen TTIP-Verhandlungen zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA dauern, umso größer wird der Widerstand. Das haben offensichtlich auch die beiden TTIP-Fanatiker Bundeskanz-lerin Angela Merkel (CDU) und US-Präsident

Barack Obama gemerkt. Beim G-7-Gipfel kün-digten sie an, die Verhandlungen zu beschleu-nigen – obwohl gleichzeitig mehr als 35 000

Menschen bei einer Demonstrati-on das Ende von TTIP forderten.

Auch deswegen will die Bür-gerinitiative gegen TTIP und

CETA weiter Unterschrif-ten sammeln. Das Ziel: bis Herbst satte drei Millionen Unterschrif-ten europaweit. Damit bei Merkel & Co. die Ohren rich-tig klingeln, bereiten TTIP-Gegnerinnen und

-Gegner derzeit die größ-te Anti-TTIP-Demonstration

Deutschlands vor. Sie soll am 10. Oktober in Berlin stattfinden und am Kanz-leramt vorbeiziehen. Mit dabei DIE LINKE und Hunderte andere Verbände, Initiativen und Ge-werkschaften. Weitere Infos zur Großdemo in Berlin gibt es unter: www.ttip-demo.de und www.ttip-stoppen.de

Mehr als zwei Millionen Menschen unterstützen Bürgerinitiative

Widerstand gegen ttiP und CetA wächst

Shinzo Abe, Stephen Harper, Barack Obama, Angela Merkel,

François Hollande, David Cameron und Matteo Renzi (v. l.n.r.) am 7. Juni 2015 in Elmau

Christian Schwarzenberger auf der Demonstration in München gegen den G-7-Gipfel

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Polizeikette vor Geschäften in Garmisch.

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Der Liedermacher und Bundestagsabgeordnete Diether Dehm (DIE LINKE) bewertet Neu erscheinungen.

Dehms Musik-Kritik

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Taylor, Van Mor-rison, siMply red, Wader & MarkJames Taylor: Before This WorldNach der großartigen Duett-CD mit seiner früheren Frau Carole King hat James Taylor nun nach dreizehn Jahren wieder ein erstes echtes Stu-dioalbum veröffentlicht. Mit kraftvollen Melodien wie immer. Nur: So einen schar-fen Sound hat er seiner war-men Gitarre und der Soft-stimme noch nie beigefügt.

Van Morrison: Duets: Re-Working the CatalogueWenn wir schon bei den ganz Großen sind: Auch Van Mor-rison hat neue Songs vorge-legt, alles handgemacht. Von Natalie Cole über Bobby Womack bis Steve Winwood hat sich der Rockgigant Ge-sangspartner an Bord ge-holt, die selbst zu den Größ-ten gehören. Wobei Vans Stimme alle überstrahlt.

Simply Red: Big LoveSimply Red macht es dafür tief »unter seiner Form« und ist selbst seinen Hardcore-Fans

härteste Herausforderung: süßliches Ketchup ohne einen ear-catcher. Doch: Soul kommt von Sohle, nicht von Strand sandale.

Hannes Wader: SingVon den drei alten Groß-liedermachern der Ex-Bun-desrepublik war Dieter Süver-krüp der modernste Formfin-der, Franz Josef Degenhardt der sinnlichste und eigenwil-ligste Erzähler aus dem Innen-leben des Imperialismus und Hannes Wader immer der mit der erotischsten Bühnen- und Breitenwirkung. Durch das

neue Album des 72jährigen schimmert sein einst mit der Arbeiterliederfaust gerecktes Kommunisten bekenntnis zwar nur noch punktuell durch. Aber: Selbst der große linke Pete Seeger hatte ja zeit lebens auch Versöhnung gesungen.

Mellow Mark: Roots & FlügelDer kongeniale Mellow Mark legt frische Gesellschafts-kritik im Happysound, Reggae & Co. vor. Nach erstem Anhö-ren: Sehr empfehlenswert!

Der Film »Mietrebellen« zeigt die Schattenseiten des Hauptstadt-Booms: gierige Investoren, skrupel-lose Makler, rasant steigende Mie-ten. Und er stellt Menschen vor, die für-einander kämpfen und sich gemeinsam wehren – gegen Zwangsräumungen in der Nachbarschaft und Immobilienspe-kulanten im Kiez. Gedreht haben die Dokumentation der Berliner Filmemacher Matthias Coers, Jahrgang 1969, und seine Part-nerin Gertrud Schulte Westenberg. Der 78-minütige Film schildert den Kampf unterschiedlicher Berliner Mieterini-tiativen. Er erzählt beispielsweise den Fall der Rentnerin Rosemarie Fließ. Die betagte Frau wird im Jahr 2013 trotz Protests und ärztlicher Bedenken unter Zwang aus ihrer Wohnung geworfen. Zwei Tage später stirbt sie in einem Ob-dachlosenheim. Die Dokumentation schildert die Ge-schichte der Familie Gülbol aus Berlin-Kreuzberg. Zweimal sollte sie aus ihrer Wohnung vertrieben werden – zweimal wird die Vollstreckung wegen Protests ausgesetzt. Schließlich setzen fast 1000 Polizisten, Hubschrauberein-satz inklusive, die Zwangsräumung durch. Vorgestellt wird auch eine Grup-pe von Rentnerinnen, die im Stadtteil Pankow für den Erhalt ihrer Senioren-begegnungsstätte kämpfen und aus Protest das Haus besetzen – und damit schließlich Erfolg haben.Obwohl ein Film über Berlin, wird »Mietrebellen« in vielen Städten im Ausland vorgeführt: in Wien, Dublin, Glasgow, Córdoba, Amsterdam, im Ko-sovo, in Istanbul, Moskau, Brest, Gro-ningen. Teils bei Film- und Kunstfesti-vals, teils bei politischen Kongressen und Konferenzen. Bundesweit ist der

Film bereits in 21 Kinos gelaufen – und oft wurde nach der Vor-führung im Pu-blikum disku-tiert.Filmemacher Coers hat den Film absicht-lich kurz ge-halten. »Der Film soll vor Ort zu Debat-ten über die lokale Situation führen.« Das Ganze sei ein politisches Projekt. Deshalb lädt er auch oft Initiativen oder Fachleute ein, die sich im Anschluss an die Filmvor-führung vorstellen beziehungsweise das Thema vertiefen.

In Mannheim habe sich nach einer Filmaufführung eine Handvoll älterer Menschen zu-sammengefunden, die alle in Mietskasernen lebten, die das städtische Wohnungsunterneh-men abreißen wollte. Kurz ent-schlossen organisierten sie eine Kundgebung vor dem Büro des Unternehmens. Ähnliche Epi-soden gibt es aus vielen anderen Städten zu berichten. Was in Berlin passiert, »regt in anderen Städten die Fantasie an«, sagt Coers. Als der Streifen kürzlich zum hunderts-ten Mal im Berliner Kino Moviemento lief, berichtete eine griechische Geo-grafin über den Wohnungsmarkt in ihrer Heimat. Sie arbeitet an der Uni-versität Edinburgh in Schottland und hatte »Mietrebellen« im August in Lon-don gesehen, bei einer großen Konfe-renz der Royal Geographical Society. Am selben Tag, an dem der Film in der englischen Hauptstadt vor wissen-schaftlichem Publikum lief, wurde er in Leipzig bei einem Doku-Festival und in Hamburg bei einem großen Treffen der Hausbesetzerszene in der berühm-

ten »Roten Flora« gezeigt. Bis jetzt ist »Miet rebellen« bereits mehr als 330 Mal öffentlich gelaufen, in 40 Städten in 15 Ländern. Ohne Werbung des Film-teams hat sich das Interesse an der Do-kumentation von Berlin aus verbreitet.In Bukarest machen sich mittler-weile Freiwillige an eine Überset-zung der Untertitel. Auf Englisch, Französisch und Spanisch gibt es die schon, Griechisch und Italienisch seien fast fertig, sagt Coers. Für Anfang 2016 plant er eine DVD des Films – »für die weltweite Rezeption«.Ralf Hutter

Ein Film über den Berliner Wohnungsmarkt feiert internationale Erfolge und ermutigt zum Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt.

Ausschnitte aus dem

Doku mentarfilm »Mietrebellen«

Keine renditemit der Miete

Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der StadtDer Dokumentarfilm von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers (D 2014, 78 Minuten, OmeU) wird auch beim »Fest der Linken« am 12. September 2015 um 19 Uhr im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin gezeigt. Mehr Infos und weitere Auffüh-rungs- termine unter:

www.mietrebellen.de

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Mitmachen und gewinnen!

Markieren Sie die fünf Unter-schiede in der unteren Karikatur. Schneiden Sie den Vordruck ent-lang der gestrichelten Linie aus und senden Sie Ihre richtige Lö-

sung per Brief oder Postkarte an: Fraktion DIE LINKE, Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir drei-

mal die CD »Duets« von Van Morrison. Einsendeschluss ist der 15. September 2015. Der Rechts weg ist ausgeschlossen. Beim vorherigen Preisausschrei-

ben haben gewonnen: Barbara Lenhart aus Leipzig, Dietmar Zie-ger aus Wirges und Bernhard Idselis aus Delmenhorst.Herzlichen Glückwunsch!

preisrÄTsel

P Ich will mehr Informationen über die parlamentarischen Initiativen der Fraktion DIE LINKE.P Ich will clara, das Magazin der Fraktion DIE LINKE, kostenlos abonnieren. P Ich will die Arbeit der Fraktion DIE LINKE aktiv unterstützen.

Ja:

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Bitte ausgefüllt senden an: Fraktion DIE LINKE, Platz der Republik 1, 11011 Berlin

IMPRESSUMHerausgeberin: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin Tel.: 030/22 75 11 70 Fax: 030/22 75 61 28 [email protected] www.linksfraktion.de V.i.S.d.P. : Sahra Wagen-knecht, Dietmar Bartsch (Anschrift wie Heraus-geberin); Leitung: Steffen Twardowski; Redaktion: Sophie Freikamp, Ruben Lehnert, Frank Schwarz, Benjamin Wuttke, Gisela Zimmer; Layout und Satz: DiG/Plus GmbH, Berlin; Druck: MediaService GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin; Redaktionsschluss: 30. Juni 2015. Dieses Ma-terial darf nicht zu Wahl-kampfzwecken verwen-det werden!

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Unser Finanzsystem ist krank, weil dort »Die Psycho-Trader« (Westend, 19,99 Euro) unter-wegs sind. Volker Handon muss es wissen, weil er seit 25 Jahren mit Wertpapieren han-delt. Inzwischen arbeitet er auf eigene Rechnung.

Wie gefährdet ist das Finanzsystem?Volker Handon: Ich halte es für sehr gefährdet, weil die Bilanz-risiken der Banken nach wie vor viel zu hoch sind und sie einem echten Belastungstest niemals standhalten können. Solange die EZB jederzeit bereit ist, im Notfall einzuspringen, besteht aktuell keine Crashgefahr. Das wissen alle Marktteilnehmer und wiegen sich daher in einer trügerischen Entspanntheit.

Welche Rolle spielt dabei die Politik?Sie war seit der Deregulierung der Finanzmärkte auf beiden Augen blind und hatte sechs Jahre Zeit, um das Bankensys-tem sicherer und gerechter zu machen. Es wurde zu viel Rück-sicht auf üppige Ertragsquellen genommen. Die Lobbyarbeit der Finanzindustrie funktio-niert nach wie vor bestens.

Sie sind Gegner einer Finanztransaktionssteuer. Was wäre eine Alternative? Nach den bekannten Vorschlä-gen werden alle Beteiligten an jeder Finanztrans-aktion, die über eine Börse läuft, in unverhältnismäßig hoher Weise belas-tet. Das Handels-volumen würde stark abnehmen, weshalb auch die kolportierten Ein-nahmen reine Illu-sion sind. Bei allen außerbörslichen Finanzgeschäften würde die Steuer ungerechter-weise nicht anfallen. Sie ma-chen aber den größten Teil aller Transaktionen aus und sind ein extremes Risiko für das Finanz-

system. Eine sinnvollere Lösung wäre die Zusammenlegung und Verstaatlichung aller europä-ischen Börsen. Neben einer echten Kontrolle würde eine dauerhaft sprudelnde Einnah-mequelle geschaffen, und der Staat würde davon profitieren.

Wie würde ein gerechtes Finanzsystem aussehen?Alle Finanztransaktionen müss-ten über eine staatliche Börse getätigt werden. Sämtliche un-verzinsten privaten Verrech-nungskonten, also alle priva-ten Girokonten, müssten eine hundertprozentige staatliche

Deckungsgarantie erhalten. Besitzer solcher Konten können niemals Gläubiger einer Bank sein. Die Bi-lanzregeln für die Bewertung von risikobehafteten Aktiva bei Banken müssen restriktiv verändert werden. Die herrschenden Regeln lassen zu

viel Freiraum für die Verschlei-erung von Bilanzrisiken. Der Einfluss der Lobbyisten müsste transparent geregelt werden.Interview: Steffen Twardowski

Was verste-hen Sie unter Freund-schaft? Hier einige Ant-worten von Egon Bahr, Marina Weis-band, Gregor

Gysi, Sahra Wagenknecht, Roger Willemsen und Claudia Roth: unauslöschliche Liebe ohne Sex, geteilte Erlebnisse, gemeinsam genießen, intensi-ve Zuneigung, Teil der Familie sein, ein Langzeitprojekt. Wer was gesagt hat, lesen Sie bei Katja Kraus nach. Sie entlock-te ihnen und anderen Porträ-tierten aus Politik, Sport und Kultur überraschend offene Einblicke ins Gefühlsleben, wenn sie über Freundschaft, Liebe, Vertrauen, Enttäu-schungen und Brüche in Be-ziehungen sprachen. »Eine Freundschaft muss belastbar sein, aber sie muss nicht be-lastet werden«, betont bei-spielsweise Fußballcoach Jür-gen Klopp. Ein bemerkens-wertes Buch über das, was wirklich wichtig ist.

Katja Kraus: Freundschaft. S. Fischer, 256 Seiten, 19,99 Euro

Haben Sie heute schon ein paar Datenspuren hinterlassen? Im Internet eingekauft, Fotos auf Facebook

hochgeladen, den Frühsport mit einer App getrackt? Dann sollten Sie das neue Pro- und Contra-Buch über Big Data lesen: »Die Privatsphäre ist ein Menschenrecht. Aber wel-chen Stellenwert wird dieses Recht in Zukunft haben? Und wie definieren wir in Zukunft die Privatsphäre? Die globa-len Machtstrukturen sind in Bewegung.« Damit meinen Michael Steinbrecher und Rolf Schumann jene großen Konzerne, bei denen das Da-tensammeln zum Geschäfts-modell gehört. Sie zeigen, wie stark Big Data bereits unseren Alltag beeinflusst, wie verführerisch Vorteile wirken und welchen Preis wir dafür zahlen. Dafür haben sie viele Befürworter und Gegner interviewt. Lesenswert!

Michael Steinbrecher, Rolf Schumann: Update. Campus, 254 Seiten, 24,99 Euro

BÜCHerkisTe»die Verstaatlichung der Börsen wäre sinnvoll«

Volker Handon

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eintritt frei

Page 12: Klar 35 juli 2015

Seite 12 ✶ Klar ✶ Sommer 2015 ✶ www.linksfraktion.de

Klar bestellen und in der Nachbarschaft verteilen: Einfach eine E-Mail an [email protected] senden!Die nächste »Klar« erscheint im Herbst 2015

Ein Sportplatz im späten Früh-ling. 23 Spieler stehen auf dem Feld. Einer muss runter. Beim Fußball spielen elf gegen elf. Laute Diskussionen auf Ara-bisch, Französisch, Deutsch. In Babelsberg, mitten in Bran-denburg, findet ein besonderes Fußballspiel statt: Welcome United 03 trifft auf Inter Hoppegarten – das Match zweier Flüchtlingsmann-schaften.Der Gastgeber, Welcome Uni-ted, ist die dritte Mannschaft des Regionalligisten SV Ba-belsberg 03. Gegründet im letzten Jahr, kicken in diesem Team Spieler aus mehr als zehn Nationen. Ab Sommer 2015 wollen sie in der Kreisliga um Punkte spielen. Sie wären dann die erste reine Flücht-lingsmannschaft im regulären Ligabetrieb.Das Spiel in der Sportan-lage am Karl-Liebknecht-Stadion ist hart um-kämpft. Nach einem Konter gehen die Gastgeber in Führung. Noch vor der Halbzeit schießt Wel -come United das zweite Tor. In der zweiten Hälf te gelingt Inter Hoppegar-ten der Anschluss-treffer. Für den Aus-gleich reicht es nicht mehr. Beim Abpfiff reißen die Spieler von Welcome Uni-ted die Arme in die Luft. Die Zuschauer am Spielfeldrand

jubeln ihrer Mannschaft zu.Einer der bejubelten Tor-schützen heißt Johnson Ejike. Vor vier Jahren kam der bullige Stürmer aus Nigeria nach Deutschland. In seiner Heimat war der 34-Jährige Politiker. Nach der Präsident-schaftswahl im Jahr 2011 eskalierte die Gewalt . Ejike muss-te f l iehen. Eltern und Geschwister blieben in Af-rika. Seit sei-ner Ankunft in Deutsch-land war ihm klar: »Ich muss Fuß-

ball spielen, wie zu Hause auch.« Manja Thieme hat ihm gehol-fen , d iesen Wunsch zu ver-wirklichen. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin de r F lücht -lingshilfe hatte diesen Wunsch auch schon von anderen

F lücht l ingen gehö r t un d kontaktier te den SV Babels-berg 03. Der Verein stellte kurzerhand einen Trai-ningsplatz bereit und integrier-

te die fußballbegeisterten Flüchtlinge sogar als offiziel-les Team. Die Trikots kauften in einer spontanen Aktion die Fans des Regionalligisten.Immer mehr Fußballverei-ne folgen nun dem Babels-berger Beispiel. So startete kürzlich der Bundesligist VfB Stuttgart die Initiative »Fußball verbindet«, bei der jugendliche

Flüchtlinge in der Fußballschu-le der Schwaben mittrainieren können.Johnson Ejike spricht fließend Deutsch und Englisch. Häufig übersetzt er für seine Mitspieler die Ansprachen des Trainers. Er hat Politikwissenschaften stu-diert. Doch abseits des Platzes kann er seine beruflichen Qua-lifikationen kaum zum Einsatz bringen. In Berlin arbeitet er als Reinigungskraft in einem Muse-um. »Das ist nicht mein Beruf. Leider kriege ich keine Chance, mein Können unter Beweis zu stellen«, sagt Ejike. Selbst eine Ausbildung zum Lkw-Fahrer könne das Jobcenter ihm nicht bezahlen. Vor dem Training geht der gläu-bige Christ oft in die Baptisten-kirche in Potsdam. Dort wird die Predigt für die Flüchtlinge si-multan übersetzt. »Bald ist das nicht mehr nötig, ich verstehe eh fast alles«, sagt Ejike. »In der Kabine reden wir aber nicht über Religion oder Herkunft. Fußball ist hier alles, was zählt.«Paul Schwenn

Flüchtlinge willkommenGemeinsam mit einem Bündnis aus Flücht-lingsinitiativen hat DIE LINKE ein Zeichen gegen Rassismus und Menschenfeind-lichkeit gesetzt. Am Internationalen Tag des Flüchtlings, am 20. Juni, unterstützte sie eine Kundgebung mit Musik am Brandenburger Tor in Berlin. Zu den gefeierten Acts gehörten unter an-derem die Sängerin Carmel Zoum, die Band Grup Yorum, der Flüchtlingschor aus Syrien und die Rockgruppe Kraftklub. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: Flüchtlinge willkommen – Flucht ist kein Verbrechen.

unterwegs für »Klar«

Hannes Keller (65) aus München:Jedes Mal, wenn eine neue Ausgabe von Klar erscheint, krempeln Hannes Keller und seine Freunde vom Ortsver-band DIE LINKE München-Süd die Ärmel hoch: Rund 8000 Exemplare verteilen sie in der bayerischen Landeshaupt-stadt. »Die Zeitung ist gut, um linke Inhalte schnell und verständlich zu vermitteln«, sagt Keller. Die Zeitung biete vielen Münchnern erstmalig einen eigenen Eindruck von der Arbeit der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.

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Zwischen Krieg und KreisligaBeim Regionalligisten SV Babelsberg 03 gibt es die erste reine Flüchtlingsmannschaft Deutschlands: Welcome United 03

Die Rockband Kraftklub auf der

Bühne vor dem Brandenburger Tor

Johnson Ejike im Trikot des Welcome United 03

Das Team des Welcome United 03

Die Musikerin Carmel Zoum

Der Sänger der Band Grup Yorum

Flüchtlinge beim Trainingsspiel

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