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1 Klassifizierung von Physikaufgaben Materialsichtung und Materialentwicklung für das Pädagogische Landesinstitut Brandenburg im Rahmen des BLK-Programms SINUS Dezember 1999 Martin Erik Horn, Ass.d.L./Dipl.-Phys. Universität Potsdam Institut für Physik, Raum 3.13 -- Didaktik der Physik -- Am Neuen Palais 10, Haus 19 14469 Potsdam Tel.: 0331 / 977 1209

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Klassifizierung vonPhysikaufgaben

Materialsichtung und Materialentwicklung für dasPädagogische Landesinstitut Brandenburg im Rahmen des

BLK-Programms SINUS

Dezember 1999

Martin Erik Horn,Ass.d.L./Dipl.-Phys.

Universität PotsdamInstitut für Physik, Raum 3.13

-- Didaktik der Physik --Am Neuen Palais 10, Haus 19

14469 Potsdam

Tel.: 0331 / 977 1209

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Martin Erik Horn Universität Potsdam

Klassifizierung von Physikaufgaben

Materialsichtung und Materialentwicklung für das Pädagogische LandesinstitutBrandenburg im Rahmen des BLK-Programms SINUS

0. Inhalt

Seite

0. Inhaltsverzeichnis 2

1. Vorüberlegungen 3

2. Grundlagen des Moduls 1 4

3. Erste Übersicht über die Aufgabenkategorisierung in der Physik 6

4. Vergleich mit der Aufgabenkategorisierung in der Mathematik 9

5. Ansätze für eine anforderungsdifferenzierte Aufgabenkonstruktion 13

5.a. Die Aufgabenbearbeitung als Lernprozess 15

5.b. Wissenszentrierte Problemlösestrategien 19

5.c. Selbstreguliertes Lernen und selbstgesteuerte Aufgabenlöseprozesse 22

5.d.. Aufgabenmerkmale in Anlehnung an TIMSS 25

5.e. Der "Scientific Literacy"-Ansatz 28

6. Ausblick 31

7. Literatur 33

8. Anhang 35

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1. Vorüberlegungen

Unterricht und Bildung sind gesellschaftlich sensitive Felder, die Entwicklungenwiderspiegeln und Bruchlinien verdeutlichen. Das gilt auch für den Unterricht natur-wissenschaftlicher Fächer. Einem bildungspolitischen Erdbeben gleich kamen dieErschütterungen, die die Dritte Internationale Mathematik- und NaturwissenschaftsstudieTIMSS auslöste als deren für das bundesdeutsche Bildungssystem in mancher Hinsichtnicht sehr schmeichelhafte Ergebnisse bekannt wurden. Dabei schreiben diese Ergebnisselediglich fort, was auch schon frühere Untersuchungen (z.B. DELPHI) über einenausbleibenden Lernerfolg und dem deutlichem Verharren deutscher Schüler auf einemNiveau von Alltagsvorstellungen im Bereich der Physik offenbarten. Über dieKonsequenzen, die aus diesen Untersuchungen gezogen werden sollten, lässt sich streiten- Stundentafelkürzungen im naturwissenschaftlichen Bereich, Bildungsabbau durchMittelkürzungen und eine Erhöhung von Klassenfrequenzen sowie die weitere Belastungder Lehrkräfte durch Erhöhung der Pflichtstundenzahl können extrinsische Gründe sein,wieso sich der Unterricht hierzulande als nicht so wirkungsvoll erweist wie in anderenLändern. Doch gibt es sicherlich auch tiefere intrinsische Gründe, wie zum Beispiel eineneingeschliffenen und nicht hinterfragten Lehr- und Lernstil, die zu mangelnder Effizienzdes deutschen Bildungswesens führen. Einer dieser Gründe, die bisher vernachlässigteAufgabenkultur, soll hier beleuchtet werden.Mit Hilfe einer lernpädagogisch modernen, die Schüler auch differenziert ansprechendenAufgabengestaltung sollen aber nicht nur fachliche Fragen tiefgründiger und intensiver alsim konventionellen Unterricht behandelt werden, sondern es soll gerade auch das Umfeldim Sinne eines fachübergreifenden, allgemeinbildenden Ansatzes mit einbezogen werden.Von der Gestaltung der Aufgaben über die Präsentation im Unterricht bis hin zumVergleich der Lösungswege bedarf es also eines gedanklichen Reflexionsprozesses, derden Einsatz von schulischen Aufgaben an jedem Punkt hinterfragt und Alternativroutenabwägt. Diese kulturelle Leistung, die weit über das verborgene Unterrichtsskript "Lehrerwählt Aufgabe aus dem Schulbuch aus, Schüler lösen diese nach vorgegebenem Schema"hinausgeht, kann mit dem Begriff einer modernen Aufgabenkultur umschrieben werden.Eine genaue Definition, was unter Aufgabenkultur präzise zu verstehen sei, ist jedoch inder Fachliteratur nicht zu finden. Diese Offenheit in der begrifflichen Definition spiegeltdie Vielschichtigkeit kultureller Leistungen wider. Die urprüngliche lateinische Wurzeldes Wortes "kultivieren", d.h. der Urbarmachung öden Landes, findet sich hier imübertragenen Sinn lerntheoretisch und unterrichtspraktisch wieder als eine fruchtbare, dieschulische Routine und Ödnis im Bereich der Physikaufgaben überwindendeAufgabenkultur.

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2. Grundlagen des Moduls 1

Die Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie TIMSS hat nicht nurunter Verantwortlichen im kultus- und bildungspolitischen Bereich der BundesrepublikDeutschland erhebliche Diskussionen ausgelöst. Diese Studie zeigt, dass die Fachleistun-gen der deutschen Schülerinnen und Schüler in naturwissenschaftlichen Fächern in einembreiten internationalen Mittelfeld liegen. Das im Mittel nach der 8. Jahrgangsstufe verfüg-bare Wissensrepertoire lässt sich als Alltagswissen beschreiben, das von den Schülernnoch kaum aus den spezifischen Erwerbskontexten gelöst werden kann /c, 70/. Als beun-ruhigend wird einerseits die erhebliche Leistungsdifferenz zur internationalen Spitzen-gruppe und andererseits die Heterogenität der mathematischen und naturwissenschaftli-chen Fähigkeiten der Schüler angesehen, die dazu führt, dass mit etwa 20 Prozent derAnteil jener Schüler, die sich am Ende des 8. Jahrgangs nur auf einem (erweiterten)Grundschulniveau befinden, erschreckend hoch ist.Insbesondere weist die Studie darauf hin, dass die relative Leistungsschwäche derdeutschen Schülerinnen und Schüler bei Aufgaben sichtbar wird, die eine sinnvolleAnwendung und Übertragung des Gelernten auf eine neue inner- oder außerfachlicheProblemstellung verlangen /c, 71/. Insbesondere seien anspruchsvollere Aufgaben, die denbehandelten Stoff auf lebenspraktische Situationen beziehen, für die meisten Schülerunlösbar. Ein Grund für diese Überforderung der Schüler sieht die Studie /c, 76/ imoffenkundig deutschlandweit uniformen Muster der Unterrichtsführung. Übungsaufgabendienen dabei im wesentlichen der Routinisierung und Einübung neu eingeführterStoffinhalte. Weitere mögliche Funktionen von Aufgabenstellungen werden imallgemeinen im Unterricht nicht ausgenutzt. So seien in Deutschland eine systematischeDurcharbeitung und Konsolidierung durch Variation der Aufgabentexte und eineModifikation der Struktur der Aufgaben sehr selten anzutreffen. Eine veränderteAufgabenkultur tut also in der deutschen Bildungslandschaft not.Deshalb schlägt die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungs-förderung als eine der unterrichtsbezogenen Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz desmathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts die Weiterentwicklung eben dieserAufgabenkultur vor. Da die bisher in Deutschland praktizierte Aufgabenkonzeption imGleichklang mit einer eindimensional ausgerichteten Unterrichtsführung in den meistenFällen lediglich zielstrebig auf die Erarbeitung einer einzigen Lösung, die perfekteBeherrschung eines einzigen Algorithmus oder die Verinnerlichung einer einzigenHandlungsroutine hinauslief und so ein lediglich schematisches Arbeiten trainierte, solleine Aufgabenkultur der methodischen Variabilität und einer multidimensionalenLösungsstruktur gefördert werden. Ziel ist es, so das Gutachten /c, 89/, Schülerinnen undSchüler auf unterschiedlichen Kompetenzniveaus anzuregen, ihnen zugängliche Lösungenzu finden, die dann im Unterricht vergleichend analysiert werden können. Dazu müssenallerdings Aufgaben entwickelt werden, die diese unterschiedlichen Lösungswege zulas-sen. Ebenso sollten Aufgaben hinsichtlich von Inhalten, Kontexten und Strukturen variiertgestaltet werden. Welche Lösungswege von der Klasse dann aufgegriffen oder aber nichtbeschritten werden liefert dem Unterrichtenden zusätzlich diagnostische Informationenüber eventuell vorhandene Lern- oder Verständnisschwierigkeiten. Zudem muss eineerfolgreiche Aufgabenkultur systematisch zurückliegenden Stoff in die Aufgaben-stellungen integrieren, so dass über eine vertikale Vernetzung der Themen der Lernerfolglangfristig erhöht wird.Das Land Brandenburg beteiligt sich im Rahmen des BLK-Programms SINUS unteranderem an dieser Weiterentwicklung der Aufgabenkultur (Modul 1). Als erster Schritt

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soll Material entwickelt werden, das zur Darstellung verschiedener in der didaktischenLiteratur beschriebener oder gegebenenfalls selbst entwickelter Zugänge zurKlassifizierung von Aufgaben im Unterricht herangezogen werden kann. Diese Klassifi-zierungsformen sollen Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit bieten, bewußt unterBerücksichtigung verschiedener Unterrichtsziele verschiedene Typen von Aufgaben imUnterricht einzusetzen /d/. Diese Grundlagen soll die vorliegende Arbeit legen.Der logisch folgende zweite Schritt soll dann zu konkreten Arbeitsanweisungen führen,die es Lehrerinnen und Lehrern ermöglicht, differenzierte Aufgaben im Sinne ihres An-forderungsniveaus selbst zu konstruieren. Aufbauend auf den unterschiedlichenKlassifizierungsmöglichkeiten werden Vorschläge dazu in dieser Arbeit vorgestellt. Ineiner Aufgabenwerkstatt werden diese Konzepte dann im Laufe des Jahres 2000angewendet und weiter ausgebaut werden. Einen Schwerpunkt dieses Ansatzes bildetdabei die Miteinbeziehung der Lehrereigenkompetenz, die im BLK-Programm SINUSsystematisch zur Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichenUnterrichts eingesetzt werden soll. Die Erfahrung der Lehrkräfte vor Ort in den Schulensoll zur Neu- und Weiterentwicklung von Aufgabenstellungen im Sinne einerdiskursfördernden Aufgabenkultur herangezogen werden. Die von den Lehrkräftenpraxisnah entwickelten und erprobten Aufgaben werden in dieser Aufgabenwerkstattanalysiert und bilden die Grundlage einer dann breit einsetzbaren Materialsammlung.

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3. Erste Übersicht über die Aufgabenkategorisierung in der Physik

Das Thema der Kategorisierung physikalischer Aufgaben wird in der fachdidaktischenLiteratur bisher nur gestreift. Eine systematische Aufarbeitung dieses auch unterrichts-praktisch wichtigen Punktes hat bis heute nur in Ansätzen stattgefunden. In nahezu allenAbhandlungen, die dieses Thema angehen, werden die didaktischen Möglichkeiten, dieein geeigneter Aufgabeneinsatz im Physikunterricht bietet, nicht angesprochen. ImGegenteil: Es wird eine Aufgabenauswahl nur unter dem Gesichtspunkt der Leistungs-messung beschrieben. Aufgaben dienen, so der Anschein in der Fachliteratur, haupt-sächlich als Beurteilungsmittel von Schülerleistungen.

Diese Aufgaben, die der Leistungsermittlung dienen, lassen sich hinsichtlich zahlreicherAspekte kategorisieren. Diese Aufzählung äußerer Merkmale kann allerdings nur eineGrobeinteilung liefern. Als Beispiel, wie es so ähnlich in vielen Physikdidaktikbüchern zufinden ist, soll hier die Einteilung von Bleichroth u.a. /e, 266/ vorgestellt werden. DieAutoren nehmen eine Unterscheidung hinsichtlich folgender Stichpunkte vor:

Situativer Kontext- Klassenarbeit- Test- Einzelüberprüfung

Aufgabentyp:- gebundene Antwortform

- Mehrfachwahlaufgabe (multiple choice)- Richtig-Falsch-Aufgabe- Zuordnungsaufgabe

- freie Antwortform- Ergänzungsaufgabe (one word task)- Kurzaufsatz

Dieses Standardrepertoire an Aufgabentypen ergänzt /f, 205/ um die Formen zeichneri-scher Aufgaben:

Aufgaben mit Zeichnungen- Ergänzung von Zeichnungen- Anfertigung von Zeichnungen

Immerhin thematisiert dieses Buch /f, 175/ den Einsatz von Aufgaben nicht nur zurLeistungsüberprüfung, sondern auch als möglicher Inhalt von Arbeitsbögen. Die Analyseder Funktion von Aufgaben fällt allerdings sehr medienbezogen (Arbeitsbogen) aus undumfasst nicht die notwendige Breite der möglichen didaktischen Funktionen einerAufgabengestaltung. Letztendlich sind ist der geschilderte Einsatzmöglichkeiten mit

• (...) Mögliche Arbeitsaufgaben sind: Beschriften der Skizze, Ergänzen derSkizze, Beschreibung des Versuchs, Beschreibung eines Teils des Versuchs.

• (...) Mögliche Arbeitsaufgaben: Ergänzen eines Lückentextes, grafische undbildhafte Darstellungen.

• Aufgaben zur Vertiefung: Beschreibung oder Untersuchung ähnlicher Beispiele,

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grafische oder bildhafte Darstellung von Beispielen, Berechnungen von Beispielen,Darstellung der Unterschiede zwischen ursprünglichem Beispiel und dem Anwen-dungsbeispiel, Arbeitsaufgaben, die sich auf die Freizeit beziehen (z.B. Basteln,Experimentieren; Geschwister, Eltern, Experten, Passanten befragen).

nicht problemlöseorientiert, sondern fördern hauptsächlich reproduzierende Fähigkeitenbei der Festigung des behandelten Unterrichtsstoffes.

Auch Bücher, die die Praxis der Differenzierung im Physikunterricht ausführlich be-schreiben, wie zum Beispiel /a/, weisen Aufgaben in diesem Differenzierungsprozesskeine wesentliche Rolle zu. Damit werden didaktische Möglichkeiten, die eine stärkereBetonung einer ausdifferenzierenden Aufgabenkultur beinhaltet, nicht genutzt.

Mit dem Einsatz von Aufgaben wird durch den Lehrer bewusst oder unbewusst immerauch das Erreichen von Lernzielen gefördert. Diese Lernziele lassen sich strukturiertordnen und bieten - als Umweg über die Kategorisierung von Lernzielen - einen Ansatzzur Kategorisierung von Aufgaben, indem die Aufgaben den jeweiligen Lernzielstufen zu-geordnet werden.

Als Grundlage für die Kategorisierung von Lernzielen bietet sich die Lernzielmatrix nachWestphalen an, die dem vorläufigen Berliner Rahmenplan Physik /i/ zugrunde lag. DieseKategorien sind in einfacher Weise auf die Einordnung von Aufgabenstellungen und diezur Bearbeitung einer Aufgabe nötigen kognitiven Fähigkeiten übertragbar:

Kategorien Wissen Können Erkennen

Lernzielstufen Einblick Fähigkeit Bewusstsein bzw. Anforderungsstufen Überblick Fertigkeit Einsicht für eine erfolgreiche Aufgabenbearbeitung Kenntnis Beherrschung Verständnis

Vertrautheit

Diese Kategorien wurden in /i/ wie folgt definiert:

Einblick beschreibt das aus der ersten Begegnung mit einer physikalischen Fragestellungoder einem Wissensgebiet resultierende flüchtige Wissen.

Überblick ist eine systematische Übersicht nach erfolgtem Einblick in mehrere Teilbe-reiche eines physikalischen Wissensgebietes.

Kenntnis eines Sachverhaltes oder Wissensgebietes setzt den Überblick voraus, fordertaber zusätzlich detailliertes Wissen, das zu einer zutreffenden Beschreibung befähigt.

Vertrautheit beschreibt den Besitz von erweiterten und vertieften Kenntnissen über einenSachverhalt oder ein Wissensgebiet.

Fähigkeit beschreibt dasjenige Können, das zum Vollzug einer Tätigkeit notwendig ist.

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Fertigkeit beschreibt ein durch reichliche Übung eingeschliffenes, sicheres, fast mühe-loses Können.

Beherrschung beschreibt einen hohen Grad von Können.

Bewusstsein beschreibt eine Vorstufe des Erkennens, die zum Weiterdenken anregt.

Einsicht beschreibt eine grundlegende Anschauung, die erworben und beibehalten wird,wenn ein Problem eingehend erörtert und einer Lösung zugeführt wird.

Verständnis beschreibt die Ordnung von Einsichten und ihre weitere Verarbeitung zu ei-nem begründeten Urteil.

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3. Vergleich mit der Aufgabenkategorisierung in der Mathematik

Während die Entwicklung einer Aufgabendidaktik in der Physik noch nicht sehr weitgediehen ist, hat sich die Aufgabendidaktik im Bereich der Mathematik bereits viel weiterentwickelt. Dies ist angesichts der Tatsache, dass die Bearbeitung aller Arten von Rechen-und anderen Aufgaben im Mathematikunterricht einen weit größeren Platz einnimmt alsim Physikunterricht, auch nicht verwunderlich. Dennoch: Die TIMSS-Ergebnisse zeigen,dass die bisherigen Ansätze der Abhaltung von Mathematikunterricht in Deutschlandebenso unzureichende Ergebnisse erbrachten wie im Physikunterricht. Die Tatsache derExistenz einer auslaborierten Aufgabendidaktik, die den Mathematiklehrern zur Ver-fügung steht, hatte offensichtlich kaum Einfluss auf die Ergebnisse der TIMS-Studie.Dieser Effekt wäre auch für den zukünftigen Physikunterricht nach Entwicklung einerausgefeilten Aufgabendidaktik im Bereich der Physik zu befürchten. IntegralerBestandteil des BLK-Programms SINUS ist deshalb nicht nur die Entwicklung einerzeitgerechten Aufgabenkultur, sondern die Vermittlung und Einbindung dieser Kultur inden schulischen Alltag.

Fachlich sind die Physik und die Mathematik tief miteinander verbunden, obwohl sieeinen gänzlich anderen Ansatz (physikalische Prinzipien ./. axiomatischer Aufbau) auf-weisen. Es liegt somit nahe, bei der Gestaltung einer physikalischen Aufgabenkultur aufdie Erfahrungen der Mathematikdidaktikerinnen und -didaktiker bei der Aufgabenkatego-risierung und Aufgabenentwicklung im Bereich der Mathematik zurückzugreifen.

Einen Überblick über die charakteristischen Aspekte von Problemaufgaben im Bereichder Mathematik bietet zum Beispiel Uwe-Peter Tietze u.a. in /h, 49/:

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Es fällt auf, dass die unterschiedlichen Aspekte verschieden stark ausdifferenziert sind. Soist der globale Aspekt "Wie schwierig ist die Aufgabe?", also eine entscheidende Fragebei einem zielgerichteten Unterrichtseinsatz, nicht weiter ausformuliert. Bei einerdifferenzierenden Aufgabenstellung wäre eine Untersuchung dieses Aspekts von großemInteresse, da Schüler unterschiedlicher Leistungsstärke, die unterschiedliche Lern- undLösungswege verfolgen, angesprochen werden sollen.

Insgesamt deckt die linke Seite der Graphik formal-inhaltliche Aspekte ab, währendpsychologische Aspekte und der Aspekt der Wechselwirkung mit dem Unterrichtszielrechtsseitig aufgeführt sind. Diese Aspekte lassen sich ohne große Mühe auch aufphysikalische Aufgabenstellungen übertragen.

Inhaltlicher Aspekt: Eine innerphysikalische Aufgabe behandelt Probleme im rein physi-kalischen Kontext.Eine Anwendungsaufgabe oder zumindest anwendungsbezogenePhysikaufgabe schafft einen lebensweltlichen Bezug und bezieht an-dere Fachgebiete mit ein.

Formaler Aspekt: Die Offenheit der physikalischen Fragestellung schafft ein Klima füreigene kreative Ansätze, oder aber eine zielgerichtete, jedoch aucheinengende Geschlossenheit der physikalischen Aufgabe gibt deneinzuschlagenden Lösungsweg stringent vor.Das Spektrum an Aufgabenarten ist im Vergleich zur Mathematik imBereich der Physik breiter aufgefächert. Insbesondere umfasst dieserAspekt nicht nur Papier-und-Bleistift-Aufgaben, sondern als wesent-licher Aufgabentyp der Physik auch experimentelle Probleme, diehandlungsorientiert bearbeitet werden können.Damit ergeben sich auch andere mögliche Darstellungsmoden:Enaktiv, ikonisch, umgangssprachlich, fachsprachlich.Die Form der Datenangabe erfolgt implizit oder explizit.

Personenbezogener Aspekt: Einerseits spielen Vorkenntnisse, Motive, Fertigkeiten undFähigkeiten der Schülerinnen und Schüler eine Rolle, andererseitsgilt Ähnliches für ein mögliches Interesse am und die Vertrautheitmit dem Problemkontext für die Lehrkraft.

Normativer Aspekt: Dieser Aspekt untersucht, welche Norm der Lehrer einem Lösungs-vorschlag zugrunde legt und wann eine Lösung als angemessen be-trachtet wird. Hier sind die Leistungsstufen zu berücksichtigen(G-Kurs oder E-Kurs in der Gesamtschule oder Grund- undLeistungskurs in der gymnasialen Oberstufe).

Funktionaler Aspekt:Hiermit wird beschrieben, welche Funktion (Einstieg, Anwendung,Problematisierung, etc.) die Aufgabe im Unterricht erfüllen soll undwelche Lernziele erreicht werden sollen.

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In der amerikanischen Fachdidaktik Mathematik nimmt die Aufgabenentwicklung einenübergeordneten Platz ein. Begründet wird dies nicht nur mit den dadurch gefördertenProblemlösefähigkeiten, sondern auch mit der Förderung des mathematischenVerständnisses, der Kompetenz, des Interesses an und der Neigung zur Mathematik(mathematical understandings, competence, interests, and dispositions, nach /j, 24/)Gerade dieser letzte Punkt, die Förderung einer psychologisch unterstützenden Stimmungim Klassenraum auch durch geeignete Aufgaben, die die unterschiedlichen Leistungs-stufen ansprechen, wird in der deutschen Fachdidaktik so nicht betont.

Aus diesen Anforderungen an die Konstruktion lohnender (worthwhile) mathematischerAufgaben lassen sich die in den Empfehlungen des National Council of Teachers ofMathematics /j, 25/ angegebenen folgenden Standards ableiten:

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Diese Kategorien lassen sich auch auf den Bereich lohnender physikalischer Aufgabenübertragen:

Physiklehrer bzw. Physiklehrerinnen sollten Problemaufgaben einsetzen, die...... tiefgründige und signifikante Physik vermitteln,... das Vorwissen, die Interessen und die Erfahrungen der Schüler berücksichtigen,... den unterschiedlichen Arten, wie verschiedene Schülertypen Physik lernen, gerecht werden,... die intellektuellen Fähigkeiten der Schüler herausfordern,

... die Entwicklung physikalischen Verständnisses und physikalischer Fertigkeiten der Schüler fördern,... die Schüler anregen, Beziehungen zwischen physikalischen Sachverhalten zu ziehen und ein kohärentes Netzwerk physikalischer Ideen zu entwickeln,... die Schüler dazu bringen, physikalische Problemstellungen zu erkennen, Problem- lösungsstrategien zu entwickeln und physikalische Argumentationsmuster anzuwenden,... die Kommunikation und den Gedankenaustausch über Physik fördern bzw. heraus- fordern,... die Physik als weiterzuentwickelnde kulturelle menschliche Leistung darstellen,... die auf die unterschiedlichen Erfahrungen, Veranlagungen und Neigungen der Schü- lerinnen und Schüler eingehen und diese berücksichtigen,... die Entwicklung einer physikzugewandten Haltung der Schüler fördert.

So wichtig die Einhaltung dieser Items auch ist, so unsystematisch gibt sich jedoch in derFachliteratur die strukturierte Darstellung einer Analyse von Aufgaben hinsichtlich dieserVorgaben. Meist werden nicht einzelne Kategorien und Kriterien unter den aufgeführtenItems subsumiert, sondern es werden meist nur anhand von Beispielaufgaben die Kriterienrecht ungeordnet und ungewichtet abgearbeitet oder auch nur angeschnitten. DiesesDarstellen von Beispielen und Beispielaufgaben ist zwar für den Praktiker als Einstieghilfreich und fördert eine Veranschaulichung, für einen systematischen Zugang greift diesjedoch zu kurz.

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5. Ansätze für eine anforderungsdifferenzierte Aufgaben-konstruktion

Die Fachdidaktik Physik ist eine relativ junge Wissenschaftsdisziplin, so jung zumindest,dass in einigen Bereichen Forschung bisher nur sehr lückenhaft stattgefunden hat. Auchdie Forschung zur Aufgabenentwicklung im Bereich der Physik gehört dazu, so dass sichnoch keine geschlossene Didaktik zur Aufgabenkonstruktion herausbilden konnte. Dem-entsprechend breit ist das Spektrum der Schwerpunkte, die einzelne Physikdidaktiker beider Entwicklung von Aufgaben jeweils legen.

Einige dieser Ansätze werden auf den folgenden Seiten vorgestellt. Im einzelnen sinddies:

a) Aufgabenbearbeitung als intendierter Lernprozesses.

Gemäß den Grundgedanken des Programms SINUS und der BLK-Studie zu diesemProgramm soll die Aufgabenbearbeitung nicht oder zumindest nicht in erster Linie derEinübung von Routinestrukturen dienen, sondern es werden kognitive Anforderungengestellt, die Lernprozesse stimulieren und physikalische Interpretationsmuster anregensollen. Die Aufgabenkonstruktion sollte deshalb unter dem Gesichtspunkt der Aufgaben-stellung als Katalysator für einen Lernprozess erfolgen. Die Struktur von Lernprozessen,wie sie im Unterricht ablaufen und beispielsweise von Nachtigall beschrieben wurden,kann somit auf die Aufgabenbearbeitung gewissermaßen en miniature übertragen werdenund beschreibt die Bearbeitung von Aufgaben als Mikro-Lernprozess.

b) Wissenszentriertes Problemlösen

Einige Fachdidaktiker stellen zur Förderung der Aufgabenkultur das wissenszentrierteProblemlösen in den Vordergrund. Diese Denkrichtung, wie sie beispielsweise von Prof.Reinhold (Paderborn) propagiert wird, geht von der Prämisse aus, dass ohne einausreichendes fachliches Grundwissen die Ausbildung von physikspezifischen Problem-lösungsprozessen nahezu aussichtslos erscheint. Insbesondere im Bereich der Begabten-forschung konnten starke Indizien für den Erfolg eines wissenszentrierten Ansatzes beimProblemlösen gefunden werden. Aufbauend auf dem Stufenmodell von Reimann werdenvon diesen Fachdidaktikern Aufgaben mit Anleitung zur Selbsterklärung, Aufgaben mitabnehmender Anleitung und Aufgaben mit variierenden Kontexten angemahnt.

c) Selbstreguliertes Lernen und selbstgesteuerte Aufgabenlöseprozesse

In der Bildungsforschung gilt das Konzept des SRL (engl.: self-regulated learning) alseines der wichtigen modernen Hilfsmittel, um Problemlöseprozesse und Lernvorgänge zuanalysieren und zu verbessern. Dieses selbstgesteuerte Lernen kann - zumindest in derTheorie - zur Implementierung einer modernen Aufgabenkultur genutzt werden. DieUmsetzung in die Praxis durch Erarbeitung eines entsprechenden Aufgabenmaterialsbedarf allerdings noch der Verwirklichung.

d) Aufgabenmerkmale in Anlehnung an TIMSS

Als einer der engagiertesten Physikdidaktiker auf dem Gebiet der Aufgabenentwicklungin Deutschland stellt Prof. Fischer (Dortmund) Aufgabenmerkmale in Anlehnung an dieTIMS-Studie vor. Die Berücksichtigung dieser Merkmale kann allerdings nur dann zu

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einem befriedigenden Resultat führen, wenn darüber hinaus auch dieAufgabenbedingungen bzw. das Unterrichtsskript angemessen mit in die jeweilige Unter-richtssituation einbezogen werden.

e) Der "Scientific Literacy"-Ansatz

Der "Scientific Literacy"-Ansatz geht auf den internationalen Schülerleistungstest PISA(Programme for International Student Assessement) zurück. Dabei werden Daten in über30 Industriestaaten der Welt in den Bereichen Leseverständnis, Mathematik undNaturwissenschaften erhoben. Der englische Begriff scientific literacy ist dabei nichtwortwörtlich als wissenschaftliche Lesefähigkeit zu verstehen. Die eigentlicheLesefähigkeit und das Leseverständnis wird im Rahmen der Studie zur reading literacyuntersucht. "Scientific Literacy" umfasst dagegen das Konzept einer wissenschaftlichenGrundbildung, die im Rahmen dieser Teilstudie ermittelt werden soll.In der bildungspolitischen Diskussion ist die PISA-Untersuchung nicht unumstritten.Einerseits betont beispielsweise Jochen Schweitzer in /o, 20/, dass alleine die Tatsacheschon faszinierend ist, dass sich die größten Wirtschaftsnationen in dieser Studie daraufverständigen, welches die grundlegenden Kompetenzen von Schülerinnen und Schülernam Ende der allgemeinen Schulpflicht sein sollen. Andererseits erweckt gerade dieTrägerschaft durch eine Wirtschaftsorganisation einiges Misstrauen, und es werdenbeispielsweise in /o, 22/ der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung) nicht wissenschaftliche, sondern hauptsächlich wirtschaftliche Motiveunterstellt.

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5.a. Die Aufgabenbearbeitung als Lernprozess

Dieter Nachtigall gibt in seinen Skizzen zur Physikdidaktik /g, 87/ folgende Übersichtüber ein geeignetes Umfeld für einen erfolgreichen Lernprozess:

Objektive SubjektiverRealität der PROBLEM Wahrnehmungs-Umgebung zustand

Subjektives inneres Bildder Situation

Wertung, Urteil, individuelle Meinung, Erinnerung an Erfolgs- erfahrungen, Mut, Vertrauen,

Neigung

Motivation, sich mit neuen Din- gen zu beschäftigen

Eigene Erfahrungen Subjektive Problemsituation Hilfe von außen, aus ähnlichen Bewusstwerden von Unsicherheit, Stimuli durch Situationen Widersprüche Lehrer, Mitschüler,

Bücher, andere Medien

Interne Inspektion aktivierterkognitiver Strukturen, Vermu-

tungen und Abschätzungen über ihreBrauchbarkeit oder Insuffizienz

Rekonstruktion der Rekonstruktion dersubjektiven Problemsi- subjektiven Problem-tuation mittels der situation mittels modi-als brauchbar erkannten, fizierter, vernetzteraktivierten, in dieser oder neu gebildeter,Weise bereits angewende- erstmals in dieser Formten kognitiven Struktur angewendeter kognitiver

Struktur

Lösung der Problemsituation Lösung der Problemsituation

Reproduktives Denken Kreatives Denken

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Da bei einer veränderten Aufgabenkultur im Sinne des SINUS-Moduls 1 die didaktischeFunktion einer Aufgabe nicht in der Überprüfung von Leistungen liegt, sondern Aufgabenbewusst hinsichtlich ausdifferentierter Lernfunktionen eingesetzt werden sollen, kann dersich bei der Aufgabenbearbeitung abspielende Lernprozess kongruent zum obigenSchema analysiert werden. Eine Aufgabenbearbeitung stellt dann ein Abbild des Unter-richts im Kleinen dar - mit all seinen Möglichkeiten und auch allen seinen didaktischenGefahren.

Das zur Induzierung eines erfolgreichen Lernprozesses notwendige Lernklima muss durchdie Art von Aufgabenstellung und -präsentation unterstützt werden. Insgesamt erhält mandie folgenden Ausprägungen des oben angegebenen Wechselwirksungsdiagramms:

- Objektive Realität der Umgebung:Die Aufgabenstellung stellt eine konkrete und reale Anforderung an Schülerinnenund Schüler. Die Schüler finden sich in der Lernumgebung "Konfrontation miteiner Aufgabe" wieder und müssen sich in den Text hineindenken.

- Subjektiver Wahrnehmungszustand:Der Wahrnehmungszustand wird durch zahlreiche Faktoren bestimmt. So spielenunter anderem die Klassensituation (ausgeglichene Ruhe, gutes Arbeitsklima oderunruhige Nachbarschüler), die innere Befindlichkeit der Schüler (Müdigkeit, Ge-reiztheit, Selbstbewusstsein, usw.) und natürlich die für ein Aufgabenverständnisnotwendigen Fähig- und Fertigkeiten (Sprachdefizite, Unverständnis abstrakterFormulierungen, usw.) eine Rolle.

- Subjektives inneres Bild der Situation:Die Schülerin oder der Schüler nimmt die Problemstellung nicht objektiv wahr,sondern liest subjektiv das heraus, was er in Einklang mit seinen gedanklichenMustern (kognitive Resonanz) bringen kann. Bei gleichem Aufgabentext könnenunterschiedliche Schüler so gänzlich verschiedene Arbeitsaufträge und zu be-arbeitende Problemstellungen herauslesen. Dies muss nichts Negatives sein, wennes konstruktiv in den Unterrichtsdiskurs eingebaut und dort aufgearbeitet wird.

- Motivation, sich mit neuen Dingen zu beschäftigen:Hier spielt das Zusammenspiel zwischen intrinsischer Motivation (Lust amProblemlösen, o.ä.) und extrinsischer Motivation (Drang nach guter Benotung,o.ä.) eine entscheidende Rolle. Gänzlich scheitern werden Schüler ohne jedeMotivation zur Aufgabenbearbeitung.

- Subjektive Problemsituation:Die Schüler erkennen, dass die Problemlösung kognitiver Anstrengung bedarf undordnen den Schwierigkeitsgrad subjektiv ein.

- Bewusstwerden von Unsicherheit, Widersprüche:Die Schüler erkennen, an welcher Stelle der Problembearbeitung es einerkognitiven Anstrengung bedarf, stellen kognitive Konflikte fest und schematisierendie Aufgabe.

- Eigene Erfahrungen aus ähnlichen Situationen:Die Schüler verknüpfen die Aufgabenstruktur eng mit bereits (und möglichsterfolgreich) gelösten Problemen.

- Hilfe von außen, Stimuli durch Lehrer, Mitschüler, Bücher, andere Medien:

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Gegebenenfalls findet die Weiterführung des Problemlöseprozesses nur durchäußere Hilfestellung statt. Idealerweise kann eine Aufgabenstellung bereits durchgeschickte Formulierung eine innere Hilfestellung geben. DieserSteuerungsmechanismus durch eine oder mehrere innere Wegweiser kann beiausdifferenzierenden Problemstellungen möglichst umfassend eingesetzt werden.Die Schwierigkeit für die Lehrer bei der Aufgabenkonstruktion liegt dann darin,die Wegweiser so in die Richtung möglicher Lösungsstrategien zu lenken, dass dieeinzelnen Lösungsstrategien getrennt durch die Schüler wahrgenommen werdenkönnen. Sie dürfen nicht der Versuchung erliegen, allen Hilfestellungengleichzeitig folgen zu wollen und verschiedene Lösungsstrategien unsystematischzu verfolgen. Das Erkennen einer inneren Struktur einer Aufgabe und ihrerLösungsstrategien durch die Schüler stellt eines der Hauptmerkmale einerzeitgemäßen Aufgabenkultur dar.

- Interne Inspektion aktivierter kognitiver Strukturen:Die Struktur der Aufgabe sollte durch die Schülerin bzw. den Schüler mit kogni-tiven Strukturen vermeintlicher oder tatsächlicher Lösungswege, die sie oder ermental gespeichert hat, kongruent zur Deckung gebracht werden.

- Vermutungen und Abschätzungen über ihre BrauchbarkeitEinzelne Lösungsvorschläge werden durch die Schülerin bzw. den Schüler interngewichtet und hinsichtlich ihres Erfolgspotenzials klassifiziert.

- Rekonstruktion der subjektiven Problemsituation mittels der als brauchbar erkannten, aktivierten, in dieser Weise bereits angewendeten kognitiven Struktur

Dies ist der Pfad, den physikalische Aufgaben nach der derzeitigen Unterrichts-praxis in Deutschland in der Regel ansprechen und aktivieren. Routine-lösungsprozesse werden intensiv eingeübt.

- Lösung der ProblemsitutationIn der Tat ist diese Art von Aufgabenkultur psychologisch erfolgreich, da Lehrerund Schüler eine Bestätigung über eine erfolgreiche Aufgabenbearbeitung ohne dasriskante Beschreiten neuer Lösungswege, was immer auch mit der Gefahr desScheiterns verbunden ist, erhalten und somit eine emotional positive Rückmeldungerfolgt.

- Reproduktives Denken:Business as usual! Die TIMS-Studie zeigt, dass deutsche Schülerinnen und Schülerdarin in der Regel nicht schlecht sind.

- Rekonstruktion der subjektiven Problemsituation mittels modifizierter...Hier erfolgt eine geringe Anpassung bereits vorhandener kognitiver Strukturen.Auch diese kleinschrittigen Problemlösungsfortschritte sind nicht zu unterschätzen,da sie bei einer Vielzahl von Anwendungen mit der Zeit zu einem breiten Problem-lösungsspektrum führen, wenn die Schülerin oder der Schüler gelernt hat, diesekleinschrittigen Prozesse autonom durchzuführen. Die Schrittweite wird bei einemerfolgreichem Einsatz allmählich ansteigen.

- ... vernetzter ...Der Rückgriff auf Wissen aus anderen Stoffgebieten, die mittels einer gleichartigenLösungsstruktur erfolgreich bearbeitet werden konnten, erfolgt im bundes-deutschen Unterrichtsalltag im Bereich der Physik leider noch recht zurückhaltend.

- ... oder neu gebildeter, erstmals in dieser Form angewendeter kognitiver Struktur

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Der Idealfall einer gelungenen Aufgabenkultur. Diese Art von kognitiven Pro-zessen sind allerdings nicht immer kontrolliert und verlässlich durch außen(Lehrer, Art der Aufgabenstellung) zu induzieren. Es sind immer auch spontaneProzesse, auf die zwar hingewirkt werden kann, die aber nicht zwangsläufigentstehen müssen.

- Lösung der ProblemsituationDies ist der optimistische Fall. Welche Rückkopplungsmechanismen im Fall desScheiterns wirken sollten, um Schüler nicht negativ zu bestärken, ist eine wichtigenoch zu untersuchende Fragestellung in diesem Zusammenhang.

- Kreatives DenkenEntscheidend ist, auch den Schülern zu vermitteln, dass nicht (bzw. nicht nur) dieRichtigkeit des Ergebnisses im Vordergrund steht, sondern die Art der Denk-prozesse und der kreative Umgang mit logischen Strukturen. Hier gilt tatsächlichder Satz: "Der Weg ist das Ziel."

Fasst man eine einzige, ausdifferenzierende Aufgabenstellung oder Problemvorgabetatsächlich als Unterricht im Kleinen und ein das Umfeld des Lernprozessesdeterminierende Vorgabe auf, so ist diese Funktion einer Aufgabenstellung, wennmöglich, hinsichtlich der einzelnen Aspekte zu kategorisieren und damit konstruierbar zumachen.

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5.b Förderung der Aufgabenkultur durch wissenszentrierte Problem-lösestrategien

Nach Reinhold, der auf dem Gebiet der Expertiseforschung arbeitet und Problemlöse-prozesse in komplexen Wissensgebieten untersucht, ist der Umfang des Wissens dasoffensichtlichste Merkmal der Problemlösefähigkeit. Diese durch ihn kürzlichvorgestellten Ergebnisse /k/ basieren auf dem Stufenmodell von Reimann, das durch Prof.Reinhold modifiziert und ergänzt wurde. Dieses Modell des wissenszentriertenProblemlösens hat folgende Struktur:

Begriffe Beispiele

Wissen

Hierachi- Problem-sierung schema

Problem-repräsentation

Auswahl oder Erarbeitung eines Problemschemas

Problemlöse-prozess

Ausarbeitung der Lösung

Evaluationder Lösung

Die Wissenskategorien werden in dualer Struktur ausgebildet, da das Problemlösen vonAnfängern nach Reinhold sich auf zwei Arten von Wissen stützen kann:

Einerseits gibt es das Wissen über physikalische Begriffe oder Gesetze, wobei beiAnfängern naturgemäß lediglich isolierte Wissenselemente vorhanden sind und die

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Problemlösung anhand einer "Rückwärtssuche" vonstatten geht. Typisches Beispiel ist dieFrage, die sich ein physikalischer Anfänger bei einer Problembearbeitung in der Regelstellen wird: Welches physikalische Gesetz enthält die Variable, die zu bestimmen ist?Diese Vorgehensweise ist dementsprechend begrenzt auf sogenannte Einsetzaufgaben.Dieses Begriffs- und Gesetzeswissen (in der Skizze auf der vorangegangenen Seite linksdargestellt) ist zwar überschaubar, die Anwendung ist allerdings für den noch nicht fort-geschrittenen Lerner aufgrund der isolierten Struktur schwierig.

Andererseits kann das Wissen durch Rückgriffe auf Beispiele gespeichert sein. Der Pro-blemlöseprozess läuft dann analogieorientiert ab, und anhand von Oberflächenmerkmalenwird eine Übertragung von Lösungsschritten versucht werden. Untersuchungen zeigen, soReinhold, dass diese, von Lernenden in der Regel bevorzugte Methode unabhängig vonder Qualität der Beispiele angewandt wird. Das Wissen ist bei einer Speicherung durchBeispielansammlung auf ein Wissenselement bezogen konkret und leicht anwendbar, aberin der Summe unüberschaubar, noch unklassifiziert und aufgrund der fehlenden Strukturgleichzeitig wahllos und umfangreich.

Diese beiden Möglichkeiten (rechts und links dargestellte Diagrammäste) werdenwährend des Lernprozesses folgendermaßen durchlaufen:

Anfänger Novize:

Es wird ein umfangreiches Faktenwissen angelegt und zahlreiche einzelne, aber meistnoch isolierte Gesetze und Begriffe gespeichert. Der Problemlöseprozess basiert dannhauptsächlich auf der Durchsuchung des semantischen Netzes nach geeigneterscheinenden Wissenskomponenten und dem Versuch, diese Wissenskomponenten ingeeigneter Weise anzuwenden.

Novize Experte auf Schulniveau:

Es tritt eine Umstrukturierung des Faktenwissens ein. Das Wissen wird hierarchischgegliedert und sachorientiert strukturiert. Diese Vernetzung unterstützt den Problemlöse-prozess, der darüber hinaus durch die Zuordnung des Problems zu einem Problemschema(rechter Diagrammast) nicht nur unterstützt, sondern wesentlich getragen wird.

Experte auf Schulniveau Praktiker im Beruf:

Experten weisen eine effiziente Wahrnehmung von Problemstrukturen auf. Die Repräsen-tation erfolgt abstrakt als elaboriertes, hierarchisch gegliedertes, an Tiefenstrukturen derDomäne orientiertes Wissen. Beim Problemlöseprozess werden bereichsspezifischeWissenszugriffsprozeduren eingesetzt, und es zeigt sich ein besseres Gedächtnis fürrelevante Informationen. Insgesamt erfolgt das Problemlösen fallbasiert, episodisch undsituativ.

Insgesamt erfolgt die Methode des Lernens von Beispielen nach Reimann und Reinhold infolgenden Stufen:

Einfache Beispiel- elaborierte Beispiel- generalisierte Beispiel- repräsentation repräsentation repräsentation

(isolierte Wissenselemente) (in Vorwissen integriert) (übergreifend, hochgradig vernetzt)

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Daraus leitet Reinhold ab, die Aufgabenkultur durch wissenszentrierte Elemente stärkerzu fördern. Es sollen seiner Meinung die folgenden Orientierungspunkte bei der Um-setzung im schulischen Alltag stärker berücksichtigt werden:

- Das intensive Durcharbeiten von Musterlösungen- Die Erfordernis von Anleitungen zur Selbsterklärung- Der Einsatz von Aufgaben mit abnehmender Anleitung- Die Konstruktion von Aufgaben mit variierenden Kontexten- Die Erarbeitung von Dimensions- und Grenzfallbetrachtungen- Die Bildung eines inneren Schlagwortverzeichnisses (Gedächtnisassistent)

Kernpunkt der wissenszentrierten Problemlösestrategien ist jedoch die Betonung derTatsache, dass der Umfang des Wissens das offensichtlichste Merkmal der Problemlöse-fähigkeit darstelle. Eine Erhöhung dieses Wissensumfang sei daher in erster Linieanzustreben, wobei Wissen nicht im Sinne reinen Faktenwissens verstanden werden darf,sondern gerade auch das Wissen um Strukturen und Vernetzungen beinhalten muss.

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5.c Förderung der Aufgabenkultur durch selbstgesteuerte Problem-lösestrategien: selbstreguliertes Lernen

Der englische Fachausdruck "self-regulated learning (SRL)" wird durch den deutschenBegriff selbstreguliertes Lernen nur unzulänglich wiedergegeben. Er enthält ebenso An-teile einer Selbststeuerung wie auch, so beispielsweise Boekaerts /l, 447/ weitere für einerfolgreiches Lernen wesentliche Komponenten.

Ansatzpunkt für die Diskussion selbstregulierender Lernprozesse ist die genaue Analyseder von den Lernern angewandten Strategien. Diese Lernstrategien sind dabei diecharakteristischen Vorgehensweisen und individuellen Methoden bei der Wissens-organisation und der Kontrolle kognitiver Prozesse. So unterteilt Pask nach Boekaerts/l, 447/ Lernende hinsichtlich ihrer Lernstrategie grob in zwei Gruppen: ganzheitlich(engl.: holistic students) und linear-eindimensional (serialistic students) vorgehende Lern-persönlichkeiten. Lernende, die dem ganzheitlichem Lernstil zuzuordnen sind, suchenmeist nach einem globalen Ansatz, der die grundlegenden Ideen in den Vordergrund stelltbevor sie sich Detailfakten zuwenden. Gänzlich entgegengesetzt agieren die linearausgerichteten Lernenden, die eine zielgerichtete Faktenumorganisation und eindetailorientiertes Handeln zeigen. Naturgemäß ist die Abgrenzung dieser beiden Ansätzenicht absolut, sondern es werden bei den meisten Lernern Anteile beider Extrema imProblemlöseprozess sichtbar sein.

Eine Einteilung der Lernstile in drei Kategorien schlug Entwistle nach Boekaerts /l, 448/vor: eine reproduzierende Ausrichtung der Lerner, also hauptsächliches Auswendiglernen,eine erfolgsorientierte Ausrichtung der Lerner, also ein Lernstil, der hauptsächlich durchäußere Anreize wie Belohnung oder gute Noten gestützt und motiviert wird, und drittenseine verstehensorientierte Ausrichtung der Lerner, die den Lernstoff inhaltlich fassen undpersönlich verstehen wollen. Allerdings ist, wie Boekaerts betont, die Korrelationzwischen Probanden der unterschiedlichen Lernstile und der erreichten schulischenLeistungen enttäuschend gering. Dies mag seinen Grund unter anderem auch darin haben,dass die den Forschern zur Verfügung stehenden Messinstrumente den Lernstil nichtvalide abbilden. Denn trotz der nur geringen Korrelation zwischen Lernstil und schuli-schen Leistungswerten besteht unter einer Mehrzahl von Fachdidaktikern die einhelligeMeinung, dass verstehensorientierte Lerner, die eine intrinsische Motivation aufweisenund hohes Interesse am Fach entwickeln, zumindest längerfristig die besseren fachlichenLeistungen erbringen werden.

Ein zweiter zentraler Punkt beim selbstregulierten Lernen ist die Art und Weise, wieLernende ihren individuellen Lernprozess steuern und ausrichten. Insbesondere solltenLehrerinnen und Lehrer sich vergegenwärtigen, dass in Lernumgebungen, in denenSchülern ein Maximum an äußerer Anleitung und äußerer Hilfe geboten wird,metakognitive Fähigkeiten kaum eine Chance haben, von den Lernern gezeigt undangewendet zu werden. Solche metakognitiven Fähigkeiten werden in einer solchen starrvorgegebenen und einengenden Lernumgebung von Schülerinnen und Schülern kaumausgebildet werden. Dabei kann das Selbstkonzept der jeweiligen Lerner erheblich vonden tatsächlichen Gegebenheiten abweichen. In Untersuchungen wurde bestätigt, dassLernende, die einer solchen streng fremdgesteuerten Lernumgebungen ausgesetzt waren,dennoch das Gefühl hatten, dass sie den Lernprozess selbst steuern können oder konnten.Bei Abwesenheit der Lehrerperson sanken ihre Leistungen allerdings drastisch.

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Jedoch zeigen auch Lerner, die Fähigkeiten zur Selbststeuerung bei Lernprozessen auf-weisen, nicht immer einen Erfolg beim Erreichen der gesetzten Ziele, da, wie Boekaertsschreibt, die Absicht, das gesetzte Ziel zu erreichen, nicht hinreichend gut gegenkonkurrierende Tätigkeitspotenziale geschützt sein kann. Mithin werden auch zur Selbst-steuerung fähige Schülerinnen und Schüler schlichtweg abgelenkt - und zwar sowohldurch externe wie auch interne Impulse.

Das selbstregulierte Lernen kann mit Hilfe des folgenden Drei-Ebenen-Modells /l/ veran-schaulicht werden:

Selbststeuerung

Steuerung des Lernprozesses

Methodensteuerung

Selbstgesteuertes LernenWahl der kognitivenStrategie

Gebrauch metakognitiver Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausrichtung des eigenen Lernens

Wahl der Ziele und Mittel

Zwischen der Lernumgebung und einem erfolgreichen Einsatz selbstgesteuerten Lernensbesteht eine enge Wechselbeziehung. Diese Wechselwirkung verläuft nicht nur in eineRichtung. Zwar wird allgemein anerkannt, dass eine offene Lernumgebung einen selbst-regulierenden und selbststeuernden Lernstil fördert. Aber auch in umgekehrter Richtungformt die Möglichkeit des Einsatzes autonomer, selbststeuernder Lernmöglichkeiten dieStruktur der Lernumgebung.

Boekaerts führt in ihrem Artikel /l, 454/ drei wesentliche strategische Kategorien an, aufdie Lernende zur Steuerung ihres eigenen Lernens Zugriff haben sollten. Diese sind in derobigen Skizze angeführt und werden von Pintrich /m, 460/ wie folgt beschrieben:

1. kognitive StrategienSie helfen den Lernenden, Information so auszuwählen, auszuarbeitenund so zu organisieren, dass ein tiefgründiges Verständnis möglich wird.

2. metakognitive, zielsteuernde StrategienSie spiegeln durch Planung, Übersicht und den steuernden Einsatz derkognitiven Strategien die zielgerichteten Intentionen und Absichten desLernens wider.

3. resourcenmanegende StrategienDiese Strategien beziehen sich auf Aktivitäten der Lernenden, die dasLernmaterial sowie innere und äußere Ressourcen hierarchisieren undden Einsatz dieser Ressourcen leiten.

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Hinsichtlich einer erfolgreichen Aufgabenkultur sollten den Schülern Aufgaben zurVerfügung gestellt werden, die die Anwendung dieser Strategien fördern und so zu einemselbstgesteuerten Lernen führen. Diese Aufgaben, die in ihrer zeitlichen Entwicklungunter abnehmender äußerer Anleitung von Seiten der Lehrerin oder des Lehrers undgleichzeitig unter einer abnehmenden inneren Anleitung konzipiert und den Schülerinnenund Schülern vorgelegt werden, sollten jedoch auch Elemente enthalten, die die Schülerzu einem erfolgreichen Lösungsweg hinleiten. Einerseits kann das durch Aufgaben, diemehrere erfolgsversprechende Lösungswege zulassen und somit in sich differenziert sind,geschehen. Andererseits können es Aufgaben sein, die von ihrer Struktur her so gestaltetsind, dass die Schüler durch Abarbeiten logisch einfacher Schritte den richtigen Lösungs-ansatz erreichen. Dieses schrittweise Annähern an den richtigen Lösungsweg wird dannim Sinne einer ausdifferenzierenden Aufgabengestaltung so auszuformen sein, dass dieEinzelschritte durch leistungsfähige Schüler übersprungen werden können, währendleistungsschwächere Schüler jeden Einzelschritt gemäß ihrer eigenen Lern- oder Arbeits-geschwindigkeit konkret durchlaufen.

Insgesamt ist der SRL-Ansatz eng mit dem Ansatz des forschenden Unterrichts verknüpft,für den sich bereits vor Jahrzehnten der Physikdidaktiker Walter Jung /b, 64/ in einemengagierten Plädoyer eingesetzt hat:

Denn der wesentliche Punkt beim forschenden Unterricht ist die Selbsttätigkeitbeim Problemlösen. Teilnahme beim Problemlösen in einer großen Gruppe ent-artet in engagiertes Zuhören - im besten Fall - der meisten Schüler.

Die dort genannten Konzepte sind bekannt. Allein, es hapert an der Umsetzung. ÄhnlichePraxisschwierigkeiten zeichen sich beim selbstgesteuerten Lernen ab. Die Schaffung vonAufgaben zur Förderung selbstgesteuerter Problemlösestrategien ist eine Heraus-forderung, die die Mitarbeiter dieses SINUS-Moduls zu leisten haben, da die Literaturlediglich den theoretischen Hintergrund abarbeitet und zur eigentlichen Aufgaben-konstruktion in der Praxis oft nur wenig und meistens sogar nichts sagt.

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5.d Aufgabenmerkmale in Anlehnung an TIMSS

Ausgehend von den Testkriterien der TIMS-Studie leitet Hans E. Fischer /n/ zahlreicheAufgabenmerkmale ab. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich bei den Aufgabender TIMS-Studie um Aufgaben zur Leistungsbewertung im Rahmen eines internationalenVergleichs handelt. Zielstellung dieser TIMSS-Aufgaben war nicht, bei den Probandeneinen Lernprozess zu initiieren. Es sollten lediglich vorhandene Problemlösefähigkeitenermittelt werden.

Ein sequentielles Anwenden der Kriterien auf im Unterricht benutzte Aufgaben soll nachFischer erreichen, dass die Aufgaben für unterschiedliche Unterrichtsziele in unterschied-lichen Situationen gezielt eingesetzt werden können, um Schülerinnen und Schülern zuhelfen, bestimmte Kompetenzen zu entwickeln.

Die von Fischer vorgestellten Kriterien sind im einzelnen:

1. Testkriterium: Die Aufgaben müssen eine auf den Aufgabenzweck ausgerichtete Breite von Anforderungen und Inhalten berücksichtigen.

Aufgabenbeurteilung:1.1. Es werden drei Unterrichtsphasen für den Einsatz von Aufgaben und damit prinzi-

piell unterschiedliche Anforderungsbereiche betrachtet: ErarbeitungÜbung oderLeistungsmessung.

1.2. Alle Aufgaben einer Unterrichtseinheit sollen die zur umfassenden Repräsentationdes Themengebiets erforderlichen Inhalte berücksichtigen.

2. Testkriterium: Die Schwierigkeit einer Aufgabe korreliert mit der Offenheit des Ant- wortformats.

Aufgabenbeurteilung: Dadurch, dass bei der Konstruktion von Aufgaben für Unterrichtein offenes Format bis hin zu eindeutigen Lösungsformaten vorgesehen sind, werdenunterschiedlich komplexe Lösungsmöglichkeiten zugelassen.2.1. Die möglichen Lösungswege werden wie folgt beschrieben:

2.1.1. Experimentell, durch Ermittlung und Auswertung von Daten2.1.2. Halbquantitativ, durch Interpretation einer Wertetabelle2.1.3. Rechnerisch, durch Vorgabe von Daten2.1.4. Theoretisch, durch Anwenden eines physikalischen Gesetzes

und Abschätzen und Berechnen der Lösung2.2. Es sind experimentelle, qualitative theoretische und mathematische Lösungen

möglich, der Weg ist nicht vorgegeben. Gegebenenfalls müssen die Alternati-ven mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam erarbeitet werden.

2.3. Es sind unterschiedliche Lösungen möglich und in der Aufgabe thematisiert.Unterschiedliche kognitive Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler könnengezielt berücksichtigt werden.

2.4. Der Lösungsweg ist in der Aufgabe vorgegeben. Die Aufgabe wird gezielt fürdie Entwicklung eines bestimmten Wegs oder Verfahrens eingesetzt.

3. Testkriterium: Um die Schwierigkeit einer Aufgabe adäquat einschätzen zu können,müssen Aussagen über die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler der Lerngruppegemacht werden (latente Fähigkeitsdimensionen).

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Aufgabenbeurteilung: Die folgenden Kompetenzstufen werden den Aufgaben lerngrup-penbezogen zugeordnet:3.1. Mit Alltagswissen lösbar3.2. Anwendung von Faktenwissen auf Niveau der Sekundarstufe I zur Erklärung

eines Phänomens3.3. Nur durch physikalische Konzepte auf Niveau der Sekundarstufe I lösbar3.4. Offene Fragestellungen, eigenständige Lösungsansätze (mathematisch oder

experimentell), rechnerisch oder qualitativ schlussfolgernd.3.5. Alltagsgebundene Fehlvorstellungen müssen überwunden werden. Die Kennt-

nisse von Definitionen und Gesetzen ist nötig.

4. Testkriterium: Testaufgaben müssen inhaltsorientiert charakterisiert werden, um auf be-sondere, zur Lösung notwendige Kompetenzen schließen zu können.Aufgabenbeurteilung:4.1. Die Aufgaben müssen bezüglich der angestrebten Problemlösung charakterisiert

werden, um einen Bezug auf curricular definierte Kompetenzen zu ermöglichen:Fachgebiet laut Lehrplan,theoretisch (kommunikativ, Einzel- oder Gruppenarbeit, lehrerzentriert),

oder experimentell (kommunikativ, Einzel- oder Gruppenarbeit, lehrerzentriert).4.2. Psychologische Erkenntnisse werden berücksichtigt:

entwicklungsbedingte Probleme,Interesse,Motivation,Kognitionspsychologische Erkenntnisse,Mädchen-Jungen-Aspekte.

Zur weiteren Aufgabenbeurteilung können mit Hilfe der folgenden Merkmale die Aufga-ben bezüglich einer intendierten Kompetenz eingeschätzt werden. Für jede Aufgabe ist dieKennzeichnung der Operationen nötig, die bei einer bestimmten Aufgabenschwierigkeitvon den Schülerinnen und Schülern der Lerngruppe zur Lösung der Aufgabe mit Sicher-heit beherrscht werden müssen.4.3. Kenntnis von Definitionen und Gesetzten4.4. Qualitatives Begriffsverständnis4.5. Spezifische Kenntnisse beim Rechnen

(Umgang mit Zahlen, Termen, Kalkülen, Funktionen, etc.)4.6. Interpretation von Diagrammen4.7. Spezifische sprachliche und kognitive Anforderungen an den Text4.8. Interpretation von Bildern4.9. Räumliches Vorstellungsvermögen4.10. Skizzieren des Problemlöseprozesses4.11. Verständnis für spezifische formalisierte Gesetze4.12. Verständnis für funktionale Zusammenhänge4.13. Verständnis für Alltagssituationen4.14. Verständnis für experimentelle Situationen4.15. Verständnis für symbolische Zeichnungen4.16. Überwinden von Fehlvorstellungen

Eine schematische Darstellung der Aufgabenbedingungen im Physikunterricht vonFischer, die wie die eben angeführten Kategorien ebenfalls /n/ entnommen ist, zeigt dieSkizze auf der folgenden Seite:

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Aufgaben, die im Multi-Media-Format formuliert werden und nur mit Hilfe unterschiedli-cher neuer Medien bearbeitet werden können, müssen besonders erwähnt und diskutiertwerden, da ihre Brauchbarkeit bisher nicht genügend erforscht ist. Zur Nutzung desComputers sind allerdings schon einige Ergebnisse bekannt, so dass für diese Aufgabenbereits eigenständige Kriterien durch Fischer /n, 9/ formuliert werden konnten.

5. Testkriterium:5.1. Durch geeigneten Einsatz des Computers können Aufgabenstellungen ent-

trivialisiert und alltagsnäher gestaltet werden.5.2. Der Einsatz von Modellbildungssystemen scheint in der Sekundarstufe I

höchstens in der 10. Klasse sinnvoll zu sein, da verfügbare Systeme offen-sichtlich zu hohe Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stellen.

5.3. Durch computergestützte Messwerterfassung (on-line-Datenerfassung undAuswertung), Simulation (leichte Veränderung der Parameter) und Modell-bildung (Diskussion der Parameter, Anpassung des Modells an einen Ver-such, Modellierung nicht trivialer Phänomene) kann Diskussion in der Lern-gruppe unterstützt werden.

Unterrichts-skript

Aufgaben-konstruktion

SchülerinSchüler

fachlicheInhalte

Aufgaben-Typen

Unterrichts-methode

Kompetenz

Lehrperson

Lösungswege

Kommuni-kation

Kompetenzen

Sozialisation

Erarbeitungs-aufgabe

Lernaufgabe

LeistungsaufgabeTest, Klausur

Übungsaufgabe

Fachsprache

Diskussions-führung

Alltagsvor-stellung

InteresseMotivation

Selbsteinschätzung

Gender

sozialeKompetenz

eindeutigesFormat

vorgegebenoffen

2.1

fragend-entwickelnd

Curriculum

LehrbücherUnterrichtsmaterialKompetenzstufen

1.1-1.4

nw-Arbeitsformen

Gruppenarbeit

Einzelkompetenzen5.1.-5.14.

sonst.lehrerzentriert

Präsentation

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5.d Der "Scientific Literacy"-Ansatz

Zur Erfassung der Problemlösefähigkeit sind gerade auch die fächerübergreifendenKompetenzen entscheidend. Diese allgemeinen Problemlösekompetenzen werden imRahmen der deutschen PISA-Studie bereits teilweise im ersten Zyklus erhoben, währenddie internationale PISA-Studie erst im Jahre 2003 die Messung dieser Kompetenzenvorsieht. PISA-Deutschland nimmt in diesem Bereich somit eine Vorreiterrolle ein.

Das Konzept der fächerübergreifenden Kompetenzen spielt in der derzeitigen bildungs-wissenschaftlichen Diskussion eine herausgehobene Rolle. Sie lassen sich folgen-dermaßen definieren /q/:

Fächerübergreifende Kompetenzen sind

1. situations- und inhaltsunabhängige Fähigkeiten, 2. die in verschiedenen Fächern bzw. Lerngebieten gefordert und bzw. oder gefördert

werden, 3. bei der Bewältigung komplexer, ganzheitlicher Anforderungen von Bedeutung sind

und4. auf neuartige, nicht explizit im Curriculum enthaltene Aufgabenstellungen trans-

feriert werden können.

Die Diskussion über die Einordnung von Problemlösungsprozessen ist noch nichtabgeschlossen. Insbesondere ist die Frage, ob Problemlöseleistungen domänenüber-greifend auf eine Fähigkeitsdimension zurückgeführt werden können und wie diese dennmit der jeweiligen intellektuellen Begabung zusammenhängt, nicht eindeutig geklärt undwird kontrovers beantwortet. So geht auch die PISA-Arbeitsgruppe, wie in /q, 1/ betontwird, davon aus, dass am Ende ihrer Entwicklungsarbeit kein eindimensionales Maß derProblemlösefähigkeit stehen wird, sondern ein Satz von Skalen, die unterschiedlicheAspekte des Problemlösens erfassen. Insgesamt acht verschiedene Untersuchungs-instrumente aus dem Bereich der Problemlöseforschung werden durch die PISA-Arbeitsgruppe adaptiert.

"Problemlösen" wird als zielorientiertes Denken oder Handeln in Situationen definiert, diefür den Probanden neu und unbekannt sind und für deren Bewältigung keine Routinen zurVerfügung stehen. Problemlösen beinhaltet nach /q, 2/ die folgenden Prozesse:

1. systematisches Beschaffen, Integrieren und Strukturieren von Informationen, 2. Planen und Ausführen von Handlungsschritten (im Umgang mit komplexen

dynamischen Systemen sowie im experimentellen Denken ist hierbei vor allemdie isolierende Kontrolle von Einflussgrößen wichtig),

3. kontinuierliche Verarbeitung von externer Information und externem Feedback, 4. Bewertung des eigenen Handelns und seiner Konsequenzen.

Aufgaben, die gezielt die obengenannten Schritte ansprechen, werden somit für einenPhysikunterricht im Sinne einer modernen Aufgabenkultur zu erarbeiten sein. Die Pro-blemlöseleistungen beruhen dabei wesentlich auf der flexiblen Nutzung unterschiedlicherRepräsentationsformen, auf Regel- und Strategielernen sowie auf Transfer. DieseFaktoren werden jedoch bei Problemlöseaufgaben nach /q, 3/ zumeist nicht explizit,sondern in der Regel indirekt implizit mit erfasst. Darüber hinaus spielen selbstregulative

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Kognitionen, metakognitive Prozesse sowie weitere motivationale Faktoren eineentscheidende Rolle.

Auf dem Weg von der Theorie zur Praxis /r, 182/ lassen sich diese Kompetenzen analogzur Klassifizierung im BLK-Gutachten /c/ unter die vier folgenden Zielbereichesubsumieren:

- Sicheres Beherrschen kultureller Basiswerkzeuge- Orientierungswissen in zentralen Wissensdomänen- Metakognitive Kompetenzen und motivationale Orientierungen- Sozialkognitive und soziale Kompetenzen

Wie Wolfgang Gräber /r, 183/ berichtet, schlugen die Symposiumsteilnehmer der GDCP-Jahrestagung 1999 die strukturelle Zusammenfassung dieser Ergebnisse durch folgendeGraphik vor:

- Sachkompetenz - Wissenschafts- - Ethische theoretische Kompetenz Kompetenz

Scientific Literacy

- Lern- und Denkkompetenz - Soziale Kompetenz - Instrumentelle Kompetenz - Kommunikations- kompetenz

W I S S E N W E R T E N

H A N D E L N

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Zur Umsetzung dieser theoretischen Ansätze im Unterricht wurde auf diesem Symposium/r, 184/ festgestellt, dass die folgenden wesentlichen Bereiche im Sinne einer kon-struktiven Spannung beachtet werden müssen:

- Fachdisziplin versus Lebenswelt- Faktenwissen versus Prozessorientierung- Lehrerdominanz versus Schülerorientierung

Während der gegenwärtige Physikunterricht meist sehr "linkslastig" bezüglich derangeführten Charakterisierung durchgeführt wird, propagierten die Teilnehmer desGDCP-Symposiums eine stärkere Betonung der rechten Seite. Damit spiegeln sich imScientific-Literacy-Ansatz die Bemühungen auch zahlreicher weiterer physikdidaktischerAnsätze der letzten Jahrzehnte wider, die ebenfalls eine stärkere Schwerpunktsetzungdurch schülerorientierte und lebensweltliche Probleme anmahnen und in den Vordergrundstellen.

Gleichzeitig wurde auch die grundsätzliche Frage diskutiert /r, 183/, ob die Erreichbarkeiteiner Scientific Literacy im Sinne wissenschaftlicher Grundbildung für alle überhauptmöglich sei, wobei das gesamte Spektrum an Standpunkten erörtert wurde - bis hin zuStimmen wie Morris Shamos, der dies als Mythos bezeichnet. Es sei statt einer "ScientificLiteracy" ein "Scientific Awareness" anzustreben, worunter ein Bewusstsein von derRationalität naturwissenschaftlicher Vorgehensweisen verstanden wird. Doch hier schließtsich der Kreis, denn letztendlich fordert Shamos zur Unterstützung dieserwissenschaftsrationalen Bewusstseinsbildung im Kernpunkt die Behandlung von mehrProzessen und weniger Fakten im Unterricht. Diese Forderung nach mehr Prozessen, diemit der Forderung nach Ausbildung von verstärkten Problemlösekompetenzen kongruentist, bildet die gemeinsame Basis eines modernen Physikunterrichts.

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6. Ausblick

Die zahlreichen, unterschiedlich breit ausformulierten Ansätze zur Kategorisierung undKlassifizierung von Physikaufgaben werden in der Praxis nicht in ihrer vollen Tiefeanwendbar sein. Es liegt nahe, zur Weiterentwicklung ein praktikables Maß derAufgabeneinteilung zu finden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man nicht nur, wie sooft, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, sondern dass die vorgestelltenKonzepte aufgrund ihrer zeitaufwendigen Implementierung im Schulalltag kaumAnwendung finden. Deshalb bietet es an, Physikaufgaben gemäß einer Kategorisierung,wie sie Wieland Müller /p/ erfolgreich bei der Analyse und der Konstruktion vonPhysikaufgaben in Schulbüchern erprobt hat, einzuteilen. Diese Einteilung hat folgendeGrobstruktur:

Weiterentwicklung der Aufgabenkultur imPhysikunterricht

1. Aufbau von 2. Konsolidieren und Ver- 3. Entwicklung von von Routinen netzen von Lerninhalten Kreativität und

Problemlösekompetenz

Alltags- aktuelle Lerninhalte des erfahrungen Lerninhalte zurückliegenden

Stoffes

Im einzelnen dienen die so klassifizierten Aufgaben nach W. Müller /p/ zur Erlangungund Förderung der folgenden Kompetenzen:

1. Routineaufgaben

- Einüben eines geeigneten Lösungsalgorithmus- Erkennen der physikalischen Größen aus dem Text- Verwenden geeigneter Einheiten- Umformen von Termen- Interpretation von Messtabellen und Diagrammen aus physikalischer Sicht

2.a Aufgaben, die alltagsgebundene Fehlvorstellungen überwinden

- Erkennen der physikalischen Fragestellung anhand einer Alltagsbeschreibung- Erklären des physikalischen Zusammenhangs der Alltagserscheinung

2.b Anwendungsbezogene Aufgaben mit fachinternen und fachübergreifenden Fragestellungen

- Erkennen der physikalischen Fragestellung aus einem innerphysikalischen bzw. fachübergreifenden Kontext

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- Transferieren eines lebensweltlichen Kontextes in eine physikalische Modellierung- Begründen und Argumentieren der physikalischen Zusammenhänge

3. Problemorientierte Aufgaben und Aufgaben, die ein Projekt anstoßen sind folgendermaßen charakterisiert

a) Die Aufgaben sollen das Vorwissen, die Interessen und Erfahrungen der Schülerin- nen und Schüler berücksichtigen. b) Die Aufgaben sollen die Schüler anregen, physikalische Problemstellungen zu er- kennen, Problemlösestrategien zu entwickeln und physikalische Argumentations- muster anzuwenden. c) Die Aufgaben sollen die Schülerinnen und Schüler anregen, Beziehungen zwischen physikalischen Sachverhalten zu ziehen und physikalische Ideen zu entwickeln. d) Die Aufgaben sollen die Kommunikation und den Gedankenaustausch über Physik fördern. e) Es sollen unterschiedliche Lösungswege gegangen werden können wie z.B.:

- experimentell,- halbqualitativ, durch Interpretation einer Wertetabelle,- rechnerisch, durch Vorgabe von Daten,- mathematisch, durch Anwenden physikalischer Gesetze und Berechnen der Lösung

f) Jede Aufgabe kann mehr oder weniger offen formuliert werden- der Lösungsweg muss selbst geplant werden,- der Lösungsweg ist unterschiedlich eingeschränkt vorgegeben- der Lösungsweg ist vorgegeben, aber nicht ohne Analyse unter- schiedlicher Ansätze ersichtlich.

Folgende Kompetenzen werden dabei gefördert und gefordert:- Analysieren der Aufgabe,- Aufsuchen von Voraussetzungen für die Lösung der Problemstellung,- Suchen nach möglichen Folgerungen,- Entwicklung von Experimentieranordnungen zur Überprüfung der Folgerungen,- Selbständiges Planen der Lösungswege.

Hinsichtlich einer praktischen Umsetzung ist jedoch die geplante Aufgabenwerkstatt mitPraktikern aus dem Schulalltag der entscheidende Schritt hin zu Aufgaben, diedifferenzierte Anforderungen stellen und im Sinne eines ausdifferenzierten Einsatzes imUnterricht verwendet werden können. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Aufgaben derKategorie 3, die die Entwicklung von Kreativität und Problemlösekompetenzen fördern,da dieser Aufgabentyp im üblichen deutschen Unterrichtsalltag bei weitem unter-repräsentiert ist.

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7. Literaturangaben

Die bei der Zitierung von Literaturstellen hinter den Kennbuchstaben angegebenen Zahlenverweisen auf die Seitenzahl der entsprechenden Fundstelle.

/a/ Walter Klinger, Hermann Maier:Praxis der inneren Differenzierung im Mathematik- und Physikunterricht,R. G. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1984

/b/ Walter Jung: Beiträge zur Didaktik der Physik,Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main, Berlin, München 1970

/c/ BLK-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung:Gutachten zur Vorbereitung des Programms "Steigerung der Effizienz des mathe-matisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts",Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft 60, Bonn 1997

/d/ Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg: Antragstext im Rahmen des BLK-Programms SINUS (Modul 1) vom 20. Sept. 1999

/e/ Wolfgang Bleichroth, Helmut Dahncke, Walter Jung, Wilfried Kuhn, GottfriedMerzyn, Klaus Weltner: Fachdidaktik Physik, 2. überarb. Auflage,Aulis Verlag Deubner & Co KG, Köln 1999

/f/ Reinders Duit, Peter Häussler, Ernst Kircher: Unterricht Physik,Aulis Verlag Deubner & Co KG, Köln 1981

/g/ Dieter Nachtigall: Skizzen zur Physikdidaktik,Band 4 der Reihe "Didaktik und Naturwissenschaft",Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1987

/h/ Uwe-Peter Tietze, Manfred Klika, Hans Wolpers:Didaktik des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe II,Friedrich Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft, Braunschweig 1982

/i/ Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport (Hrsg.):Vorläufiger Rahmenplan für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule,Gymnasiale Oberstufe, Fach Physik, Berlin 1984

/j/ National Council of Teachers of Mathematics, Commission on Teaching Standardsfor School Mathematics (Hrsg.): Professional Standards for Teaching Mathematics,Reston, Virginia 1993

/k/ Peter Reinhold: Wissenszentriertes Problemlösen in Physik und die Förderung derAufgabenkultur,Berlin-Brandenburgisches Kolloquium zur Physikdidaktik, WS 1999/2000,Vortrag gehalten an der Universität Potsdam am 1. Dezember 1999

/l/ Monique Boekaerts: Self-regulated learning; where we are today,International Journal of Educational Research 31 (1999), p. 445 - 457

/m/ Paul R. Pintrich: The role of motivation in promoting and sustaining self-regulatedlearning, International Journal of Educational Research 31 (1999), p. 459 - 470

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/n/ Hans E. Fischer: Die Konstruktion und Bewertung von Physik-Aufgaben zurVerbesserung der Qualtität des Physikunterrichts, Materialien des Landesinstitutsfür Schule und Weiterbildung NRW, Soest 1999, in Druck

/o/ Lust und Last mit PISA, Interview mit Jochen Schweitzer und Marianne Demmerin: Erziehung und Wissenschaft, Zeitschrift der GEW, 12/1999, S. 20-22

/p/ Wieland Müller, Universität Potsdam, Institut für Physik, persönliche Mitteilung

/q/ Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, 1999www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/NatOptionen/Problem_Solving_Description.htm

/r/ Wolfgang Gräber: Scientific Literacy - Von der Theorie zur Praxisin: Renate Brechel (Hrsg.): Zur Didaktik der Physik und Chemie, Band L20,Vorträge auf der Tagung für Didaktik der Physik/Chemie in München, Sept. 1999,Leuchtturm-Verlag, Alsbach/Bergstraße 2000

/s/ Peter Häußler, Wolfgang Bünder, Reinders Duit, Wolfgang Gräber, Jürgen Mayer:Naturwissenschaftsdidaktische Forschung - Perspektiven für die Unterrichtspraxis,Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, Kiel 1998

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8. Anhang

Wohl kaum ein Zitat gibt die Bemühungen der Physikdidaktik, die sich in den letztenJahrzehnten in einem rasanten Tempo entwickelt hat, besser wieder als die Charakteri-sierung der Aufgabe der Schule durch den Physiker Max Planck, die bewusst oderunbewusst als roter Faden nahezu jede fachdidaktische Diskussion durchzieht, und derauch die Arbeit im BLK-Programm SINUS zugrunde liegt.

Max Planck zur Aufgabe der Schule

Es kommt weniger darauf an,was in der Schule gelernt wird,als darauf,wie gelernt wird.Ein einziger mathematischer Satz,der von einem Schüler wirklichverstanden wird,besitzt für ihn mehr Wertals zehn Formeln,die er auswendig gelernt hatund die er auch vorschriftsmäßiganzuwenden weiß,ohne aber ihren eigentlichen Sinnzu verstehen.Denn die Schule soll nichtfachmäßige Routine vermitteln,sondernfolgerichtiges, methodisches Denken.

(zitiert nach /g, 90/)